HANS DOMINIK

LEBENSSTRAHLEN

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RGL e-Book Cover 2016©

First published by August-Scherl-Verlag, Berlin, 1939
This e-book edition: Roy Glashan's Library, 2016
Produced by Roy Glashan

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"Lebensstrahlen," August-Scherl-Verlag, Berlin, 1938



INHALTSVERZEICHNIS



1. Kapitel.

Ein Wirtshaus am Wege, wie viele zwischen deutschen Bergen stehen. Schräg fielen die Strahlen der Abendsonne in den Gastraum und spielten über weißgescheuerte Tische. Hinter seiner Theke war der Wirt beschäftigt, Gläser auszuspülen, als die Tür aufging.

»'nen Abend, Schöne!« sagte ein älterer Mann, der mit einem ziemlich umfangreichen Einholekorb in der Rechten über die Schwelle schlurfte.

»'nen Abend, Michelmann!« erwiderte der Wirt den Gruß. Der Alte setzte seinen Korb ab, ließ sich auf einen Stuhl fallen und zog ein rotgeblümtes Tuch aus der Tasche, mit dem er sich die Stirn trocknete.

»Reichlich warm heute, Schöne«, meinte er, während der Wirt einen Schoppen Wein vor ihn hinstellte. »Will mein Rad hierlassen. Ist genug, wenn ich den Korb den Berg 'raufschleppe.«

»Recht so, Gustav. Kannst es in den Ziegenstall stellen«, sagte der Wirt und setzte sich zu ihm. Übrigens hör mal! Da waren vorhin ein paar Gäste hier, die schienen es mal wieder auf euch abgesehen zu haben.«

»Hm! ... Wieso?« fragte Michelmann.

Schöne setzte eine überlegene Miene auf. »Stadtvolk, Automobilisten; kehren hier ein, tun so, als ob sie ihre Karte studierten, fragen mich allerlei, bringen dabei die Rede auf die Eulenburg und euren Doktor! Na, ich weiß doch Bescheid, Gustav.«

Michelmann nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Du meinst, Otto, die wollen wieder ...«

»Glaube nicht, daß ich mich geirrt habe. Die vom Gut drüben spitzen sich doch immer noch auf euren Wald. Kann's ihnen nicht mal verdenken; er springt verflucht unbequem in ihre Jagd 'rein.«

»Könnte denen so passen!« knurrte Michelmann vor sich hin. »Wird aber nichts draus, Otto. Ist uns gerade recht so, wie's ist. Unser Doktor will bei seinen Arbeiten ungestört sein. Die sollen ihre Hasen sonstwo schießen.«

Schöne lachte. »Kann's mir denken. War ein rechter Schabernack von dem alten Baron, dem Doktor Eisenlohr die Burg mit dem Bergwald zu vermachen, während die andern das Gut bekamen. Ließ sich aber nichts gegen machen, haben das Testament vergeblich angefochten. Na, da seht man zu, Gustav, daß ihr euch den neuen Besuch vom Halse schafft.«

»Was sagst du, Otto ...?« Michelmann setzte das eben erhobene Glas wieder auf den Tisch. »Du meinst, die wollen unserm Doktor auf die Burg rücken?«

Schöne nickte. »Sahen mir ganz danach aus, als ob sie's heut noch vorhätten. Schienen entschlossene Kerle zu sein. Agenten, weißt du, Gustav, von der Sorte, die so leicht nicht locker läßt. Würde mich nicht wundern, wenn sie schon auf dem Wege wären!«

»I der Dunner! Da soll doch –« Michelmann war aufgesprungen. »Da muß ich dem Doktor ja Bescheid sagen ...«

»Wäre kein Fehler, Gustav. Tu's man gleich.«

Während der Wirt es sagte, deutete er nach der Ecke, in der das Telephon hing. Michelmann nahm den Hörer ab, hatte ein kurzes Gespräch.

»Ist heut nicht viel bei dir los, Otto«, meinte er, während er sich wieder an den Tisch setzte.

»Erntewetter, Gustav. Ist alles draußen auf den Feldern. Wollen ihr Korn trocken 'reinkriegen.« Der Wirt deutete dabei auf ein Fenster, durch das hochbeladene Erntewagen zu sehen waren, die von den Äckern der Landstraße zustrebten, während allmählich die Dämmerung hereinbrach.

Michelmann nickte. »Na ja! Das holen sie später alles wieder nach, wenn das Erntebier bei dir ist ...« Er fing an von früheren Erntefesten zu erzählen, doch Schöne hörte nur mit halbem Ohr zu.

»Eine Ruhe hast du, Gustav!« unterbrach er ihn schließlich. »Du sitzt hier so gemütlich bei deinem Schoppen, während die Brüder vielleicht schon im Anmarsch sind. Wär's nicht besser, wenn du dich ein bißchen um sie kümmertest?«

Michelmann schüttelte den Kopf. »Überflüssige Sorge, Otto. Der Doktor ist gewarnt ...«

»Trotzdem, Gustav«, fiel ihm Schöne ins Wort. »Ich sage dir, das ist eine zähe Gesellschaft; die läßt sich so leicht nicht abweisen.«

»Wird auch nicht nötig sein. Wenn der Doktor nicht will, kommt kein Mensch den Berg 'rauf. Die werden ihr blaues Wunder erleben, wenn sie's trotzdem versuchen.«

»Na, na! Der Weg ist doch schließlich nicht zu verfehlen«, meinte Schöne zweifelnd. Er sprach und fragte noch weiter, aber seine Bemühungen, etwas Näheres zu erfahren, waren vergeblich. Michelmann wurde immer verschlossener und empfahl sich, nachdem er sein Glas geleert hatte. Es war bereits völlig dunkel, als er ins Freie trat.

»Halsundbeinbruch, Gustav!« rief ihm Schöne nach.

»Danke, danke, Otto!« Michelmann schlug einen von der Landstraße abgehenden Seitenweg ein, während er den Lichtkegel einer Taschenlampe vor sich hin spielen ließ. –

Der Gastwirt Schöne hatte sich eben wieder hinter seine Theke zurückgezogen, als ein neues Geräusch ihn aufhorchen ließ. Ein Kraftwagen hielt draußen.

Kommen die Brüder von vorhin schon wieder zurück? ging's ihm durch den Kopf, als die Tür zur Gaststube geöffnet wurde. Zwei Männer kamen herein, aber die Leute, von denen er vor kurzem dem alten Michelmann berichtet hatte, waren es nicht. Auf Ausländer taxierte Schöne sie beim ersten Blick. Der eine, schmächtig, quecksilbrig, brünett, mochte wohl ein Südländer sein, Italiener oder Franzose; den andern, blondhaarig und lang, schätzte der Wirt als einen Engländer oder Amerikaner ein. In einem ziemlich glatten Deutsch bestellte der Dunkelhaarige für sich und seinen Gefährten etwas zu trinken. Schöne brachte das Gewünschte und machte sich danach hinter seiner Theke zu schaffen. Er war begierig, etwas über Nam' und Art der neuen Gäste zu erlauschen, aber zu seinem Leidwesen führten sie die Unterhaltung unter sich in französischer Sprache.

»Wie gedenken Sie weiter zu disponieren, Monsieur Bigot?« fragte der Blonde.

»Ich will später versuchen, Mister Hartford, ob aus dem Gastwirt etwas Brauchbares herauszuholen ist«, antwortete der mit Bigot Angeredete. Und während er nun weiter sprach, spitzte Schöne doch die Ohren, denn es fielen Namen, die ihm wohlbekannt waren.

»Die Bekanntschaft mit dem jüngeren Assistenten Doktor Holthoff hilft uns nicht weiter«, sagte Bigot. »Der Mann ist der typische deutsche Wissenschaftler und für uns nicht zu haben. Ich habe es nicht mal riskiert, ihm Andeutungen zu machen.«

»Dumme Geschichte, Bigot!« warf der andere dazwischen. »Wir haben dadurch kostbare Zeit verloren.«

Mit einem Achselzucken ging Bigot über den Einwand hinweg.

»Um so mehr verspreche ich mir von einer Bekanntschaft mit Doktor Bruck, dem anderen Assistenten«, fuhr er fort, »nach dem, was ich über ihn hörte, könnte er der richtige Mann für uns sein.«

Wieso das der Fall wäre, wünschte Mr. Hartford zu hören. Bigot beugte sich näher zu ihm herüber und sprach gedämpft weiter: »Wissen Sie, Hartford, dieser Doktor Bruck war auf dem besten Wege, ein verbummeltes Genie zu werden. Eisenlohr, der ihn von der Universität her kannte, hat ihn vor einigen Jahren aufgegabelt und ihm eine anständig bezahlte Tätigkeit in seinem Laboratorium gegeben ...«

»Und Sie meinen, der Mann würde trotzdem –?« unterbrach ihn Hartford.

»Ich meine in der Tat, Hartford. Ich habe andeutungsweise gehört, daß er unzufrieden ist. Er möchte die Forschung nicht nur um der Forschung willen betreiben, wie die beiden andern, sondern Geld damit verdienen. Verstehen Sie mich jetzt?«

Hartford pfiff vor sich hin. »So?! So ist das? Dann könnte es allerdings –«

»– glücken, Hartford; wenn es gelingt, mit ihm bekannt zu werden und ihn durch Versprechungen auf unsere Seite zu ziehen.«

Hartford lachte. »Das kann Ihnen ja nicht schwerfallen, Bigot. Darauf verstehen Sie sich doch meisterhaft.«

Der Franzose schüttelte den Kopf. »Es ist leider nicht so einfach, seine Bekanntschaft zu machen. Seit Monaten ist er von der Eulenburg nicht 'runtergekommen ... Alles, was außerhalb zu besorgen ist, überträgt Eisenlohr dem anderen, dem Doktor Holthoff.«

»Hm! Ja?! Dann wird Ihnen doch nichts anderes übrigbleiben, Bigot – Sie werden sich selber in die Höhle des Löwen wagen müssen.«

»Ausgeschlossen, Hartford! Eisenlohr hat es abgelehnt, mich zu empfangen. Es wäre nur möglich, wenn er selbst einmal abwesend wäre.«

»Ja, zum Teufel, Bigot, dann schreiben Sie doch einfach einen Brief an diesen Doktor Bruck!«

Der Franzose machte eine abwehrende Bewegung. »Unter keinen Umständen, mein Lieber! Ein Brief kann in falsche Hände kommen. Es ist mein Grundsatz, in dieser Angelegenheit nichts Schriftliches zu geben.«

Die beiden sprachen noch eine Weile weiter, aber der Gastwirt Schöne verlor das Interesse an ihrer Unterhaltung, denn Namen, die er kannte, wurden nicht mehr genannt. Er horchte erst wieder auf, als sich Bigot in deutscher Sprache direkt an ihn wandte. Ebenso wie die früheren Gäste wünschte auch der Franzose jetzt allerlei über die Bewohner der Eulenburg zu erfahren, doch es war unverkennbar, daß ihn die Antworten des Wirtes nicht sonderlich befriedigten.

»Frag du und der Deubel!« knurrte Schöne vor sich hin, als Bigot schließlich mißmutig seine Zeche bezahlte und zusammen mit Hartford den Raum verließ.

* * *

Jene beiden Gäste, um die sich das Gespräch von Schöne und Michelmann gedreht hatte, waren auf der Landstraße eine Strecke weitergefahren, bis die Wirtschaft außer Sicht kam. Dann lenkten sie in eine Schneise ein und bogen ein Stückchen weiter nochmals seitwärts ab, bis der Wagen gut verborgen im Unterholz des Hochwaldes stand.

»Na, Walke, was halten Sie von der Sache?« fragte der Ältere, der am Steuer saß, seinen Begleiter.

Der zuckte die Achseln. »War nicht viel aus dem Wirt 'rauszukriegen, Herr Reinhard. Ein mißtrauischer Bursche. Weiß der Himmel, wofür er uns gehalten hat!«

»Jedenfalls nicht für das, was wir sind«, sagte der mit Reinhard Angeredete, während er sich gemächlich eine Zigarette anzündete.

»Wäre es nicht besser, wenn wir gleich losgingen?« fragte sein Begleiter.

»Ist mir noch zu hell, Walke. Unsere Sache erledigen wir besser bei Dunkelheit.«

Der andere nickte.

»Ist richtig, Herr Reinhard. Aber wenn der Wirt uns verpfiffen hat ...«

»Können wir's nicht ändern, Walke. Ich glaube es übrigens nicht. Er hat uns ja auf der Landstraße nach Ihlefeld wegfahren sehen. Eine Stunde etwa müssen wir hier noch warten. Dann wollen wir unser Glück versuchen.« –

Eine Turmuhr schlug aus der Ferne die neunte Abendstunde, als Reinhard und Walke ihren Wagen verließen.

»Na, denn los, Walke! Den Pfad hier müssen wir nehmen, er führt zu dem eigentlichen Burgweg hin.«

Reinhard ging vorsichtig voraus, Walke folgte dicht hinter ihm. Schritt für Schritt stapften sie voran, aber bald mußten sie wieder haltmachen. Von allen Seiten her wurden sie durch das dichte Unterholz gehemmt.

»Man kann nicht die Hand vor Augen sehen«, meinte Reinhard, während er eine Blendlaterne aus der Tasche holte und aufflammen ließ. »Da haben wir's. Hätten uns fast schon verlaufen. Drüben links geht der Pfad. So! Jetzt wissen wir wieder, wo wir sind.«

Schweigend schritten sie während der nächsten Viertelstunde auf einem schmalen Fußsteig weiter, der knapp für einen Menschen Raum bot und in mäßiger Steigung bergan führte.

»Sind wir hier richtig?« fragte Walke flüsternd.

»Pst, Walke!« mahnte ihn Reinhard zur Ruhe und blendete gleichzeitig die Laterne ab. Regungslos standen sie in der Dunkelheit und lauschten. Durch die leisen Geräusche des Waldes war eine Stimme zu hören, die auf Fragen Antwort zu geben schien.

»Ist, als ob wer telephonierte«, hauchte Walke Reinhard ins Ohr.

»Pst, ruhig!« wisperte der zurück und tastete sich behutsam vorwärts. Deutlich konnten sie jetzt jedes Wort vernehmen.

»So ... Herr Doktor? Es ist niemand gekommen? Vielleicht hat sich Schöne geirrt ... Jawohl, Herr Doktor, ich habe alles besorgt, den Korb bringe ich mit.« Ein Klicken wurde vernehmlich, wie wenn ein Telephonhörer an den Haken gehängt wird, ein schwaches metallisches Klicken danach. Mit einem Satz sprang Reinhard vorwärts und blendete seine Lampe auf. Ihr Lichtkegel traf den glatten Stamm einer alten Buche und ließ eine Gestalt erkennen, die dabei war, eine an dem Baum befindliche Metallklappe abzuschließen. Überrascht wandte der Mensch sich um, als er den Lichtschein bemerkte. Es war der alte Michelmann. Bei der ersten Bewegung, die er machte, rief Reinhard ihn an: »Stehenbleiben!«

Der Alte erblickte zwei Gestalten und schaute in zwei entschlossene Gesichter.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er unsicher.

»Sie sollen uns führen.«

»Wohin?«

»Auf die Eulenburg. Wir wollen Doktor Eisenlohr aufsuchen.«

Unwillkürlich schüttelte Michelmann den Kopf. »Herr Doktor Eisenlohr wünscht keinen Besuch.«

»Das lassen Sie unsere Sorge sein. Sie sollen uns nur hinführen«, sagte Reinhard und trat dicht neben ihn. »Was haben Sie da?« fuhr er fort, während er den Strahl der Laterne über den Buchenstamm gleiten ließ. »Ein Telephon mitten im Walde? Was sagt die Reichspost dazu?«

»Geht die Post 'nen Dreck was an«, brummte Michelmann, »sind hier auf eigenem Grund und Boden, können machen, was wir wollen.«

»So, so! Na, das wird sich herausstellen. Führen Sie uns zur Burg!«

Widerwillig nahm Michelmann seinen Korb auf, schwerfällig und unsicher wie ein gebrechlicher Greis humpelte er langsam vorwärts, während Reinhard an seiner Seite ging und Walke dicht hinter den beiden blieb. Fieberhaft arbeiteten dabei die Gedanken des Alten.

Zwei Männer ... Einbrecher ... vielleicht Räuber, die einen Überfall auf die Burg planten ... Der Doktor ahnungslos ... durch das Telephongespräch erst recht in Sicherheit gewiegt ... der und Dr. Bruck die einzigen Menschen in der Burg ... er selber in der Gewalt der Fremden ... unfähig, zu warnen ... zu helfen ...

Immer steiler und immer enger war inzwischen der Pfad geworden; sie konnten nicht mehr nebeneinander bleiben. »Wollen Sie vorgehen und leuchten«, sagte Michelmann, den die Steigung ganz außer Atem zu bringen schien.

»Bitte nach Ihnen, Verehrtester«, sagte Reinhard ironisch. Langsam keuchte der Alte in dem unsicheren Laternenschein weiter, bis er ... wie weggewischt ... plötzlich verschwunden war. Eben hatte ihn Reinhard noch dicht vor sich gesehen, den nächsten Moment schon nicht mehr. Blitzschnell mußte er in das dichte Gebüsch zur Rechten gehuscht sein. Mit einem Sprung wollte Reinhard ihm nach, stolperte über den Einholekorb, schlug zwischen Nesseln und Dornen der Länge nach hin.

»Verflucht, Walke!« Reinhard raffte sich wieder auf und befühlte seine Gliedmaßen. »Der Bursche ist uns durch die Lappen gegangen ...«

»Hätten ihn doch besser zwischen uns nehmen sollen«, meinte Walke.

»Jetzt zu spät«, brummte Reinhard. »Müssen versuchen, den Weg allein zu finden. Wenn irgend möglich früher als der Kerl oben sein.«

Er sagte es, ohne selber recht daran zu glauben, denn allzu gewandt und gelenkig war ihm der Alte so plötzlich entwichen.

Wenn ihnen nicht ein glücklicher Zufall zu Hilfe kam, würde der Flüchtling wahrscheinlich eher oben sein und den Doktor warnen.

* * *

Aus der Ferne gesehen machte die Eulenburg mit dem hoch über den Wald ragenden halbverfallenen Bergfried den Eindruck einer Ruine. Jahrhunderte hindurch war sie es auch gewesen, nachdem plündernde Horden während des Bauernkrieges die Brandfackel in ihr Gebälk geschleudert hatten. Doch das änderte sich, als Dr. Eisenlohr ihr Eigentümer wurde. Wer jetzt in den Burghof kam, der blickte nicht mehr in öde Fensterhöhlen, sondern in spiegelnde Scheiben, hinter denen zur Abendzeit elektrische Beleuchtung aufglänzte, und wer den Bau betrat, fand behaglich ausgestattete Räume, in denen es sich wohl hausen ließ, obgleich die Männer, die diese Mauern einst fügten, schon seit tausend Jahren unter der Erde lagen.

Der geräumige Bankettsaal im Mittelbau diente dem Doktor als Laboratorium. Wo früher einmal Ritter und Knappen den Humpen geschwungen, standen jetzt blinkende Maschinen, glänzten Glas und Messing physikalischer Apparate im Schein des elektrischen Starklichtes, deckten Regale, mit Retorten, Phiolen und hundert verschiedenen Chemikalien besetzt, die Wände.

An einem Arbeitstisch saß Dr. Eisenlohr über ein Mikroskop gebeugt. Seine Hände lagen an den Regulierschrauben des Objektträgers, während er ein Auge dicht an das Okular des Instrumentes brachte. Minuten hindurch beobachtete er angestrengt, was das Mikroskop ihm in mehrhundertfacher Vergrößerung zeigte. Nun richtete er sich wieder auf und strich sich über die Stirn. Langsam kamen die Worte von seinen Lippen: »Die Eigenbewegung ist unverkennbar, Bruck, kommen Sie her, sehen Sie selbst!«

Dr. Bruck, der Assistent Eisenlohrs, ebenso wie dieser am Ausgang der Dreißiger, legte ein Heft beiseite und nahm den Platz Eisenlohrs vor dem Mikroskop ein. Er blickte durch das Instrument, begann während der Beobachtung zu sprechen.

»Sie haben recht, Eisenlohr. Es bewegt sich. Vielleicht ... es könnte vielleicht ...«

»Was könnte es sein?« fiel ihm Eisenlohr ins Wort.

Bruck zuckte die Achseln. »Man kann noch nichts sagen. Wir wissen noch nicht genug ...«

»Wenn es die Urzeugung wäre, Bruck? Wenn der tote Stoff unter unserer Strahlung wirklich Leben gewonnen hätte?« Heiser, fast flüsternd stieß Eisenlohr die Worte hinaus.

Dr. Bruck war aufgestanden und ging nachdenklich im Raum hin und her.

»Wenn es wäre? ... ›Wenn‹ und immer wieder ›Wenn‹! Seit Jahren haben Sie sich in dies Problem verbissen. Hunderte von Versuchen haben wir gemacht, andere Hunderte werden wir vielleicht noch machen müssen, bevor wir ein brauchbares Ergebnis erhalten ... ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, Eisenlohr, Sie laufen mit Scheuklappen durch die Welt. All das andere, was wir bei diesen Arbeiten entdeckten, was ein glücklicher Zufall uns gewissermaßen so nebenher in den Schoß warf, das wollen Sie nicht sehen. Es ist mir wirklich unbegreiflich ...«

Eisenlohr fuhr mit der Hand durch die Luft, als ob er dem Sprecher das Wort abschneiden wollte.

»Was schert mich das andere? Denken Sie das Unausdenkbare, Bruck! Wenn wir tatsächlich dem Geheimnis der Urzeugung auf der Spur wären! Unsere Namen würden in der Wissenschaft unsterblich weiterleben.«

»Aber das andere, Eisenlohr! Wenn wir dem andern nachgingen ...« Die Worte Brucks gingen in einem Geräusch unter, das von außen her kam. Eine Tür wurde aufgerissen. Michelmann stand auf der Schwelle, verwirrt und jetzt wirklich außer Atem. Unordentlich hing ihm das schüttere Haar um die Stirn; seine Kleidung zeigte die Spuren eines Gewaltmarsches quer durch Gestrüpp und Dornengebüsch.

Unwillig über die Störung blickte Eisenlohr auf. »Was ist, Michelmann? Ich habe Sie nicht gerufen.«

»Herr Doktor! Es sind Fremde auf dem Berg. Fremde Banditen ... sie wollen die Burg überfallen ...« Nach Atem ringend stieß Michelmann die Worte hervor. Eisenlohr schob dem Alten einen Stuhl hin.

»Setzen Sie sich, Michelmann, erholen Sie sich!« Er drückte ihn auf den Stuhl nieder ... und dann berichten Sie uns vernünftig, was geschehen ist. Am Telephon sagten Sie, daß alles in Ordnung wäre.«

»Am Telephon war's ja gerade, Herr Doktor!« sprudelte Michelmann los. »Als ich eben wieder zuschloß, standen plötzlich zwei Kerle hinter mir und wollten mich mit Gewalt zwingen, sie auf die Burg zu führen.«

»Ist ihnen wohl nicht gelungen?« warf Eisenlohr trocken dazwischen.

»Gott sei Dank nein, Herr Doktor!« Michelmann gewann allmählich seine Fassung wieder. »An der Kreuzung X–C sprang ich schnell ins Gebüsch. Warf dem einen meinen Korb vor die Füße, sah noch, wie er darüber stolperte und hinfiel ...«

»Schade um den Korb, Eisenlohr, das Glas wird zum Teufel sein«, mischte Bruck sich ein. Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Erzählen Sie weiter, Michelmann!«

»Das war alles, Herr Doktor. Die Kerle schrien noch was hinter mir her. Ich machte schnell, daß ich hierher kam. Jetzt sind wir drei hier oben, Herr Doktor, gegen zwei. Die sollen ...«

»... draußen bleiben!« vollendete Eisenlohr den Satz des Alten, ging zu einem Wandschalter und legte ihn um. Ein leichtes Rollen und Dröhnen drang von außen her in den Raum. Durch einen Elektromotor bewegt, schob sich eine schwere stählerne Schiebetür vor das Burgportal und sperrte den Hof gegen jeden Eindringling.

Dr. Eisenlohr ging an einen Schrank, nahm eine Karte heraus und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Bei der Kreuzung X–C haben Sie die Leute verlassen, Michelmann?«

»Jawohl, Herr Doktor.«

»Wann ungefähr?«

Michelmann dachte kurze Zeit nach. »Vor einer Viertelstunde etwa, Herr Doktor.«

»Sie kamen von der großen Buche, waren zusammen auf dem C-Pfad?«

Michelmann nickte. Eisenlohr verfolgte mit einem Bleistift Linien auf der Karte.

»Sie werden auf dem C-Pfad geblieben sein. Könnten jetzt etwa an der Stelle sein.« Er markierte einen Punkt auf der Karte. »Wollen sehen, was wir für sie tun können.« Er ging zu einer Schalttafel und bewegte verschiedene Schalter, während er dabei leise vor sich hin sprach. Sein Gesicht war verändert. Ernst und entschlossen hatte es während der Unterredung mit Bruck ausgesehen. Unwillige Überraschung zeigten seine Mienen, als Michelmann mit seiner Geschichte dazwischenkam. Jetzt spielte ein überlegener, spöttischer Zug um seinen Mund, während er hier und dort einen Schalter betätigte.

»So, das dürfte einstweilen genügen«, meinte er zu Bruck, während er an den Arbeitstisch zurückkehrte und sich wieder über das Mikroskop beugte. Michelmann verließ geräuschlos den Raum; er wußte aus langer Erfahrung, daß Dr. Eisenlohr bei seinen Arbeiten keine Störungen liebte. Bruck machte sich an einer anderen Stelle des Laboratoriums an einem Apparat zu schaffen. Ein Metallblock stand dort auf einem Tisch, ein Würfel, der etwa einen Meter im Kubus messen mochte. Der stumpfgrauen Farbe nach zu schließen konnte er aus Blei bestehen. Der aus starkem Eichengebälk gezimmerte Tisch ließ auf ein erhebliches Gewicht der Metallmasse schließen; schwere Porzellanisolatoren und Zuführungskabel verrieten, daß elektrische Hochspannung in dem Apparat wirkte. An der einen Wand hatte er ein kleines Glasfenster. Dicht vor ihm stand auf einem Stativ ein Glasgefäß, gefüllt mit einer leicht opalisierenden Flüssigkeit.

Eisenlohr war mit seiner Beobachtung fertig und trat zu seinem Assistenten. »Wir wollen die Emulsion in den Keller bringen, Bruck, in den Brutschrank.«

»Wie Sie wollen, Eisenlohr«, sagte Bruck unsicher. »Hoffentlich wird es nicht wieder ein Fehlschlag. Sie wissen, daß –«

Mit einer ungeduldigen Bewegung unterbrach ihn Eisenlohr: »Ich weiß alles, was Sie sagen wollen, Bruck. Es sind schon andere Leute vor uns 'reingefallen. Haben Nährgelatine mit Radiumbromid gemischt. Haben merkwürdige Dinge wachsen sehen und nachher Enttäuschungen erlebt. Ist mir alles bekannt, lieber Bruck«, fuhr er lebhafter fort, als Bruck etwas erwidern wollte. »Das darf uns nicht mutlos machen, einmal muß es ja doch gelingen. Kommen Sie bitte!«

Eisenlohr nahm das Gefäß mit der Flüssigkeit vorsichtig in seine Hände, während der Assistent den Strom von der Apparatur abschaltete ... Zusammen gingen sie in eine Ecke des saalartigen Raumes, wo eine Wendeltreppe in die Tiefe führte.

* * *

»Müssen versuchen, den Weg allein zu finden«, hatte Reinhard gesagt, als er nach seinem Sturz wieder auf den Beinen stand. »Zum Teufel, Walke, wo ist die Laterne geblieben?« Die Frage war berechtigt, denn in der Dunkelheit des Hochwaldes konnte man nicht die Hand vor Augen sehen.

Walke brachte eine elektrische Taschenlampe zum Vorschein und leuchtete damit umher. Da lag zwischen den Nesseln umgestürzt der Korb, über den Reinhard gefallen war. Verstreute Glasscherben verrieten, daß der Korbinhalt dabei zu Schaden gekommen war. Einige Schritte weiter entdeckte Walke die Blendlaterne und mußte schnell feststellen, daß sie auch allerlei abbekommen hatte. Das Schutzglas war zersplittert, die Blende verbogen und der Brenner angebrochen. Sie gab nur noch eine trübe rußende Flamme, als Walke sie wieder anzündete.

»Weit werden wir damit nicht kommen, Herr Reinhard«, gab er seiner Befürchtung Ausdruck.

»Verflucht! Wir müssen aber!« knirschte Reinhard ungeduldig und tappte in dem unsicheren Licht weiter. »Schonen Sie Ihre elektrische Lampe, Walke! Ewig kann doch der miserable Pfad nicht mehr dauern. Ich denke, daß wir bald auf den richtigen Burgweg kommen.«

Vorläufig war freilich von einer Besserung nichts zu merken, ja der Weg wurde womöglich noch schlechter als bisher. Mit größter Vorsicht mußten sie sich weiterbewegen, um neue Stürze zu vermeiden. Die Minuten verrannen darüber, während sie bald einem Felsblock ausweichen, bald hindernde Zweige zur Seite drücken mußten. In der Ferne schlug eine Uhr, als Reinhard stehenblieb und das Schweigen brach.

»Jetzt hört der verdammte Pfad ganz und gar auf!«

Reinhard wußte nicht, daß er in diesem Augenblick kaum zehn Meter von dem bequemen Burgweg entfernt war. Noch vor wenigen Minuten hätte er es sogar bei dem mangelhaften Licht der Laterne erkennen können. Aber da hatte Dr. Eisenlohr in seinem Laboratorium einen Schalter betätigt, und im gleichen Augenblick hatte sich auch hier weit draußen im Wald etwas gerührt. Ein Steinblock und dichtes Gestrüpp hatten sich quer über den Pfad geschoben und machten jedes weitere Vordringen unmöglich.

»Wir müssen umkehren«, war das Ergebnis einer kurzen Beratung. Mißmutig stolperten sie auf dem alten Wege zurück. Nach wenigen Minuten machten sie von neuem halt, ein rohes Holzgatter sperrte den Pfad. »Achtung! Hochspannung! Lebensgefahr!« war in roten Lettern darauf zu lesen.

»Was ist das, Walke?« fragte Reinhard.

Walke schüttelte den Kopf. »Weiß der Teufel, wie das zugeht, Herr Reinhard! Vorhin war's bestimmt nicht da.«

»Unsinn, Walke! Wir haben uns eben gründlich verlaufen, sind gar nicht mehr auf dem Pfad, auf dem wir herkamen«, entschied Reinhard. »Wir müssen noch mal umkehren und den richtigen Weg suchen.«

Reinhard hatte unrecht und Walke hatte recht, denn auch dies so plötzlich vorhandene Gatter hing mit den Schaltmanövern Eisenlohrs zusammen, aber davon konnten die beiden ja nichts wissen. Noch nicht hundert Meter waren sie wieder zurückgegangen, als Walke zur Rechten einen schmalen Seitenpfad entdeckte.

»Na, Walke, da haben wir's!« rief Reinhard mit neuer Unternehmungslust. »Das haben wir vorhin übersehen. Jetzt werden wir wohl endlich auf den Burgweg kommen.«

Wieder begann der Marsch, der immer mühseliger wurde, da der neue Weg stark zu steigen begann. Es war außer Zweifel, daß man jetzt beträchtlich an Höhe gewann, aber von dem Burgweg, auf den beide hofften, war weit und breit nichts zu bemerken. Im Gegenteil wurde der Waldsteig jetzt zu einem Saumpfad, der sich wie ein schmales Band an einem steilen Felshang hinzog. Schon lag der Wald zur Rechten tief unter den beiden Männern, während sie sich zur Linken an steilen Basaltwänden weitertasteten.

»Weiß der Himmel, wohin das führt!« stöhnte Walke und trocknete sich die Stirn.

»Reden Sie nicht! Kommen Sie!« zischte ihm Reinhard zu, während er sich weiter emporarbeitete. Nun folgte der Pfad einer Biegung der Felswand nach links, wurde breiter und hörte auf zu steigen. Reinhard hielt an und nötigte auch Walke, stehenzubleiben.

»Sehen Sie?« flüsterte er ihm zu. Walke schaute hin. In einer Entfernung von etwa zwanzig Meter brach ein Lichtschein aus der Felswand. Vorsichtig gingen sie weiter, bis sie davorstanden. In fast doppelter Manneshöhe war eine Art von Fenster in den Fels gesprengt, aus dem das Licht kam. Reinhard löschte die Laterne und stellte sie auf die Erde, flüsterte dann ein paar Worte mit Walke; der hockte nieder, Reinhard stellte sich auf seine Schultern und suchte mit den Händen Halt an den Basaltstöcken, während der andere sich langsam emporwuchtete, bis er senkrecht vor der Wand stand. Jetzt konnte Reinhard mit den Händen die kräftigen Eisenstangen eines Fenstergitters fassen, bekam besseren Halt und brachte sein Gesicht an die Scheibe. Er blickte in einen hellerleuchteten Raum und sah zwei Männer, die sich darin zu schaffen machten.

Der eine, größere der beiden – nach der Beschreibung, die Reinhard von ihm hatte, mußte es Dr. Eisenlohr sein – ließ soeben die Tür eines Schrankes ins Schloß fallen. Für die Tür eines schwer gepanzerten Stahlschrankes hielt sie der Beobachter draußen. Dann wandte der Doktor sich zu dem andern und sprach mit ihm.

»Aha, das ist Doktor Bruck«, murmelte Reinhard vor sich hin. »Möchte wissen, wo der Dritte, der Doktor Holthoff, steckt?« Seine Augen folgten den beiden, die sich einer andern Seite des Raumes zuwandten, dabei aber in seinem Gesichtsfeld blieben. Deutlich konnte er die Säulenstruktur des Basaltgesteins erkennen, das die Wände des höhlenartigen Raumes bildete. Dort stand eine Reihe von Maschinen; Drehbänke, Stanzen und schwere Pressen waren es, soweit Reinhard die Einzelheiten zu erkennen vermochte. Er kniff die Augen zusammen, um besser beobachten zu können, sah, wie Dr. Bruck einen Elektromotor anließ und dadurch eine der schweren Stanzen in Bewegung setzte. Ein starkes Blech schob Eisenlohr von der andern Seite her in die Maschine. Mit dumpfem Dröhnen und Stampfen schlug ihr Stempel einzelne rundliche Stücke aus der Metallplatte heraus. Deutlich konnte Reinhard die Schläge der Maschine hören, zählte etwa zwei Dutzend ausgestanzter Stücke, als er den Boden unter sich wanken fühlte.

»Ich kann nicht länger!« stöhnte Walke, der die Stiefelabsätze Reinhards immer härter und schmerzender auf seinen Schultern spürte.

»Einen Moment noch, Walke!« versuchte ihn Reinhard anzufeuern, aber Walke war am Ende seiner Kräfte. Ein paar Sekunden hielt sich Reinhard noch mit den Händen an den Gitterstäben. Dann ließ er sich fallen und landete neben seinem Gefährten.

»Kenne Sie gar nicht wieder, Walke! Machen doch sonst nicht schlapp?« brummte er. Walke rieb sich seine Schultern, ohne etwas zu sagen. Reinhard sprach weiter: »War ein Glück, Walke, daß wir uns verlaufen haben und hierhergekommen sind. Einen besseren Platz für die Beobachtung konnten wir nicht finden.«

Walke hatte seine Schultern endlich wieder einigermaßen beieinander.

»Haben Sie etwas gesehen, Herr Reinhard?« fragte er.

»Na, danke, mir genügt es. Wir müssen noch heute nacht in die Burg. Egal, wie wir hineinkommen, 'rein müssen wir!«

Walke kratzte sich den Kopf. »Leicht gesagt, aber schwer getan. Weiß der Himmel, wie wir uns von hier wieder zurechtfinden!«

Reinhard wollte etwas erwidern, als der Lichtschein aus der Felswand plötzlich erlosch. Sie standen wieder im Dunkeln.

»Verflucht!« stöhnte Walke.

»Um so besser, Sie verzagter Zeitgenosse! Das Licht ist aus, also sind diese beiden Herren Doktoren nicht mehr drin Zünden Sie erst mal wieder die Laterne an!«

Walke tat, wie ihm befohlen.

»So. Nun geben Sie mal die Tasche her!«

Walke reichte ihm eine Aktentasche, mit der er sich bisher geschleppt hatte. Reinhard öffnete sie; im trüben Schein der Laterne kam allerlei Werkzeug zutage.

»Was wollen Sie tun?« fragte Walke.

»Das Gitter da oben beseitigen, alter Freund.« Reinhard blickte auf seine Uhr. »Es ist kurz nach zehn. In einer Stunde können wir's geschafft haben. Sind wir mal erst drinnen, wird sich das andere finden.«

* * *

Das Licht in dem Basaltkeller erlosch, als Eisenlohr bei der Rückkehr in das Laboratorium einen Schalter am oberen Ende der Wendeltreppe drehte. Er schritt durch den Raum, ließ im Vorbeigehen eine Anzahl runder Metallplättchen klirrend auf einen Tisch fallen und warf sich in einen bequemen Stuhl. Während er den Kopf in die Linke stützte, zog er mit der Rechten ein Protokollbuch heran und begann die darin notierten Zahlenreihen zu studieren.

Dr. Bruck ließ ihn schweigend gewähren. Ein Weilchen blieb er vor dem Tisch stehen und ließ die Metallscheiben, die sie vorhin zusammen im Keller ausgestanzt hatten, spielend durch die Finger gleiten, dann raffte er sie zusammen und ging damit weiter zu einer langgestreckten Apparatur, die auf einem fahrbaren Gestell aus Stahlrohren montiert war.

Äußerlich ähnelte das Gerät ungefähr einer optischen Bank; Stromanschlüsse und mehrfache Spulen isolierten Drahtes verrieten indes, daß es sich hier wohl um Elektronenoptik oder etwas Ähnliches handeln mochte.

Versuchsweise schob Dr. Bruck hier und dort eine der Metallscheiben in Blendenringe des Gerätes. Er wandte Eisenlohr dabei den Rücken; so konnte er nicht bemerken, daß der inzwischen mit seiner Lektüre zu Ende gekommen war und ihm halb interessiert, halb belustigt zuschaute.

»Können Sie die Zeit nicht abwarten, alter Freund?« Die Frage traf Bruck unvermutet. Eine leichte Verlegenheit spiegelte sich in seinen Mienen, während er sich anschickte, die Metallplatten wieder aus dem Apparat zu nehmen.

»Lassen Sie sie darin stecken, Bruck. Ich möchte heute noch einen Versuch machen«, sprach Eisenlohr weiter. Er stand auf und ging zu der Schaltwand. Sein Blick lief prüfend über Meßgeräte und fernzeigende Instrumente, die dort in Reih und Glied blinkten.

»Alles in Ordnung«, sprach er dabei weiter. »Genügend flüssige Luft im Tank, um die Antikathode kühlen zu können ... Hochspannung läuft ... wir könnten es versuchen ...«

»Wird auch Zeit«, murmelte Dr. Bruck vor sich hin.

Eisenlohr wandte sich zu ihm um und schüttelte leicht den Kopf. »Immer noch der alte, Bruck. Noch genau so querköpfig wie vor zehn Jahren. Begreifen Sie's doch endlich: man darf das große Ziel über Nebensächlichkeiten nicht aus dem Auge verlieren!«

»Nebensächlichkeiten nennen Sie das, Eisenlohr? Ich halte es für eine Entdeckung von fundamentalster Bedeutung.«

Eisenlohr konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, »›fundamentaler Bedeutung‹ ist gut gesagt, mein Lieber. Sagen Sie das als Physiker oder ... als ... Finanzier?«

Dr. Bruck gab es auf, weiter mit Eisenlohr zu streiten. Er wußte von früheren Gelegenheiten her, daß er dabei doch für gewöhnlich den kürzeren zog. Ungeduldig wartete er, daß der andere endlich mit dem Versuch beginnen möchte, an dem ihm soviel lag. Aber Eisenlohr begann wieder von etwas anderem zu sprechen.

»Ist eigentlich eine tolle Geschichte, die unserm Michelmann passiert ist. Ich war vorhin stark mit anderen Dingen beschäftigt. Wenn ich's mir jetzt ruhig überlege ... Die Kerle haben ihn ein Stück mitgeschleppt. Das geht denn doch über die Hutschnur. Ich werde mal mit unserem Freund Stange telephonieren ...«

»Etwas spät jetzt, Eisenlohr«, Bruck warf einen Blick auf die Wanduhr, »die Geschichte ist schon anderthalb Stunden her; man wird die Kerle nicht mehr erwischen.«

»Trotzdem, besser jetzt als gar nicht.« Eisenlohr ging zum Fernsprecher und führte ein längeres Gespräch.

»So«, sagte er, als er den Hörer wieder auflegte, das hat sich gut getroffen. Der Oberwachtmeister war noch auf dem Amt. In einer Stunde kann er hier sein.«

»Also wollen wir endlich ...?« seufzte Dr. Bruck.

»Ja, jetzt wollen wir«, sagte Eisenlohr.

Gemeinsam schoben sie den langen Apparat, mit dem Dr. Bruck sich beschäftigt hatte, an jenen Metallblock heran, am dem sie gerade ihre Versuche machten, als Michelmann dazwischenkam. Lange Minuten verstrichen dann, während Eisenlohr an feinen und immer feineren Stellschrauben regulierte.

»So könnte es gehen«, meinte er endlich. »Geben Sie flüssige Luft auf die Röhre, Bruck!«

Dr. Bruck betätigte Schalter und Ventile, während Eisenlohr einige Schritte zurücktrat und die ganze Anordnung noch einmal prüfend überschaute. Gut zehn Meter weit erstreckte sich das schimmernde Gestell der optischen Bank in den saalartigen Raum.

»Hundertfünfzig Grad unter Null sind in der Röhre«, meldete Bruck von der Schaltwand her.

»Wenn es so weiter geht, werden wir nächstens anbauen oder umziehen müssen«, sagte Eisenlohr mehr zu sich selbst. »Geben Sie Spannung!« fuhr er zu Bruck gewandt fort.

Ein leises Knistern an den gewaltigen Isolatoren des Metallblocks verriet, daß die Höchstspannung arbeitete.

Auf jener Metallscheibe, die Dr. Bruck in den Blendenring der Bank geschoben hatte, erschien ein dunkler Fleck, wurde heller, erstrahlte schließlich in matter Rotglut. Geschäftig eilte Eisenlohr hin und her, regelte hier und dort den Strom in den Spulen der optischen Bank, prüfte und regulierte von neuem. Da wurde aus dem glühenden Fleck ein haarfeiner glühender Punkt.

»Der Strahl steht, Bruck.«

Noch während Eisenlohr es sagte, begann die auf einen Punkt konzentrierte Energie der Strahlröhre sich auszuwirken. Das Metall der Scheibe kam an der Stelle, wo es von ihr getroffen wurde, ins Fließen. Ein feines Loch entstand in der Platte, so genau kreisrund und sauber herausgebrannt, als wäre es mit einem Stahlbohrer erzeugt. Im nächsten Augenblick glühte ein heller Punkt auf einer anderen, einige Meter von der ersten entfernten Metallscheibe auf. Es sah aus, als ob das gleiche Spiel sich hier wiederholen wollte. Doch Eisenlohr ließ es dazu nicht kommen. Schon sprang er zur Schaltwand und regulierte die Strahlungsintensität herunter. Das Glühen verschwand.

Dr. Bruck verfolgte den Gang eines Meßinstrumentes. »Nur noch fünf Watt, Eisenlohr. Warum drosseln Sie die Energie? ... Nur noch zwei Watt. Ich verstehe nicht, was Sie damit anfangen wollen.«

»Sie werden es gleich begreifen, Bruck.« Noch während Eisenlohr es sagte, drehte er andere Schaltkurbeln, und der Zeiger eines Spannungsinstrumentes begann in die Höhe zu klettern. Unbewegt verfolgte Eisenlohr den Gang des Instrumentes, mit wachsender Unruhe beobachtete es Bruck. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, preßte dann die Lippen wieder zusammen, sprach schließlich aber doch aus, was er dachte.

»Sie riskieren viel, Eisenlohr. Wird die Röhre die Spannung ertragen?«

»Sie wird es, Bruck.« Eisenlohr deutete auf das Meßinstrument, dessen Zeiger jetzt einen roten Strich überschritt. »Sehen Sie, Bruck ... Weltraumstrahlung! ... Wir sind die ersten, denen es gelang, sie zu erreichen ... noch über sie hinauszukommen ... Geben Sie mir flüssige Luft! Die Röhre muß kalt bleiben ...«

Dr. Bruck drehte ein Ventil weiter auf; in stärkerem Strom floß die flüssige Luft durch die Antikathode der Röhre. Eine kurze Weile blieb er vor der Schaltwand stehen und beobachtete das Spiel anderer Instrumente, wandte sich dann wieder zu dem andern:

»Die Kältemaschine kommt nicht mit, Eisenlohr. In zehn Minuten wird unser Vorrat an flüssiger Luft verbraucht sein ...«

»In zehn Minuten kann man viel tun, Bruck.« Gemessen kamen die Worte von Eisenlohrs Lippen. Dr. Bruck blickte auf und erschrak. Wieder war der Spannungszeiger gestiegen. Millionen von Volt arbeiteten jetzt in der Röhre. Fast mit Lichtgeschwindigkeit mußten die von der Riesenspannung beschleunigten Elektronen auf die Antikathode schlagen. Ganz unvorstellbar klein mußte die Wellenlänge der Strahlung sein, die von ihr ausging.

Eisenlohr beugte sich über die Apparatur und beobachtete gespannt die Metallscheibe, die dieser wunderbaren Strahlung ausgesetzt war. Er sah, wie ihr Stoff sich an der getroffenen Stelle verfärbte, veränderte, und richtete sich wieder auf.

»Wir haben es erreicht, Bruck!« Nur ein leises Beben seiner Stimme verriet die ungeheure Erregung, die ihn gepackt hatte. »Es ist, wie es sein muß, Bruck. Zwei Quadrillionen Schwingungen in der Sekunde. Der Strahl zernagt die Atomkerne. Kein Zweifel mehr ... wir haben ...«

»Die flüssige Luft geht zu Ende, Eisenlohr!«

»Abstellen, Bruck!«

Dr. Bruck kurbelte den Spannungsregler zurück. Ein Seufzer der Erleichterung kam von seinen Lippen, als der Spannungsmesser wieder auf Null stand.

»Bei Gott, Eisenlohr! Das ging hart auf hart. Wenn die Röhre brach ... wenn die entfesselte Spannung –«

»Wenn und wenn – und noch mal wenn, mein lieber Bruck. Die Röhre ist nicht gebrochen. Ein zweites Mal werde ich sie der Überspannung nicht aussetzen, Holthoff bringt uns neue, stärkere Röhren mit.«

»Ja, wo bleibt eigentlich Holthoff?« fragte Dr. Bruck. »Ich denke, er sollte schon heute abend zurück sein.«

»Es wird eine Verzögerung gegeben haben. Damit muß man bei der Lieferung von solchen Spezialgeräten immer rechnen. Wenn er die neuen Röhren gestern abend bekommen hat und die Nacht durchfährt, kann er morgen früh hier sein.«

Während Eisenlohr sprach, nahm er die Metallscheibe, die zuletzt der Wirkung des Strahls ausgesetzt gewesen war, aus dem Blendenring heraus und ging damit zu einem Experimentiertisch. Das Licht einer Starklampe flammte auf. Durch Sammellinsen konzentriert, beleuchtete es in schrägem Winkel die Metallscheibe, während Eisenlohr sich mit einer Lupe darüber beugte und die getroffene Stelle untersuchte.

»Was haben Sie gefunden, Eisenlohr?«

»Das gleiche, was wir schon oft gefunden haben, Bruck. Die Ultrastrahlung greift die Bleiatome an. Das wissen wir ja. Hier, prüfen Sie selbst.« Eisenlohr drückte ihm die Lupe in die Hand. »Die Farbe ist verdächtig. Die Kristallbildung ist typisch für das Element Au. Die Ultraschwingung muß Protonen aus dem Bleikern gerissen haben.«

Dr. Bruck warf sich in seinen Stuhl zurück und schlug die Hände vor die Stirn.

»Gold aus Blei, Eisenlohr!? Sie haben's zu finden erwartet? Es ist kein Zufallstreffer?«

»Wir können den Versuch morgen mit den neuen Röhren wiederholen, wenn Ihnen soviel daran liegt, Bruck.«

»Ja! Gleich morgen wollen wir das tun, Eisenlohr.«

Dr. Bruck ging an ein Regal, griff sich Flaschen und Porzellanschalen heraus und machte sich daran, die eben bestrahlte Bleiplatte chemisch zu untersuchen. In seine Arbeit versenkt, hörte er kaum die Worte, die Eisenlohr leise vor sich hin sprach:

»Schon mancher suchte Gold und fand nur Katzengold.«

* * *

Auf dem schmalen Plateau vor dem Burgkeller hatte sich das Bild inzwischen ein wenig verändert. Reinhard brauchte die Schultern seines Gefährten nicht länger in Anspruch zu nehmen. Ein Stück Tannenstamm, schräg gegen die Felswand gelehnt, gab ihm einen einigermaßen sicheren Standpunkt, so daß er beide Hände für seine Arbeit frei hatte.

Ein verhältnismäßig schwaches Eisengitter konnte dem Hebeldruck einer Stahlstange, die er geschickt ansetzte, nicht lange widerstehen. Seine Stäbe verbogen sich und lockerten sich dabei in dem Basaltgestein. Noch ein kräftiger Ruck, und er hielt es in den Händen.

»Viel wert ist das Ding nicht«, sagte er und warf das Gitter zu Boden. »Jetzt noch das Fenster, dann werden wir's haben.«

Unter dem kurzen Stoß seines Ellbogens klirrte eine Scheibe. Er konnte hindurchgreifen und den Fensterriegel öffnen.

»Kommen Sie gut weiter, Herr Reinhard?« fragte Walke.

»Merkwürdiges Fenster«, brummte Reinhard vor sich hin, »läßt sich zu beiden Seiten in die Felswand 'reinschieben. Aha! Da kommt ja noch was. Reichen Sie mir mal die Beißzange 'rauf!«

Walke tat, wie ihm geheißen.

»Donnerwetter!« fluchte Reinhard, während er die Zange in seiner Hand arbeiten ließ.

»Was haben Sie?« fragte sein Gefährte.

»Ein Kabelgitter, Walke. Faule Geschichte. Vielleicht eine Alarmanlage, die uns verrät, bevor wir noch drin sind. Ich muß den Kram so beiseite drücken. Zerschneiden darf ich die Leitung nicht. Uff! Jetzt ist's geschafft. Das hat warm gemacht.«

Der Weg in den Keller lag offen; gleich danach standen beide darin. Noch einmal mußte die beschädigte Laterne ihr kümmerliches Licht hergeben, bis Reinhard auf einem der Tische eine Batterielampe entdeckte und sie in Gebrauch nahm.

»So, nun wollen wir uns mal ein bißchen umsehen!« Er ließ den Strahl der neuen Lichtquelle durch den Raum spielen. »Wollen mal die Maschinen da näher begucken.« Er ging auf die Stanze zu, an der Eisenlohr und Bruck gearbeitet hatten, und beleuchtete sie von allen Seiten.

Walke griff nach dem Blech, aus dem die beiden Doktoren die Plättchen ausgestanzt hatten.

»Ist ziemlich schwer«, meinte er, während er es Reinhard hinhielt. Der faßte in die Aktentasche und zog eine Blechschere heraus. Mit kräftigen Schnitten trennte er ein Stück mit ein paar Stanzlöchern von dem Blech ab. Danach noch einmal ein Griff in die Tasche, und er hatte eine Schublehre in der Hand, mit der er die Blechstärke und die Größe der Stanzlöcher zu messen begann. Walke sah ihn fragend an. Reinhard pfiff durch die Zähne.

»Nicht uninteressant, Walke! Das wollen wir mal auf jeden Fall mitnehmen.«

Er schob die Blechprobe in die Aktentasche und kehrte mit Walke zu den Maschinen zurück. Am Ende der Wand stießen sie auf eine eiserne Tür. Reinhard drückte auf die Klinke. Die Tür war unverschlossen; sie traten in einen zweiten Raum, der noch größer war als der erste.

»Alle Wetter! Die Leute sind vornehm eingerichtet.«

Unwillkürlich war Walke der Ausruf beim Anblick des Maschinenparks entfahren, der sich hier seinen Augen darbot. Da standen Werkzeugmaschinen mannigfacher Art und Größe, von der kleinsten Fräsbank, die für Uhrmacherarbeiten bestimmt zu sein schien, bis zur großen Hobel- und Stoßmaschine. Vor einer schweren hydraulischen Presse blieb Reinhard stehen und hielt die Lampe in die Höhe. Ihr Schein fiel auf die mächtige Traverse der Presse. »Tausend Tonnen Maximaldruck« stand in roten Antiqualettern darauf.

Ein kurzer Blickwechsel zwischen den beiden. »Das könnte es sein«, sagte Walke.

Reinhard nickte. »Ist wahrscheinlich, Walke, der Druck dürfte langen. Wo mag das andere sein? ... Hm ... da vielleicht ...« Er ging auf einen Wandschrank neben der Presse zu. Der Schrank war verschlossen. Reinhard griff in die Tasche, holte einen schlüsselähnlichen Gegenstand hervor und begann damit an dem Schloß zu probieren. Öfter als einmal zog er das Instrument wieder heraus, stellte und veränderte daran und versuchte seine Kunst dann von neuem. Beim fünften Male klappte es; das Schloß sprang auf. Der Inhalt des Schrankes lag vor ihren Blicken. Mehr als hundert Stahlstempel und Matrizen standen sorgfältig geordnet und numeriert in den Schrankfächern. Reinhard nahm eins der Stücke nach dem anderen heraus, betrachtete es und stellte es wieder zurück.

»Das ist es nicht, Walke«, meinte er, als er den Schrank wieder verschloß. »Wenn wir nichts anderes finden, ist unsere Bemühung umsonst.«

»Da hinten vielleicht, Herr Reinhard«, sagte Walke und deutete auf die andere Schmalwand des Raumes.

»Wir wollen sehen, Walke.« Reinhard ging dorthin, sein Gefährte folgte ihm. Wieder standen sie vor einem gewaltigen Maschinenaggregat, doch diesmal war es keine Werkzeug-, sondern eine Arbeitsmaschine, eine Maschine, die in Betrieb war. Ein großer Elektromotor trieb die Kolben einer mehrzylindrigen schweren Pumpe hin und her. Manometer zeigten Drücke bis zu zweihundert Atmosphären an. Thermometer wiesen auf unwahrscheinliche Temperaturen.

»Was ist das, Herr Reinhard?« fragte Walke, der sich in diesem verwickelten Getriebe nicht auskannte.

»Nichts, was uns interessiert, Walke. Eine Kältemaschine. Wir müssen –« Er brach jäh ab. Ein leichtes Dröhnen war an sein Ohr gedrungen.

»Was war das, Walke?« Noch während Reinhard es sagte, ließ er die Lampe in seiner Hand erlöschen. Schweigend und lauschend standen sie im Dunkeln. Nichts anderes war mehr zu hören als das leichte Ventilspiel der Kältemaschine.

»Es kam aus dem andern Raum, in dem wir zuerst waren«, flüsterte Walke.

»Zurück!« raunte Reinhard ihm zu. Vorsichtig tappten sie im Dunkeln nach der eisernen Tür hin, durch die sie in den zweiten Raum gekommen waren.


2. Kapitel.

Im Laboratorium hielt Dr. Bruck ein Reagenzglas gegen das Licht und ließ aus einer Pipette ein paar Tropfen hineinfallen. Sofort begann die in dem Glase enthaltene klare Flüssigkeit sich zu verfärben.

»Sehen Sie, Eisenlohr! Klare Reaktion auf Au!« Er hielt Eisenlohr das Glas hin.

Der wollte eben danach greifen, als eine Glocke ertönte, eine Klingel mit einem eigenartigen Doppelton. Eisenlohr stutzte und blieb stehen. »Das ist doch ...?«

»Wenn mich meine Ohren nicht täuschen, Telephon C 3 vom Hauptweg«, sagte Bruck, der immer noch die Veränderungen in dem Reagenzglas in seiner Hand verfolgte.

»Telephon C 3?...Sollte Holthoff schon zurück sein?«

Während Eisenlohr es vor sich hinsprach, ging er zur Wand und hob einen Hörer ab.

»Wer da? Holthoff, Sie? Hatte Sie erst für morgen erwartet. Sie bringen Oberwachtmeister Stange in Ihrem Wagen mit? Sehr gut ... Die Sicherungen 'rausnehmen? ... Ich werde den Burgweg frei machen. Bis Stelle C 0. Rufen Sie von da noch einmal an. Das Haupttor möchte ich geschlossen halten, bis Sie davor sind ... Sagen Sie dem Wachtmeister, daß er auf seiner Hut ist. Das Gesindel könnte noch in der Nähe sein.«

Eisenlohr hängte den Hörer wieder an und ging zu jenem Teil der Schaltwand, wo sich die Hebel eines komplizierten Sicherungssystems befanden. Hier und dort legte er einen Hebel um, und gleichzeitig gingen weit draußen auf dem Hange des Burgberges allerlei Veränderungen vor sich. Sperrende Gatter klappten zurück, Lampen flammten auf. Gut beleuchtet lag ein bequemer Fahrweg zur Burg hinauf offen.

Eisenlohr wollte eben wieder an seinen Arbeitstisch zurückkehren. Noch einmal ließ er den Blick kurz über die Schaltwand gleiten und stutzte.

»Hallo, Bruck! Was ist das? Die Kellersicherungen sind ja nicht eingeschaltet!«

»Keine Ahnung, Eisenlohr. Ich habe sie nicht ausgeschaltet«, antwortete Dr. Bruck, der ganz von den Vorgängen in seinem Reagenzglas in Anspruch genommen war.

»Michelmann wird taperig«, murmelte Eisenlohr vor sich hin und schaltete die Hebel der Kellersicherung ein. Im gleichen Moment flammte eine rote Neonlampe an der Wand auf, und das Geräusch eines elektrischen Summers wurde vernehmbar.

»Himmeldonnerwetter! Bruck! Kommen Sie doch mal her!«

Zögernd stellte Dr. Bruck das Reagenzglas in ein Stativ. Nur langsam machten sich seine Gedanken von der Untersuchung los; dann sah auch er das rote Licht, hörte das Summen und stand neben Eisenlohr.

»Was gibt's, Eisenlohr?«

»Jemand im Keller!? Bruck!«

»Wer?«

»Wird sich finden!« Während Eisenlohr es noch sagte, legte er einige Schalter um; es geschah in dem gleichen Moment, in dem Reinhard und Walke durch ein Geräusch erschreckt wurden und ihre Lampe auslöschten.

»Wenn es die Banditen sind, Eisenlohr?«

»Haben wir sie jetzt in Nummer Sicher, Bruck. Wir wollen warten, bis Holthoff und der Wachtmeister hier sind.«

* * *

Aus dem Burgweg rollte ein Kraftwagen bergaufwärts. Am Steuer saß Dr. Holthoff, ein Mann, der eben die Mitte der Zwanziger überschritten haben mochte. Neben ihm spähte Oberwachtmeister Stange sorgfältig nach beiden Seiten aus.

»Ich hoffe, Ihre Sorge ist überflüssig«, sagte Holthoff.

Der Wachtmeister schüttelte den Kopf. »Ich will zufrieden sein, Herr Doktor, wenn wir oben sind. Hier könnten die Kerls in dem dichten Unterholz dicht an den Weg 'rankommen, ohne daß wir etwas von merken. Ich hätte meinen Hund mitnehmen sollen.«

Holthoff mußte die Richtigkeit dieser Bemerkung anerkennen; er gab mehr Gas, um schneller vorwärtszukommen. Noch eine letzte starke Steigung, eine kurze Kurve, und der Wagen hielt vor dem Burgtor.

»Nanu!?« sagte der Wachtmeister erstaunt. »Das sieht hier ja heut ganz anders aus!«

Holthoff lachte. »Ach, das kennen Sie noch nicht? Eisenlohr hat den ›Eisernen‹ vorgeschoben. Da muß die Geschichte wirklich nicht ganz unbedenklich sein!« Er sprang aus dem Wagen und ging zu einem Baum. Auch hier ein geschickt in einer Höhlung des Stammes untergebrachtes Telephon. Dr. Holthoff sprach nur wenige Worte. Schon wichen die eisernen Flügel auseinander, der Wagen fuhr in den hell erleuchteten Burghof, dröhnend schloß sich das Tor wieder hinter ihm.

»Besser konnten sich die alten Ritter auch nicht verbarrikadieren«, meinte Stange, während er aus dem Wagen kletterte. »So leicht kommt hier gegen Ihren Willen wohl keiner 'rein?«

»Stimmt, Herr Wachtmeister. Für unerwünschten Besuch sind wir einfach nicht zu sprechen. Der kann sich unsertwegen draußen die Fäuste wund trommeln. Da bleiben wir taub und stumm.«

Kopfschüttelnd betrachtete der Wachtmeister das aus schweren Stahlblechen zusammengenietete Schiebetor.

»Ja, ist denn so etwas in unserer Zeit noch notwendig?« fragte er verwundert.

»Sehr notwendig, Herr Wachtmeister. Es gibt zuviel Neugierige, die uns in die Karte gucken möchten. Irgendwie ist etwas davon durchgesickert, daß Herr Doktor Eisenlohr an einer grundlegenden Sache arbeitet. Man möchte natürlich mehr wissen ... man versucht es auf jede erdenkliche Weise ...«

»Man ... man? Wer ist ›man‹?« fragte Stange.

»Leute aus aller Welt, Herr Wachtmeister – Leute aus Paris zum Beispiel oder aus USA, die für einen Blick in unser Laboratorium viel riskieren ... Aber da kommt Doktor Eisenlohr. Wir wollen hören, was er uns zu sagen hat.«

Mit kräftigem Händedruck begrüßte Eisenlohr Dr. Holthoff und Stange. »Gut, daß Sie so schnell gekommen sind, Herr Wachtmeister.«

»Es hat sich gut getroffen, Herr Doktor. Gerade, als ich aus dem Haus ging, kam Herr Doktor Holthoff mit seinem Wagen vorbei. Er hat mich mitgenommen.«

Eisenlohr nickte. »Aha! So war das. Nun, ich denke, zu viert werden wir's wohl schaffen; unsern alten Michelmann möchte ich nicht erst aus seinem Bett holen. Viel helfen könnte er uns ja kaum.«

Oberwachtmeister Stange sah Eisenlohr zweifelnd an. »Ich weiß nicht, Herr Doktor ... Jede Hand mehr kann uns nützlich sein, wir werden den ganzen Berg systematisch absuchen müssen.«

Eisenlohr lachte. »Sie irren sich, mein lieber Herr Stange. Die Burschen sitzen im Keller fest. Wir brauchen sie nur 'rauszuholen. Bitte, kommen Sie doch mit ins Haus!«

Eisenlohr führte die beiden ins Labor und gab Stange Kenntnis von dem, was sich inzwischen ereignet hatte.

»Na ja, denn wollen wir mal«, sagte Stange und faßte nach seiner Pistole.

* * *

Vorsichtig hatten sich Reinhard und Walke weitergetastet. Nur für kurze Sekunden ließ Reinhard hin und wieder die Lampe aufleuchten, und was er dabei erspähte, war wenig geeignet, ihn heiter zu stimmen. Vor das Fenster, durch das sie in den Keller gekommen waren, hatte sich ein schwerer eiserner Laden geschoben. Schon eine oberflächliche Prüfung zeigte, daß es so gut wie aussichtslos war, dem geglückten Einbruch hier einen Ausbruch folgen zu lassen. Das starke Stahlblech des Ladens lief in tiefen Nuten des Basaltgesteins und war unangreifbar.

»Wir sind in eine Falle geraten, Herr Reinhard«, erlaubte sich Walke zu äußern.

»Sie merken aber auch alles, Walke«, sagte Reinhard mit einem Anflug von Galgenhumor.

»Was sollen wir jetzt tun?« flüsterte Walke zurück.

»Die Treppe suchen! Und dann nach oben, Mann Gottes! Wäre ja gelacht, wenn wir aus dem Rattenloch nicht 'rauskämen!«

Von neuem ließ Reinhard die Lampe aufleuchten und begann in ihrem Schein nach der Treppe zu suchen.

»Das Licht wird uns vorzeitig verraten«, sagte Walke besorgt.

»Kommt jetzt nicht mehr darauf an, ob's früher oder später geschieht«, knurrte Reinhard ärgerlich zurück; er hatte sich den Kopf an dem Balancier einer Presse gestoßen. Einen Augenblick blieb er stehen und ließ den Strahl der Lampe über die Maschine gleiten. »Das haben wir vorhin noch gar nicht gesehen«, murmelte er vor sich hin. »Wirklich hübsche Sachen haben die Leute hier. Komplett eingerichtet sind sie, das muß man ihnen lassen.« Er leuchtete weiter und entdeckte nach kurzem Suchen eine schmale eiserne Wendeltreppe, die in einer Ecke des Kellers nach oben führte.

»Halten Sie Ihre Waffe bereit!« sagte er zu Walke und begann die Stufen emporzusteigen. In kurzem Abstand folgte ihm sein Begleiter.

»Verflucht und dreimal zugenäht!« knirschte Reinhard, als er auf der obersten Treppenstufe vor einer geschlossenen eisernen Tür stand.

»Was machen wir jetzt, Herr Reinhard?« fragte Walke.

»Krach! Skandal! Radau, Mensch! Die Kerls sollen schon munter werden. Halten Sie sich am Geländer fest, damit Sie bei einem Angriff nicht überrannt werden!«

Mit aller Kraft schlug Reinhard mit beiden Fäusten gegen die Tür. Dumpf wie ein Gong dröhnte das Stahlblech unter den Schlägen.

»Aufmachen!« brüllte er dazu aus vollem Halse.

Als ob die Tür dem Kommando gehorche, schwang sie lautlos zurück. Reinhard blickte in das hell erleuchtete Laboratorium. Fünf Schritte entfernt von ihm stand ein Mann in der Uniform eines Oberwachtmeisters, der eine Pistole auf ihn richtete. Hinter dem drei andere, ebenfalls bewaffnet. Zwei von ihnen hatte Reinhard vor etwa einer Stunde im Keller an der Stanze hantieren gesehen.

»Hände hoch!« kommandierte der Wachtmeister, wollte noch etwas anderes sagen und ließ im nächsten Augenblick die Waffe sinken, während er den Gefährten Reinhards verdutzt ansah. Es dauerte Sekunden, bis Stange wieder Worte fand.

»Walke!? Mensch, bist du's wirklich? Täuschen mich meine Augen nicht?«

Walke bot in diesem Moment ein Bild, das den Vergleich mit einem begossenen Pudel durchaus rechtfertigte, und seine Haltung wurde nicht besser, als Stange weitersprach: »Bist wohl ganz und gar verrückt geworden, Walke? Warst doch früher ein anständiger Kerl – und bemengst dich auf deine alten Tage mit Einbrechern? Junge, Junge! Wenn das man gut abgeht!«

»Sie kennen den Mann, Herr Wachtmeister?« fragte Eisenlohr, der die Entwicklung der Dinge bisher schweigend beobachtet hatte.

»Jawohl, Herr Doktor. Ist ein alter Kamerad und Kollege von mir. Haben zusammen gedient. Waren auch später bei der Polizei zusammen ... Du altes Tränentier!« wandte sich Stange wieder an Walke, »plagt euch der Deibel? Was habt ihr denn hier bei Nacht und Nebel in einem fremden Keller zu suchen?«

Nur widerwillig tat Walke den Mund auf. »Mußt den Chef nach fragen, Stange.« Mehr brachte er nicht heraus.

»Also den anderen«, mischte sich Eisenlohr ein. »Würden Sie die Güte haben, Herr ... Herr, Herr ...?«

Reinhard zog eine Besuchskarte aus der Tasche und überreichte sie schweigend Eisenlohr. Der warf einen kurzen Blick darauf, einen fragenden auf Reinhard, und sprach weiter: »Sie haben einen eigenartigen Weg gewählt, um zu mir zu kommen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn der Empfang dementsprechend ausgefallen ist. Ihr Auftreten meinem alten Diener gegenüber grenzt hart an einen räuberischen Überfall. Sie sind dafür gehörig in die Nesseln geflogen«, fuhr er fort, als Reinhard eine abwehrende Bewegung machte. »Das mag also meinetwegen gleich gegen gleich zueinander aufgehen. Aber jetzt haben wir Sie in flagranti bei einem Einbruch ertappt. Es würde mich interessieren, was Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen haben.«

»Es wäre mir lieb, Herr Doktor, wenn ich unter vier Augen mit Ihnen sprechen könnte«, sagte Reinhard. Es waren die ersten Worte, die er sprach, seitdem er hier im Laboratorium stand.

»Bitte sehr, Herr Hauptmann. Die Gelegenheit dazu will ich Ihnen geben.«

Eisenlohr deutete auf eine Tür und ließ Reinhard vorangehen. Auf einen Wink von ihm schloß sich Holthoff an. Leicht verstimmt blickte Dr. Bruck ihnen nach. Er hätte gern gewußt, was Eisenlohr dort in Gegenwart des jüngeren Assistenten mit diesem Gentlemaneinbrecher zu verhandeln hatte. Ähnliche Gedanken bewegten auch Walke und den Wachtmeister Stange.

»Merkwürdige Sache«, brummte Walke, »erst sah's nach schwerem Krach aus, und jetzt verhandeln die Herren hinter verschlossenen Türen. Da soll der Deibel draus klug werden!«

»Na, sei froh, wenn es im Guten ausgeht«, meinte Stange. »Es sollte mir leid tun, wenn ich dich altes Kamel doch noch mitnehmen und über Nacht ins Spritzenhaus sperren müßte. Mit Ruhm habt ihr euch alle beide bei der Sache nicht bedeckt.« –

Ruhig hörte sich Eisenlohr an, was ihm Reinhard mitzuteilen hatte. Nur bisweilen tauschte er einen Blick mit Holthoff und warf eine kurze Bemerkung dazwischen, die für Reinhard manches, was ihm bisher unbekannt geblieben war, blitzlichtartig erhellte.

»Ja, so ist das nun also zustande gekommen, Herr Doktor«, schloß Reinhard seinen Bericht und sah Eisenlohr erwartungsvoll an. Der verzog die Lippen.

»Nicht ungeschickt von den Leuten; das muß man ihnen lassen. Geht es nicht auf die eine Weise, versuchen sie es zur Abwechslung mal auf eine andere. Man sprengt das Gerücht aus, daß auf der Eulenburg falsches Geld gemacht würde. Man bringt die Sicherungsvorrichtungen, die ich aus ganz anderen Gründen anlegen mußte, raffiniert damit in Verbindung und täuscht schließlich sogar einen alten erfahrenen Kriminalisten wie Sie.«

»Leider, Herr Doktor. Ich kann es nicht leugnen, man hat mich 'reingelegt wie einen Anfänger. Jetzt, nachdem ich die Beweggründe dieser Leute kenne, mache ich mir selbst schwere Vorwürfe, daß ich ihre Verdächtigungen für bare Münze genommen habe ...«

Reinhard stockte, suchte nach Worten, um eine Entschuldigung vorzubringen.

»Trösten Sie sich, Herr Hauptmann«, unterbrach ihn Eisenlohr lächelnd. »Auf den Leim sind schon lange vor Ihnen andere Leute gekrochen, die ebenfalls das Prädikat ›erfahrene Kriminalisten‹ für sich beanspruchen durften. Ich könnte mir eigentlich sogar etwas darauf einbilden, daß es mir ebenso ergangen ist wie unserm alten Gottlieb Daimler. Sie kennen die Geschichte wohl nicht«, fuhr er fort, als er den fragenden Blick Reinhards bemerkte. »Als Daimler seinen ersten leichten Motor baute, arbeitete er ebenso wie ich in einer abgelegenen Werkstatt, um sein Geheimnis zu wahren. Und da hieß es eines Nachts auch plötzlich: ›Aufmachen! Polizei! Hände hoch!‹ Also eine ganz ähnliche Geschichte wie heute nacht bei mir. Man hatte Daimler auch der Falschmünzerei verdächtigt, das erste Pochen seines Motors für das Arbeiten einer Prägepresse gehalten, und die brave Polizei zog erst wieder ab, nachdem sie die Werkstatt von oben bis unten durchsucht hatte.«

»Ist das Tatsache, Herr Doktor?« fragte Reinhard.

»Sie können's in seinen Lebenserinnerungen heute noch nachlesen, wenn Sie's mir nicht glauben wollen«, lachte Eisenlohr. »Aber jetzt wollen wir unter dieser Sache einen Strich machen. Ich glaube, ich kann Ihnen einiges andere mitteilen, dem nachzugehen wohl der Mühe wert wäre ...«

Und nun begann Eisenlohr zu sprechen. Erst leichthin und fast im Plauderton, bald aber ernster und jeden Satz sorgsam wägend, und Reinhard begnügte sich auch sehr bald nicht damit, einfach zuzuhören, sondern bedeckte in seinem Notizbuch eine Seite nach der anderen mit Aufzeichnungen.

»Ich glaube, Herr Holthoff, das wäre wohl alles, was Herr Reinhard in unseren Angelegenheiten wissen müßte«, beendete Eisenlohr seine Mitteilungen. »Wenn Sie danach für uns arbeiten wollten ... selbstverständlich zu den Bedingungen Ihres Unternehmens ... wäre ich Ihnen sehr verbunden.« –

Während die Verhandlung zwischen Eisenlohr und Reinhard hinter verschlossenen Türen weiterging, setzten sich draußen im Laboratorium die beiden Kameraden Stange und Walke auf ihre Weise auseinander.

»Ich kann dich immer noch nicht begreifen, Walke«, meinte Stange. »Dein früherer Chef hat den Staatsdienst an den Nagel gehängt und sich selbständig gemacht. Na, meinetwegen! Er wird wissen, warum er's getan hat ...«

»Weiß er auch sehr genau, Stange«, fiel ihm Walke dazwischen.

»Gut! Soll er! Aber warum bist du auch abgegangen? Warst doch längst festangestellt. Gibst das alles einfach auf, stürzt dich hier in zweifelhafte Abenteuer ... na!« Stange zuckte die Achseln. »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wirst sehen müssen, wie du zurechtkommst.«

»Brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, Stange. Gebe zu, daß wir uns heute mal verhauen haben; dafür hat es verschiedene Male glänzend geklappt.«

»Kannst sagen, was du willst, Walke: Staatsdienst bleibt Staatsdienst. Ich hätte es an deiner Stelle nicht getan ...«

»Mußt du mir schon überlassen ... übrigens, Herr Oberwachtmeister, wer sagt dir denn, daß wir für immer draußen bleiben? Vielleicht sind wir eines Tages schneller wieder drin, als du – –«

Er brach ab, weil die Tür sich öffnete. Eisenlohr und Holthoff kamen mit Reinhard zurück.

»Das wird alles bestens besorgt werden, Herr Doktor«, sagte Reinhard beim Abschied zu Eisenlohr. »Sehr nett von Ihnen, Herr Doktor, daß Sie uns noch ein Stückchen in Ihrem Wagen mitnehmen«, wandte er sich zu Holthoff.

»Bitte sehr, keine Ursache«, erwiderte Holthoff. »Es ist ja derselbe Weg. – Herr Stange«, fuhr er zum Oberwachtmeister gewendet fort, »ich bringe Sie wieder nach Hause. Wir fahren alle zusammen.«

Wenige Minuten später hörten Dr. Bruck und Eisenlohr den Wagenmotor im Hof anspringen.

Dr. Bruck wollte sich wieder an den Arbeitstisch setzen, Eisenlohr winkte ab.

»Genug für heute, Bruck. Morgen ist auch noch ein Tag, und zwar ein ziemlich anstrengender. Morgen müssen wir die neue Röhre einbauen, die uns Holthoff mitgebracht hat. Der Tag wird darüber hingehen.«

»Dann können wir erst übermorgen mit der neuen Versuchsreihe beginnen«, wandte Dr. Bruck ein.

»Vielleicht auch noch etwas später, mein lieber Bruck«, zügelte Eisenlohr die Ungeduld seines Assistenten. »In den nächsten Tagen hoffe ich Professor Braun hier zu haben. Wir korrespondieren bereits seit einiger Zeit miteinander. Es trifft sich günstig, daß er zufällig in der Nähe ist.«

»Professor Braun? Meinen Sie den bekannten Heidelberger Biologen, Herr Eisenlohr? Er ist stark besetzt. Ich fürchte, er wird wenig Zeit für uns übrig haben.«

»Im Gegenteil, Herr Bruck. Er ist gegebenenfalls bereit, sich uns für die ganze Dauer der Universitätsferien zur Verfügung zu stellen. Ich verspreche mir sehr viel von seiner Unterstützung. Sein Name hat in der wissenschaftlichen Welt einen guten Klang. Aber jetzt, mein Lieber ...«

Eisenlohr warf einen Blick auf die Uhr. »Schon halb zwei! Höchste Zeit, daß wir ins Bett kommen. Feierabend für heute!«

* * *

Vor dem Hotel »Zum Hohen Stein« hielt Dr. Holthoff seinen Wagen an und fragte am Empfangsschalter nach Professor Braun. Er erhielt die Auskunft, daß der Professor auf seinem Zimmer wäre, und ging weiter.

»Hallo, Doc!« klang es ihm aus einem Klubsessel entgegen, als er die Vorhalle durchschritt.

»Hallo, Mister Spranger!« erwiderte Holthoff den Gruß und schüttelte dem anderen kräftig die Hand. »Eisenlohr hat sich sehr gefreut, von Ihnen zu hören. Er hofft, daß Sie ein paar Tage für ihn übrig haben werden.«

»Selbstverständlich«, lachte William Spranger. »Glauben Sie etwa, Doktor, daß ich mir das entgehen lasse, auf einer alten Burg einzukehren, die schon stand, bevor Kolumbus nach Amerika kam! Wenigstens eine Nacht möchte ich da oben auf eurem alten Eulennest bleiben. Vielleicht habe ich Glück und bekomme ein paar Gespenster zu Gesicht.«

Auch Holthoff wurde von der guten Laune des Amerikaners angesteckt. »Wir wollen sehen, was sich machen läßt, Mister Spranger«, meinte er ebenfalls lächelnd und wandte sich einem zweiten Herrn zu, der neben Spranger saß und sich mit einem Whisky-Soda beschäftigte.

»Guten Tag, Monsieur Bigot! Wie gefällt es Ihnen bei uns in Deutschland?«

Holthoff sprach noch ein paar weitere Sätze, während sein Blick suchend durch die Halle ging.

»Ach, da sitzt ja noch ein alter Bekannter von mir«, unterbrach er sich plötzlich, »dem muß ich auch mal schnell guten Tag sagen.«

Er ging nach einer andern Ecke der Vorhalle, um dort einen einzelnen Gast zu begrüßen, und kam schnell in ein Gespräch mit ihm. –

»Sie wollen Doktor Eisenlohr auf seiner Burg besuchen?« fragte Bigot inzwischen den Amerikaner.

William Spranger nickte. »Aber ganz bestimmt, Monsieur Bigot. Eisenlohr ist ein alter Studienfreund von mir. Die Gelegenheit, ihn jetzt mal wiederzusehen, will ich mir nicht entgehen lassen.«

»Eisenlohr? ... Doktor Eisenlohr?« fuhr der Franzose fragend fort. »Ich hörte den Namen in Verbindung mit physikalischen Forschungen ... Strahlungsforschungen, wenn ich mich recht erinnere ... ein hervorragender Wissenschaftler ... nicht in staatlicher Stellung ... ein Privatgelehrter ... es müßte hochinteressant sein, den Mann und sein Laboratorium kennenzulernen. Glauben Sie, daß es möglich wäre, ihn aufzusuchen?«

Spranger machte eine unbestimmte Bewegung. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da fragen Sie besser Doktor Holthoff, der kann Ihnen eher Bescheid geben.«

Während Spranger es sagte, winkte er zu Holthoff hinüber, um ihn noch einmal an seinen Tisch zu bitten. Der Doktor erhob sich auch, aber offenbar hatte er den Wink als eine allgemeine Einladung aufgefaßt, denn er kam mit dem anderen, mit dem er zusammengesessen hatte, herüber.

»Darf ich die Herrschaften bekannt machen? Herr Hauptmann Reinhard«, führte er ihn ein.

»Oh, Sie sind Offizier im deutschen Heer?« fragte Spranger mit dem Interesse, das die Nordamerikaner von jeher für das deutsche Militär haben.

»Gewesen, Mister Spranger«, wehrte Reinhard ab. »Ich mußte wegen einer Dienstbeschädigung meinen Abschied nehmen.«

William Spranger wünschte genauer zu wissen, was eine Dienstbeschädigung wäre, und verwickelte Reinhard in ein längeres Frage-und-Antwort-Spiel über das Thema, während Holthoff und Bigot ein wenig beiseite ein Sondergespräch hatten. Obwohl es mit gedämpfter Stimme geführt wurde, gelang es Reinhard doch, wesentliche Teile davon zu hören.

»Es tut mir aufrichtig leid, Monsieur Bigot«, hörte er Holthoff sagen, »aber ich glaube nicht, daß Herr Doktor Eisenlohr seinen Standpunkt in dieser Angelegenheit geändert hat. Vorläufig müssen die Arbeiten, mit denen er sich beschäftigt, unbedingt geheim bleiben. Eine vorzeitige Bekanntgabe könnte unabsehbaren Schaden bringen. Gewiß, wenn Sie daraus bestehen, will ich Doktor Eisenlohr Ihren Wunsch nochmals mitteilen, aber ich glaube nicht ...«

Reinhard mußte seine Aufmerksamkeit wieder Mr. Spranger zuwenden, dessen Wissensdrang immer noch nicht erschöpft war. Im stillen belustigte er sich über die Naivität dieses amerikanischen Naturburschen, wie er ihn bei sich nannte. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken und beantwortete die Frage, die der eben gestellt hatte, ein wenig ausweichend.

»Du lieber Gott, Mister Spranger! Das ist sehr verschieden. Manche Kameraden finden nach der Verabschiedung eine passende Anstellung im Staatsdienst; andere kommen in der Industrie unter. Manche betätigen sich auch selbständig, beteiligen sich zum Beispiel, wenn sie über Kapital verfügen, an einem Unternehmen ...«

»Und was tun Sie, Herr Hauptmann?« platzte Spranger mit einer Frage dazwischen.

