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OSKAR HOFFMANN

KÖNIG MAMMON

Cover

RGL e-Book Cover
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EINE MODERNE ADEPTENGESCHICHTE


Ex Libris

Dies E-Buch-Ausgabe:

Roy Glashan's Library, 2025
Version von 2025-10-07

Erstellt von Matthias Kaether und Roy Glashan

Textquelle:

Phantastiches Novellen, Nachdruck der der erstmals
zwischen 1900 und 1912 erschienenen Erzählungen

Herausgeber
Dieter von Reeken,
Brüder-Grimm-Straße 10,
21337 Lüneburg
www.dieter-von-reeken.de

2. Auflage 2019

Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

Alle von RGL hinzugefügte Inhalte sind urheberrechtlich geschützt

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Illustration

Titelbildgestaltung: Dieter von Reeken


König Mammon

Eine moderne Adeptengeschichte

Mit drei Illustrationen von N.N.

Veröffentlicht in:

Illustration

›Welt und Wissen‹
Herausgegeben von Georg Temps. Berlin:
Neuer Allgemeiner Verlag, 1. Jg., Bd. 1, o.J. [1912],
mehrfarbiger Einbanddeckel mit Sphinx-Motiv.


Illustration

›Welt und Wissen‹
Herausgegeben von Georg Temps. Berlin:
Neuer Allgemeiner Verlag, 1. Jg., Bd. 1, o.J. [1912],
S.I (unpaginiert) des Inhaltsverzeichnisses›


Illustration

Oskar Hoffmann: "König Mammon. Eine moderne Adeptengeschichte."
In: ›Welt und Wissen‹. Berlin: Neuer Allgemeiner Verlag, 1. Jg.,
Bd. 1., o.J. [1912], S. 71 (Beginn des ersten Teils der Erzählung)


Im Frühling des Jahres 18-- war es, als durch die Zeitungen das Gerücht ging, daß ein Chemiker mit völlig unbekanntem Namen, der seiner Abstammung nach ein Russe war, dem wichtigen Geheimnis der Herstellung künstlichen Goldes endlich auf die Spur gekommen sei. Diese durch die ganze Welt flatternde Nachricht entlockte anfangs natürlich vielen ein Lächeln. Den Vertretern der Wissenschaft erschien die Skrupellosigkeit, mit der die Schriftleiter der Tageszeitungen dieser utopischen Mitteilung die Spalten ihrer Organe öffneten, geradezu unbegreiflich. Anfangs fand also die sensationell aufgebauschte Nachricht von der Herstellung künstlichen Goldes in weiteren Kreisen der Gebildeten keine besondere Beachtung; wäre dieselbe gerade am 1. April aufgetaucht, so hätte sicher niemand daran gezweifelt, daß es sich hier um einen regelrechten Aprilscherz handele.

Die, welche den Zeitungsberichten über das Kunstgold Glauben zu schenken geneigt waren, entstammten den Kreisen derer, die mit einer guten Dosis Leichtgläubigkeit behaftet waren. Als dann aber die Goldmacherei der Leserwelt immer wieder neu aufgetischt wurde, und die Zeitungen nicht ermüdeten, allerlei über den Adepten in Erfahrung gebrachte Einzelheiten zu veröffentlichen, da fingen auch weniger leichtgläubige Leute an, sich mit der Sache zu beschäftigen, und begannen sogar Perspektiven für die Zukunft zu ziehen, falls sich die Lösung des großen Problems wider alles Erwarten als wahr erweisen sollte.

Nachdem die Gemüter so erregt waren, befaßte sich schließlich auch die Gelehrtenschaft ein wenig mit der Angelegenheit, trotz ihrer Abneigung gegen Dinge, die ihrer Meinung nach ins Reich der Fabel, der Utopie gehörten. Berühmte Chemiker und Physiker prüften das, was über die Goldherstellung in wissenschaftlicher Hinsicht verlautet war, und bestritten dann auf das entschiedenste, daß das Problem gelöst sei; sie behaupteten sogar schlankweg, daß ein Spaßvogel die Welt nur mystifiziere.

Trotzdem wollte die Angelegenheit nicht zum Schweigen kommen. Bald tauchten hier, bald dort neue Berichte über die geheimnisvolle Person des Weltbeglückers, wie der Alchemist bereits überall genannt wurde, auf. Als dann ein amerikanischer Gelehrter, ein berühmter Chemiker, auf den Plan trat und die Lösung des Problems der Herstellung künstlichen Goldes gar nicht für so utopistisch hielt, da beschlossen die Regierungen der Großstaaten, den Dingen einmal näher auf den Grund zu gehen. Im geheimen trug sich jede bereits mit dem Gedanken, falls etwas Wahres an der alle Welt in Aufregung versetzenden Sache sein sollte, den Entdecker für ihre Zwecke zu gewinnen. Die Lösung des gewaltigen Problems war ja von so weittragender Bedeutung, daß der Staat, der das Glück hatte, den Erfinder des Kunstgoldes innerhalb seiner Grenzen zu bergen, oder ihn als Untertan zu betrachten, für alle Zeiten diejenige Großmacht wurde, die die ganze Welt beherrschen mußte. Dieser Gedanke wurde zweifellos von jeder Regierung erwogen, zuvörderst natürlich ganz im stillen, denn es wollte sich, wenn sich die Goldmacherei schließlich doch als Humbug entpuppte, kein Staat ins Endlose blamieren, zum anderen aber wollte jeder der erste sein, der das so unendlich wichtige Geheimnis in die Hände bekam, um dann sofort allen und jeden Nutzen daraus zu ziehen.