Hemdsärmelig wie alle Yankees, dachte Reinhard bei sich; laut fuhr er fort: »Ich hatte zunächst ein Gut übernommen. Habe es ein paar Jahre mit ganz gutem Erfolg bewirtschaftet, vor kurzem aber wieder verkauft ...«

William Spranger wurde lebhaft. »Oh, ich verstehe, Sie glauben, daß Sie mit Ihrem Geld woanders besser wirtschaften können. Die Farmer haben nur eine schlechte Verzinsung von ihrem Kapital. Das ist bei uns in den Staaten ebenso. In der Industrie würden Sie höhere Prozente bekommen.«

Reinhard nickte zustimmend. »Sie haben das Richtige getroffen, Mister Spranger. Eine gute Industriebeteiligung – das ist das, was ich jetzt suche. An Angeboten fehlt's mir nicht, aber man muß vorsichtig sein. Natürlich will ich mich nur an einer guten Sache beteiligen ...«

»Gute Sachen sind selten«, warf Holthoff dazwischen.

»Sehr selten«, bestätigte Spranger. »Erst glaubt man, man ist beteiligt, und hinterher ist man benachteiligt.«

»Doch nicht immer, meine Herren«, mischte sich Mr. Bigot in die allgemeine Unterhaltung. »Man muß nur den richtigen Flair haben; dann kann man sein Kapital in kurzer Zeit verdoppeln und verdreifachen ... ich kenne auch Fälle, in denen es im Laufe eines Jahres verzehnfacht wurde. Die richtige Witterung, meine Herren, das ist die Hauptsache, und dann ein rascher Entschluß. Das Glück ist eine wetterwendische Dame; wenn man den rechten Augenblick versäumt, wendet's seine Gunst einem anderen zu. Oh, ich könnte Ihnen Beispiele geben; ich habe mancherlei erlebt.«

Mr. Bigot begann aus seinen Erinnerungen zu erzählen, und Reinhard hörte ihm mit steigendem Interesse zu. Die goldenen Berge, die der Franzose hier vor seinen Augen aufbaute, schienen ihm recht verlockend zu sein. –

Für Dr. Holthoff wurde es Zeit, seinen Besuch bei Professor Braun zu machen. Er stand auf und verabschiedete sich.

Auf halbem Weg zum Fahrstuhl kam ihm Spranger nach und hielt ihn noch einmal an.

»Was haben Sie noch auf dem Herzen, Mister Spranger?« fragte der Doktor.

»Sie sollten Ihren Freund nicht mit dem Franzosen allein lassen!« platzte Spranger los. »Der Mann ist kein geeigneter Umgang für einen deutschen Offizier.«

»Ja, aber Sie verkehren doch mit ihm!« warf Holthoff ein.

Der Amerikaner zuckte die Achseln. »Eine Reisebekanntschaft, auf der Überfahrt von New York nach Le Havre gemacht. Mein Partner Kelly fand Gefallen an Monsieur Bigot und seinen Projekten. Ich halte weniger davon, aber ... Sie wissen ja, wie das so geht, Herr Doktor, man lernt sich an Bord kennen und wird die Leute nachher nicht mehr los.«

»Mein Freund Reinhard wird ihn schon wieder loswerden, wenn er genug von ihm hat«, meinte Holthoff. Dem Amerikaner entging ein unmerkliches Lächeln, das bei diesen Worten um die Lippen des Doktors spielte.

»Man müßte den geschäftsunkundigen Hauptmann doch irgendwie warnen!« beharrte Spranger bei seiner Meinung.

»Sehr menschenfreundlich von Ihnen, Mister Spranger. Ich glaube aber, Sie unterschätzen die Lebenstüchtigkeit unserer Offiziere ein wenig.« Das Lächeln auf Holthoffs Zügen verstärkte sich. »Es ist mir zum mindesten zweifelhaft, wer von den beiden den andern am Ende einwickeln wird. Wenn's eine Wette gilt, würde ich auf den Hauptmann tippen.«

Kopfschüttelnd ging Spranger an den Tisch zurück, für seinen Teil entschlossen, den deutschen Offizier zu warnen. Holthoff trat in den Fahrstuhl und ließ sich in den zweiten Stock emporfahren. In einem geräumigen Zimmer traf er Professor Braun, der ihn bereits erwartete.

»Ich kenne Herrn Eisenlohr als einen ernsthaften Forscher«, eröffnete der Professor die Unterhaltung, »aber ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich recht skeptisch bin.«

»Je skeptischer, desto besser, Herr Professor«, erwiderte Holthoff. »Es ist uns nicht unbekannt, daß es auf dem von uns bearbeiteten Gebiet schon viele Enttäuschungen gegeben hat.«

»Sehr viele, Herr Doktor«, bestätigte Professor Braun Holthoffs Worte. »Wir wissen zwar heute, daß die Grenze zwischen anorganischen und organischen Individuen, zwischen Kristallen und Amöben eine unsichere ist, aber zu überschreiten hat sie bisher noch niemand vermocht.«

Holthoff stellte ein winziges Köfferchen auf den Tisch, öffnete es, entnahm ihm ein Reagenzglas, das mit einem Wattebausch verschlossen war.

»Würden Sie die Güte haben, sich das einmal näher zu betrachten?« sagte er, während er es dem Professor hinreichte.

Professor Braun nahm das Röhrchen in die Hand und drehte es hin und her. Sein Blick blieb auf einem kleinen Etikett haften, das auf die Glaswand aufgeklebt war. Er las eine Zahl ab.

»2318 steht hier notiert. Was hat das zu bedeuten, Herr Doktor Holthoff?«

»Es ist das Ergebnis unserer zweitausenddreihundertachtzehnten Versuchsanordnung, Herr Professor.«

Der Professor stutzte. »Versuchsanordnung, sagten Sie ... zweitausendste Anordnung? – Ja, wie viele Versuche haben Sie denn gemacht?«

»Mehr als zehntausend, Herr Professor Braun. Wir sitzen jetzt im vierten Jahr über dem Problem. Schritt für Schritt haben wir uns immer näher an eine Lösung herangearbeitet. Wieder und immer wieder haben wir die Frequenz und die Stärke der Strahlung ... die Dauer ihrer Einwirkung geändert. Was Sie in dem Glas dort sehen, ist die Frucht einer langen Arbeit.«

Der Professor griff nach einer Lupe und trat ans Fenster, um besseres Licht zu haben. Das kleine Reagenzglas, das Holthoff ihm mitgebracht hatte, war zur knappen Hälfte mit einer wasserklaren Gelatine gefüllt. Auf der Oberfläche der Gelatine befand sich eine etwa erbsengroße trübere Stelle. Lange Minuten hindurch starrte Professor Braun durch das stark vergrößernde Glas auf dieses Fleckchen; er drehte und wendete das Röhrchen dabei hin und her, um noch besser sehen zu können, während seine Lippen sich immer fester zusammenpreßten. Kopfschüttelnd ließ er das Reagenzglas endlich sinken.

»Sind Sie sicher, Herr Doktor, daß Ihr Ausgangsmaterial steril war und daß während Ihrer Versuche keine Keime von außen hineingelangen konnten?«

Holthoff wußte, was alles in dieser Frage lag. »Wir sind unserer Sache sicher«, antwortete er mit Entschiedenheit. »Die Gelatine wurde absolut sterilisiert und danach mit allen Mitteln, welche die Wissenschaft kennt, gegen die Einwanderung neuer Keime geschützt.«

Professor Braun kehrte zu einem Tisch im Zimmer zurück, auf dem verschiedenes physikalisches Gerät stand. Sein Fingerdruck brachte eine Lampe zum Aufleuchten, die einen scharfen polarisierten Lichtstrahl aussandte. Er brachte das Glasröhrchen in das Licht und beobachtete es ein zweitesmal gründlich durch eine andere, noch stärkere Lupe. Geduldig wartete Holthoff auf das Ergebnis der Untersuchung ... wartete auf ein Urteil aus berufenem Munde, das entscheiden sollte, ob jahrelange angestrengte Arbeit fruchtbar oder unfruchtbar gewesen war.

Endlich öffnete Professor Braun die Lippen zum Sprechen. »Ich glaube eine Amöboidbewegung zu sehen, Herr Doktor ...«

Obwohl Holthoff auch vorher nicht gezweifelt hatte, ließen die wenigen Worte sein Herz doch schneller schlagen.

»Können Sie den Versuch in Ihrem Laboratorium in meiner Gegenwart wiederholen?« fragte der Professor weiter.

»Jederzeit, Herr Professor Braun.«

»Gut, Herr Doktor. Herr Eisenlohr schrieb mir, daß ihm der morgige Tag recht sei. Es wäre mir lieber, wenn es in fünf Tagen sein könnte. Ich habe noch einige Vorbereitungen nötig.«

»Wie Sie wünschen, Herr Professor. Jede Zeit wird uns recht sein.«

»Dann werde ich heute über fünf Tagen bei Ihnen sein. Würden Sie mir das hier« – der Professor wies auf das Reagenzglas – »zu einer Untersuchung dalassen?«

Holthoff nickte.

»Ich müßte das Glas freilich öffnen«, fuhr Braun fort, »und den Stoff angreifen, um ihn unter das Mikroskop nehmen zu können. Wären Sie damit einverstanden?«

»Durchaus, Herr Professor. Wir sind in der Lage, uns jederzeit den Versuch zu wiederholen ...«

Professor Braun warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Sie wollen sagen, Herr Doktor, daß Sie in der Lage sind, jederzeit den Versuch zu wiederholen ...«

Holthoff machte eine verneinende Bewegung. »Es ist kein Versuch mehr, Herr Professor. Es ist eine Reaktion, die wir sicher beherrschen.« Entdeckerstolz klang aus seinen Worten, während er weitersprach: »Behandeln wir Gelatine nach den Vorschriften unserer Protokollbücher, so wird sie amöboid ... ebenso sicher, Herr Professor, wie Wasserstoff frei wird, wenn man Zink in Schwefelsäure steckt.«

»Man könnte Sie um Ihre Zuversichtlichkeit beneiden, Herr Doktor.« In Gedanken versunken sprach Professor Braun die Worte mehr zu sich selbst als zu Holthoff, während sein Blick immer noch wie fasziniert an dem Reagenzglas hing. Seine Gedanken wanderten rückwärts. Daten, Jahreszahlen, die Gedenktage großer Entdeckungen kamen ihm in den Sinn, die wie Marksteine am Wege der Menschheit emporragen. Erst nach Minuten riß er sich aus seinem Grübeln.

»Es bleibt bei unserer Verabredung, Herr Doktor Holthoff. Ich komme zu Ihnen auf die Eulenburg!«

Er reichte seinem Besucher die Hand zum Abschied.

»Vielleicht, Herr Professor«, sagte Holthoff, »werden wir Ihnen dann schon mehr und noch Größeres zeigen können.«

»Mehr und noch Größeres?« flüsterte Professor Braun vor sich hin, nachdem sich die Tür hinter Holthoff geschlossen hatte. »Für ein Menschenleben ist es genug, wenn sich nur das bewahrheitet, was ich jetzt sah.«

* * *

In der Gegend von Hersfeld ging der Frankfurter Schnelltriebwagen mit voller Geschwindigkeit durch eine Kurve. Fest und sicher lagen die Räder des Fahrzeuges auf den Schienen des überhöhten Geleises. Die beiden Reisenden, die ein Abteil für sich hatten, spürten kaum etwas von der Bewegung; nur aus einer Tasse, die auf dem Tischchen am Wagenfenster stand, spritzte unter dem Einfluß der Fliehkraft ein wenig Fleischbrühe heraus.

»Verzeihung, mein Herr!« sagte der eine der beiden, zog ein Tuch und begann die wenigen Spritzer vom Rock des andern abzutupfen. Der ließ die Zeitung sinken, in der er bis dahin gelesen hatte. Erst jetzt bemerkte er überhaupt, was geschehen war.

»Ist nicht der Rede wert«, meinte er abwehrend und wollte sich wieder seiner Zeitung zuwenden, doch der andere schien Lust zu einem Gespräch zu haben.

»Dreihundert Stundenkilometer und Bouillon in der Tasse, das verträgt sich doch nicht so recht miteinander«, fuhr er fort, »man dürfte sich in diesen Schnellwagen eigentlich nur feste Sachen bestellen ...«

Während er weitersprach, nahm der andere Gelegenheit, ihn näher zu mustern ... Sicher ein Ausländer. Wahrscheinlich aus dem Süden. Franzose oder Italiener ... könnte allenfalls auch vom Balkan sein, ging es ihm durch den Sinn, während sein Blick über das fast blauschwarze Haar und das gelbliche, scharfgeschnittene Gesicht seines Gegenübers glitt.

»Der Mensch braucht aber auch auf solcher Schnellfahrt etwas H2O oder ähnliche Flüssigkeiten«, fuhr der andere fort. »Da müßte die Bahnverwaltung noch etwas erfinden, damit man sich das ohne Zwischenfälle leisten kann.«

Bei den Worten H2O sah der Angeredete auf.

»Ich nehme an, Sie sind Chemiker oder Physiker«, meinte er ein wenig belustigt.

»Beides, mein Herr.« Der Schwarzhaarige verneigte sich leicht. »Gestatten Sie: Doktor Bigot, Paris.«

Die Höflichkeit erforderte es, daß darauf auch der andere seinen Namen bekanntgab.

»Doktor Bruck«, sagte er reichlich undeutlich und machte noch einmal einen Versuch, sich hinter seine Zeitung zurückzuziehen. Doch auch diesmal wurde nichts daraus, denn Monsieur Bigot tat, als bemerke er es nicht, und plauderte weiter.

Von den Rekordleistungen der chemischen Industrie in Deutschland sprach er und ließ durchblicken, daß er die bedeutendsten Werke besichtigt hätte und bei seinen Besuchen mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen worden sei.

Sie werden dir auch nur gezeigt haben, was du sehen durftest, mein Lieber, dachte Dr. Bruck bei sich, während er hin und wieder eine zustimmende Bemerkung in das Gespräch warf, um nicht unhöflich zu erscheinen. Ohne es zu wollen, mußte er dabei an den Auftrag denken, um dessentwillen er nach Frankfurt fuhr. In seiner Aktentasche lagen die Zeichnungen zu neuen Hochspannungsröhren, die er dort bei einer Spezialfirma in Auftrag geben sollte. Es würde sicherlich nicht nur Geld, sondern auch einige Überredungskunst kosten, sie so schnell zu bekommen, wie Eisenlohr sie haben wollte. In seine Gedanken klangen wieder Worte Bigots, die ihn aufmerken ließen. Auf Probleme der Kernphysik kam er jetzt und gab dabei der Meinung Ausdruck, daß die deutsche Forschung auf diesem Gebiet doch ein wenig ins Hintertreffen geraten sei. Dr. Bruck versuchte zu widersprechen, aber der andere ließ doch seine Einwände nicht gelten ... Er zählte die neuesten Erfolge amerikanischer und englischer Forscher aus und erwähnte schließlich scheinbar wie nebensächlich auch seine eigenen Leistungen auf dem Gebiet der Atomumwandlung.

Bis dahin hatte Dr. Bruck das Gespräch Bigots über sich ergehen lassen, weil er es nicht vermeiden konnte; jetzt aber begann es ihn zu interessieren. Häufiger als bisher warf er Fragen dazwischen, und mehr als einmal verriet sein Mienenspiel Erstaunen über die Antworten, die er auf seine Fragen erhielt.

Was war das für ein Mensch, der ihm gegenübersaß und über die letzten und schwierigsten Fragen der Forschung mit – Bruck mußte sich selber eingestehen, daß es so war – mit einer weltmännischen Gewandtheit plauderte? War das ein ernster Forscher oder ein Phantast, der haltlosen Theorien nachjagte? Glaubte der wirklich an das, was er da mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vortrug, oder sagte er es nur, um andere zu bluffen? Fast gegen seinen Willen folgte Dr. Bruck des anderen Gedankengängen ein Stückchen, um ihn desto besser widerlegen zu können, aber so leicht war der nicht zu schlagen.

»Sie behaupten, daß es so nicht möglich wäre«, sagte er schließlich auf eine ziemlich scharfe Entgegnung von Bruck, »dann will ich Ihnen den praktischen Beweis liefern, daß es doch geht.« Mr. Bigot stand auf, hob seinen Koffer aus dem Gepäcknetz und entnahm ihm eine Metallprobe. Ein Stückchen Bleiblech schien es dem Gewicht und der stumpfgrauen Farbe nach zu sein. Nur an der einen Seite zeigte es eine Veränderung. Dort ging das Grau allmählich in ein schmutziges Braungelb über, und an der äußersten Kante schimmerte es goldig.

»Sehen Sie sich das einmal an, Herr Doktor«, sagte Bigot, während er ihm das Stück reichte. Bruck wog es prüfend in der Hand und betrachtete es nachdenklich.

»Hm! Ja! So läßt sich natürlich nichts Genaues sagen«, meinte er schließlich zweifelnd, »was soll es denn sein?«

»Sehen Sie es nicht an der Farbe, Herr Doktor Bruck? Es ist Gold. An dem Rand dort, wo die Einwirkung besonders stark war, sind die Bleiatome in Goldatome verwandelt worden. Genau so, wie die Theorie es verlangt, die Sie bestreiten.«

Dr. Bruck setzte sich zur Wehr. »Verzeihung, Monsieur Bigot! Ich bestreite durchaus nicht, daß das Bleiatom ein Goldatom wird, wenn man zehn Protonen aus seinem Kern fortnimmt. Ich bestreite nur, daß es auf dem von Ihnen angegebenen Wege möglich ist.«

»Es ist aber möglich gewesen!« versteifte sich Bigot auf seine frühere Behauptung. »Sie haben den praktischen Beweis vor Augen. Sehen Sie, Herr Doktor, so etwas kann man in Deutschland noch nicht. Hier hat die französische Forschung einen Vorsprung, der so leicht nicht einzuholen sein wird. Ich will mit Ihnen wetten«, fuhr er fort, als Dr. Bruck eine Weile nachdenklich schwieg, »daß sich etwas Ähnliches in ganz Deutschland nicht finden läßt.«

»Wetten Sie lieber nicht, Monsieur Bigot!« Während Bruck es sagte, warf er einen kurzen Blick auf das Gesicht des anderen. Maskenhaft erschien es ihm in diesem Moment, wirbelnd liefen seine Gedanken durcheinander. Ein inneres Gefühl wollte ihn warnen, sich mit diesem undefinierbaren Ausländer näher einzulassen. Was bewies denn schließlich jene Metallprobe, die er ihm als Beweismittel für seine wissenschaftlich nicht vertretbaren Behauptungen zeigte? Mit ein wenig Galvanoplastik konnte man am Ende jedes Bleiblech so herrichten und leichtgläubigen Gemütern damit imponieren.

»Ich bin meiner Sache absolut sicher, Herr Doktor«, sprach Bigot weiter. »Warum sollte ich nicht wetten? Ich würde die Wette sicher gewinnen ...«

»Oder verlieren, Monsieur Bigot.«

»Ausgeschlossen, mein Herr! Bitte, schlagen Sie eine Summe vor, um die es gehen soll, und ... ja, man müßte eine Frist ausmachen, innerhalb der Sie den Beweis für Ihre Behauptungen liefern ... einen Monat ... das wäre zu wenig ... sagen wir drei Monate. Ich würde Ihnen ein Vierteljahr ...«

»Ich will nicht wetten!« fiel ihm Bruck schroff ins Wort.

Die Mienen Bigots veränderten sich. Triumph, Schadenfreude und daneben auch etwas wie Enttäuschung glaubte Bruck in ihnen lesen zu können. Nur undeutlich verstand er, was der Franzose halblaut vor sich hin sprach. »Sie geben es als unmöglich auf«, glaubte er aus den Worten herauszuhören. Die abfällige Bemerkung trieb ihm das Blut ins Gesicht und riß ihn zu einer Handlung hin, die er in ruhiger Stimmung wohl unterlassen hätte.

»Ich wette nicht, weil es nicht fair wäre«, fuhr er auf. »Aber den Beweis für meine Behauptung will ich Ihnen geben, sofort, Mister Bigot, nicht erst in drei Monaten.« Noch während er es sagte, griff er nach seiner Aktentasche und brachte eine größere Anzahl von Metallplättchen zum Vorschein, runde Bleiblechscheiben von der Größe eines Fünfmarkstückes ungefähr. In der Mitte zeigte jede der Scheiben eine Veränderung. Genau kreisrund glänzte und gleißte es dort in dem dunkelgrauen Blei wie lauteres Gold. Haarscharf war die Grenze zwischen beiden Metallen. Ohne Übergang fügte sich das eine an das andere. Man hätte wohl glauben können, daß das Mittelstück von einem geschickten Goldschmied in die Bleiplatte eingesetzt worden sei.

Ohne ein Wort zu sprechen drückte Dr. Bruck dem Franzosen die Platten in die Hand. Ebenso wortlos starrte der sie an, bewegte sie, schob sie hin und her, wog sie auf den Fingern, ließ sie wieder sinken. Nur das einförmige Geräusch des Schnellwagens war zu vernehmen, bis Dr. Bruck das Schweigen brach.

»Nun, Monsieur Bigot, was sagen Sie dazu?«

Bigot schüttelte den Kopf. »Wer hätte das für möglich gehalten? Ich gebe mich geschlagen, Herr Doktor! Sie sind viel weiter als wir. Das hier« – er ließ die Metallscheiben durch seine Finger gleiten – »unzählige Millionen ist das wert, Herr Doktor. Wenn Sie verstehen, es richtig zu verwerten.« Dr. Bruck horchte auf, als das Wort »Millionen« fiel. »Glauben Sie wirklich, Herr Kollege?« fragte er zögernd. »Bei uns denkt man anders darüber. Man meint, daß ein Bekanntwerden der Erfindung nur Unruhe und Verwirrung stiften müßte.«

»Wer spricht von Bekanntwerden?« griff Bigot den Einwand Brucks auf. »Selbstverständlich muß die Sache absolut geheim bleiben. Dann aber eröffnen sich für den Erfinder ungeheure Verdienstmöglichkeiten.«

Brucks Miene zeigte Zweifel. Wohl wollten ihm die Worte Bigots einleuchten, aber allzusehr widersprachen sie doch dem, was Eisenlohr darüber geäußert hatte. Dem Franzosen entging das Schwanken Brucks nicht. Er entschloß sich, zu stärkeren Mitteln zu greifen, um den Zögernden auf seine Seite zu bringen.

»Ich habe weniger als Sie erreicht, Herr Doktor«, fuhr er fort, »trotzdem liegt bereits ein ernsthaftes Angebot einer amerikanischen Kapitalistengruppe vor. Die Herren sind schon jetzt bereit, für eine Option auf meine Erfindungen eine bare Million Dollar auf den Tisch zu legen.«

Deutlich spiegelte sich die Wirkung seiner Worte in den Zügen des Deutschen wider.

»Das ist natürlich nur ein Anfang«, sprach Bigot weiter. »Hätte ich schon das, was Sie hier haben, so würde ich unbedenklich ein Mehrfaches für die Option verlangen – und auch bekommen, Herr Doktor.«

Dr. Bruck suchte nach Worten, um der Gedankenflut, die ihm durch den Kopf ging, Ausdruck zu geben, und vermochte sie nicht zu finden. Verschiedene Male setzte er an und stockte doch immer wieder.

»Der Chef will es doch nicht«, brachte er schließlich resigniert heraus. Er glaubte damit den Angriff abgeschlagen zu haben, doch der Versucher ließ nicht locker.

»Brauchen Sie Ihren Chef dazu? Können Sie es nicht selber machen, Herr Doktor?« fragte Bigot.

»Gewiß kann ich's selber machen, aber ...«

»Hat Herr Eisenlohr Patente darauf genommen?« unterbrach ihn Bigot.

Dr. Bruck schüttelte den Kopf.

»Dann, mein Lieber, sind Sie vollkommen frei. Was hindert Sie, das große Geschäft mit mir zusammen zu machen? Sie haben das verbesserte Verfahren, ich habe die Kapitalisten an der Hand. Ich schlage halbpart vor, Herr Doktor.« Bigot sprach nicht weiter, er beobachtete nur das Gesicht des andern. Diesen Mann glaubte er gewonnen zu haben.

Von widerstreitenden Gedanken ganz in Anspruch genommen, schob Dr. Bruck seine Metallplättchen achtlos in die Aktentasche zurück. Unschlüssig blickte er auf, als Bigot ihm seine Besuchskarte hinhielt.

»Hier meine Pariser Adresse, Herr Doktor. Schreiben Sie mir recht bald, wie Sie über meinen Vorschlag denken. Ich werde Ihnen ebenfalls schreiben –«

Dr. Bruck raffte sich auf: »Bitte keine Korrespondenz nach der Eulenburg! Das möchte ich nicht ...«

»Ich begreife vollkommen, Herr Doktor. Jede Indiskretion könnte unseren Plänen verhängnisvoll werden. Ich werde meine Briefe postlagernd nach Ihlefeld schicken.«

Der Triebwagen verlangsamte sein Tempo.

»Oh, schon Gelnhausen! Hier muß ich aussteigen.« Bigot raffte seine Sachen zusammen. »Nur eine Minute Aufenthalt. Ich muß mich beeilen. Vergessen Sie nicht, in den nächsten Tagen auf dem Postamt in Ihlefeld nachzufragen. Auf Wiedersehen, Herr Doktor!« Er stieg aus, sowie der Zug stand. Nur einen kurzen Augenblick schaute ihm Dr. Bruck nach. Zerstreut und unruhig griff er nach seinen Röhrenzeichnungen, um sich für die Besprechung in Frankfurt vorzubereiten, während schon wieder das eintönige Spiel der rollenden Räder einsetzte.

Als er eine mehrfach zusammengekniffte Zeichnung auseinanderfaltete, fiel eins der Metallplättchen aus ihr heraus auf den Boden des Abteils. Er hob es wieder auf, um es in die Mappe zurückzutun. Dabei bemerkte er, daß er die Plättchen vorhin nicht wieder in ein dafür bestimmtes Seitenfach der Tasche gesteckt hatte. Vielmehr lagen sie wahllos zwischen den Zeichnungen und Plänen.

Dr. Bruck machte sich daran, das wieder in Ordnung zu bringen. Eine Zeichnung nach der andern nahm er heraus, faltete sie auf dem Platz, den vor kurzem noch Monsieur Bigot eingenommen hatte, auseinander und steckte jedes Metallstück, das ihm dabei in die Hände fiel, in das Seitenfach. Jetzt war der letzte Plan herausgenommen, die Tasche war leer.

Der Doktor stutzte. Sieben Plättchen hatte er bis jetzt gezählt. Waren es heute früh nicht neun gewesen? Noch einmal untersuchte er jede Zeichnung, jeden Winkel der Mappe, sah auf dem Wagenboden nach, fühlte unter die Sitzbänke, untersuchte die Polsterung – es blieb bei dem alten Ergebnis. Es waren sieben Plättchen und wurden nicht mehr. Er wurde unsicher. Sollte er sich am Ende doch geirrt haben? Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm nicht mehr. Denn schon wieder verlangsamte der Wagen seine Fahrt; die ersten Häuser von Frankfurt kamen in Sicht. Er mußte sich zum Aussteigen fertigmachen.


3. Kapitel.

»Sehr erfreut, Herr Professor, daß Sie mir die Ehre Ihres Besuches geben!« begrüßte Eisenlohr Professor Braun auf der Schwelle des Laboratoriums.

»Bitte, bitte, Herr Doktor«, wehrte der Professor ab, »die Ehre ist auf meiner Seite! Ich bin neugierig, noch mehr bei Ihnen zu hören und selber zu sehen ...«

Er wandte sich zur Tür zurück. »Wo bleibt denn Ihr altes Faktotum?«

Noch während er es sagte, wurden von draußen her Schritte vernehmbar. Der alte Michelmann stampfte herein, einen mächtigen Koffer auf dem Rücken, den er vorsichtig zu Boden gleiten ließ.

»Was bringen Sie uns da, Michelmann?« fragte Eisenlohr.

»Gepäck von Herrn Professor. Es kommt noch mehr, Herr Doktor«, sagte der Alte, wischte sich die Stirn und zog wieder ab.

Eisenlohr blickte abwechselnd den Professor und den Koffer an. Wie kam Professor Braun dazu, mit solch einem Monstrum auf die Reise zu gehen? Während Eisenlohr noch darüber nachdachte, ging die Tür wieder auf. Der wackere Michelmann erschien mit einem zweiten Exemplar von ähnlichen Abmessungen, das er neben das erste absetzte. Hinter ihm kam Dr. Holthoff, der noch einen dritten kleineren Koffer brachte. »So, Michelmann.«

»Das wäre wohl alles«, sagte der und verließ den Raum, Dr. Holthoff sprach zu Eisenlohr weiter: »Ich schlug Herrn Professor Braun vor, erst mit uns zu frühstücken. Er legt aber Wert darauf, sofort mit den Arbeiten zu beginnen.«

»So ist es«, bestätigte der Professor Holthoffs Worte. »Erst die Arbeit, meine Herren, später das Vergnügen.«

Er zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete den ersten großen Koffer. In den Schrank eines chemischen Laboratoriums glaubte Eisenlohr zu blicken, als der türartige Deckel aufging. Dutzende von verschieden geformten Gläsern mannigfachster Art sah er, zahllose Flaschen mit Chemikalien daneben, alles sicher in hölzernen Einsätzen befestigt, daß auch ein ungeschickter Gepäckträger dem Ganzen kaum einen Schaden zufügen konnte. Schon öffnete der Professor den zweiten Koffer, der einen ähnlichen Inhalt aufwies, und überzeugte sich, daß auch hier alles richtig und unbeschädigt an Ort und Stelle war. Erst dann nahm er auf dem Sessel, den Eisenlohr ihm hingeschoben hatte, Platz.

»Ich möchte resümieren, was Herr Holthoff mir bei unserm letzten Zusammensein mitteilte«, eröffnete er die Besprechung. »Sie gehen bei Ihren Versuchen von der Arbeitshypothese aus, daß eine keimfreie Gelatine unter dem Einfluß einer bestimmten Strahlung amöboid wird, das heißt also, daß ihre Moleküle sich in einer Art gruppieren, die man als die erste, niedrigste Stufe organischen Lebens ansprechen muß.«

Eisenlohr und Holthoff nickten zustimmend; Professor Braun sprach weiter:

»Der Begriff Gelatine ist vieldeutig. Im Handel sind gegenwärtig ungefähr dreitausend verschiedene Sorten erhältlich. Ich habe zweihundert Proben ausgewählt und mitgebracht.«

Er deutete bei den letzten Worten auf den zweiten Koffer, der lange Reihen schimmernder Reagenzgläser enthielt. Holthoff neigte sich zu Eisenlohr und flüsterte ihm etwas zu.

»Der Mann scheint noch gründlicher zu sein als wir«, verstand Eisenlohr. »Wenn er alle die Proben hier durcharbeiten will, muß er sich auf Monate bei uns ins Quartier legen.«

Eisenlohr wiegte den Kopf leicht hin und her.

»Für spätere Arbeiten kann das zweifellos sehr wichtig und nützlich sein, Herr Professor, für die ersten Versuche möchte ich wieder die gleiche Gelatine nehmen, mit der wir bereits Erfolge hatten.«

Braun nickte. »Ich habe daran gedacht, Herr Eisenlohr. Die ersten zehn Gläser dort rechts enthalten eine Gelatine, die mit der Ihrigen identisch ist. Wir könnten damit beginnen, um dann später zu andern Sorten überzugehen.«

Holthoff wollte sich erheben, um den ersten Versuch vorzubereiten. Aber die Sache ging nicht annähernd so schnell, wie er es sich dachte. Professor Braun hatte seine Gelatineproben in zugeschmolzenen Gläsern mitgebracht und verlangte, daß sie auch während der Versuche geschlossen blieben, um die Keimfreiheit zu sichern.

So ging der halbe Vormittag über Vorversuchen hin. Mit hochempfindlichen Bolometern stellten Eisenlohr und Holthoff erst einmal fest, wieviel von der Strahlung von den Glaswänden der Röhren verschluckt wurde, und öfter als einmal hatte der Professor dabei Gelegenheit, die systematische und exakte Arbeitsweise der beiden zu bewundern.

Dann war es endlich soweit. Die erste Gelatineprobe konnte vor die Strahlröhre geschoben werden.

»Wir müssen die Strahlung fünfzehn Minuten wirken lassen und dann sehen, was geworden ist«, sagte Eisenlohr. »Etwas anderes läßt sich vorläufig nicht tun.«

Um sich die Zeit zu vertreiben, blätterte Professor Braun in den Protokollbüchern und staunte vor der Unsumme von Arbeit, die in den tausenden hier sorgfältig niedergelegten Versuchen steckte.

Er wollte etwas Anerkennendes darüber sagen und suchte nach passenden Worten, als ein Geräusch von draußen ihn aufmerken ließ.

Dr. Bruck war von seiner Reise zurückgekehrt und kam die Treppe herauf. Mit kurzem Händedruck begrüßte er Eisenlohr und Holthoff und ließ sich von ihnen mit Professor Braun bekannt machen.

»Ich sehe, Sie sind bei einem Versuch, ich will nicht stören«, sagte er mit einem Blick auf die Apparatur und ging nach einem andern Teil des Laboratoriumsaales. Holthoff konnte von seinem Platz aus beobachten, wie er dort in Schränken und Kästen zu kramen begann.

»Scheint mir heut ein bißchen zerstreut zu sein, der Kollege Bruck«, meinte er halblaut zu Eisenlohr. »Hat kein Wort darüber gesagt, was er in Frankfurt ausgerichtet hat.«

»Er wollte uns jetzt nicht stören«, winkte Eisenlohr ab, der in kurzen Abständen den Zeiger der Wanduhr verfolgte.

Inzwischen stand Dr. Bruck vor einer Reihe von Schubläden, deren Inhalt er zum vierten- und fünftenmal vergeblich umkehrte.

Dutzende von Metallplättchen ließ er durch seine Hände gleiten. Viele davon waren noch unverändert, so wie er sie aus dem Bleiblech herausgestanzt hatte. An anderen hatte die ultrafrequente Strahlung genagt und gefressen, hatte das massive Blei stellenweise in einen Mürbeteig verwandelt. Andere wieder ließen deutlich den Fortschritt der Arbeiten erkennen. Da gab es welche, die bereits bronzeartige Tönungen in den verschiedensten Varianten aufwiesen, nicht unähnlich jener Probe, die Bruck auf seiner Reise nach Frankfurt bei Monsieur Bigot gesehen hatte. Einige zeigten die goldige Tönung schon schärfer in der Mitte konzentriert, aber Proben mit dem scharfen gelben Kreis waren nicht darunter, und doch hätte Bruck darauf schwören mögen, daß einmal neun Stück davon vorhanden waren, während er jetzt nur noch sieben in seiner Mappe hatte. –

»Die fünfzehn Minuten sind um«, sagte Eisenlohr. Holthoff lief zu der Schaltwand und setzte die Strahlröhre still. Eisenlohr nahm das Reagenzglas aus der Apparatur heraus. Sorgfältig betrachtete er es durch eine Lupe, während Professor Braun ihm gespannt zusah. Schließlich konnte der nicht länger an sich halten.

»Lassen Sie mich auch sehen!« Er wollte ihm das Glas aus der Hand nehmen.

»Einen Augenblick, Herr Professor«, wehrte Eisenlohr ab. »Wir können das besser und bequemer haben. Wir wollen das Glas in den Projektionsapparat stecken.«

Von Braun und Holthoff begleitet, ging er zu der einen Schmalwand des Saales. Ein Druck auf einen Schalter, und eine Starklichtlampe hinter der Optik des Projektors flammte auf. Ein anderer Schalterdruck, und lichtdichte Vorhänge an sämtlichen Fenstern gingen herab; nur eine weiße Leinwand leuchtete noch in dem verdunkelten Raum.

Eisenlohr drehte und regelte an den Linsen; scharf und immer schärfer stellte sich ein mehrhundertfach vergrößertes Bild des Reagenzglases mit seinem Inhalt auf der weißen Fläche dar. Haarscharf stand es jetzt auf der Leinwand, und dort, wo der Strahl vorher die Gelatine getroffen hatte, zeigte sich Bewegung. Da zuckte und ruckte es. Da krochen Gelatineklümpchen hin und her, reckten hier und dort Vorsprünge aus, als ob es Gliedmaßen wären, zogen sie wieder ein, um sie an einer andern Stelle neu herauszustrecken.

Atemlos starrte Professor Braun auf das Bild. »Es sind wirklich lebende Amöben!« flüsterte er vor sich hin. »Sehen Sie, Doktor Eisenlohr! – Haben Sie es gesehen? Die eine dort rechts hat eben gefressen!«

In der Tat hatte sich eines dieser beweglichen Gelatineklümpchen eben jetzt neben ein Stückchen toter Gelatine gelegt, hatte sich an ihm ausgebreitet und es immer mehr umflossen, so daß dies Stückchen nun nicht mehr draußen war, sondern sich plötzlich im Innern der Amöbe befand. Ein Fremdkörper schien es die ersten Sekunden noch zu sein, doch immer mehr verschwamm es dann.

»Sie verdaut ihren Fraß! – Sie wächst – sie lebt!« Wie im Fieber stieß Professor Braun die Worte hervor. Mit einem fast schmerzhaften Griff packte er den Arm Eisenlohrs: »Sehen Sie da oben rechts! Zwei Amöben fließen zu einem Individuum zusammen –«

Mit zusammengekniffenen Lidern verfolgte er die Vorgänge auf der Leinwand, sah, wie sich dort zwei bewegliche Protoplasmastückchen zu einem größeren verbanden, wie sich dann eine Einschnürung bildete und aus dem vereinigten Körper wieder zwei neue wurden.

»Die Urzeugung ist Ihnen gelungen, Doktor«, hörte Eisenlohr Brauns Stimme dicht an seinem Ohr. »Ich lege meine Hand dafür ins Feuer: Mit Ihrer Strahlung haben Sie sterile Gelatine zum Leben erweckt ...«

Langsam machte Eisenlohr seinen Arm frei. »Es ist nur ein Anfang, Herr Professor Braun«, sagte er bescheiden.

»Ein Anfang, der sich sehen lassen kann, Doktor!« rief Braun, hingerissen von dem eben Geschauten. »Das hier genügt, um die ganze Theorie von Weltraumkeimen, die Lehre von der Panspermie und alle ähnlichen Erklärungsversuche der Entstehung des Lebens, zu denen die Wissenschaft in ihrer Verlegenheit greifen mußte, überflüssig zu machen.«

Er hielt inne, weil Michelmann hereinkam. Der Alte flüsterte Eisenlohr etwas zu und reichte ihm eine Besuchskarte. Der las sie im Lichtstrahl des Projektors und ging dann mit Michelmann zusammen zur Tür. Ungeduldig fragte der Professor Dr. Holthoff nach dem Grund der Störung. Der horchte ein paar Sekunden auf die Stimmen, die vom Eingang her vernehmbar wurden, und antwortete dann: »Wir bekommen amerikanischen Besuch, Herr Professor, Mister Spranger aus New York, ein Studienfreund Eisenlohrs.«

»Kommt jetzt nicht sehr gelegen! Ist der Herr auch Physiker?« fragte Braun.

»Nichts weniger als das«, lachte Holthoff. »Mister Spranger hat sich – sagen wir mal: studienhalber – ein paar Semester in Heidelberg aufgehalten und sich die Kollegs nach seinem eigenen Geschmack ausgesucht. Etwas Jura, ein wenig Philosophie, auch einiges über anglosächsische Literatur hat er gehört.«

»Also kein abgeschlossenes Studium«, warf Professor Braun mißbilligend dazwischen.

»Hatte er nicht nötig, Herr Professor, da er bei der Auswahl seiner Eltern die nötige Vorsicht walten ließ. Nach seinen Heidelberger Semestern hat er sich in den Strudel des amerikanischen Geschäftslebens gestürzt und schwimmt munter obenauf ... Als Juniorpartner der New-Yorker Firma Kelly and Company gehört er drüben zu den Prominenten ...«, konnte Holthoff eben noch sagen, dann waren Eisenlohr und Spranger bei ihnen. Eine kurze Vorstellung. Neugierig sah sich der Amerikaner in dem verdunkelten Raum um.

»Gebt ihr hier eine Kinovorstellung?« fragte er mit einem Blick auf die Leinwand. »Da krabbelt ja allerhand durcheinander.«

»So etwas Ähnliches ist es in der Tat«, erwiderte Eisenlohr. »Wir haben eben die Wirkungen einer Strahlung auf bestimmte organische Substanzen untersucht. Aber das hat Zeit, mein lieber William. – Ich denke, Sie werden auch nichts dagegen haben, Herr Professor Braun, wenn wir zunächst einmal vernünftig frühstücken.«

Noch während der letzten Worte bewegte Eisenlohr ein paar Schalter. Der Projektor erlosch, und das volle Tageslicht flutete wieder in den Saal. Erst jetzt konnte der Amerikaner dessen ganze Ausdehnung übersehen und die vielen Instrumente und Apparaturen darin erkennen.

»Alle Wetter, mein Junge!« meinte er anerkennend, »ihr seid ja hier eingerichtet wie ein Carnegie-Institut. So etwas hätte ich in einer alten Burg bei Gott nicht vermutet. Davon mußt du mir noch mehr erzählen, Eisenlohr. Das interessiert mich doch, was ihr hier so treibt.«

»Später, William, später. Ich hoffe, du wirst ein paar Tage bei uns zu Gast bleiben«, lenkte Eisenlohr ab. »Jetzt wollen wir uns erst mal stärken. Hallo! Doktor Bruck! Lunching time! Kommen Sie schon 'raus aus Ihrem Schrank!«

Er mußte die Aufforderung noch einmal wiederholen, bis Bruck sein vergebliches Suchen endlich aufgab und sich den andern anschloß. Über einen Flur und eine breite Treppe führte Eisenlohr seine Gäste in den Speiseraum.

» By Jove – ihr versteht hier zu leben!« staunte William von neuem, als er über die Schwelle trat. Eisenlohr hatte den ehemaligen Remter der Burg unter größter Schonung alles Alten in einen behaglichen Speiseraum umwandeln lassen. Die Kreuzgewölbe der Decke und die Spitzbogenfenster waren unverändert geblieben und zeigten beste Gotik des dreizehnten Jahrhunderts. Auch der Mosaikfußboden mochte aus der gleichen Zeit stammen, aber er war von sachkundiger Hand renoviert und neu geschliffen worden, so daß sein Bildwerk in voller Farbenpracht zur Wirkung kam, soweit ihn nicht echte Teppiche bedeckten. Moderne Arbeit und doch geschickt dem Stil einer lange vergangenen Zeit angepaßt war das Mobiliar des Raumes, und mit Wohlgefallen erblickte Spranger den weißgedeckten Mitteltisch, auf dem Porzellan, Kristall und Silber glänzten.

»Setzen wir uns, meine Herren«, lud Eisenlohr ein. »Du kommst hier neben mich, William. Wollen Sie, bitte, mir gegenüber Platz nehmen, Herr Professor? – So, nun wären wir ja glücklich alle zu Stuhl gekommen.« Er drückte auf einen Klingelknopf, und Michelmann begann aufzutragen.

»Was macht New York, William?« fragte Eisenlohr, nachdem das alte Faktotum wieder abgetreten war.

»Danke, es macht sich«, meinte Spranger trocken, während er sich von der vor ihm stehenden Platte bediente. »Du bist seit drei Jahren nicht drüben gewesen, würdest heut manches nicht wiedererkennen –«

Eisenlohr wollte Genaueres wissen und fragte nach diesem und jenem. Spranger gab Antwort, zuerst ausführlich, allmählich immer kürzer und zerstreuter. Das Gespräch, das Professor Braun und Dr. Holthoff führten, nahm seine Aufmerksamkeit immer mehr in Anspruch. Er hörte den Professor mit Holthoff über ein biologisches Thema sprechen, von dem er, Spranger, wenig Ahnung hatte, fing danach Ausdrücke wie »Amöben« und »amöboide Bewegungen« auf und vernahm dazwischen immer wieder anerkennende Worte des deutschen Professors über die großartige Entdeckung seines Freundes.

»Entschuldige, Eisenlohr«, sagte er plötzlich, »jetzt möchte ich dich mal etwas fragen: Sind das nicht ziemlich brotlose Künste, mit denen du dich augenblicklich befaßt?«

Eisenlohr konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er wollte etwas erwidern, aber Professor Braun, der Sprangers Frage auch gehört hatte, kam ihm zuvor.

Von den hohen Aufgaben der reinen Wissenschaft begann er zu sprechen, die ohne jede Rücksicht auf Gewinn oder Nichtgewinn durchgeführt werden müßten, redete weiter von der Ergründung der Wahrheit, die das alleinige Ziel aller Forschung wäre, und traf damit bei William Spranger offensichtlich auf ein vollkommenes Unverständnis.

»Nun ja«, meinte der Amerikaner, nachdem es ihm gelungen war, wieder zu Wort zu kommen. »Sie mögen das so machen; andere machen es jedenfalls ganz anders.«

»Andere? Wer sind die anderen?« fragte Holthoff.

»Zum Beispiel ein gewisser Monsieur Bigot, Herr Doktor. Sie haben ihn ja neulich auch kennengelernt.«

»So, der?« sagte Holthoff ziemlich wegwerfend.

Bruck horchte schärfer hin, als er den Namen hörte. Seine Fahrt nach Frankfurt kam ihm wieder in die Erinnerung.

»Ja, den meine ich«, fuhr Spranger fort. »Er steckt schon wieder in Paris. Sucht Kapitalisten für eine neue, ganz große Erfindung. Ich halt's ja für Humbug. Wenn's aber doch wahr wäre, dann wär's wirklich eine kolossale Sache.«

Professor Braun legte seine Gabel auf den Teller und sah den Amerikaner an.

»Sie sagten eben ›Humbug‹, Mister Spranger?«

»Ich sagte, daß ich's vorläufig noch dafür halte, Herr Professor«, berichtigte ihn Spranger.

»Ich empfehle Ihnen dringend, bei dieser Meinung zu bleiben«, fuhr Braun fort. »Sogenannte Erfinder, die mit einer kolossalen – grandiosen – bahnbrechenden und so weiter Sache aus dem internationalen Kapitalmarkt hausieren gehen, sind fast immer Schwindler. Gerissene Scharlatane, Mister Spranger, die ihre Zeit begriffen haben –«

»Wieso ihre Zeit?« fragte Eisenlohr über den Tisch.

»Diese Herrschaften haben erkannt, daß unsere physikalische Wissenschaft heute für die Bauernfängerei ein besonders ertragreicher Boden ist«, fuhr Professor Braun erbittert fort. »Da treten solche Leute mit Behauptungen auf, über die jeder ernsthafte Wissenschaftler die Achseln zuckt, machen Kapitalisten, die von allen diesen Dingen natürlich keine Ahnung haben, betrügerische Experimente vor und prellen sie um Hunderttausende, während die wirkliche Forschung um jeden Hundertmarkschein betteln muß – und oft vergeblich bittet ...«

»Die Versuche, die Monsieur Bigot den Geldleuten in Paris vorgeführt hat, sollen aber recht überzeugend ausgefallen sein«, bemerkte Spranger.

»Den Geldleuten! Da haben Sie's ja, Mister Spranger«, fiel ihm Professor Braun ins Wort. »Was verstehen denn schon Geldleute von physikalischen Versuchen? Denen wollte ich jeden Tag das Blaue vom Himmel vormachen, wenn's nur darauf ankäme.«

Spranger schüttelte den Kopf. »Für ganz so dumm müssen Sie uns Finanzleute nicht halten, Herr Professor. Wir haben auch unsere Experten und sehen uns eine Sache sehr gründlich an, bevor wir Geld dafür geben. Wer uns 'reinlegen will, der müßte schon recht früh aufstehen.«

»Oho, William!« Eisenlohr stieß Spranger in die Seite. »Du sprichst plötzlich per wir. Scheinst also doch Lust zu haben, dich näher mit dem zu beschäftigen, was du für Humbug hältst. Darf man wissen, um was es sich dabei handelt?«

Die Frage Eisenlohrs schien William Spranger in Verlegenheit zu bringen.

»Vorläufig darf ich darüber nichts sagen«, meinte er nach kurzem Zögern. »Ich habe mich zum Schweigen verpflichten müssen.«

»Hm, hm«, Holthoff räusperte sich vernehmlich und warf Eisenlohr einen vielsagenden Blick zu.

»Schade, William«, meinte der, »daß du nichts verraten darfst! Wir hätten dich vielleicht beraten können. Jedenfalls stehen wir dir zur Verfügung, wenn du uns brauchen solltest.« »Besten Dank für dein Anerbieten, mein lieber Eisenlohr! Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich später davon Gebrauch mache. Erst will ich mir mal selber in Paris ansehen, was dieser Wundermann zu zeigen hat. Ich will nicht leugnen, neugierig bin ich darauf.«

»Ich glaube, Mister Spranger, ich kann Ihnen schon jetzt sagen, was Sie zu sehen bekommen werden.«

Die Worte kamen von Dr. Bruck, der sich bisher so gut wie gar nicht an der allgemeinen Unterhaltung beteiligt hatte.

Eisenlohr sah seinen Ersten Assistenten verwundert an. Spranger warf die Gabel auf den Teller.

»Ausgeschlossen, Herr Doktor! Die Sache ist streng geheim. Monsieur Bigot hat die wenigen Personen, denen er Mitteilung machte, ehrenwörtlich zum Schweigen verpflichtet. Ich halte es für unmöglich, daß Sie etwas darüber wissen können.«

»Ich weiß aber doch, daß Monsieur Bigot behauptet, es wäre ihm gelungen, Blei –«

»Stop, Doktor Bruck!« Der scharfe Zwischenruf Sprangers und fast mehr noch der Blick, mit dem ihn der jetzt ansah, veranlaßten Bruck, jäh abzubrechen. Der Amerikaner brachte seinen Mund dicht an das Ohr Eisenlohrs, flüsterte dem etwas zu. Eisenlohr nickte und sagte danach ziemlich gleichgültig: »Wir wollen die Tafel aufheben. Würden Sie die Güte haben, Herr Professor Braun, mich für eine kurze Zeit zu entschuldigen ...«

Der Professor brummte etwas vor sich hin, was nicht unbedingt wie eine Zustimmung klang.

»Herr Doktor Holthoff steht Ihnen selbstverständlich sofort zur Verfügung. Sie könnten inzwischen zusammen weiterarbeiten.«

Professor Braun stand auf und nickte. »Einverstanden, Herr Eisenlohr. Kommen Sie bitte, Herr Holthoff! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Der Professor und Holthoff hatten kaum den Raum verlassen, als Spranger losbrach:

»Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie auch nur Andeutungen über die Bigotschen Versuche in die Öffentlichkeit dringen konnten. Ist Ihnen ein unbestimmtes Gerücht zu Ohren gekommen oder haben Sie wirklich etwas Genaueres –« Er brach ab, weil Michelmann hereinkam, um abzuräumen.

»Wir wollen in mein Arbeitszimmer gehen, da sind wir ungestört«, schlug Eisenlohr vor und erhob sich. Spranger und Bruck folgten ihm.

Eisenlohr führte sie in seinen Arbeitsraum und deutete auf ein paar Klubsessel.

»Nehmen Sie bitte Platz! – Willst du mit Doktor Bruck unter vier Augen sprechen oder ist dir meine Anwesenheit recht?«

Spranger zögerte mit der Antwort und überlegte. Bruck war jedenfalls nicht zum Schweigen verpflichtet. Was der wußte, würde Eisenlohr von ihm früher oder später doch erfahren.

»Ich sehe, ihr wollt lieber allein bleiben«, sagte Eisenlohr und machte Anstalten, sich zurückzuziehen, doch da hatte Spranger schon seinen Entschluß gefaßt.

»Nein, Eisenlohr. Bleib hier. Ich möchte nur dich und auch Herrn Doktor Bruck bitten, über alles, was zur Sprache kommt, unbedingt zu schweigen. Es hängt ungeheuer viel davon ab, daß das Geheimnis gewahrt bleibt.«

Eisenlohr streckte ihm die Rechte hin. »Meine Hand darauf, William, ich werde schweigen.«

»Und Sie, Herr Doktor Bruck?« fragte Spranger.

»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mister Spranger. Für meine Person verspreche ich Ihnen ebenfalls Geheimhaltung; für Monsieur Bigot und seine Leute kann ich natürlich nicht bürgen.«

»Nun schießen Sie endlich los, Bruck!« mahnte Eisenlohr ungeduldig. »Was wissen Sie denn wirklich über diesen Wundermann aus Paris?«

»Monsieur Bigot wird vor Mister Spranger und seinen Freunden Bleibleche produzieren, die an den Rändern bräunliche und gelbliche Verfärbungen zeigen.«

William Spranger nickte. Genau das gleiche hatte ihm sein Partner James Kelly vor kurzem geschrieben.

»Monsieur Bigot wird behaupten, daß dies Bräunliche und Gelbe Gold wäre, in das er nach seinem Geheimverfahren das Blei verwandelt habe.« Wieder verriet ein Nicken Sprangers, daß Bruck das Richtige getroffen hatte.

»Solche Bleche kann man natürlich mit Leichtigkeit präparieren«, fuhr Bruck fort. »Man braucht dann nur noch die nötige Fingerfertigkeit, um sie in die Apparatur hineinzupaschen. Ich glaube, daß Monsieur Bigot kein ungeschickter Taschenspieler ist.«

Jetzt schüttelte Spranger energisch den Kopf. Er dachte an das, was noch weiter in dem Brief von James Kelly stand.

»Sie sind im Irrtum, Herr Doktor Bruck«, sagte er mit Entschiedenheit. »Monsieur Bigot hat die Versuche in einem kleinen Kreis vorgeführt, zu dem außer meinem Partner Kelly auch ein recht ernsthafter Wissenschaftler gehörte. Er hat die Bleibleche vorher von Hand zu Hand gehen lassen, hat sie unter den Augen der Sachverständigen der Strahlung einer Elektronenröhre ausgesetzt und schon nach kurzer Zeit mit dieser Verfärbung wieder herausgezogen.«

»Es wäre überzeugender gewesen, wenn der Sachverständige sie hineingesetzt und auch wieder herausgenommen hätte, Mister Spranger«, sagte Bruck nachdenklich.

»Auch das ist geschehen, Herr Doktor Bruck. Nach den ersten gelungenen Versuchen hat Professor Hartford, unser Experte, selbst darauf bestanden. Monsieur Bigot hat sich widerspruchslos seinen Wünschen gefügt. Das Ergebnis ist in allen Fällen das gleiche gewesen: eine Umwandlung von Blei in Gold, die dann später auch durch die chemische Untersuchung bestätigt wurde.«

»Ja, dann –«, Bruck zuckte unschlüssig die Achseln und schwieg. Er wußte im Augenblick nicht, was er Spranger erwidern sollte.

»Dann gibt es immer noch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten«, nahm Eisenlohr den Faden auf. »Haben eure Sachverständigen auch die Elektronenröhre untersucht?«

»Darüber hat mir Kelly nichts geschrieben, Eisenlohr.«

»Dann bliebe es immerhin denkbar, daß die Kathode der Röhre aus Gold bestanden hat und Gold auf dem Wege der Kathodenzerstäubung auf das Blei gelangt ist.«

»Du hältst etwas Derartiges für möglich, Eisenlohr?«

»Ohne weiteres, William. Mit zerstäubendem Kathodenmaterial lassen sich recht hübsche Metallüberzüge herstellen. In der Praxis wird davon verschiedentlich Gebrauch gemacht.«

»Ja, wenn das so wäre –!« sagte Spranger unsicher.

»Ich habe nur gesagt, daß es so sein könnte, William. Natürlich kann es auch anders gewesen sein. Beispielsweise könnte das Gold schon vorher in dem Blei gesteckt haben und durch die Strahlung nur freigelegt worden sein –«

Spranger griff sich an den Kopf. »Nette Möglichkeiten, die du entwickelst! Wie soll sich unsereiner dagegen schützen?«

»Indem ihr erstens einmal euer eigenes Blei zu dem Versuch mitbringt, reines, unverfälschtes Bleiblech, mein lieber William, und indem ihr zweitens nach dem Experiment die Röhre zerbrecht und ihre Kathode genau untersucht.«

»Die Röhre zerbrechen, Eisenlohr? Monsieur Bigot wird seine Röhren kaum aus der Hand geben. Er behauptet, daß sie ungemein kostbar seien.«

»Dann müßt ihr eben sagen, daß euer Geld noch kostbarer sei, vielleicht wird das bei ihm ziehen.«

»Großartig, Eisenlohr! Du hättest nicht Physiker, sondern Kaufmann werden sollen. Ich werde deinen Rat befolgen, und für eigenes Blei will ich auch sorgen. Das bekommt man doch überall zu kaufen.«

»Die Mühe kannst du dir sparen, William. Ich werde dir etwas reines Blei aus unserm Vorrat holen. Entschuldige mich bitte einen Moment!« Er stand auf und verließ den Raum. Der Moment, um den er Spranger gebeten hatte, zog sich jedoch ein wenig in die Länge, denn Dr. Bruck hatte bei seinem vorherigen Kramen die Sachen so durcheinander gebracht, daß Eisenlohr geraume Zeit brauchte, um zu finden, was er suchte.

»Darf man wissen, woher Ihre Kenntnis von der Bigotschen Sache stammt?« fragte Spranger inzwischen Bruck.

»Von ihm selber, Mister Spranger. Ich lernte Monsieur Bigot zufällig im Eisenbahnabteil kennen.«

Spranger konnte seine Verwunderung nicht verbergen. »Das ist doch recht eigenartig, Herr Doktor. Von uns verlangt er unbedingte Geheimhaltung, und zu seiner Reisebekanntschaft spricht er darüber. Können Sie sich das erklären?«

Bruck ließ sich mit der Antwort Zeit. Er hatte das Gefühl, daß er seine Worte jetzt vorsichtig wählen müßte.

»Es ergab sich gesprächsweise, daß wir beide physikalische Chemie treiben«, erwiderte er schließlich. »Ein Wort gab das andere. Wir gerieten in eine wissenschaftliche Debatte. Da hat er in der Hitze des Gefechts vielleicht mehr gesagt, als er eigentlich preisgeben wollte. Mir genügte es, um mir ein ungefähres Bild von der Sache zu machen ...«

»Von der Sie, wie mir scheint, nicht allzuviel halten, Herr Doktor?«

»Das möchte ich doch nicht sagen, Mister Spranger. Dazu weiß ich zuwenig von Bigots Arbeiten.«

»Hm, hm, soso!« Spranger blickte nachdenklich vor sich hin. »Darf ich fragen, Mister Spranger, was Sie als Kaufmann von der Sache halten?«

Spranger warf einen schnellen Blick zu Bruck hin, der mit gesenkten Lidern dasaß.

»Das wird davon abhängen, wie man sie anfaßt, Herr Doktor Bruck. Richtig gemanagt kann es ein Millionengeschäft werden.«

Dr. Bruck ballte die Hände unter der Tischplatte zusammen, bis sie ihn schmerzten. Da wurden sie wieder genannt, diese Millionen, die ihm seit seinem Zusammensein mit Bigot nicht mehr aus dem Kopf wollten, wurden diesmal nicht von einem zweifelhaften Erfinder genannt, sondern von einem nüchternen Kapitalisten. Was konnte man tun, um an diesem Segen teilzunehmen? Während er darüber noch grübelte, kam Eisenlohr zurück.

»Hier, William, chemisch reines Blei«, sagte er und ließ eine Anzahl Metallscheibchen auf die Tischplatte fallen. »Daran laß den Mann seine Künste versuchen.«

Spranger ließ die kleinen runden Plättchen durch die Finger gleiten. »Merkwürdig!« murmelte er dabei vor sich hin.

»Was findest du daran merkwürdig, William?« fragte Eisenlohr.

»Genau solche Plättchen benutzt auch Monsieur Bigot bei seinen Versuchen. Kelly hat es mir geschrieben. Zu was braucht ihr die Dinger?«

Dr. Bruck saß mit zusammengekniffenen Lippen da. Er wartete gespannt auf die Antwort Eisenlohrs.

»Wir brauchen die Scheiben als Blenden in unserer elektrooptischen Bank«, erwiderte Eisenlohr.

»Hm, so.« Spranger spielte mit den Scheibchen, während er weitersprach. »Strahlung habt ihr, Blei habt ihr ... Wenn ich du wäre, Eisenlohr, ich würde doch lieber versuchen, Monsieur Bigot Konkurrenz zu machen, anstatt – was hast du mir vorhin da unten im Laboratorium erzählt? – anstatt organische Substanzen mit der Strahlung zu untersuchen. Ich glaube, du würdest damit ein besseres Geschäft machen.«

»Jeder nach seiner Neigung und seinem Können, mein lieber William. Wir treiben unsere Forschung um der Wissenschaft willen und nicht, um Geschäfte damit zu machen.«

»Ein echt deutscher Standpunkt, Eisenlohr! Doch für mich, offen gestanden, zu hoch! Aber um auf Monsieur Bigot zurückzukommen: Er hat Kelly eine Aufstellung über seine Auslagen gegeben und verlangt nur für die Option auf seine Erfindung eine Million Dollar.«

»Ziemlich viel Geld«, meinte Eisenlohr trocken.

»Bei Gott, das ist es, Eisenlohr! Auch die Firma Kelly and Company ist nicht reich genug, um eine Million durch eine faule Sache zu verlieren. Was rätst du mir, Eisenlohr?«

»Sich die Sache sehr genau anzusehen, William, und alles für Schwindel zu halten, was nicht unwiderleglich bewiesen ist.«

»Leicht gesagt, aber schwer getan«, seufzte Spranger vor sich hin und schwieg.

»Ich verstehe deinen Partner Kelly nicht recht«, fuhr Eisenlohr fort. »Wie ich ihn von New York her in der Erinnerung habe, ist er ein siebenmal gesiebter Geschäftsmann. Wie gerade der sich darauf einlassen kann, ist mir unbegreiflich!«

Spranger schüttelte den Kopf. »Mir weniger, Eisenlohr. Old Kelly hat so seine Ideen – oft recht gute, aber manchmal auch ganz ausgefallene, von denen er sich nur schwer abbringen läßt. Ich muß so schnell wie möglich nach Paris zurück und zusehen, daß da keine Dummheiten gemacht werden.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Wenn ich gleich fahren könnte, wäre es mir lieb.«

»Schade, William!« sagte Eisenlohr bedauernd. »Ich hatte gehofft, dich wenigstens ein paar Tage hier zu haben ...«

Spranger hatte sich erhoben. »Später, Eisenlohr. Ich komme wieder, sobald ich in Paris nach dem Rechten gesehen habe.«

»Ich könnte ja Mister Spranger zum Flugplatz fahren, während Sie mit Professor Braun und Holthoff weiterarbeiten«, schlug Dr. Bruck vor.

»Das wäre eine edle Tat, Bruck«, nahm Eisenlohr das Anerbieten an. »Wenn Sie sich etwas dranhalten, erreichen Sie noch das Nachmittagsflugzeug nach dem Westen.«

»Also gehen wir«, sagte Spranger und gab damit das Zeichen zum Aufbruch.

* * *

Während der schnelle Wagen die Kilometer fraß, saß Spranger schweigend neben Dr. Bruck und ließ sich das vor kurzem Gehörte durch den Kopf gehen. Bedenkliche Dinge waren das, die Eisenlohr ihm angedeutet hatte. Nicht nur vor Taschenspielereien würde er auf der Hut sein müssen; auch allerlei physikalische Betrugsmöglichkeiten, von denen er bisher nichts ahnte, gab es. Er würde Augen und Ohren in Paris sehr offenhalten müssen.

Auch Dr. Bruck war nachdenklich. Er verstand Eisenlohr von Tag zu Tag weniger. Warum hatte der kein Wort von seinen eigenen Arbeiten auf dem Gebiet der Metallumwandlung gesagt? Warum behandelte er eine Entdeckung, für die ein Mensch wie Bigot gleich eine blanke Million verlangte, als eine Bagatelle?

»Warum beschäftigen Sie sich nicht mit der Metallumwandlung?« vernahm er im gleichen Augenblick die Frage Sprangers.

Die Gedanken Brucks kreisten immer noch um die Million, die der Franzose verlangte und die die Amerikaner vielleicht geben wollten. Er selbst kannte die Strahlung genau, die für die Umwandlung erforderlich war. Nach seiner festen Überzeugung konnte er der Firma Kelly & Company heute schon etwas wesentlich Besseres anbieten als dieser Monsieur Bigot. Sollte er sich Spranger gegenüber offenbaren? Interessieren würde es ihn gewiß. Aber ebenso sicher würde es auch den Bruch mit Eisenlohr, den Verlust seiner Stellung hier bedeuten ...

Ungeduldig wiederholte Spranger seine Frage.

»Herr Doktor Eisenlohr bestimmt die Art unserer Arbeiten«, entgegnete Bruck ausweichend.

»Haben Sie keinen Einfluß auf ihn? Können Sie ihn nicht dazu überreden?« fragte Spranger.

Bruck schüttelte den Kopf. »Er ist der Chef, Mister Spranger. In das Arbeitsprogramm läßt er sich nicht hineinreden.«

Spranger zuckte die Achseln. »Schade, Herr Doktor! Ich würde lieber mit Eisenlohr als mit Monsieur Bigot zusammen gehen.«

»Sie würden zweifellos besser dabei fahren«, erwiderte Dr. Bruck und brach jäh ab, als habe er schon zuviel gesagt. Auch Spranger schwieg, bis sie den Flugplatz erreichten.

Ein kurzer Abschied. Spranger stieg in das Flugzeug, Dr. Bruck machte sich, von widerstrebenden Gedanken hin und her gerissen, auf den Heimweg. Er konnte das bedrückende Gefühl nicht loswerden, daß er soeben die größte Chance seines Lebens verpaßt habe. Immer wieder malte er sich aus, wie anders es jetzt sein könnte, wenn er offen mit Spranger gesprochen und dem seine Metallproben gezeigt hätte. Aber das war ja nun vorbei. Vielleicht, daß die andere Karte im Spiel für ihn schlug. In Ihlefeld hielt er vor dem Postamt.

Eine Frage kostet ja nichts, ging's ihm durch den Sinn, während er die Stufen emporstieg. Am Schalter erkundigte er sich, ob etwas Postlagerndes für ihn da wäre.

Der Beamte griff in ein Fach und ließ einen Packen Briefe durch die Finger gleiten. Sagte »Jawohl, Herr Doktor, hier ist etwas für Sie« und drückte ihm ein Schreiben in die Hand. Enttäuscht blickte Bruck es an. Er hatte erwartet, französische Marken zu sehen, aber der Umschlag war mit deutschen Postwertzeichen freigemacht. Mit einem kurzen »Danke!« empfahl er sich und stieg wieder in seinen Wagen. Erst dort besah er sich den Brief genauer. Ein Absender war nicht darauf vermerkt, die Marken waren in Aachen abgestempelt.

Aachen – Aachen? Wer konnte ihm aus Aachen schreiben? Noch dazu postlagernd? Ungeduldig riß er den Umschlag auf. Las und stutzte schon bei den ersten Zeilen.

Das Schreiben kam doch von Bigot, aber vorsichtig war der Herr, das mußte man ihm lassen. Offenbar liebte er es nicht, seine Briefe im internationalen Postverkehr eine Grenze passieren zu lassen, und hatte Mittelsmänner an der Hand, die sie treff- und zielsicher in einen deutschen Briefkasten beförderten. Damit waren aber die Vorsichtsmaßregeln Bigots noch nicht erschöpft. Auch der Text des Schreibens selbst war so gehalten, daß ein Uneingeweihter kaum etwas Verdächtiges herauslesen konnte.

Dr. Bruck hielt den Platz hier vor dem Postamt nicht für den geeigneten Ort, um das Schreiben zu studieren, und ließ seinen Wagen wieder anrollen. Erst als Ihlefeld einige Kilometer hinter ihm lag, lenkte er auf den Sommerweg, hielt wieder an und machte sich in aller Ruhe an die Lektüre. Zunächst gab Monsieur Bigot seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß er von dem so hochgeschätzten Kollegen seit ihrem letzten Zusammentreffen nichts mehr gehört hätte ...

»Stimmt, mein Lieber. Ich habe dir noch nicht geschrieben. Aber vielleicht – vielleicht – werde ich dir jetzt schreiben«, murmelte Bruck vor sich hin und las weiter. Er mußte sich Mühe geben, um einen Sinn in die verklausulierten Sätze des Franzosen zu bringen.

»Das Korn ist reif«, schrieb Bigot weiter. »Um es zu schneiden, braucht man eine Sense, eine Sichel genügt nicht.« Dr. Bruch strich sich über die Stirn. Sichel? Sense? Ach so, der Brief war in deutscher Sprache abgefaßt, aber Monsieur Bigot hatte dabei französisch gedacht: La faux – die Sense, la faucille – die kleine Sense oder Sichel. So war dieser Satz wohl zustande gekommen. Er besaß also das wirksamere Mittel und sollte dem anderen damit helfen. Im stillen freute sich Bruck über die Anerkennung seiner eigenen Leistung, die darin lag.

Im weiteren Verlauf des Textes schlug Bigot ihm ein gentlemen agreement vor. Halbpart bei allen Gewinnen, aber dafür von seiten Brucks Röhrenzeichnungen und genaue elektrische Angaben. Genau betrachtet war das Ganze eigentlich schon ein vollkommener Vertrag mit vielen Paragraphen, und da er bereits die Unterschrift Bigots trug, brauchte ihn Bruck nur noch zu bestätigen, um ihn rechtsgültig zu machen. Aber war dieser Vertrag etwas wert? War er auch nur das Papier wert, auf dem er stand? Bruck konnte seiner Zweifel nicht Herr werden. Gesetzt den Fall, er gäbe die Zeichnungen und Unterlagen heraus – Gefahr würde er dabei kaum laufen, denn Bigot erklärte sich am Ende seines Schreibens dazu bereit, auf eine einfache Benachrichtigung selber nach Ihlefeld zu kommen. Aber dann würde er mit allem, was er bekam, wieder nach Paris verschwinden, würde vielleicht ganz und gar verschwinden, sobald er das amerikanische Heu einmal im Trockenen hatte, und er, Bruck, würde das Nachsehen haben. Unwillkürlich kam ihm das Wort vom betrogenen Betrüger in den Sinn. Sein Gesicht war sorgenvoll, als er das Schreiben in seine Brieftasche steckte und den Wagen wieder in Gang setzte.

* * *

Früher als das Flugzeug erreichte die Funkdepesche, in der Spranger seine Ankunft ankündigte, die französische Hauptstadt. Schon auf dem Pariser Flugplatz empfing ihn sein Partner James Kelly.

»Großartig, Spranger, daß Sie auf meinen Brief hin gleich gekommen sind!«

Auf deinen Brief nicht, old Boy. Es waren ganz andere Dinge, die mich hierher trieben, dachte Spranger. »Ich hielt es für das Richtigste«, sagte er laut.

»War es auch, Spranger. Ich bin mit Monsieur Bigot inzwischen ein gutes Stück weitergekommen. Für heute abend haben wir einen neuen Versuch verabredet. Ich hoffe, er wird auch Sie überzeugen.«

»Wir werden sehen, Kelly«, sagte Spranger vieldeutig. »Wo ist die Verabredung?«

»Heute abend um acht Uhr im Laboratorium von Monsieur Bigot in der Rue Saint Antoine.« –

Ein ungemein vornehmer Diener nahm den Herren Kelly und Spranger um die achte Abendstunde in der Rue Saint Antoine Mäntel und Hüte ab. Der Mann sieht wie ein Lord aus, ging es Spranger durch den Kopf, während sie dem Livrierten durch einen etwas überladen ausgestatteten Salon in das Laboratorium folgten.

»Ich heiße Sie willkommen, meine Herren!« begrüßte Monsieur Bigot seine Gäste. »Darf ich Sie mit Mister Hartford bekannt machen, Mister Spranger?« fuhr er fort. »Mister Hartford vom National Laboratory in Schenektady ist ein Landsmann von Ihnen. Er hat sich als wissenschaftlicher Experte in selbstloser Weise für die Überwachung der Versuche zur Verfügung gestellt.«

Während Spranger Mr. Hartford noch prüfend musterte, bestätigte ihm Kelly die Mitteilung Bigots mit Worten der Anerkennung für die bisherige Tätigkeit Hartfords. Spranger fand derweil Zeit, sich ein wenig in dem Raum umzusehen. Ähnlich sah es hier aus wie in dem Laboratorium Eisenlohrs, in dem er noch am Morgen dieses Tages war, und doch zum Teil wieder ganz anders. Die gleichen Maschinen und Hochspannungstransformatoren wie dort. Eine gewaltige Elektronenröhre, ganz ähnlich derjenigen, die ihm Eisenlohr gezeigt hatte. Davor auch eine elektrooptische Bank, hier aber kürzer und kleiner als auf der Eulenburg. In der Hauptsache also dasselbe, aber hier, wie es Spranger scheinen wollte, doch anders, gewissermaßen theatralischer, aufgemacht.

Im Laboratorium Eisenlohrs standen alle diese Apparaturen auf einem glatten Steinboden, hier dagegen auf schwellenden Teppichen. Dort gab es nur einfache Stühle und Schemel, während hier bequeme Polstermöbel zum Sitzen einluden. Hier hingen wertvolle Ölgemälde an den Wänden, und wenn sie auch große Elektriker, wie einen Ampère, Faraday und Tesla, darstellten, so schienen sie William Spranger doch nicht recht in einen Laboratoriumsraum zu passen. Und noch etwas anderes fiel ihm auf. Der Raum um die Strahlröhre und die Elektronenbank war durch eine von Messingsäulen getragene starke Kordel aus roter Seide abgesperrt. Etwas Derartiges hatte er in Eisenlohrs Laboratorium nicht gesehen.

Er legte die Hand auf eine der blinkenden Stützsäulen und fragte: »Was soll das hier, Monsieur Bigot?«

»Es ist wegen der Hochspannung nötig«, beeilte sich der Franzose zu erklären. »Für jemand, der mit der Apparatur nicht genau vertraut ist, wäre es gefährlich, diesen Raum zu betreten.«

»Ich will aber unsere Proben selbst in den Apparat legen«, widersprach Spranger und beharrte darauf, obwohl Kelly es ihm auszureden versuchte und auf Mr. Hartford als ihren zuverlässigen Experten hinwies.

Nur schwer vermochte Monsieur Bigot auch seine Überraschung zu verbergen, als Spranger die Bleiplättchen zum Vorschein brachte, die er von Eisenlohr bekommen hatte, und erst nach längerem Hin und Her kam man zu einer Einigung.

Gut, Mr. Spranger sollte bei abgeschaltetem Strom seine Proben einlegen und auch wieder herausnehmen. Doch während die Röhre mit Hochspannung arbeitete, dürfe er sich unmöglich in dem abgesperrten Raum aufhalten, entschied Monsieur Bigot schließlich, und auf Kellys Zureden gab sich Spranger damit zufrieden. Nach den Anweisungen Bigots legte er eines der Plättchen in die Apparatur und ließ sich dann neben Kelly auf einem Sessel nieder, während Bigot den Strom einschaltete und danach zu Mr. Hartford zurückkehrte.

Eine Viertelstunde hindurch mußte nach den Angaben Bigots die Strahlung auf das Blei wirken, fünfzehn endlose Minuten, wenn man sie mit der Uhr in der Hand abzuwarten hatte. Keinen Blick ließ Spranger während der Zeit von Hartford und Bigot. Etwas spärlich dünkte ihm dabei die Beleuchtung des Raumes. An der übrigen Ausstattung gemessen hätte sie seiner Meinung nach etwas reichlicher sein dürfen.

»Die fünfzehn Minuten sind um!« rief er jetzt. Sofort ging Bigot zur Wand, um den Strom abzuschalten. Unmittelbar danach stürzte Spranger zu der Elektronenbank hin und zog das Bleiplättchen aus dem Apparat. Goldig hell blinkte es in der Mitte der kleinen grauen Scheibe, haarscharf, wie mit dem Zirkel gezogen, saß ein kreisförmiger gelber Fleck darin. Noch während er daraufstarrte, trat Kelly zu ihm, fragte: »Ist es gelungen. Spranger?«, sah dann schärfer hin und nahm ihm das Scheibchen aus den Händen, in dem Augenblick, als auch Bigot von der Schaltwand zurückkam.

»Sehen Sie nur, Monsieur Bigot!« stieß Kelly erregt hervor.

Der Franzose schien nicht überrascht zu sein. »Ich habe diesen Fortschritt erwartet, Mister Kelly«, sagte er ruhig. »Wir haben Fortschritte in der Beherrschung der Strahlung gemacht. Die Umwandlung erfolgt jetzt konzentrierter und tiefer gehend. Ich denke, Sie können mit dem Ergebnis zufrieden sein.«

Spranger hatte das Plättchen wieder an sich genommen. Nachdenkend, überlegend, zweifelnd betrachtete er es. War das wirklich dasselbe Stück, das er vorhin in den Apparat gelegt hatte? Dann, ja, dann hätte Bigot ja vielleicht doch – er griff in die Tasche, zog eines der andern Bleiplättchen heraus, hielt es daneben, verglich. Genau stimmten sie nach Größe und Dicke überein. Ja, noch mehr erschaute er jetzt bei genauerem Hinsehen. Die Stahlstanze, mit der diese Platten einmal aus einem Blech geschlagen waren, hatte wohl an einigen Stellen kleine Scharten. Das hatte auch am Rande der Scheibchen kleine Einkerbungen ergeben, die sich natürlich bei jedem einzelnen Stück wiederholen mußten. In der Tat entdeckte sie Spranger auch hier wie dort. Ein Zweifel daran, daß die Metallumwandlung an dem von ihm selbst in den Apparat gelegten Stück gelungen war, konnte nicht mehr bestehen.

Trotzdem wollte er sich noch nicht zufrieden geben und verlangte einen zweiten Versuch.

»Wie Sie wünschen, Mister Spranger«, sagte Bigot mit unerschütterlicher Ruhe, und noch einmal wiederholte sich das gleiche Schauspiel. Ein zweites Mal lange Minuten des Wartens, und zum zweiten Male hielt Spranger ein Stück in der Hand, das genau den gleichen goldigen Fleck aufwies wie das erste.

»Sind Sie jetzt überzeugt, Sie ungläubiger Thomas?« fragte ihn Kelly, während die Blicke Bigots zwischen den beiden Amerikanern hin und her gingen. Erwartung und Spannung las Spranger aus den Blicken, aber auch Besorgnis schien ihm darin zu liegen.

Unwillkürlich kam ihm dabei eine Ermahnung Brucks in die Erinnerung: »Lassen Sie sich den Versuch wenigstens dreimal vorführen«, hatte der Doktor gelegentlich ihres Gespräches gesagt.

»Hallo, Spranger! Wie denken Sie über die Sache?« fragte ihn sein Partner.

»Aller guten Dinge sind drei, Kelly!« Spranger zog ein neues Bleiplättchen aus der Tasche. Kelly schüttelte unwillig den Kopf. Die Hartnäckigkeit Sprangers ärgerte ihn, und er bemühte sich, sie ihm auszureden. Dabei wandten die beiden Amerikaner für kurze Zeit Bigot und Hartford den Rücken zu und bemerkten nicht, daß sie miteinander flüsterten.

»Wir können den Versuch jetzt wiederholen«, klang die Stimme Bigots zwischen die Worte Kellys. Der wollte noch etwas sagen, aber Spranger unterbrach ihn:

» All right, Monsieur Bigot, noch ein drittes Mal, dann werden wir unsere Entschlüsse fassen.« –

Zum dritten Male ging der Versuch vonstatten und verlief ebenso wie bei den beiden vorangegangenen Malen. Ein drittes Plättchen mit einem goldigen Zentrum konnte Spranger zu den beiden anderen in seine Brieftasche schieben.

»Wünschen die Herren noch einen vierten Versuch?« fragte Bigot geschmeidig.

»Danke, Monsieur Bigot! Was wir jetzt haben, genügt uns. Ich muß die Angelegenheit nun mit Mister Kelly besprechen. Ich glaube, wir werden uns heute abend noch klarwerden. Wir könnten dann vielleicht schon morgen zur Besprechung eines Vorvertrages zusammenkommen.«

Obwohl Spranger die Worte in einem freundschaftlichen Ton sprach, konnte Bigot seine Enttäuschung nur mit Mühe verbergen. Er hatte nach den gelungenen Versuchen einen schnellen Abschluß erwartet. Kaum hatten die beiden Inhaber der Firma Kelly & Company das Haus verlassen, als er Hartford gegenüber seinem Unmut Luft machte.

»Verlieren Sie die Nerven nicht, Bigot!« beruhigte der ihn. »Warten Sie den morgigen Tag ab. Daß Kelly angebissen hat, ist sicher. Mit seinem Partner werden Sie morgen auch fertig werden.« –

Im Hotelzimmer saßen Kelly und Spranger zusammen und berieten die Affäre Bigot.

»Ich habe den Eindruck, Spranger, daß Ihre Freunde in Deutschland Ihnen geraten haben, die Finger von der Sache zu lassen«, meinte Kelly.

»Sie irren sich, Mister Kelly«, widersprach Spranger. »Sie haben mir nur die verschiedenen Methoden erklärt, nach denen man uns 'reinlegen könnte. Das haben sie allerdings mit deutscher Gründlichkeit getan, und ich bin –«

»Das weiß ich, Spranger«, fiel ihm Kelly ins Wort. »Das haben Sie mir schon erzählt, bevor wir in die Rue Saint Antoine fuhren. Ich wunderte mich auch, daß Sie sich von Monsieur Bigot nicht die Strahlungsröhre zur Untersuchung ausliefern ließen. Warum haben Sie das eigentlich unterlassen?«

»Weil es nicht mehr nötig war, Kelly. Der Schwindel läuft diesmal andersrum.«

»Was?« Kelly starrte seinen Partner verdutzt an. »Sie sagen Schwindel? ... Nach drei überzeugenden Versuchen sprechen Sie von Schwindel?«

Spranger kramte in seiner Tasche, brachte verschiedene Plättchen zum Vorschein und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus.

»Entscheiden Sie selbst, Kelly«, sprach er weiter. »Hier sind die Bleiplättchen, die mir Eisenlohr für die Versuche mitgegeben hat. Sie sehen überall die gleichen Scharten am Rand, die offenbar von einem Fehler der Stanze herrühren. Hier sind die beiden ersten Platten der Versuche. Sie zeigen genau die gleichen Einkerbungen. Als ich sie zuerst sah, war ich überzeugt, daß Monsieur Bigot ehrlich gearbeitet hätte.«

»Und was ist mit der dritten Platte?« fragte Kelly.