Weil also eine große Umwälzung möglicherweise in Aussicht stand, so hielten es alle Herrscher und ihre Minister für geraten, Augen und Ohren ständig offenzuhalten und auf ihrer Hut zu sein.

Über die Person des Alchemisten suchte man Klarheit zu bekommen; bislang verlautete immer nur, daß er im Süden Europas lebe. Eines Tages brachten die »Times«, die tonangebende Zeitung im Staate John Bulls, folgenden Artikel in ihren Spalten:


»Der langgesuchte Erfinder des ›Kunstgoldes‹ soll, wie unser Korrespondent ermittelt hat, in der Nähe Venedigs leben. Wie verlautet, ist er von Beruf ein Fabrikchemiker und aus Rußland gebürtig. Daß sich sein Goldprodukt als eine ungeheuerliche Mystifikation herausstellen wird, davon sind wir im voraus überzeugt.«


Auch der Name des Erfinders war inzwischen ermittelt worden. In Treviso, einem kleinen Orte Oberitaliens, hatte sich seit einiger Zeit ein Russe namens Nikitin niedergelassen, von dem man nicht wußte, was er trieb.

Eines Morgens erschienen in der Wohnung dieses Mannes einige Herren, die sich als Regierungskommissare auswiesen.

Nikitin war auf die Ankunft der drei Herren vorbereitet; er hatte bereits ein längeres, durch einen Kurier überbrachtes, vielfach versiegeltes Schreiben aus dem Geheimen Kabinett des Königs von Italien erhalten, worin ihm aufgegeben wurde, der an ihn entsandten Regierungskommission Angaben über seine Erfindung zu machen. Nikitin hatte aber keine Lust, sich von den hohen Herren in die Karten sehen zu lassen; es hatte ihn schon geärgert, daß mehr, als ihm lieb war, von seiner Entdeckung in die Öffentlichkeit gedrungen war. Er selbst hatte außer seinem Freunde und Mitarbeiter niemand etwas von der Sache erzählt. Letzterer hatte es aber nicht über sich gewinnen können, längere Zeit hindurch reinen Mund zu halten. Er war freilich nicht mit den Einzelheiten der Entdeckung bekannt gewesen, und das wenige, was ihm Nikitin mitgeteilt hatte, betraf nur ganz allgemeines über die Möglichkeit, Gold künstlich herzustellen. Aber dieses wenige konnte der Freund des Alchemisten auf die Dauer nicht für sich behalten, es schien fast, als hätte er es für seine Pflicht gehalten, der Welt das unendlich wichtige Geheimnis auszuplaudern.

Antoni, wie der Vertraute Nikitins hieß, war bedeutend jünger als sein Freund, er zählte noch nicht dreißig Jahre. Von Beruf Ingenieur, war er durch Zufall mit Nikitin, der sich sonst von jedem Verkehr fernhielt, bekannt geworden. Der Chemiker hatte ihm von vornherein ein gewisses Vertrauen entgegengebracht und war nun recht erbittert darüber, daß Antoni dieses so wenig zu schätzen gewußt hatte.

Nikitin hatte sich mit seinem Freunde deshalb nicht gerade überworfen, aber er hütete sich wohlweislich, ihm noch weitere Mitteilung betreffs der Goldfabrikation zu machen. Doch was Antoni an weiteren Einzelheiten über die welterschütternde Entdeckung der neugierigen Menschheit nicht anzugeben vermochte, das taten müßige Hirne, welche die haarsträubenden Hypothesen, auf Grund deren die Goldmacherei möglich sein sollte, ersannen, die dann sofort aller Welt brühwarm aufgetischt wurden.

Beim Eintreffen der erwähnten Regierungskommission war Nikitin gerade in seinem Laboratorium und eben dabei, neue Goldproben, die er am Tage zuvor durch seine chemischphysikalische Methode gewonnen hatte, einer wiederholten Analyse zu unterziehen.

Die Haushälterin, Signora Tittoni, meldete die in der zehnten Morgenstunde eingetroffenen Herren an.

Nikitin, obwohl hierauf vorbereitet, war ärgerlich, mitten in seiner Arbeit gestört zu werden. Er erhob sich und bescheidete die Signora dahin, daß sie die Ankömmlinge in das Nebengemach führen solle.

Mit sich selbst im unklaren, wie er seinen Besuch empfangen solle, ob es geraten sei, nachdem sein Geheimnis schon halb der Welt bekannt war, noch weitere Details preiszugeben, betrat Nikitin das Gemach, in welchem drei Männer mit ungeheurer Spannung seiner warteten.

Als die Türangeln knarrten und die Gestalt des Adepten auf der Schwelle des Gemachs sichtbar wurde, sprangen die Besucher von ihren Sitzen auf. Sie schienen drei echte Gläubige zu sein, die keinen Augenblick an der Entdeckung, welche Nikitin gemacht hatte, zweifeln mochten, und aus diesem Grunde in dem Manne, der jetzt vor ihnen stand, den leibhaftigen Gott Mammon zu sehen wähnten.

»Signor Nikitin ...«, begann der Regierungskommissar mit einer tiefen Verbeugung, wobei er mit seiner Nase fast an die Ecke der nächsten Stuhllehne gestoßen hätte.

Die Bücklinge der beiden anderen gaben an Ähnlichkeit dem des Sprechers nicht um ein Haar nach. Zwar hatte der Gelehrte, den die Regierung mitentsandt und der eine Kapazität auf dem Gebiete der Chemie war, bisher keine Gelegenheit gehabt, die Entdeckung seines vor ihm stehenden Kollegen ihrem Werte nach zu prüfen, trotzdem hielt auch er es für angebracht, in so respektvoller Weise als möglich zu dienern.

»Ich heiße die Herren willkommen. Nehmen Sie Platz!« Mit diesen Worten ließ sich auch Nikitin auf einen Stuhl nieder. »Ich weiß, was mir die Ehre des Besuches verschafft. Die Herren sind mit einer wichtigen Mission betraut. Glauben Sie wirklich, daß ich das große Problem, Gold künstlich herzustellen, gelöst habe?« Nikitin sah die Kommission mit forschendem Blicke an. Sein Auge hatte dabei etwas von dem undefinierbaren mystischen Ausdruck, wie er Leuten eigen ist, die sich mit Geheimnistuerei umspinnen.

Die Mitglieder der Kommission sahen bei dieser Anrede einander fragend an. Sollte die ausposaunte Entdeckung doch eine Mystifikation sein? — —

»Schenken Sie, meine Herren, den Nachrichten, welche jetzt die Zeitungen der Welt durchflattern, rückhaltlos Glauben? Sind die sensationellen Berichte der Reporter Evangelium für Sie?«

Abermals ein verdutztes Sichanschauen der drei Besucher.


Illustration

»Ich sehe, Sie stecken nach meinen jetzigen Äußerungen bis über die Ohren im Zweifel«, fuhr Nikitin fort, und keine Miene in seinem Gesicht verriet, daß er innerlich froh war, in der Kommission berechtigte Zweifel erweckt zu haben. Es lag durchaus nicht in seiner Absicht, die Leute hier, überhaupt die ganze Menschheit, jetzt schon mit der von ihm tatsächlich gemachten Entdeckung bekannt, geschweige denn gar mit den Einzelheiten derselben vertraut zu machen. Deshalb war es sein Bestreben, die Sache als eine Mystifikation darzustellen, welche sich ein Spaßvogel zu erlauben gewagt hatte.

Eine Staatsregierung zu düpieren, das war doch ein starkes Stück. — So mochten wohl in diesem Augenblicke die entsandten Kommissare denken; sie fühlten sich schon halb und halb in ihrer Würde als Vertreter der Regierung gekränkt, als Nikitin durch eine unvorsichtige Äußerung den Glauben der drei an die Wahrheit der Sache schnell wieder aufrichtete.

»Wenn ich nun der Lösung des Problems, wie Sie annehmen, doch auf die Spur gekommen sein sollte, was hätten Sie mir da in bezug auf Ihre Mission mitzuteilen? — — — Entschuldigen Sie, daß ich so neugierig bin.«

»Signor Nikitin«, versetzte der Kommissar, »im Auftrage der italienischen Regierung sind wir gekommen, nicht sowohl die Lösung des Problems zu prüfen, als auch Ihnen Angebote betreffs des Ankaufs der Entdeckung unter Verpflichtung des Verschweigens gegen andere an Sie herantretende Staaten zu machen.«

»Was Sie mir da sagen, das hat einen lieblichen Klang, und ich wünschte, ich wäre in der Lage, mit Ihnen in Verhandlung treten zu können«, erwiderte der Russe.

»Wie hoch bewerten Sie Ihre Erfindung?« fragte der Kommissar unvermittelt weiter, und sein Blick heftete sich an die Lippen des Gefragten.

Als Nikitin jetzt drei Paar ungeheuer neugierig schauende Augen auf sich gerichtet sah, beschloß er, auf die Sache scherzeshalber einzugehen.

»Hm — —« kam es von seinen Lippen, und ein verdächtiges Blinzeln seiner Augen wurde bemerkbar. Es zu deuten war unmöglich. »Signor Oriola, Sie treten mit dem Kaufpreis an mich heran, geradeso als wenn es sich hier um die Bewertung irgendeines beliebigen Dinges handelte.«

»Es ist die Frage der Regierung, welche ich, wie es mir die Mission auferlegt, als erste anschneide. Ich bitte nochmals, mir die Pauschalsumme zu nennen, welche Sie von der Regierung fordern, wenn Sie die Entdeckung mit allen Rechten an uns abtreten«, versetzte der Kommissar.

Nikitin versank einen Augenblick in Nachdenken.

»Hundert Millionen Lire«, sagte er dann mit Nachdruck und schien schon im voraus zu wissen, welche Wirkung die Nennung einer solchen fabelhaften Summe auf die Kommission ausüben werde.

Wie drei abgeschossene Pfeile schnellten die würdigen Besucher von ihren Sitzen auf und starrten ihr kaltlächelnd dreinschauendes Visavis an. Das Entsetzen über die geforderte Summe war anfänglich größer als die sich unmittelbar darauf platzmachende Verwunderung über den Mann, der eine solche im Bereiche des Fabelhaften liegende Summe gelassen aussprach, als wenn es sich um einen Bagatellbetrag handelte.