Spranger reichte sie ihm hin. »Sehen Sie selbst, Kelly. Hier fehlen diese charakteristischen Scharten. Der Rand ist überall glatt. Nun und nimmer ist das dieselbe Platte, die ich für den dritten Versuch in den Apparat gelegt habe. Beim drittenmal hat uns Bigot betrogen.«

Kelly ließ die drei Plättchen durch seine Finger gleiten, verglich sie auch mit den anderen Bleiplatten. Der Unterschied war ganz unverkennbar. Ratlos blickte er Spranger an, fragte:

»Warum das? Warum nach zweimaligem Gelingen beim drittenmal ein Betrug?«

Spranger zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Kelly, aber ich werde es bald erfahren. Mit dem Frühflugzeug kehre ich nach Deutschland zurück. Doktor Eisenlohr wird mir sagen können, was hinter der Geschichte steckt ...«

»Unsere Konferenz morgen. Spranger? Wir wollten zusammen den Abschluß besprechen.«

»Halten Sie Bigot hin, Kelly! Gebrauchen Sie irgendeine Ausrede, erzählen Sie ihm, was Sie wollen! Hat es so lange gedauert, dann kann es auch noch vierundzwanzig Stunden länger dauern. Dann, hoffe ich, werden wir klar sehen.«


4. Kapitel.

Im Basaltkeller der Eulenburg standen sie zu dritt vor jenem mächtigen Schrank, den Reinhard in einer abenteuerlichen Nacht einmal irrtümlich für einen Panzerschrank angesehen hatte. In der Tat erinnerte seine Tür, die jetzt offenstand, in ihrer Stärke und Massigkeit auch an einen Banktresor, und nur die Inneneinrichtung ließ erkennen, daß es sich doch um etwas anderes handelte. Treibhauswärme ging von den Wänden dieses Schrankes aus. Fernthermometer, auf Zehntelgrade geeicht, gestatteten es, die Temperatur in seinem Innern auch bei geschlossener Tür abzulesen. Regelwiderstände ermöglichten es, die Stärke der elektrischen Beheizung innerhalb weiter Grenzen zu verändern.

Wie gebannt starrte Professor Braun auf ein Reagenzglas, nahm starke und immer stärkere Lupen zu Hilfe, um genau beobachten zu können, was sich in diesem Gläschen in einer durch die Schrankwärme halbflüssigen Gelatine abspielte. Schweigend ließen Eisenlohr und Holthoff ihn gewähren. Endlich nach langen Minuten richtete Professor Braun sich auf, seine Hand zitterte, als er das Vergrößerungsglas sinken ließ.

»Sind Sie überzeugt, Herr Professor?« fragte Eisenlohr.

»Es ist so, Herr Doktor. Das sind keine Amöben mehr, das sind bereits lebende Zellen!« Erregung klang aus Brauns Worten, während er weitersprach: »Urzellen noch, Herr Doktor. Zellkerne und Zellhülle sind noch nicht deutlich geschieden, aber als Zellen muß man die Gebilde unbedingt ansprechen. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Entdeckung ...!« Er ergriff die Hand Eisenlohrs und hielt sie lange in der seinen. Begann dann wieder zu sprechen ... stockend, als habe er Mühe, für die Überfülle der Gedanken Worte zu finden.

»Urzeugung ... Amöben und lebende Zellen durch Strahlung aus totem Stoff geformt ... erschaffen nach menschlichem Willen – wer es gewagt hätte, die Möglichkeit auch nur anzunehmen ... verlacht hätte man ihn ... und jetzt ist das Wunder geschehen. Wir können es mit unsern Augen sehen, wir können es mit unsern Händen greifen ... ein neues, ein ungeheures Gebiet haben Sie der Forschung erschlossen, Doktor Eisenlohr ...« Er hielt inne, als benähme die Größe des eben Geschauten ihm den Atem. –

Störend, die Stimmung zerreißend schrillte in die feierliche Stille die Glocke des Telephons. Holthoff ging zum Apparat, hörte, sprach leise mit Eisenlohr. Der nickte nur und ging über die Wendeltreppe nach oben. –

»Mister Spranger ist in Ihrem Arbeitszimmer, Herr Doktor«, meldete ihm Michelmann im Laboratorium.

»Es ist gut, Michelmann.« Eisenlohr blieb stehen und griff sich mit beiden Händen an die Stirn. Er brauchte eine Minute der Sammlung, um aus der Gedankenwelt, die ihn seit so vielen Stunden gefangenhielt, wieder in den Alltag zurückzufinden. Mußte der Amerikaner gerade jetzt kommen? Jetzt, wo er sich mit Braun beraten wollte, die nächsten wichtigen Schritte mit ihm besprechen, Richtlinien für Veröffentlichungen und den weiteren Gang der Arbeiten festlegen ... mußte jetzt gerade der andere kommen? Mit Fragen und Plänen, die Eisenlohr als kleinlich und töricht empfand gegenüber dem so viel Größeren, das ihn bewegte? Mit Gewalt zwang er sich zur Ruhe, mit Gewalt suchte er einer Stimmung Herr zu werden, die ihn selbstsüchtig und ungerecht zu machen drohte. So stand er mit geschlossenen Augen, bis er wieder ganz Herr seiner selbst war.

Verändert war der Ausdruck seines Gesichts, als er die Hände wieder von der Stirn zurücknahm. Mit offener, fast heiterer Miene trat er in sein Arbeitszimmer und begrüßte Spranger.

»Schon wieder aus Paris zurück, William? Das ging ja schneller, als ich dachte. Hast du schon genug von Monsieur Bigot?«

»Ich brauche deinen Rat, Eisenlohr.«

»Der ist schnell gegeben: Laß die Finger davon!«

»Warum, Eisenlohr? Hast du besondere Gründe für deine Meinung?«

»Die habe ich, William. Ich bekam eine Auskunft über den Mann, die alles andere als gut ist ...«

»Darf ich wissen, von wem du sie hast?«

»Von einem Bekannten. Ein gewisser Hauptmann Reinhard gab sie mir.«

»Reinhard? Hauptmann Reinhard? ... Ich erinnere mich, ich habe den Herrn vor einiger Zeit durch Doktor Holthoff kennengelernt ... ein verabschiedeter Offizier ... Ob das der richtige Mann für eine so wichtige Sache ist? Ich weiß nicht –«

»Du kannst überzeugt sein, daß Reinhard es ist. Er verfügt über Informationsquellen, die nicht jedem offen sind.«

Spranger suchte nach Worten. »Bigot hat uns drei Versuche vorgeführt, in allen drei Fällen ist die Metallumwandlung gelungen.«

Eisenlohr legte sich bequem in seinen Klubsessel zurück, faltete die Hände und drehte die Daumen umeinander.

»Mein lieber William«, begann er gemächlich, »ich müßte stundenlang reden, wenn ich dir den ganzen Unfug klarmachen wollte. Es ist Humbug von vorn bis hinten. Ausgekochter Schwindel ...«

»Aber Monsieur Bigot hat doch ... versuchte Spranger zu unterbrechen. Mit einer Handbewegung schob Eisenlohr den Einwand beiseite.

»Nimm selbst einmal an, William, er hätte wirklich Blei in Gold verwandelt, und nimm weiter den sehr unwahrscheinlichen Fall an, es wäre ihm auch auf solche Art gelungen, daß reines Gold kaum noch teurer als Blei wäre ... was hätte er damit erreicht? Nichts als eine ungeheure Verwirrung des Weltmarktes und der ganzen internationalen Wirtschaft. Nicht einen Pfifferling hätte er der Menschheit damit genützt. Nur Unruhe und Unsicherheit hätte er gestiftet, in der vielleicht einige skrupellose Spekulanten im trüben fischen könnten, während Hunderttausende um das ihrige kämen. Das wäre der Erfolg, wenn Monsieur Bigot wirklich könnte, was er verspricht.«

»Aber er kann es doch, Eisenlohr!« Spranger zog seine Brieftasche und legte die drei Plättchen mit den Goldflecken auf den Tisch. »Hier ist der Beweis dafür.«

Die Augen Eisenlohrs wurden starr.

Stählern hing sein Blick an den Proben, die Spranger vor ihm ausbreitete. Er beugte sich darüber, betrachtete sie schweigend.

»Nicht wahr, Eisenlohr das hast du nicht erwartet? Du bist überrascht?«

»In der Tat, William, ich bin überrascht.« Eisenlohr stand auf, zog einen Schreibtischkasten auf, griff etwas heraus und warf es vor Spranger auf den Tisch. Ein halbes Dutzend Plättchen genau derselben Art, wie der Amerikaner eben deren drei hingelegt hatte. Den gleichen runden Goldfleck trugen sie in der Mitte. In maßlosem Staunen blickte Spranger bald auf die Plättchen, bald auf Eisenlohr. Der lachte kurz auf.

»Was? Jetzt ist die Überraschung wieder bei dir? So schlau wie euer Monsieur Bigot sind wir hier auch. Vielleicht noch ein bißchen klüger, mein lieber William. Halt, mein Junge, bringe die Dinger nicht durcheinander! Die drei hier sind von dir. Laß noch mal sehen.« Er nahm die drei Plättchen, die Spranger mitgebracht hatte, in die Hand und sprach weiter: »Die beiden hier ... die sind ohne Zweifel von dem Blei, das ich dir mitgegeben habe. Das dritte Stück ...«, er schüttelte den Kopf, »das ist nicht von uns, William. Der Schnitt ist anders. Ich kenne doch meine alte Stanze.«

»Das habe ich schon selber entdeckt!« brach Spranger los.

»Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Ich habe immer noch gedacht, das Stück könnte trotz der Verschiedenheit doch vielleicht von dir sein, denn ein Stück von deinem Blei habe ich Bigot auch für den dritten Versuch gegeben.«

»Ja, mein Lieber«, Eisenlohr wiegte den Kopf leicht hin und her, »da wird der Monsieur eben ein wenig gezaubert haben. Entschuldige mich, bitte, für ein paar Minuten, ich möchte noch eine kleine Untersuchung vornehmen.«

Er griff nach den drei Platten, die Spranger mitgebracht hatte, und verließ das Zimmer. William Spranger blieb mit seinen Gedanken allein ... Bigot doch ein Betrüger? Ziemlich unverblümt hatte Eisenlohr das zum Ausdruck gebracht. Nun gut, man würde die Konsequenzen daraus ziehen ... aber das andere Neue, was er hier eben erfahren hatte? Auch Eisenlohr beherrschte das Geheimnis der Metallumwandlung, und der machte bestimmt keinen Humbug ... Wenn man mit dem verhandelte? ... Wenn Kelly and Company mit Eisenlohr den Vertrag machten, den sie ursprünglich mit Bigot schließen wollten? ... Aber würde Eisenlohr dazu bereit sein? ... Was konnten ihm amerikanische Dollar bedeuten, wenn er wirklich Gold aus Blei zu machen vermochte ... Immer schneller liefen die Gedanken Sprangers, begannen sich zu überstürzen. Vielleicht übte Eisenlohr die Kunst schon längst im stillen für sich selber aus ... die wertvolle Laboratoriumseinrichtung ... die gediegene Ausstattung der ganzen Burg ... vielleicht war das alles schon mit einem so gewonnenen Gold bezahlt ...? Abweisen, auslachen würde Eisenlohr sie jetzt, wenn sie ihm Dollars für solche Wissenschaft bieten wollten. Tat der nicht das einzig Richtige, wenn er sein Können nur im geheimen für sich selber nutzte? Hatte er nicht eben erst gesagt, daß ein Bekanntwerden solcher Möglichkeit nur endlose Verwirrung und Zerrüttung stiften müßte? ...

Fast überhörte er, in Zweifeln und Grübeln versunken, die Rückkehr Eisenlohrs. Wie erschöpft ließ sich der in einen Sessel fallen und warf die drei Metallscheiben vor sich hin auf den Tisch. William Spranger sah, wie es in des Doktors Mienen zuckte und arbeitete. Er ließ eine kurze Zeit verstreichen, bevor er sich zu einer Frage aufraffte. Und wieder eine Weile dauerte es, bis Eisenlohr antwortete:

»Die beiden ersten Proben enthalten ein zweifellos durch eine Strahlung erzeugtes Gold.«

»Also doch Gold!« Mit einem Seufzer der Erleichterung stieß Spranger die Worte heraus.

»Ein instabiles Isotop des Goldatoms, mein lieber William, um es genau wissenschaftlich zu sagen. Die dritte Probe? ... Da möchte ich noch einen Versuch machen. Gestattest du?«

Spranger nickte. Eisenlohr griff in die Tasche und zog eine Blechschere heraus. Mit einem scharfen Schnitt trennte er die dritte Platte mitten durch, griff mit den Fingern fest zu. Ebenfalls in zwei Teile zerschnitten fiel der goldene Kern locker aus dem Blei heraus. Erst jetzt fand Spranger Worte.

»Was hast du gemacht, Eisenlohr? Die Probe zerstört?«

»Den Schwindel aufgedeckt, William. Das hat Monsieur Bigot bei aller Gerissenheit doch reichlich dumm gemacht. Da, hier!« Er reichte ihm die Probe und eine Lupe. »Überzeuge dich selbst. Er hat einfach ein Loch in die Bleiplatte gebohrt und einen Goldpfropf hineingepreßt. Man kann die Spuren des Bohrers noch deutlich erkennen. Hätte er sich die Mühe gemacht, die beiden Metalle zusammenzuschmelzen, würde ihm der Betrug schwerer nachzuweisen sein.«

Nach kurzer Untersuchung legte Spranger die Metallstücke wieder auf den Tisch. »Es ist mir ein Rätsel«, seufzte er.

»Offen gestanden, mir auch, William. Wenn Bigot das Blei zweimal durch seine Strahlung umgewandelt hat, konnte er's doch auch das drittemal tun.«

»Warum tat er's dann nicht?« Spranger mußte die Frage zweimal wiederholen, bevor Eisenlohr, in Nachdenken versunken, ihn hörte, mußte auch dann noch warten, bis eine Antwort kam.

»Verschiedene Möglichkeiten sind denkbar, William. Laß mir Zeit zum Überlegen. Vielleicht werde ich dir schon bald sagen können, wie die Dinge liegen.«

»Bald? Wann, Eisenlohr?«

»Vielleicht schon morgen.«

»Zu spät, hier geht es um Stunden. Bigot drängt zum Abschluß. Was soll ich tun?«

»Drahte eine Warnung an Kelly und bleibe hier, bis ich dir Genaueres sagen kann.«

»Ich bewundere deine Ruhe, Eisenlohr.« Spranger zitterte vor Ungeduld.

»Ruhe ist viel wert, mein lieber William. Übrigens, wie hieß euer Experte?«

»Mister Percy Hartford aus Schenektady, New York.«

Eisenlohr notierte sich den Namen. »So. Den Herrn wollen wir uns auch mal etwas genauer ansehen. Ich werde mir von Reinhard eine Auskunft über ihn erbitten ...«

»Reinhard ... immer wieder Reinhard! Ist der Hauptmann denn an einem Auskunftsbüro beteiligt?« unterbrach ihn Spranger.

»So etwas Ähnliches ist es wohl, William, er wird mich jedenfalls schnell und zuverlässig bedienen.«

Eisenlohr erhob sich und sah nach der Uhr. »Du hast schönes Wetter mitgebracht, William, ich rate dir, einen Spaziergang durch den Wald zu machen. In anderthalb Stunden wollen wir zusammen essen.«

* * *

Am Vormittag des gleichen Tages, an dem Spranger wieder bei Eisenlohr erschien, waren Bigot und Hartford in der Rue Saint Antoine zusammen. Die Zigarette wollte dem Franzosen nicht schmecken, mißmutig zerdrückte er sie im Aschenbecher, sprang auf, lief unruhig durch das Zimmer und stieß abgebrochene Sätze heraus.

»Doktor Bruck läßt nichts von sich hören. Der eine von den Amerikanern ist wieder nach Deutschland geflogen ... der andere muß sich's noch überlegen ... will warten, bis sein Partner zurück ist ... Es geht nicht, Hartford, wir können nicht länger warten. Unsere Mittel sind erschöpft.« Er blieb vor Hartford stehen. »Es muß sofort etwas geschehen, oder es gibt eine Katastrophe.«

»Sie hätten es nicht so weit kommen lassen sollen«, sagte Hartford phlegmatisch.

»Ihre Ruhe macht mich noch wahnsinnig!« schrie ihn Bigot an. Hartford steckte die Hände noch tiefer in die Hosentaschen.

»Etwas leiser, Bigot! Es ist nicht notwendig, daß Ihr Diener draußen hört, was wir hier zu besprechen haben. Spranger ist nach Deutschland gegangen; im Augenblick haben wir's nur mit Kelly zu tun. Ich halte Spranger für den Gefährlicheren von den beiden.

»Sie haben doch gehört, daß Kelly sich ohne seinen Partner nicht entscheiden will«, fiel ihm Bigot ins Wort.

»Nonsens! Wir wissen, daß er Feuer gefangen hat. Rücken Sie ihm auf den Pelz! Bluffen Sie ihn! Wenn Sie's geschickt machen, wird er ohne seinen Partner abschließen.«

»Er wird mich gar nicht empfangen, bevor Spranger da ist«, warf Bigot ein. Gemächlich zog Hartford seine Hände aus den Taschen und kam aus seinem Sessel allmählich in die Höhe. Kommen Sie mit«, forderte er Bigot auf, »damit Sie gleich hören, was ich Kelly sage; ich werde ihn jetzt anrufen. Danach werden Sie zu ihm gehen und von ihm empfangen werden.« –

Bigot wischte sich die Stirn, als Hartford den Hörer wieder auflegte. »Sie haben viel riskiert, Hartford«, sagte er schwer atmend, »wenn Kelly ablehnte, war alles verloren.«

»Er hat nicht abgelehnt, Bigot. Fahren Sie jetzt zu ihm und verhandeln Sie so, wie ich es Ihnen sage.« –

»Ich lasse bitten«, sagte James Kelly, als ihm zwanzig Minuten später Monsieur Bigot gemeldet wurde.

»Die Mitteilung Mister Hartfords kommt mir völlig unerwartet«, empfing Kelly den Eintretenden.

Bigot fühlte seinen Mut wieder sinken, als er die grauen, von buschigen Brauen überschatteten Augen Kellys auf sich gerichtet sah. Cr vermochte die Zuversicht Hartfords, daß der Seniorpartner der Firma Kelly and Company bereits innerlich für ihre Sache gewonnen sei, nicht ohne weiteres zu teilen. »Der Funkspruch aus Schenektady kommt auch mir überraschend«, begann er stockend. »Ich hatte vor Monaten Verhandlungen, hatte sie als aussichtslos abgebrochen. Jetzt kommt der Konzern darauf zurück und will eine Option von mir haben. Mister Hartford hielt es für richtig, Sie sofort darüber zu orientieren.«

Kelly bot seinem Besucher einen Stuhl an, während er etwas Unwilliges, Unverständliches vor sich hin knurrte.

»Die Sache kommt mir reichlich verquer, Monsieur Bigot«, sprach er weiter, »mein Partner will sich noch mit einem Wissenschaftler in Deutschland beraten. Davon soll unsere Entscheidung abhängen ...«

Bigot erinnerte sich an die Instruktionen, die Hartford ihm mit auf den Weg gegeben hatte.

»Das verstößt gegen unsere Abmachung«, begann er mit gespieltem Unwillen, »Sie und Mister Spranger haben sich zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet.«

James Kelly warf Bigot einen Blick zu, unter dem diesem reichlich unbehaglich wurde.

»Mit der Geheimhaltung scheint es nicht weit her zu sein«, erwiderte er abweisend. »Die deutschen Freunde meines Partners waren bereits genau unterrichtet, bevor er selber ihnen noch ein Wort gesagt hatte.«

»Wie ist das möglich?« fuhr Bigot auf.

»Von uns hat niemand etwas erfahren«, wehrte Kelly kühl ab. Bigot fühlte, daß er den Hebel woanders ansetzen müsse, um weiterzukommen.

»Ich muß eine Antwort auf den Funkspruch geben«, begann er, brach ab, als er das Mienenspiel Kellys sah, wollte wieder etwas sagen, als es klopfte. Ein Hotelpage kam herein und überreichte Kelly eine Depesche. Der riß sie auf und las. Mit Luchsaugen blickte Bigot von seinem Platz aus auf das Blatt. Soviel er zu erspähen vermochte, kam das Telegramm aus Deutschland. Für sein Leben gern hätte er gewußt, was auf der andern Seite stand, doch das konnte nur Kelly lesen.

»Betrug so gut wie sicher. Ich bleibe bis zur Aufklärung noch hier. William Spranger.« stand dort geschrieben.

Minutenlang las Kelly die wenigen Worte wieder und immer wieder, während die Unruhe Bigots aufs höchste stieg. Ein ungünstiges Urteil aus Deutschland mußte den von Hartford ausgeheckten Plan über den Haufen werfen.

Endlich schien Kelly mit sich im reinen zu sein. Langsam faltete er die Depesche zusammen und steckte sie in seine Brusttasche. Abwechselnd heiß und kalt wurde es Bigot unter den Blicken, mit denen er ihn dabei betrachtete.

»Schenektady will also auch eine Option von Ihnen?« fragte der Amerikaner.

»Jawohl, Mister Kelly.« Nur unsicher brachte Bigot die Antwort heraus.

»Ich wäre bereit, Monsieur Bigot, eine ... eine ... ich möchte sagen ... eine Voroption zu nehmen. Ich müßte es bei der Abwesenheit meines Partners auf mein eigenes Risiko tun.«

Bigot faßte wieder Hoffnung. »Wollen Sie, bitte, Ihren Vorschlag genauer präzisieren, Mister Kelly?«

»Ich denke so, Monsieur Bigot: Nach Schenektady funken Sie ausweichend. Unsere Verhandlungen bleiben auf dem jetzigen Stand, bis Mister Spranger zurück ist ...«

»Schenektady könnte mir darüber verlorengehen, Mister Kelly.«

»Für das Risiko will ich Sie bezahlen. Wieviel verlangen Sie, Monsieur Bigot?«

Bigot raffte sich zusammen. »Wir sprachen von einer Million ...

Kelly lachte kurz auf. »Sie scherzen, Sir. Wir sprechen nicht von einer Option, sondern – ich sagte es bereits – von einer Voroption. Ich würde Ihnen dafür einen Scheck über fünfzigtausend Dollar ausschreiben.«

Bigot preßte unter der Tischkante die Nägel in seine Handballen. Fünfzigtausend Dollar ... sehr wenig, wenn man auf eine Million ausging ... viel, wenn einem das Messer so wie jetzt an der Kehle saß. Sollte er ablehnen? Sollte er zugreifen? Während er von Zweifeln hin und her gerissen wurde, griff Kelly nach Feder und Papier und begann, einen Vertrag zu entwerfen. Als Bigot immer noch unschlüssig aufblickte, schob er ihm das Blatt hin und legte sein Scheckbuch daneben.

»Wenn Sie Ihren Namen dorthin setzen, Monsieur Bigot, können Sie einen Barscheck über fünfzigtausend Dollar mitnehmen. Die Bankschalter sind bis zwei Uhr geöffnet.«

Fünfzigtausend ... Die Zahl klang Bigot in den Ohren, während er an drängende Gläubiger und demnächst fällige Wechsel denken mußte.

»Der Hauptvertrag!« Er flüsterte die Worte mehr als er sie sprach.

»Darüber reden wir, Monsieur Bigot, wenn Mister Spranger zurück ist. Die fünfzigtausend Dollar bekommen Sie dafür, daß Sie Schenektady bis dahin vertrösten.«

Bigot schrieb seinen Namen unter den Vorvertrag und griff nach dem Scheck. »Ich bitte aber auch weiterhin um volle Verschwiegenheit«, sagte er beim Fortgehen.

»Selbstverständlich, Monsieur Bigot«, rief ihm Kelly nach.

Bigot war noch nicht lange fort, als James Kelly ein anderer Besucher gemeldet wurde: Monsieur Lorrain, ein Börsenmakler, dem James Kelly ziemlich regelmäßig Aufträge zu geben pflegte.

»Mister Kelly wird gleich zu Ihrer Verfügung stehen. Wollen Sie sich ein kurzes Weilchen gedulden, mein Herr«, sagte der Page, der den Makler in Kellys Zimmer führte.

Monsieur Lorrain ließ sich in einen Sessel nieder und vertrieb sich die Zeit damit, die Gemälde an den Wänden zu betrachten. Mr. Kelly war offenbar noch in seinem nebenan befindlichen Schlafzimmer beschäftigt, dessen Tür nur leicht angelehnt war. Der Makler hörte ihn dort am Telephon sprechen und wollte sich bemerkbar machen, unterließ es aber, weil das Gespräch, das der Amerikaner führte, ihn plötzlich höchlichst zu interessieren begann. Er beugte sich vor, um besser lauschen zu können, und sog jedes Wort gierig ein.

»Ja, die Sache ist heute perfekt geworden«, hörte er Kelly sagen. »Sofort alle südafrikanischen Goldpapiere abstoßen ... sofort abstoßen ... um jeden Preis ... Sowie etwas bekannt wird, stürzen die Kurse ins Bodenlose ... ich kann hier am Telephon nicht mehr sagen. Man kann nie wissen, ob nicht jemand mithört.« Unwillkürlich mußte Monsieur Lorrain nicken. »Natürlich handelt es sich um die Sache Bigot ... Funken Sie gleich per Code an Smith und Blacksmith in New York. An der Frühbörse muß dort verkauft werden ... jawohl, verkaufen Sie blanko ...

Monsieur Lorrain segnete den glücklichen Zufall, der ihn dies Gespräch mit anhören ließ; aber es schien ihm zweckmäßig, Kelly von seiner Mitwisserschaft nichts ahnen zu lassen. Jetzt merkte er, daß das Gespräch sich seinem Ende näherte. Er hatte auch genug gehört. Auf den Fußspitzen schlich er zur Tür hin und zog sie geräuschlos ins Schloß. Als Kelly in den Wohnraum kam, saß der Makler wieder in seinem Sessel, so sehr in die Betrachtung eines Watteau vertieft, daß er sich erst zu Kelly hinwandte, als der ihn ansprach.

Es war keine große Order, die Kelly ihm heute zu geben hatte, und Monsieur Lorrain hielt sich nicht lange auf. Er hatte Eile, fortzukommen, um das soeben Gehörte an der Pariser Mittagsbörse für sich selber auszumünzen.

* * *

Aus den vierundzwanzig Stunden, die Spranger ursprünglich auf der Eulenburg bleiben wollte, waren bereits drei Tage geworden, ohne daß es Eisenlohr bisher gelungen war, das Rätsel zu lösen, das der Amerikaner ihm mit den drei Proben Bigots aufgegeben hatte. Immer wieder kam er zwangsläufig zu dem gleichen Schluß: Der Mann kann etwas. Er hat auf dem Gebiet der Metallumwandlung das gleiche erreicht wie wir hier. Warum aber in drei Teufels Namen hat er dann beim drittenmal betrogen?

Auch an diesem Vormittag konnte er Spranger, der ihm in seinem Arbeitszimmer gegenüber saß, nichts anderes sagen. Noch einmal ließ er sich von ihm genau den Gang der Versuche erzählen. Eine große Elektronenröhre ... das Einlegen der Bleiplatte in die elektrooptische Bank ... danach das Einschalten der Hochspannung ... Er hatte es schon mehr als einmal gehört, heute wurde er plötzlich stutzig.

»Du sprichst vom Einschalten der Spannung«, unterbrach er Spranger. »Vorher mußte Bigot doch Kühlung auf die Röhre geben.«

»Davon habe ich nichts gesehen«, sagte Spranger.

»Du hast es vielleicht übersehen, William?«

»Ausgeschlossen, Eisenlohr. Das wäre mir nicht entgangen. Ich habe doch die Kühlung hier an deinen Apparaten gesehen. Die Röhre Bigots ist überhaupt etwas anders als deine. Kleiner und einfacher, meine ich ...«

Eisenlohr schrieb Zahlen aus ein Blatt Papier; machte eine Rechnung auf, warf danach den Bleistift hin und preßte seine Fäuste gegen die Stirn.

»Er hat bestimmt keine Kühlung«, unterbrach Spranger das Schweigen.

»Unmöglich, William! Bei dieser Elektronengeschwindigkeit ... die Röhre mußte ihm in Sekunden zusammenschmelzen.«

Wieder griff Eisenlohr zum Bleistift. Längere Zeit dauerte diesmal seine Rechnung. Endlich ließ er den Stift sinken.

»Nun, was hast du gefunden?« fragte Spranger. Eisenlohr deckte die Hand über die Augen und sprach mehr zu sich selbst als zu Spranger.

»Jene leicht verfärbten Platten hätte Bigot allenfalls auch mit einer ungekühlten Röhre zustande bringen können ... niemals aber diese Proben hier. Es ist unmöglich, daß er sie selbst erzeugt hat. Mag der Himmel wissen, wo er sie her hat!«

»Aber es sind doch die Bleiplatten, die ich ihm für den Versuch gab, die gleichen Platten, die ich hier von dir bekam. Der Stanzschnitt beweist es doch. Wie willst du das erklären?«

Eisenlohr richtete sich auf. »Ich würde sagen, daß er sie bei uns gestohlen hätte ... aber das ist ja unmöglich. In unser Laboratorium kommt kein Dieb hinein ... und wenn er doch hineinkäme, er käme nicht wieder lebendig heraus ... Nein, so geht es nicht. Wir werden eine andere Erklärung finden müssen. Ich brauche noch Zeit, William. Das Rätsel ist schwerer, als ich glaubte. Laß uns zusammen ein wenig ins Freie gehen. Vielleicht kommt uns dort ein guter Gedanke ...«

Wohl eine halbe Stunde ging Eisenlohr, von Spranger begleitet, kreuz und quer durch den Wald. Bald machte er so lange Schritte, daß der Amerikaner Mühe hatte, ihm zu folgen, bald wieder blieb er, in Nachdenken versunken, vor irgendeinem Busch oder Strauch stehen. Auf Umwegen näherten sie sich schließlich wieder dem Hauptweg, und hier am Straßenrand tat Eisenlohr zum erstenmal wieder den Mund auf.

»Er muß es doch bei uns gestohlen haben! Eine andere Lösung gibt's nicht!« Kurz und rauh stieß er die Worte hervor. Noch suchte Spranger nach einer Erwiderung, als ein herankommender Kraftwagen ihre Aufmerksamkeit erregte. Dicht bei ihnen hielt der Wagen, am Steuer saß Reinhard.

»Hallo, Captain!« begrüßte ihn Spranger nach Yankeemanier, während Eisenlohr die kurze Zeit benutzte, seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben.

»Ich treffe die Herren beim Spaziergang. Sehr richtig von Ihnen, Herr Doktor, daß Sie auch mal an die frische Luft gehen«, nahm Reinhard die Unterhaltung auf. »Nach unserer Verabredung wollte ich eigentlich erst telephonisch anrufen, aber die Sache war mir so wichtig, daß ich es vorzog, selber zu kommen. Wollen wir hier sprechen oder zu Ihnen hinaufgehen?«

Eisenlohr deutete auf eine steinerne Bank neben dem Wege. »Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir hier. Wir sind hier ganz ungestört.« Während sie Platz nahmen, fragte Eisenlohr:

»Sie haben vermutlich eine Auskunft über den von mir angefragten Mister Hartford bekommen?«

»Ja und nein, wie man's nimmt, Herr Doktor. Sie fragten nach einem Professor Percy Hartford aus Schenektady.«

»Ganz recht, Herr Hauptmann.«

»Ja, da muß ich Ihnen leider eine Enttäuschung bereiten. Den gibt es nicht.«

»Aber ich habe den Professor doch in Paris kennengelernt!« mischte sich Spranger ein.

»Stop, William!« brachte ihn Eisenlohr zum Schweigen.

»Es gibt in Schenektady einen Professor James Hartford, der dort ein Hochspannungslaboratorium leitet«, fuhr Reinhard fort. »Aber der ist heute noch dort, also können Sie ihn kaum in Paris gesprochen haben. Außerdem hat es ebenfalls in Schenektady einen Percy Hartford gegeben, der als Techniker im Laboratorium seines Namensvetters tätig war. Der ist vor zwei Monaten unter Mitnahme einiger nicht gerade billiger Platinschalen in der Richtung Europa verschwunden. Den könnten Sie allenfalls in Paris kennengelernt haben, Mister Spranger.«

Bei jedem Wort, das Reinhard sprach, war das Gesicht Sprangers länger geworden. Staunen und maßlose Verblüffung malten sich so drastisch darin, daß Eisenlohr auflachen mußte. Wie ein Fisch auf dem trockenen schnappte der Amerikaner ein paarmal nach Luft, ehe er zum Reden ansetzte.

»Er hat mir doch aber sein Diplom gezeigt. Ich habe es mir genau angesehen. Auf ›Herrn Professor Doktor Percy Hartford‹ lautete es. Ein schweres Universitätssiegel befand sich neben den Unterschriften auf dem Dokument. Ich kann nicht glauben, daß Ihre Informationen zutreffend sind, Herr Hauptmann.«

»Meine Informationen sind richtig, Mister Spranger. Es gibt Institute, man könnte fast sagen Fabriken, die derartige Diplome gegen entsprechende Bezahlung kunstvollendet liefern. Mister Percy Hartford wird die Dienste einer dieser Anstalten in Anspruch genommen haben, um in Paris mit dem nötigen Nimbus auftreten zu können.«

»Verdammt!« Spranger stand in seiner Erregung auf. »Wenn das wirklich so wäre ...«

»... hätte Mister Kelly sich nicht gerade die geeignete Persönlichkeit als Experten gewählt«, vollendete Reinhard.

»Es muß etwas geschehen! Sofort, Eisenlohr!« Hilfe suchend blickte Spranger seinen Freund an.

»Ich fürchte fast, es wird dazu bereits zu spät sein«, fuhr Reinhard fort. »Ich bekam inzwischen weitere Nachrichten aus Paris, die mich veranlaßten, selber hierher zu kommen. In den letzten Tagen muß es Bigot und Hartford gelungen sein, Ihren Partner während Ihrer Abwesenheit zu überrumpeln, Mister Spranger. Er hat die Bigotsche Erfindung angekauft. Gerüchtweise wird von einer sehr hohen Kaufsumme gesprochen. Es wurde ein Preis von einer Million Dollar genannt..

»Unfaßbar! Wie konnte Kelly das in meiner Abwesenheit tun!« Spranger griff sich verzweifelt an den Kopf. »Eine Million für einen Humbug wegzuwerfen ... Wissen Sie sicher, daß es so ist, Herr Hauptmann, oder handelt es sich hier nur um Gerüchte?«

Reinhard zuckte die Achseln. »Die Pariser Blätter sind voll davon, Mister Spranger. Hier, bitte«, er zog eine Zeitung aus der Tasche. »Ich habe Ihnen den ›Temps‹ von gestern mitgebracht. Da, sehen Sie die Überschriften! ›Amerikanischer Millionär kauft französische Erfindung‹ ... Hier weiter: ›Kaufpreis eine Million Dollar.‹ Hier noch ein anderer Aufsatz über das gleiche Thema. Sie sehen wohl, daß das mehr als Gerüchte sind.«

William Spranger fühlte seine Knie wanken. Erschöpft ließ er sich auf die Bank fallen. Wenn auch nur die Hälfte von dem zutraf, was in der französischen Zeitung stand, dann hatte sein Partner eine unverzeihliche Dummheit begangen und die gemeinsame Firma schwer geschädigt, so schwer vielleicht, daß sie liquidieren mußte. Unbegreiflich, daß das einem Mann wie Kelly passieren konnte. Mit welchen Mitteln mochten die Schwindler gearbeitet haben, um den klugen Kaufmann so hereinzulegen?

In sein Sinnen klang eine Frage Eisenlohrs an Reinhard:

»Wie hat die Nachricht auf die Börsen gewirkt, Herr Hauptmann?«

Reinhard blätterte weiter in der Zeitung und schlug den Kurszettel auf, deutete mit dem Finger auf Stellen, wo anstatt der Zahlen nur Striche vorhanden waren.

»Hier können Sie es sehen, Herr Doktor. Eine schwere Baisse in Goldminenwerten ist ausgebrochen. Schon vor zwei Tagen hat es namentlich in den südafrikanischen Goldpapieren Kursrückgänge bis zu fünfzig und mehr Punkten gegeben. Gestern muß die Stimmung an den Börsen geradezu panikartig geworden sein. Man hat für manche Werte überhaupt keine Kurse mehr notiert. Während der letzten drei Tage dürften Vermögenswerte in Milliardenhöhe verlorengegangen sein. Die Schuld daran muß zweifellos auf das Konto von Monsieur Bigot geschrieben werden.«

Eisenlohr legte Spranger die Hand auf die Schulter. »Erinnerst du dich an das, William, was ich dir vor wenigen Tagen sagte? Wörtlich ist es in Erfüllung gegangen. Unruhe, Verwirrung der Märkte ... Millionenverluste, und das bereits auf eine erste unbestimmte Nachricht hin. Wie würde es erst werden, wenn Monsieur Bigot wirklich könnte, was er versprochen hat?«

Spranger rang nach Fassung und raffte sich zu einem Entschluß auf.

»Ich muß sofort wieder nach Paris, muß zu retten versuchen, was noch zu retten ist.«

»Viel wird nicht mehr zu machen sein«, sagte Reinhard.

»Die Million will ich retten!« fuhr Spranger auf. »Unser gutes Geld will ich den Schwindlern wieder abnehmen. Es muß doch Mittel und Wege dazu geben!«

Reinhard machte eine zweifelnde Bewegung.

»Halten Sie es nicht für möglich, Herr Hauptmann?« fragte Spranger hastig.

»Ich weiß es nicht, Mister Spranger. Die französische Justiz arbeitet anders als die deutsche. Vielleicht haben auch die Herren Bigot und Hartford mit ihrer Beute schon das Weite gesucht.«

»Ganz egal – ich muß sofort nach Paris!« beharrte Spranger eigensinnig auf seinem Entschluß.

»Ich kann Ihren Wunsch verstehen«, kam ihm Reinhard zu Hilfe. »Was hier auszurichten war, habe ich bestellt. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Sie mit meinem Wagen zum Flugplatz.«

* * *

An dem gleichen Vormittag, an dem Eisenlohr und Spranger am Burgweg die Unterredung mit Reinhard hatten, standen Dr. Holthoff und Professor Braun in dem Basaltkeller der Burg und beobachteten die Weiterentwicklung verschiedener durch die ultrafrequente Strahlung belebter Gelatineproben in der Wärme des großen Brutschrankes.

»Ein Zweifel ist nicht mehr möglich, Herr Kollege«, sagte Professor Braun nach einer längeren Untersuchung. »Diese durch Menschenwitz geschaffenen Zellen teilen und vermehren sich hier selbsttätig weiter.«

»Ich habe es kaum anders erwartet, Herr Professor«, bestätigte Holthoff die Worte Brauns. »Aber ich glaube, bei einer dauernden Einwirkung der Strahlung würde die Vermehrung noch schneller vor sich gehen.«

»Das könnte wohl sein, Herr Holthoff, aber nach meiner Meinung wäre es nicht so beweiskräftig als das, was wir hier sehen«, nahm Braun den Gedanken auf. »Das ist ja gerade das Fundamentale an Ihrer Entdeckung, daß diese organischen Gebilde auch nach dem Aufhören der Strahlung, durch die sie erschaffen wurden ... von Menschenhand erschaffen, Herr Holthoff ... aus eigener Kraft weiterleben und weiterwachsen. Schade, daß Herr Eisenlohr nicht hier ist, um das selber zu sehen! Es müßte doch eine große Freude für ihn sein.«

Holthoff machte eine zustimmende Bewegung. »Gewiß, Herr Professor. Leider ist er die letzten Tage stark durch Mister Spranger in Anspruch genommen worden. Einstweilen müssen Sie mit meiner Assistenz vorliebnehmen.«

Professor Braun verbarg seinen Mißmut nicht. »Ich empfinde diesen Amerikaner nachgerade als ein störendes Element«, meinte er unwillig. »Wenn wir im besten Experimentieren sind, platzt der Mann unangemeldet herein, nimmt Eisenlohr in Beschlag und hält unsere Arbeiten auf. Wenn er wenigstens noch einen vernünftigen Grund dafür hätte; aber soviel ich davon gehört habe, handelt es sich doch um eine schwindelhafte Sache, für die ein ernsthafter Wissenschaftler nicht fünf Minuten vergeuden sollte. Ach was, Doktor, unsere Zeit ist auch zu schade für solchen Humbug! Wir wollen lieber die nächsten Proben untersuchen.« –

Während Eisenlohr nach der Abfahrt von Reinhard und Spranger allein den Burgweg hinaufschritt, waren seine Gedanken nicht wesentlich von denen verschieden, die Braun zur gleichen Zeit Holthoff gegenüber aussprach.

Allzusehr hatte er während der letzten Tage seine eigenen Angelegenheiten Spranger zuliebe vernachlässigen und wichtige Untersuchungen seinen Assistenten überlassen müssen. Die Möglichkeit, jetzt wieder selber ruhig und ungestört arbeiten zu können, erfüllte ihn mit Befriedigung. Von solchen Gefühlen bewegt, ging er über den Burghof auf sein Laboratorium zu; er blieb einen Augenblick stehen, als das Geräusch arbeitender Maschinen aus den Kellerräumen her an sein Ohr drang. Ventiltacken verriet, daß die große Kältemaschine in Betrieb war.

Braun und Holthoff sind wohl bei neuen Versuchen, ging es ihm durch den Sinn, während er die Treppe zum Laboratorium hinaufstieg. Ich bin neugierig, was sie inzwischen ausgerichtet haben. Vorsichtig öffnete er die Tür, um die beiden möglichst wenig zu stören ... und sah, daß seine Annahme irrig war. Der Professor und Dr. Holthoff waren nicht im Laboratorium. Nur Bruck stand bei der elektrooptischen Bank und experimentierte mit der großen Strahlröhre. Über die Bank gebeugt, war er so in seine Arbeit versunken, daß er das Hereinkommen Eisenlohrs nicht bemerkte.

Befremdet blieb Eisenlohr stehen. Vergeblich suchten seine Augen in der Apparatur nach einer Gelatineprobe. Was hatte Bruck denn für einen Versuch vor? Lautlos ging er nach kurzem Beobachten näher heran, ein Blick auf die Meßinstrumente zeigte ihm, daß Bruck mit Spannungen und Strömen arbeitete, die für einen Gelatineversuch überhaupt nicht in Betracht kommen konnten. Der Verdacht, daß sein Assistent anderen, nicht aus dem Arbeitsplan stehenden Dingen nachging, wurde in ihm wach und fand seine Bestätigung, als er endlich dicht neben ihm an der Bank stand.

Bruck hatte eins jener schon öfter erwähnten Bleiplättchen in die Bank geschoben und ließ die Strahlung darauf wirken. Zusehends wandelte sich die dunkle Bleifarbe unter ihrem Einfluß in schimmerndes Goldgelb; nicht mehr auf einen kleinen Mittelteil beschränkte sich die Veränderung, fast bis zum Rand hin ging sie. Gegenüber jenen Proben, die Eisenlohr bei seiner neuerlichen Unterredung mit Spranger diesem zeigte, war ein beträchtlicher Fortschritt unverkennbar.

Jetzt schien der Versuch zu Ende zu gehen. Dr. Bruck richtete sich auf, um den Strom abzuschalten. Er schrak zusammen, als er Eisenlohr neben sich erblickte. Der griff schweigend nach einem Protokollbuch, das neben der optischen Bank lag, und blätterte darin. Im Gegensatz zu den sonst im Laboratorium gebräuchlichen Büchern war es nur ein kleines Oktavheft, in dem Dr. Bruck diese Versuche und ihre Ergebnisse notiert hatte, nach Format und Stärke durchaus geeignet, unauffällig in einer Nocktasche zu verschwinden.

Immer noch schweigend legte Eisenlohr das Heft wieder hin und sah Bruck durchdringend an. Dem wurde unbehaglich unter dem Blick. Er wollte etwas sagen, als Eisenlohr ihm zuvorkam:

»Herr Doktor Bruck, ich habe angeordnet, daß diese Versuche nicht weiter fortgesetzt werden sollen. Ich bitte Sie, sich künftig an meine Bestimmungen zu halten.«

Bruck bekam einen roten Kopf und fand nun auch Worte. »Verzeihung, Herr Doktor! Diese Atomumwandlung interessierte mich privat. Ich dachte, wenn die Röhre nicht anderweitig benutzt wird, könnte ich –«

»Nein, Herr Doktor Bruck! Wir müssen unsere Röhren schonen. Wir haben noch Hunderte von Gelatineversuchen vor, die viel wichtiger sind als diese Spielerei.«

»Spielerei, Herr Doktor!? Ich glaube doch, daß das hier«, er nahm das goldig schimmernde Plättchen aus der Bank, »wichtiger ist als alle Gelatineversuche ...«

»Da glauben Sie etwas Falsches, Herr Doktor Bruck!« fiel ihm Eisenlohr scharf ins Wort. »Ich bitte Sie, sich strikt an meine Anweisungen zu halten! – Wissen Sie, wo die Herren Braun und Holthoff sind?«

Bruck fühlte, daß es zu einer scharfen Auseinandersetzung, ja vielleicht zu einem sofortigen Bruch kommen würde, wenn er noch weiter auf seiner Meinung bestand.

»Herr Professor Braun und Herr Doktor Holthoff arbeiten am Brutschrank«, antwortete er, froh, das Thema wechseln zu können. »Die Herren beobachten das Wachstum der zuletzt erzeugten Zellen.«

»Ah! Die Zellen wachsen im Schrank weiter?« fragte Eisenlohr mit Interesse. Auch er schien über diese Mitteilung den eben beendeten Streit vergessen zu haben.

»Die Zellen wachsen und teilen sich, Herr Eisenlohr«, bestätigte Bruck seine Frage.

»Danke, Bruck, das muß ich selbst sehen.« Eisenlohr ging an die Treppe, die in den Basaltkeller hinunterführte. Bruck schaute ihm nach, bis sich die eiserne Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann änderten sich seine Haltung und Miene mit einem Schlage. Eben noch stand er wie das verkörperte schlechte Gewissen da. Jetzt warf er nach der Richtung, in der Eisenlohr verschwunden war, einen Blick, in dem offene Feindseligkeit lag.

»Bist doch zu spät gekommen, du Narr!« flüsterte er vor sich hin, steckte das Protokollheftchen in seine Brusttasche, griff in eine andere Tasche und holte ein gutes Dutzend runder Platten heraus, die ganz und gar aus schimmerndem Gold zu bestehen schienen. Klingend ließ er sie von der einen Hand in die andere fallen, während seine Lippen weiter Worte formten:

»Spielereien nennt er das? Spielerei ist ihm die Umwandlung von gemeinem Blei in lauteres Gold? Nur seine elende Leimsiederei will er gelten lassen? ... Mag er damit glücklich werden ... um so besser, wenn er nicht mitmacht. Monsieur Bigot denkt Gott sei Dank anders darüber. Ich weiß, was ich zu tun habe ...«

Noch einmal schüttete Bruck die schimmernden Scheiben auf den Handteller seiner Rechten. Sie wogen nicht leicht. Einen Wert von tausend Mark etwa mochte dies Häufchen Gold haben, das er in wenigen Freistunden durch die Ultrastrahlung erzeugt hatte.

Er ließ die Plättchen in seine Tasche zurückgleiten, sprach dabei weiter vor sich hin. »Eine Spielerei, Herr Doktor Eisenlohr – meinetwegen. Aber dann eine Spielerei, die sich jedenfalls besser lohnt als Ihre brotlosen Künste ... Tausend Mark in wenigen Stunden – nicht tausend Pfennige wird man für die Schleimwesen in Ihren Reagenzgläsern geben ...«

Er hörte Schritte auf der vom Keller her nach oben führenden Treppe, verließ das Laboratorium und zog sich in sein Zimmer zurück. Ein wenig später saß er am Schreibtisch und war mit der Abfassung eines Briefes an Monsieur Bigot beschäftigt.

Gleich bei seiner Ankunft auf dem Pariser Flugplatz hatte Spranger sich an französischen Zeitungen gekauft, was er bekommen konnte. Auf der Fahrt zum Hotel durchflog er sie, und was er darin fand, übertraf seine finstersten Vermutungen. Aufgeregt stürmte er in das Zimmer Kellys, hielt ihm die Zeitungen hin, schrie ihn an.

»Wie konnten Sie das tun, Kelly? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen!?«

James Kelly sog gemächlich an seiner Shagpfeife, stieß ein paar Rauchwolken aus und ließ sich von der Aufregung seines Partners nicht anstecken. Um so erregter wurde der.

»Ich habe Ihnen doch gedrahtet, Kelly! Haben Sie meine Depesche nicht bekommen?«

Kelly nickte und griff in seine Tasche. »Doch, Spranger, hier ist sie.«

»Und trotzdem haben Sie mit Bigot abgeschlossen? Einem Schwindler eine Million in den Rachen geworfen?«

»Keine Million, Spranger – nur fünfzigtausend Dollar!«

Spranger atmete erleichtert auf. Fünfzigtausend Dollar waren zwar auch Geld, aber schließlich konnte die Firma den Verlust verschmerzen.

»Nur fünfzigtausend, Kelly?« fuhr er etwas ruhiger fort. »Und hat Bigot sich darauf eingelassen?«

»Er mußte wohl. Das Messer saß ihm an der Kehle.«

»Aber Sie, Kelly? Warum haben Sie das getan? Sie mußten doch wissen, daß wir es mit einem Schwindler zu tun haben?«

»Natürlich wußte ich das. Spranger. Vermutet hatte ich es bereits nach dem letzten Versuch Bigots. Ihr Telegramm gab mir die volle Gewißheit. Daraufhin entschloß ich mich, zu handeln.«

Spranger warf sich in einen Sessel und sah seinen Partner verständnislos an. Der stieß mächtige Rauchwolken in die Luft und belustigte sich an dem Erstaunen des andern. »Ich begreife Sie nicht!« stöhnte Spranger. »Haben Sie auch an die Blamage gedacht? Die Zeitungen werden nicht schlecht über Sie herfallen, wenn der Schwindel 'rauskommt. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie die sich über Sie auslassen werden. ›Alter Wallstreet-Mann von Gaunerpaar 'reingelegt!‹ wird's in den Schlagzeilen heißen, und vielleicht wird noch Schärferes über Sie in den Blättern stehen ...«

Kelly rieb sich die Hände. »Hoffentlich, Spranger! Je eher und gröber, desto besser. Ich glaube selber, daß es für die Burschen in den Redaktionen ein gefundenes Fressen sein wird. Sie werden mich gehörig abledern, davon bin ich heut schon überzeugt!«

Spranger griff sich an die Stirn. War sein Partner plötzlich erkrankt? Sprach er im Fieber? Hatte er es mit einem Unzurechnungsfähigen zu tun?

»Haben Sie nicht an Ihren guten Ruf gedacht, Kelly?« fragte er vorsichtig. »Ich fürchte, man wird Sie nach dieser Affäre in Wallstreet nicht mehr für voll nehmen. Es wird unseren amerikanischen Geschäften schwer Abbruch tun!«

»Sind Sie jetzt fertig?« fragte Kelly, als William Spranger endlich eine Pause machte. »Gut! Dann merken Sie sich eins: Wer James Kelly 'reinlegen will, muß etwas früher aufstehen als die Herren Bigot und Hartford. Ich merke, Sie verstehen mich immer noch nicht. Dann sehen Sie sich mal, bitte, das Orderbuch hier an.«

Er schob Spranger ein Buch hin. Der schlug es auf und wurde blaß, während er darin blätterte. Verstört ließ er es sinken.

»Um des Himmels willen, Kelly! Was haben Sie getan? Diese Ordres – Millionen und nochmals Millionen – ein Mehrfaches unseres Kapitals – schwache Deckung! Gehen die Kurse noch zehn Punkte zurück, dann sind wir erledigt! Mein Gott! Wie konnten Sie nur ...!«

»Die Kurse werden nicht weiter fallen. Ich habe richtig beim tiefsten Stand gekauft.«

»Sie mögen es glauben, Kelly. Aber wenn Sie sich irren?«

»Ich irre mich nicht. Seit gestern ist bereits eine Beruhigung des Marktes zu merken. Morgen, spätestens übermorgen werden meine Bomben platzen. Die Presse wird programmgemäß über Old Kelly herfallen, und gleichzeitig wird an allen Börsen ein Boom in Goldpapieren ausbrechen. Alle, die Minenaktien gefixt haben, werden sich eindecken müssen.«

Spranger hielt sich die Ohren zu. »Hören Sie auf! Wenn und wenn und nochmals wenn! Und wenn's andersrum geht, sind wir fertig! Ich fürchte, Kelly, Sie sind zu hart an den Wind gesegelt!«

»Zu hart nicht. Spranger. Hart 'ran – meinetwegen. Es war notwendig, wenn das Geschäft sich lohnen sollte. Vernünftigerweise dürfen wir annehmen, daß die Goldwerte ihren früheren Kurs wieder erreichen. Wahrscheinlich werden sie ihn vorübergehend überschreiten. Ich werde den Höchststand nicht abwarten, sondern beizeiten realisieren.«

»Und wenn Bigot doch etwas gelingt, Kelly?«

James Kelly klopfte gelassen seine Pfeife aus. »Bigot ist ein Schwindler«, sagte er, während er sie frisch zu stopfen begann.

»Nein, Kelly! Zweimal hat er durch seine Strahlung wirklich Gold erzeugt. Auch Doktor Eisenlohr hat das zugegeben.«

Kelly riß ein Streichholz an und setzte seine Pfeife wieder in Brand. »Durch Strahlung erzeugt?« warf er zwischen zwei Rauchwolken hin. »Vielleicht, Spranger, aber dann bestimmt nicht bei dem Versuch, den er uns vormachte. Ich habe den andern Burschen, diesen Professor Hartford, keinen Moment aus den Augen gelassen. Er hat die Sache geschickt gefingert, aber für mich nicht geschickt genug.«

»Sie haben mir kein Wort davon gesagt, Kelly.«

»Mit Absicht nicht. Ich wollte noch eine Bestätigung von einer andern Seite haben. Es kam mir sehr gelegen, daß Sie damals gleich wieder Ihren Freund in Deutschland aufsuchten. Sobald ich Ihr Telegramm hatte, entschloß ich mich, loszuschlagen.«

William Spranger sah unsicher vor sich hin. Alles, was Kelly ihm sagte, hatte Hand und Fuß, schien durchaus logisch zu sein, und doch wollten ihm die Worte Eisenlohrs nicht aus dem Sinn. »Diese beiden Proben sind zweifellos durch Strahlung erzeugtes Gold«, hatte ihm der auf der Eulenburg gesagt.

»Ziehen Sie Ihr Gesicht in andere Falten, Spranger!« rief ihm Kelly zu. »Es könnte sonst so stehenbleiben, wenn die Glocken von Notre-Dame zu läuten anfangen!«

Am nächsten Tag sah sich Eisenlohr veranlaßt, in eine Meinungsverschiedenheit zwischen Professor Braun und Dr. Holthoff vermittelnd einzugreifen. Der Professor hatte die Absicht, die sämtlichen Gelatinearten, die er mit auf die Eulenburg gebracht hatte, der Strahlung zu unterwerfen. Holthoff vertrat die verständigere Meinung, daß es mit den bisher erfolgreich bearbeiteten zwanzig Sorten wohl des Guten genug wäre.

Eine Weile hörte sich Eisenlohr die Debatte der beiden ruhig mit an, benutzte dann einen geeigneten Augenblick, um eine Frage dazwischenzuwerfen.

»Was würden Sie damit erreichen, Herr Professor Braun, wenn Sie im Laufe der nächsten Wochen auch noch die restlichen hundertachtzig Proben, sei es mit, sei es ohne Erfolg, bearbeiteten?«

»Man würde wissen, Herr Eisenlohr, daß –« platzte Braun mit der Antwort los und stockte dann, weil er ein passendes Ende für seinen Satz nicht finden konnte.

Wir würden keinen Deut mehr erfahren, als wir heute bereits wissen, mein verehrtester Herr Professor«, sprach Eisenlohr weiter. »Die Hauptsache ist geklärt. Die Urzeugung, das heißt die Umwandlung unbelebter in belebte Materie, ist uns gelungen. Daran dürfte wohl nicht mehr zu rütteln sein.«

»Sie ist Ihnen gelungen, Herr Doktor«, bestätigte Braun die Worte Eisenlohrs. »Den Ruhmestitel kann Ihnen niemand streitig machen.«

Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Verzeihung, Herr Professor, nach internationalem wissenschaftlichem Brauch gilt derjenige als Entdecker, der eine neue Sache zuerst veröffentlicht.«

»Wer, außer Ihnen, sollte das tun – tun können, Herr Eisenlohr?«

»Der Zufall spielt bisweilen wunderlich, Herr Professor Braun. Die Geschichte der Forschung kennt Fälle, die zur Vorsicht mahnen. Ich halte es für angebracht, daß wir jetzt einen kurzen Bericht für unsere Fachpresse herausgeben.«

»Wir?« fragte Braun verwundert. »Nur Sie können das machen! Sie allein sind der erfolgreiche Forscher gewesen!«

»Zusammen mit meinen Assistenten, Herr Professor, und auch Ihre Hilfe unterschätze ich nicht. Ich denke mir die Sache so: Ich gebe einen knappen Bericht über die ersten glücklich gelungenen Urzeugungen unter Nennung meiner beiden Mitarbeiter. Sie schließen sich als Gutachter mit einem zweiten Bericht an, in dem Sie Ihre Erfahrungen mit andern Gelatinearten mitteilen. Das Ganze läßt sich nach meiner Schätzung auf vier Druckseiten erledigen, aber es müßte schnell geschehen.«

»Warum plötzlich solche Eile?« fragte Braun. »Ich meine, das hätte doch Zeit, bis wir noch ein Stückchen weiter wären.«

»Nein, Herr Professor«, entschied Eisenlohr mit Bestimmtheit. Ich habe triftige Gründe, die Veröffentlichung zu beschleunigen. Die Berichte müssen heute abend noch an die Fachzeitschriften abgehen.«

»Kurze Zeit, Herr Eisenlohr. Ich weiß nicht, ob ich bis heute abend damit fertig werde.«

»Es muß sein, Herr Professor. Herr Doktor Holthoff steht Ihnen dafür zur Verfügung. Meinen Bericht werde ich selber schreiben ...«

»Aber warum nur, Herr Eisenlohr?«

»Glauben Sie mir, Herr Braun, mir wird erst wieder wohl sein, wenn ich diese beiden Berichte auf der Post weiß. Danach können wir uns in aller Ruhe über unser weiteres Arbeitsprogramm schlüssig werden.«

»Nun, wenn es sein muß – meinetwegen«, fügte sich Braun, ohne seine abweichende Ansicht zu verbergen, der Entscheidung. »Wir wollen unsere Protokollbücher nehmen, Herr Holthoff, und in Ihr Arbeitszimmer gehen. Hoffentlich schaffen wir's zur Zeit. Sie nehmen sich wohl Herrn Doktor Bruck zur Unterstützung, Herr Eisenlohr?«

»Der ist leider nicht greifbar, Herr Professor. Er hat sich für heute Urlaub genommen, wollte etwas in Ihlefeld besorgen. Ich werde mit meiner Sache schon selber zu Rande kommen.« –

In Holthoffs Zimmer legte sich Braun Schreibpapier und Feder zurecht und griff nach den Protokollbüchern, begann einen Satz zu formen und niederzuschreiben und ließ die Feder dann wieder sinken.

»Verstehen Sie diese plötzliche Eile, Herr Kollege?« fragte er Holthoff.

Der überlegte einen kurzen Augenblick, sprach dann zögernd: »Etwas Bestimmtes weiß ich auch nicht. Möglicherweise hängt es mit einem Besuch zusammen, den Eisenlohr heute früh hatte.«

»Besuch? Wer war denn da, Herr Holthoff?«

»Ein Bekannter von ihm, ein Herr Reinhard.«

»Reinhard? – Reinhard? – Kenne ich nicht. Was ist das für ein Mann?«

»Ein Hauptmann a. D., soviel ich weiß, Herr Professor.«

»Hauptmann a. D.? Verstehe ich nicht ... Was hat ein verabschiedeter Offizier mit unseren Versuchen zu tun?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Professor. Ich weiß nur, daß Eisenlohr von dem Herrn gelegentlich wertvolle Informationen bekommen hat. Daher meine Vermutung – es ist auch nur eine Vermutung, daß diese Eile jetzt einen ähnlichen Grund haben könnte.«

Mit einer unwilligen Gebärde griff Braun wieder zur Feder. »Lächerlich!« brummte er vor sich hin. »Darum müssen wir eine Sache überstürzen, für die man eigentlich Tage nötig hätte. Nun, es hilft nichts, wir haben den Bericht versprochen. Sehen wir, daß wir so schnell wie möglich damit fertig werden.«


5. Kapitel.

Erwartungsvoll kam Dr. Bruck in das Hotel »Zum Hohen Stein« in Ihlefeld und fragte nach Monsieur Bigot. Von widerstreitenden Gefühlen bewegt, stieg er die Treppe empor, um zu dem Zimmer zu gelangen, das man ihm am Empfangsschalter genannt hatte. Immer zögernder setzte er den einen Fuß vor den andern, blieb endlich stehen, als er den obersten Treppenabsatz erreicht hatte. Sollte er weitergehen, sollte er lieber umkehren?

Dort, nur zehn Schritte entfernt, wartete hinter der Tür ein Mann auf ihn, durch den er vielleicht Millionen gewinnen konnte. Lockend war solche Aussicht; aber für immer würden diese nächsten zehn Schritte ihn von dem geraden Weg abbringen, den er bisher gegangen war.

Viel hatte er Eisenlohr zu verdanken. Vor fünf Jahren, als er schon einmal dicht am Scheitern war, hatte ihn der aus einer bedenklichen Lage herausgerissen, hatte ihn wieder stetig und ehrlich arbeiten gelehrt. War es nicht Treubruch, wenn er jetzt zu dem andern ging, um ihm Geheimnisse zu verkaufen, die nicht ihm selber, Bruck, gehörten? Mußte es ihn nicht für immer von Eisenlohr trennen?

Noch zauderte er, die eine Hand auf dem Geländer, als sich eine Tür öffnete. Scheinbar ohne bestimmte Absicht stand Bigot auf der Schwelle, schaute sich um, erblickte Bruck und winkte ihm zu.

Für ein glückbringendes Vorzeichen hielt es Dr. Bruck, ging weiter und begrüßte Bigot. Mit einem Wortschwall empfing ihn der Franzose, führte ihn in sein Zimmer und bat ihn, Platz zu nehmen.

Leicht und einfach hatte sich Bruck die Verhandlungen vorgestellt, aber jetzt gab es gleich zu Anfang Schwierigkeiten.

»Sie sind auf meine Anregung sehr spät eingegangen«, eröffnete Bigot die Besprechung, »fast zu spät, Herr Doktor. Meine amerikanischen Freunde drängten auf einen Abschluß«, fuhr er fort, als er das Befremden Brucks bemerkte. »Ich konnte die Verhandlungen nicht länger hinziehen, ich mußte ihnen zu dem vereinbarten Preis erst einmal geben, was ich hatte ...«

Im Geiste sah Bruck die Millionen, von denen er eben noch träumte, schon wieder zerflattern. Aber war es denn wirklich so? Versuchte nicht der andere am Ende zu bluffen? Noch klammerte er sich an diese Hoffnung, als Bigot nach einem Stoß Zeitungen griff und sie ihm hinschob. Es waren die gleichen Meldungen, die schon William Spranger bei seiner Ankunft in Paris eine unruhige Stunde verursacht hatten, Meldungen über den Verkauf der Bigotschen Erfindung zu einem phantastischen Preis, Dr. Bruck überflog sie, und seine Hoffnungen sanken auf den Nullpunkt. Die erste Million hatte der Franzose ohne ihn eingeheimst. Von der würde er natürlich nichts zu sehen bekommen. Es blieb nur die Möglichkeit, daß das, was er selber inzwischen weiter erreicht hatte, neuen Gewinn brachte, an dem er vielleicht halbpart teilnehmen könnte. Nach diesem Gesichtspunkt beschloß er, zu verhandeln.

»Ich habe Ihnen erst geschrieben, Monsieur Bigot, nachdem ich ein ordentliches Stück weitergekommen war«, sagte er und beugte sich nach seiner Aktentasche. Dabei entging ihm der gierige Blick, mit dem Bigot seine Bewegungen verfolgte. Bruck öffnete die Tasche, legte die goldigen Platten, die er bei seinen letzten privaten Versuchen erzeugt hatte, von den andern hin und sprach dabei weiter:

»Sehen Sie, ich wollte Ihnen doch etwas Vollkommenes bringen, das die Herstellung im großen auch wirklich lohnt. Hier haben Sie es! Hier ist die Umwandlung restlos durch die ganze Metallmasse hindurch erreicht. Ich glaube, daß dieser Fortschritt wohl seinen Preis wert sein sollte!«

Mit Gewalt zwang sich Bigot zu einer ruhigen Miene. Mit gespielter Gleichgültigkeit nahm er die schweren Plättchen in die Hände und konnte doch nicht verhindern, daß seine Finger vor Aufregung zitterten. In letzter Stunde, da er schon alles verloren glaubte, brachte dieser Deutsche ihm die Rettung. Jetzt nur unbewegt bleiben! Den da um keinen Preis merken lassen, wie die Dinge wirklich standen, ihm die Erfindung abnehmen und dann schleunigst weg damit nach Paris, um dort die verfahrene Situation wieder einzurenken!

»Das sollte wohl seinen Preis wert sein«, wiederholte Bruck seinen letzten Satz.

»Zweifellos, Herr Doktor«, bestätigte Bigot diese Bemerkung. »Ich bin weit davon entfernt, Ihre Leistung zu unterschätzen, aber Sie müssen berücksichtigen, daß auch ich inzwischen weitergekommen bin und den ersten großen Abschluß mit der Kapitalistengruppe gemacht habe. Immerhin könnte ich mir ein Abkommen denken, vielleicht in der Form, daß –«

Von häufigen Einwänden Brucks unterbrochen, entwickelte Bigot seine Vorschläge. Hin und her ging ein zähes Verhandeln. Fast eine Stunde verstrich, bis man sich schließlich einig war.

Jene erste Million war von Bigot allein verdient, davon ließ der Franzose sich nichts abhandeln. Aber alles, was man nun noch weiter aus den Amerikanern herausholen würde, sollte halbpart zwischen ihm und Bruck gehen. Dafür händigte der Doktor ihm die Goldproben aus und überdies alle Unterlagen für den Erzeugungsgang: die genauen Röhrenzeichnungen, die elektrischen Daten und was sonst noch dafür erforderlich war. Auch ein Vertrag wurde entworfen und nach einigem Widerstreben von Bigot unterzeichnet, obwohl er es sonst nicht liebte, etwas Bindendes, Schriftliches aus der Hand zu geben.

Als es nun glücklich so weit war, wollte Bigot die Verhandlungen als beendet betrachten, aber Dr. Bruck hatte das Empfinden, daß er von seiner Seite alles Wertvolle gegeben und so gut wie nichts dafür bekommen hätte. Irgendein Pfand wenigstens für jenen künftigen Reichtum, auf den er nun wieder hoffte, wollte er doch haben. Von neuem hub ein Verhandeln an, und schließlich fand sich Bigot bereit, etwas zu tun, was jeden anderen als den vom Millionenrausch verblendeten Bruck wohl stutzig gemacht hätte. Bigot schrieb Wechsel über eine Million Dollar aus und übergab sie dem Doktor als eine Bürgschaft für die ehrliche Auszahlung der zu erwartenden Gewinne.

»Ich hoffe, Herr Doktor«, bemerkte er dabei, »Ihnen diese Papiere recht bald honorieren zu können, falls nicht etwa Herr Eisenlohr unsere Dispositionen durchkreuzt.«

Bruck hatte Bigot gegenüber die Metallumwandlung bisher stets als seine eigene Erfindung ausgegeben. Verwundert blickte er auf.

»Wie kommen Sie auf Eisenlohr, Monsieur Bigot?«

»Nun, Herr Doktor Bruck, ich nehme an, daß Ihr Chef doch auch um diese Dinge weiß. Es würde unsere Transaktionen empfindlich stören, wenn er jetzt auf die Idee käme, damit an die Öffentlichkeit zu treten.«

»Ausgeschlossen, Herr Bigot!« fuhr Bruck auf. »Eisenlohr denkt gar nicht daran. Das ist es ja, was mich empört und dazu bewogen hat, die Verbindung mit Ihnen aufzunehmen, daß er diese Sache als Bagatelle behandelt. Ich will gar nicht bestreiten, daß wir die ersten Metallumwandlungen zusammen gemacht haben. Sie waren natürlich noch unvollkommen. Zuerst bildete sich nur Goldstaub auf den Bleiplatten. Aber es war doch ein vielversprechender Anfang. Doch vergeblich habe ich Eisenlohr immer wieder auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Entdeckung hingewiesen. Es war, als ob er taube Ohren hätte ...«

»So, so, Herr Doktor«, warf Bigot dazwischen und setzte eine nachdenkliche Miene auf.

»Es ist fast unglaublich«, fuhr Bruck fort. »Auch bei Arbeiten, die einen ganz anderen Zweck verfolgten, bildete sich dieser Goldstaub gewissermaßen als Nebenprodukt. Können Sie sich vorstellen, daß Eisenlohr ihn wie einen lästigen Abfallstoff einfach aus dem Fenster warf, schimmerndes Goldpulver in den Wald verstreute?«

»Das ist in der Tat schwer faßbar, Herr Doktor. Haben Sie eine Erklärung dafür?«

»Nur die eine, Monsieur Bigot, daß Eisenlohr ein unheilbarer Monomane ist. Wie der Stier auf das rote Tuch stürzt er sich auf ein verstiegenes physikalisches Problem und hat für nichts anderes mehr Sinn.«

Schon öfter als einmal hatte Bigot während der letzten Ausführungen Brucks auf die Uhr gesehen. »Sie müssen mich jetzt entschuldigen, Herr Doktor«, beendete er die Unterhaltung. »Ich habe Eile, wieder nach Paris zu kommen. Man muß das Eisen schmieden, solange es warm ist. Dank Ihrer Hilfe hoffe ich bei unseren Kapitalisten noch einige Millionen locker zu machen.«

Dr. Bruck ging aus dem Zimmer. Zwei Minuten später folgte ihm Bigot, aber er benutzte nicht dieselbe Treppe wie Bruck. Durch einen hinteren Ausgang und den Garten verließ er das Hotel. Auf der Straße am Gartenzaun wartete ein Auto mit laufendem Motor. Bigot sprang mit einem Satz hinein.

»Los, Hartford!« rief er dem Mann am Steuer zu. »Wir haben keine Sekunde zu verlieren, wenn wir unser Flugzeug noch erreichen wollen.«

»Haben Sie alles bekommen?« fragte Hartford, während er Vollgas gab.

»Alles, Hartford!«

»Was hat's gekostet?«

Bigot zog eine Grimasse. »Der Mann ist mit ein paar Wechseln zufrieden gewesen.«

* * *

Bruck ging die Treppe hinunter und trat wieder in die Vorhalle des Hotels. Unwillkürlich verhielt er den Schritt, als der Name Bigot fiel. Ein Herr, der ihm den Rücken zuwandte, stand am Empfangsschalter und erkundigte sich nach dem Franzosen. Dr. Bruck hörte die Auskunft, die der Fragende erhielt: »Monsieur Bigot steht im Begriff abzureisen, mein Herr. Seine Rechnung hat er bereits bezahlt, aber er dürfte wohl noch auf seinem Zimmer sein.«

Mit einem kurzen »Danke!« wandte der Herr sich der Treppe zu und stutzte, als er Bruck sah. Auch der Doktor blieb stehen. War das nicht jener Hauptmann Reinhard, den er in einer ereignisreichen Nacht auf der Eulenburg kennengelernt hatte? Nicht gerade angenehm jetzt, diese Begegnung, wo er eben ein Geschäft mit dem Franzosen abgeschlossen hatte, das er selber nicht für ganz sauber hielt. Jeder Dritte war dabei überflüssig. Mit einem kurzen Nicken wollte er weitergehen, als Reinhard ihn anhielt.

»Sehr angenehm, Herr Doktor Bruck, daß ich Sie gerade hier treffe. Es wäre mir lieb, für die Unterredung mit einem ausländischen Erfinder einen Sachverständigen bei der Hand zu haben. Würden Sie mir eine Viertelstunde Ihrer Zeit opfern?«

Im stillen verwünschte es Bruck, daß er Reinhard in die Hände laufen mußte. Wie sollte er sich verhalten? Einfach ablehnen? Sich mit Zeitmangel entschuldigen? Es könnte ihn am Ende selber verdächtig machen. Wohl oder übel stimmte er zu und ging mit Reinhard zur Treppe.

»Würden Sie hier einen Augenblick warten? Ich möchte zuerst allein hineingehen«, sagte Reinhard und verschwand in dem Zimmer. Schon nach einer knappen Minute öffnete er die Tür und winkte auch Bruck herein. Der sah, wie Reinhard Schranktüren öffnete und Schubläden aufzog. Alles war leer, radikal ausgeräumt, Bigot verschwunden.

»Der Vogel ist ausgeflogen«, sagte Reinhard.

»Aber er war doch eben noch hier. Wir hätten ihn hinunterkommen sehen müssen«, meinte Bruck und biß sich im nächsten Augenblick auf die Zunge. Da hatte er etwas gesagt, was besser ungesagt geblieben wäre.

Reinhard schien die Worte überhört zu haben. Er war damit beschäftigt, das Zimmer zu durchsuchen. Auf dem Tisch lagen noch die französischen Zeitungen mit den Artikeln über den Verkauf der Erfindung an die Amerikaner. Einen eigenartig verschleierten Blick warf Reinhard abwechselnd auf diese Blätter und auf Bruck. Dann suchte er weiter, fand in einer versteckten Ecke einen Papierkorb und in ihm noch eine Zeitung. Er schlug sie auf, blätterte darin, hielt sie Bruck hin.

»Das hier hat Ihnen Monsieur Bigot wohl nicht gezeigt, Herr Doktor?«

Bruck blickte auf die Überschrift, die Reinhard mit dem Daumen festhielt. Sein Atem stockte.

»Amerikanischer Kapitalist von einem Betrüger hereingelegt! Eine Million durch einen Goldschwindel ergaunert!« stand da in fetten Lettern. Dr. Bruck mußte sich setzen. Hände und Knie zitterten ihm, während er den Artikel überflog. Vergeblich mühte er sich, einen Sinn in das Ganze zu bringen. Seine Million hatte Bigot im trockenen. Daran war nach diesem Aufsatz nicht mehr zu zweifeln. Als Schwindler war er auch entlarvt. Warum um alles in der Welt war er dann noch hierher gekommen? Hatte ihm, Bruck, das Geheimnis der Metallumwandlung für eine hohe Summe abgekauft? Allerdings für zweifelhafte Wechsel abgekauft, ging es ihm im gleichen Moment durch den Kopf. Er griff sich an die Stirn, unfähig, eine Erklärung zu finden.

Reinhard war mit der Untersuchung des Zimmers zu Ende.

»Hier ist nichts mehr zu holen«, meinte er resigniert.

Dr. Bruck wollte noch etwas sagen, etwas fragen. Reinhard achtete nicht mehr darauf. Er stürmte die Treppe hinunter.

Gleich darauf hörte Bruck den Kompressor eines schweren Wagens aufheulen.

* * *

Wütend knüllte William Spranger eine Zeitung zusammen und schleuderte sie in die Ecke. Die unvermeidliche Pfeife zwischen den Zähnen, schälte James Kelly sich aus seinem Sessel heraus, hob das Blatt wieder auf und glättete es, fragte dabei seinen Partner:

»Warum so stürmisch, Spranger?«

»Es ist schauderhaft, Kelly!« brach der los. »Über alle Maßen scheußlich und widerlich ist es, wie die Boulevardpresse mit Ihnen umspringt. In Wallstreet wird kein Hund mehr ein Stück Brot von Ihnen nehmen ...«

»... wenn er die Wurst bei mir riecht«, sagte Kelly und verzog die Lippen unter dem buschigen Schnurrbart zu einem Lachen.

»Geradezu unglaublich!« ereiferte sich Spranger weiter. »Seit drei Tagen leben die Pariser Zeitungen von Ihrem Reinfall. Alles andere tritt daneben in den Hintergrund. Da, hier!« Spranger griff nach einer anderen Zeitung. »Die neue Kabinettsbildung steht auf der zweiten Seite. Königshochzeit ... Unruhen in Indien ... Überschwemmungen in Illinois kommen auf die dritte. Die erste scheint ausschließlich für Mister Kelly und Monsieur Bigot reserviert zu sein. Wie ist das nur möglich gewesen?«

»Ja, mein lieber Spranger«, das Lächeln Kellys verbreiterte sich zu einem Grinsen. »Man hat so seine Beziehungen zu den Redaktionen. War nicht gerade billig, aber ich denke, es macht sich bezahlt.«

»Ich will froh sein, Kelly, wenn die Sache erst glücklich überstanden ist. Bisher hat unsere Firma solche Geschäfte nicht gemacht. Es wäre mir lieb, wenn wir sie auch in Zukunft nicht mehr machen würden.«

Bevor Kelly etwas antworten konnte, klingelte das Telephon neben ihm. Er nahm den Hörer, griff nach Block und Bleistift und machte sich Notizen.

» All right, Sir, bringen Sie unsere Restbestände zu bestem Kurse weiter zum Verkauf!« hörte Spranger ihn sagen. »New-Yorker Frühbörse«, wandte sich Kelly an seinen Partner. »Wir haben in Wallstreet schon recht hübsch realisiert. An der Pariser Börse morgen möchte ich noch etwas zurückhalten, die Kurse werden noch steigen. Ich denke, Spranger, wir werden eine runde Million Reingewinn buchen können, wenn wir die letzten Goldpapiere verkauft haben. Na, Boy, wie steht Old Kelly jetzt da?«

Spranger suchte nach Worten. Als Börsenmann mußte er die gelungene Spekulation Kellys vorbehaltlos anerkennen. Und trotzdem widerstrebte ihm diese Art, Geschäfte zu machen, ohne daß er sich über die Gründe selber recht klarzuwerden vermochte. Waren es moralische Skrupel, war es der Gedanke, daß so etwas auch leicht einmal schiefgehen und ihre gute Firma an einem Tage bankrott machen könnte? Er hätte es nicht sagen können. Seine Augen glitten über die Verkaufsaufstellungen, die Kelly ihm gegeben hatte, ohne daß er deren Inhalt recht erfaßte. Allzusehr gingen seine Gedanken noch durcheinander, als das Telephon sich schon wieder meldete.

» Damnie! Was will der Mann noch von mir?« knurrte Kelly. »Muß mich dringend sprechen? Höchste Wichtigkeit?« Er deckte das Mikrophon mit der Hand ab und sprach zu Spranger. »Monsieur Bigot ist unten. Scheint noch etwas auf dem Herzen zu haben.«

»Nicht empfangen! Rauswerfen!« gab Spranger zurück und wunderte sich, als er Kelly weiter sprechen hörte: »Schicken Sie den Herrn zu mir hinauf.«

»Was, Kelly? Sie wollen sich noch mal mit dem Betrüger einlassen?« fuhr Spranger empört auf.

»Ruhe, Ruhe, mein Lieber! Kein Hund ist so klein, daß er nicht beißen kann. Ich muß wissen, was der Bursche noch im Schilde führt.«

»Ich will den Menschen nicht mehr sehen, Kelly.«

»Brauchen Sie auch nicht, Spranger. Nur mithören sollen Sie, was er zu sagen hat. Gehen Sie bitte in das Schlafzimmer nebenan und lassen Sie die Tür angelehnt.«

Monsieur Bigot kam in das Zimmer. Geschmeidig, verbindlich, elegant wie immer, aber ein wenig befangen. Ganz wohl schien ihm bei diesem Besuch in der Höhle des Löwen nicht zu sein. Beklommen musterte er Kelly. Der verzog keine Miene und schaute ihn nur groß an, bis der Franzose sich entschloß, zu sprechen.

»Ich bin untröstlich, Mister Kelly ...«

›Daß der Schwindel vorzeitig 'rausgekommen ist‹, wollte Kelly abbremsen, aber Bigot ließ sich das Wort nicht mehr nehmen.

»Untröstlich über die falsche und gehässige Einstellung unserer Presse«, fuhr er redegewandt fort. »Ohne die Spur eines Grundes fällt man über mich und meine Lebensarbeit her, macht mich als Wissenschaftler unmöglich, untergräbt meine Existenz! Ich werde mich mit allen Mitteln dagegen wehren. Ich werde mich nicht scheuen, die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, wenn diese Schmutzblätter nicht umgehend meine Berichtigungen bringen.«

»Gerichte, Monsieur Bigot?« warf Kelly phlegmatisch dazwischen. »Ich würde an Ihrer Stelle der Justiz lieber aus dem Wege gehen. Der Code pénal sieht für Betrug empfindliche Freiheitsstrafen vor. Aber das können Sie meinetwegen halten, wie Sie wollen. Was hätten Sie mir sonst noch mitzuteilen?«

»Ich wollte Ihnen sagen, Mister Kelly, daß ich in den letzten Tagen wieder ein gutes Stück weitergekommen bin. Tag und Nacht habe ich im Laboratorium gesessen, habe mit einer neuen, verbesserten Röhre gearbeitet ...«

Er griff nach seiner Mappe. »Hier sehen Sie den Erfolg ...« Er warf die Platten, die er von Bruck bekommen hatte, auf den Tisch. »Das wurde in wenigen Stunden hergestellt. Restlos ist die Metallumsetzung gelungen. Jedes Bleiatom in diesen Platten hat sich unter der verstärkten Strahlung in Gold verwandelt. Mit diesen Proben in der Hand, Mister Kelly, werde ich meinen Anwalt auf die Redaktionen schicken und meine Schadenersatzansprüche geltend machen.«

In Kelly stiegen Zweifel auf. Zwar glaubte er bei den letzten Versuchen verdächtige Manipulationen Hartfords bemerkt zu haben, aber eine Täuschung seinerseits war schließlich nicht ausgeschlossen. Der deutsche Freund seines Partners hatte sich ebenfalls abfällig geäußert. Aber immerhin hatte er zugegeben, daß zwei von jenen drei Proben, die Spranger ihm bei seinem letzten Besuch zeigte, ein zweifellos durch Strahlung erzeugtes Gold enthielten. Nur bei der dritten hatte er klipp und klar von Schwindel gesprochen ...