»Hundert Millionen Lire — — —« klang es aus dem Munde der wie Salzsäulen dastehenden Männer.

»Hundert Millionen Lire und keinen Centesimi weniger«, wiederholte Nikitin.

Als sich die Verblüfftheit der Antragsteller etwas gelegt hatte, notierte sich Signor Oriola, der Kommissar, die Summe.

»Die zweite Frage erlaube ich mir zu stellen«, begann jetzt der Gelehrte, welcher als Vertreter der Wissenschaft der Kommission beigeordnet war.

»Lassen Sie dieselbe hören«, erwiderte Nikitin gelassen.

»Auf welcher Methode fußt die Lösung des Problems?«

»Ich könnte es meinem Gewissen gegenüber nicht verantworten, wenn ich gegen mich selbst indiskret wäre«, gab der Russe zur Antwort.

»Vor dem Verkauf der Erfindung müßte doch natürlich die Methode, nach welcher Sie arbeiten, der Regierung bekanntgegeben werden, damit wir dieselbe auf ihre Richtigkeit hin wissenschaftlich zu prüfen vermögen. Signor Nikitin, geben Sie uns wenigstens einige Andeutungen, in welchen Geleisen sich Ihre Methode bewegt.«

»Bedaure, auch damit nicht dienen zu können«, lautete die Antwort.

»Ja, aber ...«

»Sie verhandeln hier in dem Glauben, daß die Lösung des Problems mir gelungen sei. Verzeihen Sie, aber ich habe Ihnen weder bestätigt, daß die Entdeckung meinerseits erfolgt ist, noch daß ich gewillt bin, überhaupt einen Handel diesbezüglich abzuschließen.«

»Sie sind Russe, Signor Nikitin?« nahm jetzt der Polizeidirektor als dritter das Wort.

Der Gefragte bestätigte dies.

»Würden Sie anstehen, der russischen Regierung Ihre Methode zu verkaufen, falls Sie von dieser Seite angegangen werden?«

»Aber, ich bemerkte doch schon einmal, daß von einem Handel bezüglich einer Entdeckung, die mir zugeschrieben wird, vorläufig nicht eher die Rede sein kann, als bis ich die Entdeckung tatsächlich gemacht habe«, erwiderte Nikitin trockenen Tones.

»Dann wäre unsere Mission zunächst natürlich beendet. Gestatten Sie, daß wir uns empfehlen?« Mit diesen Worten machte der Kommissar vor dem Russen eine Verbeugung und wandte sich dann zur Tür.

Seine Begleiter taten dasselbe.

In der Tür blieb Signor Oriola noch einmal stehen und sagte: »Also hundert Millionen Lire ...«

»Hundert Millionen Lire«, replizierte Nikitin und quittierte die letzte Äußerung des Kommissars mit einem verbindlichen Lächeln.

Dann verließ der respektable Besuch das Gemach, und die Signora des Hauses geleitete die Herren auf die Straße. Auf die Frage des Polizeidirektors an die Hausgenossin Nikitins, ob sie schon künstliches Gold zu Gesicht bekommen hätte, erwiderte die Gefragte, daß die roten Metallstücke im Laboratorium ein täuschend ähnliches Goldaussehen hätten. Über weitere Fragen vermochte sie keinerlei Auskunft zu geben.

So zog denn die Kommission unverrichteter Dinge von dannen.

Kaum hatte sich Nikitin wieder in sein Laboratorium begeben, als von verschiedenen Seiten Depeschen eintrafen.

Staatsregierungen, amerikanische Krösusse und andere hochgestellte Leute, welche die Adresse des Erfinders herausbekommen hatten, buhlten in ihren Telegrammen um die Gunst Nikitins.

Jetzt erst kam es dem genialen Manne so recht zum Bewußtsein, welchen unermeßlichen Wert seine Entdeckung eigentlich repräsentierte. Hatte er sie noch vor wenigen Minuten mit 100 Millionen Lire scherzeshalber bewertet, so griff nun die volle Überzeugung bei ihm Platz, daß die Höhe dieser Summe eigentlich gar nicht so fabelhaft war in Erwägung dessen, daß er als Ergründer des großen Geheimnisses jetzt die Geschicke aller Staaten und Völker in den Händen hatte.

Dieser Gedanke, der ihm bislang nicht zum Bewußtsein gekommen war, berauschte ihn fast. Hatte er sich nicht auf einmal zum Herrn der ganzen Welt aufgeschwungen?

Wie ein Fieber überkam es Nikitin. Ein geistiger Taumel ergriff ihn. Er, den die Menschen bisher immer so über die Achsel angesehen hatten, der sich jahrelang abgequält, sein bescheidenes Dasein zu fristen, und so viele Unbill über sich ergehen lassen mußte, war urplötzlich mächtiger als alle Kaiser und Könige der Erde. Der Gedanke war in seinem vollen Umfange gar nicht auszudenken, er sprengte fast das Hirn Nikitins.

Der Tag schien gekommen, wo er Rache nehmen konnte an denen, die sein Leben bisher so verbittert hatten. Die Hiebe der russischen Knute, welche ihre unverwischbaren Spuren auf seinem Rücken zurückgelassen hatten, vermochte er nun mit Zinseszinsen zurückzugeben.