In Gedanken versunken, ließ Kelly die neuen Platten, die Bigot ihm hingelegt hatte, durch die Finger gleiten und bemerkte dabei unregelmäßige Stellen an den Rändern. Er erinnerte sich im gleichen Augenblick, Ähnliches an den früheren von Bigot hergestellten Proben gesehen zu haben.

»Bitte einen Moment Geduld, Mister Bigot!« Er ging in das Nebenzimmer.

Bigot hörte ihn dort flüstern. Ein anderer, wahrscheinlich Spranger, war also dort und konnte mithören. Bigot beschloß, sein weiteres Verhalten danach einzurichten. Kelly kam zurück.

»Wollen Sie mir das erklären?« sagte der Amerikaner und legte das seinerzeit von Eisenlohr zerschnittene Stück vor Bigot hin. Der hatte Mühe, sein Erschrecken zu verbergen. Allzu offenkundig lag der Betrug, den er mit dieser Probe begangen hatte, zutage. Nur unverfrorenes Leugnen konnte die Situation für ihn noch retten. Scheinbar erstaunt betrachtete er das Stück, schob es dann kopfschüttelnd zurück.

»Das ist keine Probe von mir, Mister Kelly«, sagte er bestimmt. »Schon der Rand zeigt Verschiedenheiten. Sehen Sie hier! Vergleichen Sie!« Er schob ihm die anderen Stücke hin. »Meine Proben sind an dem Stanzschnitt leicht zu erkennen. Diese gefälschte Probe hier ... natürlich ist sie falsch, Mister Kelly, man sieht es ja auf den ersten Blick. Ich weiß nicht, wie Sie zu ihr gekommen sind ...« Er schlug die Hände vor die Stirn, als ob ihm plötzlich ein neuer Gedanke käme. »Ein Sabotageakt muß das sein ... ich weiß, ich habe Feinde. Von der Seite her hat man Ihnen das in die Hände gespielt, um mich bei Ihnen zu verdächtigen.«

Immer stärker wurde die Unsicherheit Kellys. Die verschiedensten Möglichkeiten gingen ihm mit Gedankenschnelle durch den Kopf. Wohl erinnerte er sich, daß er zusammen mit Spranger gleich nach jenem letzten Versuch den abweichenden Stanzenschnitt an diesem einen Stück festgestellt hatte. Aber mußte deshalb unbedingt Bigot der Betrüger sein? Konnte nicht auch vielleicht Hartford es getan haben? Der war ja auch Wissenschaftler, sollte in Amerika auf ähnlichem Gebiet gearbeitet haben. Wenn der Gründe hatte, Bigot zu diskreditieren ...Wenn er ein falsches Spiel getrieben hätte. Es war die einzige Erklärungsmöglichkeit, die eigentlich übrigblieb.

Aber dann ... dann konnte an Bigots Erfindung am Ende doch etwas sein. Dann mußte die Zeitungshetze gegen ihn natürlich abgestellt werden. Dann war's aber auch höchste Zeit für ihn, Kelly, seine Goldwerte abzustoßen, denn sowie die öffentliche Meinung wieder zu Bigots Gunsten umschlug, würde der Kurs sofort von neuem schwer gedrückt werden.

Gespannt beobachtete Bigot die Wirkung seiner letzten Worte auf Kelly. Würde der Amerikaner ihm seine Lüge glauben? Würde es ihm gelingen, den noch einmal einzufangen? Er versuchte kühl zu erscheinen, während jede Faser an ihm zitterte. Auch Kelly, sonst die verkörperte Ruhe, war erregt. Seine Stimme klang rauh, als er antwortete.

»Sie werden mir durch neue Versuche den Beweis für Ihre Behauptungen erbringen müssen, Monsieur Bigot.«

»Gewiß, selbstverständlich ...«, stotterte der Franzose.

»Mister Hartford wünsche ich dabei nicht mehr als Experten zu haben. Wir werden uns nach einer anderen, geeigneteren Persönlichkeit umsehen.«

Bigot vermochte nur zu nicken. Ein anderer an Hartfords Stelle? ...

Das konnte seine Pläne gefährden. Wenn Hartford jetzt ohne Entschädigung fortgeschickt wurde, konnte er zu plaudern anfangen.

»Wann können Sie den nächsten Versuch machen?« fragte Kelly. Hoffentlich nicht sofort, ich muß erst meine Papiere los sein, dachte er im stillen und horchte auf, als er Bigots Antwort hörte:

»Ich habe die neue Röhre bei dem letzten Versuch leider überanstrengt. Es muß erst eine neue beschafft werden, bevor ich wieder arbeiten kann ... Eine ... vielleicht auch zwei Wochen wird es dauern, Mister Kelly.«

»Sehr gut, Monsieur Bigot!«

»Wieso gut? Es wäre mir viel lieber, wenn ich den neuen Versuch sofort machen könnte.«

Kelly machte eine abwehrende Bewegung. »Es ist besser so, Monsieur Bigot. Lassen Sie den Lärm in den Zeitungen erst etwas abflauen. Ich glaube, ich werde auch etwas dazu tun können. Wenn Sie heute oder morgen mit Berichtigungen kämen, wäre es den Redaktionen wenig erwünscht. Nach ein paar Wochen weiß kein Mensch mehr, was heute gedruckt wurde. Wenn Sie mich dann wirklich überzeugen, können wir die Sache ganz groß anlegen ... eine Sondervorführung für die Presse, Einladungen ... Informationen, vielleicht können wir sogar ...«, Kelly kniff ein Auge zu, »... einige Goldproben an die Eingeladenen verteilen ... als Andenken, Monsieur Bigot ...«

Für eine kurze Weile wurde Bigot von den Worten Kellys mitgerissen, dann stemmte er sich dagegen, brachte seine Einwände vor.

»Das läuft aber vollkommen gegen unsere ersten Abmachungen, Mister Kelly. Wir gingen damals doch davon aus, daß die Erfindung unbedingt geheimbleiben müßte.«

Bigot mußte lange auf eine Antwort warten. James Kelly hing schon wieder seinen eigenen Gedanken nach. Neue, noch größere Spekulationsmöglichkeiten erblickte er für sich in einer nahen Zukunft. Einerlei, ob diesem zweifelhaften Alchimisten sein Kunststück gelingen würde oder nicht – Kelly hoffte durch ihn noch viele Dollar zu gewinnen.

»Wir haben ja Zeit, uns das in aller Ruhe zu überlegen, Monsieur Bigot. Es hängt ganz von uns ab, ob wir mit der neuen Sache an die Öffentlichkeit gehen wollen oder nicht«, beendete er die Unterredung.

* * *

Die Vorhersage Kellys, daß die Affäre Bigot bald in Vergessenheit geraten würde, traf schneller ein, als er es selber erwartete. Die Veröffentlichungen Eisenlohrs und Brauns über die künstliche Urzeugung waren erschienen. In wissenschaftlichen Fachzeitschriften zuerst, doch schnell fanden sie von dort ihren Weg in die Presse der ganzen Welt. Begierig stürzten sich die großen Tageszeitungen in diesen Sommermonaten auf den dankbaren Stoff. Funk und Bildfunk verbreiteten den Inhalt jener ersten Veröffentlichungen und die Photos, die ihnen beigegeben waren, über die ganze Erde. Leitartikel erschienen ebenso in Europa wie in New Jork, Frisko und Melbourne, in denen Eisenlohr den größten Entdeckern aller Zeiten an die Seite gestellt und auch die Arbeit Brauns voll gewürdigt wurde. Dem gegenüber verschwand alles, was hier und dort noch über Monsieur Bigot und seine Taten geschrieben worden war, schnell und lautlos in der Versenkung.

Und dann rückte ein Heer von Berichterstattern, Photographen und Filmleuten auf der Eulenburg an und bereitete dem alten Michelmann unruhige Tage. Mit der Wucht eines Elementarereignisses brach es herein. Vergeblich wäre jeder Versuch gewesen, sich dem Ansturm entgegenzustemmen, sowenig er Eisenlohr auch gelegen kam und sosehr Professor Braun darüber brummte. Es blieb den beiden nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sich hundertmal knipsen und filmen zu lassen und auch das künstlich gezeugte Leben, das in den Röhren und Retorten weiterwuchs, den Linsen der Kinoapparate preiszugeben.

Objektive Berichte waren es zuerst, die von den Tageszeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, doch bald schon setzte die Phantasie ein und begann hinzuzudichten, was zwar noch nicht da war, aber doch eines Tages vielleicht ... möglicherweise ... Wirklichkeit werden konnte. In der amerikanischen Sensationspresse fing es an und kam bald dazu, sich zu überschlagen.

Aufgeregt stürmte Professor Braun in Eisenlohrs Arbeitszimmer und funkelte ihn durch seine Brillengläser zornig an, während er ein amerikanisches Magazin auf den Tisch schleuderte.

»Sehen Sie das, Herr Eisenlohr!« Er deutete auf eine ganzseitige Abbildung. »Das geht entschieden zu weit. Wir riskieren unseren Ruf als ernsthafte Wissenschaftler, wenn wir nicht dagegen einschreiten.«

Eisenlohr griff nach dem Blatt und sah sich die Illustration an. Sie zeigte einen Blick in den offenen Brutschrank, aber sein Inhalt, so wie er hier dargestellt war, entsprach wenig den Tatsachen. Große Retorten standen darin, in denen in irgendwelchen Flüssigkeiten schwebend wunderliche Gebilde zu sehen waren, embryonenhafte Wesen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem sagenhaften Homunkulus mittelalterlicher Alchimisten aufwiesen.

Nicht minder phantastisch als die Zeichnung war der zugehörige Text. Ein erfindungsreicher Reporter berichtete darin über weitere Versuche der beiden deutschen Gelehrten, von denen diese selber noch nichts wußten. Durch die Anwendung verbesserter und verfeinerter Strahlungen sollte es ihnen gelungen sein, die lebendigen Zellen in ihren Gläsern zu größeren organischen Gebilden weiterzuentwickeln.

»Gar nicht so übel«, meinte Eisenlohr, als er beim Lesen an diese Stelle kam, »der Mann hat Phantasie; das muß man ihm lassen.«

»Schwindeln tut der Kerl, und zwar auf unsere Kosten!« fuhr Braun ärgerlich dazwischen.

»Hm, ja, hier trägt er allerdings zu dick auf«, sagte Eisenlohr weiterlesend, »der Mann überschätzt uns. Wenn wir das schon hätten, was er uns andichtet, dann könnten wir uns für Geld sehen lassen. Ist aber niedlich gesagt, was er hier schreibt: ›Der phylogenetische Stammbaum in der Retorte durch neue Strahlung nachgemacht, die künstlichen Zellen gliedern sich im Reagenzglas ähnlich wie in einem bebrüteten Hühnerei.‹ Na, was sagen Sie dazu, Professor?«

»Unverantwortlich finde ich es!« fuhr Braun los. »Durch solche Veröffentlichung werden wir in wissenschaftlichen Kreisen diskreditiert. Ich weiß, was Sie sagen wollen«, fuhr er auf eine abwehrende Bewegung Eisenlohrs fort. »Wir haben mit dem Artikel nichts zu tun. Aber wird man uns das in der Öffentlichkeit glauben? Nein, Herr Doktor Eisenlohr! Man wird natürlich annehmen, daß wir irgendwie dahintersteckten. Man wird uns schließlich noch mit allerlei Schwindlern, wie etwa diesem Monsieur Bigot, von dem hier kürzlich die Rede war, in einen Topf werfen. Aber das darf nicht sein, Herr Doktor! Gegen diese Art einer Berichterstattung müssen wir uns energisch wehren. Ich will der Schriftleitung dieses Magazins einen Brief schreiben, den sie sich nicht hinter den Spiegel stecken wird.«

»Tun Sie meinetwegen, was Sie nicht lassen können, Herr Professor«, sagte Eisenlohr achselzuckend. »Viel Zweck wird es kaum haben. Ich möchte etwas ganz anderes vorschlagen.«

»Da bin ich wirklich neugierig, Herr Eisenlohr. Was gedenken Sie denn zu tun?«

»Ich möchte die Anregung, die hier gegeben wird, nicht unter den Tisch fallen lassen, um so weniger, als sie meinen eigenen Ideen ziemlich nahe kommt.«

»Ihren Ideen, Herr Eisenlohr?! Ja, um des Himmels willen, Sie nehmen diesen blutigen Unfug doch nicht ernst? Ich denke, der weitere Gang unserer Arbeiten liegt fest. Darüber waren wir uns doch einig.«

»Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, mein lieber Herr Professor, Ihre sämtlichen Gelatineproben erst durchzuarbeiten. Ich glaube, ich sagte es schon einmal, daß wir etwas Neues und Grundlegendes dabei kaum erwarten dürfen. Ich meine, wir sollten jetzt einmal anders vorgehen.«

»Anders vorgehen? Ja, was wollen Sie denn machen, Herr Eisenlohr?«

»Wir haben unsere Zellen nach ihrer Erzeugung bisher einfach in den Brutschrank gestellt und dort ihrer weiteren natürlichen Entwicklung überlassen. Für den Anfang war das auch ganz gut, aber jetzt möchte ich anders verfahren. Ich möchte die belebte Materie dauernd der Strahlung aussetzen und sehen, was dann daraus wird.«

Professor Braun legte sein Gesicht in abweisende Falten. Was Eisenlohr vorschlug, war durchaus nicht nach seinem Sinn.

Mit vielen Worten und Gründen versuchte er seinen Standpunkt zu verteidigen, bis Eisenlohr es schließlich aufgab, ihn umzustimmen.

»Also führen Sie Ihren Arbeitsplan in Gottes Namen durch, Herr Professor«, entschied er, »Herr Doktor Holthoff kann Ihnen dabei weiter assistieren.«

»Und was wollen Sie machen?« fragte Braun mißtrauisch.

Eisenlohr antwortete ausweichend. »Ich weiß es noch nicht, Herr Professor. Ich muß mir die Sache erst noch mal durch den Kopf gehen lassen.« –

Während der nächsten Tage arbeitete Professor Braun vom frühen Morgen bis zum sinkenden Abend angestrengt mit Holthoff zusammen. Immer neue Gelatineproben setzten sie der Einwirkung der Strahlröhre aus. Immer wieder wurde Materie dadurch belebt, und bald vermochte der Brutschrank trotz seiner Größe die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr zu fassen. Jene Reagenzgläser und Retorten, welche die Erzeugnisse der ersten Versuche enthielten, mußten den Platz räumen.

»Wohin damit?« fragte Dr. Holthoff den Professor.

»Geben Sie sie her«, sagte Eisenlohr, der gerade dazukam. »Ich werde sie anderswo unterbringen.«

Ein wenig verwundert blickte ihm Holthoff nach, als Eisenlohr, mit den Gläsern beladen, den Keller verließ. Es war ihm nicht recht klar, was der damit vorhatte. Sein Staunen würde aber wahrscheinlich noch größer geworden sein, hätte er die nächsten Schritte seines Chefs beobachten können. –

Ungefähr in der halben Höhe des Burgberges lag an dessen Südseite in einer Geländefalte ein kleiner Weiher. Kaum ein Teich, eigentlich nur ein Tümpel, knapp dreißig Meter lang und nicht ganz so breit.

Ein dichter Schilfkranz umgab ihn. Eine kaum fingerstarke Quelle, die etwas höher dem Berg entsprang, ergoß sich in ihn; einen sichtbaren Abfluß hatte dieses winzige Gewässer nicht.

Ein Angler hätte hier wohl vergeblich Beute zu machen versucht, aber im Frühjahr verriet ein Froschkonzert, daß doch allerlei Wassergetier darin vorhanden war. Zu diesem Teich ging Eisenlohr mit seinen Gläsern und schüttete deren Inhalt kurzerhand hinein. Für immer verloren schien damit jenes Leben zu sein, das einst mit soviel Kunst und Wissenschaft im Laboratorium der Burg gezeugt wurde.

Nicht mehr die Temperatur des Brutschrankes, sondern nur noch das sommerwarme Teichwasser umgab hier diese Zellen. Würden sie die jähe Veränderung ihrer Lebensbedingungen überstehen oder dabei zugrunde gehen?

Wir werden es sehen, wir werden hoffentlich noch mehr sehen, dachte Eisenlohr, während er mit den leeren Gläsern zur Burg zurückkehrte.

* * *

Von zweifacher Art waren die Sorgen, die Monsieur Bigot bedrückten. Da war erstens die von Tag zu Tag dringlicher werdende Frage, wie seine Geschäfte mit der Firma Kelly & Company weitergehen sollten; und zweitens ließ sich auch eine Klarstellung seines Verhältnisses zu Hartford nicht länger mehr aufschieben.

Wie mit einem Schlage war ihm durch die Zeitungsmeldungen, die ihn als Schwindler brandmarkten, jeder Kredit abgeschnitten. Alles, was er brauchte, mußte er bar bezahlen, und er brauchte viel, um jene Pläne, die ihm Bruck zugesteckt hatte, in Glas und Stahl umzusetzen. Wohl stand jetzt eine neue Strahlröhre, nach diesen Plänen gefertigt, in der Rue St. Antoine. Auch die Spannung der elektrischen Anlage war den Vorschriften entsprechend erhöht worden, aber für die Kühlanlage hatte es nicht mehr ganz gereicht. Die kleine Kältemaschine, die Bigot eben gerade noch zu beschaffen vermochte, gestattete nur eine kurze Arbeitszeit der Röhre, nach der jedesmal eine längere Betriebspause eingelegt werden mußte.

Schon wieder begann es jetzt in dem Zuführungsrohr zu den Röhren hin zu röcheln, ein Zeichen dafür, daß der Vorrat an flüssiger Luft erschöpft war. Mit einem Fluch stellte Bigot den Strom ab und nahm eine Bleiplatte aus dem Apparat.

»Nur zur knappen Hälfte umgewandelt, Hartford. Jetzt muß die Kältemaschine erst wieder eine halbe Stunde flüssige Luft schaffen, bevor wir weiterarbeiten können.«

»Ja, mein lieber Bigot«, Hartford zuckte die Achseln, »ich fürchte, übermäßig imponieren werden wir Mister Kelly mit unserer Anlage nicht. Es wird uns nicht leichtfallen, daraufhin weitere Dollar bei ihm locker zu machen.«

Während Hartford sprach, kam Bigot ein Brief Kellys in die Erinnerung, den er seit drei Tagen in der Tasche mit sich herumtrug. »Sie sprechen per wir und uns«, begann er zögernd. »Ich darf es Ihnen nicht länger verschweigen: Kelly hat bedauerlicherweise ein Vorurteil gegen Sie gefaßt. Er verlangt für die neuen Versuche einen anderen Experten.«

»Was? Einen anderen Experten?« Hartford fuhr gereizt auf. »Ich hoffe doch, Sie haben sich geweigert, auf diese unerhörte Bedingung einzugehen.«

Bigot machte eine unschlüssige Bewegung. »Ich habe alles mögliche versucht, Mister Hartford. Bisher habe ich mit Ihnen noch gar nicht von der Sache gesprochen, weil ich glaubte, daß es mir gelingen würde, Mister Kelly umzustimmen, aber jetzt ... Sehen Sie diesen Brief –«, er griff in die Tasche und reichte Hartford ein Schreiben, das die energischen Schriftzüge Kellys trug. Hartford überflog es und wurde blaß.

»Weiß der Himmel, woher der Mann seine Informationen hat!« fuhr Bigot fort. »Er behauptet steif und fest, daß es einen Professor Percy Hartford nicht gäbe. Beruft sich dabei auf eine Auskunft, die er telegraphisch von einem Professor James Hartford in Schenektady eingeholt haben will. Schreibt, daß er noch andere, genauere Auskünfte erwarte. Was wollen Sie unternehmen?«

Hartford zerriß den Brief Kellys in kleine Stücke, warf sie in einen Aschenbecher, zündete sie an und sah ruhig zu, wie das Papier in Flammen aufging.

»Was wollen Sie tun?« wiederholte Bigot seine Frage.

»Was wollen Sie tun, Monsieur Bigot?« fragte Hartford zurück. Vergeblich wartete er auf eine Antwort und sprach selber weiter: »Vergessen Sie nicht, Bigot, daß wir auf Gedeih und Verderb verbunden sind. Wenn Sie etwa glauben, mich jetzt einfach beiseitewerfen zu können, so wäre das ein folgenschwerer Irrtum von Ihrer Seite. Ja doch!« unterbrach er einen Einwand Bigots. »Ich kann mir schon denken, was Sie vorhaben. Dank den fremden Plänen können Sie jetzt endlich Gold machen, was Sie bisher noch niemals gekonnt haben. Da können Sie es zur Not riskieren und den Experten nehmen, den Kelly mitbringt! Nachher munter Dollars einkassieren ... und ich? – Ich kann sehen, wo ich bleibe!«

»Aber nein, Hartford«, die Stimme Bigots klang gequält, »ich denke gar nicht daran. Ich weiß, was ich Ihnen schuldig bin ...«

»Alles sind Sie mir schuldig, Bigot! Vergessen Sie das ja nicht! Ich rate es Ihnen zu Ihrem eigenen Besten. Sie wissen, daß ich Sie in der Hand habe!«

»Sie brauchen mir nicht zu drohen.« Müde ließ sich Bigot in einen Sessel fallen. »Sie kennen jetzt die Lage. Raten sollen Sie mir, Hartford. Sagen Sie mir, was soll ich tun?«

»Sie müssen es der Abwechslung halber mal mit der ehrlichen Tour versuchen, Bigot.«

Der Franzose sah seinen Kumpan verständnislos an. »Wie meinen Sie das, Hartford?«

»Wir brauchen Geld, Bigot. Das ist jetzt das wichtigste.«

»Geld?« stöhnte Bigot und fuhr sich mit beiden Händen in seinen dunklen Schopf. »Bei Gott, Geld! Wir haben es bitter nötig, Hartford. Die Gläubiger lassen sich nicht länger vertrösten.«

»Gläubiger? Unsinn! Die können warten; andere Dinge sind nötiger. Mit der elenden Kühlanlage hier kommen wir Kelly and Company besser nicht vor die Augen. Da müßte vor allen Dingen erst mal eine richtige Kältemaschine her –«

»Unmöglich, Hartford! Ich habe einen Kostenanschlag dafür eingefordert. Die Maschine würde an die zwanzigtausend Dollar kosten –«

»Ungefähr die gleiche Summe«, fuhr Hartford ungerührt fort, »müßte ich für mich beanspruchen, wenn ich mich die nächsten Wochen im Hintergrund halten soll. Etwas Bewegungsgeld müssen Sie auch haben, Bigot, um hier weiter standesgemäß auftreten zu können. Sagen wir alles in allem fünfzigtausend Dollar, damit würde der erste, dringendste Geldbedarf gedeckt sein.«

»Sie hätten Finanzminister werden sollen!« sagte Bigot in einem Anfall von Galgenhumor. »Vielleicht haben Sie auch die Güte, mir mitzuteilen, woher wir die Deckung für diesen eben von Ihnen aufgestellten Etat nehmen sollen?«

Hartford lachte.

»Ich deutete es Ihnen bereits an, mein lieber Bigot. Diesmal müssen wir es mit Hilfe der ehrlichen Tour machen, so unbekannt Ihnen dieser Weg auch zu sein scheint. Sie werden sich eben damit befreunden –«

»Zum Donnerwetter, Hartford!« fuhr Bigot ärgerlich auf: »Reden Sie nicht um den Brei herum! Sagen Sie endlich, was Sie vorhaben!«

»Das Einfachste und Nächstliegende, mein Lieber. Wir können jetzt wirklich Gold machen. Also werden wir es machen und verkaufen, bis wir die Summe zusammen haben, die wir vorerst mal brauchen. Unterbrechen Sie mich nicht, Bigot! Ich weiß, was Sie sagen wollen. Es wird eine langweilige Sache sein, bis wir die ersten zwanzigtausend zusammen haben. Dann muß sofort eine neue Kältemaschine hierher. Der Rest wird dann schneller gehen.«

»Sind Sie toll geworden, Hartford? Hunderttausend Dollar – einige siebzig Kilogramm gediegenes Gold würde das heißen. Nur milligrammweise haben wir es bisher erzeugen können –«

»Mit Ihren Schwindelversuchen!« fiel ihm Hartford barsch ins Wort. »Mit der deutschen Apparatur wird es besser gehen. Ich halte es nicht einmal für ausgeschlossen, daß wir dauernd Geschmack an der Sache gewinnen und überhaupt für eigene Rechnung fabrizieren ...«

»Sie sind toll geworden, Hartford! Vollkommen übergeschnappt!« entrüstete sich Bigot von neuem. »Selbst wenn wir Gold hätten, könnten wir es nicht absetzen. Der Handel mit Gold ist in Frankreich Staatsmonopol. Bei dem ersten Versuch, auch nur ein Kilo zu verkaufen, würde man uns festnehmen.«

Hartford lachte aus vollem Halse los. Eine Minute verstrich, bevor er weiterreden konnte. » By Jove, Bigot, was sind Sie für ein blutiger Anfänger! Wissen Sie wirklich noch nicht, daß der illegale Handel da am üppigsten blüht, wo der legale eingeschränkt wird? Halten Sie mich etwa für so naiv, daß ich mit unseren Barren zur Bank von Frankreich gehen werde? Nein, mein Teurer, es gibt andere, bessere Wege. Die Hauptsache ist, daß wir das Gold erst einmal machen. Den Absatz lassen Sie meine Sorge sein.«

Noch einen letzten Einwand versuchte Bigot. »Sie werden die Barren für ein Spottgeld verschleudern müssen, wenn Sie damit zu Schwarzhändlern gehen. Man weiß doch, wie die es treiben. Die Hehler kaufen die Ware für einen Bruchteil des wirklichen Wertes.«

Hartford schwankte zwischen Lachen und Staunen. »Hehler? Ja, wer spricht denn hier von Hehlern, Bigot? Das ist ein Handel wie jeder andere. Gewiß illegal, weil Gesetze heute verbieten, was gestern noch erlaubt war, aber sonst durchaus reell. Sie haben ja keine Ahnung«, fuhr er fort, als Bigot sich noch einen Zweifel erlaubte, »wie Juweliere, Dentisten und andere Goldverbraucher in Frankreich heute hinter dem gelben Metall her sind. Ich garantiere Ihnen einen Preis, der höchstens um zehn Prozent niedriger ist als der, den die Bank von Frankreich zahlt.«

»Und das Risiko? Wenn Sie erwischt werden, Hartford?«

»Ah bah! Halten Sie sich nur dran und machen kräftig Gold – alles andere überlassen Sie mir!«

* * *

Im Laboratorium der Eulenburg arbeiteten Professor Braun und Holthoff programmäßig weiter, obwohl es selbst dem geduldigen Dr. Holthoff nachgerade etwas zuviel wurde. Mit der Hartnäckigkeit eines Wildesels – um ein gelegentliches Wort Eisenlohrs zu gebrauchen – versteifte sich Braun darauf, die sämtlichen von ihm mitgebrachten Gelatinearten durchzuarbeiten. Alles andere interessierte ihn nicht. Auch die Tatsache, daß er durch seine Arbeiten die große Strahlröhre vollkommen mit Beschlag belegte, ließ ihn kalt. Mochten die andern doch sehen, wie sie mit ihren Sachen zurechtkamen!

Dr. Bruck benutzte die unfreiwillige Muße, um sich in seinem Arbeitszimmer mit theoretischen Berechnungen zu beschäftigen. Jener zweifelhafte Handel mit Bigot nahm ihn doch stärker mit, als er es selber für möglich gehalten hätte. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten vermied er es, Eisenlohr oder Holthoff in die Augen zu sehen. Bei seiner augenblicklichen Gemütsverfassung fühlte er sich in der Einsamkeit seines Studierzimmers am wohlsten.

Eisenlohr hatte noch an dem gleichen Tage, an dem er die erste bestrahlte Gelatine in den kleinen Burgteich schüttete, ein paar Telegramme nach Frankfurt und Berlin abgehen lassen. Als Antwort kamen schon in den nächsten Tagen mehrere Frachtstücke auf der Eulenburg an. Gemeinsam mit Michelmann machte er sich daran, sie in seinem eigenen Arbeitszimmer auszupacken. Mit Mißbehagen sah das alte Faktotum, wie Eisenlohr Holzwolle und Watte, in denen die Apparate verpackt waren, achtlos auf den Teppich warf.

»Wäre es nicht besser, Herr Doktor, wenn wir die Sachen im Laboratorium auspackten?« erlaubte er sich schüchtern zu bemerken.

»Nein, Michelmann. Wir machen es hier«, schnitt Eisenlohr den Einwand kurz ab und ging daran, eine neue Strahlröhre aus der Watteverpackung herauszuschälen. Sorgfältig legte er sie in einen Schrank, um sich dann an die nächste Kiste zu machen. Michelmann mußte kräftig mit zufassen, als sie einen Transformator aus ihr heraushoben. Schalt- und Meßgeräte enthielt die dritte Kiste, und dann konnte der Alte darangehen, die Spuren dieser Packerei zu beseitigen und das Zimmer wieder in Ordnung zu bringen. –

Dr. Bruck fuhr zusammen, als es klopfte und die Tür seines Zimmers geöffnet wurde. Er wollte den Block, auf dem er gerechnet hatte, beiseiteschieben, aber es war zu spät dazu. Eisenlohr stand bereits neben ihm und überflog die Formeln, die auf dem Papier standen. Unwillkürlich runzelte sich seine Stirn, als er sie genauer betrachtete.

»Ich habe die unfreiwillige Arbeitspause dazu benutzt, Herr Eisenlohr«, begann Bruck unsicher, »mich theoretisch mit einem Problem zu beschäftigen, das –«

»– Ihnen mehr am Herzen zu liegen scheint als unsere anderen Arbeiten, Herr Doktor Bruck. So, wie Sie es hier angegriffen haben, werden Sie es aber nicht lösen.«

Eisenlohr deutete auf eine Stelle in den Aufzeichnungen Brucks und bemühte sich, seine Meinung mit mathematischen Gründen zu belegen. Bruck versuchte seine eigene Auffassung zu verteidigen und führte gegen die Einwände Eisenlohrs neue Formeln ins Treffen. Eine wissenschaftliche Diskussion entspann sich zwischen den beiden; sie zog sich über eine gute halbe Stunde hin, bis Bruck plötzlich den Bleistift fallen ließ und sein Gesicht in die Hände stützte.

»Sie haben recht, Herr Eisenlohr, so geht es in der Tat nicht. Jetzt sehe ich den Fehler selber.«

Eisenlohr schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Gut, daß Sie es endlich einsehen, Bruck. Werfen Sie den Formelkram in den Papierkorb und kommen Sie mit ins Freie! Frische Luft wird Ihnen nach dem Stubenhocken nichts schaden.«

Bruck stand aus und folgte Eisenlohr in den Vorraum. Er glaubte, daß der Chef wieder einmal Lust hätte, ein wenig durch den Wald zu laufen und zu plaudern. Als Eisenlohr einen Schrank aufschloß und einen blauen Leinenkittel herausnahm, stutzte er.

»Was haben Sie vor, Herr Eisenlohr?«

»Wollen ein bißchen Monteur spielen, Bruck.« Eisenlohr zog seinen Rock aus und dafür den Kittel an. »Nehmen Sie auch einen!« Er reichte ihm einen zweiten Kittel. »So!« fuhr er fort, nachdem Bruck ihn angezogen hatte. »Wir wollen eine Leitung ziehen. Ich habe die Trasse bereits abgesteckt und alles vorbereitet.« –

Es war ein tüchtiges Stück Arbeit, das Eisenlohr sich vorgenommen hatte und bei dem Bruck kräftig mithelfen mußte. Über fünfhundert Meter hin von der Burg bis zu dem kleinen Teich galt es eine blanke Freileitung zu spannen. Mit Kreidekreuzen hatte Eisenlohr bereits die Bäume gekennzeichnet, in deren Stämme die Isolatoren eingeschraubt werden sollten. Von Stamm zu Stamm hieß es zunächst eine Leiter schleppen, um das zu besorgen.

Bald wischte sich Bruck den Schweiß von der Stirn.

»Könnte uns Michelmann dabei nicht helfen?« fragte er.

»Ich möchte es mit Ihnen allein machen«, lehnte Eisenlohr den Vorschlag ab. »Ich bitte Sie auch, zu den andern nicht über diese Anlage zu sprechen.«

Erst jetzt fiel es Bruck aus, daß die Bäume für die Isolatoren in einer besonderen Absicht ausgewählt waren. Die Leitung folgte nicht dem kürzesten Wege, sondern verlief so, daß Isolatoren und Drähte durch halbhohes Unterholz überall gegen Sicht getarnt blieben. Es schien fast ausgeschlossen, daß jemand sie zufällig entdecken könnte.

Bruck machte sich allerlei Gedanken darüber, während sie gemeinsam die starken Kupferdrähte von Isolator zu Isolator spannten, und seine Neugier wurde noch stärker, als danach der zweite Teil der Arbeit an die Reihe kam.

Auf einem Karren schafften sie gemeinsam den keineswegs leichten Transformator an den Teich. Eine kräftige Bohle mußte hier vom festen Ufer zu einem Felsblock gelegt werden, der von dichtem und übermannshohem Schilf umgeben in dem sumpfigen Vorland lag. Dann erst konnten sie den Apparat dorthin bringen und aufstellen. Auch hier war die Tarnung eine vollkommene, und das gleiche galt für ein Stativ mit der neuen Strahlröhre, das seinen Platz dicht neben dem Transformator auf dem Felsblock fand.

Die Sonne stand schon tief am Horizont, als hier alles richtig zusammengeschaltet war. Dr. Bruck fühlte, wie sein Magen knurrte. Eisenlohr lachte.

»Sie scheinen Appetit zu haben, Kollege. Ist nach der Arbeit ohne Mittagspause und ohne Mittag nicht weiter verwunderlich. Um so besser wird's Ihnen jetzt schmecken. Wollen sehen, was es für uns gibt.« Langsam stiegen sie den Berg wieder hinauf; Bruck schleppte die Leiter, Eisenlohr trug eine schwere Werkzeugtasche. Ein paarmal machten sie halt, um sich zu verschnaufen.

Während einer solchen Rast wiederholte Eisenlohr seine Forderung nach unbedingter Verschwiegenheit. »Ich möchte unter keinen Umständen, daß über die Versuche, die ich hier vorhabe, vorzeitig etwas bekannt wird. Also bitte, Herr Doktor, auch Diskretion gegenüber Braun und Holthoff!«

Bruck wurde von zwiespältigen Empfindungen bewegt. Die wissenschaftliche Diskussion an diesem Morgen hatte seine Hoffnungen auf künftigen Reichtum schwer erschüttert. Bei den Ausführungen, die Eisenlohr in dieser Debatte machte, war ihm mit Schrecken klargeworden, daß es auf dem Wege, den er Bigot gewiesen hatte, kaum gehen würde. Sollte er dem Millionentraum weiter nachhängen? Sollte er ihn ein für allemal aufgeben? Das Vertrauen, das Eisenlohr ihm jetzt mit seinen letzten Worten entgegenbrachte, ließ ihn seinen eigenen Vertrauensbruch doppelt schwer empfinden. Wie eine Zwangsvorstellung begann ihn das alte Wort vom betrogenen Betrüger zu verfolgen; um sich davon frei zu machen, fing er an, von technischen Dingen zu sprechen.

»Sie haben keine Kühlanlage für die neue Strahlröhre, Herr Eisenlohr?«

»Es muß diesmal ohne flüssige Luft gehen, Bruck, die Anlage würde sonst zu kompliziert werden«, beantwortete Eisenlohr seine Frage. »Nach meiner Berechnung wird es auch so gehen. Ich beabsichtige, das Gewässer für den Rest des Sommers einer ultraharten, aber verhältnismäßig schwachen Dauerstrahlung auszusetzen. Wenn meine Vermutungen zutreffen, werden wir dabei allerlei überraschende Erscheinungen beobachten können.«

»Für den Rest des Sommers, Herr Eisenlohr?«

»Und auch für den Herbst, solange er mild bleibt, mein lieber Bruck.«

»Das wären immerhin ein paar Monate. So lange wollen Sie die Anlage hier im Freien lassen? Ohne Bewachung, ohne Schutz? Wenn ein Unbefugter sie zufällig entdeckte –?«

»Das ist kaum zu fürchten«, lehnte Eisenlohr den Einwurf ab. »Wir haben alles gut getarnt. Außerdem kommt hier kaum ein Fremder hin. Der Weg zur Burg läuft ja über die andere Bergseite. Kommen Sie, wir wollen weitergehen.«

Schweigend schulterte Bruck seine Leiter, und sie stiegen den hier ziemlich steilen Hang empor. Noch einmal machten sie Rast, und wieder kam Bruck auf seine Bedenken zu sprechen.

»Ah bah!« lehnte Eisenlohr sie ab. »Die Leitung wird dauernd unter einer Spannung von zweitausend Volt stehen. Die schützt sich selber gegen unerbetene Neugierige. Der Transformator ist gepanzert. Wer ihn aufzubrechen versucht, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben. Die Strahlröhre – nun, Bruck, ich möchte keinem empfehlen, in ihre Nähe zu kommen, solange die Leitung unter Strom ist. Sie machen sich unnötige Sorgen.« –

Bei der gemeinsamen Abendmahlzeit hatte Professor Braun die Hauptkosten der Unterhaltung zu tragen. Begeistert berichtete er von gelungenen neuen Versuchen; aber schon wieder war der Brutschrank darüber zu eng geworden. Ältere Proben mußten neuen Platz machen.

»Ich werde sie nachher an mich nehmen, Herr Professor«, sagte Eisenlohr. »Ich habe inzwischen einen geeigneten Platz dafür eingerichtet.«

Er vermied es, die Frage, die in Holthoffs Blick lag, zu beantworten, und ließ Braun weiter von seinen Versuchen erzählen.

* * *

»Doch etwas zu früh verkauft!« knurrte Kelly zwischen zwei Rauchwolken und reichte Spranger einen Kurszettel hin. Der schob ihn zurück.

»Interessiert mich nicht mehr. Gott sei Dank, daß wir die Geschichte hinter uns haben. Sie sollten endlich etwas tun, Kelly, um Ihren ramponierten Ruf wiederherzustellen. In Wallstreet hält man Sie immer noch für den Reingefallenen. Briefe, die ich heute früh aus New York bekam, lassen keine Zweifel daran.«

Kelly qualmte wie ein Küstendampfer. »Mir egal, was die Idioten in Wallstreet über mich denken. Spranger. Ärgert mich nur, daß ich unsere Goldpapiere etwas zu früh abgestoßen habe. Wir hätten zwanzig Punkte mehr 'rausholen können, wenn ich noch eine Woche gewartet hätte. Habe mich durch den Kerl, den Bigot, bluffen lassen. Drei Wochen sind darüber verstrichen. Jeden Tag dachte ich, er würde sich melden ...«

»Ich bin heilfroh, daß wir den Menschen glücklich los sind«, unterbrach ihn Spranger. »Das Konto Bigot bleibt ein finsterer Posten in unserem Hauptbuch.«

»Aber ein recht nutzbringender, mein Boy. Ich wäre ganz zufrieden, wenn wir noch ein paar andere von derselben Art buchen könnten.« Er sah seinen Partner an und fuhr fort: » By Jove, Spranger, jetzt machen Sie wieder ein Gesicht wie ein Methodistenprediger! Nachgerade sollten Sie doch gelernt haben, daß Moral und Geschäft zweierlei sind.«

»Lassen wir das«, wehrte Spranger ab, »darüber will ich mit Ihnen nicht streiten. Es ist etwas anderes, das mir nicht aus dem Kopf will.«

»Schießen Sie los, Spranger! Was haben Sie noch auf dem Herzen?«

»Es ist die Einstellung meines alten Studienfreundes Eisenlohr zu diesen Dingen. Sie bleibt mir ein Rätsel.«

»Eisenlohr?« Kelly machte eine abfällige Bewegung. »Kein Mann, um Geschäfte mit ihm zu machen. Soweit ich es übersehe, der typische deutsche Gelehrte. Weltfremd – Idealist – in den Zeitungen stand kürzlich etwas über ihn. War eine reichlich verrückte Sache. Er soll Gelatine durch eine Strahlung lebendig gemacht haben. Dafür gibt ihm Wallstreet keinen roten Cent.– Wissenschaftlicher Ruhm? – Nonsens! Davon ist noch keiner satt geworden!«

»Sie kennen Eisenlohr nicht, sonst würden Sie anders von ihm reden«, unterbrach Spranger seinen Partner. »Er hat nicht nur bedeutende Erfindungen gemacht, sondern auch verstanden, sie gewinnbringend zu verwerten. Haben Sie niemals etwas von den Eisenlohrpatenten gehört?«

»Keine Ahnung, Spranger«, knurrte Kelly.

»Er bezieht Lizenzen daraus, die nicht von schlechten Eltern sind. Glauben Sie mir, Kelly, er ist kein schlechter Geschäftsmann, und gerade deswegen wundert es mich, daß er so gar keinen Wert auf eine seiner neuesten Entdeckungen legt. Er kann heute schon mehr als Ihr Freund Bigot. Ich habe Proben von synthetischem Gold bei ihm gesehen, die wesentlich vollkommener waren als alles, was uns Bigot bisher gezeigt hat.«

Kelly spitzte die Ohren. »Was sagen Sie, Spranger? Der Deutsche kann es auch, sogar noch besser?«

»Sicher, Kelly, aber das ist das Unerklärliche – er macht keinen Gebrauch davon.«

»Wenn er's täte, würde er's Ihnen bestimmt nicht auf die Nase binden«, fiel ihm Kelly ins Wort.

»Nein, Kelly. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Ich habe es vorübergehend auch einmal gedacht, daß Eisenlohr im geheimen Gold macht und für sich verwertet. Das ist es aber nicht. Er hat mir auf meine Frage geantwortet, daß die Entdeckung zwecklos wäre, daß die Wissenschaft sich hier auf einem Holzweg befände. Mehr habe ich allerdings aus ihm nicht herausbekommen.«

Kelly pfiff durch die Zähne.

»Ihr deutscher Freund scheint mir gerissener zu sein, als ich dachte. Spranger. Ich sehe da eine neue Möglichkeit: Wenn Bigot versagt, könnten wir uns vielleicht mit Eisenlohr in Verbindung setzen.«

»Ich sage Ihnen vorher, Kelly, er wird es ablehnen.«

»Abwarten, mein Lieber! Das wird sich später finden. Erst muß ich einmal feststellen, was Monsieur Bigot treibt.« Kelly sah auf sein Chronometer. »Um drei Uhr bin ich bei meinem Zahnarzt angesagt. Noch bequem Zeit, um vorher in die Rue Saint Antoine zu fahren.«

Er stand auf und griff nach Stock und Hut.

»Lassen Sie Ihre Finger davon, Kelly! Die Sache ist faul!« rief ihm Spranger nach, aber Kelly hörte es kaum noch, er war bereits aus der Tür. –

Auf gut Glück fuhr er in der Rue St. Antoine vor. Vom Fenster aus sah ihn Hartford zufällig aus dem Wagen steigen.

»Kelly kommt!« rief er Bigot zu. »Sie müssen ihn allein empfangen. Ich mache mich unsichtbar. Denken Sie daran, daß wir alle Trümpfe in der Hand haben! Wir können jetzt warten, die Amerikaner müssen uns kommen –« Er brach ab und verschwand in einen Nebenraum.

Von dem livrierten Diener geleitet trat Kelly in das Laboratorium. Höflich und geschmeidig wie immer empfing ihn Bigot, und doch kam er Kelly irgendwie verändert vor, zurückhaltender und selbstbewußter als früher, schien ihm.

»Sie haben lange nichts von sich hören lassen, Monsieur Bigot«, eröffnete Kelly das Gespräch.

»Ich habe inzwischen weitergearbeitet, und ich darf wohl sagen, mit Erfolg, aber ich wollte erst zu Ihnen kommen, wenn ich die überzeugenden Beweise auf den Tisch legen kann. Jetzt ist es soweit, Mister Kelly, in den nächsten Tagen wahrscheinlich schon hätte ich Sie aufgesucht.«

»Hm, soso?« Kelly sah sich in dem Raum um. Eine neue, gegen die ältere wesentlich größere Röhre fiel ihm auf. Er deutete auf eine Rohrleitung: »Was ist das, Monsieur Bigot?«

»Kathodenkühlung, Mister Kelly. Erst so ist es möglich, die Röhre voll auszunutzen und die Produktion zu erhöhen.«

»Haben Sie schon etwas produziert?« fragte Kelly.

Du würdest dich wundern, wenn du wüßtest, was wir schon geschafft und an den Mann gebracht haben! dachte Bigot, aber er hütete sich, seine Gedanken laut werden zu lassen. »Ich bin mitten in der Arbeit«, antwortete er. »Die neue Röhre lieferte das Gold zunächst in Form eines feinen, adhäsiven Pulvers. Vor zwei Tagen gelang es mir zum erstenmal, auch Massivgold mit ihr herzustellen.«

»Pulver oder massiv, es bleibt sich gleich, wenn es nur gutes Gold ist«, meinte Kelly. »Was haben Sie da, Monsieur Bigot?« Er zeigte auf ein hölzernes Gestell, in dem mehrere mit goldigem Staub gefüllte Reagenzgläschen standen.

»Goldpulver, Mister Kelly! Es stammt von den ersten Versuchen mit der neuen Röhre.«

Kelly nahm eines der Gläschen aus dem Gestell. »Man müßte es umschmelzen«, meinte er, während er es betrachtete.

»Unnötige Mühe, Mister Kelly. Auch in dieser Form ist es gut verwendbar.«

»Als Pulver, Monsieur Bigot? Kann ich mir nicht recht vorstellen.«

»Doch, Mister Kelly. Ich sagte bereits, daß es in adhäsiver Form aus der Röhre anfällt ...«

»Adhäsiv? Kenne ich nicht! Was ist das?«

»Es bedeutet, daß die Körnchen schon unter einem mäßigen Druck zu massivem Gold zusammenbacken, eine Eigenschaft, die beispielsweise den Zahnärzten bei der Herstellung von Goldfüllungen erwünscht ist.«

Über Kellys Gesicht glitt ein Schimmer des Verstehens. »Ach so! Sie meinen, ein Dentist würde Ihnen das hier sofort abkaufen, um Plomben daraus zu machen! Haben Sie es schon versucht?«

»Ich denke nicht daran, Mister Kelly«, wehrte Bigot ab. »Es hätte die Geheimhaltung meiner neuen Entdeckungen gefährden können.«

»Geheimhaltung? Nonsens! Die Presse hat sich zur Genüge mit Ihnen und Ihren Arbeiten beschäftigt.«

»Und festgestellt, daß ich nichts kann, daß ich ein Scharlatan bin.«

Kelly nickte. »Das hat sie leider sehr gründlich getan, Monsieur Bigot.«

»Zuerst dachte ich auch ›leider‹, Mister Kelly. Ich war über diese Zeitungsartikel entrüstet, aber jetzt ist mir's gerade recht so. Bigot ist ein Schwindler! Bigot ist ein Nichtskönner! Nach dieser Pressekampagne ist das eine allgemein anerkannte Tatsache.«

»Ihre Reputation hat in der Tat etwas gelitten«, bestätigte Kelly mit leichter Ironie die Worte des andern. Unwillkürlich erinnerte er sich daran, daß er vor kurzem von seinem Partner etwas Ähnliches über seinen eigenen Ruf gehört hatte. Und ähnlich, wie er selbst darauf William Spranger antwortete, erwiderte ihm jetzt Bigot:

»Mögen die Leute von mir schreiben und denken was sie wollen. Die Hauptsache ist mir jetzt, daß ich ungestört weiterarbeiten kann. Wenn Sie wollen, zusammen mit Ihnen, Mister Kelly. Sonst – es werden sich auch andere finden, wenn ich sie überhaupt brauche.«

Die letzten Worte Bigots verschlugen Kelly die Sprache. So hatte er den Franzosen bisher noch nicht kennengelernt. Von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich seine Überzeugung, daß der jetzt etwas wirklich Brauchbares geschaffen hatte und sich stark genug fühlte, es zur Not allein durchzusetzen.

»Sie können nach wie vor auf mich zählen, Monsieur Bigot«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Vergessen Sie nicht, daß ich bereits eine Voroption von Ihnen erworben habe.«

»Die Verhandlungen müßten den früher festgelegten Bedingungen entsprechend geführt werden.«

»Ich bin dazu bereit, Monsieur Bigot, sobald Sie mir die versprochenen Beweisstücke bringen.«

»Ich gedenke es schon in den nächsten Tagen zu tun, Mister Kelly.«

» All right! Ich erwarte also demnächst Ihren Besuch.« Kelly machte Anstalten, sich zu verabschieden. Er wollte das Gläschen mit dem Goldpulver wieder in das Gestell stecken, als ihm ein anderer Gedanke kam. »Das hier könnten Sie mir eigentlich mitgeben«, meinte er.

Erst nach kurzem Zögern antwortete Bigot: »Ich will es Ihnen geben, Mister Kelly. Aber ich muß dringend um Ihre Diskretion bitten. Es ist nur für Sie. Kein Wort darüber zu anderen!«

»Meine Hand darauf, Monsieur Bigot!« Kelly schob das Röhrchen in die Tasche und verabschiedete sich. –

Kaum hatte er den Raum verlassen, als Hartford wiederauftauchte. »Diesmal haben Sie die Sache richtig gemacht, Bigot. Den Amerikaner haben wir wieder fest. Ich denke, wir werden unser Heu bald ins Trockene bringen.«

»Wäre auch Zeit«, sagte Bigot mit einem leichten Seufzer. »Offen gestanden, Hartford, mir ist bei Ihren Goldverkäufen nicht mehr wohl. Jedesmal, wenn Sie mit den Barren losziehen, fürchte ich, daß die Sache schiefgeht.«

Hartford lachte. »Keine Sorge, mein Lieber! Das Geschäft läuft glatt. Vielleicht werden wir's auch später noch trotz Mister Kelly für eigene Rechnung betreiben.« –

Während Kelly weiterfuhr, hing er dem Gedanken nach, der ihm in der Rue St. Antoine noch zuletzt beim Anblick des Röhrchens gekommen war. Für Plomben sollte das Goldpulver geeignet sein, hatte Bigot ihm versichert. Er war auf dem Wege zu seinem Zahnarzt, wollte sich ein paar Füllungen machen lassen. Eine gute Gelegenheit, die Sache sofort auszuprobieren. Freilich hatte er Bigot Verschwiegenheit gelobt. Nun, ein unverfänglicher Vorwand würde sich leicht finden lassen. Um Ausreden war Mr. Kelly noch niemals in Verlegenheit gewesen. –

»Wo haben Sie so lange gesteckt?« fragte ihn Spranger, als er gegen Abend in das Hotel zurückkam. Kelly mischte sich einen Sodawhisky und zog sich damit in seinen Klubsessel zurück.

»Uff, Spranger! War eine schwere Sitzung! Zwei Stunden habe ich auf dem Marterstuhl aushalten müssen. Vier neue Plomben hat mir der Dentist gemacht! Kommen Sie her, sehen Sie sich die Sache mal an!« Er riß den Mund auf, als ob er Spranger verschlingen wollte. Der blieb ruhig aus seinem Platz.

»Kann ich schon von hier sehen, Kelly. Offen gesagt, mein Geschmack ist's nicht! Ich hätte Porzellan vorgezogen. Ich finde es zu auffallend. Der Mann hat Ihnen ja ein kleines Goldbergwerk in Ihre Zähne gepflastert!«

Kelly entschloß sich, seinen Mund wieder zuzumachen. »Es ist Gold aus dem Laboratorium von Bigot, das dazu benutzt wurde«, sagte er.

»Gold von Bigot?« Spranger sah ihn mißtrauisch an. »Damit lassen Sie sich Ihre Zähne füllen? Geben sich sozusagen als Versuchskaninchen her? Ob das gerade klug von Ihnen war? Ich weiß nicht, Kelly ...!«

Kelly verschluckte den Rest seines Whiskys und setzte sich in Positur. »Was wollen Sie, Spranger? Der Dentist war entzückt von dem Gold. Er hätte brennend gern mehr davon gehabt. Fragte mich, ob ich ihm nicht etwas besorgen könnte.«

»Sie haben es hoffentlich abgelehnt?«

»Selbstverständlich! Ich denke gar nicht daran. Den Rest habe ich wieder mitgenommen. Da, hier ist er.« Er reichte Spranger das Röhrchen, in dem sich noch gut eine Messerspitze jenes Goldpulvers befand. »Falls Sie auch einmal Bedarf haben. Ich kann es Ihnen nur empfehlen.«

»Danke schön, Kelly! Vielleicht werde ich einmal Gebrauch davon machen«, sagte Spranger und nahm das Gläschen an sich.


6. Kapitel.

»Na, Holthoff, wie steht's bei Ihnen?« fragte Eisenlohr seinen Assistenten.

Dr. Holthoff machte einen überarbeiteten Eindruck. Die Anstrengungen dieser letzten Wochen waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

»Wir sind bei Probe Nummer einhundertachtzig, Herr Eisenlohr.«

»Also Aussicht, daß Sie mit der Geschichte bald zu Ende kommen. Etwas Neues hat sich wohl kaum ergeben? Ich verstehe nicht, warum Braun sich darauf versteift, alle diese Proben durchzuarbeiten.«

»Ich habe es zuerst auch nicht recht einsehen wollen, Herr Eisenlohr. Aber« – die Stimme Holthoffs wurde lebhafter, während er sprach, die Müdigkeit schien von ihm abzufallen – »nach den letzten Beobachtungen jetzt bereue ich die Arbeit nicht mehr. Gerade die Proben, die wir zuletzt vornahmen, zeigen ganz eigenartige, von den früheren abweichende Erscheinungen.«

Eisenlohr wurde neugierig. »Abweichend, Herr Holthoff? Es muß doch immer dasselbe sein: Molekularbewegungen – amöboide Bewegungen – Amöben und im günstigsten Falle vollständige Zellen.«

»Ich habe es auch geglaubt, Herr Eisenlohr, bis wir zu dieser Probe Nummer einhundertachtzig kamen.«

»Ist es da anders gewesen, Holthoff?«

»Es kam anders. Es entstanden natürlich auch Zellen. Aber sie blieben nicht isoliert. Sie fügten sich zu größeren Gebilden zusammen. Es entstanden Zellenkolonien, aus denen man – unter Zuhilfenahme einiger Phantasie – die Formen gewisser Urtiere herauslesen könnte.«

»Wo haben Sie die Probe, Holthoff?«

»Braun hat sie unten im Brutschrank.«

Eisenlohr machte eine ungeduldige Bewegung. »Immer das gleiche! Warum bestrahlt er sie nicht länger? Die Entwicklung könnte dadurch gefördert werden.«

Holthoff zuckte die Achseln. »Sie kennen doch Braun. Er arbeitet nach Schema F. Davon läßt er sich nicht abbringen. Für etwas Neues wird er erst zu haben sein, wenn er alle seine Gelatinesorten nach diesem Schema durchgearbeitet hat.«

»Also lassen wir ihn in Gottes Namen dabei, Holthoff! Aber die Probe Nummer einhundertachtzig muß aufgehoben werden. Die wollen wir uns später selber vornehmen. In ein paar Tagen muß Braun doch mit seinem Kram fertig sein.«

Eisenlohr verließ das Laboratorium und ging in Brucks Zimmer.

Er fand ihn in die Lektüre einer französischen Zeitung vertieft, warf einen Blick darauf und meinte leichthin: »Was sagen Sie dazu, Bruck? Sprangers Partner ist dem Schwindler doch mit fünfzigtausend Dollar auf den Leim gegangen. Trotz einer telegraphischen Warnung von hier. Man sollte es kaum für möglich halten!«

»Fünfzigtausend, Herr Eisenlohr? In der Zeitung steht etwas von einer Million!«

»Stimmt nicht, Bruck. So naiv ist Mister Kelly denn doch nicht gewesen. Aber auch fünfzigtausend sind schmerzlich.«

Brucks Gedanken liefen im Wirbel durcheinander. Von einer Million schrieb die Zeitung; von einer Million hatte auch Bigot zu ihm gesprochen. Wie war das, wenn's nur fünfzigtausend waren? Würde Bigot denn noch neunhundertfünfzigtausend für sich allein abziehen dürfen, bevor er einen Dollar an ihn, Bruck, auszahlte?

Würde der Franzose überhaupt noch etwas von den Amerikanern bekommen, nachdem die Zeitungen den Schwindel an die große Glocke gehängt hatten?

Immer zweifelhafter erschien ihm der Wert jenes Vertrages und der Wechsel Bigots, die er in seiner Brieftasche trug. Die Stimme Eisenlohrs gab seinen Gedanken eine andere Richtung.

»Kommen Sie mit, Bruck! Wir wollen zusammen an den Teich gehen. Wollen mal sehen, was es da gibt.«

Gefolgt von Bruck ging Eisenlohr erst in sein eigenes Zimmer und schaltete dort die Hochspannungsleitung nach dem Teich hin aus. Dann griff er nach einer Reisetasche aus Wachstuch, die neu zu sein schien und die Bruck hier zum erstenmal sah, und machte sich mit dem Assistenten auf den Weg.

Nach kurzem Abstieg erreichten sie den Uferrand des Teiches.

Prüfend betrachtete Eisenlohr die Umgebung. Nichts schien sich seit ihrem letzten Hiersein verändert zu haben. Das Schilf um den Felsblock war noch etwas höher geworden; aber das konnte dem natürlichen Wachstum zuzuschreiben sein. Bruck sah sich nach dem Gebüsch um, in dem sie damals die Bohle versteckt hatten. Er wollte sie holen, um trockenen Fußes zu dem Felsblock zu gelangen, auf dem die Strahlröhre stand, aber Eisenlohr winkte ab.

»Diesmal machen wir es anders, Bruck.« Er öffnete die Reisetasche und holte zwei Paar Gummistiefel heraus, Langschäfter, die bis an die Hüften gingen, von der Art, wie Schiffer und Kanalarbeiter sie zu tragen pflegen.

»Da, nehmen Sie!« Er reichte Bruck das eine Paar und schlüpfte selber in das andere.

»Munter, lieber Freund! Keine Müdigkeit vorgeschützt!« Seine Mahnung war berechtigt; denn Bruck war mit seinen Gedanken schon wieder in Paris bei Monsieur Bigot.

»Warum wollen Sie in den alten Tümpel kriechen?« fragte er zweifelnd, während er sich langsam bequemte, Eisenlohrs Beispiel zu folgen.

Eisenlohr lachte. »Frösche fangen, Bruck. Wollen mal sehen, ob welche in dem Poggenpfuhl vorhanden sind.«

»Sicherlich sind welche drin, Herr Eisenlohr. Vor drei Tagen hatten wir eine warme Vollmondnacht. Ich wollte bei offenem Fenster schlafen. Sie wissen, mein Zimmer liegt nach dieser Seite 'raus; da hörte ich's quaken.«

Eisenlohr wurde stutzig. »Sollten Sie sich nicht geirrt haben, Kollege? Wir sind jetzt in den letzten Augusttagen.«

»Ausgeschlossen, Herr Eisenlohr. Ich mußte schließlich das Fenster zumachen, um Ruhe zu haben. Das Froschkonzert störte mich.«

»Das wäre nicht uninteressant, Bruck.« Während Eisenlohr weitersprach, trat er in das Wasser und fing an, einzelne Seerosenblätter am Schilfrand umzudrehen und zu untersuchen. »Froschkonzert ist allemal Hochzeitskonzert. Normalerweise ist es nur im April und im Mai zu hören. Ah! Kommen Sie doch mal her ...« Nur widerstrebend entschloß sich Bruck dazu, Eisenlohr ins Nasse zu folgen. Der hielt ihm ein Blatt entgegen. »Sehen Sie, Bruck.«

Bruck blickte schärfer hin. Auf der Unterseite des Blattes klebte eine durchsichtige körnige Schleimmasse, von zahlreichen schwarzen Pünktchen durchsetzt.

»Sieht wie irgendein Laich aus«, meinte er.

»Ist es auch, Bruck. Meiner Meinung nach zweifellos Froschlaich. Was sagen Sie jetzt?«

»Keine Ahnung, Herr Eisenlohr. Ich bin Physiker, aber kein Zoologe. Mit den Lebensgewohnheiten unserer Teichfrösche weiß ich nicht Bescheid.«

»Aber ich kenne mich einigermaßen aus, Bruck. Nur im Frühjahr konzertieren und laichen sie, im Sommer sind sie stumm und futtern sich Fett für den Winter an den Leib. Jetzt dieser frische Laich hier – wissen Sie, was das zu bedeuten hat?«

»Nach dem, was Sie sagten, eine auffällige Ausnahme von einer naturwissenschaftlichen Regel.«

»Die Ursache, Bruck?! Können Sie sich keinen Grund für diese Erscheinung denken?« Dr. Bruck blickte zu dem Felsblock hinüber. Hier von der Wasserseite her schimmerte die Strahlröhre gut erkennbar durch das Schilf.

»Meinen Sie vielleicht«, begann er halb zögernd, halb fragend, »daß es mit der Strahlung zusammenhängen könnte, der wir den Teich mit allem, was drin ist ...?«

»Ja, das meine ich, Bruck. Es ist meine feste Überzeugung. Eine Strahlung, die imstande ist, leblose Materie zu beleben, muß auch auf lebende Organismen wirken. Sie müßte, wenn die Arbeitshypothese, die ich mir zurechtgelegt habe, zutrifft, alle Lebensfunktionen stark anregen.«

Nachdenklich schwieg Bruck. Was für ein Mensch war eigentlich sein Chef? Gold, das ihm ein glücklicher Zufall bei seinen Arbeiten in die Hände spielte, warf er wie etwas Wertloses, Nebensächliches zum Fenster hinaus; und hier stand er vor einem unansehnlichen Schleimklumpen mit einer so verzückten Miene, als ob ihm eine weltbewegende Entdeckung gelungen wäre. Ein anderer mochte das begreifen, ihm war es unverständlich. Was sollte er darauf antworten?

Eisenlohr enthob ihn der Antwort. Er sprach selbst weiter: »Das ist es ja, was ich untersuchen möchte, darum lauere ich darauf, daß Braun endlich mit seinen Arbeiten fertig wird. Ich glaube, Bruck, es war ein Fehler, daß wir mit der Bestrahlung der Materie jedes Mal aufhörten, sobald das erste Leben sich zeigte. Wir wären vielleicht schon weiter, wenn wir sie fortgesetzt hätten. Professor Braun ... gewiß, seine Unterstützung hat uns genutzt ... aber daß er sich nun wochenlang bei uns ins Quartier legt, ist störend ...«

Bruck fühlte sich trotz der Gummistiefel in seiner augenblicklichen Stellung nicht sehr behaglich. »Wollen wir unsere Besprechung nicht lieber auf trockenem Grund und Boden fortsetzen?« schlug er vor. »Da ist's gemütlicher als hier.«

Eisenlohr mußte lächeln. »Man merkt, daß Sie kein Zoologe sind, Kollege Bruck. Wissen Sie nicht, daß das Wasser die erste Wiege alles Lebens ist? In diesem Wasser hier können wir die Wirkung unserer Strahlung am besten verfolgen und studieren. Kommen Sie nur weiter mit. Wir wollen sehen, ob wir nicht noch mehr finden.«

Wohl oder übel mußte Bruck der Einladung des Chefs Folge leisten, obwohl er bei jedem Schritt fürchtete, das Teichwasser in die Stiefel zu bekommen. An keinem schwimmenden Blatt ging Eisenlohr vorbei, ohne es umzuwenden, und an vielen entdeckte er Laich und auch Larven von mancherlei Wassertieren, die sonst in dieser Jahreszeit nicht mehr zu finden waren.

»Es hat sich gelohnt, mein lieber Bruck«, sagte er, als er nach einer Stunde mit seinen Untersuchungen zu Ende war. »Es scheint wirklich so zu sein, wie ich es mir vorstellte. Das nächste Mal wollen wir einen Käscher und ein paar Gläser mitnehmen.«

»Und was soll aus dem Ganzen hier werden?« fragte Bruck. »Bald kommt der Herbst, in ein paar Monaten wird der Tümpel zufrieren. Was dann, Eisenlohr?«

»Wird sich später finden, Bruck. Man könnte vielleicht ein Glashaus über das Ganze bauen. Das werde ich mir noch überlegen.« –

Schweigend legten sie den Weg zur Burg zurück. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Biologische Probleme gingen Eisenlohr durch den Kopf. Eine Fülle neuer Arbeiten fühlte er aus dem, was er hier eben gesehen hatte, aufsteigen. Die Möglichkeit ganz neuer grundlegender Entdeckungen schwebte ihm vor. Vielleicht würde dieser unscheinbare Tümpel, um den sich bisher kein Mensch gekümmert hatte, für immer in die Annalen der Wissenschaft eingehen ...

Von anderer Art waren Brucks Gedanken. Nur um das synthetische Gold kreisten sie, um unsichere Verträge, um zweifelhafte Wechsel, um Monsieur Bigot in Paris.

* * *

Die Unterredung zwischen den beiden Inhabern der Firma Kelly and Company stand im Begriff, in ein stürmisches Fahrwasser zu geraten. William Spranger machte seinem Partner Vorhaltungen, wie der Ältere sie von dem Jüngeren bisher noch nie zu hören bekommen hatte. Zäh verschanzte James Kelly sich hinter seine größeren Erfahrungen und seine unzweifelhaften Erfolge.

»Ich sage Ihnen, Spranger, diese Kuh ist noch nicht ausgemolken«, beharrte Kelly auf seinem Standpunkt. »Sie hat noch allerhand im Euter. In solchen Dingen kann ich mich auf meine Nase verlassen. Ich wittere noch ein großes Geschäft bei der Sache.«

»Es ist ja unsinnig!« fuhr ihm Spranger in die Parade. »Seit sechs Wochen sitzen wir jetzt in Paris. Ein übler Zufall führte uns auf der Überfahrt mit Bigot zusammen, und über die Bekanntschaft mit einem notorischen Schwindler vergessen Sie vollkommen, weshalb wir eigentlich hierher gekommen sind. Riskieren Geschäfte, wie sie unser Haus vorher nicht kannte ...«

James Kelly rieb sich die Hände und verzog den Mund zu einem Lachen, daß seine neuen Plomben zwischen den Lippen hindurchschimmerten.

»War ein großartiges Geschäft, Spranger«, sagte er, als sein Partner eine Atempause machte. »Der Mann, der Old Kelly 'reinlegt, soll erst noch geboren werden.«

Spranger setzte von neuem an. »Lassen Sie jetzt wenigstens Ihre Hände von der Geschichte, Kelly! Sie haben es mit Schwindlern zu tun. Einmal werden Sie doch der Dumme dabei sein.«

Das Lächeln Kellys verstärkte sich. Er fuhr sich dabei mit der Hand über den Mund, als ob er etwas fortwischen wollte.

»Sehr richtig. Spranger! Natürlich haben wir es mit Schwindlern zu tun. Das weiß ich schon längst. Aber das Schöne an der Sache ist, daß die Herren Bigot und Hartford nicht wissen, daß ich es weiß. Sehen Sie, auf dieser Basis möchte ich noch einmal einen großen Schlag machen.«

»Ihre Logik ist mir zu hoch, Kelly«, sagte Spranger abweisend.

»Schade, mein Boy! Ich hätte Sie für aufnahmefähiger gehalten. Sie sollten etwas für Ihre Bildung tun. Eine gute Lektüre wäre vielleicht –«

»Die Sache ist zum Scherzen zu ernst!« fiel sein Partner ihm ins Wort. »Hier geht es um den guten Ruf und schließlich um die Existenz unserer Firma.«

»Ich spreche in vollem Ernst, Spranger. Sie kennen doch unsern berühmten Landsmann Edgar Allan Poe. Er hat einen sehr lesenswerten und höchst instruktiven Essay verfaßt mit dem Titel ›Das Schwindeln, eine exakte Wissenschaft‹. Ich empfehle Ihnen den Aufsatz zur Lektüre. Man kann wirklich etwas daraus lernen ...«

Ehe Spranger etwas antworten konnte, läutete das Telephon. Er nahm den Hörer ab. Die Anmeldung des Hotels teilte mit, daß ein Herr Reinhard Mr. Spranger sprechen wolle.

»Wir reden später noch weiter!« rief er seinem Partner zu und ging in sein Zimmer, um den Besuch zu empfangen.

Was mochte Reinhard von ihm wollen? Weshalb kam der deutsche Offizier nach Paris? Spranger erinnerte sich an ihr früheres Zusammensein. Hatte er ihn nicht einmal im Hotel ›Zum Hohen Stein‹ mit diesem zweifelhaften Bigot zusammen gesehen? Kam der Hauptmann etwa hierher, um mit dem Geschäfte zu machen? Er verwarf den Gedanken ebenso schnell, wie er ihm kam. Nach den Mitteilungen zu schließen, die Reinhard damals am Burgweg Eisenlohr über Mr. Hartford gemacht hatte, war er wohl kaum der Mann, einem Schwindler wie Bigot ins Garn zu gehen. Spranger war gespannt, was der Deutsche, der jetzt in sein Zimmer trat, ihm zu sagen haben würde.

Einen Gruß von Eisenlohr bestellte Reinhard, um dann zu der Sache zu kommen, die ihn herführte.

»Ich erfuhr, Mister Spranger«, sagte er, »daß Ihr Partner immer noch in Verbindung mit Monsieur Bigot steht.«

»Leider, Captain. Ich habe vergeblich versucht, ihn davon abzubringen. Er will nicht einsehen, daß er es mit einem Scharlatan zu tun hat.«

»Mit noch Schlimmerem, Mister Spranger. Die Herren Bigot und Hartford bewegen sich hart auf der Grenze, die den Scharlatan vom Verbrecher trennt.«

»Ist Ihr Urteil nicht zu scharf, Herr Reinhard? Ich halte die beiden für ein paar Schwindler von der Sorte, wie sie in einer Großstadt wie Paris zu Dutzenden umherlaufen. Gewiß kein empfehlenswerter Umgang für ernsthafte Kaufleute – aber Verbrecher? So weit möchte ich nicht gehen.«

»Es sind Leute, Mister Spranger, die von Rechts wegen hinter Schloß und Riegel gehörten und in Deutschland auch schon dahinter säßen. Daß sie hier immer noch frei 'rumlaufen, haben sie nur der Weitherzigkeit der französischen Justiz zu verdanken, aber schließlich wird auch deren Geduld einmal zu Ende sein.«

Spranger wurde nachdenklich. Wenn die beiden mit den französischen Behörden in einen Konflikt gerieten und am Ende wirklich festgesetzt wurden, so konnte das für seinen Partner Kelly eine reichlich unangenehme Sache werden.

»Liegt denn tatsächlich etwas Gravierendes gegen die beiden vor?« fragte er.

»Ich danke! Für meine Ansprüche genügt es. Bigot hat sich kürzlich auf einem Wege, der noch nicht ganz offenliegt, Zeichnungen und Berechnungen Ihres Freundes Eisenlohr verschafft und versucht jetzt, danach zu arbeiten.«

»Hm, das wäre natürlich wenig korrekt, aber als ein Verbrechen möchte ich es noch nicht bezeichnen.«

»Bei uns in Deutschland würde man es jedenfalls so nennen, Mister Spranger. Noch bedenklicher ist das, was sein Helfershelfer Hartford treibt. Der bringt im Schwarzhandel das Gold unter die Leute, das sein Kumpan neuerdings herstellt.«

»Wissen Sie das bestimmt, Herr Reinhard?«

Reinhard nickte. »Meine Informationen sind zuverlässig. Durch seine Beziehungen zu Pariser Goldschiebern ist Hartford in der Lage gewesen, recht erhebliche Posten an den Mann zu bringen. Bis sie ein neues Opfer finden, finanzieren die beiden Gauner ihr Geschäft aus solchen Verkäufen.«

»Ja, aber dann müssen die beiden doch wirklich Gold machen können! Sie sprechen von Verbindungen mit Schwarzhändlern, Herr Reinhard. Derartige Leute würden sich doch bestimmt nicht 'reinlegen lassen. Jetzt möchte ich ja beinahe glauben, daß doch etwas an der Sache dran ist.«

»Glauben Sie es nicht zu früh, Mister Spranger! Ich erfülle einen Auftrag des Herrn Doktor Eisenlohr, wenn ich Ihnen noch einmal von jeder Verbindung mit diesen beiden Zeitgenossen abrate. Er bat mich direkt darum, als er hörte, daß ich nach Paris fahren müßte.«

»Ah! Sie haben mit Eisenlohr über die Sache gesprochen, Herr Reinhard?«

»Sehr eingehend, Mister Spranger.«

»Hat er Ihnen keine Gründe für seine Warnung angegeben?«

»Nur in großen Zügen. Herr Doktor Eisenlohr ist der festen Überzeugung, daß es mit Monsieur Bigot noch vor Weihnachten – wahrscheinlich bereits im November – einen Mordsskandal geben wird. Er möchte es verhindern, daß Sie oder Ihr Partner in die Affäre verwickelt werden. Deshalb bat er mich, Sie persönlich aufzusuchen und noch einmal ganz dringend zu warnen.«

Spranger sah nachdenklich vor sich hin. Eben noch war er gerade auf Grund der Mitteilungen Reinhards geneigt, den Franzosen ernst zu nehmen, und nun eine solche Warnung von seinem Freunde Eisenlohr! Er wußte nicht, was er davon halten sollte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, zog er ein Fach seines Schreibtisches auf und nahm das Reagenzröhrchen mit dem Goldstaub heraus, das Kelly ihm kürzlich gegeben hatte.

»Was haben Sie da?« fragte Reinhard.

»Etwas Goldstaub. Letztes Fabrikat Bigots. Der Mann hat zweifellos Fortschritte gemacht.«

Reinhard griff nach dem Gläschen. »Sehr verständig, Mister Spranger, daß Sie das Zeug im Tischkasten bewahren und nicht in der Tasche mit sich 'rumtragen.«

»Warum denn das, Herr Hauptmann?« fragte der Amerikaner verwundert.

»Herr Doktor Eisenlohr sprach etwas von einer Strahlung, die von diesem synthetischen Gold beständig ausgesandt wird. Ich bin kein Physiker, Mister Spranger, und kann nur ungefähr wiederholen, was er darüber sagte; es lief darauf hinaus, daß es nicht ratsam wäre, diese Art von Gold ohne eine besondere Schutzkapsel bei sich zu tragen.«

»Ohne eine besondere Schutzkapsel? Wissen Sie, was Eisenlohr damit gemeint hat?«

»Soviel ich davon verstehe, hatte der wohl Bleiblech im Sinn. Er zeigte mir selbst eine Goldprobe, die er in einer Bleidose aufbewahrte.«

» Great Scott!« Wie von einem plötzlichen Schrecken ergriffen zuckte Spranger zusammen. »Wissen Sie, Herr Hauptmann, daß Bigot allen Ernstes daran denkt, sein Pulvergold für Zahnfüllungen zu verwenden? Nach dem, was Sie mir eben sagten, dürfte das nicht unbedenklich sein.«

Reinhard wiegte den Kopf hin und her. »Nicht unbedenklich? Wir wollen lieber sagen, sehr bedenklich, wenn für dies Gold das gleiche gilt wie für das, was Eisenlohr mir zeigte.«

Der Amerikaner sprang erregt auf. »Man müßte das feststellen, Herr Reinhard! Es liegt mir daran, daß es möglichst umgehend festgestellt wird. Bigot kommt dafür natürlich nicht in Frage! An wen könnte man sich hier in Paris wenden? – Vielleicht das Radiologische Institut?«

Reinhard griff nach dem Röhrchen. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Mister Spranger: Ich bin morgen wieder bei Eisenlohr. Ich werde ihn bitten, die Probe zu untersuchen. Bis morgen abend können Sie telegraphischen Bescheid haben.«

Auch Reinhard erhob sich. Er hatte seinen Auftrag hier ausgerichtet und für den Nachmittag noch eine Besprechung an einer andern Stelle vor. Nachdenklich blieb Spranger zurück.

Nach einer gelegentlichen Mitteilung Eisenlohrs hatte er bisher angenommen, daß dieser deutsche Hauptmann a. D. an irgendeiner größeren Auskunftei oder vielleicht auch Detektei beteiligt sei. Aber was mochte das für ein Büro sein, dessen Verbindungen sich auch nach Frankreich und bis nach USA erstreckten? Schon damals hatte er sich darüber gewundert, als Reinhard ihm die Augen über Mr. Percy Hartford öffnete. Hatte es sich schließlich damit erklärt, daß die deutsche Auskunftei ihr Material mit ähnlichen ausländischen Instituten austauschte. Aber jetzt war dieser Herr Hauptmann Reinhard auch über die Verbindungen Hartfords mit Kreisen der Pariser Unterwelt informiert.

Ein solches Wissen schien ihm, Spranger, über die Aufgaben einer gewöhnlichen Auskunftei doch erheblich hinauszugehen. Irgend etwas anderes mußte noch dahinterstecken, auf das sich Spranger vergeblich einen Vers zu machen versuchte.

Immer mehr begann er sich für die etwas undurchsichtige Persönlichkeit dieses Deutschen zu interessieren.

* * *

Mit einem Seufzer ließ sich Dr. Holthoff im Laboratorium in einen Sessel fallen, während Professor Braun sich an der großen Strahlröhre zu schaffen machte. Nicht ohne Besorgnis blickte Eisenlohr auf die zusammengesunkene Gestalt seines Assistenten. Unverkennbar waren die Spuren, die eine rastlose aufreibende Arbeit zurückgelassen hatte.

»Fühlen Sie sich nicht wohl, Holthoff?« fragte Eisenlohr.

Noch einmal seufzte Holthoff tief auf, aber wie ein Seufzer der Erleichterung klang es diesmal.

»Gott sei Dank, Herr Eisenlohr, die Probe Nummer zweihundert liegt an der Röhre! Noch eine kleine Viertelstunde, dann haben wir die Geschichte glücklich hinter uns. Dann hat Herr Professor Braun restlos seinen Willen gehabt. Mag er glücklich mit dem werden, was er dabei gefunden hat!«

»Ich habe Sie in diesen Tagen öfter als einmal bedauert, Kollege«, versuchte Eisenlohr ihn zu trösten, »aber einer mußte sich schließlich opfern, und dafür kamen nur Sie in Frage.«

Holthoff versuchte eine Einwendung. »Ich meine, Bruck hätte sich bei der Sache auch etwas betätigen können. Es wäre doch eine wesentliche Hilfe gewesen.«

Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Mein lieber Herr Holthoff, ich habe Bruck absichtlich nicht herangezogen. Ich hatte gewisse Gründe dafür ...«

»Ja, aber Herr Bruck hat die ganze Zeit geruhsam in seinem Zimmer gesessen und sich, soviel ich davon sehen konnte, mit ziemlich nebensächlichen theoretischen Dingen beschäftigt, während er hier nötiger gewesen wäre.«

Eisenlohr neigte sich zu Holthoff hinab und sprach mit gedämpfter Stimme: »Ich möchte darüber vorläufig nichts sagen, Herr Holthoff. Nur vertraulich und zu Ihrer privaten Information will ich Ihnen mitteilen, daß sich Herr Doktor Bruck in dieser letzten Zeit in einer geistigen und seelischen Verfassung befand, die es mir nicht ratsam erscheinen ließ, ihn zu unseren Arbeiten heranzuziehen.«

Holthoff sah verwundert auf. Was konnte Eisenlohr mit diesen Worten meinen? Das klang ja fast, als ob er die geistige Gesundheit seines Ersten Assistenten in Zweifel zöge. Eisenlohr bemerkte das Erstaunen Holthoffs und wußte es richtig zu deuten.

»Nein, nein, Holthoff«, fuhr er fort, »was Sie vielleicht denken, ist nicht der Fall. Ich glaube auch, daß die Sache wieder ins Lot kommen wird. Bruck muß selber sehen, wie er mit dem, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, fertig wird. Noch habe ich die Hoffnung, daß er bald wieder der alte sein wird. Bis dahin wollen wir ihn nach Möglichkeit sich selbst überlassen.«

Holthoff verstand nicht, was Eisenlohr eigentlich meinte, aber er merkte wohl, daß der nicht gewillt war, noch weiter über die Angelegenheit zu sprechen, und so kam er auf seine Arbeit zurück.

»Herr Professor Braun hat jetzt die letzte Probe vor. Sie wird vermutlich das gleiche ergeben wie die vorhergehenden. Danach beabsichtigt er, einen zweiten ausführlichen Bericht für die Fachpresse zu schreiben. Ich fürchte, daß er auch dabei auf meine Mitwirkung rechnet ...«

Eisenlohr machte eine ablehnende Bewegung. »Der gute Braun soll seinen Kram selber verfassen. Sie haben mal erst eine Ausspannung nötig, Holthoff, und dann werden wir uns zusammen in unsere Arbeiten stürzen.«

Holthoff reckte die Arme aus und holte tief Luft. »Wenn ich das höre, dann fühle ich mich schon wieder gesund. Mit Ihnen zusammen weiterarbeiten: das ist die beste Erholung, die ich kenne. Aber was wird Braun dazu sagen?«

Ein Lächeln ging über Eisenlohrs Gesicht, während er antwortete. »Der gute Braun wird in den nächsten Tagen Gelegenheit haben, sich über andere Dinge zu wundern. Er bekommt einen Konkurrenten, mein lieber Holthoff. Professor James Hartford aus Schenektady ist auf dem Wege nach Deutschland. Unsere ersten Veröffentlichungen haben ihm keine Ruhe gelassen. Er will selber hier an Ort und Stelle sehen, was wir bisher gemacht haben.« »Professor Hartford? Der Strahlungsforscher aus Schenektady? Der hier mit Braun zusammen? Zwei harte Köpfe, wenn das nur gutgeht!«

»Das soll nicht unsere Sorge sein! Mögen die beiden Herren Professoren sehen, wie sie miteinander auskommen! Den einen oder andern Krach wird's vermutlich geben. Wir können dabei in der Rolle des lachenden Dritten zuschauen!«

»Ein erfreuliche Aussicht für uns, Herr Eisenlohr! Der amerikanische Gelehrte wird bei unserm Professor keinen leichten Stand haben. Braun wird mit seinen zweihundert gelungenen Versuchen nicht schlecht auftrumpfen!«

»Davon bin ich überzeugt, Holthoff. Aber Professor Hartford ist auch nicht müßig gewesen. Bedenken Sie, daß er die unerschöpflichen Mittel eines großen amerikanischen National-Laboratoriums hinter sich hat. Er kommt nicht mit leeren Händen und wird unserm Braun manche Nuß zu knacken geben!«

Holthoff blickte nach der andern Seite des Laboratoriums hinüber, wo Professor Braun immer noch an der Strahlungsapparatur beschäftigt war. »Haben Sie ihm schon etwas von dem bevorstehenden Besuch gesagt?« fragte er Eisenlohr.