Nikitin ging wie ein Berauschter ins Laboratorium, um seine Arbeit, in der er durch das Erscheinen der Kommission gestört worden war, wieder aufzunehmen. Die Analysen, welche ihn jetzt beschäftigten, sollten ihn überzeugen, daß er tatsächlich am Ziele seiner alchemistischen Experimente war, daß das auf chemischphysikalischem Wege von ihm künstlich hergestellte goldfarbige Metallpulver, welches in einer Anzahl Häufchen auf dem Tische lag, echtes, pures Gold war.

Obgleich Nikitin auf Grund der Analysen, die doch eine Probe aufs Exempel waren, nicht mehr daran zu zweifeln brauchte, daß das große Problem von ihm gelöst war, konnte er sich doch nicht des ihn immer wieder peinigenden Gedankens erwehren, daß das Produkt seiner Arbeit möglicherweise nicht in aller und jeder Beziehung der Natur des echten Goldes entsprach. Dieser fortwährende Zweifel und anderseits der berauschende Gedanke, daß ihm nun die Welt gehören sollte, durchtobten und erschlafften den Mann in einer Weise, daß er, als der Abend herannahte, schon frühzeitig sein Lager aufsuchen mußte.

In einem Halbschlafe verbrachte Nikitin die nächste Nacht. Allerlei wahnwitzige Bilder umgaukelten seine erregten Sinne. Er warf smaragdbesetzte Königskronen achtlos von sich, wie jemand Kieselsteine beiseite wirft. Er setzte den Fuß auf den Nacken von Fürsten, die es nicht verschmähten, vor ihm, um seine Gunst bettelnd, im Staube zu knieen. Er sah, wie sich die ganze Menschheit um ihn scharte. Auf sein Geheiß schöpften Legionen Menschen ganze Meere aus. Und noch viele solcher phantasiestrotzender Bilder zogen kaleidoskopartig vor seinem traumbefangenen Geiste vorbei.

Erschöpfter als am Abend, wachte Nikitin am folgenden Morgen in Schweiß gebadet auf.

Schon harrte seiner in aller Herrgottsfrühe eine Anzahl Briefe, Depeschen und Besucher.

Letztere hatten sich vor dem Hause postiert und warteten bereits seit dem ersten Morgengrauen, einige sogar schon seit Mitternacht des Augenblicks, wo sich die Tür des Hauses öffnen würde.

Es war unglaublich, wer im Laufe des Tages alles um eine Audienz bat. Zumeist waren es Besitzer großer Kapitalien, Vertreter von bedeutenden Banken, überhaupt Menschen, welche durch die ungeheuerliche Entdeckung berechtigten Grund hatten, sich vor dieser zu fürchten; alle diese Leute erschraken wohl vor dem Gedanken, daß nun aller Voraussicht nach eine völlige Entwertung des Goldes eintreten könnte, wodurch sie sich dann um nichts von den Ärmsten unterscheiden würden.

Nikitin fertigte die Leute mehr oder weniger kurzerhand ab, indem er ihnen bedeutete, daß er keine Zeit habe, Besuche zu empfangen, die in dem Glauben seien, er hätte den Stein der Weisen gefunden.

Nachdem sich Nikitin so die Leute vom Halse geschüttelt hatte, unternahm er einen Spaziergang ins Freie, um die kühle Morgenluft auf sein brennendes Hirn einwirken zu lassen.

So weit er sich auch von seinem Wohnorte entfernte und durch die umliegenden Wiesen und Felder streifte, bemerkte er doch immer, was sonst nie der Fall gewesen war, daß seinen Spuren unausgesetzt Männer folgten. Bald tauchte hier, bald dort einer vor oder hinter ihm auf, die sich anscheinend nicht um ihn kümmerten, trotzdem aber Nikitin unausgesetzt im Auge behielten.

Es war nicht zu verkennen, der Chemiker fühlte sich beobachtet. Das verleidete ihm den Spaziergang, weshalb er wieder seine Schritte heimwärts lenkte. Für ihn unterlag es bereits keinem Zweifel mehr, daß die ihn verfolgenden Gestalten Geheimpolizisten und Detektive waren, wahrscheinlich von der italienischen Regierung beauftragt, auf ihn, den Goldvogel, Obacht zu haben, damit er nicht aus dem Lande flöge und der Beglücker einer anderen Nation würde.

Bereits mehr und mehr empfand er jetzt die Schattenseiten, welche seine geniale Entdeckung nach sich zog.

Daheim angekommen, harrte seiner wieder die Kommission, welche er am Tage zuvor schon einmal empfangen hatte. Ehe Nikitin sich in das Gemach begab, wo die Abgesandten der Regierung, die wahrscheinlich neue telegraphische Order von Rom erhalten hatten, auf sein Erscheinen warteten, durchflog er die Briefe und Telegramme, welche zu Dutzenden im Verlaufe der letzten Stunde eingetroffen waren.

Unter den Schriftstücken befanden sich als wichtigste für ihn Angebote der russischen und englischen Regierung, welche beide von einem eigenen Handschreiben ihrer Monarchen begleitet waren. Nachdem der Chemiker sie gelesen hatte, empfing er die Kommission.