Der zögerte einen Augenblick. »Bis jetzt noch nicht. Ich wollte ihm nicht vorzeitig die Laune verderben. Er erfährt's noch früh genug, wenn der andere da ist.«

Holthoff mußte lachen. »Auf die Überraschung bin ich gespannt! In der Tat ist's auch am besten so, sonst könnte Braun vielleicht noch vorher den Rückzug antreten, und das wäre doch schade.«

»Wäre es auch, Holthoff.« Eisenlohr war wieder ernst geworden. »Die beiden sollen hier zusammenkommen und ihre Erfahrungen austauschen. Sie werden sich dabei vielleicht streiten; doch aus solchem Streit kann die Wissenschaft nur gewinnen. Also vorläufig, lieber Holthoff, kein Wort darüber zu Braun! Er scheint mit dem letzten Versuch zu Ende zu sein. Wir wollen mal sehen, was dabei herausgekommen ist.«

Als sie hinkamen, schaltete Braun eben den Strom ab.

»Ich gratuliere, Herr Professor!« sagte Eisenlohr und schüttelte ihm die Hand. »An Ihrer Miene sehe ich, daß der Versuch mit der letzten Probe auch geglückt ist. Hat es wieder Zellengruppen gegeben?«

Braun reichte ihm eine Lupe. »Ich will nicht vorgreifen, Herr Eisenlohr. Überzeugen Sie sich bitte selbst!«

Geraume Zeit betrachtete Eisenlohr die von der Strahlung belebte Materie durch das starke Vergrößerungsglas. Endlich ließ er es sinken und sah Braun fragend an.

»Nun, Herr Eisenlohr, was halten Sie davon?«

»Ein kugliger Zellenhaufen, Herr Professor. Die Zellen sehen grünlich aus. Woher kommt die Farbe?«

»Chlorophyll, Herr Doktor. Diese Gelatine enthält bestimmte Eisenverbindungen. Ich wollte feststellen, ob die Materie unter dem Einfluß der Strahlung auch Blattgrün bildet. Der Versuch scheint gelungen zu sein. Wenn die chemische Analyse es bestätigt, hätten wir den Beweis dafür, daß –«

»– die Strahlung lebendige Gebilde erzeugt hat, die anorganische Stoffe assimilieren können.«

»Jawohl, Herr Eisenlohr, Gebilde, die nun auch ohne die Strahlung selbständig weiterleben und wachsen können. Das wollte ich durch meine Versuche beweisen.«

»Interessant!« murmelte Eisenlohr vor sich hin. »Sie haben der Gelatine Eisensalze zugesetzt, um eine Chlorophyllbildung zu ermöglichen?«

Braun nickte. Ein Lächeln glitt über seine faltigen Züge, während er weitersprach. »Sie haben den alten Braun gewiß für einen rechten Dickschädel gehalten, Herr Eisenlohr?« Eisenlohr wehrte ab. Der Professor sprach weiter: »Oder vielleicht sogar für einen alten Trottel, der sich hier auf überflüssige Versuche versteift. Glauben Sie mir, es war nicht so! Nach einem bestimmten Plan hatte ich allen diesen Gelatineproben bestimmte Mineralsalze zugefügt. Von Versuch zu Versuch hoffte ich, daß ihre Wirkung sich äußern würde, hoffte immer wieder vergeblich, wurde immer mutloser. Fast wollte ich Ihnen, Herr Holthoff, recht geben, der Sie Ihre Meinung über die Zwecklosigkeit dieser Arbeiten ziemlich deutlich merken ließen.« Verlegen wandte Holthoff sich zur Seite.

»Bis dann endlich im allerletzten Augenblick bei der zweihundertsten Probe der Erfolg kam. Wenn Sie wüßten, meine Herren, wie glücklich ich darüber bin! Das hier« – er deutete auf das Röhrchen mit dem grünen Fleck darin – »das soll nicht in den Brutschrank kommen, das werde ich mit zu mir nehmen. Da soll es in Wasser und Sonnenschein nach eigenem Trieb weiterwachsen.«

Zum zweitenmal reichte ihm Eisenlohr die Hand. »Unsern Glückwunsch zu Ihrem Erfolg! Ich glaube, Herr Professor, wir haben Ihnen etwas abzubitten!«

* * *

Die Vorhaltungen William Sprangers waren nicht wirkungslos geblieben. James Kelly begann sich wieder mit den Geschäften zu befassen, um derentwegen er ursprünglich nach Europa gekommen war.

Um eine große Transaktion in französischen Industriepapieren handelte es sich dabei, die, wenn sie schnell und geschickt durchgeführt wurde, der Firma Kelly & Company einen namhaften Gewinn abwerfen mußte. Noch einmal sprach Kelly mit seinem Partner alle Einzelheiten der Unternehmung durch. Zum dritten Male griff er während der Besprechung nach den Zündhölzern, um seine Pfeife wieder in Brand zu setzen; aber schon nach wenigen Zügen legte er sie wieder beiseite.

Spranger fiel das auf. Eine Besprechung, bei der sein Partner nicht ununterbrochen qualmte, war ihm eine ungewohnte Sache.

»Was haben Sie, Kelly?« fragte er. »Schmeckt Ihnen der Tabak nicht?«

Kelly verzog den Mund und fuhr sich mit der Hand über die Lippen. »Ich weiß nicht, Spranger, Doktor Harper hat diesmal nicht so gut wie sonst gearbeitet. Ich werde ein dumpfes Gefühl in den neuen Plomben nicht los. Habe zuerst gehofft, daß es vorübergehen würde, aber es ist eher schlechter als besser geworden. Es stört mich nachgerade beim Rauchen.«

Während Kelly es sagte, kam Spranger seine letzte Unterredung mit Reinhard wieder in die Erinnerung. Vergeblich hatte er nach dessen Abreise aus ein Telegramm Eisenlohrs gewartet, hatte dann im Drang der Besprechungen und Geschäfte die Angelegenheit aber aus dem Gedächtnis verloren. Jetzt fiel sie ihm wieder ein und beunruhigte ihn. Er stand auf und trat zu Kelly heran.

»Doktor Harper arbeitet doch sonst tadellos. Zeigen Sie mal – ist irgend etwas zu sehen?«

Kelly bewegte seine Lippen. »Ich glaube nicht. Nur so einen unangenehmen spannenden Druck verspüre ich.«

Spranger beugte sich tiefer zu ihm hinab. »Ich möchte fast behaupten«, sagte er nach einer eingehenden Musterung, »daß Ihre Oberlippe etwas geschwollen ist.«

»Kommt mir auch so vor«, knurrte Kelly verdrießlich. »Weiß der Teufel, was Doktor Harper gemacht hat! Er gab mir vor der Operation ein paar Spritzen ins Zahnfleisch und sprach dabei von einem neuen Betäubungsmittel. Wenn es bis morgen nicht besser ist, werde ich zu ihm fahren und ihm meine Meinung darüber sagen.«

»Sie sollten ihn lieber sofort aufsuchen. Die Sache will mir nicht gefallen.«

Kelly sah auf die Uhr und auf seinen Terminkalender. »Heute geht's nicht. Jede Stunde ist besetzt.« Er las ein halbes Dutzend Namen von Börsenmaklern von dem Kalender ab. »Ich habe sie mir alle der Reihe nach hierherbestellt. Es hängt viel davon ab, daß wir unsere Ordres richtig placieren. In zehn Minuten erwarte ich Lorrain ...« Er faßte sich wieder an den Mund. »Aber morgen früh werde ich Doktor Harper den Standpunkt klarmachen. Der Mann schreibt Rechnungen, daß einem die Augen übergehen, und will dann seine Patienten auch noch als Versuchskaninchen benutzen! Das werde ich ihm abgewöhnen.« –

Durch das Haustelephon wurde Kelly Monsieur Lorrain gemeldet.

Spranger stand auf und ging in sein eigenes Zimmer. Dort griff er nach Bleistift und Papier, um ein dringendes Telegramm an Eisenlohr aufzusetzen, denn dies Zahnweh, das sein Partner leichthin auf ein Versehen seines Dentisten schob, begann ihm Sorge zu machen.

Beim Aufsetzen der Depesche merkte er bald, daß die Sache nicht so einfach war. Ihr Inhalt mußte für Eisenlohr vollkommen klar sein, durfte aber allen den anderen, die ihn im Postbetrieb auch lesen würden, nichts über die Arbeiten Bigots verraten. Immer wieder strich Spranger das Geschriebene aus und formte neue Sätze, ohne damit zufrieden zu sein. Mißmutig warf er den Bleistift beiseite. Zu dumm, daß Reinhard sein Versprechen offenbar vergessen hatte! Der Mann schien auch nicht so zuverlässig zu sein, wie Eisenlohr ihn hingestellt hatte. Spranger nahm den Bleistift wieder auf, um es noch einmal zu versuchen, als das Telephon aus seinem Schreibtisch sich meldete. Zerstreut griff er nach dem Hörer und horchte auf, als er die Stimme vernahm. »Herr Reinhard! Sie wieder in Paris? Ich habe vergeblich auf ein Telegramm von Ihnen oder von Eisenlohr gewartet. Warum haben Sie nicht gedrahtet?«

Das Gesicht Sprangers wurde ernst, während er weiter in den Apparat hörte.

»Es ist gut, Herr Reinhard. Ich komme sofort zu Ihnen. In zehn Minuten kann ich da sein.« Spranger legte den Hörer aus und machte sich zum Ausgehen fertig. –

Es war ein bescheidenes Haus in der Rue Pastourelle, in dem Reinhard logierte, nicht in einem Atem zu nennen mit dem erstklassigen Hotel, in welchem die beiden Inhaber der Firma Kelly & Company Wohnung genommen hatten.

Allzuviel scheint ihm sein Büro nicht einzubringen, dachte William Spranger, als er in Reinhards Zimmer trat.

Der Hauptmann a. D. schüttelte ihm die Hand. »Freue mich, Sie wohlauf zu sehen. Darf ich bekannt machen? Mister Spranger aus New York – Herr Professor James Hartford aus Schenektady.«

Ein Herr mittleren Alters erhob sich und hielt Spranger die Rechte hin. »Erfreut, einen Landsmann zu treffen. Herr Reinhard hat bereits mit mir gesprochen. Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung, wenn ich Ihnen bei Ihren Angelegenheiten behilflich sein kann.«

Spranger blickte in das energische, durchgeistigte Gesicht des Professors, während seine Gedanken arbeiteten. Im stillen nahm er alles zurück, was er noch auf der Treppe über Reinhard und sein Büro gedacht hatte. Wie hatte dieser Deutsche es fertigbekommen, den richtigen James Hartford hierher nach Paris zu bringen? Wie mußte seine Agentur oder Auskunftei, oder was sonst es immer war, organisiert sein, um etwas Derartiges zu schaffen? In diesem Augenblick verstand er, daß Reinhard über diese größere Aufgabe wohl jenen anderen Auftrag an Eisenlohr vergessen konnte. Ohne recht bei der Sache zu sein, wechselte er ein paar Höflichkeitsphrasen mit Professor Hartford, während seine Gedanken weiter liefen.

Jetzt würde man jenen andern Hartford als Schwindler, ja vielleicht – wenn die frühere Mitteilung Reinhards stimmte – als Dieb entlarven können. Jetzt würde man wohl auch dem Monsieur Bigot hinter seine Schliche kommen können ... Wieder waren seine Gedanken darüber bei dem Gold Bigots angelangt. Durfte er in Gegenwart von Professor Hartford von dem sprechen, was ihm Sorge bereitete?

Er warf Reinhard einen fragenden Blick zu. Der nickte, als ob er seine Gedanken gelesen hätte.

»Sprechen Sie unbesorgt, Mister Spranger! Herr Professor Hartford ist über die Arbeiten Bigots im Bilde.«

Wie auf ein Stichwort fiel Hartford ein: »Es handelt sich um eine instabile Isotope des Elementes Au, die stetig strahlt. Der Gedanke, diesen Stoff etwa als Schmuck zu verarbeiten und am Körper zu tragen, ist vollkommen abwegig ...«

»Als Zahnfüllung würden Sie ihn auch nicht empfehlen, Herr Professor?« warf Reinhard dazwischen.

Professor Hartford machte eine abwehrende Bewegung. »Um's Himmels willen, nein! Das wäre noch schlimmer. Nur ein Narr könnte darauf verfallen.«

Spranger rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er brannte vor Ungeduld, zu Kelly zu eilen, um ihn, sei es mit Überredung, sei es mit Gewalt, sofort zu Dr. Harper zu bringen. Schließlich konnte er nicht länger an sich halten; er begann davon zu sprechen.

»So, so? Mister Kelly hat sich das Zeug in die Zähne setzen lassen ...«, meinte Reinhard trocken. »Er wird –«

»– in vierzehn Tagen einen Kopf wie ein Kürbis haben, wenn er es nicht wieder herausnehmen läßt«, vollendete Professor Hartford den Satz.

»Sofort muß das geschehen! Er will erst morgen zu seinem Zahnarzt fahren. Ich will ihn gleich hinbringen«, fuhr Spranger auf.

»Es genügt, wenn es morgen geschieht«, beruhigte ihn Professor Hartford. »Wir haben im Augenblick etwas anderes vor, Mister Spranger, bei dem Herr Reinhard Sie gern dabei hätte.«

Nur widerstrebend ließ sich Spranger von seiner Absicht abbringen, sofort zu Kelly zurückzukehren. Erst auf die wiederholte Versicherung von Professor Hartford, daß ein Aufschub von zwölf Stunden bedeutungslos sei, willigte er ein, ihn und Reinhard zu begleiten.

Sie gingen zu Fuß durch ein Gewirr von Gassen und Gäßchen in der Richtung auf die Zentralmarkthalle zu. Unterwegs erfuhr Spranger, um was es sich handelte. Für Reinhard galt es, Mister Percy Hartford, ohne selbst gesehen zu werden, bei einem seiner dunkeln Handelsgeschäfte zu beobachten. Professor Hartford wollte bei der Gelegenheit feststellen, ob dieser zweifelhafte Namensvetter tatsächlich mit seinem früheren Laboranten identisch war.

»Also sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe, Mister Spranger«, schloß Reinhard seine Mitteilungen.

»Großartig, Herr Reinhard, wenn uns das gelingt, sind wir ein gutes Stück weiter! Aber, aber, ich mache mir Sorgen um Kelly!«

Reinhard lachte. »Keine Ursache, Mister Spranger. Ich hoffe im Gegenteil, daß die nächsten zwölf Stunden Ihren Partner von seiner Vorliebe für Monsieur Bigot kurieren werden. Ein bißchen Zahnweh wirkt manchmal überzeugender als die besten Vernunftsgründe. Ich denke, er wird bis morgen früh alle seine Sünden bereuen und Bigot zum Teufel schicken.«

»Sicherlich!« pflichtete Professor Hartford der Ansicht Reinhards bei. –

Sie waren in eine kleine Seitengasse gelangt und machten vor einem Hause halt, an dem ein Schild ein Estaminet anzeigte, eine kleine Winkelkneipe und Garküche, die hauptsächlich von Leuten besucht wurde, die in den nahegelegenen Markthallen zu tun hatten. Reinhard übernahm die Führung.

»Hier durch den Nebeneingang, meine Herren!« Sie folgten ihm über einen mit allerlei Gerümpel verstellten Hof, kamen durch eine Tür in einen fast dunklen Gang und landeten schließlich in einem Hinterzimmer der Wirtschaft. Offensichtlich war Reinhard kein Neuling in diesem Lokal.

Er begrüßte den Wirt wie einen alten Bekannten, gab eine kurze Bestellung auf und verlangte »dasselbe Kabinett wie das letztemal«. Dienstbereit öffnete der Wirt eine Schlupftür, die, in der Farbe der übrigen Wand gehalten, von einem Unkundigen kaum zu finden war. Sie führte in einen kleinen Nebenraum, für den die Bezeichnung »Kabinett« entschieden zu hoch gegriffen war. Nur ein winziges Kämmerchen mit geweißten Wänden war es, dessen ganze Ausstattung aus einem einfachen Tisch und ein paar Stühlen bestand – dafür aber um so besser geeignet, von hier aus selbst ungesehen alle Vorgänge in dem Nebenraum zu beobachten und Gespräche, die dort geführt wurden, mit anzuhören. Das Mittel dazu bot ein Ausschnitt in der Wand, der ganz unauffällig hinter dem im Gastzimmer befindlichen Ofen angebracht war. Mit einer Handbewegung lud Reinhard den Professor und Spranger ein, auf den ein wenig wackligen Stühlen Platz zu nehmen. Wenige Minuten später brachte der Wirt einen Liter Wein und stellte drei Gläser auf den Tisch. Kaum hatte er den Raum verlassen, als Reinhard wieder aufstand und zu dem Ausschnitt in der Wand ging.

»Was sollen wir hier?« fragte Spranger, der nicht recht einsah, worauf das Ganze hinaus sollte.

Reinhard sah auf seine Uhr. »Ruhig bleiben und sich die Zeit nicht lang werden lassen, Mister Spranger! Ich habe sichere Nachricht, daß Ihr sogenannter Experte sich hier mit einem seiner Abnehmer treffen will. Vielleicht kommt er in wenigen Minuten, vielleicht müssen wir ein paar Stunden warten. Ich bitte um absolute Ruhe, sowie jemand kommt. Ich hoffe, unsere Geduld wird belohnt werden.«

Vorläufig wurde ihre Ausdauer auf eine harte Probe gestellt. Schleichend verstrich eine Viertelstunde noch der anderen, bis endlich eine Tür klappte. Ein Mann kam in den Nebenraum, sah sich einen Augenblick kurz um und nahm dann an einem Tisch Platz. William Spranger, der neben Reinhard stand, hatte Gelegenheit, ihn beim Vorübergehen genauer zu betrachten. Seiner Kleidung nach konnte es etwa ein Helfer aus den Markthallen sein, einer von den vielen, die dort beim Auf- und Abladen der Waren ein paar Francs verdienen, aber wie jemand, der Gold im Werte von vielen tausend Francs kaufen konnte, sah er keineswegs aus. Spranger kam zu der Ansicht, daß der Mensch hier wohl nur versehentlich hineingeraten wäre. Er begann bereits an dem Erfolg ihres Unternehmens zu zweifeln, als die Tür zum andernmal klappte, und diesmal – unwillkürlich hielt er den Atem an – kam der ihm wohlbekannte Percy Hartford herein und ging sofort auf den Tisch zu, an welchem der andere saß.

» By Jove, er ist's!« flüsterte Professor Hartford Reinhard zu. Der legte den Finger auf den Mund und verwies ihn durch energische Gesten zur Ruhe. Angespannt horchten die drei auf das, was sich weiter im Nebenraum abspielte.

»Ich bringe Ihnen wieder fünf Kilogramm«, sagte Hartford, holte ein in graues Papier eingeschlagenes Päckchen aus seiner Tasche und stellte es vor sich aus den Tisch. Er knotete den Bindfaden auf und wickelte das Papier ab. Ein kleiner, gelblich schimmernder Block kam zum Vorschein. Zehn Zentimeter mochte er lang sein, fünf Zentimeter breit und ebenso hoch.

»Haben Sie eine Waage mitgebracht, Monsieur Dubois?« fragte Hartford.

Der andere griff in die Tasche und legte eine Federwaage auf den Tisch; aber er benutzte sie noch nicht, sondern starrte mißtrauisch auf den Block.

»Wollen Sie sich bitte überzeugen, daß das Gewicht stimmt«, drängte ihn Hartford. Monsieur Dubois zog eine mürrische Miene.

»Das Gewicht ist immer in Ordnung gewesen, aber Ihre Legierung stimmt nicht, Mister Hartford.«

»Wieso?! Was wollen Sie damit sagen?« fuhr Hartford auf.

»Sie haben mir Ihre Barren als chemisch reines Gold angeboten. Als reines Gold habe ich sie auch gekauft und bezahlt. Aber meine Kunden haben sich bei mir beschwert. Es ist Blei in den Barren gewesen.«

»Blei!? Das ist ausgeschlossen. Sie wissen, Monsieur Dubois, daß ich dieses Gold ... Bruchgold, alten Familienschmuck, Goldmünzen und dergleichen mehr ... von den verschiedensten Stellen und oft nur grammweise zusammenkaufe. Man steckt natürlich in den einzelnen Stücken nicht drin, aber gerade deshalb raffiniere ich das zusammengeschmolzene Metall in meinem Laboratorium jedesmal elektrolytisch, bevor ich es in Barren gieße. Ein Zehntel Promille wäre der Höchstsatz an fremden Beimischungen, der nach einer solchen Behandlung noch vorhanden sein könnte.«

Dubois unterbrach ihn mit einer energischen Bewegung.

»Das stimmt nicht, Mister Hartford. Es handelt sich um mehrere Prozente. Jedenfalls ist es reichlich genug, um die Unzufriedenheit meiner Kunden zu erregen. Auffallenderweise haben Sie übrigens bei den ersten Barren viel mehr Blei zugegeben als bei den späteren.«

Mit einem Wortschwall wies Hartford den Vorwurf des Betruges zurück und beteuerte seine unbedingte Ehrlichkeit. Kopfschüttelnd hörte der andere ihn an.

»Dann gäbe es nur noch eine Möglichkeit«, meinte er nach längerem Überlegen. »Ihre elektrolytische Raffination hat vielleicht im Anfang noch nicht einwandfrei gearbeitet. Es kommt da viel auf die Stromstärken und Spannungen an.«

Die drei stillen Zuhörer im Nebenraum wunderten sich beträchtlich über die technischen Kenntnisse, die dieser wie ein gewöhnlicher Markthelfer aussehende Mann hier vorbrachte. Offenbar war alles Maske an ihm, und in dieser gewollt ärmlichen Kleidung steckte ein ganz anderer Mensch. Ihre Vermutung verstärkte sich beim weiteren Verlauf der Dinge.

Wieder griff dieser Monsieur Dubois in seine Taschen, zog einen schwärzlicher Stein und verschiedene Nadeln heraus, brachte danach noch ein Fläschchen mit einer wasserklaren Flüssigkeit zum Vorschein. Er rieb den Stein an dem Barren, den Hartford mitgebracht hatte, daß es einen gelben Strich gab, zog mit seinen eigenen Probiernadeln andere Striche daneben und träufelte schließlich etwas von jener Flüssigkeit darauf die bei der Berührung mit dem Stein leicht aufzischte.

Lange betrachtete er das Ganze. Kopfschüttelnd legte er den Stein dann vor sich hin.

»Nun, was haben Sie gefunden, Monsieur Dubois?« fragte Hartford.

»Diesmal ist es wirklich hundertprozentiges, chemisch reines Gold, Mister Hartford. Es muß die früheren Male doch an Ihrer Raffination gelegen haben.«

»Also wollen Sie den Barren nehmen?«

Dubois nickte und legte den Goldbarren in die Haken der Federwaage. Er las das Gewicht ab, schrieb es nieder, machte dann eine kurze Rechnung auf und nannte einen Preis.

»Einverstanden, Monsieur Dubois. Haben Sie Kasse bei sich?«

Wieder ein Nicken des anderen, aber vergeblich wartete Hartford darauf, daß der wie bei früheren Geschäften sofort die Brieftasche ziehen und ihm die so sehnlich erwarteten Banknoten in die Hand drücken würde. Zwar griff Dubois in die Tasche, aber was er herauszog und Hartford hinschob, war ein mit vielen Zahlen und einer langen Rechnung bedecktes Blatt. Hartford überlas es und wurde blaß dabei. Entrüstet stieß er es zurück.

»Ausgeschlossen, Dubois! Was soll das heißen? Fast drei Kilo Blei sollen in den früheren Barren stecken? Einfach unmöglich!«

Dubois zuckte die Achseln. »Die Analysen stammen von zuverlässigen Fachleuten, Mister Hartford. Meine Kunden haben keinen Grund, sich falsche Analysen machen zu lassen. Sie sind froh, wenn sie reines Gold für ihre Zwecke bekommen können.«

Hartford schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. »Wenn wirklich Blei drin ist, hat's ein anderer dazwischengemischt! Von mir haben Sie reines Gold bekommen.«

»Schreien Sie nicht so, Hartford!« mahnte ihn Dubois. »Es ist nicht nötig, daß unser Handel laut wird.«

»Aber es ist nicht wahr!« ereiferte sich Hartford von neuem.

»Es ist Tatsache, Mister Hartford – und ich muß meinen Kunden für die Differenz geradestehen.«

»Machen Sie mit Ihren Kunden, was Sie wollen! Das geht mich nichts an.«

»Doch, Mister Hartford, es geht Sie sehr viel an. Wenn ich meine Kundschaft nicht zufriedenstelle, springt sie ab. Dann kann ich Ihnen auch keine Barren mehr abkaufen.«

Hartford versuchte seinen Schreck zu verbergen. Keine Barren mehr abkaufen? ... Mehr denn je waren Bigot und er gerade jetzt auf den Absatz ihrer Erzeugnisse angewiesen. Die einzige Möglichkeit war es für sie, sich noch so lange über Wasser zu halten, bis ihnen ein neuer, großer Fischzug bei irgendwelchen Großkapitalisten glückte.

»Was haben Sie nun eigentlich vor, Dubois?« fragte er unsicher.

»Ich muß von dem Preis für den Barren hier den Bleigehalt Ihrer früheren Lieferungen abziehen ...«

»Wie, was?! Sie wollen ...?«

»Ich werde Ihnen diesmal den Preis für zwei Kilogramm und zweihundert Gramm zahlen. Dann sind wir wieder quitt, Mister Hartford.«

»Unmöglich, Dubois! Das ist kein reelles Geschäft!«

»Genau so reell wie Ihres, Hartford.« Dubois zog seine Brieftasche und fing an, Banknoten daraus zu entnehmen. Eine schöne Summe, eine sehr stattliche Summe, aber doch nur die knappe Hälfte von dem, was der Komplice Bigots erwartet hatte. Mit einem Ruck zog er den Goldbarren zu sich heran.

»Nein, Monsieur Dubois! Entweder den vollen Preis oder –«

»Oder ...?«

»Es gibt noch andere Abnehmer für gutes Gold, Monsieur Dubois.« Hartford schickte sich an, den Barren wieder einzuwickeln.

Dubois bedeckte die vor ihm liegenden Banknoten mit seiner Brieftasche. »Wie Sie wollen, Mister Hartford. Aber ...«

»Was für ein ›Aber‹, Monsieur Dubois?«

»... hoffentlich kommen Sie mit dem da« – Dubois deutete auf den Barren – »gesund nach Hause!«

Hartford sah ihn fragend an.

»Ich meine nur so, Mister Hartford. Die Gegend ist nicht unbedingt sicher ... fünf Kilo Gold ... Ich würde es bedauern, wenn Ihnen unterwegs etwas zustieße.«

Dubois sagte es in lässigem Ton, aber sein Blick wollte Hartford nicht gefallen. Etwas Verhaltenes, Drohendes lag in dessen Augen, das ihm Furcht einjagte. Daß Dubois zu einer weitverzweigten Bande gehörte, die kaum vor etwas zurückschreckte, wußte er, doch leider waren seine eigenen Geschäfte von solcher Art, daß er sich seine Kunden nicht in ehrbaren Handelskreisen suchen konnte. Sollte er die kaum verhohlene Drohung überhören ... es riskieren, daß man ihn morgen oder übermorgen irgendwo aus der Seine fischte? ... Lieber nicht. Das war die Sache am Ende nicht wert.

Langsam begann er den Barren wieder auszuwickeln. Ebenso gemächlich nahm Dubois seine Brieftasche wieder von den Banknoten.

»Nun, haben Sie sich besonnen, Mister Hartford?«

»Sie sind ein Gauner, Dubois!«

Monsieur Dubois machte eine leichte Verneigung. »Das ist weder neu noch originell, Mister Hartford. Das haben mir schon bessere Leute als Sie gesagt.«

»Ein Betrüger sind Sie!« begehrte Hartford von neuem auf.

»Keine unnötige Aufregung bei Geschäften, mein Lieber! Immer ehrlich, Zug um Zug und gegen bar.« Er schob Hartford die Banknoten hin und griff nach dem Barren. Wie Taschenspielerei sah es aus, so schnell und spurlos war der plötzlich zwischen seinen Fingern und in seiner Kleidung verschwunden. Dubois stand auf.

»Wenn Sie wieder etwas haben, Mister Hartford – stets zu Ihren Diensten. Sie wissen, wie Sie mich erreichen können.«

Hartford war noch beschäftigt, die Banknoten in seine Brusttasche zu stecken. Der Ärger über die plötzliche Überrumpelung verschlug ihm die Sprache. Er nickte nur kurz, während der andere bereits den Raum verließ.

Nichts anderes als ein nichtsnutziger Betrug war es, was der eben an ihm verübt hatte. Jetzt nach Tagen erst und Wochen trat er plötzlich mit der durch nichts zu beweisenden Behauptung auf, daß kilogrammweise Blei in dem von ihm, Hartford, gelieferten Gold vorhanden gewesen sei. Einfach undenkbar erschien es ihm. Wäre es wirklich der Fall gewesen, so hätte es Dubois doch sofort merken müssen. Ein schmutziger Versuch dieses Gangsters, ihn zu drücken, war's, das wurde ihm von Minute zu Minute klarer, aber er fand keine Antwort auf die Frage, wie er sich gegen Wiederholungen derartiger Manöver schützen könnte. Dubois war sein bester Abnehmer. Zwar hatte er noch ein paar andere, geringere Kunden, aber gerade diesen Großabnehmer würde er nur ungern missen. Nachdenklich erhob er sich und schickte sich ebenfalls an, das Zimmer zu verlassen. –

Im Nebenraum machte Professor Hartford eine Bewegung zur Tür hin.

Reinhard hielt ihn fest, raunte ihm zu: »Was wollen Sie?«

»Mir den Burschen langen, ihn zur Rede stellen.«

Reinhard vertrat ihm den Weg, bis Mr. Percy Hartford nebenan die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Sie lassen den Schwindler entwischen!« schrie der Professor aufgebracht.

»Wir können ihn nicht festhalten, Herr Professor Hartford. Das muß alles seinen vorschriftsmäßigen Weg gehen. Sie haben wegen der bewußten Sache mit den Platingefäßen hoffentlich in Schenektady Strafantrag gestellt?«

Hartford dachte einen Moment nach. »Ich habe den Diebstahl damals natürlich bei unserer Polizei gemeldet und ... ja, dann mußte ich auch etwas unterschreiben. Jetzt entsinne ich mich wieder. Es war ein Strafantrag gegen Percy Hartford. Es war natürlich zwecklos. Der Mensch hatte die Staaten längst verlassen, und unsere Gefäße waren verloren.«

»Immerhin, Herr Professor, den Strafantrag haben Sie gestellt; das ist schon viel wert. Ihre Polizei muß sich jetzt über das amerikanische Auswärtige Amt an die französische Justiz wenden und um Rechtshilfe ersuchen. Es wird Zeit kosten, aber es ist unvermeidlich.«

»Unmöglich, Herr Hauptmann Reinhard! Ich habe in Deutschland eine Verabredung mit einem Berufsgenossen, die mir äußerst wichtig ist.«

»Nicht so wichtig wie die Angelegenheit hier, Herr Professor. Ihr Kollege in Deutschland läuft Ihnen nicht fort, wenn Sie hier noch eine Woche daranwenden.«

Professor Hartford zauderte. »Es paßt mir außerordentlich schlecht in meine Dispositionen –«

»Ja, dann –«, Reinhard zuckte die Achseln – »dann müssen wir den Gauner eben laufen lassen, wenn Sie das wollen!«

»Nein! Das will ich nicht, Herr Reinhard. Da will ich schon lieber in Gottes Namen eine Woche hier in Paris zugeben, obwohl ich mir keinen großen Erfolg davon verspreche.«

»Aber ich, mein verehrter Herr Professor! Wichtiger ist es mir, daß Sie den Mann als Ihren früheren Laboranten wiedererkannt haben! Ich denke, jetzt werden auch Sie, Mister Spranger, überzeugt sein, daß Sie es mit Schwindlern zu tun haben!«

William Spranger nickte. »Durchaus, Captain. Ich werde auch meinem Partner meine Meinung darüber sehr deutlich sagen.«

Reinhard stand auf. »Dann, meine Herren, habe ich hier alles erreicht, was ich beabsichtigte. Lassen Sie uns aufbrechen. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Professor, wollen wir beide zu Ihnen fahren und die Sache in die Wege leiten.«

Längst hatten die Uhren auf der Eulenburg die elfte Nachtstunde geschlagen. Nur mit Mühe unterdrückte Holthoff ein Gähnen.

»Genug für heute, Kollege! Gehen Sie zur Ruhe!« sagte Eisenlohr.

Holthoff stand auf und reckte sich. »Ich gedenke einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Arbeit war recht reichlich«, zitierte er frei nach Schiller und verließ Eisenlohrs Arbeitszimmer. Professor Braun und Eisenlohr blieben allein zurück. Sie sahen ebenfalls abgespannt aus. Unverkennbare Spuren hatte die rastlose Arbeit der letzten Tage auch in ihre Gesichter gezeichnet, aber trotzdem schienen sie noch nicht an Ruhe zu denken. Immer wieder gingen ihre Blicke zu dem großen Mitteltisch, auf dem es in hundert Reagenzgläsern in allen Farben des Regenbogens schimmerte. Vom glänzenden Blutrot über ein helles Orange hin zu einem grellen Gelb und weiter über Gelbgrün, Grün und Blaugrün bis zum tiefsten Azur waren alle erdenklichen Farbtönungen hier vertreten. Eine Farbenpracht, wie sie in der Natur in ähnlicher Fülle nur die Meeresfauna in den phantastischen Gebilden der Seenelken, -anemonen und Quallen hervorbringt, glühte auch in diesen im Reagenzglas durch eine künstliche Strahlung erzeugten Lebewesen. Ein wundervoller Erfolg war es in der Tat, der die beiden Forscher wohl für alle Mühe und Arbeit entschädigen konnte.

Professor Braun griff nach einem Kästchen und wählte sich sorgsam eine Zigarre von besonderer Schwärze und Schwere aus.

»Ich denke an eine neue Veröffentlichung, Herr Eisenlohr«, begann er zwischen den ersten Rauchwolken. »Es müßte etwa eine Farbenchemie der belebten Organismen werden. Ein Seitenstück, wissen Sie, Kollege, zu jenen Theorien, nach denen unsere chemische Industrie arbeitet.«

»Ich fürchte, Herr Professor, dazu ist es noch etwas zu früh«, warf Eisenlohr ein. »Man müßte nicht hundert, sondern tausend erfolgreiche Versuche hinter sich haben, um eine solche Theorie aufbauen zu können.«

Braun widersprach lebhaft. »Sagen Sie das nicht, Kollege! Ich habe mir bereits eine bestimmte Vorstellung über die färbende Kraft gewisser Molekülgruppen gebildet. Über die Rolle, welche die Verbindungen des Eisens, des Kupfers und des Mangans dabei spielen, glaube ich mir ziemlich klar zu sein.«

Eisenlohr stützte den Kopf in die Hand.

»Das Neuland, auf das wir uns mit unseren Versuchen gewagt haben, ist ungeheuer groß«, begann er nachdenklich. »Ich glaube, es wird noch eine Riesenarbeit notwendig sein, bevor man daran denken kann, wenigstens einige große Richtlinien aufzustellen und Arbeitshypothesen zu formulieren.«

»Darin haben Sie zweifellos recht. Aber gerade bei der unerhörten Fülle der Möglichkeiten und Erscheinungen muß man bald wenigstens ein paar Punkte festlegen«, nahm Braun seinen Gedankengang wieder auf. »Ich will es jedenfalls versuchen. Wie denken Sie über den Titel ›Chromophore im belebten Organismus‹? Er würde immerhin einen neuen Begriff aufstellen. Aber selbstverständlich, Herr Eisenlohr, würde ich diese Arbeit nur in Angriff nehmen, wenn Sie sie nicht sich selbst vorbehalten wollen.«

Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die Absicht, Herr Professor; dies Thema bleibt Ihnen uneingeschränkt überlassen. Ich denke daran, die Arbeiten auf einer ganz neuen Basis noch einmal gewissermaßen von vorn anzufangen.«

Erstaunt blickte Braun ihn an. »Auf einer neuen Basis? ... Noch einmal von vorn? ... Ich begreife nicht, Herr Kollege, was Sie darunter verstehen. Sie haben doch bei Ihren ersten bahnbrechenden Versuchen weiß Gott von vorn begonnen.«

»Ich habe mit einer Gelatine angefangen, Herr Professor.«

»Gewiß, Herr Eisenlohr. Das weiß ich.«

»Aber wir haben beide nicht genügend berücksichtigt, mein verehrter Herr Professor, daß die Gelatine selbst bereits ein Erzeugnis organischen Lebens ist, ein Konglomerat der verschiedensten Eiweiße. Wenn Sie mich heute fragen, was wir bisher geschafft haben, so muß ich Ihnen antworten: Wir haben tote organische Substanz durch unsere Strahlung wieder zum Leben erweckt. Was aber die Natur geleistet hat ... geleistet haben muß, Herr Professor, das Leben aus unorganischen Stoffen entstehen zu lassen, das haben wir bisher noch nicht erreicht.«

Professor Braun saß da wie vor den Kopf geschlagen. Erst nach einer langen Pause fand er Worte. »Du lieber Himmel, was sind das für Ideen? Sie haben einen Erfolg, um den jeder Wissenschaftler der Erde Sie beneidet. Und nun diese Zweifel an Ihrer Arbeit? An allem, was Sie erreicht haben? Wie ist das geschehen?«

Eisenlohr stand auf, ging zum Schreibtisch und kam mit einem Brief zurück. »Lesen Sie selbst, Herr Professor«, sagte er und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.

Braun griff nach dem Schriftstück. Seine Stirn runzelte sich, als er den Briefkopf las: Professor James Hartford, Schenektady.

»Der Mann hat es nötig, uns in Unruhe zu stürzen!« sagte er wegwerfend. »Er sitzt im Nationallaboratorium, hat alle erdenklichen Mittel zur Verfügung! ... Was hat er bis jetzt vor sich gebracht? Nichts, was sich Ihren Leistungen auch nur annähernd an die Seite stellen ließe.« Braun redete weiter und sagte noch einiges nicht Mißzuverstehendes über Mißgunst und Neid zwischen Wissenschaftlern, bis Eisenlohr ihn unterbrach:

»Lesen Sie den Brief, Herr Professor, dann werden Sie anders über die Sache denken.«

Braun machte sich über das Schreiben her. Schon während des Lesens begannen seine eigenen Gedanken zu arbeiten. Bald waren seine Mienen während der Lektüre zustimmend, bald wieder abweisend.

»Nicht übel!« begann er, als er mit dem Schriftstück fertig war. »Herr Hartford beabsichtigt, im Laboratorium die gleichen Vorgänge wiederherzustellen, die sich vor Millionen oder Milliarden von Jahren einmal auf unserer Erde abgespielt haben sollen. Hell glühende Metallkarbide der verschiedensten Art in einer Stickstoffatmosphäre ... man merkt, daß er über alle Mittel des amerikanischen Staatslaboratoriums disponieren kann ... dann allmähliche Abkühlung ... dann Wasserdampf und flüssiges Wasser darauf ... so soll nach seiner Ansicht der geeignete Stoff entstehen, den er mit der Strahlung ... mit Ihrer Strahlung, Herr Eisenlohr ... beleben will ... Was sagen Sie dazu?«

»Ich halte die Idee für durchaus vernünftig, Herr Braun. In den nächsten Tagen will ich selber ähnliche Versuche machen.«

Professor Braun warf noch einmal einen Blick auf den Brief aus Schenektady.

»Hell glühende Karbide verschiedener Art ... Stickstoffatmosphäre ... Das erfordert bedeutende chemische und technische Hilfsmittel, Herr Eisenlohr. Daß Hartford sie hat, ist klar. Aber Sie? ...«

»Ich habe sie auch, Herr Professor. Meine Karbidöfen haben die letzten drei Tage fast ununterbrochen gearbeitet. Während Sie mit Holthoff zusammen noch Färbungsstudien machten, konnte ich schon manches für die neuen Versuche vorbereiten. Wenn das Glück uns günstig ist, werden wir vielleicht noch früher als Mister Hartford Erfolg haben.«

»Das wäre zu wünschen, Herr Eisenlohr!« Braun wurde wieder lebhaft, während er weitersprach: »Es wäre höchst bedauerlich, wenn ein anderer ... ein wissenschaftlicher Snob, sich auf Ihre Schultern stellte, das von Ihnen Begonnene ein Stückchen weiter förderte und unverdienten Ruhm einstriche.«

Geduldig hörte Eisenlohr die Auslassungen Brauns mit an. Immer klarer wurde es ihm dabei, daß es viel Diplomatie und Taktik kosten würde, die beiden Professoren nicht nur zusammenzubringen, sondern in gemeinsamer Arbeit auch zusammenzuhalten. Noch überlegte er, ob er Braun schon jetzt vorsichtig auf den bevorstehenden Besuch Hartfords vorbereiten solle, als eine elektrische Glocke an der Wand langsam zu klingen begann.

»Schlägt es schon Mitternacht?« unterbrach Braun seinen Redefluß. Eisenlohr stand auf und ging zu einem Meßinstrument, dessen Zeiger wild über der Skala hin und her pendelte. Auch der Professor wurde aufmerksam, denn die Glockenschläge nahmen kein Ende. Er fragte:

»Was ist das, Herr Eisenlohr?«

»Eine Störung in einer Außenleitung, Herr Professor. Ich muß hingehen und die Sache untersuchen. Wollen Sie mich begleiten?«

Braun warf einen Blick durch das Fenster. Am wolkenlosen Himmel stand der volle Mond, es war eine milde Nacht, kein Grund, einen kleinen Spaziergang zu scheuen.

»Wenn ich Ihnen dienlich sein kann, gern, Herr Eisenlohr.« –

Fünf Minuten später waren sie auf dem Burgweg. Eisenlohr hatte sich eine starkkerzige Handlampe eingesteckt, die jedoch einstweilen nicht benötigt wurde. In der Linken trug er eine Handtasche, die allerlei Geräte enthielt, in der anderen einen kräftigen Knotenstock. Ein zweites, ebenso knorriges Exemplar hatte er Braun vor dem Aufbruch in die Rechte gedrückt und auf dessen verwunderte Frage scherzend geantwortet:

»Es ist nur für den Fall, Herr Professor, daß uns jemand im Mondschein begegnen sollte.«

Aber innerlich war ihm dabei nicht sonderlich scherzhaft zumute, denn das Meßinstrument in seinem Zimmer hatte einen starken Kurzschluß in der Hochspannungsleitung zu dem Waldteich hin angezeigt.

Schon nach wenigen Schritten bog er von dem breiten Burgweg auf einen Fußpfad ab, der so schmal war, daß Braun hinter ihm gehen mußte. Der Pfad führte um die halbe Burg herum und dann auf der anderen Burgseite zu Tal. Trotz der hellen Nacht war schon dieser Weg nicht ganz einfach, und der Marsch wurde noch schwieriger, als Eisenlohr ihn nun verließ und sich querfeldein in die Büsche schlug. Hier war die Lampe nicht länger zu entbehren, und öfter als einmal mußte Professor Braun Gebüsch beiseitedrücken, um seine Brille vor einer Katastrophe zu bewahren.

Endlich machte Eisenlohr an einer starken Buche halt. Braun sah weiße, in den Stamm geschraubte Isolatoren und blanke Kupferdrähte, die bergauf zu anderen Isolatoren an der Burgmauer verliefen und talwärts im Walde verschwanden. Er wollte etwas über die Bestimmung dieser Anlage erfahren, aber Eisenlohr hatte keine Zeit, ihm Rede zu stehen. Schritt für Schritt stapfte er weiter talwärts, dabei den Lauf der beiden Drähte unaufhörlich mit dem Lichtkegel der Lampe anstrahlend. So ging es weiter über Moos, Stock und Stein immer der Leitung nach, von Stützbaum zu Stützbaum, und der Professor hatte dabei so sehr auf den Weg zu achten, daß ihm alles Fragen verging. Er hatte sich den Spaziergang etwas anders vorgestellt. Schon schimmerte kaum noch fünfzig Meter entfernt ein Wasserspiegel durch das Gebüsch, als Eisenlohr haltmachte. Er hatte die Ursache des Kurzschlusses entdeckt. Etwas Dunkles, Massiges klebte zwischen den beiden Drähten. In dem hellen Lichtkegel der Lampe sah es wie ein großer Vogel aus, soweit es noch erkennbar war, denn der hochgespannte Starkstrom hatte es zum Teil verbrannt und zerstört.

Eisenlohr setzte seine Tasche auf den Boden und holte stabartige Stücke eines Isolierstoffes heraus, die er zu einer langen Stange zusammenschob. Danach ein Schlag damit gegen das Dunkle zwischen den Drähten, und es fiel im Sturz schon zum Teil zerbröckelnd zu Boden.

»Was ist es?« fragte der Professor.

»Eine große Waldeule, Herr Braun. Wir haben mehrere Horste in unserem Wald. Schade um das arme Tier! Gegen dreitausend Volt ist kein Kraut gewachsen.« Er packte seine Geräte wieder in die Tasche und schickte sich an, der Leitung bergab zu folgen.

»Können wir jetzt nicht umkehren?« fragte Braun, der von dem Marsch durch die Wildnis reichlich genug hatte.

»Noch die paar Schritte bis zum Teich, Herr Professor«, vertröstete ihn Eisenlohr. »Von dort haben wir dann einen glatten Weg zur Burg zurück.« –

Und dann standen sie am Teichrand.

»Ein üppiges Schilf haben Sie hier«, sagte Braun. »Sehen Sie dort an der anderen Seite: Das sieht ja schon fast wie ein kleiner Bambushain aus. Alle Wetter, Herr Eisenlohr! So etwas habe ich hier in unserer Gegend noch nie gesehen.«

Eisenlohrs Antwort klang zerstreut. »Sehr fruchtbarer Boden hier, Herr Professor ... günstige Südlage ... windgeschützt.«

Während er die Worte zusammensuchte, schaute er selbst wie fasziniert nach jener Stelle hin, von der Braun gesprochen hatte. Bedeutend höher gewachsen und viel stärker in seinen Schäften entwickelt war das Schilf dort, als am übrigen Ufer.

Fieberhaft suchte er nach einer Erklärung dafür. Die Strahlung? ... Der Gedanke lag nahe. Wenn die ultrafrequente Schwingung die Tierwelt des Teiches zu erhöhter Lebenstätigkeit anreizte, war es auch gut denkbar, daß sie ähnlich auf die Pflanzen wirkte. Aber dies wunderliche Schilf war ja der Strahlung nicht ausgesetzt. Mit gutem Vorbedacht hatte er die Röhre seinerzeit so aufgestellt und abgedeckt, daß sie nur die Wasserfläche anstrahlte. Kam die Wirkung von unten her? Hatte die im Wasser verstreute Strahlung die Wurzeln gerade dieser Schilfgruppe beeinflußt und zu solchem tropischen Wachstum angeregt? Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Neue Fragen Brauns, denen schwer auszuweichen war, störten ihn in seiner Überlegung. Der Professor wollte wissen, zu welchem Zweck die Leitung hierher gezogen war und was von hier aus gespeist wurde. Wohl oder übel mußte Eisenlohr sich zu einer Erklärung aufraffen, obwohl er sich unschlüssig war, was und wieviel er ihm von dem wirklichen Tatbestand verraten sollte. Um Zeit zu gewinnen, holte er weit aus und begann von jenen neuen biologischen Theorien zu sprechen, die der aus dem Weltraum kommenden ultraharten kosmischen Strahlung einen weitgehenden Einfluß auf die Formung alles Lebens unserer Erde zuschrieben.

Er erzählte Braun damit nichts Neues. Schon nach wenigen Worten hatte der Professor den Kernpunkt der Sache erfaßt. Lächelnd unterbrach er:

»Aha! Ich begreife, Herr Eisenlohr: Sie wollten Ihre Theorien experimentell nachprüfen und haben sich den Teich hier als Versuchsfeld ausgewählt. Keine üble Idee! An dankbaren Objekten fehlt es hier nicht. Eine Wasserflora von größter Mannigfaltigkeit, von der einfachen Alge und der Entengrütze bis zum Schilf. Nicht minder reichhaltig die Fauna ...«

Quak! Quak! Quak! klang es vom Teich laut und nachhallend in die wohlgesetzten Worte Brauns. Der Professor stutzte, schwieg einen Moment, horchte auf das Froschkonzert, das jetzt an mehreren Stellen anhob, sah Eisenlohr fragend an. Der war schon wieder ins Grübeln gekommen. War sich kaum bewußt, ob Worte Brauns oder Froschquaken an sein Ohr drangen. Die eine Frage: Warum gerade an dieser Stelle das üppige Wachstum? brannte in seinem Hirn. Laut und wiederholt mußte Braun ihn anrufen, bis er wie aus einem Traum erwachte.

»Der volle Mond scheint Ihnen nicht gut zu tun, Herr Eisenlohr«, sagte Braun besorgt.

»Nein, das ist es nicht.« Immer noch halb abwesend stieß Eisenlohr die Worte hervor. Er verwarf damit eine Möglichkeit, an die er eben gedacht hatte; Braun bezog es auf seine eigene Bemerkung über den Einfluß des Vollmondes. Er schlug Eisenlohr kräftig auf die Schulter, um ihn wieder ganz zu sich zu bringen, und fragte zum fünften Male:

»Froschquaken zu Anfang September, Herr Kollege? Das habe ich auch noch nicht gehört.«

»Strahlwirkung, Herr Braun«, antwortete Eisenlohr lakonisch.

»Ah so, Sie haben hier eine Strahlröhre in Betrieb? Das ist interessant! Das möchte ich auch sehen. Wo haben Sie den Apparat aufgestellt?« Während er es sagte, folgten seine Blicke der Leitung, die in das Schilf hineinführte. »Aha, dort!« Er ging in der Richtung der Leitung weiter, steckte bei den nächsten Schritten bis über die Knöchel im Morast und sprang mit einem Fluch zurück.

»Verdammt, Kollege! Hier gerät man in den Modder!« Ärgerlich schlenkerte er den Schlamm von seinen Stiefeln. Eisenlohr konnte ein Lachen nicht verhalten, als er den sonst immer so gesetzten und würdigen Professor auf dem Rasen umherhüpfen sah.

»So geht das nicht, Herr Braun«, meinte er, ging zu dem benachbarten Gebüsch und schleppte eine Bohle heran. »Wir müssen eine Brücke schlagen.« Vorsichtig streckte er das schwere Brett durch das Schilf vor, bis es mit dem anderen Ende einen Halt fand. Ging dann hinüber, von Braun gefolgt, der beim Anblick der hier auf einem Felsblock aufgebauten Anlage schnell seine nassen Füße vergaß.

»Ah! Ganz vorzüglich, Herr Eisenlohr! Sehr geschickt gemacht! Kein Mensch könnte Ihre Apparatur hier entdecken.« Der Professor erging sich noch weiter in Lobesworten über die Anlage. Eisenlohr blieb stumm. Unverwandt hing sein Blick an der Röhre. Sie stand anders, als er sie hingestellt hatte. Ein beträchtlicher Teil ihrer Strahlung konnte jetzt nicht mehr auf den Wasserspiegel fallen, sondern mußte das gegenüberliegende Schilf treffen, dessen tropisches Wachstum Braun vorhin aufgefallen war.

Die Frage, über die sich Eisenlohr vergeblich den Kopf zerbrochen hatte, fand damit eine überraschende Antwort. Die direkte Strahlung hatte dieses Wachstum verursacht. Doch eine zweite Frage tauchte gleichzeitig auf: Wer hatte sich hier unbefugt zu schaffen gemacht? Ein Fremder? ... Irgendein Wanderer, der die Leitung zufällig entdeckte und ihr aus Neugier bis zum Ende nachgegangen war?

Ebenso schnell, wie ihm der Gedanke kam, verwarf ihn Eisenlohr wieder. Es wäre niemandem zu raten gewesen, den Felsblock zu betreten, solange die Röhre unter Höchstspannung stand. Er selbst, Eisenlohr, hatte ja wohlweislich den Strom von seinem Arbeitszimmer her ausgeschaltet, bevor er sich mit Braun auf den Weg machte. Stromlos mußte die Leitung auch gewesen sein, als diese Veränderung hier vorgenommen wurde. Nur in der Burg konnte man sie ausschalten ... ein Verdacht stieg in Eisenlohr auf. Außer ihm wußte nur Bruck genau um die Anlage Bescheid. Sollte der ...?

Braun packte ihn mit festem Griff am Arm und rief ihn laut an: »Herr Eisenlohr, was ist Ihnen? Kommen Sie zu sich!« Der Professor glaubte jetzt ernstlich, daß Eisenlohr unter dem Einfluß des Vollmondes zum Schlafwandeln neigte, und suchte ihn mit der Vorsicht, die auf dem engen Raum hier geboten war, aus seinem somnambulen Zustand zu reißen; in der Tat sah es fast so aus, als ob Eisenlohr aus einem Traum erwache.

»Wie meinten Sie, Herr Professor?« fragte er, immer noch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, raffte sich dann zusammen und brachte die Strahlröhre wieder in die alte Lage zurück, die sie ursprünglich gehabt hatte, wandte sich danach an Braun.

»Kommen Sie, Herr Professor, hier ist nichts mehr zu tun.« Über die Planke ging der Weg zurück auf festes Land. Eisenlohr trug das Brett wieder zu dem Gebüsch. Ungeduldig harrte Braun, daß er zurückkehren möchte. Doch er mußte geraume Zeit warten, denn Eisenlohr ließ die Lampe wieder aufflammen und begann, das Gebüsch abzuleuchten und zu untersuchen. An einer Stelle schien ihm das dichte Waldmoos verdächtig. Er griff zu, fand es gelockert, schob es beiseite und stutzte beim Anblick dessen, was er darunter fand: Eine kleine Apparatur von Spulen und Blenden, geschickt aus Reservebeständen des Laboratoriums zusammengestellt, zweifellos – er erkannte es auf den ersten Blick – dazu bestimmt, die Strahlung der Röhre so zu beeinflussen, daß sie für eine Metallumwandlung nutzbar gemacht werden konnte.

»Wo bleiben Sie, Kollege?« rief Braun ungeduldig vom Teich her. Er spürte jetzt wieder die Nässe an seinen Füßen und hatte Eile, zur Burg zurückzukommen.

»Einen Augenblick, Herr Professor.« Eisenlohr öffnete seine Handtasche, packte den Fund hinein und füllte die Stelle, wo er gelegen hatte, mit Erde aus. Sorgfältig breitete er das Moos wieder darüber. Noch einmal leuchtete er die Stelle ab. Keine Spur verriet von außen, daß das Nest hier ausgenommen war. Wer auch immer unbefugt experimentiert haben mochte, würde eine unangenehme Überraschung erleben, wenn er an den Ort zurückkam.

»Wo stecken Sie, Kollege?« rief Braun zum zweitenmal.

»Ich komme schon, Herr Professor.« Eisenlohr schaltete die Lampe aus und trat aus dem Gebüsch heraus. Braun sah ihn forschend von der Seite an. Immer noch kam ihm Eisenlohr verändert vor, ungewöhnlich nachdenklich und in sich gekehrt. Vergeblich mühte der Professor sich, eine Erklärung dafür zu finden; er wußte ja nichts von den Fragen und Sorgen, die seinen Begleiter in diesem Augenblick bewegten. –

Der Pfad, auf dem sie zurückkehrten, war wesentlich besser als der Hinweg längs der Leitung. Schnell kamen sie trotz der Steigung voran und standen bereits wieder unter der Burgmauer, als Braun den Schritt verhielt. Eine Stelle, auf der helles Mondlicht lag, fiel ihm auf. Mit einer ungewöhnlichen Üppigkeit wucherte hier allerlei Kraut und Unkraut. Blätter des gemeinen Wegerichs, sonst nur handtellergroß, waren hier zu doppeltem und dreifachem Umfang gediehen. Auch das Waldmoos zeigte ein überraschendes Wachstum.

»Haben Sie hier auch mit einer Strahlröhre gearbeitet?« fragte Braun, und wieder mußte er auf Antwort warten. Abwechselnd ging der Blick Eisenlohrs zwischen diesem Fleck und einem Fenster hin und her, das sich etwa fünf Meter höher in der Burgmauer befand. Ein Vorfall, an den er längst nicht mehr gedacht hatte, kam ihm wieder in die Erinnerung. Ein halbes Jahr mochte das jetzt etwa her sein. Bei den ersten Arbeiten mit einer neuen, stärkeren Röhre bildete sich damals auf den Bleiblenden immer wieder ein Belag von gelblichem Metallstaub, bis es ihm schließlich durch kräftigere Spulen gelang, die Strahlung schärfer zu konzentrieren. Eisenlohr hatte den Staub analysiert und als eine ziemlich stark strahlende instabile Goldisotope festgestellt. Kurzerhand hatte er ihn danach als einen unnützen Abfallstoff zu dem Fenster dort oben hinausgeschüttet, obwohl Bruck heftig dagegen protestierte. Deutlich erinnerte er sich jetzt wieder der Szene. Damals lag tiefer Schnee, und im Sonnenschein schimmerte es goldig auf der weißen Fläche. Fast genau die gleiche Stelle war es, an der sie jetzt standen. Mit dem schmelzenden Schnee mußte jener Metallstaub in den Boden versickert sein und dort noch geraume Zeit weiter gestrahlt haben ... nur diese Strahlung konnte aber die Veränderung des Pflanzenwachstums hier verursacht haben. Je mehr er's überlegte, um so sicherer wurde er seiner Sache.

Die erneute Frage Brauns nötigte ihn, eine passende Antwort zu ersinnen. Er hielt es nicht für zweckmäßig, dem Professor den wirklichen Sachverhalt mitzuteilen.

»Ihre Vermutung ist zutreffend«, erwiderte er. »Bevor ich mit der Röhre an den Teich ging, hat sie kurze Zeit hier gearbeitet.«

»Sehr interessant, Herr Kollege«, murmelte Braun vor sich hin und bückte sich, um einige Blätter und Fruchtkolben des Wegerichs zu pflücken.

»Seit wann sind Sie unter die Botaniker gegangen?« fragte Eisenlohr.

»Seit heute, Kollege. Das hier kommt mir ins Herbarium, und von Ihrem Teich da unten werde ich mir auch noch einiges holen. Das sind denn doch so überzeugende Beweisstücke, daß ich sie mir nicht entgehen lassen möchte.« –

Mitternacht war vorüber, als sie den Burghof wieder betraten. Professor Braun beeilte sich, in sein Bett zu kommen, Eisenlohr fand noch keine Ruhe. Allzusehr beschäftigten ihn die Dinge, die er bei diesem Nachtspaziergang entdeckt hatte. Irgendein Bewohner der Burg – er hatte in erster Linie dafür Dr. Bruck in Verdacht – jagte dem Truggold weiter nach und störte dabei seine, Eisenlohrs, Arbeiten auf unangenehme Art. Aber war es denn wirklich nur Truggold ... jener goldig schimmernde Staub, den er bisher achtlos beiseite geworfen hatte? Noch vor einer Stunde hätte er diese Frage unbedingt bejaht. Jetzt aber, nach der letzten Entdeckung unter dem Burgfenster, mußte er sein Urteil ändern. Der Staub strahlte ... das war ihm seit geraumer Zeit bekannt. Aber er hatte sich bisher nicht die Mühe genommen, die Art und Frequenz der Strahlung näher zu untersuchen. Strahlende, das heißt instabile Elemente lagen nicht in der Richtung seiner Forschungen. Nur die Wirkung der Strahlung auf belebte und unbelebte Materie fesselte sein Interesse.

Aber jetzt sah das Problem ganz anders aus, und gewaltige Zukunftsmöglichkeiten eröffneten sich seinem Geiste, während er es noch einmal durchdachte. Mit einfachen Mitteln und geringen Kosten ließ sich dieser strahlende Staub in großen Mengen herstellen. Wie mußte er wirken, wenn man ihn etwa wie einen Kunstdünger über die Ackerfelder streute? Über den Schnee vielleicht, wie es hier einmal zufällig geschehen war? Wie konnte sich das vielleicht auf den Ertrag der Saaten auswirken? Die Ernte vervielfältigen ...

Flüchtig hatte er früher wohl die Möglichkeit erwogen, ein Versuchsfeld anzulegen und es der Bestrahlung durch Röhren auszusetzen. Immer wieder war er zu dem Schluß gekommen, daß der zu erwartende Erfolg die aufgewandten Mittel kaum lohnen würde. Hier wies ihm eine zufällige Entdeckung einen anderen, vielleicht aussichtsvolleren Weg. Mit heißem Kopf griff er nach Bleistift und Papier und begann Rentabilitätsberechnungen aufzustellen. Seite um Seite bedeckten sich unter seiner Hand mit Zahlen. Immer klarer wurde es ihm dabei, daß dieser neue Weg auch wirtschaftlich gangbar sein müßte.

Am Osthorizont leuchtete bereits ein heller Streif, als auch er endlich zur Ruhe kam.


7. Kapitel.

Dr. Harper, der bevorzugte Zahnarzt der amerikanischen Kolonie in Paris, war an sonderbare Wünsche seiner reichen und des öfteren auch reichlich spleenigen Patienten gewöhnt und pflegte sich durch Rechnungen von entsprechender Höhe dafür schadlos zu halten. Aber daß man ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf klingelte, um ein paar Goldplomben herauszunehmen, die er erst vor wenigen Tagen mit vollendeter Meisterschaft gelegt hatte, das passierte ihm doch zum erstenmal. James Kelly war es, der das von ihm verlangte und sein Ansinnen mit wenig schmeichelhaften Bemerkungen über Harpers ärztliche Kunst begründete.

Schweigend ließ der Doktor ihn gewähren, entschlossen, für jede der Injurien, die er zu hören bekam, einen Sonderbetrag auf die Rechnung zu setzen. Er wurde indes nachdenklich, als er seinen widerhaarigen Patienten genauer untersuchte, denn was er dabei feststellen mußte, sah ganz nach einer schon ziemlich weit vorgeschrittenen Wurzelhautentzündung aus. Eine Erklärung dafür konnte er nicht finden.

Sollte ihm zum ersten Male in seiner langen Praxis doch ein Kunstfehler unterlaufen sein? Er hielt es für ausgeschlossen, aber angesichts der Sachlage schien es ihm das richtigste, dem Wunsche zu willfahren. Die Bohrmaschine begann zu arbeiten, und bald waren Kellys Zahnhöhlen wieder frei von jeder Spur jenes Goldes, das Dr. Harper kürzlich mit so viel Kunst und Wissenschaft in sie hineingesetzt hatte. Einen leichten, lindernden Kitt brachte der Arzt dafür hinein, gab dem Patienten noch ein paar Kokainspritzen in das Zahnfleisch und entließ ihn mit den besten Wünschen für eine ruhige Nacht.

James Kelly stieg in seinen Wagen und fuhr ins Hotel zurück. Die Betäubungsmittel Dr. Harpers hatten seine Schmerzen zwar fast verschwinden lassen, aber seine Stimmung war immer noch alles andere als sanftmütig, als er zu Spranger, der noch auf war und ihn erwartete, ins Zimmer trat.

Unwirsch wies er die teilnehmenden Worte, mit denen sein Partner ihn empfing, zurück.

»Lassen Sie die Fragerei, Spranger! Sie machen mich wahnsinnig damit.« Sein Blick fiel auf die kleine Schreibmaschine auf Sprangers Tisch. »Tun Sie mir den Gefallen, und setzen Sie sich an die Maschine. Ich möchte einen Brief diktieren. Mir wird erst wohler sein, wenn ich Monsieur Bigot meine Meinung gesagt habe.«

Spranger spannte einen Bogen ein und setzte sich in Bereitschaft.

Kelly begann zu diktieren, sein Partner schrieb aber schon nach wenigen Zeilen nicht weiter.

»So geht das nicht, Kelly.›Schuft und Lump und Gauner‹ dürfen Sie wirklich nicht schreiben, wenn es auch noch so sehr Ihre Meinung ist. Bigot würde es benutzen; um recht erhebliches Geld aus Ihnen herauszuholen ...« Er spannte einen neuen Bogen ein, aber auch der zweite, dritte und vierte Entwurf glückten noch nicht. Erst beim fünften Male kam ein Schriftstück zustande, das man nach Sprangers Meinung zur Not abschicken konnte, ohne eine Beleidigungsklage gewärtigen zu müssen.

»Viel zu sanft für den Halunken!« knurrte Kelly vor sich hin, als er in sein Schlafzimmer ging. –

Zwischen Bigot und seinem Komplicen hatte es gleich damals, als Hartford von dem Geschäft mit Dubois zurückkam, eine scharfe Auseinandersetzung gegeben. Bigot wollte einfach nicht glauben, daß ein Kunde, der bis dahin immer glatt zahlte, plötzlich einen solchen Abzug an der Kaufsumme machte. Unverblümt warf er Hartford Betrug vor und beschuldigte ihn, in seine eigene Tasche zu wirtschaften. Hätte die Not sie nicht gezwungen, weiter zusammenzuhalten, so wäre es vielleicht sofort zu einem offenen Bruch zwischen den beiden gekommen. So indessen arbeitete Bigot notgedrungen weiter, bald mit der Strahlröhre, bald am Schmelztiegel, goß neue Barren und vertröstete dazwischen die Gläubiger, während Percy Hartford sich intensiv nach neuen Abnehmern umsah und sie dank seinen unterirdischen Beziehungen auch fand.

Mit Genugtuung erzählte er Bigot davon, doch der blieb nach wie vor mißtrauisch. Hartford war ihm als Kumpan willkommen gewesen, als es galt, Kapitalisten hinter das Licht zu führen. Aber er war ganz und gar nicht gewillt, sich selber von ihm übers Ohr hauen zu lassen. Mit gemischten Gefühlen sah er zu, wie Hartford nach dem Einbruch der Abenddämmerung drei Goldbarren in den Taschen seines Anzuges verschwinden ließ und sich zum Ausgehen fertig machte.

»Wohin wollen Sie damit?« fragte er.

»Zu dem neuen Abnehmer, von dem ich Ihnen heute vormittag sprach, Bigot.«

»Aber diesmal keine Abzüge, Hartford! Das bitte ich mir aus! Sie geben die Ware nur gegen den vollen Preis her, sonst ...«

»Sonst, Bigot ...?

»Sonst müßte ich mich selber um den Absatz kümmern, Mister Hartford.«

Hartford zuckte die Achseln. Lächerlich, was Bigot da sagte! Der sollte sich mal erst die Verbindungen verschaffen, über die er, Hartford, seit langem verfügte. Dinge und Wunder würde er dabei erleben – überflüssig, überhaupt ein Wort darüber zu verlieren ... »Ich gehe jetzt«, sagte er kurz und ging zur Tür.

»Sie kennen meine Meinung, Hartford. Handeln Sie danach!« rief ihm Bigot noch nach. Nur wenige Sekunden wartete er, dann griff er ebenfalls nach Mantel und Hut. Als Hartford die Haustür hinter sich zuschlug, ging auch Bigot bereits die Treppe hinab. Er hatte die Absicht, ihm ungesehen zu folgen und ihn soweit wie möglich bei dem bevorstehenden Geschäft zu überwachen.

Die Dunkelheit war inzwischen angebrochen, die Straßenlaternen brannten. Es wurde Bigot nicht schwer, sein Vorhaben auszuführen, ohne dabei von Hartford bemerkt zu werden. Durch Straßen, Gassen und schließlich durch Gäßchen führte Hartfords Weg in das Markthallenviertel. Vor einem verwahrlosten Haus blieb er stehen und drückte die unverschlossene Tür auf. Bigot sah ihn verschwinden und bezog zunächst einen Beobachtungsposten in einem Hausflur gegenüber. Wenigstens zehn Minuten wollte er verstreichen lassen, bevor er dem anderen nachging. Während er stand und wartete, versuchte er, sich den Namen des neuen Kunden ins Gedächtnis zurückzurufen, den Hartford am Vormittag gesprächsweise erwähnt hatte.

Marmonier ... Marmoutier ... Marmosset ... so ähnlich hatte er gelautet. Genau konnte sich Bigot zu seinem Bedauern nicht darauf besinnen. Sicherlich würde der Name ihm aber wieder einfallen, wenn er ihn auf einem Türschild geschrieben sah. –

Hartford war inzwischen eine steile und in der Dunkelheit doppelt halsbrecherische Treppe hinaufgestiegen. Vor einer Tür im dritten Stock machte er halt und ließ seine Taschenlampe aufblitzen. Bei ihrem Schein fand er einen Klingelknopf, auf den er in einem bestimmten Rhythmus bald kurz, bald lang drückte – ein Kenner des Morsealphabetes hätte dabei gewisse Buchstaben heraushören können. Gleich danach wurde die Tür geöffnet. Hartford nannte seinen Namen und wurde von dem Inhaber der Wohnung über einen dunklen Flur in ein mäßig beleuchtetes Zimmer geführt. Wie in dem Büro eines Winkelkonsulenten sah es hier aus: Regale mit verstaubten Akten vollgepfropft an den Wänden. Ein einfacher Tisch aus Fichtenholz und ein paar Stühle aus dem gleichen Material nahmen die Mitte des kleinen Raumes ein.

Hatte der vorletzte Kunde Hartfords wie ein Markthelfer ausgesehen, so konnte der jetzige etwa ein kleiner Büroangestellter sein, vielleicht ein Greffier aus irgendeiner Notariatskanzlei. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch einen Schreibschutz aus schwarzem Taft, den er über den rechten Ärmel gezogen hatte, und einen grünen Augenschirm, der den größten Teil seines Gesichts im Dunkeln ließ.

Abgesehen von diesen äußerlichen Unterschieden vollzog sich die Verhandlung zwischen ihm und Hartford ähnlich wie vor kurzem mit Monsieur Dubois. Auch hier wurde zuerst eine Waage zu Hilfe genommen und danach mit Probierstein und Ätzwasser der Feingehalt der drei Barren, die Hartford mitgebracht hatte, geprüft. Dann ging es schnell und für Hartford erfreulich glatt weiter. Der Mann mit dem grünen Augenschirm rechnete den Preis aus und legte den errechneten Betrag in guten amerikanischen Hundertdollarnoten vor Hartford auf den Tisch, ohne, wie Monsieur Dubois, zu mäkeln und Abzüge zu versuchen. In zehn Minuten war das ganze Geschäft erledigt. Hartford stand auf und machte sich zum Gehen bereit, als ihn der andere noch einmal zurückhielt.

»Sie haben Geschäfte mit Dubois gehabt, Mister Hartford?«

Hartford zuckte zusammen, als er den Namen hörte. Es war ihm unbegreiflich, daß sein neuer Kunde um die alten Beziehungen wußte. Bevor er noch etwas antworten konnte, sprach der weiter:

»Seien Sie vorsichtig, Mister Hartford! Man will Ihnen von dieser Seite übel.«

Hartford stotterte in seiner Verwirrung etwas Unsinniges zusammen. Der andere zuckte die Achseln.

»Konkurrenzneid ... was weiß ich ... Sie gehen jetzt besser zu einem anderen Ausgang hinaus. Ich werde Sie führen.«

Der Weg ging kreuz und quer über endlose Korridore, bald ein Stockwerk in die Höhe, dann wieder Treppen hinab, bis Hartford von dem anderen endlich durch eine enge Tür ins Freie geschoben wurde. Er befand sich in einem kleinen, ihm bis dahin unbekannten Nebengäßchen und brauchte einige Zeit, um sich zurechtzufinden. Auf Umwegen erreichte er sein Hotel. Bigot war nicht da, als er zurückkam. So hatte er Gelegenheit, noch einmal in aller Muße die schöne große Summe zu überzählen, die das letzte Geschäft eingebracht hatte. Sein Gesicht verriet Befriedigung und Genuß, während er die einzelnen Banknoten durch die Finger gleiten ließ. –

Ungeduldig trat Bigot auf seinem Beobachtungsposten vom einen Fuß auf den anderen. Eine Viertelstunde war Hartford bereits in dem Haus drüben. Es wurde Zeit, ihm nachzugehen, wenn er noch etwas von dessen Verhandlungen mit dem neuen Kunden erlauschen wollte. Vorsichtig sah er sich um; weit und breit war die Gasse menschenleer. Schnell eilte er über den Damm und ging durch die gleiche Tür, hinter der vorhin Hartford verschwunden war.

Aber Bigot hatte keine Taschenlampe bei sich, und bald mußte er einsehen, daß sein Unternehmen ziemlich hoffnungslos war. Eine lebensgefährliche Stiege, unwahrscheinlich enge Treppenabsätze, keine Möglichkeit, in der Dunkelheit Türschilder zu erkennen, wenn überhaupt welche vorhanden waren. Dazu eine fast unheimlich wirkende Stille. Vergeblich lauschte er an den Türen, in der Hoffnung, etwas zu hören und dadurch auf die richtige Spur zu kommen. So tastete er sich bis zum fünften Stockwerk hinauf, um dann unverrichtetersache umzukehren. Sein Versuch, Hartford auf die Sprünge zu kommen, war gescheitert. Mißmutig kletterte er von Absatz zu Absatz hinab und war froh, als er endlich wieder die Haustür erreichte.

Einen Augenblick blieb er stehen und sah sich um. Nach wie vor schien die Straße völlig verlassen zu sein. Mißmutig schlug er seinen Mantelkragen empor und trat ein paar Schritte vorwärts, als er hinter sich ein Geräusch zu vernehmen glaubte. Leichte, kaum vernehmbare Schritte, ein Raunen von Stimmen. Noch ehe er sich umdrehen konnte, sauste von hinten her über seinen Rücken ein Schlag, der ihn vor Schmerz aufschreien ließ, und hageldicht folgten in den nächsten Sekunden weitere Schläge von der gleichen saftigen Sorte.

Wie im Nebel sah er drei Gestalten um sich, die mit Gummischläuchen, Kabelenden oder ähnlichen Dingen auf ihn einhieben. Vergeblich streckte er die Arme vor, um seinen Kopf zu schützen. Auch auf den Armen und Händen brannten die Hiebe wie höllisches Feuer, wie ein Trommelwirbel fielen sie von allen Seiten auf ihn hernieder.

Monsieur Bigot bekam von Pariser Apachen eine Tracht Prügel, die weder qualitativ noch quantitativ etwas zu wünschen übrigließ. Es wurde ihm schwarz vor den Augen; er war im Begriff, zusammenzusinken, als seine Gegner plötzlich von ihm abließen. Kurze Worte hörte er:

»Das ist er nicht! Wir haben einen Falschen erwischt!« Dann schwanden ihm die Sinne. –

Percy Hartford wurde allmählich über das lange Ausbleiben Bigots unruhig. Es war ihm unerklärlich, was der so lange außerhalb zu suchen hatte. Sein Platz war doch hier, bei der Strahlröhre und den anderen Apparaten. Hier sollte er arbeiten und fleißig Gold fabrizieren. Sollte er Dummheiten gemacht haben? In eine Falle geraten sein? Mit unangenehmer Deutlichkeit erinnerte sich Hartford jetzt der letzten Worte, die er vor seinem Weggang noch mit ihm gewechselt hatte. »Sonst muß ich mich selber um den Absatz kümmern«, hatte Bigot gesagt. Hatte er es wirklich versucht? ... Dann war mit allen möglichen und wahrscheinlich recht unangenehmen Überraschungen zu rechnen ...

Während Hartford sich noch solchen Vermutungen hingab, klingelte es. Er ging zur Tür, um zu öffnen. Zwei Flics, Angehörige der Pariser Polizei, standen davor, in ihrer Mitte führten und stützten sie Bigot. Hartford fuhr entsetzt zurück, als er ihn erblickte. Er sah seine schlimmsten Erwartungen übertroffen.

Der Mantel Bigots war zerrissen. Hut und Stock waren ihm unterwegs abhanden gekommen. Sein Gesicht war durch Beulen und Striemen entstellt, eine rote Kruste verriet, daß er aus Mund und Nase geblutet hatte. Sein linkes Auge war halb zugequollen, auch seine Hände zeigten Spuren der erlittenen Mißhandlung. Mit Hilfe der beiden Polizisten brachte ihn Hartford zunächst einmal auf ein Ruhebett und flößte ihm ein Weinglas voll Kognak ein, versuchte dann von seinen Begleitern zu erfahren, was eigentlich geschehen sei.

Die wußten nicht viel zu melden. Ein Überfall in einer übelberüchtigten Gasse, wie er in Paris jede Woche einmal vorkam. Der Herr wäre unvorsichtig gewesen, sich allein, noch dazu bei Dunkelheit, in diese Gegend zu begeben ... zum Glück sei es noch glimpflich abgelaufen. Gefährlich verletzt wäre er nicht, augenblicklich nur noch benommen. Es hätte viel schlimmer kommen können ... Eine Anzeige erstatten? Viel Zweck hätte es kaum. Immerhin, wenn der Herr es wünsche, würden sie eine Anzeige gegen Unbekannt machen. Die Polizisten wollten bereits wieder gehen, als Hartford sie noch nach dem Ort des Überfalls fragte. Er stutzte, als er den Namen der Straße und die genaue Stelle erfuhr. Dicht bei jener Tür war es gewesen, durch die er selbst wieder herausgekommen wäre, wenn ihn sein neuer Kunde nicht auf einem andern Weg ins Freie gebracht hätte. Während die Polizisten sich entfernten, blieb Hartford sorgenvoll zurück. Immer klarer wurde es ihm, daß dieser Überfall wohl eigentlich ihm selber gegolten hatte. Daß er nur durch die Vorsicht dieses Monsieur Marmottier den Schlägen entgangen war, die durch ein merkwürdiges Quidproquo Bigot an seiner Stelle bekommen hatte. Merkwürdig – ja, in der Tat merkwürdig war es, daß der gerade zu dieser Zeit an dieser Stelle sein mußte. Wie kam er dorthin?

Hartfords Gedanken gingen der Frage nach und kamen zu einer Antwort, die sein Blut in Wallung brachte. Nur eine Erklärung gab es für diesen eigenartigen Zufall. Bigot traute ihm nicht mehr. Bigot war ihm nachgegangen, um ihn zu belauern ... um seinen Verbindungen nachzuspüren ... vielleicht, um selber Beziehungen anzuknüpfen, um ihn später ganz ausschalten und beiseitewerfen zu können.

Er warf einen wütenden Blick zu dem Ruhelager hin, wollte etwas sagen und unterdrückte es, als er Bigot schärfer betrachtete. Der war in einen unruhigen Halbschlummer gefallen, bewegte sich hin und wieder und stöhnte dabei. Jede Stelle seines Körpers schien ihn zu schmerzen. Mit einem Ruck wandte sich Hartford von ihm ab. Sonst für moralische Betrachtungen nicht besonders eingenommen, glaubte er im Augenblick an so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit. Sein Kumpan hatte ihn verraten wollen und dafür Prügel bekommen, die eigentlich für ihn, Hartford, bestimmt waren.

Schade um jeden Schlag, der danebenging! beendete er seine Überlegung, um sofort eine neue zu beginnen. Was heute mißlungen war, konnte morgen gelingen. Zweifellos hatte die Bande um Dubois ihn aufs Korn genommen und würde den Überfall bei nächster Gelegenheit wiederholen. Die Andeutungen, die ihm Marmottier darüber machte, waren ja kaum mißzuverstehen. Trafen Sie aber zu, dann war er hier in Paris ernstlich bedroht – war vielleicht nicht einmal mehr seines Lebens sicher. Dann war es für ihn – wie schon des öfteren in seinem Leben – einmal wieder an der Zeit, den Schauplatz seiner Taten anderswohin zu verlegen.

Wohin? In Frankreich kam natürlich nur Paris in Frage. USA war im Augenblick auch kein gesunder Boden für ihn ... vielleicht Deutschland? Wenn er dorthin ging ... vielleicht versuchte, irgendwie Anschluß an die Gruppe Eisenlohr zu finden? ... Dieser Dr. Bruck, über den Bigot wiederholt mit ihm gesprochen hatte, könnte vielleicht der richtige Mann sein, um das zu vermitteln. Man müßte sich mit ihm in Verbindung setzen, ihm schreiben – noch besser ihm ein Telegramm schicken.

Hartford griff nach Stock und Hut, um noch einmal auszugehen. Er wollte das Plänchen, über dem er nun schon seit Minuten brütete, erst einmal klar überdenken. Ärgerlich war's ja immerhin, von hier fortzugehen und Bigot das große Geschäft mit Kelly & Company allein zu überlassen. Als er zur Haustür kam, reichte ihm die Concierge aus ihrer Loge heraus einen Brief. Hartford nahm ihn mit einem kurzen »Danke!« an sich und warf einen Blick auf den Umschlag. Er war an Bigot gerichtet.

Percy Hartford hinderte das keinen Augenblick, ihn aufzureißen und zu lesen. Es war jenes wenig schmeichelhafte Schreiben, das James Kelly nach seiner Rückkehr von Dr. Harper seinem Partner in die Maschine diktiert hatte. Der Inhalt ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Kelly bezeichnete darin die Tätigkeit Bigots grob und grad als Humbug und nannte das von ihm hergestellte Gold einen lebensgefährlichen Dreck. Hartford brauchte den Brief nicht ein zweites Mal zu lesen; schon beim erstenmal wurde ihm vollkommen klar, daß an irgendein Geschäft mit der Firma Kelly & Company nicht mehr zu denken war, und diese Erkenntnis bestärkte ihn in seinem Entschluß, schleunigst aus Paris zu entschwinden.

Er griff nach seiner linken Brustseite. Angenehm für sein Ohr knisterten dort unter dem Rocktuch die Banknoten Marmottiers.

Kurz entschlossen stieg er die Treppe wieder hinauf und kehrte in die Wohnung zurück. Bigot war inzwischen in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung versunken; trotzdem vermied Hartford sorgfältig jedes Geräusch. Eilig raffte er ein paar Kleidungsstücke zusammen, packte sie in einen Handkoffer und verließ zum zweitenmal – diesmal für immer – die Wohnung.

Auf der Fahrt zum Bahnhof überlegte er die nächsten Schritte. Sollte er gleich von hier ein Telegramm an Bruck aufgeben? Es schien ihm rätlicher, damit zu warten, bis er die französische Grenze hinter sich hatte.

Eine Stunde später streckte er sich in einem Schlafwagen zur Ruhe aus. –

Am nächsten Morgen bekam Spranger einen Besuch von Reinhard. Der Hauptmann berichtete ihm, daß die Formalitäten in Sachen Percy Hartford doch etwas zeitraubender wären, als er ursprünglich geglaubt hätte, und erkundigte sich dann nach dem Befinden Kellys.

Spranger gab bereitwillig Auskunft. Geschwulst und Schmerzen wären in den letzten vierundzwanzig Stunden zurückgegangen, und danach sei die Laune seines Partners wieder eine bessere geworden.

»Aber vorgestern, Herr Reinhard, als er von Doktor Harper zurückkam, war er in einer schauderhaften Stimmung. Noch in der Nacht hat er an Bigot geschrieben. Ich habe hier einen Durchschlag davon ...« Spranger holte die Kopie und gab sie Reinhard. Der überlas sie und runzelte die Stirn.

»Halten Sie den Brief für zu scharf?« fragte der Amerikaner.

»Ich fürchte, Mister Spranger, er kann uns die Vögel verscheuchen, bevor das Netz zuklappt. Dumm! – Dumme Geschichte! – Natürlich hat Bigot den Brief längst gelesen und wird seine Konsequenzen daraus ziehen. Schade, Mister Spranger ... "

Spranger überlegte einen Moment, begann dann zögernd zu sprechen. »Der Brief ist von Kelly und nicht von mir. Was halten Sie davon, wenn ich jetzt Bigot besuchen würde?«

Reinhard nickte. »Versuchen könnten Sie es schließlich. Zu verderben ist dabei kaum etwas. Mir liegt daran, daß das Schwindlerpaar noch acht Tage hierbleibt. Wenn Sie das erreichen können, leisten Sie der Gerechtigkeit einen guten Dienst.«

» Well, Captain!« Spranger stand auf. »Ich werde gleich hinfahren und sehen, was sich machen läßt.« –

Als Spranger eine Viertelstunde später vor der Tür von Bigots Wohnung stand, hörte er drinnen einen Wortwechsel. Er unterschied die Stimme von Bigots Diener, der, im Gegensatz zu seiner sonstigen Art, ziemlich laut und grob mit zwei anderen Leuten sprach. Die Herren möchten mit ihren Rechnungen ein andermal wiederkommen. Monsieur Bigot läge krank zu Bett, und Mr. Hartford sei ausgegangen. Gleich danach wurde die Tür geöffnet. Spranger trat zur Seite und sah zwei Männer herauskommen, die durch ihre Äußerungen noch während des Hinuntergehens keinen Zweifel darüber ließen, daß sie vergeblich um Geld dagewesen waren.

Ihn selbst schien der Livrierte auch für einen Gläubiger zu halten. Erst als er ihn erkannte, wurde er höflich. Aber Monsieur Bigot sprechen?

»Beim besten Willen unmöglich, Mister Spranger. Monsieur Bigot liegt bedenklich erkrankt danieder. Er ist gegenwärtig nicht in der Lage, Besuche zu empfangen.«

Mit diesen. Bescheid mußte Spranger sich begnügen

* * *

»Ich bewundere Sie, Herr Eisenlohr«, sagte Professor Braun, hingerissen von dem, was er während der letzten Stunden gesehen hatte. Er sagte es in einem mächtigen Kellerraum der Burg, der ebenso wie die übrigen Keller aus dem massiven Basaltgestein herausgesprengt war.

Erst vor einer Woche hatte Eisenlohr diesen früher unbenutzten Raum für seine Zwecke in Gebrauch genommen, und mit überraschender Schnelligkeit waren hier die Einrichtungen und Anlagen entstanden, denen die Lobesworte Brauns galten.

Ein Dutzend würfelförmiger Gebilde, jedes einzelne etwa anderthalb Meter im Kubus messend, waren dort aus ausgesucht feuerfesten Bausteinen aufgemauert. In Reih und Glied standen sie da, schenkelstarke Stromkabel führten zu jedem einzelnen, und wurde einer der gewaltigen Schalter an der Kellerwand bewegt, dann strömte Elektrizität im Betrage von vielen Hunderten von Kilowatt in einen dieser Öfen. Dann wandelte die elektrische Energie sich dort auf kleinstem Raum zu Wärme, zu Hitze, zu Höllenglut. Dann kletterten die Pyrometerzeiger über die Zahl dreitausend, während im Ofenraum Kohlenstoff und erdige Mineralien im feurigen Fluß zusammenströmten und chemische Bindungen eingingen, um schließlich jene mannigfachen Karbide zu ergeben, die für die neuen Versuche benötigt wurden.

Eisenlohr und Braun traten zu einem Ofen, der schon seit Stunden unter Strom stand.

Nur ein leises Dröhnen und Brausen ließ etwas von den gewaltigen Energiemengen ahnen, die in dem mächtigen Steinwürfel durch menschlichen Erfindergeist gebändigt und gelenkt am Werke waren.

»Sie haben in einem geradezu amerikanischen Tempo gearbeitet, Herr Kollege«, nahm Braun das Gespräch von vorhin wieder auf.

Eisenlohr nickte. »Es mußte während der letzten Woche in drei Schichten gearbeitet werden, Herr Braun. Es ging um Stunden: Die Werkleute der abtretenden Schicht drückten denen der nachfolgenden die Mauerkelle oder Zange einfach in die Hand, und die Arbeit ging, ohne eine Minute zu verlieren, weiter –«

Eisenlohr unterbrach seine Erklärung und sah sich suchend in dem Raum um.

»Wo steckt denn Bruck?« fragte er Holthoff, der damit beschäftigt war, abgewogene Chemikalien in einen andern kalten Ofen einzubringen.

»Vor einer halben Stunde war er noch hier unten bei den Öfen«, erwiderte Holthoff. »Vermutlich ist er oben im Laboratorium.«

Eisenlohr unterdrückte eine mißbilligende Bemerkung, die ihm auf den Lippen lag. »Es ist Zeit, Herr Kollege«, sagte er zu Holthoff, »den Ofen hier können wir abstechen.«

Holthoff schob einen feuerfesten Tiegel heran und stieß mit einer Stange einen Pfropf aus der Ofenwand. Im Augenblick war der ganze große Raum bis in die letzten Winkel hell erleuchtet. In schimmernder blendender Blauglut strömte es wie eine feurige Schlange aus dem Ofen in den Tiegel.

»Tempo, Tempo und nochmals Tempo, Herr Professor, das ist für uns die Losung!« sprach Eisenlohr derweil zu Braun weiter. »Erst hatten wir höchste Eile, um fertig zu werden, bevor uns Professor Hartford aus Schenektady über den Hals käme, und jetzt wiederholen wir milliardenfach schneller, was uns die Natur vor Äonen von Jahren einmal vormachte.«

»Professor Hartford?« Braun dehnte den Namen beim Sprechen, als ob er auf etwas Zähem kaute, und schnitt dabei ein Gesicht. »Ich bin von diesem amerikanischen Besuch nicht sehr erbaut, Herr Eisenlohr.«

Eisenlohr lachte. »Vorläufig ist er ja noch gar nicht hier. Es war für uns ein glücklicher Zufall, daß er in Paris aufgehalten wurde. Jetzt mag er in Gottes Namen kommen, denn nun können wir ihn vor vollendete Tatsachen stellen.«

Braun zuckte die Achseln. »Tatsache hin, Tatsache her! Dieser amerikanische Professor wird doch behaupten, daß die Idee zu dem Ganzen von ihm stamme, und den Ruhm für sich in Anspruch nehmen. Es klingt vielleicht nicht sehr kollegial, was ich sage, Herr Eisenlohr, aber passen Sie auf, es wird sicher so kommen.«

»Ausgeschlossen, mein verehrter Herr Professor Braun. Diesmal sind wir Gott sei Dank doch die Schnelleren gewesen, und bei unseren Arbeiten haben wir uns nicht auf eine amerikanische Anregung, sondern auf feststehende Ergebnisse unserer deutschen Forschung gestützt.«

»Der Amerikaner wird diese Forschungen in Zweifel stellen«, warf Braun ein.

»Das dürfte ihm ziemlich schwerfallen, Herr Professor. Die einzige Voraussetzung, die wir bei unseren Arbeiten gemacht haben, ist die Hypothese, daß auf der Erdoberfläche einmal eine Temperatur von dreitausend Grad geherrscht hat, und die wird er uns nicht wegdisputieren können. Den Zustand sehen Sie hier.«

Eisenlohr deutete auf das flüssige Karbid in dem Tiegel, das sich inzwischen bis zu einer hellen Rotglut abgekühlt hatte.

»In dieser geologischen Periode müssen sich die Urkarbide gebildet haben. Die ganze Erdoberfläche muß damals aus ihnen bestanden haben. Weiter ging dann die Abkühlung, und die Wirkung einer hauptsächlich aus Stickstoff bestehenden Atmosphäre machte sich geltend. Was damals im großen geschah, das können Sie hier im kleinen wiederholt sehen.«

Er zog den Professor zu einem anderen Ofen hin. Ein mit einer Quarzplatte abgedecktes Schauloch bot die Möglichkeit, in das Ofeninnere zu sehen. Kleinstückig geschichtet lag hier das in anderen Öfen gewonnene Karbid, nur in mäßiger Rotglut leuchtete es noch, während eine Pumpe heißen Stickstoff durch den Ofen trieb. Neue Zyanverbindungen bildete das Karbid dabei. Weiter zog Eisenlohr den Professor zu einem großen Gefäß aus glasklarem Quarz, in dem Nebel in wechselnden Formen wogte und wallte.

»Hier sind wir schon in die Zeit gekommen«, erklärte er weiter, »zu der die ersten Regentropfen zur Erde fallen konnten. Noch heiß war dieser Regen, fast sofort verdampften die Tropfen wieder beim Aufschlagen. Endloser Nebel muß unseren Erdball damals eingehüllt haben, aber unter und in ihm bildeten sich aus jenen Stoffen, die in der Rotglut aus Stickstoff und Karbiden entstanden, wieder neue Verbindungen, aus denen das Leben geboren werden sollte.«

Er griff Braun beim Arm und zog ihn mit sich fort. »Kommen Sie, Herr Braun. Wir wollen weitergehen und nicht vergessen, daß wir mit jedem Schritt Jahrmillionen der Erdgeschichte überspringen. Sehen Sie hier«, er machte vor einem Quarzgefäß halt, »hier dampft und nebelt es kaum noch. Hier ist der Regen nur noch lauwarm, und unter ihm flutet bereits das Urmeer. Lichter, leichter ist die Atmosphäre geworden. Weltraumstrahlung kann in das Wasser dringen ..."

Er zog Braun weiter mit sich, bis in eine Ecke des Raumes. Auch hier stand ein Quarzgefäß von gleicher Art wie die vorhergehenden, zu einem Drittel mit einer trüben, opalisierenden Flüssigkeit gefüllt. Über ihm eine Strahlröhre, noch gewaltiger und mächtiger als alle anderen, die Professor Braun bisher auf der Eulenburg gesehen hatte. »Da haben wir das Urmeer im kleinen, haben die Weltraumstrahlung darüber ...« Eisenlohr machte eine kurze Pause, als wollte er dem Folgenden mehr Nachdruck verleihen. »Beides zusammen muß nach unseren Theorien ergeben ... was muß es ergeben, Herr Professor?«

Braun machte eine unsichere Bewegung.

»Das Leben muß es ergeben, Herr Braun. Das lebendige Leben ... und hat es bereits ergeben. Amöboides Leben ist in diesem winzigen Urmeer hier vorhanden. Was jener Amerikaner, der Professor Hartford, vermutete, war richtig ...«

Brauns Miene verdüsterte sich, als er wieder den Namen Hartford hörte; Eisenlohr übersah es. »Aber wir hier, Herr Braun«, fuhr er fast triumphierend fort, »sind die ersten, die auf diesem neuen Wege wirklich Leben gezeugt haben. Wir können die Priorität dafür in Anspruch nehmen.«

Brauns Gesichtsausdruck wurde kritisch. »Vorausgesetzt, Herr Eisenlohr, daß der Amerikaner nicht schon früher erfolgreiche Versuche gemacht hat.«

Eisenlohr schüttelte energisch den Kopf. »Ich kenne die Yankees, Herr Professor. Wenn er es getan hätte, würde er sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Aber er hat kein Wort darüber geschrieben, nur eine Theorie entwickelt, die uns nicht mehr neu war. Diese Entdeckung gehört uns.«

Eisenlohr zog sich mit Professor Braun in sein Arbeitszimmer zurück, um die nächsten Maßnahmen zu besprechen, die im Anschluß an die neue Entdeckung zu treffen wären, während Dr. Holthoff bei den Karbidöfen blieb. Zeit ging darüber hin; keiner von den dreien dachte mehr an Dr. Bruck, der bereits vor Stunden die Burg verlassen hatte. –

Wie ein Träumender war Bruck in diesen letzten Tagen einhergewandelt, schwankend zwischen Hoffnung und Verzweiflung, brennend von innerer Unruhe und Aufregung, gepeinigt von Selbstvorwürfen.

Wie ein Donnerschlag hatte es ihn getroffen, als er vor einer Woche an den Teich kam, um zu nächtlicher Stunde seine heimliche Goldmacherei zu betreiben, und als er das Nest leer fand. Wer hatte die Apparate dort aus dem Versteck im Moose fortgenommen? Um diese eine Frage drehten sich seit Tagen alle seine Gedanken.

Hatte ein Fremder sie zufällig gefunden – dann war's ein störender Zwischenfall – oder hatte Eisenlohr sie entdeckt und an sich genommen? Dann waren seine, Brucks, Tage auf der Eulenburg wohl gezählt. Dann war's Zeit für ihn, sein Bündel zu schnüren und zu Monsieur Bigot hinüberzuwechseln. Aber Eisenlohr hatte kein Wort darüber gesagt, hatte auch in seinem Verhalten ihm gegenüber nichts davon merken lassen, und bis zur Unerträglichkeit quälte diese Ungewißheit Bruck nachgerade.

Er hatte einen langen Brief an Bigot geschrieben, dem Franzosen seine Mitarbeit angeboten, ihn mit Mitteilungen über neue wichtige Entdeckungen zu ködern versucht. Fiebernd vor Ungeduld hatte er Tag für Tag auf eine Antwort gelauert; sie war nicht gekommen.

Und dann heute früh doch endlich ein Brief. Erwartungsvoll nahm Bruck ihn in Empfang, warf einen Blick auf den Umschlag – und war enttäuscht. Keine französischen Marken. Ihlefeld gab der Poststempel als Aufgabeort an. Sollte Bigot wieder wie das letztemal selber nach Deutschland gekommen sein, um persönlich mit ihm zu verhandeln? Erst in seinem Zimmer riß er den Umschlag auf, faltete den Bogen auseinander und stutzte, als er den Briefkopf sah. »Professor Hartford.« Was hatte das zu bedeuten? Professor Hartford aus Schenektady hatte sich doch bei Eisenlohr angesagt und wurde von dem eigentlich schon jeden Tag erwartet ... Wie kam der dazu, jetzt an ihn zu schreiben? Ein Irrtum war ausgeschlossen. »Mein lieber Herr Dr. Bruck ...« begann der Brief.

Bruck machte sich daran, ihn zu lesen, und stutzte gelegentlich, während er von Satz zu Satz weiterkam. In einer Weise, die Bruck übertrieben schien, betonte der Schreiber dessen Mitwirkung bei den Arbeiten, die auf der Eulenburg geleistet worden waren, und gab dann der angenehmen Erwartung Ausdruck, bald auch Herrn Dr. Eisenlohr persönlich kennenzulernen ...

Bruck schüttelte den Kopf, während er den Satz las. Warum schrieb der Professor das an ihn? Das war doch alles schon längst mit Eisenlohr direkt schriftlich abgemacht. Eigenartig, daß der Briefschreiber es noch einmal vorbrachte. Bruck fuhr mit seiner Lektüre fort. Aha, jetzt kam wohl die Hauptsache. Mr. Hartford sprach den Wunsch aus, vor der Zusammenkunft mit Eisenlohr erst einmal mit Bruck zusammenzutreffen, um sich mit ihm über einige wichtige Fragen auszusprechen.

»Ein sonderbarer Heiliger, dieser Professor Hartford!« murmelte Bruck vor sich hin, während er den Brief wieder zusammenfaltete. Warum will er erst den Assistenten kennenlernen, bevor er die Bekanntschaft des Chefs macht? – Will er mich vielleicht erst aushorchen? – Denkt er etwa, er könne von mir erfahren, was ihm Eisenlohr selber nicht sagen würde? ... Ist gar nicht mal so unintelligent von dem Yankee. Will sich bei mir erst Kenntnisse verschaffen, mit denen er Eisenlohr später imponieren kann ... Na, mein lieber Professor Hartford, wir sind auch schon seit einiger Feit aus den Windeln heraus. Was du nicht wissen sollst, wirst du von mir auch nicht zu hören bekommen ...

Jäh nahmen die Überlegungen Brucks eine andere Wendung. Gehörte er denn überhaupt noch zur Gruppe Eisenlohr? War der Boden hier für ihn nicht reichlich unsicher geworden? ... Wie wär's, wenn er die günstige Gelegenheit ergriffe ... wenn er sich von Anfang an offen auf die Seite dieses amerikanischen Professors stellte ... ihm wirklich nützliche Informationen gab? Der war doch ein großes Tier im National-Laboratorium von Schenektady ... vielleicht konnte er zu dessen Stab übertreten ... den Staub hier von seinen Füßen schütteln, nach Amerika gehen ...?

Nach langen Tagen einer quälenden Unrast sah Bruck hier eine Möglichkeit, vielleicht mit einem Schlage aus allen seinen Verlegenheiten herauszukommen, und beschloß, sie sofort zu nutzen. Noch einmal schlenderte er durch das Laboratorium und den Keller und wechselte dabei ein paar Worte mit Holthoff. Eine halbe Stunde, bevor Eisenlohr bei den Öfen einmal kurz nach ihm fragte, war das geschehen. Möglichst unauffällig hatte er sich danach wieder entfernt und einen Wagen aus der Garage geholt. Während Eisenlohr und Professor Braun noch den Gang der chemischen Reaktionen vom glühenden Thermit bis zum Urmeer verfolgten, jagte er bereits auf der Landstraße in der Richtung nach Ihlefeld dahin. Eine halbe Stunde später hielt er vor dem Hotel »Zum Hohen Stein«, das der amerikanische Professor als seine derzeitige Adresse angegeben hatte. –

Mr. Percy Hartford lief unruhig in seinem Hotelzimmer in Ihlefeld hin und her. Jetzt, hier in der Nähe, sahen die Dinge doch etwas anders aus als vor sechsunddreißig Stunden in Paris. Frühere vergebliche Versuche Bigots, eine Verbindung mit Eisenlohr aufzunehmen, kamen ihm wieder in die Erinnerung. Die Wahrscheinlichkeit, daß er selber einen besseren Erfolg haben würde, war nicht sehr groß. Alles würde davon abhängen, wie sich Dr. Bruck zu ihm und seinen Wünschen stellte.

Auf Bruck konnte er nötigenfalls nach dem, was er über seine dunklen Geschäfte mit Bigot wußte, einen Druck ausüben. Aber vorsichtig – äußerst vorsichtig mußte das geschehen, wenn er sich den Mann nicht vergrämen wollte. Deshalb hatte er ja auch seinen Brief an ihn so farblos gehalten und jede Anspielung aus Bigot darin vermieden. Spätestens heute früh mußte Bruck dieses Schreiben gehabt haben. Würde er daraufhin sofort zu ihm kommen, oder würde er auch erst schreiben und einen späteren Termin verabreden? Hartford wußte es nicht, und die Ungewißheit quälte ihn von Viertelstunde zu Viertelstunde immer mehr. In Gedanken begann er sich das Gespräch zurechtzulegen, das er mit Bruck führen wollte, wenn der erst einmal glücklich hier wäre. Er formulierte halblaut Sätze, um sie bald wieder zu verwerfen. Immer klarer wurde ihm dabei, daß bei dieser Unterredung sehr viel Diplomatie von seiner Seite nötig sein würde, wenn er sein Ziel wirklich erreichen wollte. Selber möglichst wenig sagen, lieber immer den andern reden lassen! Das war das Ergebnis, zu dem er schließlich gelangte. Nur kommen mußte Bruck, dann würde es in der Art, wie er es sich jetzt vorgenommen hatte, schon gehen. So weit war Hartford mit seinen Überlegungen gekommen, als Bruck draußen vor dem Hotel vorfuhr. –

Mit ausgesuchter Höflichkeit empfing Hartford den Doktor und bedankte sich, daß er seiner Einladung so schnell gefolgt sei. Mit viel Anerkennung sprach er von den Arbeiten Brucks, aber sorgfältig vermied er es dabei, aus den eigentlichen Zweck seines Besuches zu sprechen zu kommen. Vorläufig bewegte sich die Unterhaltung von seiner Seite in Gemeinplätzen, und in ähnlicher Weise liefen zunächst auch die Antworten Brucks.

»Ich will nicht leugnen, Herr Professor«, sagte er, »daß wir auf der Eulenburg recht beachtliche Erfolge erzielt haben, und es freut mich besonders, daß ein Fachmann von Ihrer Bedeutung meinen Anteil dabei richtig einschätzt. Allzu häufig ist es ja leider so, daß die Assistenten die Arbeit haben und der Chef den Ruhm einheimst.«

Einen Augenblick stutzte Hartford. »Einen Fachmann von Ihrer Bedeutung« hatte Bruck zu ihm gesagt. Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, fuhr der bereits fort:

»Gerade Sie, Herr Professor, der Sie den gewaltigen Apparat des National-Laboratoriums in Schenektady zu Ihrer Verfügung haben, werden unsere Arbeiten, die mit geringeren Mitteln durchgeführt werden mußten, am besten würdigen können.«

Hartford spielte nervös mit einem Bleistift, um seine Erregung zu verbergen. Eine Ahnung, die während der letzten Worte Brucks in wenigen Sekunden zur Gewißheit wurde, kam ihm: daß hier eine schwere Verwechslung vorlag. Dieser Deutsche hielt ihn, Percy Hartford, offenbar für den wirklichen Professor James Hartford. Sollte er den Irrtum sofort zerstören? Den andern weiterreden lassen! kam ihm sein altes Programm ins Gedächtnis.

»Gewiß, Herr Doktor, wir sind in Schenektady gut eingerichtet«, sagte er in der Erinnerung an seine eigene dortige Laboratoriumszeit. »Um so höher schätzen wir aber Erfolge, die mit geringen Mitteln erzielt wurden.«

»Ich weiß es, Herr Professor«, sagte Bruck, »Ihr Schreiben an Herrn Doktor Eisenlohr brachte das ja sehr anerkennend zum Ausdruck.«

Einen Augenblick verhielt Hartford den Atem. Was war das? Sein früherer Chef hatte in dieser Angelegenheit an Eisenlohr geschrieben? Nun hieß es für ihn doppelt vorsichtig sein und jedes Wort auf die Goldwaage legen.

»Ja, ich schrieb vor einiger Zeit auch an Herrn Eisenlohr«, sagte er aufs Geratewohl.

»Jawohl, Herr Professor, den Brief aus Schenektady, von dem ich eben sprach. Aber dann bekamen wir leider Ihre Nachricht aus Paris, daß Sie dort noch für unbestimmte Zeit aufgehalten wären. Herr Eisenlohr hat es sehr bedauert. Um so mehr wird es ihn freuen, daß Sie nun doch unvermutet gekommen sind.«

»Ja, leider hatte ich in Paris einen unerwarteten Aufenthalt«, sagte Hartford, um überhaupt nur etwas zu sagen. In rasender Eile versuchte er dabei, das zu verarbeiten, was er eben von Bruck erfuhr. Sein früherer Chef war in Paris. Noch nachträglich erschrak er bei dem Gedanken daran. Ein Glück, daß er ihm dort nicht über den Weg gelaufen war! Das Zusammentreffen hätte für ihn, Percy Hartford, fatale Folgen haben können. Wer lang oder kurz wurde sein Namensvetter hier erwartet. Auch hier würde also seines eigenen Bleibens nicht lange sein können. Alles kam darauf an, die Zeit auszunutzen.

Im Moment war er sich darüber klar, daß die Verwechslung ihm eine großartige Gelegenheit bot, Eisenlohr in die Karten zu gucken und wichtige Dinge zu erfahren, die ihm sonst wohl immer ein Geheimnis bleiben würden. Ebenso deutlich sah er freilich auch die Gefahr, in die er sich dabei begab. Nicht nur, daß er jeden Augenblick bereit sein mußte, spurlos zu verschwinden, sobald der richtige Professor Hartford auf der Bildfläche erschien – auch vorher durfte er sich keine Blöße geben, und dazu war es vor allen Dingen einmal nötig, diesen etwas zweifelhaften Assistenten Eisenlohrs einzuwickeln und nach allen Regeln der Kunst auszuholen.

»Sie äußerten sich vorhin, Herr Doktor«, leitete er sein Manöver ein, »daß meistens die Assistenten die Arbeit hätten, während dem Chef die Ehre zufiele. Sehen Sie, das war ja gerade der Grund, warum ich mich auch an Sie gewandt habe, denn darüber denke ich grundsätzlich anders. Bei mir wird jeder Mitarbeiter nach seinen wahren Verdiensten gewürdigt. Ich wollte zunächst einmal aus Ihrem eigenen Mund hören, was Sie bei der Sache geschafft haben, bevor ich Herrn Eisenlohr selber aufsuche.«

Der Köder war ziemlich plump, aber Bruck nahm ihn gierig an und begann eilfertig zu berichten, wobei er sich selber vieles gutschrieb, was richtiger auf das Konto von Eisenlohr und Holthoff zu setzen war.

»Selbstverständlich, Herr Doktor«, unterbrach ihn Hartford nach einiger Zeit, »ist unser Gespräch hier absolut vertraulich. Was Sie mir sagen, bleibt bei mir; es wäre mir lieb, wenn auch Sie darüber Schweigen bewahren würden. Herr Eisenlohr könnte es vielleicht falsch auffassen, daß ich mich vorher mit Ihnen besprochen habe. Ich möchte Ihnen das sagen, damit Sie sich in Ihren Mitteilungen nicht unnütz Zwang auferlegen.«

Auch diesen Brocken schluckte Bruck glatt hinunter und legte sich nun gar keine Zügel mehr an. Von Autokratenmanieren Eisenlohrs erzählte er dem Amerikaner und ließ durchblicken, daß er lieber heute als morgen seine Stellung wechseln würde.

Hartford tat einen Augenblick, als überlege er. »Nun, Herr Doktor«, meinte er dann, »Sie gefallen mir. Für tüchtige Leute ist in unserm Laboratorium immer noch Platz. Wir könnten auch darüber reden, aber streng vertraulich, wenn ich bitten darf. Herr Eisenlohr würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihm seinen Ersten Assistenten wegengagierte, das könnte erst gemacht werden, nachdem ich Deutschland wieder verlassen habe.«

Bruck sah sich der Erfüllung seiner kühnsten Träume nahe. Er hatte dem berühmten Wissenschaftler gefallen. Ganz unmißverständlich hatte der von einem Engagement nach Schenektady gesprochen. Wie frei und offen gab sich dieser Mann überhaupt im Gegensatz zu dem stets etwas zugeknöpften Eisenlohr! Wie gerecht dachte er über die Leistungen seiner Mitarbeiter! Jetzt dem nur weiter gefallen, ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen, und bald würde der Tag kommen, an dem er der Eulenburg ade sagen konnte.

Bisher hatte bei dieser Besprechung hauptsächlich Bruck geredet, nun begann auch Hartford zu fragen, und bereitwillig gab Bruck Antwort. Alles, was Hartford für seinen Aufenthalt auf der Eulenburg zu wissen notwendig und nützlich war, erfuhr er, alles über die Arbeiten Eisenlohrs, alles über die Rolle, die Professor Braun dort spielte, sogar auch alles, was Professor James Hartford an Eisenlohr geschrieben und ihm mitgeteilt hatte. Auch die Fragen danach beantwortete Bruck in seinem Eifer, ohne sich darüber Gedanken zu machen. So vorbereitet, konnte Mr. Percy Hartford es wohl unternehmen, sich in die Höhle des Löwen zu wagen.

Blieb noch die eine Frage, wie er sich dort einführen sollte. Entweder jetzt sofort mit Bruck zusammen kommen? ... Ein zufälliges Zusammentreffen vorschützen? ... Oder aber später allein kommen? ... An und für sich wäre eine Einführung durch Bruck gut. Sie würde über die ersten kritischen Minuten hinweghelfen. Noch überlegte Hartford, wie sich das am besten bewerkstelligen ließe, als Bruck mit einer Frage dazwischenkam:

»Wollen Sie gleich mit mir fahren, Herr Professor? Mein Wagen steht vor der Tür, aber leider habe ich nicht viel Zeit. Ich muß machen, daß ich zurückkomme.«

Während Bruck sprach, kam Hartford mit sich ins reine. »Nein, Herr Doktor Bruck«, entschied er sich, »das wollen wir anders arrangieren. Es ist besser, wenn Sie jetzt vorausfahren und sich erst einmal bei Ihren Leuten sehen lassen. Ich werde mir hier einen andern Wagen nehmen und in einer halben Stunde nachkommen. Richten Sie es so ein, daß Sie mir in nächster Nähe der Burg begegnen. Das würde dann ein vollkommen unverdächtiges Zusammentreffen geben, und wenn irgendeiner Ihrer Leute es zufällig mit ansähe, wäre das auch kein Fehler; es könnte eher nützlich sein. Ich denke, Sie verstehen mich, Herr Doktor?«

Bruck hatte voll und ganz begriffen. Er stieg wieder in seinen Wagen, sauste im Eiltempo zur Eulenburg zurück und stellte mit Befriedigung fest, daß seine Abwesenheit nicht sonderlich aufgefallen war. Im Keller traf er Dr. Holthoff, der mit der Vorbereitung neuer Chargen für die Thermitöfen beschäftigt war, und erfuhr auf seine Frage nach Eisenlohr und Braun, daß die Herren sich zu einer Besprechung zurückgezogen hätten. Eine gute Viertelstunde leistete er Holthoff Gesellschaft, dann ging er wieder nach oben. Auf dem Flur zum Laboratorium lief ihm Michelmann in den Weg.

»Hallo, Michelmann!« hielt Bruck das alte Faktotum an. »Gut, daß ich Sie gerade treffe. An der ersten Bank auf dem Burgweg sind ein paar Latten lose. Holen Sie sich Werkzeug, wir wollen die Sache gleich in Ordnung bringen!«

Michelmann nahm einen Hammer und eine Handvoll Nägel und schlurfte neben Bruck den Burgweg hinab, bis sie zu der Bank kamen.

»Na ja, Herr Doktor«, meinte er, nachdem er sich den Schaden besehen hatte, »etwas wacklig ist die Bank ja, aber eine Weile wär's wohl noch so gegangen.«

»Unsinn, Michelmann!« fuhr ihn Bruck an. »Sehen Sie nicht, wie die Nägel überall 'rausstehen? Wer sich hier hinsetzt, reißt sich mit Sicherheit ein Dreieck in den Hosenboden. Nun mal keine Müdigkeit vorgeschützt! Schlagen Sie die Latten wieder fest und geben Sie noch ein paar neue Nägel hinzu –« Er hielt inne, weil hinter ihm eine Autohupe ertönte, sprach aber danach zu Michelmann weiter: »Was kommt denn da angefahren ... ein Mietswagen aus Ihlefeld ...«

Auch Michelmann richtete sich von seiner Arbeit auf und besah sich neugierig den Wagen, der langsam herankam. »Wird wohl wieder ein Geschäftsreisender sein, der uns irgend etwas verkaufen will«, brummte er vor sich hin. »Am besten, Herr Doktor, Sie fertigen ihn gleich hier ab, damit unsere Herren nicht gestört werden.«

»Richtig, Michelmann, das wird das beste sein«, sagte Bruck und trat an den Wagen heran, der jetzt unmittelbar bei ihnen hielt.

Michelmann konnte beobachten, wie Bruck den Fremden ziemlich barsch nach seinem Begehr fragte, sah dann, wie er plötzlich sehr höflich wurde, den Hut zog, eine Verbeugung machte, und hörte ihn sprechen:

»Ah, Herr Professor Hartford! Welche Ehre für mich, Sie hier als erster begrüßen zu können! Wir erwarteten Sie erst später. Ich werde Sie dem Chef sofort melden, Herr Professor.«

»Hartford? Professor Hartford ...?« murmelte Michelmann vor sich hin, während er den Besuch eingehend musterte. Aus früher aufgefangenen Gesprächsbrocken wußte er, daß ein amerikanischer Wissenschaftler dieses Namens erwartet wurde. Wenn er nicht selber sagte, daß er's wäre, hätte ich ihn doch für einen Handlungsreisenden gehalten, sinnierte er weiter vor sich hin. Na, mag sein, daß die Amerikaner alle so aussehen. Bin neugierig, was der jetzt bei uns anstellen wird.

»Kommen Sie, Michelmann«, riß ihn Bruck aus seinen Selbstgesprächen. »Jetzt wird's in der Küche etwas für Sie zu tun geben.«

»Das ist unser alter Michelmann, der für unser leibliches Wohl sorgt«, stellte er ihn danach Hartford vor. Der nickte ihm zu, schüttelte ihm kräftig die Hand und ließ den Wagen langsam wieder anrollen. Bruck und Michelmann gingen das kurze Stück bis zum Burgtor zu Fuß nebenher. Dort verschwand Michelmann in die Richtung auf die Küche, während Bruck den neuen Gast in ein Empfangszimmer führte und dann ging, um ihn bei Eisenlohr anzumelden. –

Eisenlohr und Professor Braun saßen seit einer guten Stunde im Arbeitszimmer des ersteren beisammen und besprachen das durch die letzten gelungenen Versuche Erreichte. Eisenlohr resümierte noch einmal:

»Wir sind von den chemischen Elementen Kohlenstoff und Stickstoff und von Metalloxyden bei einer Glut von dreitausend Grad ausgegangen, die bestimmt einmal auf unserer Erdoberfläche vorhanden war ...«

»Zweifellos war sie das«, pflichtete Professor Braun ihm bei.

»Wir haben dann«, setzte Eisenlohr seine Ausführungen fort, »die Temperatur langsam von hellster Weißglut bis auf Blutwärme absinken lassen und zum gegebenen Zeitpunkt Wasserdampf und Wasser auf unsere Stoffe wirken lassen ... Wir haben die wässrige Substanz, die sich dabei bildete, schließlich einer ultraharten Strahlung ausgesetzt und Leben in ihr erzeugt ...«

Braun nickte. »So ist es verlaufen, Herr Kollege. Besonderen Wert möchte ich noch auf die Feststellung legen, daß die Versuchsreihe absolut steril durchgeführt wurde. Es ist ausgeschlossen, daß von außen her irgendwelche Keime in die Substanz hineingekommen sind. Jene Lehre von der Panspermie, derzufolge die Keime des ersten Lebens unserer Erde einmal durch den Weltraum von andern Gestirnen zugeflogen sein müssen, ist meiner Meinung nach ein für allemal erledigt. Das möchte ich in unserer nächsten Veröffentlichung besonders unterstreichen.«

»Sehr richtig, Herr Braun«, stimmte ihm Eisenlohr zu. »Unsere Veröffentlichung – damit kommen Sie auf das, was uns jetzt zunächst obliegt. Wir müssen so schnell wie möglich einen Bericht über unsere Arbeiten an die Fachpresse geben. Es wäre mir lieb, wenn er schon gedruckt vorläge, bevor Herr Professor Hartford hierherkommt.«

»In der Tat sehr erwünscht«, pflichtete ihm Braun bei. »Wir hätten dann eine geklärte Situation. Der Amerikaner könnte –« Er brach ab, weil es klopfte. Dr. Bruck öffnete von außen die Tür ein wenig und machte Eisenlohr, von Braun ungesehen, ein Zeichen, herauszukommen.

»Einen Augenblick, Herr Kollege!« entschuldigte sich Eisenlohr bei Braun und ging hinaus.

»Was haben Sie, Bruck?« fragte er unwillig über die Störung.

»Herr Professor Hartford ist soeben angekommen«, platzte Bruck mit seiner Neuigkeit heraus. Eisenlohr machte ein ungläubiges Gesicht.

»Was? Herr Professor Hartford ist jetzt schon gekommen?« fragte er offensichtlich verwundert und ließ sich von Bruck genau berichten, wie er ihn getroffen habe. »Merkwürdig – merkwürdig –« warf er ein paarmal dazwischen, während Bruck von dem Zusammentreffen bei der Bank am Burgweg erzählte. Bruck konnte nichts besonders Merkwürdiges daran finden. Er wußte auch freilich nichts von einem Brief, den Eisenlohr erst vor drei Tagen von Professor Hartford aus Paris bekommen hatte.

»Wo ist der Professor?« fragte Eisenlohr kurz, als Bruck mit seinem Bericht zu Ende war.

»Im Empfangszimmer, Herr Eisenlohr.«

»Gut! Ich werde zu ihm gehen.« –

Neugierig sah sich Percy Hartford in dem Zimmer um, in das Dr. Bruck ihn geführt hatte. Es war ein großer, gut ausgestatteter Raum. Ein breites Fenster bot freie Aussicht über den Berghang und das weiter entfernte Gelände. Ein schwerer Teppich und bequeme Sitzmöbel gaben dem Raum Behaglichkeit, nichts in ihm deutete auf physikalische Forschungen und Arbeiten.

Nur kurze Zeit blieb Hartford in dem Sessel sitzen, den Bruck ihm angeboten hatte, dann sprang er auf und begann im Zimmer hin und her zu gehen. Er war doch aufgeregter, als er es sich selber eingestehen wollte, und das Herz schlug ihm bis an den Hals, als sich jetzt die Tür öffnete und Eisenlohr hereinkam.

Eine kurze Verneigung von dessen Seite. »Herr Professor James Hartford, wenn ich recht unterrichtet bin?«

Percy Hartford erwiderte die Verbeugung. »Hartford ist mein Name. Ich bin früher zu Ihnen gekommen, als ich ursprünglich glaubte – hoffentlich komme ich Ihnen gelegen.«

Eisenlohr hatte während dieser Worte Zeit gehabt, seinen Gast zu mustern. Er blickte in ein nicht unintelligentes bartloses Gesicht, dessen Kinn Energie verriet. Die Kleidung des Amerikaners war elegant.

Fast etwas zu elegant, ging es Eisenlohr durch den Sinn, der dabei an die saloppe Garderobe von Professor Braun denken mußte.

»Aber durchaus, Herr Professor«, beantwortete Eisenlohr die Frage seines Gastes. »Ich freue mich aufrichtig, Sie bei uns zu sehen, obwohl ich Sie nach Ihrem letzten Schreiben eigentlich erst in der nächsten Woche erwartete.«

Hartford fühlte sich unsicher, denn von einem solchen Termin hatte ihm Bruck nichts sagen können.

»Es ging zuletzt in Paris alles glatter und schneller, als es anfangs den Anschein hatte, Herr Eisenlohr«, sagte er vorsichtig.

»Um so erfreulicher für Sie, Herr Professor. Behörden sind gewöhnlich langweilig, und die Justizbehörden ganz besonders.«

»Ja, die Justizbehörden ganz besonders«, bestätigte Hartfort die Bemerkung Eisenlohrs. »Man kann jedem gratulieren, der nichts mit ihnen zu tun hat.« Er sagte die Worte aufs Geratewohl, da er keine Ahnung hatte, was Eisenlohr eigentlich meinte.

»Haben Sie wenigstens den gewünschten Erfolg gehabt?« fragte Eisenlohr weiter. Mit Sekundenschnelle überlegte Hartford: Sollte er ja oder nein sagen? Er entschied sich für ja.

»Gott sei Dank, der Erfolg ist nicht ausgeblieben, Herr Eisenlohr.«

»Ah, das freut mich wirklich! Es ist Ihnen also gelungen, den Schwindler – es ist leider ein Namensvetter von Ihnen –, diesen Percy Hartford von der französischen Justiz festsetzen zu lassen?«

»Es ist mir gelungen, Herr Eisenlohr!« sagte Hartford. Er wußte selber nicht, wie er es fertigbekam, die Worte glatt und ohne Stocken auszusprechen, denn er fühlte seine Kehle trocken werden und spürte ein würgendes Gefühl am Hals. Mit eiserner Energie mußte er sich zwingen, eine unbewegte Miene zu zeigen, während sein Puls raste.

Die wenigen Worte Eisenlohrs stellten ihn vor eine vollkommen veränderte Situation. Für die nächsten Tage war er hier einigermaßen sicher. Das war das Erfreuliche, was er zuerst aus Eisenlohrs Mitteilungen herausgehört hatte. Freilich war auch diese Sicherheit nur sehr bedingt. Ein Brief, ja eine einfache Ansichtskarte aus Paris konnte den Betrug offenbaren, und mit jeder Post konnte schließlich etwas Derartiges auf die Eulenburg kommen. Weit schlimmer noch war aber das andere, was er zuletzt gehört hatte. Sein früherer Chef war hinter ihm her, stand im Begriff, ihm die französischen und sicher wohl auch die amerikanischen Justizbehörden auf den Hals zu hetzen. Ganz böse war das. USA und Frankreich waren ihm dadurch versperrt, bald wahrscheinlich auch Deutschland.

Während er Höflichkeitsphrasen drechselte, um das Gespräch mit Eisenlohr nicht ins Stocken kommen zu lassen, ging ihm das alles in Sekunden durch den Kopf und verdichtete sich zu einem Entschluß. Nur jetzt die Haltung bewahren und glücklich über die nächsten Stunden kommen! Später, bei ruhigem Nachdenken, würde er vielleicht einen Ausweg aus dieser Lage finden, so verzweifelt sie im Augenblick für ihn auch aussah.


8. Kapitel.

Zur gleichen Zeit, zu der Percy Hartford von Eisenlohr auf der Eulenburg empfangen wurde, traten Professor Hartford und Reinhard aus dem Gebäude der amerikanischen Legation in Paris. Auf der Straße blieb der Professor stehen, nahm den Hut ab und holte ein paarmal tief Luft.

»Gott sei Dank, Captain, die Sache ist endlich im Rollen! Jetzt befaßt sich die französische Justiz damit, aber wenn ich alle diese Umständlichkeiten vorher auch nur geahnt hätte, hätte ich es vorgezogen, den Menschen einfach laufen zu lassen ... na, nun ist's ja glücklich überstanden. Jetzt werde ich endlich abreisen können.«

Reinhard zögerte mit der Antwort.

»Oder glauben Sie etwa nicht?« fragte Hartford mißtrauisch.

»Sie könnten es natürlich, Herr Professor, aber für die Sache wäre es vorteilhafter, wenn Sie vorläufig noch hierblieben und sich zur Verfügung der französischen Behörden hielten.«

James Hartford verhielt den Schritt. »Um's Himmels willen, Herr Reinhard, soll das ganze Theater noch einmal losgehen? Ich verliere darüber kostbare Zeit. Sie wissen, daß man mich in Deutschland erwartet!«

Reinhard zuckte die Achseln. »Wenn Sie abreisen, Herr Professor, muß sich die französische Behörde an den Angeschuldigten halten. Sie wird ihn zur Vernehmung vorladen. Er wird das erstemal vielleicht sogar erscheinen, wird selbstverständlich alles abstreiten, wird danach gewarnt sein und schleunigst verschwinden.«

Verstimmung und Mißmut malten sich in Hartfords Zügen. »Und wenn ich wirklich noch länger hierbliebe?« fragte er ungeduldig.

»Dann könnte die französische Justiz auf Grund Ihrer Aussagen ganz anders vorgehen. Fluchtverdacht ist bei einem Ausländer ohne weiteres gegeben. Sie würde den durch Ihre Aussagen genügend Verdächtigten vor allen Dingen erst mal verhaften. Sobald er hinter Schloß und Riegel sitzt, können Sie unbesorgt abreisen. Ich möchte Ihnen doch dringend raten, noch ein paar Tage zu opfern. Die Sache ist es wert, Herr Professor.«

Während sie weitergingen, gab sich Hartford keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen. Erst vor seinem Hotel kam er zu einem Schluß. »In Gottes Namen denn, Captain«, sagte er beim Abschied zu Reinhard, »ich will in den sauren Apfel beißen und vorläufig noch hierbleiben.«

»Das einzig Richtige, Herr Professor«, meinte Reinhard dazu. »An Doktor Eisenlohr können Sie ja immer noch schreiben, damit er Sie nicht unnütz erwartet.« –

Auch die Laune von Monsieur Bigot war alles andere als gut. Die Beulen und Striemen, die er bei seinem letzten Abenteuer davongetragen hatte, waren zwar im Verschwinden begriffen, nachdem sie die Regenbogenfarben von Blau bis Gelb durchgemacht hatten, aber dafür saß er ohne den doch recht nützlichen Hartford und ohne Geldmittel da, und auch das letzte ihm noch aus einer besseren Zeit verbliebene Glanzstück, der Livrierte, drohte ihn zu verlassen.

Solange der biedere François pünktlich seinen Lohn bekam, hatte er Bigot gute Dienste geleistet, unschätzbare Dienste sogar, wenn es sich um die Vertröstung und Abschiebung zudringlicher Gläubiger handelte. Aber das änderte sich sehr plötzlich, als ihn Bigot nun selber wegen seines Lohnes vertrösten mußte. Da schlug Monsieur François auf einmal einen andern Ton an, und Bigot bekam nicht nur Vorwürfe von ihm zu hören, sondern auch unverhüllte Drohungen.

Vergeblich sprach Bigot davon, daß Mr. Hartford morgen oder übermorgen zurückkommen und viel Geld mitbringen würde. François lachte darüber und meinte respektlos: »Der hat Karl den Großen gemacht«, was aus der französischen Redeweise in die deutsche übertragen ungefähr bedeutet: Der ist mit dem Geld längst getürmt.

So schien die Unterhaltung zwischen Bigot und seinem Diener mit einem unheilbaren Krach enden zu wollen, als François von sich aus einlenkte.

»Wir brauchen Mister Hartford gar nicht«, sagte er unvermittelt, »was der kann, kann ich selber noch lange.«

»Was wollen Sie damit sagen, François?«

»Ich meine die Geschäfte, die Mister Hartford zuletzt für Sie besorgt hat.«

»Was wissen Sie denn davon, François?« fragte Bigot verdutzt.

Der Diener zuckte die Achseln. »Unsereiner hat auch seine Augen im Kopf, Monsieur Bigot. Ich weiß längst, was hier gespielt wird. Als das Geschäft mit den reichen Amerikanern Essig war, haben Sie's andersrum gemacht, haben Ihre Goldbarren durch Mister Hartford verschärfen lassen. Schade um das schöne Geld, mit dem er Ihnen durch die Lappen gegangen ist! Er wird seine Gründe gehabt haben, war wohl höchste Zeit für ihn, zu verduften ...«

Bigot ließ den andern ruhig weiterreden. Eine neue Möglichkeit, eine Hoffnung entnahm er aus dessen Worten. Schließlich konnte es ihm ja egal sein, wer das Gold an den Mann brachte. Nur Geld mußte endlich wieder ins Haus kommen. Geld – Geld und nochmals Geld! Das war die Parole, um die sich für ihn alles drehte.

»Also kurz und gut!« kam François mit seiner Rede zu Ende. »Ich weiß gute Abnehmer für Ihre Barren, Monsieur Bigot. Wenn Sie mir die Sache überlassen, werden wir schnell in Ordnung kommen.«

Bigot mußte an die Prügel denken, die ihn getroffen hatten, aber zweifellos für Hartford bestimmt gewesen waren.

»Das Geschäft ist nicht ungefährlich, François«, sagte er.

Mit einer verächtlichen Geste schob sein Diener die Warnung beiseite. »Pah! So dumm wie Mister Hartford werde ich's nicht anstellen. Ich weiß bessere Leute!«

Monsieur François dachte dabei an die Bauern seiner normannischen Heimat, welche die vergangenen Inflationsjahre immer noch nicht vergessen hatten und nach wie vor begierig darauf aus waren, Gold zu horten. Mit Leichtigkeit würde er bei denen die Ware Bigots loswerden. Für Jahre, vielleicht für Jahrzehnte würde sie bei denen unberührt im Sparstrumpf stecken. Aber er hielt es nicht für zweckmäßig, Bigot zum Mitwisser seiner Absichten zu machen, und wiederholte nur seine Frage:

»Wollen Sie mir Barren anvertrauen?«

Was blieb Bigot in seiner augenblicklichen Lage anderes übrig, als den Vorschlag anzunehmen? Allzu bedeutend war der vorhandene Vorrat an Barren freilich nicht, jener betrübliche Zufall, der die »Erkrankung« Bigots zeitigte, hatte sich auch störend auf die weitere Goldfabrikation ausgewirkt.

»Für das erste Mal muß es damit gehen«, meinte François, während er die Barren zu sich steckte. »Ich werde drei bis vier Tage fortbleiben. In der Zeit müssen Sie weiterfabrizieren.«

Bigot machte eine hoffnungslose Bewegung. »Wovon? Kein Geld, kein Strom ...«

»Ach so!« François kratzte sich hinter dem Ohr. Seitdem er die Barren Bigots in der Tasche hatte, war wieder etwas von der alten Dienerbereitschaft und Höflichkeit über ihn gekommen. »Ich werde Monsieur finanzieren müssen!«

Und nun lernte Bigot seinen Diener wieder von einer anderen Seite kennen. François verschwand und kam nach wenigen Minuten mit einigen Tausendfrancscheinen zurück, die er Bigot übergab.

»Eine Anzahlung auf das erhaltene Gold. Darf ich Monsieur um eine Quittung bitten? Es ist der Ordnung wegen, Monsieur.«

Bigot unterschrieb die Quittung. Jedes Schriftstück in der Welt hätte er für dieses Geld unterschrieben, das ihm die Möglichkeit gab, sich wieder einige Zeit über Wasser zu halten. Der Diener François packte sein Köfferchen. Er ging auf eine Geschäftsreise, deren Ziel er für sich behielt. –

Mr. James Kelly war dabei, die Bilanz seines Aufenthalts in Paris zu ziehen. Mit dem Ergebnis konnte er mehr als zufrieden sein. Einen guten glatten Schnitt hatte er bei dem Goldgeschäft gemacht, wenn es auch etwas anders verlaufen war, als Monsieur Bigot es sich gedacht hatte. Eine schöne Summe konnte er auch nach der Abwicklung seiner letzten großen Transaktion in französischen Eisenbahnaktien zugunsten der Firma Kelly & Company verbuchen. So war seine Stimmung die allerbeste, als Spranger in sein Zimmer kam.

»Ich denke, wir sind hier fertig«, begrüßte er ihn zwischen zwei Rauchwolken aus der unvermeidlichen Pfeife. »Es wird Zeit, daß wir uns wieder um unser Geschäft in New York kümmern. Wir könnten Plätze auf der ›Ville de Paris‹ belegen. Sie geht in drei Tagen von Le Havre ab.«

Spranger zog sich einen Sessel heran und machte sich's darin bequem; für Kelly ein untrügliches Zeichen, daß sein Partner allerlei zu sagen hatte und wahrscheinlich nicht seiner Meinung war. Er brauchte nicht lange zu warten.

»Ist mir eigentlich noch etwas zu früh, Kelly«, begann Spranger. »Ich wäre erst gern noch mal nach Deutschland gefahren.«

»Was wollen Sie in Deutschland?« fragte Kelly. Seine gute Laune war im Absinken.

»Ich möchte meinen Freund Eisenlohr noch einmal besuchen. Sie wissen ja, Kelly, den Doktor, den Physiker. Es gibt da allerhand zu sehen, was mich recht interessiert.«

»Lassen Sie mich mit Doktoren und Physikern ungeschoren!« wehrte Kelly ab. »Ich habe genug von der Sorte. Die Bekanntschaft mit Bigot genügt mir!«

»Sie dürfen Eisenlohr und Bigot nicht in einen Topf werfen!« verteidigte Spranger seine Ansicht. »Der eine ist ein ernster Wissenschaftler, der grundlegende Entdeckungen gemacht hat, der andere ein Scharlatan ...«

»Ein dreimal verdammter Schwindler!« unterbrach ihn Kelly.

»Selbst dieser Schwindler, wenn Sie ihn so nennen wollen, hat eine beachtenswerte Entdeckung gemacht«, setzte Spranger seinen Gedankengang fort.

»Unsinn, Schwindel! – Alles ein aufgelegter Humbug!« fuhr ihm Kelly in die Rede.

»Doch nicht alles, mein lieber Kelly! Erinnern Sie sich noch an das Goldpulver, das Bigot Ihnen gab?«

Kelly ließ seine Pfeife auf den Aschenbecher fallen und warf Spranger einen bösen Blick zu.

»Reden Sie nicht davon! Ich werde die Tage nie vergessen, bis Doktor Harper mich wieder von dem miserablen Zeug erlöste. Mein Kopf wäre ein Kürbis geworden, wenn ich's noch länger in den Zähnen gehabt hätte.«

Spranger konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, denn auch jetzt noch wies der mächtige Schädel seines Partners eine entfernte Ähnlichkeit mit der genannten Gartenfrucht auf.

»Nun stellen Sie sich einmal vor, Kelly«, fuhr er fort, »wenn man einen richtigen Kürbis mit diesem Goldstaub behandelt hätte, wie der erst gewachsen wäre!«

Kelly schlug ärgerlich mit der Faust auf den Tisch.

»Machen Sie keine faulen Scherze, Spranger! Ich verbitte mir das von Ihnen!«

»Ich bin weit davon entfernt, zu scherzen, Kelly. Es ist mir voller Ernst mit dem, was ich sage!«

»Drücken Sie sich, bitte, etwas deutlicher aus!« knurrte Kelly verdrossen. »Aber lassen Sie gefälligst meinen Kopf und überhaupt meine Person dabei aus dem Spiel!«

»Ich will es versuchen, Kelly, aber Sie müssen ein wenig Geduld haben.«

Mit Sorgfalt und Sachverständnis machte sich Kelly daran, seine Pfeife neu zu stopfen. »Schießen Sie los, aber machen Sie's gnädig!« brummte er.

»Haben Sie schon mal etwas von mitogenetischen Strahlen gehört?« fragte Spranger.

»Keine Ahnung, Spranger. Sie wissen doch, daß ich mich um den wissenschaftlichen Schwindel im einzelnen nie gekümmert habe.«

»Nun, das sind Wachstumsstrahlen, Strahlen, die jeden lebendigen Organismus, gleichviel ob Pflanze oder Tier, zu einer lebhafteren Zellteilung und einem verstärkten Wachstum anregen.«

Wie in einer schmerzlichen Erinnerung strich sich Kelly über den Mund, stieß ein paar schwere Rauchwolken aus und knurrte etwas Unverständliches vor sich hin.

»Das bewußte Goldpulver«, fuhr Spranger fort, »sendet unter anderm auch sehr kräftige Wachstumsstrahlen aus. Es könnte daher in einer künftigen intensiven Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen ...«

Kelly griff sich an den Kopf. »Goldpulver?! In der Landwirtschaft? Als Düngemittel etwa? Ich glaube, Sie sind übergeschnappt, Spranger. Das Gold wollen wir doch lieber in Wallstreet lassen, wo es am besten für uns arbeiten kann.«

»Das echte Gold meinetwegen, aber nicht diese strahlende Abart, die ja doch nur eine instabile Isotope ist.«

»Zum Teufel mit euren Fremdwörtern!« fuhr Kelly auf. »Bleiben Sie mir damit vom Leibe, Spranger! Griechische und lateinische Brocken ... da weiß ich sicher, daß wieder ein Humbug dahintersteckt. Haben Sie etwa Lust, sich noch einmal von Bigot leimen zu lassen?«

»Sie irren sich, Kelly. Meine Kenntnis stammt nicht von Bigot, sondern von Doktor Eisenlohr. Er schrieb mir in den letzten Tagen darüber, weil er annahm, daß wir vielleicht für seine amerikanischen Patente Interesse haben könnten.«

Kelly wiegte nachdenklich seinen massigen Schädel hin und her.

»Eisenlohr? Von dem hätte ich eigentlich etwas Vernünftigeres erwartet ... habe früher sogar daran gedacht, mich wegen der Goldgeschichte mit ihm in Verbindung zu setzen. Jetzt läuft der auch solchen überspannten Ideen nach ... Gold auf die Äcker streuen? Denken Sie doch nur mal nach, Spranger! Wer soll denn das bezahlen?«

»Zuerst selbstverständlich der Farmer, Kelly. Das ist doch vollkommen klar. In zweiter Linie natürlich der Verbraucher, der Korn, Kartoffeln und meinetwegen auch Kürbisse von ihm kauft.«

»Wahnsinn, Spranger! Heller Wahnsinn!« stieß Kelly zwischen den Zähnen hervor. Zum zweitenmal während ihres Gespräches war seine Pfeife am Ausgehen.

Spranger griff in die Tasche und holte ein mit Zahlen bedecktes Blatt hervor. Eine jener Rentabilitätsberechnungen war es, die Eisenlohr vor Tagen zu nächtlicher Stunde aufgestellt hatte. Er reichte sie seinem Partner hinüber.

»Lesen Sie das, und Sie werden Ihre Meinung ändern.«

Kelly überflog das Papier, bis sein Blick an einigen Zahlen länger haften blieb. Kopfschüttelnd prüfte er sie, griff nach Bleistift und Block und begann selber zu rechnen, warf dann den Bleistift hin und stützte den Kopf in beide Hände.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Spranger.

»Ich verstehe das Ganze nicht, Spranger. Der Deutsche setzt für sein Pulver einen Preis ein, für den man allenfalls einen guten Mist kaufen kann, aber doch niemals Goldstaub ... Gold, Spranger!«

»Doktor Eisenlohr würde den Preis nicht einsetzen, Kelly, wenn er sein Strahlpulver dafür nicht liefern könnte ...«

»Dasselbe Pulver, das Bigot mir gegeben hat?«

»Ungefähr das gleiche, Kelly.«

Kelly dachte an den Preis, den er Bigot dafür gezahlt hatte. »Ich möchte dem Kerl das Genick umdrehen!« knirschte er.

»Lassen wir Bigot«, winkte Spranger ab. »Es ist wichtiger, daß wir zu den Vorschlägen Eisenlohrs Stellung nehmen.«

In Kellys Zügen arbeitete es. Abneigung und Unschlüssigkeit einerseits, Lust, sich ein neues großes Geschäft nicht entgehen zu lassen, andererseits kämpften in ihm.

»Ja!« begann er nach längerem Zögern. »Man müßte vor allen Dingen erst einmal etwas sehen ... wirklich genaue Unterlagen haben. Das hier –« er schob Eisenlohrs Berechnung beiseite – »das ist zu wenig. Papier ist geduldig.«

»Etwas sehen, Kelly! Jetzt kommen wir uns schon näher. Das ist ja mein Vorschlag. Wir müssen nach Deutschland fahren und die Sache mit Eisenlohr gründlich besprechen. Das ist es, worum ich Sie bitte.«

»Hm, Spranger ...«

Kelly überlegte hin und her. »Wir müssen dann doch wenigstens eine Woche für unsern Aufenthalt in Europa zugeben.«

»Rechnen Sie lieber mit zwei Wochen, Kelly.«

»Paßt mir schlecht in den Kram, Spranger. Unser Manager in New York ist mir in letzter Zeit zu selbständig geworden. Hohe Zeit, daß der Bursche wieder an die Kandare genommen wird.«

Spranger deutete auf das Codebuch, das neben dem Aschenbecher auf dem Tisch lag.

»Wozu haben wir Kabel und Funk, Kelly? Geben Sie telegraphisch gemessene Anweisungen nach New York, dann wird es da wohl auch noch die nächsten vierzehn Tage ohne uns gehen. Ich möchte nicht, daß uns jemand anders bei Eisenlohr zuvorkommt.«

»Halten Sie das für möglich?«

»Es wäre nicht ausgeschlossen.« Mit einem Seufzer griff Kelly nach dem Codebuch und begann eine Instruktion für den Manager der Firma in New York aufzusetzen. Für Spranger war es das Zeichen, daß sein Partner bereit war, ihn nach Deutschland zu begleiten.

* * *

»Ihre Anregungen waren für uns recht wertvoll, Herr Professor«, sagte Eisenlohr.

Zum Teufel, was meint er jetzt? dachte Percy Hartford bei sich. »Ich bin erfreut, daß ich Ihnen nützlich sein konnte, Herr Doktor«, sagte er, um Zeit zu gewinnen, während er sich hastig die Mitteilungen, die Bruck ihm an diesem Morgen in Ihlefeld gemacht hatte, durch den Kopf gehen ließ.

»Wir trugen uns allerdings auch schon mit dem Gedanken, von Karbiden auszugehen ...«, sprach Eisenlohr weiter. Seine Worte brachten Hartford im Augenblick ins Bild. Gott sei Dank! Jetzt wußte er, wovon die Rede war, und lief nicht mehr Gefahr, sich eine Blöße zu geben.

»Gewiß, Herr Doktor«, sagte er geschmeidig. »Nach dem, was wir über die Vorgeschichte unserer Erde wissen, mußte dieser Gedanke für jeden Wissenschafter naheliegen. Immerhin mußte die Anregung einmal gegeben werden, aber ich bin weit entfernt, daraus ein besonderes Verdienst für mich zu konstruieren.«

Einen Moment stutzte Eisenlohr. So bescheiden und selbstlos, wie der Professor jetzt sprach, hatte er sich in seinen Briefen an ihn eigentlich nicht ausgedrückt. Nun, das ist höfliche Zurückhaltung, die er sich hier als Gast auferlegt, suchte Eisenlohr es sich zu erklären. Wenn er dabei bleibt, wird die Zusammenarbeit mit Braun besser gehen, als ich glaubte.

»Sie treffen einen Kollegen bei mir«, fuhr er fort, »Herrn Professor Braun, der Ihnen wohl dem Namen nach bekannt ist.«

Hartford nickte und segnete im stillen die Redseligkeit Brucks. »Herr Professor Braun genießt bei uns in den Staaten einen vorzüglichen Ruf. Ich bin begierig, seine persönliche Bekanntschaft zu machen.«

»Dann schlage ich vor, Herr Professor, daß wir gemeinschaftlich zu Tisch gehen. Wir werden zu fünft sein. Meinen Ersten Assistenten Herrn Doktor Bruck kennen Sie bereits. Außer Professor Braun nimmt noch mein Zweiter Assistent, Herr Doktor Holthoff, an der Mahlzeit teil. Wir werden also in kleinem Kreise sein und zwanglos plaudern können. Ich denke, es wird angerichtet sein. Darf ich Sie bitten, Herr Professor?«

»Mit Vergnügen, Herr Doktor!«

Hartford atmete auf, als er neben Eisenlohr aus dem Empfangszimmer auf den Flur trat, denn das Zusammensein mit Eisenlohr allein bedrückte ihn. Er wurde das Gefühl nicht los, daß der Deutsche ihn durchschaute, und empfand die Aussicht, jetzt in eine größere Gesellschaft zu kommen, wie eine Befreiung.

Die Vorstellung im Speisesaal ging schnell vonstatten. »Eine kleine Überraschung, Herr Braun. Wir haben unvermutet noch einen Gast bekommen, Herrn Hartford aus Schenektady«, führte Eisenlohr den Amerikaner ein.

Professor Braun quittierte mit einer kurzen Verbeugung, murmelte etwas, das wie »Sehr angenehm!« klingen konnte, und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Während er seine Serviette entfaltete, musterte er Hartford durch seine scharfe Brille so eingehend, daß dem von neuem ein Unbehagen aufkam. Dann wurde die Suppe aufgetragen, und zunächst wollte kein rechtes Gespräch in Gang kommen. Als einer der ersten wurde Braun mit seinem Teller fertig. Er legte seinen Löffel hin, sah Hartford noch einmal an und fragte unvermittelt:

»Sie tragen heute kein Glas, Herr Hartford?«

Dem Amerikaner fuhr bei den Worten Brauns ein schwerer Schreck durch die Glieder. Wenn dieser deutsche Professor durch einen verwünschten Zufall seinen früheren Chef James Hartford persönlich kannte, dann mußte die nächste Sekunde unabwendbar die Katastrophe bringen. Und wie leicht kamen solche Bekanntschaften heute zustande! Gab es doch fast in jedem Jahr irgendwo irgendeine internationale wissenschaftliche Tagung, auf der Gelehrte aus aller Welt zusammenkamen, zusammen debattierten und zusammen tafelten.

Dieser Mr. Braun wußte also jedenfalls, daß sein Kollege aus Schenektady ein Glas trug. Auch Percy Hartford war diese Tatsache sattsam bekannt, und obwohl seine Sehschärfe vorzüglich war, hatte er sich in Paris aus einer gewissen Vorsicht heraus eine Brille beschafft, die sich von derjenigen seines früheren Chefs nur dadurch unterschied, daß ihr Gestell simples Fensterglas enthielt.

»Mein Arzt riet mir, die Gläser nicht ständig zu tragen«, sagte er zu Braun, während er diese Brille zur Hälfte aus der Brusttasche zog und mit einer lässigen Bewegung wieder zurückschob.

»Sie Glücklicher!« meinte Braun, der ohne seine scharfen Gläser ziemlich hilflos war, und wandte seine Aufmerksamkeit dem nächsten Gang zu, der soeben von Michelmann aufgetragen wurde.

Als das alte Faktotum den Raum verlassen hatte, begann Eisenlohr von seinen letzten Arbeiten zu sprechen. Professor Braun griff das Thema sofort auf und verbreitete sich, von Holthoff gelegentlich sekundiert, über die von ihren dabei benutzten Karbide mit einer echt professoralen Gründlichkeit. Hartford griff hier und da mit Zwischenbemerkungen ein, in denen er geschickt alles das anbrachte, was er am Morgen von Bruck erfahren hatte, und gewann durch seine Art bei Braun schnell einen Stein im Brett.

Einen wenig umgänglichen, ja bisweilen schroffen Kollegen hatte Braun zu treffen erwartet, und er fand zu seiner Überraschung einen liebenswürdigen Plauderer, der sein eigenes Wissen in konziliantester Weise vorbrachte. Diese Entdeckung veranlaßte ihn selbst, freier aus sich herauszugehen.

Mit stillem Vergnügen beobachtete Eisenlohr die Entwicklung der Dinge.

Nicht ohne innere Besorgnis hatte er dem Zusammentreffen der beiden Gelehrten entgegengesehen, hatte noch vor kurzem zu Holthoff etwas von zwei harten Steinen gesagt, die wohl nur schlecht miteinander mahlen würden, und sah nun eine gediegene wissenschaftliche Aussprache in Fluß kommen. Mit Befriedigung mußte er auch feststellen, daß die Ansichten Hartfords sich fast vollständig mit seinen eigenen deckten.

Genau die gleichen Karbide, von denen er selbst bei seinen letzten Arbeiten ausgegangen war, führte auch Hartford als die für diesen Zweck geeignetsten an, und da Eisenlohr die etwas trübe Quelle, aus welcher der Amerikaner sein Wissen geschöpft hatte, nicht kannte, erblickte er in solcher Übereinstimmung eine erfreuliche Bestätigung seiner eigenen Anschauungen durch einen anderen Wissenschaftler.

Was der verehrte Kollege bereits praktisch auf dem Gebiet getan habe, wünschte jetzt Braun zu erfahren. Hartford drückte sich etwas unbestimmt aus und nannte ein paar Karbide, die er hergestellt und auf ihre Reaktionen auf Stickstoff und Wasser hin untersucht haben wollte. Immer wieder betrachtete er dabei, während er drauflos redete, unauffällig Professor Braun. Nach wie vor kreisten seine Gedanken um die eine Frage, ob er James Hartford persönlich kannte oder nicht. So unerträglich wurde ihm die Ungewißheit, daß er sich schließlich entschloß, von sich aus auf den Busch zu klopfen.

»Ich meine, Herr Braun«, sagte er, als der Professor einen längeren Satz glücklich zu Ende gebracht hatte, »wir müßten uns schon einmal getroffen haben. Ich komme im Augenblick nur nicht darauf, wo es gewesen sein kann.«

Die Frage war heraus; mit Herzklopfen wartete Hartford auf die Antwort. In Schenektady war der Name Braun niemals gefallen. Wenn Braun James Hartford persönlich kannte, mußte diese Bekanntschaft während des letzten halben Jahres gemacht worden sein, nachdem er selbst, Percy Hartford, die Staaten verlassen hatte. Braun sah ihn einen Augenblick an, schien nachzudenken, schüttelte den Kopf, sagte dann:

»Ich kann mich nicht erinnern, Herr Kollege.«

»Vielleicht auf einem der letzten Kongresse?« versuchte ihm Hartford einzuhelfen. »Ich war auf der diesjährigen Elektrikertagung in Detroit ...«

»Ich wollte auch hin, hatte aber im letzten Moment eine Verhinderung«, nahm Braun die Frage auf. »Aber ich weiß, daß Sie da waren, Herr Hartford. Die ›Electrical Review‹ brachte kürzlich eine Aufnahme der Teilnehmer. Ich fand Ihr Bild darauf.«

Percy Hartford fiel ein Stein vom Herzen. Dieses Bild hatte er ebenfalls gesehen und gefunden, daß es herzlich schlecht war. Eine Blitzlichtaufnahme, die bei der Wiedergabe durch einen groben Raster noch undeutlicher geworden war. Wenn Braun nichts weiter als das von ihm kannte, war die Gefahr nicht mehr groß.

»Oh, dann muß es ein Irrtum sein, vielleicht habe ich Sie mit einem Kollegen verwechselt«, brach Hartford das Thema ab, und für Braun war es der gewünschte Anlaß, auf die Versuche mit den Karbiden zurückzukommen.

Freimütig bekannte Hartford, daß er selber infolge Überhäufung mit anderen Arbeiten nicht dazu gekommen wäre, die Angelegenheit weiterzuverfolgen. Rückhaltlos beglückwünschte er Eisenlohr und Braun zu ihren Erfolgen auf diesem Gebiet, sprach dann wieder von seinen eigenen Arbeiten und versuchte dabei, das Gespräch unauffällig auf das Thema zu bringen, das ihm am meisten am Herzen lag, auf die Metallumwandlung.

Als Bruck es merkte, versuchte er ihn dabei zu unterstützen. Ein paarmal überhörte Eisenlohr die Manöver Hartfords geflissentlich; als der jedoch nicht davon abließ, entschloß er sich, deutlicher zu werden.

»Die Untersuchungen, von denen Sie eben sprechen, Herr Kollege, sind zweifelsohne theoretisch recht interessant«, fing er an. »Aber das praktische Interesse, daß Sie ihnen noch unterzulegen scheinen, haben sie nicht. Das haben wir schon seit längerem erkannt und unseren Arbeiten eine andere Richtung gegeben.«

Begierig sog Hartford jedes Wort, das Eisenlohr sprach, in sich ein. Eine Mitteilung Bigots kam ihm wieder ins Gedächtnis. Achtlos sollte Eisenlohr den Goldstaub, der sich auch bei seinen Versuchen bildete, zum Fenster hinausgeworfen haben. Hartford hatte es damals für ein leeres Gerücht gehalten, hatte es einfach nicht geglaubt; jetzt mahnte es ihn zur Vorsicht. Offenbar hatte Eisenlohr etwas entdeckt, von dem er, Hartford, und Bigot noch keine Ahnung hatten; das jetzt unauffällig herauszubekommen, mußte sein nächstes Ziel sein.

»Gewiß, Herr Eisenlohr. Jener Goldstaub, der sich bei der Bleiumwandlung bildet, ist noch nicht ganz das Richtige«, begann er tastend, »aber doch vielleicht der erste Schritt in einer Entwicklungsreihe zu etwas Vollkommenerem.«

Er gedachte Eisenlohr dadurch zu weiteren Mitteilungen über seine eigenen Arbeiten zu veranlassen, bekam aber zu seinem Erstaunen etwas ganz anderes zu hören.

»Im Gegenteil, Herr Kollege«, erwiderte ihm Eisenlohr, »dieser Goldstaub – ich möchte ihn lieber Pseudogoldstaub nennen – ist gerade das Richtige, weil er bei seinem Zerfall unter anderem auch eine recht wirksame Wachstumsstrahlung aussendet.«

›Bei seinem Zerfall‹ – hatte Eisenlohr nicht eben ›bei seinem Zerfall‹ gesagt?

Während die Worte in Hartfords Hirn nachhallten, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das künstlich erzeugte Gold zerfiel also wieder? In was? ... Wandelte es sich am Ende wieder in Blei zurück? Kamen daher die ihm bisher unerklärlichen Beschwerden seiner Kunden, denen er in Paris Bigots Barren verkauft hatte?

Er mußte ein paarmal schlucken, um seiner Aufregung Herr zu werden.

»Gewiß, es sind vorläufig noch instabile Isotopen«, meinte er mit gezwungener Ruhe, »aber ein Übergang zu stabilen, nicht mehr strahlenden, nicht mehr zerfallenden Formen müßte sich doch finden lassen ...«

Eisenlohr machte eine brüske Bewegung. »Was wäre damit gewonnen, Herr Hartford? Für die Zwecke unserer Wirtschaft haben wir genügend natürliches Gold. Es ist besser, wenn es bei dem bleibt. Das andere, das künstliche Gold, würde nur Unheil bringen.«

In sich versenkt hatte Eisenlohr die Worte gesagt, er bemerkte die Blicke nicht, die zwischen Bruck und Hartford hin und her flogen, während er sprach. Ein leichtes, kaum merkliches Achselzucken Brucks, ein ebenso unauffälliges Nicken von seiten Hartfords. Auch ohne Worte verstanden sich die beiden. Mit Eisenlohr war in der Sache nichts zu wollen. Sie würden sich später unter vier Augen darüber besprechen müssen.

»Mit unseren Arbeiten auf dem Gebiete der Metallumwandlung wären wir rettungslos in eine Sackgasse geraten«, fuhr Eisenlohr in seinen Ausführungen fort, »wenn wir dabei nicht glücklicherweise neue strahlende Stoffe entdeckt hätten. Für diese allerdings gibt es Anwendungsmöglichkeiten, die wir heute noch nicht einmal annähernd überschauen können.«

»In der Tat hochinteressant, Herr Eisenlohr!« murmelte Hartford vor sich hin und warf Bruck einen hilfesuchenden Blick zu.

Der beugte sich verlegen über seinen Teller, denn er wußte selber nicht, worauf sein Chef hinauswollte. Hingerissen von dem Thema sprach Eisenlohr weiter:

»Ich habe bereits Verhandlungen mit zwei landwirtschaftlichen Hochschulen in Deutschland angeknüpft. In diesem Jahr ist es für Versuche im Freien leider schon zu spät, aber im nächsten Jahr werden wir Versuchsfelder in großem Stil anlegen, werden sie mit dem strahlenden Stoff impfen und den Einfluß auf die Ernteerträge gründlich studieren.«

Wieder erfuhr Hartford aus diesen Worten etwas vollkommen Neues und ihn aufs höchste Überraschendes, und im Gegensatz zu Mr. Kelly in Paris leuchtete ihm die Durchführbarkeit sofort ein.

»Das könnte in der Tat eine Umwälzung für die Landwirtschaft unserer ganzen Erde bedeuten«, pflichtete er Eisenlohr bei. »Läßt sich die Wartezeit nicht verringern? Ich meine, man könnte hier in Deutschland sofort mit Versuchen unter Glas beginnen, und schließlich, Herr Eisenlohr, sind Sie auch nicht auf Deutschland beschränkt. In den Südstaaten bei uns könnte man es auch jetzt noch im Freien versuchen. Wenn ich Ihnen durch meine Beziehungen dazu behilflich sein kann, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.«

»Sehr liebenswürdig, Herr Hartford, aber ich habe bereits selber Verbindungen nach den Staaten aufgenommen. Einer meiner Studienfreunde, ein Mister Spranger, Teilhaber der New-Yorker Firma Kelly and Company, ist für die Angelegenheit interessiert.«

Hartford spürte ein unangenehmes Gefühl im Magen, als der Name Spranger von Eisenlohrs Lippen fiel. Auf jeden Fall mußte er schleunigst herausbekommen, ob und wann der hier auf der Eulenburg erwartet wurde.

»Kelly and Company? Ich kenne die Firma dem Namen nach. Wenn ich mich recht entsinne, ist ein Mister Spranger der Juniorpartner«, sagte er zögernd, als ob er sich erst besinnen müsse.

»Ganz recht, Herr Hartford. Diese Firma meine ich«, bestätigte ihm Eisenlohr seine Frage.

Immer noch langsam und wie überlegend sprach Hartford weiter. »Die Leute sollen in Paris eine unerfreuliche Sache mit einem zweifelhaften Chemiker oder Physiker, einem gewissen Bigot, gehabt haben, der vorgab, Gold machen zu können. Die Firma soll ein paar hunderttausend Dollar dabei eingebüßt haben. Ich fürchte, die Firmeninhaber werden jetzt gegenüber allen Geschäften, die auch nur entfernt mit Metallumwandlungen zusammenhängen, sehr zurückhaltend sein. Vor meiner Abreise aus Paris hörte ich noch, daß Mister Kelly sich darüber sehr deutlich ausgelassen hätte.«

Lebhaft griff Professor Braun die Worte Hartfords auf und begann, sich über Scharlatanerie in der Wissenschaft im allgemeinen und über Monsieur Bigot im besonderen zu ereifern, bis Eisenlohr sich wieder einmischte:

»Ich weiß natürlich noch nicht, wie sich die Herren Kelly und Spranger zu meinen Vorschlägen stellen werden. Es wird sich erst entscheiden, wenn sie hier sind und sich die Sache angesehen haben. Ich erwarte deshalb jeden Tag Nachricht von Spranger.«

Hartford machte einen Einwand: »Ich weiß nicht, Herr Eisenlohr, ob diese Firma die richtige Verbindung für Sie ist. Soviel mir bekannt ist, betreiben die Leute in der Hauptsache Börsengeschäfte ... Börsenspekulationen, um es ganz deutlich zu sagen, aber die Firma ist kein Emissionshaus.«

»Alles zugegeben, Herr Hartford«, unterbrach ihn Eisenlohr, »aber es war für mich das nächstliegende, mich an sie zu wenden, weil ich, wie bereits gesagt, mit dem einen Partner seit langen Jahren befreundet bin.«

»Ich begreife das vollkommen, Herr Eisenlohr«, sagte Hartford zustimmend. »Aber für eine Finanzierung großen Stils, die der Bedeutung Ihrer Erfindung entspräche, sollte man besser gleich einen der großen chemischen oder elektrischen Konzerne zu gewinnen versuchen, die bereits auf verwandten Gebieten tätig sind. Ich glaube, das müßte sich wohl erreichen lassen ...«

Und nun begann Hartford Gründungspläne zu entwickeln und dabei von seinen eigenen Beziehungen zum amerikanischen Großkapital zu sprechen, daß Professor Braun öfter als einmal den Kopf schüttelte. Der Amerikaner jonglierte mit Dollarmillionen und mit New-Yorker Großfirmen, als ob er souverän über sie verfügen könnte. Wenn man seinen Mitteilungen glauben durfte, stand er mit allen Finanzmagnaten von Wallstreet auf du und du und ging in ihren Häusern ein und aus.

Während er weitersprach, schien er sich förmlich an seinen eigenen Worten zu berauschen; dabei aber hatten die Vorschläge, die er entwickelte, durchaus Hand und Fuß. Eine Studiengesellschaft zunächst mit einem bescheidenen Kapital ... zehn Millionen höchstens ... eben genug, um die landwirtschaftlichen Versuche durchzuführen und einen sicheren Patentschutz zu nehmen, dann aber, sobald gute Erfahrungen mit Versuchsfeldern vorlägen, eine Großgründung. Mit zweihundert ... besser gleich mit fünfhundert Millionen könnte sie sofort ins Leben gerufen werden. Spielend würde der amerikanische Geldmarkt Aktien der neuen Gesellschaft in diesem Betrage aufnehmen, wenn man die richtigen Emissionshäuser in der Studiengesellschaft hätte.

Und dann in ganz großem Stile los! In USA allein wenigstens ein Dutzend neuer Werke für die Erzeugung des strahlenden Stoffes ... eine zuverlässige Verteilungsorganisation über das ganze Land, die jedem Farmer den neuen Stoff billig und zur rechten Zeit auf seinen Hof lieferte ... Neben dem Riesengeschäft in den Staaten die Gründung von Schwester- und Tochtergesellschaften in allen ackerbautreibenden Ländern der Erde – nicht Millionen, sondern Milliarden würde die neue Erfindung in Bewegung setzen ...

Wie ein von einer Inspiration Ergriffener sprach Hartford. um dann zu verstummen; als ob der Strom in ihm plötzlich versiegt wäre, schwieg er.

»Ja, so könnte man es wohl machen«, sagte Eisenlohr nachdenklich.

»So könnte man es machen«, wiederholte Hartford eintönig. In sich zusammengesunken saß er da, von Gedanken bewegt und gequält, von denen seine Umgebung an diesem Tisch hier nichts wußte und um keinen Preis etwas ahnen durfte.

»Es wäre gewiß der richtige Weg, Herr Hartford«, nahm Eisenlohr seine eigenen Gedanken wieder auf. »Wenn man die dafür erforderlichen Verbindungen hätte.«

Hartford riß sich zusammen. Er durfte sich auf dem gefährlichen Boden hier keine Blöße geben, mußte die einmal übernommene Rolle zu Ende spielen, so schwer es ihm in diesem Augenblick wurde.

»Die Verbindungen habe ich, Herr Eisenlohr«, sagte er, »sobald ich wieder in den Staaten bin, werde ich die Angelegenheit in die Hand nehmen. Ein bis zwei Wochen werden Sie freilich Geduld haben müssen.«

Eisenlohr strich sich mit der Hand über die Stirn. Mehr zu Braun als zu Hartford gewandt meinte er: »Es ist vielleicht vorteilhafter, die Verhandlungen mit Kelly and Company nicht zu überstürzen, wenn wir eine soviel bessere Möglichkeit haben.«

Braun machte eine unschlüssige Bewegung. »Ich bin kein Finanzmann, Herr Eisenlohr. Auf dem Gebiet habe ich gar keine Erfahrung. Sie müssen die Entscheidung auf Ihre eigene Verantwortung nehmen.«

»Sie riskieren nichts dabei«, meldete sich Hartford wieder. »Halten Sie Ihren Freund Spranger eine kurze Weile hin. Schreiben Sie ihm einfach, daß Sie erst noch ein paar Versuche abwarten müßten. Ich werde inzwischen schon von hier aus durch Brief und Kabel die Verbindung mit New York aufnehmen.«

»So wird es am Ende das beste sein«, schloß sich Eisenlohr seiner Meinung an.

Sie waren mit dem Nachtisch zu Ende gekommen. Es war an der Zeit, die Tafel aufzuheben. Hartford sprach den Wunsch aus, sich zurückziehen und ein wenig ruhen zu dürfen. Es war ihm anzumerken, daß die Reise hierher ihn doch etwas angegriffen hatte; Eisenlohr ließ Michelmann kommen und wies ihn an, dem neuen Gast sein Zimmer zu zeigen. –

Auch dem alten Faktotum entging es nicht, wie abgespannt und elend Hartford aussah.