Wieder trug die Begrüßung seitens der Besucher den Stempel tiefster Ergebenheit. Trotzdem Nikitin am vergangenen Tage den Mitgliedern der Kommission durch seine Äußerungen Zweifel betreffs der ihm zugeschriebenen Entdeckung eingeimpft hatte, schien sich der Glaube an die Sache wieder gestärkt zu haben.

»Habe ich nochmals die Ehre und das Vergnügen, die Herren vor mir zu sehen?« fragte Nikitin.

Die drei Besucher wiederholten ihre devote, stumme Verbeugung, nur daß diese noch einige Zoll tiefer als zuvor war.

Dann begann der Sprecher der Kommission: »Signor Nikitin, die Regierung unseres Landes ist bereit, sofern Sie uns überzeugen, daß Sie imstande sind, Gold künstlich so herzustellen, daß es chemisch wie physikalisch die Eigenschaften aufweist, welche dem Naturgolde eigen sind, die von Ihnen geforderte Summe zu zahlen.«

Nach den Worten des Kommissars sah Nikitin wieder drei Paar Augen lauernd auf sich gerichtet.

Nachdem nun einmal alles soweit gediehen war, daß die Menschen sich von dem Glauben an seine Entdeckung nicht abbringen ließen, und daß die Landesregierung ihn so eifersüchtig durch Kriminalbeamte bewachen ließ, da faßte er den schnellen Entschluß, jetzt Farbe zu bekennen, nur um vor den ihn umflatternden Vampyren Ruhe zu bekommen.

»Forderte ich gestern hundert Millionen Lire?« fragte Nikitin.

»Sehr wohl«, antwortete der Kommissar. »Freilich haben wir so viel gemünztes Gold nicht im Lande; wir werden den Betrag in Raten innerhalb fünf Jahren an Sie auszahlen.«

»Wie nun, wenn mir von anderer Seite viel größere Versprechen gemacht worden sind?« fragte Nikitin.

»Wir wissen, daß Ihnen seitens der englischen und russischen Regierung hohe Anerbieten vorliegen«, versetzte der Sprecher der Kommission.

»Wie — wer hat Sie darüber unterrichtet?«

»Unsere Regierung hat sich in Anbetracht der ungeheuren Wichtigkeit der Sache genötigt gesehen, alle die für Sie eingehenden Postsendungen und Depeschen aus dem Auslande einer behördlichen Zensur zu unterwerfen.«

»Ah ...« entrang es sich den Lippen des Russen.

»Sie werden mit der festgesetzten Kaufsumme zufrieden sein?« ließ sich der Kommissar weiter vernehmen.

Nikitin überlegte einen Augenblick.

»Wenn ich es nun nicht bin?«

»Sie werden es sein müssen.«

»Wer könnte mich dazu zwingen?«

»Der Staat, in dem Sie leben.«

»Ein Staat, dessen Untertan ich gar nicht bin?«

»Danach wird man in diesem Falle höheren Ortes nicht fragen«, lautete die Antwort.

Die entsandte Kommission schien von Rom aus energische Order erhalten zu haben, den Vogel keineswegs entschlüpfen zu lassen.

»Man will mich also zwingen ...« versetzte Nikitin und trat einen Schritt zurück. »Ich bin Russe ...«

»Ich dächte, Signor Nikitin«, fiel der Kommissar dem Chemiker in die Rede, »daß Sie keinen allzugroßen Wert auf Ihre Nationalität zu legen brauchen.«

»Warum?« fragte jener zurück.

»Nun, die Erinnerung an Ihre Heimat dürfte, soweit wir etwas über Ihr Vorleben in Erfahrung gebracht haben, in Ihnen nicht gerade die angenehmsten Gefühle wachrufen. Sie haben doch allen Grund, der russischen Regierung zu grollen.«

»Das habe ich«, erwiderte Nikitin. »Trotzdem aber verleugne ich meine Heimat durchaus nicht und trage mich mit der Absicht, meine Entdeckung Rußland zugute kommen zu lassen.«

»Das ist ausgeschlossen. Solange Sie sich in den Grenzen unseres Landes befinden, werden Sie sich dem Willen der italienischen Regierung in allen Punkten fügen müssen, ob Sie wollen oder nicht.«

»Das wird sich finden, mein Herr. Sie können mich nicht zwingen, daß ich Sie mit den Einzelheiten meiner Entdeckung bekannt mache«, meinte Nikitin.

»Sie weigern sich also, auf den Vorschlag der Regierung einzugehen und im Anschluß daran der wissenschaftlichen Kommission Ihre Methode bekannt zu geben?«

»Ja!« lautete die bestimmte Antwort des Russen, der nicht geneigt war, sich irgendwelchem Zwange zu unterwerfen.

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes Wort.«

»So werden Sie die Folgen zu tragen haben. Signor Nikitin — wir empfehlen uns.«

Die Kommission verließ darauf das Zimmer, und Nikitin schaute ihr mit sehr gemischten Gefühlen nach. Schon bereute er und wollte die Herren zurückrufen, da bäumte sich aber sein Stolz in ihm auf; nein, er wollte sich nicht zwingen lassen.

Daß er unklug gehandelt hatte, zeigten schon die nächsten Stunden. Im Verlaufe derselben erschienen in Begleitung von zehn Polizeibeamten der Bürgermeister des Ortes sowie eine Abordnung der Gerichtsbehörde. Nikitin wurde nun veranlaßt, den Beamten die Räumlichkeiten seines Hauses, vor allem aber sein Laboratorium zu zeigen. Sogar eine Durchsuchung seiner Sachen und Papiere mußte er dulden. Ja, man ging noch weiter, indem man ihm erklärte, daß er so lange mit Hausarrest belegt würde, bis er sich den Wünschen der Staatsregierung und des Königs fügen werde.

So empört Nikitin über das Vorgehen gegen seine Person war, so konnte er doch nichts tun und war gezwungen, die Beamten selbst in sein Allerheiligstes zu führen.

Hier, im Laboratorium, kamen so mancherlei Dinge zum Vorschein, welche das höchste Interesse der durchsuchenden Beamten erweckten. Vor allem waren es die Goldpulverhäufchen, von denen Proben entnommen wurden.

In der Werkstätte eines großen Falschmünzers hätte keine genauere Durchsuchung und keine schärfere Protokollaufnahme stattfinden können, als in dem Laboratorium des genialen Adepten.

Auf eine Frage der die Haussuchung leitenden Gerichtsperson, nach welchem Verfahren Nikitin Gold künstlich herzustellen imstande sei, erklärte der Gefragte, daß er nicht die geringste Neigung verspüre, dies jemandem auseinanderzusetzen.

Die Hartnäckigkeit des Russen war nicht zu besiegen, wenngleich ihm auch angedeutet wurde, daß er nun gewärtig sein müßte, daß ihm der Prozeß als Falschmünzer gemacht werde.

Nachdem die Beamten sich unter Versiegelung vieler Gegenstände, welche sich im Laboratorium befanden, entfernt hatten, hing Nikitin seinen Gedanken nach.

Darin wurde er aber bald durch seinen Freund Antoni, welcher soeben behördlicherseits über alles, was die Entdeckung des Russen anbetraf, eingehend vernommen worden war, gestört.

»Du hast mich in eine angenehme Situation gebracht«, fuhr Nikitin auf, als er den Ankömmling sah.

»Wieso?« fragte jener.

»Wer hieß dich meine Entdeckung der Welt auszuplaudern, ehe ich selbst es für geraten hielt?«

»Was soll die Geheimnistuerei?« erwiderte der andere gelassen.

»Und wenn ich nicht will, so erfährt keine Seele mein Geheimnis«, erwiderte Nikitin grimmigen Tones. »Auch Signora Tittoni hat sich gemüßigt gefühlt, über meine Angelegenheiten zu plaudern. — Ich werde reinen Tisch machen.« — — — »Signora!« rief der Russe, nachdem er die Tür zum Flur geöffnet hatte.

Die Gerufene erschien.

»Signora Tittoni ... Signor Antoni, ich bitte Sie beide, mein Haus zu verlassen, wir sind geschiedene Leute.«

Mit diesen Worten verließ Nikitin das Gemach, ohne die Zurückbleibenden noch eines Blickes zu würdigen.

* * *

Eine Woche war seit jenen Vorfällen vergangen, und Nikitin hatte inzwischen seine Wohnung mit dem Gerichtsgefängnisse vertauschen müssen. Die Regierung schien mit der äußersten Strenge gegen den Mann vorgehen zu wollen, der nach der Meinung von Sachverständigen kein genialer Entdecker, sondern ein raffinierter Falschmünzer war, der es verstand, ein goldähnliches Produkt zu gewinnen, das nur bei strengster Stichprobe sich als ein minderwertiges Falschmetall erwies.

Der kommende Tag, dem die ganze Kulturwelt mit der größten Spannung entgegensah, sollte den Beginn des Prozesses gegen Nikitin bringen.


Illustration

Der Russe schien in Anbetracht der ganzen Sachlage, jetzt, nachdem eine ganze Anzahl Gelehrter chemische und physikalische Analysen seines Goldproduktes gemacht hatten, beinahe selbst Zweifel an seiner Entdeckung zu hegen. Er fühlte sich wie ein aus allen Himmeln Gestürzter.

Wie kam es nur, daß seine Analysen, die er doch mit allerpeinlichster Sorgfalt vorgenommen hatte, von denen der Sachverständigen abwichen? — Er hatte kein echtes Gold, sondern nur ein gefahrbringendes Falschmetall erzeugt — nein, das vermochte er nicht auszudenken.

Nach reiflicher Überlegung unter Erwägung aller Umstände kam Nikitin, kurz zuvor, ehe ihm der Prozeß wegen Falschmünzerei gemacht werden sollte, zu dem Entschluß, volles Licht in die Sache zu bringen, seine mühsam erklügelte Methode zur Lösung des Problems der Menschheit preiszugeben, immer noch von der schwachen Hoffnung beseelt, daß sich die Sachverständigen und nicht er bei den Analysen geirrt hätten.

Der Prozeß begann. Nikitin saß auf der Anklagebank und harrte erregt der Dinge, die da kommen sollten.