»Strecken sich Herr Professor ein bißchen«, riet er ihm gutmütig. »Um sieben Uhr wird wieder gegessen. Soll ich Herrn Professor wecken kommen?«

Percy Hartford wehrte matt ab. »Danke, es wird nicht nötig sein. Nur ein wenig Ruhe. Die Reise war sehr anstrengend.«

»Wie Herr Professor wünschen«, sagte der alte Michelmann und zog die Tür hinter sich zu.

Hartford war allein.

Aufatmend ließ er sich auf ein Ruhelager fallen und schloß die Augen. Regungslos wie zu Tode erschöpft blieb er liegen. Erst nach Minuten brachte er die Hände langsam zu seinem Gesicht und preßte sie gegen seinen Kopf, als ob er peinigende Gedanken verjagen wolle. Doch immer kamen sie wieder, diese Gedanken, die ihn vorhin überfallen hatten, als er Eisenlohr die praktische Durchführung seiner Erfindung entwickelte.

Blitzartig war's ihm da durch den Kopf gegangen: Wozu sprichst du, wozu erzählst du das alles? ... Du wirst es ja doch nie ausführen können. Dein Leben ist verpfuscht, alle Chancen hast du verspielt ... Mit einer verzweifelten Anstrengung hatte er bei Tisch die Schwäche überwunden, die ihn bei dieser Erkenntnis überfiel, hatte eine leidlich gute Haltung bewahrt, bis Eisenlohr die Tafel aufhob. Jetzt brauchte er sich nicht länger Gewalt anzutun und ließ die Gedankenflut widerstandslos auf sich eindringen.

In wechselnden Bildern zogen die letzten sechs Monate seines Lebens an ihm vorbei. Plastisch deutlich sah er auch mit geschlossenen Augen einzelne Szenen daraus ... Der Streit mit dem Chef im Laboratorium von Schenektady ... um eine Kleinigkeit war er entstanden, durch Zufälligkeiten verschärft, immer heftiger geworden, bis er selber plötzlich – er wußte nicht mehr ganz genau, wie es dahin gekommen war – seine sofortige Entlassung forderte. Mit einem Achselzucken hatte Professor Hartford sie ihm bewilligt ...

Die dunkle Stunde danach im Laboratorium. Der Scheck, den er bekam, war nur klein ... ungewiß, wo und wann er wieder eine neue Stellung finden würde ... Wie in einem sinnlosen Taumel, wie in einem bösen Rausch hatte er ein paar der schwersten Platinschalen zu sich gesteckt, bevor er die Stätte einer jahrelangen ehrlichen Arbeit verließ ... Das Leben verpfuscht! flog's ihm wieder durch den Sinn, als er jetzt daran dachte.

Schon auf der Fahrt von Schenektady nach New York hatte ihn die Tat gereut. Mit der Absicht, die Schalen sofort zurückzusenden, war er dort angekommen; er hatte es aufgeschoben, bis es zu spät war. Teuer war das Pflaster in der Hudson-Metropole. Schnell waren die letzten Dollars verbraucht. Eins nach dem anderen wanderten die kostbaren Gefäße zu Altmetallhändlern, während die Hoffnung, einen neuen Job zu finden, immer tiefer sank ... bis dann ein Zufall – war's ein übler, war's ein guter? – ihn in einem Lunchingroom an den gleichen Tisch führte, an dem Bigot saß. Ein kurzes Alltagsgespräch, in dem er seine vergebliche Suche nach einem Job erwähnte. Schnell hatte der gerissene Franzose in ihm einen Fachgenossen entdeckt und weiter erkannt, daß er hier einen geeigneten Helfershelfer für seine zweifelhaften Pläne werben könne, hatte ihm eine rosige Zukunft ausgemalt.

Er selber, hoffnungslos, durch seine Tat in USA gefährdet, hatte das Anerbieten Bigots, mit ihm nach Europa zu gehen, wie eine Befreiung empfunden, hatte bedingungslos eingewilligt, ohne zu ahnen, in was für Hände er damit geriet.

Klein und verächtlich hatte er sich seinem neuen Brotgeber gegenüber gefühlt, während der Überfahrt und auch noch wochenlang in Paris, bis der allmählich die Maske fallen ließ. Unvollkommenes Stückwerk waren die großen Erfindungen noch, mit denen der Franzose sich vor ihm gebrüstet hatte. Durch Lug und Trug suchte Bigot sich in Paris neue Helfer zu verschaffen. Durch Taschenspielerkunststücke galt es, vertrauensselige Kapitalisten zu täuschen und einzufangen ...

Als er es erkannte, hatte Hartford sich dagegen zur Wehr gesetzt, doch zu viel wußte der andere bereits von ihm; mit einem vielsagenden Blick erwähnte Bigot nur eine Platinschale, die er bereits während der Überfahrt in Hartfords Gepäck gesehen hatte, und machte ihn dadurch gefügig.

Lange Wochen hindurch war dann das Gaukelspiel gegangen, in dem der frühere Laborant in der Rolle seines Chefs auftreten mußte. Denn auch dafür hatte Bigot vorgesorgt. Noch in New York hatte er sich jenes falsche Diplom verschafft, das Percy Hartford zum Professor machte. Nur ein kleiner Fehler war ihm dabei unterlaufen: Nicht auf den Namen James, sondern auf Percy lautete dies sonst so prunkvolle Dokument, ein Versehen, das sich folgenschwer auswirken sollte. –

Mit einem Seufzer setzte Hartford sich aufrecht, als könne er dadurch der quälenden Erinnerungen besser Herr werden, doch auch so verließen sie ihn nicht. War er denn wirklich ein Verbrecher von Geburt und Anlage? ... Hatte er nicht schließlich die unehrlichen Manöver, zu denen seine Partnerschaft mit Bigot ihn nötigte, mit einer gewissen Lust ausgeführt und aus eigenem neue, noch raffiniertere hinzuerfunden? Hatte es ihm nicht geradezu Freude gemacht, den Gesetzen ein Schnippchen zu schlagen und mit der Gefahr zu spielen? ... Bis jener Überfall auf Bigot ihn den Abgrund erkennen ließ, an dessen Rande er wandelte. Er hatte die Gelegenheit benutzt, sich von Bigot zu trennen, als der zerschunden und zerschlagen daniederlag – aber war seine eigene Lage dadurch besser geworden? Saß er nicht auch hier auf einem Vulkan? Mußte er nicht jeden Augenblick eine Entlarvung fürchten ... zur Flucht bereit sein, sowie einer von ihnen kam, die er kannte, sein alter Chef oder Mr. Spranger? Waren sie nicht vielleicht schon auf dem Wege hierher?

Er durfte keine Zeit verlieren. Kostbar waren die Stunden, vielleicht sogar die Minuten für ihn.

Er erhob sich, stand eine Weile wie benommen, versuchte, sich zu fassen, zu gesammeltem Denken zu zwingen. Was war das Wichtigste, das Nächstliegende? Mit Bruck mußte er unter vier Augen sprechen, ihn bis zum letzten aushorchen und dabei doch immer auch gegenüber dem in der Rolle des Professors aus Schenektady bleiben. Keine leichte Aufgabe, aber es mußte versucht werden.

Das Zimmer Brucks lag unmittelbar neben dem Raum, der Hartford angewiesen war; das hatte er noch erspäht, als der alte Diener Eisenlohrs ihn hierherauf führte. Ein Geräusch von nebenan verriet ihm, daß dort jemand war ... vielleicht Bruck. Er beschloß, den Versuch zu wagen, ging hin und klopfte.

»Herein!« antwortete drinnen die Stimme Brucks. Hartford trat ein. Er fand Bruck an einem Tisch sitzend, über Berechnungen und Formeln gebeugt, die ihm von seiner Tätigkeit bei Bigot her nicht unbekannt waren.

Immer noch jagte Bruck in jeder freien Stunde dem Phantom der Metallumwandlung nach. Immer noch träumte er von den Millionen, die Bigot ihm vorgespiegelt hatte. Praktisch konnte er zur Zeit nicht daran arbeiten, weil ihm die Apparatur fehlte, aber wenigstens theoretisch versuchte er es unentwegt, eine Lösung des Problems zu finden.

Im ersten Augenblick schien Bruck unwillig über die Störung zu sein, doch als er den Amerikaner erblickte, den Mann, von dem er für sich eine neue bessere Zukunft erhoffte, begrüßte er ihn mit offensichtlicher Freude.

»Ich sehe, Herr Kollege«, sagte Hartford mit einem Blick auf die Formeln, »daß Sie sich für die Metallumwandlung interessieren, obwohl Herr Eisenlohr nicht viel damit im Sinn zu haben scheint.«

»Leider, Herr Professor, ist es so«, meinte Bruck mit einem leichten Seufzer. »Der Chef geht schon wieder ganz anderen Dingen nach und hält vieles vor seinen ältesten Mitarbeitern geheim. Es ist kein rechtes Vertrauen mehr da. Von seinen Plänen mit dem strahlenden Pulver erfuhr ich zum erstenmal heut bei Tisch etwas.«

»Oh, das ist bedauerlich!« sagte Hartford, ganz in der Rolle eines wohlwollenden Chefs. »Ich halte das in Schenektady grundsätzlich anders, ich weiß, daß Geheimniskrämerei und ersprießliche Zusammenarbeit sich nicht vertragen. Übrigens, im Vertrauen gesagt, Herr Doktor, teile ich die Ansicht Ihres Chefs über die Metallumwandlung nicht. Ich halte das Problem im Gegenteil für recht aussichtsreich und« – Hartford machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach – »unter gewissen Umständen auch für recht lohnend für den, der es löst.«

Dr. Bruck hatte bei den Worten des Amerikaners ein Gefühl, als ob ihm ein elektrischer Schlag durch die Glieder ginge. Dieser Professor aus Schenektady war doch ein anderer Mann als Eisenlohr. Der hielt eine Lösung für möglich, und der sah auch die riesenhaften Gewinnmöglichkeiten, die in ihr lagen. Wie angenehm mußte es sich mit ihm arbeiten lassen!

Als ob Hartford die Gedanken Brucks erraten hätte, sprach er weiter: »Wir werden nach meiner Abreise in Verbindung bleiben, Herr Kollege. Nach Ihren Arbeiten hier«, er deutete auf die Berechnungen und Formeln auf dem Tisch, »möchte ich Sie unter allen Umständen für Schenektady gewinnen, aber Sie begreifen wohl, daß die Angelegenheit diskret geführt werden muß. Ich werde postlagernd Ihlefeld mit Ihnen korrespondieren.«

Bruck gab seiner Freude über das Angebot Hartfords unumwunden Ausdruck. Er sah sich bereits in einer angenehmen, gut dotierten Stellung im National-Laboratorium von Schenektady. Auch Hartford war mit der Entwicklung der Dinge zufrieden. Er glaubte Bruck jetzt sicher genug an sich gefesselt zu haben, um ihn bis aufs letzte ausholen zu können. Eben wollte er damit beginnen, als ihm Bruck noch einmal mit etwas anderem kam.

»Verzeihung, Herr Professor«, fragte er in Erinnerung an die Wechsel Bigots, die er noch immer in seiner Tasche trug, »Sie erwähnten bei Tisch einen französischen Physiker namens Bigot. Wissen Sie zufällig etwas Näheres über ihn?«

Hartfords Miene wurde abweisend. »Ich weiß nur, Herr Doktor, daß er ein großer Schwindler vor dem Herrn ist. So oder wenigstens ähnlich so soll Mister Kelly in einem Brief sich ausgedrückt haben.«

Bruck sah im Geiste die Millionen der Firma Kelly and Company, von denen er so lange geträumt hatte, zerflattern.

»Die Vermögensverhältnisse des Herrn Bigot sind wohl nicht sehr gut?« fragte er unsicher.

»Sehr gut?!« Hartford lachte. »Ich glaube, Monsieur Bigot weiß im Augenblick nicht, wie er sein Zahnpulver und seine Zigaretten bezahlen soll. Soviel ich hörte, sitzt er nach der endgültigen Absage Mister Kellys vollkommen auf dem trockenen.«

Unbewußt fuhr sich Hartford dabei über die Rockseite, unter der die Dollarnoten knisterten, die, wenn Ehrlichkeit auch unter Gaunern gilt, eigentlich Bigot zukamen. Zur gleichen Zeit spürte Bruck, wie Papiere in seiner Rocktasche, die er immer noch für Wertpapiere angesehen hatte, wertlose Papierfetzen wurden.

Für einen Beobachter und Menschenkenner vom Range Hartfords verrieten seine Mienen genügend viel von dem, was in ihm vorging.

Ich habe dir eben eine bittere Pille versetzt, mein Lieber, ging es Hartford durch den Sinn. Du denkst jetzt an die famosen Wechsel Bigots. Ich werde dir einen anderen Trost dafür geben müssen, und laut fuhr er fort: »Ich begreife nicht, wie sich Kelly, der als ernsthafter Geschäftsmann gilt, mit einem Menschen wie Bigot überhaupt einlassen konnte«; er mußte im gleichen Augenblick wieder zwangsläufig denken: Du Narr hast es ja selber getan, sprach weiter: »Seien Sie überzeugt, Herr Doktor, daß Sie bei unserer Zusammenarbeit viel besser fahren werden als mit Bigot.«

Kaum war das Wort heraus, als Hartford seinen Fehler einsah. Das hätte er nicht sagen dürfen. Hier war er aus seiner Rolle gefallen. Wie konnte Professor James Hartford um die dunklen Geschäfte zwischen Bigot und Bruck wissen? Auch Bruck stutzte. Er hatte im selben Moment den gleichen Gedanken und sah Hartford verwundert an. Eine Gesprächspause entstand und wurde drückend. Hartford fühlte, daß er sie nicht länger währen lassen durfte.

»Nun ja, Herr Kollege«, begann er in leichtem Plauderton. »Man hört so mancherlei, wenn man die Ohren offenhält. Gewisse Gründe ... es ist nicht nötig, sie hier zu erwähnen ... veranlaßten mich in Paris, mich etwas genauer um diesen Bigot zu kümmern. Erst hat er versucht, an Ihren Chef heranzukommen. Nachdem ihm das mißglückte, soll er auch versucht haben – ich erfuhr es gerüchtweise –, mit Ihnen in Verbindung zu treten ...«

»Ein Irrtum, Herr Professor!« unterbrach ihn Bruck. »Es ist mir unbegreiflich, wie solche Gerüchte aufkommen konnten. Ich habe nie an etwas Derartiges gedacht.«

Mit einem freundlichen Lächeln schluckte Hartford die Lüge Brucks. »Ich bin überzeugt davon, Herr Doktor«, meinte er immer noch lächelnd. »Ich hätte es Ihnen aber auch nicht verdacht, wenn Sie sich den Mann angehört und sogar angesehen hätten. Jeder, der heut im Leben vorwärtskommen will, muß alle Chancen, die sich ihm etwa bieten, prüfen ...«

»Bei einem Menschen wie Bigot hätte ich nicht einmal das getan«, log Bruck weiter.

»Um so besser, Herr Kollege«, lenkte Hartford ein. »Sie sehen, wie leicht Gerüchte entstehen können. Doch lassen wir das. Monsieur Bigot ist erledigt. Wir vertrödeln unnütz die Zeit mit ihm. Sprechen wir lieber von der Zukunft. Ich rechne bei der Metallumwandlung auf Ihre Mitarbeit. Ich denke, ich werde Ihnen Bedingungen bieten können, die Sie voll befriedigen.«

»Sehr liebenswürdig«, murmelte Bruck, und nun konnte Hartford endlich zu seiner eigentlichen Absicht kommen. Restlos und bis aufs letzte quetschte er aus Bruck alles heraus, was der über die Metallumwandlung wußte. Geschickt führte Hartford das Gespräch dabei vom Standpunkt eines Chefs, der für seinen künftigen Mitarbeiter schon alle Apparaturen vorbereiten will und deshalb natürlich genaue Daten und Angaben nötig hat. Als Hartford nach einer guten Stunde sein Notizbuch zuklappte, konnte er befriedigt feststellen, daß sein Besuch auf der Eulenburg schon recht lohnend gewesen war.

»Unsere Arbeiten in Schenektady werden in erster Linie der Metallumwandlung gewidmet sein, Herr Doktor«, beendete Hartford diesen Teil ihrer Unterredung. »Ich halte das zunächst für das wichtigste. Ich will mich von der Linie, die ich mir für meine Arbeiten gesetzt habe, nicht abdrängen lassen; aber trotzdem muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege: Ihr Chef hat mir heute bei Tisch mit seinen Plänen imponiert.«

»Sie meinen seine landwirtschaftlichen Ideen?« fragte Bruck.

Hartford nickte. »Jawohl, Herr Doktor, die meine ich. Wenn es ihm gelingt, sich einen guten Patentschutz zu sichern, kann es ein Bombengeschäft für ihn werden. Hat er schon Vorversuche in größerem Maßstab gemacht? Wissen Sie, wie sie ausgefallen sind?«

Bruck sah auf die Uhr. »Herr Eisenlohr und Professor Braun sind um diese Zeit unten bei den Karbidöfen«, sagte er überlegend. »Eine gute Gelegenheit, um Ihnen etwas zu zeigen, Herr Professor. Wir müssen dazu in den Wald hinaus. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß man uns fortgehen sieht.«

Hartford nickte verständnisvoll. »Ich verlasse mich auf Ihre Führung, Herr Doktor.« –

Bruck ging voraus, um den Weg zu weisen; durch lange, mehrfach gewundene Korridore zunächst, weiter dann über eine schmale Wendeltreppe nach unten. Winzige Fensteröffnungen in dem meterstarken Zyklopenmauerwerk, das Menschenhand vor mehr als einem halben Jahrtausend gefügt hatte, erhellten zuerst noch den Weg. Dann hörten sie auf, Bruck mußte seine Taschenlampe zu Hilfe nehmen. Am unteren Ende der schmalen Stiege machte er halt.

»Ein romantischer Weg!« murmelte Hartford vor sich hin und wischte sich ein paar Spinnweben vom Ärmel.

»Eine Art Notausgang, Herr Professor«, erklärte Bruck. »Die alten Raubritter waren umsichtige Leute. Sie haben für alle Fälle Vorsorge getroffen; wenn eine Belagerung brenzlig wurde, konnten sie sich immer noch auf französisch empfehlen.«

Gut, wenn man das immer kann, dachte Hartford bei sich, während Bruck einen Schlüssel von vorsintflutlichen Formen und Abmessungen hervorholte und sich damit an einer schmalen Tür aus starken Eichenbohlen zu schaffen machte. Er mußte den Weg wohl schon öfter benutzt und das alte Schloß gut geölt haben, denn lautlos folgte es dem Druck des Schlüssels. Die Tür ging auf, ein enger in den Basalt des Berges gehauener Weg lag vor ihnen.

»Müssen wir hier durch?« fragte Hartford zweifelnd. Bruck nickte. Beim Schein der Taschenlampe schritten sie weiter. Hundert Meter ... zweihundert Meter ... Hartford wußte die Weglänge nicht mehr zu schätzen und atmete bedrückt, als ihnen ein frischerer Luftzug entgegenschlug. Etwas Helles wie Tageslicht schimmerte einige Meter voraus. Über zerfallenes Gestein mußten sie nach oben steigen und standen in einem dichten Gebüsch im Freien.

»Eine eigenartige Verkehrsgelegenheit«, meinte Hartford kopfschüttelnd.

»Aber praktisch, Herr Professor, wenn man die Burg unbeobachtet betreten oder verlassen will. Ich habe den alten Gang einmal zufällig entdeckt, Herr Eisenlohr weiß gar nicht, daß er vorhanden ist.«

Bruck hielt es für unnötig, etwas von seinen nächtlichen Ausflügen zu dem Teich zu erwähnen, und Hartford fragte auch nicht weiter; er dachte sich nur sein Teil und folgte Dr. Bruck, der auf einem kaum erkennbaren Pfad ging, bis sie an einen etwas breiteren, talwärts führenden Weg kamen.

»Schöner Wald!« sagte Hartford stehenbleibend und musterte die mächtigen Buchen und Eichen, die hier einen gemischten Bestand bildeten.

»Noch richtiger Urwald, Herr Professor. Seit Jahrzehnten ist hier nichts mehr geschlagen worden. Aber das wollte ich Ihnen nicht zeigen, sondern das da vor uns. Sie werden es gleich aus der Nähe sehen.«

Bruck ging weiter, während Hartford an seiner Seite blieb. Ein wenig breiter wurde jetzt der Weg, zu beiden Seiten trat der Forst etwas zurück, und Hartford sah auf Wiesenstreifen, deren Vegetation ihn verblüffte. Was auf den Waldwiesen Mitteldeutschlands zu wachsen pflegt, stand hier in üppiger Blütenpracht. Gelber und roter Fingerhut, Weiderich und blaue Glocken, Farren verschiedener Art dazwischen, dies alles aber in einer Üppigkeit und Größe, die in Hartford die Erinnerung an die Tropen lebendig werden ließ. Reichlich mannshoch waren die breit ausladenden Wedel des Farnkrautes, weit über Mannshöhe reckte der Fingerhut seine Schäfte empor. Reichlich Faustgröße hatten die Blüten der Glockenblume, einen ähnlichen Riesenwuchs zeigte das Gras dazwischen.

Hartford stand und staunte. Erst nach langem Schweigen fand er Worte. »Das ist phänomenal, Herr Doktor. Ist das ...«

»Ein Versuchsfeld Eisenlohrs, Herr Professor. Vor einer Woche kam ich das erstemal hierher. Es ist seitdem mächtig weiter gewachsen. Damals glaubte ich noch, daß der Chef hier ebenso wie an einem Teich weiter unten mit Strahlröhren experimentierte. Seit heute mittag denke ich anders darüber. Jetzt bin ich mir sicher, daß er hier den strahlenden Stoff ausgestreut hat. Wann? ... Wieviel? ... Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Professor Hartford.«

Percy Hartford ging ein paar Schritte in die Wiese hinein. Bis weit über die Knie reichte ihm das saftstrotzende Gras. Bei einer Fingerhutstaude machte er halt und versuchte, einen ihrer Blütenschäfte mit der Hand zu umspannen. Sie langte nicht, er mußte die andere zu Hilfe nehmen.

»Phantastisch!« stammelte er benommen. »Wenn ich's nicht mit meinen eigenen Händen griffe und mit meinen Augen sähe, ich würde es nicht für möglich halten. Hier ist Eisenlohr ein großer Wurf gelungen. Jetzt kann ich's begreifen, daß er alles andere darüber beiseitestellt ... solch Riesenwachstum ...«, er sprach mehr zu sich selbst als zu Bruck weiter, »noch mitten im September ... es könnte in Zukunft zwei Ernten im Jahre geben ... Bei Gott, das ist groß ... wer da mittun könnte ...«

Sein Blick fiel auf Bruck, er besann sich wieder auf seine Rolle und daß er hier nicht sprechen durfte, wie ihm ums Herz war.

»Hat Herr Eisenlohr noch mehr Versuchsfelder?« fragte er. »Sie sprachen von einem Teich, Herr Doktor.«

Bruck sah wieder auf die Uhr, bevor er antwortete. »Jawohl, Herr Professor. Die Zeit wird langen, wir können noch hingehen.«

Sie folgten dem Weg talwärts und standen nach wenigen Minuten am Teichrand. Hartford musterte die Umgebung und schien enttäuscht.

»Ich hätte hier mehr erwartet«, antwortete er auf eine Frage Brucks. »Das Schilf drüben ist mächtig, aber nach dem, was ich eben sah, kann es mich nicht mehr überraschen.«

Bruck setzte eine überlegene Miene auf. »Die Überraschung steckt im Wasser, Herr Professor. Sie werden es gleich sehen.« Er ging zu dem Gebüsch, holte die Bohle hervor und kippte sie zu dem Stein hinüber.

»Jetzt aber bitte ich um äußerste Vorsicht, Herr Professor!« sagte er, während er auf dem schwankenden Brett voranging. »Hier steht eine Strahlröhre, die unter Hochspannung arbeitet. Sie dürfen ihr nicht zu nahe kommen. Halten Sie sich hier auf dem äußersten Rande des Steines.«

Er griff nach einem Käscher, der im Schilf lag, und ließ sich auf die Knie nieder; Hartford folgte seinem Beispiel. Bruck strich mit dem Käscher ein paarmal durch das Wasser und zog ihn mit allerlei Schleimigem, Undefinierbarem gefüllt wieder heraus. »Sehen Sie hier, Herr Professor«, erklärte er, während er den Inhalt aus dem Stein ausbreitete. Hartford betrachtete kritisch, was Bruck ihm wies.

»Das scheinen Gasträaformen zu sein«, meinte er nach kurzer Prüfung. »Hm, das ist ja eigenartig. Soviel ich davon verstehe, kommen diese Urformen der Hohltiere sonst nur im Meer vor. Merkwürdig, daß sie sich hier in einem Tümpel gehalten haben.«

»Sie haben sich nicht gehalten! Sie sind hier unter dem Einfluß der Strahlung neu entstanden, Herr Professor«, fiel ihm Bruck ins Wort. »Sie wissen, die Urzeugung! Das Steckenpferd Eisenlohrs! ... Er hat das erste Leben, das sich in seinen Reagenzgläsern bildete, in diesen Teich getan, hat es hier wochenlang weiter bestrahlt ... was daraus geworden ist, sehen Sie da vor sich ... höhere Lebensformen. Was die Natur in Hunderttausenden von Jahren bildete, hat sich hier unter der Wirkung der starken Strahlung in wenigen Wochen entwickelt ... Der Himmel mag wissen, wie das noch weitergehen soll.«

»Erstaunlich!« murmelte Hartford und griff nach dem Käscher, den Bruck neben sich auf den Fels gelegt hatte. Sich vorbeugend zog er ihn durch das Wasser, während seine Augen etwas zu suchen schienen. Mit einem Ruck zog er das Netz wieder heraus. Er hatte darin gefangen, was er soeben erspähte. Glasig zappelte es in den Maschen.

»Was haben Sie? Einen Fisch, Herr Professor?« fragte Bruck. Hartford griff in den Käscher und holte ein zappelndes fischartiges Lebewesen heraus.

»Ein Fisch, der noch nicht ganz fertig ist, Herr Doktor«, sagte er, während er es Bruck hinhielt. »Das Ding hat noch kein Rückgrat, aber immerhin schon ein Bauchgrat. Wenn die Entwicklung in dem Teich hier so weiter geht, dann ist's bis zum Lanzettfisch kein weiter Weg mehr und ein kurzer Sprung nur noch bis zum ersten Wirbeltier, zum wirklichen Fisch. Es ist unfaßbar, was hier geschieht.«

Bruck merkte wohl, wie hingerissen Hartford von dem eben Gesehenen war. Er wurde besorgt, daß der Professor an ähnlichen Seitenwegen der Forschung Geschmack finden könnte wie Eisenlohr.

»Gewiß ist es wissenschaftlich interessant«, begann er tastend, »aber eigentlich doch ziemlich überflüssig. Was hat es für einen Zweck, künstlich nachzumachen, was die Natur schon lange gekonnt hat?«

»Zweck, Herr Doktor?! Wer fragt bei solcher fundamentalen Entdeckung nach dem Zweck?« Ohne es zu wollen, ohne es überhaupt zu wissen, sprach Percy Hartford ganz im Geiste eines echten Wissenschaftlers weiter. »Diese Entdeckung allein würde Eisenlohr für immer einen ehrenvollen Platz in den Annalen der Forschung sichern. Und wer weiß denn, Herr Doktor, wie die Entwicklung noch weiter läuft, wenn die ultrafrequente Strahlung sie millionenfach beschleunigt? Vom kaltblütigen Wirbeltier, dem Fisch, bis zum warmblütigen Säuger ist der Weg kürzer als von der Amöbe zum Fisch ...«

Immer schneller, immer erregter sprach Hartford. Eine Begeisterung schien über ihn zu kommen. Wie von der eigenen Ideenflut fortgerissen, sprach er weiter:

»Das Ende der Entwicklung, Herr Doktor ... es könnte die Erfüllung eines uralten Wunschtraumes bringen ... die künstliche Erschaffung eines uns ähnlichen Wesens, des Homunkulus ...«

Während er die letzten Worte sagte, wollte er sich aufrichten. Bruck sah die Gefahr, die von der nahen Strahlröhre drohte, griff zu, um Hartford zurückzuziehen, und kam der Röhre dabei selbst zu nahe.

Krachend, blitzartig schlug ein Funke von dem Stativ zu ihm hinüber. Wie vom Schlage getroffen, sackte er zusammen. Nur durch einen festen Griff konnte Hartford verhüten, daß er ins Wasser stürzte. Leichenblaß, die Augen verdreht, lag er regungslos da.

Weg von hier! Weg von der gefährlichen Röhre, die jeden Augenblick aufs neue Tod und Verderben spritzen kann! wirbelte es Hartford durch den Kopf. Vorsichtig kriechend, sich tief duckend, den hilflosen Körper Brucks hinter sich her ziehend, gelangte er über die Bohle wieder auf festes Land. Dort erst vermochte er freier zu denken und seines Entsetzens Herr zu werden. Auf den Waldrasen legte er den von der Hochspannung Getroffenen, öffnete ihm die Kleidung und fühlte nach Herz und Puls. Nur schwach, kaum merkbar gingen sie noch. Jeden Moment drohte das Leben zu erlöschen.


9. Kapitel.

»So, Captain, das ist nun glücklich geschafft! Der Haftbefehl gegen Percy Hartford liegt vor«, sagte Professor James Hartford zu Reinhard. »Jetzt kann ich wohl endlich nach Deutschland abreisen.«

»Sie können es, Herr Professor, aber –«

James Hartford runzelte die Stirn. »Was gibt es noch für ein Aber, Mister Reinhard?«

»Ich möchte den Burschen erst sicher hinter Schloß und Riegel sehen, Herr Professor. Solange er frei herumläuft, traue ich dem Frieden nicht.«

»Ich kann aber nicht mehr länger warten«, fuhr Hartford unwillig auf. »Schon viel zu lange habe ich meine Abreise wegen der dummen Geschichte aufgeschoben. Morgen will ich auf jeden Fall abfahren.«

»Da muß der Kunde heute noch eingesperrt werden«, meinte Reinhard nach kurzem Überlegen. »Sie dürfen sich natürlich in der Rue Saint Antoine nicht sehen lassen, Herr Professor, aber auf mich hat Bigot keinen Verdacht. Ich möchte doch immer mal hingehen und das Terrain sondieren. Wenn die Sureté auf dem Posten ist, können Sie vielleicht sogar schon heute abend fahren.«

Reinhard sagte es und griff nach seinem Hut.

»Alles Gute, Captain!« rief ihm Hartford nach. –

Bigot befand sich allein in seinem Laboratorium. Vollkommen allein, denn Hartford hatte ihn ja schon vor Tagen verlassen, und sein Diener François, dessen Rückkunft er ungeduldig erwartete, befand sich noch auf jener Geschäftsreise, die er mit mehreren Barren in der Tasche und einem unbekannten Reiseziel angetreten hatte. Unbequem war dieser Zustand für Bigot, denn alles ruhte in diesen Tagen auf seinen Schultern. Im Laboratorium zu arbeiten und nebenher noch drängende Gläubiger zu vertrösten, das war in der Tat etwas viel für einen einzelnen Mann.

Eben noch hatte er an der Hochspannungsröhre reguliert, deren Strahlung unablässig Bleiplatten in ein feines goldig schimmerndes Pulver verwandelte. Jetzt ging er in eine andere Ecke des Raumes, aus der her das Brausen eines Elektroventilators ertönte. Unter einem essenartigen Abzug brannte ein Koksfeuer in heller Gelbglut. Bis an den Hals umgaben die Koksstücke einen Tiegel aus feuerfester Schamotte.

Bigot griff nach einer kleinen eisernen Krücke und schob damit die Kohlenstaubschicht, die den Tiegelinhalt bedeckte, beiseite. Grün glühend schimmerte es ihm an den freigelegten Stellen entgegen. Die Schmelze war gar, zum Guß bereit.

Er warf die Krücke beiseite, nahm eine große Rundzange von der Wand und hob mit ihr den Tiegel aus der Glut. Nur wenig mehr als einen Liter mochte das Gefäß fassen, aber offensichtlich hatte es ein bedeutendes Gewicht. Nur mit Mühe vermochte Bigot es mit Hilfe der Zange zu meistern und seinen glutflüssigen Inhalt in die Barrenformen zu gießen, die neben dem Ofen bereit standen. Sechs Formen wurden voll, bevor er den Tiegel leer absetzen konnte.

Mit einem Tuch trocknete er sich die Stirn und beschaute befriedigt sein Werk. Wieder sechs neue Barren ... dreißig Kilogramm ... das hatte geschafft. Wenn die erst einmal glücklich abgesetzt waren, würde er wieder über reichliche Geldmittel verfügen, würde vielleicht woandershin gehen, denn bedenklich heiß war auch für ihn der Boden hier in Paris geworden.

Sinnend, Pläne für die Zukunft machend, stand er vor den Barrenformen und sah zu, wie das Metall an den Eingußstellen sich abkühlte, jetzt nur noch schwachrot glühte, jetzt ganz dunkel wurde. Ungeduld überkam ihn, er vermochte nicht zu warten, bis die Formen von selbst erkalteten, füllte an einem Wasserhahn eine Kanne und versprengte das Wasser über die heißen Formen. Dampf stieg auf, hüllte ihn für Sekunden in eine dichte Wolke, wurde wirbelnd in den Abzug gezogen und fortgerissen. Die Formen waren danach kalt. Goldig glänzte es Bigot entgegen, als er sie öffnete. Mit den Händen konnte er die noch knapp lauwarmen Metallblöcke jetzt greifen, nahm sie heraus und baute sie in Reih und Glied auf einem Tisch auf. Während er davorstand, gingen seine Gedanken in die Ferne. Wo mochte François wohl stecken? Wenn er nur endlich käme ... einen guten Erlös mitbrächte ... sofort wollte er ihn mit der neuen Ware wieder auf die Reise schicken ...

In seine Überlegungen klang die Wohnungsglocke François – ah, das wird sicher François sein! dachte er, während er zur Tür ging. Nein! Der kann es nicht sein, der hat ja Schlüssel, schoß es ihm gleich danach durch den Kopf. Aber da war es schon zu spät. Er hatte die Klinke bereits niedergedrückt, und als er die Tür wieder schließen wollte, schob sich ein Fuß dazwischen ...

»Keine Umstände, Monsieur Bigot!« ließ sich von draußen eine reichlich unfreundliche Stimme vernehmen. Bigot kannte die Stimme; sie gehörte zu Monsieur Meunier, einem besonders zähen und widerhaarigen Gläubiger. Vergeblich machte Bigot einen letzten Versuch, die Tür zu schließen, mit Gewalt drückte der andere sie von außen auf und stand vor ihm. Im Laboratorium benahm sich der Eindringling, als ob er hier zu Hause wäre. Er warf seinen Hut auf den Tisch, ließ sich in dem bequemsten Sessel nieder und zog seine Brieftasche. Er entnahm ihr einige längliche Papiere, die Bigot nur allzu gut kannte, und faltete sie auseinander.

»Werden Sie heute zahlen?« fragte er mürrisch.

Bigot rieb sich verlegen die Hände, Bigot tänzelte um Monsieur Meunier herum, Monsieur Bigot bedauerte außerordentlich ... heute leider noch nicht möglich, aber sicher in den nächsten Tagen ... Eine große Geldsendung sei unterwegs, müsse morgen, spätestens übermorgen eintreffen.

»Ich habe es satt mit Ihnen!« unterbrach ihn Monsieur Meunier schroff. »Diese Wechsel sind protestiert. Ich kann sofort pfänden lassen; ich werde es auch tun.«

Von neuem ließ Bigot einen Redeschwall auf seinen Gläubiger niedergehen – der blieb unerbittlich. Während Bigot weitersprach, ließ der andere seine Augen umhergehen. »Wo sind denn Ihre Teppiche geblieben?« fragte er mit einem Blick auf den kahlen Fußboden.

»Sie sind in der Reinigung, Monsieur Meunier«, war die Antwort, »es war notwendig.«

»So, so! In der Reinigung?« Eine kurze Weile blieben Meuniers Blicke an der Strahlröhre und der dazugehörigen Apparatur haften. »Wertloser Kram!« murmelte er geringschätzig vor sich hin. »Kein Mensch wird hundert Francs für den Plunder geben.«

Er schaute sich weiter um, sah den Ofen in der anderen Ecke, und sah neben ihm auf einem Tisch die blinkenden Barren. Interessiert stand er auf und ging darauf zu, um sie näher zu betrachten. Wie eine Henne, der man die Küchlein rauben will, lief Bigot neben ihm her. Er wollte ihn zurückziehen, als Meunier nach einem der Barren griff. Aber da hatte der das Metallstück auch schon in der Hand und wunderte sich über das hohe Gewicht.

»Was ist denn das?« fragte er, während er den Barren in seinen Händen hin und her drehte.

»Ein chemisches Produkt, Monsieur Meunier. Das Ergebnis einer meiner Untersuchungen ... das hat gar kein Interesse für Sie.«

»Im Gegenteil, für derartige chemische Produkte interessiere ich mich sogar ganz bedeutend.« Meunier griff wieder in seine Brieftasche. »Das hier sind drei Wechsel über je tausend Francs. Ich werde mich selber bezahlt machen, das erspart Ihnen die Kosten für den Gerichtsvollzieher.« Er ließ den einen Barren in seine Rocktasche gleiten und griff nach zwei anderen. »Sagen wir, für jeden Wechsel so ein ›chemisches Produkt‹, und wir sind quitt, Monsieur Bigot ...«

Er konnte nicht weitersprechen, denn wütend fiel ihm Bigot in den Arm und versuchte ihm die kostbaren Barren mit Gewalt zu entreißen. Monsieur Meunier setzte sich zur Wehr, um seinen Raub in Sicherheit zu bringen. Im Nu war eine Rauferei im Gange, bei der sich Bigot als der Schwächere sehr bald im Nachteil befand.

Schon hing sein seidener Schlips zerrissen herab, während Meunier den zweiten Barren in die Tasche gleiten ließ. Mit einem würgenden Griff umklammerte er Bigots Kehle, um auch den dritten noch an sich zu reißen, als der Druck seiner Hand plötzlich nachließ.

Bigot bekam seinen Kopf los und konnte wieder frei um sich schauen. Er sah Meuniers Rumpf nach hinten zurückgebogen. Zwei kräftige Arme lagen wie eine Schlinge um dessen Hals, über seiner Schulter erblickte Bigot das Gesicht von François. Während ihres Ringkampfes mußte der robuste, gut sechs Fuß lange Normanne ungehört in den Raum gekommen sein und hatte auf seine Weise in den Streit eingegriffen. Mit einem Arm hielt er Monsieur Meunier fest, mit der andern Hand griff er ihm in die Taschen, holte die Barren wieder heraus und legte sie auf den Tisch zurück. Ohne ein Wort zu sagen, hob er seinen immer noch benommenen Gegner dann empor und warf ihn wie ein Bund Flicken in den nächsten Sessel.

Erst nachdem das geschehen war, öffnete er den Mund zum Sprechen und fragte Bigot in der Manier eines gut erzogenen Dieners:

»Was haben Monsieur für Befehle für mich?«

Noch außer Atem, war Bigot nicht sofort imstande, zu antworten. Während er sich mit zitternden Händen bemühte, seine Krawatte in Ordnung zu bringen, überzeugte er sich erst einmal, daß die Barren wieder an ihrem alten Platz lagen. François enthob ihn der Antwort.

»Der Herr hat eine Forderung?« fragte er mit einem Blick auf Meunier. Bigot nickte nur und deutete auf die Papiere, die bei dem Ringen zu Boden gefallen waren.

François bückte sich, um sie aufzuheben. Meunier sah es und wollte ihm zuvorkommen. Mit einer Armbewegung schleuderte ihn François auf den Sessel zurück und hob sie auf.

»Drei Wechsel à tausend Francs ... schon protestiert ... unnötige Kosten für Monsieur.« Mit einem Ruck riß er die Wechsel mitten durch.

Wütend fuhr Meunier von seinem Stuhl auf, wollte sich auf François stürzen, unterließ es jedoch, als er dessen Fäuste vor seiner Nase sah, und schimpfte laut los.

»Räuber! Gauner! Briganten! Verbrecher ... Diebe!« Seine Stimme war am Überschlagen. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, zog François seine Brieftasche, entnahm ihr drei Tausendfrancscheine, legte sie auf den Tisch und zählte noch Kleingeld für die Protestkosten daneben auf.

»Wollen Sie sich bezahlt machen?« sagte er, als Meunier seine Schimpfkanonade einen Augenblick unterbrach, um frischen Atem zu schöpfen. Der starrte erst auf François, dann auf die Scheine, war mit einem Satz am Tisch und riß das Geld an sich.

»Wollen Sie sich überzeugen, daß der Betrag stimmt«, sagte François mit unerschütterlicher Ruhe.

»Habe schon gesehen! Stimmt!« keuchte Meunieur.

»Wollen Sie nun die Güte haben, die Wohnung von Monsieur Bigot zu verlassen?«

Auch diese Worte sagte François ebenso ruhig und höflich wie die früheren, aber seine Miene und Haltung waren dabei von einer Art, daß Meunier nach seinem Hut griff und schleunigst zur Tür eilte. Erst als er draußen war, fand Bigot die Sprache wieder.

»Ein Glück, François, daß Sie im letzten Augenblick dazukamen. Der Mensch wollte drei Barren wegnehmen. Denken Sie: Drei Barren! Ein Vielfaches von dem, was er zu fordern hatte.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wechselte er das Thema und fragte François nach dem Erfolg seiner Reise.

»Es ist vorzüglich gegangen«, beeilte sich François zu erwidern. »Alles, was ich mithatte, bin ich zu guten Preisen losgeworden. Die Kundschaft wünscht noch mehr. Ich sehe, Monsieur hat schön vorgearbeitet. Ich möchte gleich wieder auf die Tour gehen. Aber ...«

Während François sprach, hatte er nach den eingelösten Wechseln gegriffen und besah sie nachdenklich. Beunruhigt blickte Bigot ihn an. Was war das für ein »Aber«, mit dem François ihm jetzt kommen wollte, nachdem doch anscheinend alles glücklich verlaufen war?

»... Monsieur hat noch mehr Papiere von dieser Art ausgegeben«, vollendete François seinen Satz. Bigot machte eine schwache Bewegung, die Zustimmung bedeuten sollte. Er mochte nicht an die zahllosen Wechsel denken, die von ihm im Umlauf waren.

»Es ist schade um das schöne Geld, das für die Einlösung draufgeht«, setzte François seinen Gedankengang fort. »Monsieur sollte das vermeiden.«

Bigot zuckte die Achseln. »Leicht gesagt, mein Lieber! Wie soll ich das anstellen? Sie haben ja gesehen, wie zudringlich das Pack wird.«

»Monsieur muß diesen Leuten aus dem Wege gehen«, sprach François weiter. »Dies Land hier ist nichts mehr für Monsieur. Wenn wir in ein anderes gingen, könnte Monsieur noch viel Geld machen.«

Es waren die ureigensten Gedanken Bigots, die er jetzt aus anderem Munde zu hören bekam. Schon seit dem Absagebrief Kellys liebäugelte er mit der Idee, seine Zelte in Paris abzubrechen und irgendwo anders von frischem zu beginnen. Nur über das Wohin war er sich noch nicht klar. Ein Land mußte es sein, in dem er vor der Meute seiner Gläubiger sicher wäre, und wenn irgend möglich auch ein Land, in dem man französisch sprach. Interessiert wartete er, was François weiter vorbringen würde.

»Ich habe einen Verwandten, der als Farmer in Kanada lebt und mir öfter schreibt. Ein schönes Land muß das Kanada sein, ein großes Land, ein reiches Land ... Wenn Monsieur sich entschließen könnte, dorthin zu gehen, ich würde Monsieur mit Vergnügen begleiten ...«

Bigot machte ein bedenkliches Gesicht. »Kanada gehört zu England, mein lieber François«, warf er ein. »Sie würden erst Englisch lernen müssen ...«

»Oh, durchaus nicht«, wehrte François ab. »Die große Provinz Quebec ist ganz französisch. Mein Cousin ist seit zehn Jahren dort und spricht bis heute kein Wort Englisch. Wir würden uns drüben wie zu Hause fühlen. Nur die zudringlichen Leute und die unbequemen Papiere hier würde Monsieur los sein.«

»Hm!« Bigot wiegte den Kopf hin und her. »Wenn das so ist, hat Ihr Vorschlag vieles für sich, François. Aber wir werden Reisegeld brauchen. Erst müssen Sie das da«, er deutete auf die Barren, »noch an den Mann bringen, dann könnten wir fahren.«

François holte seinen winzigen Handkoffer und verstaute die kostbaren Metallblöcke zwischen einigen Wäschestücken. »Ich werde mit dem Einuhrzug fahren«, sagte er, während er den Koffer zuschloß. »Länger als drei Tage wird das Geschäft nicht beanspruchen. Wenn Monsieur entschlossen ist, von hier fortzugehen, könnten wir uns heute über drei Tagen in Le Havre treffen.«

»Das geht etwas plötzlich, François.« Bigot sah sich in dem Laboratorium um. »Es ist viel zu packen, die Strahlröhren ... der Transformator ... die Kältemaschine, das ist nicht so einfach.«

»Es ist einfacher, als Monsieur glaubt«, verfocht François seine Ansicht. »Monsieur braucht hier nur einer Speditionsfirma den Auftrag zu geben, die Sachen zu verpacken und nach Quebec in Kanada zu schicken. Danach ist Monsieur reisefertig. Es wäre gut, wenn Monsieur sich entschließen könnte. In drei Tagen geht die ›Touraine‹ von Le Havre nach Quebec in See.«

Noch eine kurze Minute der Überlegung, dann hat Bigot sich zu einem Entschluß durchgerungen.

»Sie haben recht, François, wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Wo wollen wir uns in Le Havre treffen?«

»Wenn es Monsieur recht ist, im Hotel la Gare; es ist ein kleines, gutes Haus, das ich Monsieur bestens empfehlen kann.« –

Die Tür fiel hinter François ins Schloß. Behaglich ließ sich Bigot in einen Polstersessel sinken. Die Banknoten, die François von seiner Reise mitgebracht und von denen er ihm einen beträchtlichen Teil dagelassen hatte, gaben ihm das Gefühl einer angenehmen Sicherheit. –

Auf der halben Treppe begegnete François Reinhard. Er wollte an ihm vorbeieilen, denn er hatte ein instinktives Mißtrauen gegen den Deutschen. Der aber hielt ihn an, musterte ihn mit einem durchdringenden Blick und fragte: »Heute nicht in Livree, Monsieur François? Haben Sie Ihren freien Tag? Oder wollen Sie verreisen?«

Frage du und der Teufel! dachte sich François. »Ich habe eine andere Stellung angenommen. Ich gehe von Monsieur Bigot fort«, erwiderte er kurz und ging weiter die Treppe hinunter.

Nachdenklich setzte Reinhard seinen Weg fort. Das sieht stark nach einem Zusammenbruch aus, ging es ihm durch den Sinn. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Ich glaube, es wird Zeit, wenn man Hartford noch fassen will. –

Bigot fuhr in seinem Sessel zusammen, als die Wohnungsglocke ertönte. Wer konnte jetzt kommen? Vielleicht wieder ein Gläubiger mit einem unbequemen Papier? Diesmal würde François nicht zu Hilfe kommen können. Bigot entschloß sich, in seinem Sessel zu bleiben und kein Lebenszeichen von sich zu geben. Mochte der unerwünschte Besuch da draußen sich seinetwegen zu Tode klingeln! Dreimal, viermal ... fünfmal schrillte die Glocke durch die ganze Wohnung. »Jetzt erst recht nicht!« murmelte Bigot vor sich hin und rührte sich nicht vom Platze. Das Klingeln hörte auf. Der ist wieder abgezogen, dachte er und griff nach einem Buch, um sich die Zeit zu vertreiben.

Zwei oder drei Seiten mochte er gelesen haben, als ein Geräusch vom Flur her ihn ausmerken ließ. Er horchte schärfer hin. Kein Zweifel mehr, irgendwer mußte in der Wohnung sein und machte sich da draußen zu schaffen. Einbrecher! war sein erster Gedanke, Gläubiger! sein zweiter. Dumme Geschichte! Er war ganz auf sich selber angewiesen. Mit einem Ruck warf er das Buch beiseite und sah sich nach einer Waffe um.

Noch während er suchte, hörte er draußen deutlich Schritte, lief zu dem Schmelzofen hin und griff die schwere Tiegelzange, entschlossen, den Eindringling, mochte er sein, wer er wollte, niederzuschlagen. Er wog das schwere Gerät in seiner Hand, als die Tür zum Laboratorium sich öffnete. Ein Mann trat ein, der Bigot irgendwie bekannt vorkam, einige Schritte auf ihn zuging, dann stehenblieb und ihn höflich begrüßte.

»Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein? Was wollen Sie hier?« schrie Bigot ihn an, immer noch bereit, mit der Zange zuzuschlagen.

»Ich denke, wir kennen uns doch, Monsieur Bigot?« sagte der andere ruhig. »Mein Name ist Reinhard ...«

Bigot ließ die Zange sinken. Reinhard? Die Erinnerung kam ihm an einen Hauptmann dieses Namens, den er einmal mit Spranger zusammen in Deutschland getroffen hatte.

»Wie kommen Sie hier herein?« fragte er etwas ruhiger. »Die Tür war verschlossen.«

»Leider, Monsieur Bigot. Da mein Klingeln nicht gehört wurde, mußte ich sie mir selber öffnen.«

»Eine eigenartige Manier, Besuche zu machen, Herr – Herr Hauptmann Reinhard, wenn ich mich recht entsinne. Ist das deutsche Mode?«

»Bisweilen, Monsieur Bigot. Wenn die Angelegenheit dringlich ist. Die Sache, in der ich Sie aufsuche, ist äußerst dringlich. Hoffentlich komme ich nicht zu spät. Ich habe mit Mister Hartford zu sprechen.«

Ein hämischer Zug lag um Bigots Lippen, während er antwortete.

»Da kommen Sie in der Tat etwas zu spät. Herr Professor Hartford ist vor einiger Zeit nach Schenektady abgereist. Seine Pflichten dort erlaubten es ihm nicht, länger in Paris zu bleiben. Ich habe es sehr bedauert, seine wissenschaftliche Unterstützung war mir recht wertvoll. Ich hätte gern noch länger mit ihm zusammen –«

»Ich suche hier nicht Herrn Professor James Hartford, mit dem ich übrigens noch vor einer Stunde zusammen war«, unterbrach ihn Reinhard schroff, »sondern einen gewissen Percy Hartford, dem man wegen dunkler Sachen auf der Spur ist ...«

»Ich habe nur mit Professor Hartford zusammen gearbeitet«, warf Bigot ein.

»– der sich außerdem auch auf ein gefälschtes Diplom hin als Professor ausgegeben hat.«

Die ruhige, feste Art, in der Reinhard seine Anklage vorbrachte, machte Bigot unsicher. Er antwortete stockend.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen – Herr Professor Hartford – ein Ehrenmann durch und durch – eine bedauerliche Verwechslung höchstwahrscheinlich ...«

Reinhard verlor die Geduld. »Wir reden aneinander vorbei, Monsieur Bigot«, sagte er scharf. »Ich spreche von Ihrem früheren Mitarbeiter Percy Hartford. Der Mann ist dringend des Diebstahls verdächtig. Die französische Gerichtsbehörde hat einen Haftbefehl gegen ihn erlassen.«

Sachlich sagten die Worte Reinhards Bigot nichts Neues, denn er kannte den Lebensgang seines Komplicen zur Genüge, aber er erschrak doch, als er das Wort »Haftbefehl« hörte. Wenn das zutraf, und Bigot hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, so war Mr. Percy Hartford jedenfalls in Frankreich ein für allemal erledigt. Ein Glück für ihn, Bigot, daß der Mensch rechtzeitig verschwunden war. Es wäre übel, wenn man ihn hier gefaßt hätte. Schade nur um das schöne Geld, das er mit auf die Reise genommen hatte!

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Reinhard.

»Ich finde es gemein«, sagte Bigot, dessen Gedanken noch bei den Dollarnoten waren, um die Hartford ihn geprellt hatte.

»In der Tat gemein, Monsieur Bigot. Der Mann muß unschädlich gemacht werden. Sie müssen der Behörde bei ihren Bemühungen behilflich sein; zu Ihnen muß er sich doch irgendwie über sein Reiseziel geäußert haben?«

»Kein Wort hat er mir gesagt«, fuhr Bigot auf, der in seinem Ärger über Hartfords Betrug alle Vorsicht vergaß. »Bestohlen hat er mich, während ich krank lag, und ist bei Nacht und Nebel losgegangen. Der Teufel mag wissen, wohin er sich gewandt hat!«

»So, so, Monsieur Bigot.« Reinhard konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Das klingt etwas anders als Ihre erste Aussage. Ich glaube sogar, daß Sie diesmal die Wahrheit gesagt haben. Leider hilfst uns Ihre Mitteilung nicht viel weiter. Jedenfalls werden Sie Ihre Aussage vor der Behörde wiederholen müssen. Sie beabsichtigen doch nicht, Paris zu verlassen?«

Bigot hatte inzwischen seinen Fehler gemerkt und sich wieder gesammelt. Mit einer Handbewegung auf die Apparatur des Laboratoriums hin erwiderte er in einem überzeugenden Ton: »Hier ist meine Arbeitsstätte, Herr Reinhard. Seit Monaten mühe ich mich hier um die Lösung wissenschaftlicher Probleme, und noch weitere Monate werde ich hier tätig sein.«

»Gut, Monsieur Bigot, man wird Sie in dieser Angelegenheit vernehmen«, sagte Reinhard; bevor Bigot noch etwas erwidern konnte, war er bereits an der Laboratoriumstür und zog sie hinter sich zu. Im nächsten Augenblick hörte Bigot auch die Wohnungstür ins Schloß schnappen. Wie ein Träumender stand er allein in dem Raum. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er immer noch die schwere Zange in der Hand hielt. Achtlos warf er sie zu Boden und ließ sich in den nächsten Sessel nieder.

Pfui Teufel, was war das für eine üble Überraschung! Dieser deutsche Hauptmann war ja noch unangenehmer als zehn Gläubiger. Was hatte der von ihm verlangt? Seine Aussage über Hartford sollte er vor den französischen Behörden wiederholen? Bigot verzog den Mund, als er daran dachte. Gerichtsbehörden waren nicht nach seinem Geschmack. Bei einer Unterhaltung mit denen konnten allzuleicht Dinge zutage kommen, die besser verborgen blieben ...

Noch einmal ließ Bigot die Ereignisse der letzten Wochen in Gedanken an sich vorüberziehen. Sein Fiasko mit den amerikanischen Millionären ... die schauderhaften Prügel im Markthallenviertel ... die Treulosigkeit Hartfords ... gewalttätige Gläubiger ... und jetzt hatte er sogar die Polizei zu erwarten.

Als Bigot mit seinen Überlegungen so weit gekommen war, hielt es ihn nicht länger in seinem Sessel. Er sprang auf und begann unruhig im Zimmer hin und her zu laufen. Es war hohe Zeit, von hier wegzugehen, allerhöchste Zeit wahrscheinlich ... Die letzten Ratschläge von François kamen ihm wieder ins Gedächtnis. Er ging zum Schreibtisch, blätterte in einem Adreßbuch und wählte danach eine Telephonverbindung. Eine Speditionsfirma meldete sich am anderen Ende der Leitung und nahm seine Wünsche entgegen.

Befriedigt legte Bigot den Hörer wieder auf. In einer halben Stunde würde ein Vertreter der Firma bei ihm sein. Noch heute würde alles gepackt werden. Morgen früh könnte es schon auf der Achse sein.

Monsieur Bigot selbst war entschlossen, dieses »morgen früh« nicht mehr in der Rue St. Antoine abzuwarten. Ich werde schon etwas zeitiger »auf der Achse« sein, dachte er, während er den Besuch des Spediteurs erwartete.

* * *

Wie Dr. Bruck richtig vermutet hatte, waren Eisenlohr und Professor Braun nach dem Essen zunächst mit Holthoff zu den Öfen im Keller gegangen, um die Herstellung einiger neuer Karbide zu verfolgen, aber allzulange hielten sie sich dort nicht auf. Nach dem Abstich der ersten Schmelzen gab Eisenlohr dem Professor einen Wink, ihm zu folgen, und führte ihn in sein Arbeitszimmer.

»Nun, wie gefällt Ihnen der Kollege aus Amerika?« eröffnete er die Unterhaltung und schob Braun Zigarren und Feuerzeug hin.

»Ich muß gestehen, Herr Eisenlohr, ich bin angenehm enttäuscht«, meinte Braun, während er sich sorgfältig eine Zigarre auswählte. »Nach dem, was mir so gelegentlich über ihn zu Ohren gekommen war, erwartete ich, einen – nun, sagen wir mal, einen von seinen eigenen Leistungen sehr überzeugten Herrn zu treffen. Um so angenehmer hat mich seine Zurückhaltung heute bei Tisch berührt. Kaum, daß er ein Wort über seine eigenen Arbeiten und doch zweifellosen Erfolge verlor. In der Hauptsache ließ er uns sprechen und hielt mit seiner Anerkennung nicht zurück. Ich bin überzeugt, daß ein gutes kollegiales Arbeiten mit ihm möglich sein wird.«

Während Braun sprach, wiegte Eisenlohr den Kopf leicht hin und her. »Sie haben den Kern der Sache getroffen, Herr Professor«, erwiderte er, als Braun mit seinen Ausführungen zu Ende war. »Er hat uns sprechen lassen. Ich möchte fast sagen, er hat uns durch geschickte Fragen veranlaßt, manches zu sagen, was wir sonst vielleicht nicht gesagt hätten. Wenn ich mir das jetzt nachträglich überlege, so gibt es mir doch etwas zu denken.«

»Ich kann mich Ihrer Ansicht nicht unbedingt anschließen, Herr Kollege«, meinte Braun. »Als die Rede auf die Verwertung des strahlenden Stoffes kam, ist er doch mächtig aus sich herausgegangen und hat Ihnen ein ganzes Finanzprojekt entwickelt. Nach meinem Geschmack freilich etwas zu großspurig. Ich fand, da sprach er mehr wie ein Geschäftsmann aus Wallstreet als wie ein Wissenschaftler, aber vielleicht haben die amerikanischen Kollegen das so an sich.«

»Das stimmt«, pflichtete Eisenlohr ihm bei, »aber der Plan, den er uns da entwarf, hatte durchaus Hand und Fuß. Der Mann versteht eine ganze Menge von finanziellen und wirtschaftlichen Sachen, und sehen Sie, Herr Professor, das mahnt mich, etwas vorsichtig zu sein.«

»Wie meinen Sie das, Herr Eisenlohr?« fragte Braun ein wenig verwundert.

»Es ist vorläufig nur ein unbestimmtes Gefühl, Herr Professor. Ich könnte Ihnen im Augenblick keinen Beweis dafür geben. Aber nehmen wir einmal das Schlimmste an, dann könnte es etwa so sein: Der Amerikaner hat uns bei Tisch – ohne daß wir es recht merkten – ausgehorcht und alles erfahren, was ihm noch fehlte. Wie uns Michelmann vorhin sagte, hat er sich nach dem Essen in sein Zimmer zurückgezogen ...«

»... weil er von der Reise ermüdet war«, fiel ihm Braun ins Wort. »Sogar Ihrem alten Faktotum ist seine Ruhebedürftigkeit aufgefallen.«

»Kann sein, mein verehrtester Herr Professor, kann aber auch nicht sein«, fuhr Eisenlohr fort. »Vielleicht schläft Herr Professor Hartford jetzt wirklich den Schlaf des Gerechten, Vielleicht aber sitzt er auch am Schreibtisch und entwirft nach dem, was er bei Tisch erfuhr, neue Patente, um sie baldmöglichst per Blitzfunk an das amerikanische Patentamt zu spedieren – wir wissen es nicht, Herr Professor«, schob er einen Einwand Brauns beiseite, »aber es könnte jedenfalls so sein. Wir müssen damit rechnen, und deshalb bat ich Sie vorhin, mit mir zu kommen.«

»Ja, was wollten Sie dagegen tun?« fragte Braun.

»Zunächst wollen wir eben noch einmal unsere Patentanmeldungen durchgehen, vielleicht lohnt es sich auch für uns, das eine oder andere noch per Funk anzumelden.«

Professor Braun schüttelte energisch den Kopf. »Das wird nicht notwendig sein, Herr Eisenlohr. In Erwartung des amerikanischen Kollegen, den ich mir ja etwas anders vorstellte, habe ich das in den letzten Tagen schon sehr gründlich besorgt. Da wird schwer eine Lücke zu finden sein, wo ein Dritter noch einhaken kann.«

Braun stand auf und holte von einem Wandregal her einen Stapel von Schriftstücken. »Hier haben Sie alle Anmeldungen, die während der letzten zwei Wochen herausgegangen sind«, sagte er, während er den Stoß vor Eisenlohr hinlegte. »Ohne Rücksicht auf eine etwaige wirtschaftliche Verwertbarkeit habe ich für alle unsere Entdeckungen den Schutz beantragt, von der ersten in der Gelatine gelungenen Urzeugung an bis zu den Verwendungsmöglichkeiten des Strahlstaubes, und sogar noch bis zu jenen biologischen Umwandlungen hin, die Sie in letzter Zeit mit der Strahlröhre am Teich erreichten.«

»Wie steht es mit den Mitteilungen für die Fachpresse?« fragte Eisenlohr weiter.

Braun deutete auf ein anderes Schriftbündel in dem Regal. »Dort liegen die Kopien. Die Originale sind vorgestern und gestern abgegangen, sowie ich vom Patentamt die Bestätigung bekam, daß unsere Anmeldungen dort richtig eingetroffen seien. Wir dürfen uns auf einiges Rauschen im deutschen Blätterwald gefaßt machen. Ich bin überzeugt, daß sich auch die Tagespresse diesen Stoff nicht entgehen lassen wird.«

»Nach den Erfahrungen mit unsern beiden ersten Veröffentlichungen können wir das wohl mit Sicherheit erwarten«, stimmte ihm Eisenlohr bei und machte sich daran, die Patentmeldungen Stück um Stück durchzulesen. Professor Braun legte sich bequem in seinem Sessel zurück und beobachtete ihn bei der Lektüre. Zwar hatte er alle Hauptpunkte vor der Abfassung der Anmeldungen mit Eisenlohr durchgesprochen, aber er hatte später aus eigenem noch manches hinzugefügt und war neugierig, was der Doktor dazu sagen würde.

Vorläufig beschränkte sich Eisenlohr darauf, nur hin und wieder zustimmend zu nicken, während er eine Seite nach der anderen umblätterte. Erst beim Studium der siebenten oder achten Anmeldung begann es in seinen Mienen zu arbeiten. Er ließ das Schriftstück sinken und sah Braun nachdenklich an.

»Wissen Sie, was ich glaube, Herr Professor?«

»Ich bin gespannt, Ihre Meinung zu hören, Herr Eisenlohr.«

»Ich glaube, das Patentamt wird jemand herschicken.«

»Selbstverständlich, Herr Kollege! Bei so absolut neuen, ich möchte sagen, revolutionären Entdeckungen verläßt sich das Amt nicht auf die Anmeldung allein. Es wird sicher einen seiner Sachverständigen schicken, der sich mit eigenen Augen überzeugen soll.«

Eisenlohr schüttelte den Kopf.

»Das meine ich nicht, Herr Professor. Ich glaube, daß sie uns erst einmal einen Psychiater herschicken werden, um uns beide auf unfern Gesundheitszustand zu untersuchen. Es ist ja wahr!« Er ließ seine Rechte auf das vor ihm liegende Schriftstück fallen. »Es ist alles buchstäblich wahr, was Sie hier geschrieben haben. Aber mir selber erscheint es fast unglaublich, wenn ich es jetzt wieder lese ... die erste Urzeugung ... das schon ein Wunder an sich ... hier die Wirkung der Röhrenstrahlung auf das Urleben im Wasser ... eine Wiederholung des natürlichen Stammbaumes in einem millionenfach beschleunigten Tempo ... die Entstehung von Lanzettfischen ... Mein lieber Herr Professor, die Leute im Patentamt müssen uns ja für heillose Phantasten halten, wenn nicht gar für etwas Schlimmeres!«

Braun lachte. »Ich sehe, daß ich's richtig getroffen habe, Herr Eisenlohr. Wenn Sie schon stutzig werden, der Sie die Entwicklung Schritt für Schritt miterlebt haben, werden die Herren in Berlin erst recht Mund und Nase aufsperren. Mögen Sie nur hierherkommen! Wir werden ihnen mit den nötigen Beweisstücken dienen.«

In die letzten Worte Brauns klang ein abgerissener kurzer Glockenschlag. Eisenlohr blickte zu der Wand hinter dem Schreibtisch hin, wo der Zeiger eines Meßinstrumentes über die Skala zuckte, um gleich wieder in die Nullstellung zurückzufallen.

»Was war das?« fragte Braun.

»Rückmeldung von der Teichleitung her, Herr Professor. Nur eine momentane Störung; ich vermute, daß ein Vogel die Drähte im Fluge gestreift hat. Es ist schon wieder alles in Ordnung. Wir brauchen uns nicht weiter darum zu kümmern. Kehren wir wieder zu unseren Patenten zurück.« –

Eisenlohr wäre wohl kaum so ruhig geblieben, wenn er geahnt hätte, was für eine Art von Vogel das war, der die Glocke der Alarmanlage aufklingen ließ. Eben jener Hochspannungsfunke war die Ursache, der in diesem Moment von der Strahlröhre her zu Dr. Bruck übersprang und ihn niederstreckte. Percy Hartford hatte den Bewußtlosen auf festes Land geschleppt und mühte sich dort um ihn.

Er öffnete ihm die Kleidung und rieb ihm die Brust. Er feuchtete ein Tuch an und legte es ihm auf Stirn und Schläfen. Er versuchte die schlaffen Glieder Brucks zu massieren, doch vergeblich blieben alle seine Bemühungen. Die Minuten verstrichen und summierten sich zu Viertelstunden, während Hartford ratlos vor dem Ohnmächtigen stand.

Eines war ihm klar: Man durfte Bruck und ihn hier nicht finden. Entschlossen packte er zu, um den vom Strom Getroffenen fortzuschleppen, doch schon nach kurzem gab er es auf. Für ihn allein war es unmöglich, den schweren Körper den steilen Pfad emporzutragen. Wieder legte er ihn auf den Rasen nieder, sann verzweifelt auf einen Ausweg und bemerkte dabei eine geringfügige Veränderung an dem vor ihm Liegenden. Weniger starr schienen ihm die Augen Brucks jetzt zu sein, weniger krampfhaft verzerrt sein Gesicht. Ein leichtes Röcheln drang aus der Kehle.

Hartford kniete nieder, um sich über Bruck zu beugen, und spürte dabei, wie der Stoff seiner eigenen Kleidung sich an einer Stelle spannte. Er schlug sich vor die Stirn. Daß er daran nicht früher gedacht hatte! Er faßte mit schnellem Griff hin und zog etwas aus der Hüfttasche, das äußerlich etwa ein Zigarrenetui sein konnte. Aber in Wirklichkeit war es etwas wesentlich anderes: ein kunstvoll aus feinem Silberblech gearbeiteter Behälter, der sich der Körperform anschmiegte, ohne stark auszutragen, und der gut und gern einen Viertelliter faßte.

Während seines Aufenthaltes in Schenektady hatte dies nützliche Gefäß es Hartford so manches liebe Mal erlaubt, bei der Arbeit unauffällig einen ordentlichen Schluck Whisky zu nehmen. Es hatte ihn auf seiner Fahrt über den Atlantik begleitet, und jetzt war es von Paris her noch mit französischem Kognak gefüllt. Er schraubte den Verschluß ab, hob den Oberkörper Brucks empor und brachte das Gefäß an dessen Lippen. Vorsichtig mühte er sich, ihm etwas von dem Inhalt einzuflößen. Es war nicht ganz einfach, doch schließlich gelang es. Die zusammengepreßten Kiefer Brucks gingen auseinander, und er begann von selbst zu schlucken.

Die Wirkung des scharfen Branntweins zeigte sich schnell. Bruck schlug die Augen wieder auf, blickte zuerst noch etwas verstört um sich, machte dann eine schwache Bewegung, sich aufzurichten, versuchte etwas zu stammeln. Noch einmal griff Hartford zu, zwang ihn von neuem, zu schlucken, und ruhte nicht, bis Bruck den letzten Tropfen getrunken hatte.

Dann bettete er ihn wieder und blieb mit der Uhr in der Hand vor ihm stehen. Erinnerungen an frühere Erlebnisse in Schenektady gingen ihm durch den Sinn, während er den Liegenden betrachtete. Auch dort war einmal der eine oder andere der Hochspannung zu nahe gekommen, und immer war es das Nervensystem, welches den Herzmuskel steuerte, das bei solchem Unfall in Unordnung geriet. Gelang es aber, dem elektrischen Schock durch einen anderen Schock entgegenzuwirken, so konnte der Verunglückte gerettet werden. Alkohol nahm man dazu in Schenektady, und Hartford hatte hier das gleiche getan. Hatte er das Mittel rechtzeitig genug angewandt? War die Dosis genügend groß? Die nächsten Minuten mußten darüber entscheiden.

Er verfolgte den Gang des Uhrzeigers auf dem Zifferblatt, während er Bruck nicht aus den Augen ließ. Kräftiger fing dessen Atem an zu gehen; eine leichte Röte kehrte in seine bleichen Züge zurück. Ein tiefes Aufseufzen jetzt. Er richtete sich mit eigener Kraft halb auf, blickte um sich, erkannte Hartford, fragte: »Was war das? – Was ist geschehen?«

»Ruhe, Herr Kollege!« Hartford zwang ihn, sich wieder niederzulegen und zu entspannen. »Bleiben Sie liegen, atmen Sie ruhig und tief! Sie hatten einen Unfall, er wird vorübergehen ...«

»... wird vorübergehen«, wiederholte Bruck die letzten Worte, schloß die Augen und fiel in leichten Schlummer. Hartford ließ sich auf einen Stein neben ihm nieder, ohne die Uhr aus der Hand zu lassen. »Es geht wie damals in Schenektady«, murmelte er vor sich hin. »Eine Viertelstunde Schlaf, und er wird imstande sein, mit mir weiterzugehen.«

Während die Minuten verrannen, liefen seine Gedanken weiter: Durch den Gang, durch den wir kamen, können wir nicht zurück. Dazu wird er noch zu schwach sein. Große Steigungen kann ich ihm auch nicht zumuten. Wir werden um den Berg herumgehen müssen, bis wir auf den Burgweg treffen. Sind wir erst mal dort, ist das Schlimmste überwunden ...

Weiter rief Hartford sich noch einmal alles ins Gedächtnis zurück, was er an diesem ersten Tage seines Aufenthaltes hier erfahren hatte, und fing an, Pläne für die Zukunft zu machen. Reichlich kritisch war die Lage für ihn. Jeden Augenblick mußte er bereit sein, von hier zu verschwinden. Immerhin, der Aufenthalt hier hatte sich jetzt bereits für ihn gelohnt. Er hatte neue, für ihn völlig überraschende Dinge erfahren, mit denen sich an einem andern Ort wohl allerlei anfangen ließ. Aber wo sollte das sein? Frankreich und USA waren ihm durch die Maßnahmen seines früheren Chefs verschlossen ... Mexiko? ... Südamerika? ... Er kannte diese Länder von früher her. Sie schienen ihm nicht das Rechte zu sein ... Kanada vielleicht ... Je mehr er sich mit dem Gedanken beschäftigte, um so sympathischer wurde er ihm. Kanada, die Zuflucht für alle, die in USA etwas auf dem Kerbholz hatten ... ein reiches Land mit einer großen Zukunft ...

Er fuhr aus seinem Sinnen auf, als ein Sonnenstrahl durch die Baumkronen ihn traf, und sah auf die Uhr. Ohne daß er's gemerkt, war bereits eine halbe Stunde verstrichen, und immer noch lag Bruck schlafend neben ihm. Es wurde Zeit, ihn zu wecken und den Heimweg zu versuchen. Er machte sich daran, aber es war ein schweres Beginnen, Dr. Bruck zu ermuntern. War es der elektrische Schlag, war es der Alkohol, der ihn so schläfrig machte: Hartford gab es auf, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Er war froh, als er ihn endlich auf den Beinen hatte, und zerrte den Schwankenden auf einem Pfad weiter, der den Berg mit einer geringen Steigung umging.

Öfter als einmal mußte er unterwegs haltmachen, den Schwankenden stützen, selbst neue Kräfte sammeln. Endlich war es erreicht. Sie standen auf dem Burgweg. Einige fünfzig Meter noch, und dann waren sie bei jener Bank, an der sich heute morgen der alte Michelmann mit Hammer und Zange betätigt hatte. Hartford setzte sich neben Bruck. So, das wäre glücklich geschafft, dachte er, während er sich die Stirn trocknete, jetzt könnte jemand kommen und uns weiterhelfen.

Es kam auch jemand. Der alte Postbote war es, der sein Rad unten in der Wirtschaft von Schöne gelassen hatte und zu Fuß den Burgweg hinaufmarschierte. Bei der Bank machte er halt und griff in seine Tasche.

»Ein Brief für Sie, Herr Doktor.« Er reichte Bruck das Schreiben. Apathisch nahm der es in Empfang und brachte kaum ein kurzes »Danke!« über die Lippen.

»Was fehlt Ihnen, Herr Doktor?« fragte der Postbote besorgt. Hartford antwortete für Bruck:

»Dem Herrn Doktor ist nicht gut. Die Hitze heut – ein leichter Schwächeanfall. Ich hoffe, es wird bald vorübergehen.«

Der Postmann nickte zustimmend. »Unverschämt warm heut, meine Herren. Für den September ganz ungewöhnlich ...« Er holte ein rotgewürfeltes Schnupftuch heraus und begann sich umständlich sein Gesicht damit abzuwischen.

»Haben Sie vielleicht auch für mich etwas?« fragte ihn Hartford. »Für Hartford – Professor James Hartford?«

Der Bote schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Professor. Für Sie ist nichts dabei. Ich habe nur noch einen Brief für Herrn Doktor Eisenlohr.«

Er holte ein zweites Schreiben aus seiner Mappe und sah mißmutig zu der Burg hinauf, deren Mauern einige fünfzig Meter höher zwischen den Waldtannen emporragten. Hartford verstand den Blick.

»Sie können sich den Weg da hinauf sparen«, meinte er, »wir wollen den Brief für Herrn Eisenlohr gern mitnehmen.«

»Sehr freundlich, meine Herren!« Der Bote legte auch den zweiten Brief in Brucks Hand. »Schönen Dank auch!« Er machte kehrt, vergnügt darüber, daß ihm das letzte Stück des Aufstieges bei dem heißen Wetter erspart blieb. Bald war er hinter einer Biegung des Weges verschwunden.

Der Blick Hartfords haftete an dem Schreiben, das Bruck schon wieder halb im Schlaf in seiner Hand hielt. Eine französische Marke, Poststempel Paris ... Die Adresse auf dem Umschlag ... die Schrift kannte er doch ... die charakteristischen Schriftzüge seines früheren Chefs ... Vorsichtig griff er zu und zog Bruck das Schreiben aus der Hand, ohne daß der es merkte. Er wandte sich zur Seite, öffnete und überflog es.

Der Inhalt war nur kurz. Eine knappe Mitteilung des Professors an Eisenlohr, daß er leider immer noch in Paris aufgehalten sei, aber voraussichtlich in etwa zwei Tagen endlich abreisen könne. Erleichtert faltete Hartford das Schreiben zusammen und steckte es in seine Brusttasche. Zwei Tage Zeit gewonnen! Noch zwei Tage Sicherheit! Er war entschlossen, diese Frist nach besten Kräften zu nutzen, und segnete den Zufall, der ihm das Schreiben in die Hände gespielt hatte.

Sein Interesse wandte sich dem andern Brief in Brucks Hand zu. Aber schnell bemerkte er, daß das nichts von Bedeutung war. Der Umschlag trug den Firmenaufdruck einer chemischen Fabrik in Frankfurt. Offenbar eine Geschäftskorrespondenz, die sich auf den Laboratoriumsbetrieb bezog. Er hielt es für richtiger, das Schreiben ruhig in Brucks Hand zu lassen. Dagegen begann ihn jetzt dessen Zustand wieder zu beunruhigen. Bruck war von neuem in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem Hartford ihn weder durch Anrufen noch durch Schütteln ermuntern konnte.

Sorgenvoll sah Hartford sich nach einer Hilfe um und war froh, als er von der Burg her Eisenlohrs Faktotum Michelmann herabkommen sah. Während er ihm zuwinkte, sich zu beeilen, überlegte er, was er dem Alten sagen sollte, was er ihm sagen durfte. Von dem Unfall bei der Strahlröhre natürlich kein Wort.

»Hallo, Herr Michelmann!« rief er ihn an. Sobald er näher war: »Herr Doktor Bruck hat einen Schwächeanfall! Ich vermute einen leichten Hitzschlag! Wollen Sie mir helfen, ihn hinauf in sein Zimmer zu bringen?«

Michelmann setzte seinen Werkzeugkasten ab, kratzte sich bedächtig hinter dem Ohr und sah bald Bruck, bald den Weg zur Burg hinauf an.

»Wie ist denn das passiert?« fragte er.

»Herr Doktor Bruck fühlte sich im Wald plötzlich schwach und schwindlig«, log Hartford drauflos. »Es gelang mir gerade noch, ihn bis hier zur Bank zu bringen. Dann sackte er mir ganz zusammen.«

»So? Im Wald, Herr Professor?« Merkwürdig, dachte der Alte bei sich. Ich habe die beiden Herren gar nicht über den Hof gehen sehen. Er schüttelte den Kopf und brummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Hartford unterbrach ihn ungeduldig:

»Wir müssen den Herrn Doktor möglichst schnell in einen kühlen Raum bringen. Werden wir es zu zweit schaffen?«

»Nur schwer. Ich weiß etwas Besseres, habe ja Gott sei Dank meinen Werkzeugkasten bei mir. Das werden wir schnell haben, Herr Professor. Nur ein paar Augenblicke Geduld.«

Michelmann nahm ein Handbeil aus seinem Kasten und ging damit seitlich in den Wald. Hartford vernahm Beilschläge und hörte Stangenholz krachen. Schon nach kurzem kam Michelmann zurück und schleifte das Geäst, das er eben geschlagen hatte, hinter sich her. Schnell und geschickt nagelte er daraus eine Tragbahre zusammen, auf die sie nun den immer noch fest schlafenden Bruck betteten. So konnten sie ihn zu zweit ohne allzu große Mühe den Weg hinauftragen und brachten ihn mit einiger Anstrengung auch über die Treppen in sein Zimmer. Hartford legte ihn auf das Bett und fing an, ihn zu entkleiden.

»Man müßte an den Arzt telephonieren«, schlug Michelmann, der ihm dabei behilflich war, vor.

»Es wird nicht nötig sein«, wehrte Hartford ab, während er Bruck den Puls fühlte. »Ich bin selbst ein wenig Arzt, Herr Michelmann. Ich fühle, das Herz schlägt voll und kräftig. Unser Patient braucht nur Ruhe und eine kühle Kompresse auf die Stirn. Seine Natur hilft sich selber. Ich denke, er wird sich wieder gesundschlafen.«

Während der Alte der Weisung Hartfords folgend am Waschbecken einen feuchten Umschlag fertigmachte, legte Hartford die Kleidungsstücke Brucks über einen Stuhl. In einer Tasche fühlte er dabei etwas Schweres, Hartes. Ohne daß Michelmann es sah, ließ Hartford es in seiner eigenen Tasche verschwinden. Es war der Schlüssel zu jener Kellertür, die in den unterirdischen Gang führte.

Wer weiß, für was das gut ist! dachte sich Hartford dabei. Schaden kann es auf keinen Fall. Wenn Bruck den Schlüssel vermißt, wird er wohl glauben, daß er ihn unterwegs verloren habe. Mag er später danach suchen, wenn er Lust dazu hat!

»So, mein lieber Herr Michelmann«, wandte er sich an den Alten, der mit der fertigen Kompresse ankam, »nun wollen wir unsern Patienten ruhen lassen. Ich gehe in mein Zimmer und werde von Zeit zu Zeit nach ihm sehen.«

»Gut, Herr Professor«, nickte Michelmann und verließ das Zimmer. –

Noch immer saßen Eisenlohr und Braun in ihrer Besprechung. Längst waren sie mit den Patentanmeldungen und Texten fertig, doch allzuviel anderes gab es noch, über das nun Beschlüsse gefaßt werden mußten. Grundlegende Fragen waren zu entscheiden; ein Arbeitsprogramm für die nächsten Monate mußte aufgestellt werden.

Das Gesicht Eisenlohrs war leicht gerötet, Energie und Unternehmungslust sprachen aus seinen Zügen, während der Professor etwas erschöpft zu sein schien.

» Ars longa, vita brevis, lang ist die Kunst, nur kurz das Leben«, sagte Braun mit einer müden Bewegung. »Wir haben viel Glück bei unsern Untersuchungen gehabt, Herr Kollege; eine klare Arbeitshypothese haben wir bis heute noch nicht. Manchmal komme ich mir vor wie ein Sonntagsjäger, der mit seiner Schrotspritze auf einen Taubenschwarm geschossen und durch Zufall ein halbes Dutzend Treffer gemacht hat.«

»Ein etwas drastischer Vergleich, verehrtester Herr Professor«, stimmte ihm Eisenlohr lachend bei. »Aber leider ist er nicht ganz unbegründet. Wir haben noch eine Riesenarbeit vor uns, wenn wir das, was uns bis jetzt – sagen wir ruhig: ein glücklicher Zufall – finden ließ, in ein wissenschaftliches System bringen und weiter ausbauen wollen.«

Braun seufzte. »Es gibt zu viele veränderliche Größen in den Gleichungen, die wir noch lösen müssen. Bedenken Sie: die Frequenz der Strahlung und ihre Stärke – hundertfach werden wir sie noch variieren und aufeinander abstimmen müssen, wenn wir der Natur wirklich ihre letzten Geheimnisse entreißen wollen. Zahllose Versuche werden dazu nötig sein. Ich zweifle, ob ein einzelnes Menschenleben dabei hinlangen wird.«

»Oh, Herr Professor Braun! Ein kleiner Anfall von Entmutigung?« Eisenlohr sah Braun so durchdringend an, daß der seinen Blick senkte, sprach dann weiter: »Ich kenne diesen Zustand. Ich habe auch Stunden und Tage gehabt, Herr Professor, in denen ich, von Zweifeln bedrückt, an den Erfolg nicht mehr glauben wollte, bis er dann doch unverhofft kam. Es geht uns Wissenschaftlern wohl ähnlich wie den Soldaten. Wenn man den Berichten der Historiker glauben darf, haben die großen Feldherren am Vorabend bedeutender Aktionen solche Stunden der Kleinmut durchlebt, aber es hat sie nicht gehindert, ihre Heere am nächsten Tage zum Siege zu führen. Ich denke, Herr Professor, wir wollen es auch so halten.«

Waren es die Worte, war es der Blick Eisenlohrs? Braun raffte sich wieder zusammen und faßte neuen Mut.

»Sie haben recht, Herr Eisenlohr!« Fester und energischer als vorher klang seine Stimme. »Wir wollen weiter arbeiten und nicht verzweifeln. Was ist das nächste, was geschehen soll?«

Eisenlohr zeichnete mechanisch Arabesken auf einen Schreibblock, während er antwortete. »Ich denke daran, am Berghang ... vielleicht in der Nähe unseres Teiches, ein Urmeer im kleinen anzulegen. Es wird Sommer und Winter auf einer gleichmäßig hohen Temperatur gehalten werden müssen ... man wird es wie ein Treibhaus mit Glas überdachen müssen. Das alles wird beträchtliche Summen erfordern ... mehr Geld, als ich aus meinen laufenden Einkünften nehmen kann ...«

Braun stutzte, als das Wort »Geld« fiel. Bisher hatte Eisenlohr zu ihm niemals über wirtschaftliche Fragen gesprochen, und der Professor hatte sich auch noch nie den Kopf darüber zerbrochen.

»Was soll geschehen, Herr Doktor?« fragte er unsicher.

»Zuallererst und vor allen Dingen die Gründung einer großen Verwertungsgesellschaft für das Strahlpulver. Die Ideen unseres amerikanischen Kollegen waren nicht übel. Schon während er sie uns heute entwickelte, fiel mir auch ein passender Name dafür ein. Wie denken Sie über eine Radiating Powder Company?«

»Nicht schlecht, Herr Doktor. Der Name klingt! Aber warum wollen Sie in USA gründen? Ich meine, Deutschland läge uns näher.«

»Man kann das eine tun, Herr Professor, und braucht das andere nicht zu lassen. Selbstverständlich will ich meine Entdeckung auch in den Ländern Europas verwerten und hier an erster Stelle in Deutschland. Aber das große amerikanische Geschäft will ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen. Die Namen, die Professor Hartford heute bei Tisch nannte, sind gerade die richtigen dafür. Ich denke, in USA wird sich eine Gesellschaft am schnellsten und leichtesten auf die Beine stellen lassen.«

Braun nickte. »Ich verstehe, Herr Doktor Eisenlohr. Sie wollen den amerikanischen Kollegen mit hereinnehmen, die Beziehungen, die er ja offenbar hat, für die Gründung nutzbar machen ...«

Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht nötig, Herr Professor. Beziehungen zu den Firmen und Gruppen, die Herr Professor Hartford anführte, habe ich selber und außerdem noch einige andere. Es ist lediglich eine Frage – sagen wir mal – der Courtoisie, ob wir den amerikanischen Kollegen mit hereinnehmen. Ich möchte es fast tun, um selbst entlastet zu sein ...«

»Hoffentlich ist er zuverlässig«, warf Braun ein.

»Dafür wird eine scharfe Kontrolle zu sorgen haben, Herr Professor. Für uns ist es die Hauptsache, daß wir durch die amerikanische Gesellschaft sofort neue Gelder in die Hand bekommen und uns hier mit ganzer Kraft unseren biogenetischen Arbeiten widmen können. Ich werde heute beim Abendtisch mit Professor Hartford darüber reden. Mit ein wenig Glück und Geschick kann die ganze Sache in vier Wochen ins Lot kommen, und dann geht's hier mit Volldampf an die neuen Arbeiten. Der Teichbau muß unter Dach und Fach sein, bevor der erste Frost kommt. Wir werden zu tun bekommen, mein lieber Herr Professor.«

Eisenlohr stand auf, ging ein paar Schritte hin und her und reckte die vom langen Sitzen steif gewordenen Glieder.

»Ich habe über unsere lange Unterhaltung eine trockene Kehle bekommen, Herr Braun. Michelmann soll uns etwas zum Trinken bringen.« Er ging zum Schreibtisch, griff nach dem Haustelephon und gab einen Auftrag.

Wenige Minuten später kam das alte Faktotum mit dem Gewünschten ins Zimmer. Er stellte eine Kanne und Gläser auf den Tisch und machte sich daran, einzuschenken.

»Was ist mit Ihnen los, Michelmann?« fragte ihn Eisenlohr. »Sie machen ja heut ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«

»Ach Gott, Herr Doktor«, Michelmann gab sich einen Ruck, »das ist bloß noch von wegen dem Schreck von vorhin.«

»Schreck ... von vorhin? Was soll das heißen, Michelmann?«

»Na, weil Herr Doktor Bruck doch vorhin ohnmächtig geworden ist, Herr Doktor.«

»Wie? Was? Herr Doktor Bruck ohnmächtig?«

»Ja, Herr Doktor. Aber der Herr Professor aus Amerika, mit dem zusammen er im Wald war, hat gesagt, es ist nur ein leichter Hitzschlag, und der Herr Doktor wird sich schnell wieder gesundschlafen.«

Eisenlohr und Braun warfen sich einen Blick zu. Im gleichen Augenblick hatten sie denselben Gedanken: Was haben Bruck und der Amerikaner miteinander im Wald zu suchen?

Michelmann hatte eingeschenkt und war schon wieder an der Tür, als Eisenlohr ihm nachrief: »Gehen Sie zu Herrn Professor Hartford. Ich lasse ihn bitten, zu mir zu kommen, wenn seine Zeit es gestattet.«

»Die Sache will mir nicht gefallen«, sagte Braun, sobald Michelmann die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Was haben Sie vor, Herr Doktor?«

»Ich will mit ihm sprechen, Herr Braun. Das Weitere wird sich dabei finden.« –

»Sehr liebenswürdig; Herr Professor Hartford, daß Sie meiner Bitte so schnell gefolgt sind«, empfing Eisenlohr seinen Gast. »Wollen Sie bitte Platz nehmen. Ich höre eben zu meinem Bedauern, daß Herr Doktor Bruck sich nicht wohl fühlt – hoffentlich ist es nichts Ernstes?«

Percy Hartford hatte eine Frage dieser Art erwartet und sich eine Antwort dafür zurechtgelegt. Er berichtete, daß Bruck zu ihm ins Zimmer gekommen sei und ihn zu einem kleinen Spaziergang durch den Wald aufgefordert habe. Unterwegs sei dem Doktor schwach geworden, so daß er ihn nur mit Mühe hätte wieder zurückbringen können. Zweifellos ein leichter Hitzschlag, aber jetzt befinde sich der Patient schon auf dem Wege der Besserung. Morgen würde er voraussichtlich wieder wohlauf sein. Hartford brachte das alles so überzeugend vor, daß Eisenlohr und Braun ihren Verdacht fallen ließen.

»Hoffen wir, Herr Professor, daß es so verlaufen wird«, sagte Eisenlohr, als Hartford mit seiner Schilderung zu Ende war. »Ich wollte gern noch einmal über den Plan einer amerikanischen Gründung mit Ihnen sprechen. Darf ich Sie um die Patentschriften bitten, Herr Braun?« Braun schob ihm einen Stapel von Schriftstücken hin, der die amerikanischen Anmeldungen enthielt.

»Ich möchte von der folgenden Grundidee ausgehen«, fuhr Eisenlohr fort: »Wir, das heißt die deutsche Gruppe, bringen in die zukünftige Gesellschaft diese Patente hier ein – Sie können sie nachher in Ruhe auf Ihrem Zimmer studieren, Herr Hartford. Außerdem stellen wir gewisse Erfahrungen und Erfolge zur Verfügung, die wir auf kleinen Versuchsfeldern bereits erreicht haben. Ich möchte Sie Ihnen morgen zeigen, nachdem Sie sich über die Patentlage informiert haben.

Das würden die Werte sein, die wir einbringen; Sache der amerikanischen Gruppe wäre es, die erforderlichen Kapitalien zu beschaffen. Die Wege, die Sie uns heute mittag andeuteten, scheinen mir dafür recht gangbar zu sein ...«

Percy Hartford nickte geschmeichelt, als Eisenlohr diese Worte sagte.

»Sie selbst, Herr Professor«, entwickelte Eisenlohr seinen Plan weiter, »würden wir gern als Wissenschaftler und für die hier vorliegenden Aufgaben besonders kompetenten Fachmann mit in der Gesellschaft haben. Selbstverständlich würde Ihre Mühewaltung entsprechend vergütet werden. Ich will Sie nicht drängen, Herr Professor«, fuhr er fort, als er eine Veränderung in Hartfords Mienen bemerkte, »überlegen Sie sich meinen Vorschlag in aller Ruhe. Es genügt, wenn wir morgen oder übermorgen weiter darüber sprechen. Wir essen erst in einer guten Stunde. Vielleicht benutzen Sie die Zeit, um schon immer unsere Patente einzusehen.«

»Ich werde es tun, Herr Eisenlohr«, sagte Hartford und stand auf. Merkwürdig rauh und gepreßt kamen die Worte aus seinem Munde. –

Kopfschüttelnd wandte sich Braun an Eisenlohr, nachdem der Amerikaner das Zimmer verlassen hatte.

»Es sieht mir nicht so aus, Herr Eisenlohr, als ob unser amerikanischer Kollege zugreifen würde; obwohl er nicht direkt ablehnte, schien er mir doch namentlich zuletzt starke Hemmungen zu haben.«

»Lassen wir ihm Zeit, Herr Professor«, versuchte Eisenlohr Braun zu beschwichtigen. »Es wäre mir lieb, wenn wir ihn gewinnen könnten, aber schließlich würde es auch ohne ihn gehen. Vorerst wollen wir uns mal eine Aufstellung von dem machen, was die amerikanische Gruppe uns einbringen muß.« –

In sich zusammengesunken, zusammengebrochen schon fast saß Hartford in seinem Zimmer am Tisch, den Kopf in beide Hände gestützt. Unberührt lagen vor ihm die Patentschriften, die Eisenlohr ihm mitgegeben hatte. Es lohnte sich für ihn ja nicht, auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Unruhig, flackrig liefen seine Gedanken und kreisten immer wieder um die wenigen Worte: Zu spät! Verspielt!

Hier mit sich allein, wo er nicht mehr Komödie zu spielen brauchte, wo er es nicht nötig hatte, seinen Mienen und seiner Haltung fortwährend Gewalt anzutun, trat die Veränderung gegen früher unverkennbar zutage. Der hier am Tisch saß, war nicht mehr der elegante Abenteurer aus der Rue St. Antoine in Paris, der Kapitalisten mit Taschenspielerkunststückchen bluffte, war auch nicht mehr der energische Draufgänger, der fragwürdiges Edelmetall an eine noch fragwürdigere Kundschaft verschob. Ein Müder, innerlich Verzweifelter war es, der eine große Hoffnung begraben mußte.

Welche glänzende Chance für ihn lag in dem Angebot Eisenlohrs! Mitglied, hochbezahlter wissenschaftlicher Berater einer großen Gesellschaft ... Ehre ... Reichtum ... wie in einer Schale ausgebreitet wurde es ihm angeboten, und er durfte nicht zugreifen, weil ... weil seine dunkle Vergangenheit ihm nachlief ... ihm den Weg in eine bessere Zukunft unerbittlich versperrte. Unstet und flüchtig würde er von Land zu Land eilen müssen, immer in der Furcht, daß seine früheren Taten gegen ihn aufstünden. Auch hier jetzt von steter Gefahr bedroht, jeden Augenblick auf dem Sprung, bereit, unterzutauchen, sobald Menschen hierherkamen, die ihn und seine Vergangenheit kannten ... Erst nach langer Zeit raffte er sich wieder zusammen. Zwecklos war es ja für ihn, Dingen nachzuhängen, die doch nicht sein konnten. Kostbar waren die Stunden, die ein gnädiger Zufall ihm hier noch schenkte; es galt, sie zu nutzen.

Er erhob sich, um nach Bruck zu sehen, aus dem noch alles herauszuholen, was ihm auf seinen weiteren Wegen von Nutzen sein konnte.


10. Kapitel.

William Spranger warf mißmutig einen Brief Eisenlohrs, den er eben seinem Partner vorgelesen hatte, auf den Tisch.

»Ist typisch für alle Erfinder, Kelly, daß sie niemals fertig werden. Eben noch himmelhoch jauchzend, zu größten Taten und Unternehmungen bereit. Dann kommt ihnen wieder eine neue Idee. Sie müssen noch etwas verbessern, irgendwelche Kleinigkeiten noch schöner machen, und vertrödeln darüber kostbare Zeit. Ich hätte nicht gedacht, daß mein Freund Eisenlohr auch nicht anders als die andern ist, aber nach dem Brief hier ist's leider der Fall.«

James Kelly griff nach dem Schreiben Eisenlohrs. Während er es noch einmal für sich durchlas, krauste sich seine Stirn. Er zog ein Gesicht, als ob er nach etwas wittere, brummte, während er zu Ende las. Unverständliches vor sich hin.

»Es wird nicht anders, Kelly, und wenn Sie's auch dreimal lesen«, meinte Spranger. »Wir haben es eben mit einem Erfinder zu tun, der –«

»– der uns abhängen will, weil er etwas Besseres in petto hat.«

»Ausgeschlossen, Kelly! Das würde mein Freund Eisenlohr nicht tun.«

»Freundschaft hin und Freundschaft her – hier dreht sich's um business. Da kann ich mich auf meine Nase verlassen, und der Braten hier ist leicht zu riechen; ich sage Ihnen, Spranger: Der Junge will abspringen!«

Spranger nahm den Brief wieder an sich. »Ich glaube es zwar nicht. Kelly, aber ich werde ihm sofort schreiben.«

Spranger wollte sich erheben, um in sein Zimmer zu gehen. Kelly hielt ihn zurück. »Das hat keinen Zweck, Spranger. Hier heißt es: schnell handeln und entschlossen zupacken, sonst haben wir das Nachsehen.«

Kelly stand auf; er ging zu seinem Schreibtisch, fing an die Schubladen auszuräumen und Schriftstücke in seine Aktentasche zu packen.

»Was haben Sie vor?« fragte Spranger.

»Wir wollen zum Flugplatz fahren. Die Zimmer hier behalten wir. Unser Gepäck bleibt gleichfalls hier. Stecken Sie das Notwendigste in Ihre Handtasche. Wir müssen an Ort und Stelle ausfindig machen, was für Pläne Eisenlohr hat. Beeilen Sie sich, Spranger! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Noch einmal versuchte Spranger einen Einwand. »Das Frühflugzeug ist fort, Kelly. Das nächste geht erst in vier Stunden. Wir können unsere Vorbereitungen ohne Überstürzung treffen.«

»Sie scheinen in Europa unser amerikanisches Tempo zu verlernen«, erwiderte Kelly mit einem ironischen Seitenblick zu seinem Partner hin. »Ich denke, die Firma Kelly and Company ist noch in der Lage, sich ein Sonderflugzeug zu leisten, wenn es um eine wichtige Sache geht.« –

»Ein Sonderflugzeug wünschen die Herrschaften – nach Deutschland – möglichst sofort?« sagte ein Clerk im Büro des Pariser Flughafens zu Kelly. »Einen Moment, meine Herren! Ich werde sehen. Wollen Sie inzwischen bitte Platz nehmen!«

Er verschwand in einem Nebenraum und kam nach kurzer Zeit in Begleitung eines anderen Angestellten zurück.

»Wann können wir starten?« knurrte Kelly.

»Ich höre soeben, mein Herr«, sagte der Clerk, während er ein paar Verbeugungen riskierte und sich die Hände rieb, »daß eine viersitzige Maschine zum Start bereit steht. Ein deutscher Herr hat sie gechartert. Sie könnten mitfliegen, die Reise würde sich für Sie verbilligen.«

»Also als Beipack. Sozusagen als Zuladung«, brummte Kelly. »Wohin geht die Maschine?«

»Der deutsche Herr hat sie für einen Flug nach Ihlefeld gemietet. Aber die Herrschaften könnten danach selbstverständlich zu jedem andern Hafen gebracht –«

Der Clerk konnte seinen Satz nicht vollenden.

»Ihlefeld? Gut, Mister!« unterbrach ihn Kelly. »Da wollen wir auch hin. Ist der Herr, der die Maschine gechartert hat, bereit, uns mitzunehmen?«

Der Clerk nickte. »Jawohl. Unter der Voraussetzung, daß die Kosten durch drei repartiert werden.«

»Gemacht!« schrie Kelly. »Kommen Sie, Spranger!«

Schnell waren alle Formalitäten erfüllt.

»Den Preis für den Flug hat der andere Herr bereits voll bezahlt«, sagte man Kelly im Büro. »Sie müssen direkt mit ihm abrechnen.«

Und dann gingen die beiden Inhaber der Firma Kelly and Company, von einem Beamten geführt, über das Flugfeld auf eine Maschine zu. Als erster kletterte William Spranger über die Schwinge in die Kabine und blieb erstaunt stehen, als er den Insassen erkannte.

»Herr Reinhard! Hier treffen wir uns wieder! Sie wollen nach Ihlefeld ... Vermutlich auch zu Doktor Eisenlohr ...«

»Vielleicht später, Mister Spranger. Zuerst nach Ihlefeld«, antwortete Reinhard, während er den Händedruck des Amerikaners erwiderte und danach Kelly begrüßte.

Die Motoren des Flugzeuges brüllten auf. Es jagte über den weiten Platz, schraubte sich in Kurven empor und schoß auf Ostkurs davon. Während die Felder und Wälder Frankreichs unter der Maschine dahinzogen, brachte Kelly als Busineßman zunächst die Abrechnung mit Reinhard ins klare. Nachdem das erledigt war, versuchte er ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Reinhard gab willig Antwort auf einige Fragen des Amerikaners und stellte dann selbst eine.

»Übrigens, Mister Kelly, wenn ich danach fragen darf: Ihre Zahnschmerzen sind Sie glücklich losgeworden?«

Kelly warf seinem Partner, der auf einem der Vordersitze Platz genommen hatte, einen verdrießlichen Blick zu.

»Sie hätten auch den Mund halten können, Spranger! War absolut nicht nötig, die dumme Geschichte weiterzuerzählen. Wenn ich den Kerl erwische, der mir das besorgt hat, drehe ich ihm noch nachträglich den Kragen um!«

»Bezähmen Sie Ihren Tatendrang, Mister Kelly!« lachte Reinhard. »Überlassen Sie die Angelegenheit lieber den Behörden.«

»Behörden! Pah! Die kriegen den Kerl ja niemals!« sagte Kelly wegwerfend.

»Vielleicht doch, Mister Kelly. Ich hoffe stark, daß man ihn in Deutschland fassen wird.«

»Was? Bigot ist nach Deutschland gegangen? ... Geflohen ist wohl richtiger!«

»Nicht Bigot, Mister Kelly! Der andere, sein Komplice – Sie wissen, Mister Spranger, der Mann, der die famosen Barren unter die Leute gebracht hat!«

»Ebenso ein Schwindler wie Bigot«, knurrte Kelly dazwischen.

»Sie denken ihn in Deutschland zu fassen?« fragte Spranger.

»Ich hoffe es stark. Es wird von den Nachrichten abhängen, die ich bei unserer Landung in Ihlefeld vorfinde. Man ist Mister Hartford stark auf den Fersen.«

»Wäre mir noch lieber, wenn Sie den andern Schwindler, den Bigot, faßten«, meinte Kelly und machte sich's in seiner Ecke zu einem Schläfchen bequem. –

Rhein und Weser waren überflogen. Über die grünen Höhen des deutschen Mittelgebirges stürmte die schnelle Maschine in unermüdlicher Jagd weiter. Tief unter ihr reckte sich aus dichtem Buchenlaub, dem der Herbst schon einen leichten Bronzeglanz gegeben hatte, ein grauer Bergfried empor.

»Oh, eine Ruine! So etwas haben wir in Amerika nicht«, sagte Kelly.

»Keine Ruine, old man«, verbesserte ihn Spranger. »Das ist die Eulenburg, auf der Doktor Eisenlohr wohnt.«

Kelly schüttelte den Kopf. Es war ihm unverständlich, wie ein moderner Mensch in solch altem Gemäuer hausen konnte. Noch während er sich anschickte, seine Meinung darüber zu äußern, ließ das Geräusch der Motoren nach. In langem Gleitflug ging der Eindecker nach unten, machte noch eine Kurve gegen den Wind und rollte auf dem Flugplatz von Ihlefeld aus.

Sie waren ohne Zwischenlandung von Paris durchgeflogen. Die Zollrevision mußte hier stattfinden. Dem vielgereisten Kelly fiel es auf, wie überraschend glatt und schnell sie in einer Minute erledigt war, nachdem Reinhard ein paar Worte mit den Zollbeamten gesprochen hatte. Während der Amerikaner sich noch darüber wunderte, eilte bereits ein anderer Mann, den Kelly seiner Uniform nach auf einen Polizeibeamten taxierte, hinzu, grüßte Reinhard militärisch und übergab ihm ein Schriftstück. Leise dämmerte in James Kelly, als er es sah, die Ahnung auf, daß dieser Reinhard, von dem er bisher nur als von einem pensionierten Hauptmann gehört hatte, doch noch etwas anderes sein mußte.

Reinhard durchlas den Bericht, und es war unverkennbar, daß der Inhalt ihn stark überraschte.

»Unglaublich! Das wäre der Gipfel der Frechheit!«

Kelly und Spranger besprachen sich gerade, daß sie sich einen Wagen bestellen wollten.

»Sie können mit mir fahren. Ich muß auch zur Eulenburg«, unterbrach Reinhard ihr Gespräch. »Führen Sie die Herren zu meinem Wagen«, wandte er sich an den Polizisten, sprach dann weiter zu den Amerikanern: »Vorher muß ich noch telephonieren. Ich werde Herrn Doktor Eisenlohr Ihren Besuch melden.« –

» By Jove, das ist ein feiner Wagen!« sagte Kelly zu Spranger, als sie bei einem Kraftwagen haltmachten. »Herr Reinhard scheint ein wohlhabender Mann zu sein!«

»Herr Reinhard ist –«, sagte Spranger und brach ab, ohne den Satz zu Ende zu bringen.

Unterdessen stand Reinhard im Verwaltungsgebäude des Flugplatzes am Telephon und wartete darauf, daß Eisenlohr sich vom andern Ende der Leitung her meldete.

* * *

Als Hartford am späten Abend noch einmal in das Zimmer Brucks kam, schien der Patient in festem Schlaf zu liegen.

Eine kurze Weile betrachtete ihn Hartford, dann ging er leise wieder aus dem Raum.

Er schläft ruhig und fest! dachte er, während er über den Flur in sein eigenes Zimmer zurückkehrte. Morgen früh werde ich weiter mit ihm reden. –

Percy Hartford irrte sich. Dr. Bruck schlief nicht. Er schlug die Augen auf, sowie Hartford ihn verlassen hatte, bewegte sich, richtete sich auf seinem Lager etwas auf und begann nachzudenken.

Sein ganzes bisheriges Leben zog in dieser Nacht an seinem Geiste vorüber. Das gemeinsame Studium mit Eisenlohr ... Wanderjahre ... Taumeljahre danach, in denen er sich fast zu verlieren drohte ... das zweite Zusammentreffen mit Eisenlohr ... eine Zeit ernster, zielbewußter Arbeit hier auf der Eulenburg ... bis von neuem Versuchung an ihn herantrat ... Goldrausch ... Millionenrausch ... Unehrlichkeit gegen Eisenlohr, dem er soviel zu verdanken hatte. Verhandlungen, Abmachungen mit dem Goldmacher aus Frankreich ...

Er erschrak jetzt bei der Erinnerung daran. Zum zweitenmal dann Untreue, als der Zufall ihm den amerikanischen Professor über den Weg führte ... Pläne, dem Versucher über den Atlantik zu folgen, alles, was er hier erfahren und gelernt hatte, dort im fremden Dienste gegen den auszuwerten, von dem es doch recht eigentlich stammte, und dann ...

In einem Flammenmeer hatte er plötzlich zu stehen geglaubt ... wie ein höllisches zuckendes Feuer hatte es plötzlich seinen Körper durchströmt ... tausend Gedanken, Erinnerungen, Gefühle hatten im Bruchteil einer Sekunde sein Hirn durchzuckt, und dann war plötzlich alles aus gewesen, tiefe Nacht und Bewußtlosigkeit um ihn.

Er schloß die Augen und öffnete sie wieder, um die Bilder zu verjagen, die auf ihn eindrangen.

Mit Gewalt versuchte er, sich zu klarem Denken zu zwingen. Es war ein Schlag von der elektrischen Hochspannung! Es kam von der Strahlröhre, sagte er sich wieder und immer wieder mit lautlosen Lippen, aber die Erinnerung an das Durchlebte war stärker, riß wie eine Sturmflut alle Dämme nieder, die er mit den Mitteln der Vernunft dagegen aufzubauen versuchte.

Wie der Tag des Jüngsten Gerichts ... ein Tag, an dem Raum und Zeit nicht mehr galten, erschien ihm auch jetzt noch jener Moment, in dem die Hochspannung seinen Körper traf ...

Erst nach langen Stunden kam Dr. Bruck wieder zur Ruhe und verfiel bis zum hellen Morgen von neuem in einen tiefen Schlaf. –

»Wo kommen Sie her, Herr Michelmann?« fragte Hartford am nächsten Vormittag Eisenlohrs altes Faktotum, das mit einem Tablett in den Händen über den Flur kam.

»Von Herrn Doktor Bruck, Herr Professor. Der Herr Doktor hat sich das Frühstück auf sein Zimmer bringen lassen, weil er sich von gestern noch etwas angegriffen fühlt.«

»Aber sonst ist er doch wieder wohlauf?«

»Jawohl, Herr Professor. Er ist angezogen und sitzt am Tisch. Er hat auch ordentlich gefrühstückt«, antwortete Michelmann und zog mit seinem Tablett ab.

Percy Hartford klopfte bei Bruck an und trat ein. Während er dem Doktor gegenüber Platz nahm, beobachtete er ihn aufmerksam und mußte eine Veränderung an ihm feststellen, ohne sich über deren Art recht klarwerden zu können. Vorsichtig brachte er die Unterhaltung aus ihre früheren Verabredungen zurück, sprach von Zukunftsplänen und wurde um so lebhafter, je teilnahmloser Bruck ihn anhörte. In lockenden Farben malte er ihm die künftige Zusammenarbeit in Schenektady aus. Enttäuscht ließ er endlich davon ab, als auch das nicht verfing.

»Ich sehe, Herr Doktor«, sagte er bedauernd, »daß Sie noch etwas leidend sind, wir wollen später davon sprechen.« Er machte Miene, sich zu erheben, als Bruck den Mund öffnete.

»Bleiben Sie bitte, Herr Professor! Wir können gleich darüber sprechen.«

Hartford sah ihn erwartungsvoll an. Bruck fuhr fort: »Ich darf nicht von hier fortgehen, Herr Professor. Ich habe gegen Eisenlohr gefehlt, ich muß versuchen, es wiedergutzumachen.«

Der Amerikaner warf ihm einen verwunderten Blick zu und begann ernstlich an dem Geisteszustand Brucks zu zweifeln, als der weitersprach:

»Undankbar und untreu habe ich gehandelt! In der letzten Nacht ist es mir klargeworden. Ich war verblendet! Falscher Ehrgeiz, Sucht nach Reichtum, Neid auf einen andern, der viel mehr weiß und kann als ich, haben mich verführt ...« Bruck schlug, während er sprach, die Hände vors Gesicht. »Oh, mein Gott, wohin wäre ich gekommen, wenn nicht – der Unfall gestern, der Schlag – ich bin dicht am Tode vorbeigegangen, Herr Professor. Es ist ein Wunder, daß ich noch am Leben bin ... Einen Unfall mögen Sie es nennen – ich denke anders darüber. Ich sehe einen Wink des Schicksals darin, das mich im letzten Augenblick vom Abgrund zurückriß!«

Hartford saß da, ohne ein Wort zu sprechen. Bruck ließ die Hände wieder sinken und blickte an dem Amerikaner vorbei ins Leere.

»Verblendung war alles! Unrecht! Torheit!« Er griff in seine Tasche, riß die Wechsel Bigots heraus und sprach weiter: »Auch das muß fort! Sündenlohn für den ersten Verrat!« Mit jähem Ruck zerfetzte er die Wechsel, warf die zerrissenen Papiere vor sich auf den Tisch, sank, wie von einer Last befreit, in den Stuhl zurück.

Mit Staunen zuerst, mit steigender Besorgnis danach hatte Hartford das Treiben Brucks beobachtet. Immer klarer wurde es ihm, daß er es mit einem Menschen zu tun hatte, der aufs schwerste erschüttert und wahrscheinlich immer noch krank war. Daß Bruck die Wechsel Bigots zerriß, darüber regte sich Hartford nicht weiter auf, es war nach seiner Meinung das einzig Vernünftige, was man mit den wertlosen Wischen tun konnte. Aber diese geistige Wandlung, die er bei Bruck feststellen mußte, erweckte Befürchtungen in ihm. Wenn der Doktor in solcher Stimmung zu Eisenlohr ging und dort in der gleichen Weise weitersprach, dann mußte auch die zweifelhafte Rolle, die er, Hartford, dabei gespielt hatte, bald zutage kommen, dann war es mit seinem Aufenthalt hier auf der Eulenburg vielleicht noch viel schneller vorbei, als er es so schon fürchten mußte.

Vorsichtig suchte er nach ein paar Worten, um den Erregten zu beruhigen, und veranlaßte ihn, sich auf ein Ruhebett niederzulegen. Sorgfältig breitete er eine Decke über ihn aus und wartete, bis Bruck die Augen wieder schloß. Geräuschlos verließ er danach den Raum und kehrte in sein eigenes Zimmer zurück. –

»Schreiben Sie's mir lieber auf, Herr Doktor, damit ich nichts vergesse. Ich hole schon immer den kleinen Zweisitzer vors Tor«, hatte Michelmann vor zehn Minuten zu Eisenlohr gesagt und war zur Garage gegangen. Jetzt kehrte er in Eisenlohrs Zimmer zurück; der übergab ihm einen langen Zettel, aus dem die Einkäufe notiert standen, die Michelmann in Ihlefeld besorgen sollte. Das alte Faktotum las den Zettel durch und steckte ihn zu sich. Eisenlohr schlug ihm auf die Schulter.

»So, Michelmann, brausen Sie schleunigst ab und vergessen Sie das Wiederkommen nicht!«

»Wird alles schönstens besorgt werden, Herr Doktor«, sagte Michelmann, machte einen Kratzfuß und schlurfte zur Tür. Gerade, als er sie öffnete, klingelte das Telephon auf Eisenlohrs Schreibtisch. Etwas langsamer, als an sich wohl nötig war, zog der Alte die Tür hinter sich zu und hatte so Gelegenheit, noch einiges von dem zu vernehmen, was Eisenlohr in den Apparat sprach.

»Wie ...? Ein Schwindler ...? Ein falscher Professor ...? Ein anderer Hartford ...?« hörte er Eisenlohr noch sagen; dann hielt er es doch für angebracht, die Tür endgültig zu schließen. Kopfschüttelnd, allerlei vor sich hinbrummelnd, ging er die Treppe hinunter, stieg in den Wagen und fuhr den Burgweg hinab, in Gedanken immer noch mit dem beschäftigt, was er eben aufgeschnappt hatte.

Etwa hundertfünfzig Meter mochte er zurückgelegt haben, als er ein dumpfes Dröhnen hinter sich hörte, ein Geräusch, das ihm nicht unbekannt war. Schon öfter als einmal hatte er es vernommen, wenn Eisenlohr sich veranlaßt sah, die schweren Schiebetüren des Burgtores in Bewegung zu setzen.

Das ist schlau von unserm Herrn Doktor, dachte der Alte bei sich, während er weiterfuhr. Er macht den eisernen Vorhang zu. Er will den falschen Professor erst gar nicht in die Burg 'reinlassen. Sehr richtig. Hätte ich an seiner Stelle ebenso gemacht.

Und dann mußte Michelmann sich um den Weg kümmern, der jetzt ein paar scharfe Kurven machte, und hatte vorläufig nicht mehr Zeit, über das vorhin Vernommene nachzudenken. –

Mit steigender Erregung hörte Eisenlohr am Telephon den Bericht Reinhards an, konnte, wollte das Gehörte nicht glauben, fragte wiederholt dazwischen, bis Reinhard ungeduldig wurde.

»Es ist schon so, Herr Doktor!« rief der auf dem Flugplatz in Ihlefeld in seinen Apparat. »In einer halben Stunde kann ich bei Ihnen sein – Hauptsache ist, daß der Kerl nicht vorher ausrückt!«

»Einen Moment, Herr Hauptmann, in drei Sekunden bin ich wieder da!« rief Eisenlohr zurück, legte den Hörer auf den Tisch, sprang zur Wand und bewegte einen Schalter. Im nächsten Augenblick hatte er den Hörer schon wieder am Ohr.

»Die Klappe ist zu, Herr Reinhard! Wer jetzt in der Burg ist, kann nicht mehr 'raus!« Er mußte es in das Mikrophon schreien, denn ebenso wie in den andern Räumen war auch in seinem Zimmer das rollende Dröhnen der sich schließenden schweren Schiebetüren laut vernehmbar. Erst nachdem es verklungen war, konnte er wieder ruhiger sprechen, konnte Reinhard die Maßnahmen, der er eben getroffen hatte, erklären und ihm Weisung geben, wie er sich bemerkbar zu machen habe, wenn er vor dem verschlossenen Tor ankomme.

Befriedigt hing Reinhard in Ihlefeld den Hörer an den Haken, um zu seinem Wagen zu gehen; erregt warf ihn Eisenlohr bei sich auf die Gabel und stürmte die Treppen hinunter in den Keller, wo er Holthoff und Braun bei den Öfen wußte. Noch außer Atem von dem schnellen Lauf, stand er vor den beiden.

»Was haben Sie, Herr Kollege?« fragte Braun und schob, seine Brille bedächtig von der Stirn auf die Nase. »Sie scheinen etwas erregt zu sein.«

»Mit Grund, Herr Professor. Wissen Sie das Neueste?« Stoßweise kamen die Worte aus Eisenlohrs Mund. »Der Mensch, der hier seit achtundvierzig Stunden bei mir zu Gast ist – der Amerikaner –«

»Sie sprechen vom Kollegen Hartford, Herr Doktor?« fragte Braun befremdet.

»Ein schöner Kollege, Herr Braun ... ein Schwindler!«

»Herr Professor James Hartford ein Schwindler? Das ist doch unmöglich!«

»Aber begreifen Sie doch endlich, Herr Professor Braun. Professor James Hartford ist noch in Paris. Ein anderer, ein Schwindler – ein weggejagter Laborant hat hier bei uns seine Rolle gespielt – hat uns alle hinters Licht geführt ...!«

Braun ließ den Unterkiefer sinken. Mit geöffnetem Mund stand er da, schnappte nach Luft, starrte Eisenlohr verdutzt an und bot dabei einen Anblick von überwältigender Komik.

»Es ist schon so, Herr Professor«, sagte Eisenlohr, trotz seines Ärgers hell auflachend. »Wir sind dem Gauner alle aufgesessen!«

Braun schüttelte den Kopf, als ob er gegen die Behauptung Eisenlohrs protestieren wollte.

»Er kam mir doch gleich verdächtig vor, er trug keine Brille«, murmelte er vor sich hin, während er seine eigenen Gläser zu putzen begann. »Er war auch zu umgänglich ... zu konziliant ... viel zu bescheiden für einen –« Braun wollte »Professor« sagen, verschluckte jedoch das Wort im letzten Moment und schwieg, als Holthoff sich einmischte:

»Ich werde die Polizei anrufen, Herr Eisenlohr. Raus kann der Mensch ja nicht mehr, dafür sorgt unser eiserner Vorhang.«

»Nicht mehr nötig, Herr Holthoff!« wehrte Eisenlohr ab. »Ich erwarte anderen Sukkurs, aber wir können vorarbeiten. Wir wollen den Burschen in seinem Zimmer einschließen. Kommen Sie, meine Herren, wir wollen zu dritt hinaufgehen! Worauf warten Sie noch? Kommen Sie doch!« forderte er Holthoff ungeduldig auf, als der zögerte und sich suchend umsah.

»Es dürfte nicht unzweckmäßig sein, etwas Handfestes mitzunehmen«, erwiderte Holthoff, während er nach einer soliden Schürstange griff.

»Ach so! Sie haben recht, Holthoff. Man kann nicht wissen, wie der Herr unsern Besuch aufnimmt. Ich denke, das hier kann ganz nützlich sein.« Eisenlohr langte sich ein biegsames Kabelende, ließ es ein paarmal durch die Luft pfeifen und ging damit zur Treppe. Holthoff und Braun folgten ihm. –

Hartford schrak in seinem Zimmer zusammen, als ein metallisches Rollen durch den Raum dröhnte. Er sprang auf, blieb stehen, bis es wie ein fernes Donnergrollen verklungen war. Unheilverkündend schien es ihm zu sein; sofort mußte er erfahren, was es zu bedeuten hatte. Bruck würde es ihm sagen können. Schnell lief er in dessen Zimmer hinüber, um ihn zu fragen. Aber der war wieder in einen festen Schlaf gefallen. Obwohl Hartford ihn rücksichtslos anrief und rüttelte, bedurfte es geraumer Zeit, bis er ihn einigermaßen ermunterte. Mit vieler Mühe holte er ein paar unklare Worte aus ihm heraus.

»Ja? – Ja? – Der Eiserne? – Eisenlohr hat ihn 'runtergelassen – soll keiner 'rein in die Burg – oder keiner 'raus – soll keiner 'raus – Professor ...«

Bruck warf sich auf die Seite und schlief wieder ein. Hartford kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er hatte genug gehört. Der kritische Moment, mit dem er seit zwei Tagen rechnete, war da. Schnellste Flucht war geboten.

Eben öffnete er die Tür, um Brucks Zimmer zu verlassen, als er eilige Schritte auf dem Flur vernahm. Schnell zog er sie wieder zu und lauschte, hörte Stimmen, hörte seinen Namen nennen, hörte, wie die Tür zu seinem Zimmer aufgerissen wurde, hörte, wie Eisenlohr, Braun und Holthoff dort hineinstürmten.

Einen Augenblick drohte sein Herzschlag zu stocken, Leichenblässe überzog sein Gesicht, er mußte sich am Türpfosten stützen. Im nächsten Moment hatte er sich wieder in der Gewalt. Um Bruchteile von Sekunden ging es. Jeden Augenblick konnten die Verfolger auch hierherkommen. Sicher würden sie kommen, sobald sie das andere Zimmer leer fanden.

Hartford lief den Flur entlang, erreichte die Treppe, die nach unten führte, und eilte sie hinab; er kam auf einen andern Flur und folgte ihm ein Stück, blieb atemschöpfend stehen und horchte wieder. Noch war nichts zu hören. Die Verfolger mußten noch weiter entfernt sein. –

Das Zimmer Hartfords war leer; mit einem Blick überzeugten seine drei Verfolger sich davon.

»Er ist nicht mehr hier«, sagte Professor Braun, der an den Schreibtisch getreten war und eine Schublade aufzog.

»Aber er ist noch vor kurzer Zeit hiergewesen«, stellte Holthoff an einer Tabakspfeife fest, aus der noch schwacher Rauch emporkringelte.

Eisenlohr nahm ihm das Korpus delikti aus der Hand und betrachtete es eingehend.

»Es können höchstens fünf Minuten vergangen sein«, meinte er nachdenklich, »seitdem Hartford das Zimmer verließ. Da war das Tor längst geschlossen. Wir haben unseren Mann sicher. Wir brauchen ihn nur zu suchen ...« Ein Ausruf vom Schreibtisch her ließ Eisenlohr dorthin blicken. Professor Braun stand über ein Dokument gebeugt, dessen Inhalt ihn sichtlich in Aufregung versetzte. Eisenlohr trat zu ihm.

»Was gibt's, Herr Braun?«

Der Professor hielt ihm das Schriftstück hin. »Sehen Sie selbst, Herr Eisenlohr: Seine Ernennung zum Professor ... Percy Hartford ... steht hier. Der Mann heißt doch James.«

»Der richtige Mann heißt so, Herr Braun. Das hier war eben der falsche.«

»Aber das Dokument, Herr Eisenlohr! Sehen Sie hier das Siegel der Universität. Die Unterschriften ... es scheint echt zu sein ...«

»Scheint, ist es aber nicht, Herr Braun. Daß Mister Percy Hartford auf ein falsches Diplom reist, wußten wir schon lange. Nur daß er auch uns mit seinem Besuch beehren würde, konnten wir freilich nicht ahnen.«

Fassungslos legte Professor Braun das Schriftstück wieder auf den Tisch. Die Welt schien ihm zu wanken. Was hatte in ihr noch Bestand, wenn sogar solche Diplome gefälscht werden konnten?

Holthoff hielt es für an der Zeit, einzugreifen. »Wollen wir nicht weiter suchen?« meinte er mit einem Blick auf die Uhr.

»Keine Überstürzung, mein lieber Holthoff!« wehrte Eisenlohr ab. »Wir bekommen den Burschen sicher, aber natürlich wird er sich versteckt haben. In einer Viertelstunde muß Reinhard mit zwei Begleitern kommen; sie werden bei der Suche eine wertvolle Unterstützung sein. Gehen mir erst einmal zu Bruck 'rüber. Möglich ist es ja, daß wir Percy Hartford dort noch treffen.«

Sie verließen den Raum und traten in das Zimmer Brucks. Der lag schlafend da und reagierte auf die Versuche Holthoffs, ihn zu ermuntern, ebenso schwer wie einige Minuten vorher auf diejenigen Hartfords. Eisenlohr fühlte ihm den Puls, hob ihm ein Augenlid hoch und betrachtete die Pupille.

»Das gefällt mir nicht.« Er sprach die Worte mehr zu sich als zu den anderen. »Ich hätte mich schon früher um ihn kümmern sollen ...« Er wandte sich an Holthoff: »Gestern nachmittag hat Kollege Bruck den Schwächeanfall gehabt? Wenn ich mich recht erinnere, soll es um vier Uhr herum gewesen sein?«

Holthoff nickte. »Ganz recht, Herr Eisenlohr. Um diese Zeit ist es gewesen. So hat mir's Michelmann erzählt.«

Eisenlohr schwieg. Die Erinnerung kam ihm, wie er um diese Zeit mit Braun zusammensaß und die Alarmglocke von der Hochspannung einmal kurz anschlug. Ein Verdacht stieg in ihm auf. Er wollte ihn verwerfen. Es war ja fast ausgeschlossen, daß ein Mensch, der die Hochspannungsleitung berührte, am Leben blieb, und doch kam er immer wieder darauf zurück. Es wäre eine Erklärung für den rätselhaften Zustand Brucks gewesen.

Holthoff wollte ihn zum Ausbruch drängen. »Hartford kann uns nicht weglaufen«, lehnte Eisenlohr ab. »Das hier ist wichtiger. Bleiben Sie bitte hier. Ich komme wieder.«

Er verließ den Raum und ging in sein Arbeitszimmer hinunter zu einem Wandschrank. Bedächtig suchte er unter den darin aufbewahrten Arzneimitteln heraus, was er für nötig hielt. Ein Kästchen mit kleinen gläsernen Ampullen und eine Injektionsspritze. Schaden kann es ihm nichts, dachte er bei sich, während er wieder nach oben ging. Wenn es so ist, wie ich fürchte, wird es ihn retten.

Er streifte den Ärmel von Brucks Jacke zurück; die Injektionsnadel drang in die Haut. Ein fester Druck, und der Inhalt der Spritze entleerte sich in eine Vene.

Ungeduldig trat Holthoff vom einen Bein auf das andere. Professor Braun wollte etwas sagen. Eisenlohr wehrte ab. »Gedulden Sie sich, meine Herren! Zehn Minuten Ruhe, und das Mittel wird wirken. Seien Sie unbesorgt, der andere entkommt uns nicht.« –

Während Eisenlohr es zu Holthoff und Braun sagte, eilte Hartford durch die weitläufigen Flure der alten Burg. Wieder erreichte er eine Treppe und schaute sich um.

War das nicht der Weg, den er vor vierundzwanzig Stunden mit Bruck gegangen war? Die gleiche Treppe wie damals war diese Wendelstiege hier doch. Er erkannte die starken Mauern des Bergfrieds und die kleinen Fenster wieder und stieg die Stufen weiter hinab. Immer dunkler wurde es um ihn. Er griff in seine Taschen, suchte nach der Taschenlampe. Er hatte sie nicht bei sich, aber etwas anderes fand er dafür, jenen Schlüssel, den er Bruck gestern abgenommen hatte. Fieberhaft umklammerte seine Rechte den Schlüsselschaft. In höchster Not bedeutete dies Stückchen Eisen die Rettung für ihn.

Im Dunkeln tappte er weiter, bis er an der Tür stand, die auch Bruck damals geöffnet hatte. Mit unsicheren Fingern tastete er, bis er das Schlüsselloch fand, bis der Schlüssel schließlich steckte, sich drehte. Die Tür ging auf. Dumpfe Luft schlug ihm entgegen.

In einer plötzlichen Aufwallung wollte er in das Dunkel vor sich hineinlaufen, zwang sich dann aber mit Gewalt zur Ruhe. Nur wenn er die Tür wieder hinter sich verschloß, war er ja – wenigstens vorläufig – in Sicherheit ... auf wie lange? Nur die Zukunft konnte es lehren.

Wieder ein langes Tasten und Suchen im Dunkeln. Das Schlüsselloch auf der Außenseite war schwerer zu finden als auf der anderen. Schon glaubte er Schritte zu hören ... Waren die Verfolger auch hier schon auf seiner Spur? ... Oder war es nur das Blut, das in seinen Ohren trommelte, war es Furcht, die ihn hören ließ, was noch nicht war?

Er wußte es nicht. Mit einer letzten Anstrengung stieß er den Schlüssel in die Tür, schloß zu, riß ihn wieder heraus und sank kraftlos nieder.

»Gerettet!« Wie ein Stoßseufzer kam es von seinen Lippen. Er raffte sich wieder auf, tastete sich in der Finsternis vorwärts, stolperte über ein Hindernis, stieß gegen Kanten und Steine, kämpfte sich mühsam Schritt für Schritt vorwärts. bis endlich von ferne ein Lichtschein winkte. Bis er das Ende des Ganges im Walde erreichte.

Nur kurze Minuten der Rast gönnte er sich. Flucht! war der einzige Gedanke, der in seinem Hirn kreiste. Fort von hier um jeden Preis! die Losung, die ihm neue Kräfte gab.

Die Sonne war noch über dem Horizont, im Westen mußte sie jetzt ungefähr stehen. Ohne sich um Weg und Steg zu kümmern, folgte Hartford der Richtung der Baumschatten nach Westen. Ouerwaldein setzte er die Flucht über Stock und Stein fort, bis er den Fuß des Burgberges erreichte.

Bald stand er auf der Landstraße, barhäuptig. Nur was er in seinen Taschen bei sich trug, hatte er gerettet. Er griff sich zur Brust. Dort knisterte es, Geldscheine, viele Dollarnoten, steckten dort. Ein Gefühl der Sicherheit überkam ihn, als er die Papiere zwischen seinen Fingern fühlte. Mochten die auf der Burg seinethalben mit dem wertlosen Kram, den er ihnen zurückgelassen hatte, glücklich werden!

Wohin jetzt? war die nächste Frage. Er beschloß, der Landstraße zu folgen, aber die Richtung nach Ihlefeld schlug er nicht ein; die andere wählte er. Etwas weiter war so der Weg bis zur nächsten Stadt, aber sicherer würde er dort untertauchen und verschwinden können. –

Qualvoll langsam verstrichen die Minuten. Unbewegt wie eine Statue fast stand Eisenlohr vor dem Lager Brucks, ohne einen Blick von dessen Gesicht zu lassen. Jetzt schienen die verfallenen Züge sich zu beleben, das Blut kehrte in die blasse Haut zurück. Noch ein paar tiefe Atemzüge, und er schlug die Augen auf.

Verwirrt, wie jemand, der aus einem tiefen Schlaf erwacht, schaute er um sich. Ein Schein des Wiedererkennens glitt über seine Züge, als er Holthoff und Braun sah, aber er schloß die Lider wieder, als er Eisenlohr erblickte, und wandte den Kopf zur Seite.

Eisenlohr griff nach seinem Puls. Voll und kräftig wie der eines Gesunden schlug er jetzt. Er beugte sich zu ihm hinab und begann leise und eindringlich zu ihm zu sprechen.

Waren es die Worte, oder war es das Fluidum eines starken Willens, das auf Bruck überströmte? Er öffnete die Augen wieder, sein Blick traf sich mit dem Eisenlohrs.

»Ich möchte mit Ihnen allein sprechen.« Leise, den anderen kaum verständlich, kamen die Worte von seinen Lippen.

Eisenlohr zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. Auf seinen Wunsch verließen Braun und Holthoff den Raum und gingen in das Zimmer Hartfords hinüber.

»Merkwürdig, Herr Kollege«, sagte Braun, während er sich wieder mit dem famosen Diplom Percy Hartfords zu schaffen machte; es war zweifelhaft, ob er mit seiner Bemerkung das gefälschte Zeugnis meinte oder jene Vorgänge, die sie eben in Brucks Zimmer miterlebt hatten.

»Ich bewundere die Ruhe des Chefs«, gab Holthoff seiner Ungeduld Ausdruck. »Wir stehen wie auf glühenden Kohlen. Wir wollen den Schwindler aus Amerika fassen, und Eisenlohr setzt sich da gemütlich zu einem Palaver mit Bruck hin. Das hätte doch schließlich bis nachher Zeit gehabt.«

Braun ließ Holthoff reden und kramte in den Schreibtischfächern weiter. Ein altes Notizbuch fiel ihm dabei in die Hände, in dem er zu blättern begann. Zunächst schien ihn der Inhalt nicht sonderlich zu interessieren. Es waren kurze Aufzeichnungen über Geschäftsgänge und Reisen. Daneben standen Angaben und Geldsummen, aus denen Professor Braun nicht recht klug werden konnte, da er ja von den dunklen Verkäufen Hartfords in Paris keine Ahnung hatte. Dann aber kamen technische Skizzen und Angaben über Stromstärken und Spannungen, die ihn sehr bald fesselten.

»Es ist zum Verzagen!« hatte Holthoff eben wieder mit einem Blick auf die Uhr gesagt, als Braun ihm das Notizbuch wies. »Sehen Sie mal her, Kollege: Hier finde ich die ganze Entstehungsgeschichte der Strahlröhren dieses französischen Scharlatans, dieses Bigot. Merkwürdig! Höchst merkwürdig, Herr Kollege!« Professor Braun geriet wieder ins Wundern. »Erst hat er hier ganz unmögliche Werte, vollkommen unsinnige Angaben notiert ... und dann ganz unvermittelt stehen hier dieselben Werte, mit denen Kollege Eisenlohr arbeitet ...«

Holthoff vergaß seine Ungeduld über der Mitteilung Brauns und begann, sich zusammen mit ihm in den Inhalt des Büchelchens zu vertiefen. Auch ihm waren die Aufzeichnungen zunächst rätselhaft, aber schneller als der ein wenig weltfremde Professor Braun fand er eine Lösung dafür.

»Das haben die Herrschaften einfach gestohlen«, entschied er den Fall. »Und zwar haben Sie's sicherlich bei uns gestohlen. Es wird wichtig sein, den zu finden, der es ihnen zugesteckt hat.« –

Dr. Bruck kam mit dem, was er Eisenlohr zu sagen hatte, zu Ende. Nur selten unterbrach ihn Eisenlohr dabei durch einen ermutigenden Zuspruch. Eine vollkommene Beichte war es; ein reuiges Bekenntnis der Versuchungen, denen Bruck unterlegen war, der Verfehlungen, die er begangen hatte.

»Können Sie mir verzeihen, Herr Eisenlohr?« endigte er.

Eisenlohr faßte seine Rechte.

»Sie waren krank, mein lieber Bruck. Sie waren schon lange seelisch krank, bevor dieser Unfall Sie traf. Ich wußte es. Mit immer größerer Sorge habe ich Sie von Tag zu Tag beobachtet. Ich sah, daß ... so oder so ... eine Lösung kommen mußte, und habe sie – ich sage es Ihnen ganz offen – mit Furcht erwartet.«

»Können Sie mir verzeihen?« wiederholte Bruck seine Frage. Eisenlohr drückte die Hand des andern kräftig.

»Es ist vergeben und vergessen, Sie haben die Krise überwunden, Sie haben von selbst wieder zu sich zurückgefunden.« Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ Bruck sich in das Kissen zurücksinken und schloß die Augen.

»Jetzt müssen Sie erst ganz gesunden, und dann wollen wir wieder so zusammenarbeiten wie früher«, sagte Eisenlohr und strich ihm mit beiden Händen über die Stirn. Beruhigend, einschläfernd wirkte die Berührung auf Bruck. Tief und kräftig wurden seine Atemzüge. Leise stand Eisenlohr auf und ging hinaus.

Vergeblich sah er sich auf dem Flur nach Braun und Holthoff um. Ein Blick auf die Uhr belehrte ihn, daß er eine gute Viertelstunde mit Bruck allein zusammengewesen war. So lange sind sie hier natürlich nicht stehengeblieben, sagte er sich, sie werden drüben sein. Er ging in das Zimmer Hartfords und fand Professor Braun und Holthoff in einer lebhaften Debatte darüber, wie Bigot oder Hartford sich die Werte für die Strahlröhren verschafft haben könnten.

»Lassen Sie es, meine Herren!« unterbrach er ihren Disput. »Es hat jetzt keine Wichtigkeit mehr. Jeden Augenblick können die anderen da sein. Wir wollen sehen, daß wir jetzt unseren unerwünschten Gast zu fassen bekommen.«

Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, als der laute, schrille Ton einer Glocke aufgellte.

»Da sind sie schon!« fuhr er fort. »Wir wollen in den Hof hinuntergehen und die Herren mit der nötigen Vorsicht hereinlassen.« –

Gerade so weit ging das schwere Schiebetor auseinander, daß der Kraftwagen zwischen ihnen hindurchfahren konnte. Unmittelbar hinter ihm schoben sich die Flügel wieder dröhnend zusammen. Auf der Mitte des Hofes hielt der Wagen an.

Vergnügt begrüßte William Spranger seinen alten Freund Eisenlohr und machte ihn mit seinem Partner Kelly bekannt, während Reinhard mit sachverständiger Miene das eiserne Tor musterte.

»Das Ding ist solide gebaut, Herr Doktor«, meinte er anerkennend. »Wenn unser Mann keinen andern Ausgang gefunden hat, dann dürfte er uns sicher sein.«

»Einen andern Zugang gibt es nicht, Herr Reinhard«, erklärte Eisenlohr mit Entschiedenheit, »wer in die Burg will, muß hier durch. Es ist ein probates Mittel gegen unerwünschte Gäste.«

Reinhard zuckte die Achseln. Von früheren Besuchen her kannte er die Burg ziemlich genau. Er dachte an gewisse nach der anderen Seite hinausgehende Fenster, und daß sich dort ein einigermaßen gewandter Mensch leicht in den Wald hinablassen konnte, sofern er nur ein Seil oder ein ähnliches Hilfsmittel bei der Hand hatte. Doch was hatte es jetzt für einen Zweck, von solchen Möglichkeiten zu sprechen? Er zog es vor, seine Gedanken für sich zu behalten.

»Wir wollen sofort sechs Mann hoch auf die Suche gehen«, schlug er vor und entwickelte seinen Zuhörern einen Plan, nach dem das am besten vor sich gehen konnte.

Von oben her, vom Dachgeschoß aus, begannen sie systematisch mit der Suche. Strahlenförmig verteilten sie sich von dort aus über die Flure, ließen bei ihren Nachforschungen kein Zimmer und keine Treppe aus und trafen schließlich nach einer guten halben Stunde wieder auf jener Wendeltreppe zusammen, die im Bergfried weiter nach unten führte.

James Kelly wischte sich die Stirn. » Very interesting, indeed!« murmelte er zu Spranger. »Altes, solides Gemäuer! Großartig, Spranger! Wenn man bedenkt, daß das schon stand, als Kolumbus zum erstenmal über den Atlantik fuhr ...«

»Schon einige Jahrhunderte vorher, old man«, verbesserte ihn sein Partner.

»Meinetwegen auch noch fünfhundert Jahre vorher. Spranger.« Kelly stäubte ein paar Kalkflecken von seinem Rock ab. »Aber als Wohnung sind mir unsere Wolkenkratzer in New York doch lieber. Da gibt's wenigstens einen vernünftigen Lift ...«

Auch die Bemerkungen Kellys konnten indes nichts an der Tatsache ändern, daß die Streife bisher ergebnislos verlaufen war.

»Es bleiben uns noch die Keller«, gab Reinhard als Parole aus. »Es ist die letzte Möglichkeit.«

Hintereinander gingen sie die steile Wendelstiege hinab. Als die Fenster aufhörten, ließ Reinhard eine starke Taschenlampe aufflammen. Am unteren Ende der Treppe führte ein enger Flur vorbei.

»Da geht es zu den Laboratoriumskellern«, erklärte Eisenlohr, »den anderen Zugang zu ihnen habe ich gesperrt. Nach der anderen Seite hier endet der Gang blind.«

»Sehen wir uns erst mal das blinde Ende an«, entschied Reinhard. Ein Dutzend Schritte weiter hatte er es erreicht und leuchtete die Wände ab.

»Hier ist ja eine Tür?« fragte er Eisenlohr.

»Die ist verschlossen. Sie ist seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet werden. Meine Vorgänger hatten schon den Schlüssel verloren«, erwiderte Eisenlohr.

» Dammie! Was für ein klobiges Ding!« meinte Kelly beim Anblick der mächtigen Eichenbohlen zu Spranger.

Reinhard bückte sich und leuchtete das Schlüsselloch ab. »Das Schloß ist kürzlich neu geölt worden«, sagte er, als er sich wiederaufrichtete, zu Eisenlohr.

»Ich wüßte nicht, wer das getan haben könnte«, meinte der achselzuckend. »Ohne Schlüssel hätte es auch nur wenig Zweck.«

»Wer das gemacht hat, der wird wohl auch einen Schlüssel gehabt haben, Herr Doktor.« Während Reinhard es sagte, suchte er in seinen Taschen, holte ein blankes, stählernes Instrument heraus, fingerte und stellte daran und schob es dann in das Schlüsselloch. Der Stahlhaken faßte den Schloßriegel und schob ihn zurück. Die Tür ging auf. Sie standen am Anfang des unterirdischen Ganges.

»Romantisch! Mächtig romantisch!« brummte Kelly, als sie ihn nun betraten. Reinhard mit seiner Lampe ging voran. Eisenlohr, der ebenfalls eine Taschenlampe bei sich hatte, beschloß den Zug. Die vier anderen zwischen ihnen mußten alle Aufmerksamkeit aufwenden, um in der unsicheren Beleuchtung nicht zu Fall zu kommen. Schon wurde in der Ferne ein Lichtpunkt, das andere Ende des Ganges, sichtbar, als Reinhard plötzlich stehenblieb. Er bückte sich, hob etwas Weißes auf und brachte es in den Lichtkegel seiner Lampe. Es war ein Taschentuch mit den Initialen P.H.

»Zwecklos, weiter zu suchen!« rief er Eisenlohr zu. »Der Mann ist längst über alle Berge, durch diesen Gang hier ist er entkommen.«

Er drehte sich um und wollte zurückgehen, aber die anderen waren dagegen. »Der Wissenschaft halber«, wie Professor Braun sich ausdrückte, wollten sie den Gang bis zum Ende verfolgen. Wenige Minuten später standen sie in einem Waldgebüsch.

»Hier hat Ihr Topf ein Loch, Herr Doktor«, sagte Reinhard zu Eisenlohr. Der schlug sich an die Stirn und schwieg. Er wußte darauf nichts zu erwidern.

»Fassen werden wir den Jungen doch!« tröstete Reinhard. »Über die Grenze kommt er nicht, dafür ist gesorgt.«

Während sie einem Waldpfad folgten, um zum Burgtor zu gelangen, berichtete er Eisenlohr, wie er auf die Spur Percy Hartfords gekommen war. Eine Schlafwagenkarte in Paris, auf den Namen »Professor Hartford« ausgeschrieben, hatte den ersten Anhalt gegeben. Von Frankfurt an wurde die Spur undeutlich – Hartford war mit einem Lokalzug weitergefahren –, aber in Ihlefeld fanden Reinhards Leute sie wieder; geradeswegs in das Hotel »Zum Hohen Stein« führte sie, wo Hartford mit Dr. Bruck zusammenkam. Da war es nicht mehr schwer, den Wagenführer ausfindig zu machen, der den Amerikaner zur Eulenburg gefahren hatte. Aber diese letzte Meldung erhielt Reinhard erst bei der Landung auf dem Flugplatz in Ihlefeld. So war es ihm unmöglich gewesen, schon unterwegs den Draht spielen zu lassen, und Percy Hartford konnte ihnen durch diesen unterirdischen Gang doch noch einmal entkommen.

Eisenlohr und Reinhard waren während ihres Gespräches etwas langsamer gegangen und ein ziemliches Stück hinter den vier anderen zurückgeblieben.

»Sie haben bei Ihrem Unternehmen Pech gehabt, Herr Hauptmann«, meinte Eisenlohr, als Reinhard mit seinem Bericht zu Ende war.

Der machte eine wegwerfende Bewegung.

»Eine nebensächliche Affäre, Herr Doktor. Ich bin nicht vier Wochen in Paris gewesen, um einen kleinen Gauner zu fangen. Wenn wir ihn fassen, ist's schön, wenn er uns entwischt, ist's noch so. Mir kam es ganz gut zupasse, um einen plausiblen Vorwand für meinen Aufenthalt in Frankreich zu haben.«

»So, so! Das ist nicht uninteressant!« Eisenlohr blieb stehen. »Ich will mich nicht in Ihre Geheimnisse drängen, Herr Hauptmann – nur die eine Frage möchte ich mir erlauben: Hatten Sie bei Ihren andern Sachen mehr Glück?«

»Ich hatte es, Herr Doktor. Während ich offiziell in Paris hinter den Herren Bigot und Hartford her war, konnte ich ungestört und unbeargwöhnt Verhandlungen führen und ein Abkommen vorbereiten. Zu guter Letzt hat mir Mister Percy Hartford mit seiner Flucht nach Deutschland noch einen ungewollten Dienst erwiesen. Was war natürlicher und selbstverständlicher, als daß ich ein Flugzeug charterte, um ihm nachzueilen? Daß ich die in Paris bereits paraphierten Abmachungen auf diesem Flug mitnahm, blieb einer gewissen, unseren Verhandlungen und Bestrebungen abgeneigten Stelle verborgen, und das war gut so, Herr Doktor.«

»Also kann man Ihnen trotz Ihres Mißerfolges hier doch gratulieren, Herr Reinhard?«

Reinhard schüttelte die Rechte, die Eisenlohr ihm reichte.

»Sie können es, Herr Doktor. In einer Stunde werde ich weiterfahren, um diese Dokumente«, er deutete auf seine Brusttasche, »an die zuständige Stelle zu bringen. Ich bin überzeugt, daß man dort mit mir zufrieden sein wird.« –

» By Jove, was ist das hier?«

Kelly stellte die Frage, als sie an jene Stelle des Weges kamen, an der das Strahlpulver Eisenlohrs eine riesige Vegetation erzeugt hatte.

»Unglaublich, Spranger!« Staunend betrachtete Kelly die weit über mannshohen Stauden und den Graswuchs, der fast an eine indische Dschungel gemahnte.

»Wachstumsstrahlung, Mister Kelly«, gab ihm Holthoff die Erklärung. »Sie haben hier eins unserer ersten Versuchsfelder vor sich; der Boden wurde weder besonders bearbeitet noch gedüngt. Wir beschränkten uns darauf, über die hier vorhandene Waldflora einfach eine bestimmte Menge jenes strahlenden Pulvers auszustreuen, von dem Sie wohl bereits gehört haben.«

Wie in einer schmerzlichen Erinnerung griff sich Kelly an den Mund. »Ich kenne das Zeug, Doktor! Habe es selber ein paar Tage in meinen Zähnen gehabt und dankte meinem Gott, als ich es wieder los war. Aber daß es solche Wirkungen haben könnte?! Wie ist das nur möglich?«

»Die Strahlung macht es, Mister Kelly«, mischte sich Professor Braun ein. »Wir sind eben dabei, sie zu analysieren. Die strahlende Isotope, die wir hier gestreut haben, sendet außer der schon früher bekannten mitogenetischen Strahlung auch noch multiple Harmonische aus ...«

»Brrr!« Kelly schüttelte sich, als ob er einen schlechten Schnaps getrunken hätte. »Verschonen Sie mich mit Ihren Fremdwörtern, Professor! Es genügt mir, wenn Sie sagen, daß die Strahlung das Wunder geschafft hat.«

»Aber die wissenschaftliche Erklärung, Mister Kelly! Wir sind jetzt dabei, festzustellen, welche Komponenten der Strahlung die Zelltätigkeit anregen«, versuchte Braun zu widersprechen.

»Stellen Sie es in Gottes Namen fest und werden Sie glücklich damit, Professor!« wehrte Kelly ab. »Ich bin kein Wissenschaftler, sondern ein Mann der Praxis. Mich interessiert etwas anderes. Vor allen Dingen die Frage: Wird der Boden durch das gesteigerte Wachstum nicht verhältnismäßig schnell ausgesaugt? Das zu wissen wäre für unsere Farmbetriebe in USA wichtig.«

»Nicht mehr, als es in der Natur der Dinge liegt«, erwiderte Braun diplomatisch.

»Was soll das heißen?« fragte Kelly ungeduldig. Holthoff hielt es für angebracht, dem Professor zu Hilfe zu kommen. »Selbstverständlich beansprucht das stärkere Wachstum auch den Boden stärker«, erläuterte er Brauns Worte, »aber es schließt ihn auch besser auf. Sie dürfen nicht vergessen, Mister Kelly, daß dem Riesenwuchs, den Sie hier vor Augen haben, ein entsprechendes Wachstum der Wurzeln unter der Erde entspricht. Der Acker wird dadurch viel kräftiger und viel weitgehender aufgeschlossen. Wir sind nach den bisherigen Versuchen zu der Ansicht gekommen, daß die Nachteile, die Sie eben andeuteten, nicht zu befürchten sind.«

Noch andere Fragen stellte Kelly, und abwechselnd gaben ihm Holthoff und Braun Auskunft, die ihn zufriedenstellten.

»Man sollte es jedenfalls in USA versuchen«, sagte er eben, als Eisenlohr und Reinhard wieder hinzukamen.

»Sie werden noch überzeugter sein, Mister Kelly, wenn Sie unsere Versuchsfelder sehen, die wir auf gedüngtem Boden angelegt haben«, sagte Eisenlohr zu ihm. »Da hat das Strahlpulver noch viel stärker gewirkt als hier auf dem unaufgebrochenen Land.«

»Wir werden sehen, Herr Doktor«, meinte Kelly. »Ich glaube, wir werden auch gründen«, fügte er leise und nur für Spranger vernehmbar hinzu. –

Noch eine kurze Strecke ging die Wanderung weiter durch den Wald, dann erreichten sie den Burgweg und kamen vor das geschlossene Tor.

»Die Zugbrücke ist aufgezogen. Wer läßt sie herunter, Herr Doktor?« fragte Reinhard.

»Einen Augenblick, Herr Hauptmann!« Eisenlohr ging vom Weg ab seitwärts in den Wald. Noch bevor er zurückkehrte, kam Bewegung in die eiserne Sperre. Dröhnend rollten die Schiebetore zurück. Der Eingang zum Burghof lag frei.

Reinhard lehnte die Einladung Eisenlohrs zu einem Imbiß ab. Ein kurzer Abschied, ein Händedruck, und er ließ den Motor seines Wagens anspringen. –

Merklich fiel die Abenddämmerung ein, als die anderen den Speiseraum betraten. Eisenlohr griff zum Haustelephon und sprach mit der Küche und gab Befehl, aufzutragen.

»Ich begreife nicht, daß Michelmann noch nicht zurück ist«, wandte er sich an Holthoff, während der erste Gang serviert wurde. Holthoff zuckte die Achseln. »Er wird irgendeinen Aufenthalt gehabt haben, Herr Eisenlohr. Hoffentlich keine Panne.«

»Ausgeschlossen, Holthoff. Michelmann weiß mit dem Wagen Bescheid. Weiß der Teufel, was er wieder in Ihlefeld zu kramen hat! Nun, das soll uns nicht weiter stören.«

In der Tat hatte das alte Faktotum sich in Ihlefeld auf ein Unterfangen eingelassen, von dem weder Eisenlohr noch Holthoff etwas ahnen konnten. Michelmann hatte seine Besorgungen erledigt. Eben trat er aus einem Geschäft auf dem Alten Markt heraus, als er gegenüber der Post das Auto vom Flugplatz halten sah. Nur wenige Personen stiegen aus.

Die meisten schienen ein festes Ziel zu haben; einige wandten sich dem Hotel »Zum Hohen Stein« zu, andere gingen auf der Straße weiter. Nur einer der Fahrgäste blieb stehen und sah sich suchend um, als ob er jemand erwartete. Michelmann konnte beobachten, wie er erst einen Passanten ansprach, eine kurze Weile mit dem redete und dann über den Markt hinweg auf ihn selbst lossteuerte. Er hatte hinreichend Zeit, den Näherkommenden gründlich zu mustern, einen hochgewachsenen Mann, der einen kurzgestutzten Schnurrbart und eine Brille trug.

Sieht ja auch stark nach Amerika aus, dachte sich der Alte und fand seine Vermutung bestätigt, als ihn der Fremde in einem gebrochenen Deutsch mit unverkennbar amerikanischem Tonfall fragte, ob das der bestellte Wagen nach der Eulenburg wäre. Von einem bestellten Wagen war Michelmann nichts bekannt.

»Unbegreiflich!« entrüstete sich der Amerikaner. »Ich habe Herrn Doktor Eisenlohr gestern geschrieben, daß ich heute käme.«

Auch von einem Brief wußte Michelmann nichts und konnte davon nichts wissen, denn jenes Schreiben befand sich noch in den Händen der Post, weil es mit der Eisenbahn gereist war. Der Absender, der das Flugzeug benutzte, hatte seinen Brief überholt und war schneller ans Ziel gekommen.

»Wir erwarten niemand auf der Eulenburg«, erwiderte Michelmann abweisend, »Herr Doktor Eisenlohr hätte es mir bestimmt gesagt, wenn – –«

»Aber doch erwartet er mich!« unterbrach ihn der Amerikaner und hielt es an der Zeit, sich bekannt zu machen. »Ich bin Professor Hartford aus Schenektady. Den Namen haben Sie vielleicht schon gehört.«

In Michelmanns altem Kopf begann es zu arbeiten. Hartford ... Professor Hartford ... war ja schon längst auf der Eulenburg, aber was hatte er, Michelmann, noch kurz vor seiner Abfahrt gehört? Ein anderer, ein Schwindler, sollte auf denselben Namen reisen. Ein guter Zufall, daß der Bursche gerade ihm in die Hände lief, den wollte er schon richtig bedienen. Während er noch stand und einen Plan überlegte, sprach der andere weiter:

»Herr Doktor Eisenlohr wird es Ihnen danken, wenn Sie mich jetzt schleunigst zu ihm bringen.«

Michelmann war mit seinen Überlegungen zu einem Schluß gekommen.

»Ich werde Sie hinbringen.« Er öffnete die Tür seines Wagens. »Steigen Sie bitte ein, Herr Professor!« Er zog das Wort »Professor« dabei auffallend in die Länge.

Crazy, old fellow! dachte der Amerikaner, während er im Wagen Platz nahm. Michelmann setzte sich ans Steuer und fuhr los. –

Die Mahlzeit auf der Eulenburg ging ihrem Ende zu. Schon beim Braten drehte sich das Gespräch zwischen Kelly und Eisenlohr um die Gründung einer Radiating Powder Company. Abwartend und zurückhaltend hatte sich Kelly zunächst den Ausführungen Eisenlohrs gegenüber verhalten. Als aber der Doktor einen eigenen Plan zu entwickeln begann, in dem viele jener Ideen enthalten waren, die vierundzwanzig Stunden früher Mr. Percy Hartford an demselben Tisch vorgetragen hatte, begann James Kelly Feuer zu fangen.

Der Gedanke, andere amerikanische Bankengruppen hinzuzuziehen, zu denen Eisenlohr nach seinen eigenen Äußerungen ziemlich enge Beziehungen zu haben schien, war Kelly im höchsten Grade unsympathisch. Allzu viele und allzu starke Partner liebte er bei seinen Geschäften nicht. Entschloß er sich zu einer Transaktion, so übernahm er ohne Zögern das volle Risiko, aber ebenso bestimmt verlangte er auch einen entsprechenden Gewinnanteil.

»Ich denke, wir brauchen alle diese Leute nicht«, widersprach er den Vorschlägen Eisenlohrs. »Wir werden das besser allein machen.« Und nun entwickelte er, von Spranger unterstützt, seinen eigenen Plan, dessen Vorzügen sich Eisenlohr nicht verschließen konnte.

Hin und her flogen Rede und Gegenrede, wobei Professor Braun und Dr. Holthoff stumme Zuhörer blieben. Noch kühner als Percy Hartford jonglierte James Kelly mit Millionen, so daß Professor Braun es kopfschüttelnd aufgab, seinen Ausführungen zu folgen. Im Handumdrehen stellte der Amerikaner einen Finanzierungsplan und ein Arbeitsprogramm auf, die auch schärfster Kritik standhielten.

William Spranger, der die Gepflogenheiten seines Partners kannte, zog einen Schreibblock aus der Tasche und schob ihn ihm hin. In wenigen Minuten bedeckten sich die Seiten unter der Hand Kellys mit Namen amerikanischer Emissionshäuser und mit Zahlen. Beträge von Aktien und Vorzugsaktien wurden notiert. Schon zauberte der Bleistift in Kellys Hand auch das Direktorium und einen Verwaltungsrat für die künftige Gesellschaft auf das Papier. Dann lehnte sich Kelly in seinen Sessel zurück.

»Ich denke, so werden wir's machen, Gentlemen«, erklärte er kategorisch. »Morgen sehe ich mir noch Ihre anderen Versuchsfelder an. Dann machen wir hier einen Vorvertrag. In der kommenden Woche können wir in New York gründen.«

Eisenlohr hatte die Aufzeichnungen Kellys aufgenommen und las sie noch einmal durch.

»Einverstanden, Mister Kelly«, sagte er, während er sie wieder hinlegte. »Nur eine Kleinigkeit noch: Ich dachte daran, auch Professor Hartford aus Schenektady mit in den Verwaltungsrat zu nehmen. Er hat auf einem ähnlichen Gebiet gearbeitet wie wir und könnte uns in mancher Beziehung nützlich sein.«

»Hartford? ... Schenektady? Meinetwegen, Herr Doktor, wenn Sie besonderen Wert darauf legen.«

Kelly notierte den Namen auf einem der Blätter, als es kräftig an der Tür pochte. Im nächsten Augenblick wurde sie aufgerissen; einigermaßen außer Atem und ersichtlich aufgeregt kam das alte Faktotum herein.

»Was wollen Sie, Michelmann?« Eisenlohr warf ihm einen unwilligen Blick zu.

»Wir haben ihn, Herr Doktor!«

»Wen haben Sie, Michelmann?«

»Den Schwindler, Herr Doktor! Den falschen Professor Hartford. Direkt in die Hände ist mir der Gauner gelaufen.«

»Den falschen Professor Hartford? Ist doch kaum möglich, Michelmann«, sagte Eisenlohr zweifelnd.

»Doch, Herr Doktor! Er ist's. Aus dem Alten Markt in Ihlefeld habe ich ihn erwischt.«

»Kann ich mir nicht denken. Er wird sich schwer hüten, wieder nach Ihlefeld zu gehen«, meinte Eisenlohr immer noch ungläubig; aber William Spranger widersprach ihm:

»Warum sollte es nicht möglich sein, Jonny? Jeder Gauner macht mal eine Dummheit. War natürlich Spezialpech, daß er Michelmann in die Hände laufen mußte. Wo haben Sie den Burschen, old man?«

»Unten im Wagen auf dem Hofe, Mister Spranger.«

»Hoffentlich ist der famose Kollege nicht schon wieder weggelaufen!« brummte Professor Braun dazwischen.

»Kann er nicht. Dafür ist gesorgt«, sagte Michelmann und zog ein verschmitztes Gesicht.

»Also gehen wir mal 'runter und sehen uns den Kerl an«, entschied Kelly und stand auf. Die übrigen folgten seinem Beispiel und eilten über die große Treppe nach unten. Lärm schlug ihnen entgegen, als sie die Tür zum Burghof öffneten. Stimmengewirr ... in gebrochenem Deutsch ein empörter Protest gegen Freiheitsberaubung ... Frechheit, Unverschämtheit! Andere Rufe dazwischen, die beruhigend wirken sollten und nur noch mehr Öl ins Feuer gossen.

Als erster eilte Eisenlohr auf den Wagen zu, aus dem der Krach herkam. Er wollte die Tür aufreißen, als sie schon von selbst aufsprang. Von einem kräftigen Faustschlag getroffen, flog ein Mensch, in dem Eisenlohr einen seiner Waldarbeiter erkannte, heraus und rollte ihm vor die Füße. Im nächsten Augenblick tauchte der Kopf von James Hartford in der Türöffnung auf. Mit einem kräftigen Stoß warf er einen zweiten Mann, der ihn zurückhalten wollte, zur Seite und sprang aus dem Wagen ins Freie.

»Verdammt!« knurrte er wütend und ließ, wahrend er sich bemühte, seine bei der Balgerei mitgenommene Kleidung wieder in Ordnung zu bringen, noch eine Reihe unmißverständlicher Bemerkungen über »verfluchte Idioten« und »blöde Mikrozephalen« vom Stapel, die ihm in seiner Heimat sicherlich eine Anklage wegen »Verwendung unordentlicher Redensarten« eingetragen haben würden. Dann sah er William Spranger und ging auf ihn zu, fragte, immer noch entrüstet: »Bin ich hier in ein Irrenhaus geraten, Mister Spranger?« –

Es bedurfte verschiedener Minuten, bis Spranger den Aufgebrachten einigermaßen beruhigen und über die Verwechslung aufklären konnte, deren Opfer er geworden war. Verständnislos zunächst hörte der amerikanische Professor den Namen Percy Hartford von Spranger. Als er aber endlich begriff, was eigentlich geschehen war, daß sein verflossener Laborant hier an seiner Statt aufgetreten war und Leute wie Dr. Eisenlohr und Professor Braun tagelang hinters Licht geführt hatte, da stellte er sich hin und lachte, daß es von den Burgwänden zurück laut über den weiten Hof hallte. Ein befreiendes Lachen war es, aller Ärger und Verdruß, der eben noch aus James Hartfords Mienen sprach, löste sich in diesem Gelächter auf.

Ob der Kerl seine Rolle wenigstens gut gespielt hätte, war das erste, was Professor Hartford wissen wollte, als er wieder zu Atem kam.

»Schade, daß der Boy auf die falsche Seite gefallen ist!« meinte er, als er die Lobsprüche hörte, die den schauspielerischen Talenten seines Namensvetters von den Bewohnern der Eulenburg gezollt wurden. »Er hätte es wirklich verdient, auf einen Lehrstuhl für höheren Humbug berufen zu werden.«

Seine Bemerkung löste erneute Heiterkeit aus, an der sich nur zwei nicht beteiligten: Braun, der immer noch nicht darüber hinwegkam, daß er einem falschen Professor aufsitzen konnte, und Michelmann, der wie ein betrübter Lohgerber aussah. Jetzt traf sich sein Blick mit dem von Holthoff. Schuldbewußt schlug das alte Faktotum die Augen nieder.

Der Doktor trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Sie sind ein altes Kamel, Michelmann«, sagte er. »Aber Sie können nichts dafür; so etwas ist oft angeboren«, fügte er tröstend hinzu. –

Am nächsten Morgen war Professor Hartford nicht von den Karbidöfen fortzubringen. Den geschlagenen Vormittag steckte er mit Dr. Holthoff im Keller und ließ sich alles bis ins letzte erklären, während Eisenlohr sowie Kelly und Spranger in der strahlenden Septembersonne über die Versuchsfelder wanderten. Am Nachmittag schlossen sie einen Vorvertrag.

Acht Tage später gründete die Firma Kelly & Company in New York die »American Radiating Powder Company«. Im Laufe von vierundzwanzig Stunden war das Aktienkapital der neuen Gesellschaft zweimal überzeichnet. Professor James Hartford hatte sich bereit erklärt, in ihren Verwaltungsrat einzutreten.

* * *

Am Waldhang stand Eisenlohr und sah zu, wie sich unter den Händen geschickter Werkleute ein schimmernder Bau in Glas und Eisen über dem Teich zu wölben begann. Tief hing die Sonne bereits im Westen, als er sich fortwandte, um zur Burg zurückzukehren.

In voller Kraft noch fielen ihre Strahlen zur gleichen Stunde auf die schäumenden stürzenden Fluten des Niagara. Sie brachen sich in den strömenden Wirbeln und beleuchteten auch die mächtigen Betonfundamente des ersten Werkes der Radiating Powder Company, das dort zwischen den Uferfelsen aus dem Boden wuchs.

In Hadlow am rechten Ufer des Lorenzstromes gegenüber der Stadt Quebec betrat ungefähr zur gleichen Zeit Monsieur François den Parlour-Room einer bescheidenen Cottage und sagte:

»Eine bedauerliche Neuigkeit, Monsieur Bigot: Vor einer Stunde habe ich am Hafen Monsieur Hartford gesehen.«

»Wir gehen nach Montreal, François«, entschied sich Bigot eine Minute später.

»Ich möchte es Monsieur auch empfehlen«, sagte François. »Für uns drei wäre Quebec zu klein.«



Cover Image

Lebensstrahlen," Gebrüder-Weiß-Verlag, Berlin-Schöneberg, 1950


ENDE