»Meine Herren!« begann der Vorsitzende des Gerichtshofes, indem er die Verhandlung eröffnete. »Ehe wir in punkto Anklage gegen Signor Nikitin eintreten, richte ich an denselben zunächst das Ersuchen, wahrheitsgemäß und klar zu berichten, welcher Art seine Arbeiten zum Zwecke der Lösung des Problems der Herstellung künstlichen Goldes waren. Es kommt jetzt voll und ganz auf die Aussage an, um die Anklage aufrechtzuerhalten oder sie wieder fallen zu lassen. — Peter Nikitin«, fuhr der Präsident, zu dem Angeklagten sich wendend, in seiner Rede fort; »was haben Sie uns über Ihre vermeintliche Entdeckung zu sagen? — Ich bitte die Herren Sachverständigen, welche hier geladen sind, genau auf die Angaben des Angeklagten zu achten, und ich gestatte ihnen, wo sie es für angebracht halten, dem Angeklagten mit Fragen und Einwendungen in die Rede zu fallen. — Peter Nikitin, erheben Sie sich und statten Sie uns jetzt einen wahrheitsgetreuen Bericht ab!«

Im Sitzungssaale herrschte eine atemlose Stille. Auf den Tribünen, welche von zahlreichen Neugierigen dicht besetzt waren, unter denen sich auch viele Berichterstatter von Zeitungen des In- und Auslandes befanden, wagte sich niemand zu rühren, jedermann war ängstlich, es könne ihm auch nur ein Wort aus dem Munde des berühmten Angeklagten entgehen.

Nikitin begann: »Was ich über meine Entdeckung zu sagen habe, läßt sich mit wenigen Worten darlegen. Zunächst will ich vorausschicken, daß es mein ehrliches Bestreben gewesen ist, der Welt und der Wissenschaft einen Dienst zu leisten. Das Problem des Goldmachens beschäftigt mich schon seit vielen Jahren. Mein Beruf als Chemiker ist mir stets heilig gewesen, und ich wollte ihn persönlich durch eine Tat verherrlichen. Entweder ist mir nun das, was ich alles erstrebt habe, gelungen, oder ich habe Jahre eifrigsten Studiums und mühseligen Experimentierens zwecklos verschwendet. — Um mich nun kurz zu fassen und gleich auf den Kernpunkt meiner Methode zu sprechen zu kommen, berichte ich folgendes: Der von mir eingeschlagene Weg beruht in der Hauptsache auf der Lehre von den Atomgewichten.«

Hier wurde der Sprecher durch ein lautes »Ah!«, welches den Lippen der Sachverständigen entschlüpfte, unterbrochen.

»Bekanntlich besitzt jedes Element ein gewisses Atomgewicht. Auf Grund dieses Gewichtes gruppieren wir Chemiker die Elemente, von denen es bekanntlich über 70 gibt, in Klassen, und zwar so, daß alle Elemente, deren Atomgewichte nahe beieinander liegen, jedesmal bis zu einer Zahlengrenze eine Familie bilden. So gehören beispielsweise die Elemente Blei, Quecksilber und Thallium zu einer Gruppe, deren Atomgewichte über 200 liegen; Sauerstoff, Wasserstoff, Lithium, Beryllium und Stickstoff zur Klasse derer, welche die niedrigsten Atomgewichte aufweisen ... Kurz gesagt, jeder Urstoff rangiert in eine bestimmte Kategorie. Ich gehe nun von der Idee aus, daß, wenn man einen Stoff herstellen könnte, dessen Atomgewicht dem des Goldes entspricht, das also gleich 197 ist, so muß man zweifellos ein dem natürlichen Golde in jeder Beziehung entsprechendes Produkt erhalten. Ich habe nun auf dieser angenommenen Basis experimentiert und durch Vermischung zweier Stoffe, deren Atomgewichte zusammensummiert genau 197 Einheiten betragen, ein Metallpulver erhalten, das meiner wiederholten analytischen Untersuchung zufolge echtes Gold sein muß ...«

Hier wurde Nikitin unterbrochen.

»Wir haben nicht nur eine chemische, sondern auch eine physikalische Analyse vorgenommen und gefunden, daß die letztere untrüglich erwies, daß das künstliche Gold andere Merkmale aufweist, als das natürliche«, warf einer der Sachverständigen ein. »So verhält sich das Kunstprodukt dem Magnetismus gegenüber anders als wie das echte Gold. Ferner zeigt es auch eine verschiedene Leitungsfähigkeit für den elektrischen Strom ... Alles wichtige Merkmale, sehr wichtige Merkmale.«

»Wenn das der Fall ist«, fuhr der Angeklagte fort, und seine Stimme zitterte merklich, »so kann das Atomgewicht meines Kunstproduktes auch nicht 197 betragen.«

»Wir haben das Gewicht geprüft und den Wert 197 dafür gefunden«, erwiderte hierauf der Sachverständige.

»Auf einen winzigen Bruchteil das Gewicht festzustellen, das ist keinem möglich. Schon, wenn es statt 197 nur 196 und ???/1000 beträgt, ist das Produkt kein dem Golde völlig identisches. So wird die Sache bei mir liegen, wenn die physikalischen Analysen der Herren Sachverständigen stimmen. Meine jahrelange Arbeit war also vergeblich gewesen ... ich bin nicht zu dem heißersehnten Ziele gelangt.« Mit diesen Worten schloß Nikitin seinen Bericht.

Die, welche hier über den unglücklichen Mann zu Gericht saßen, schienen mit dem aller seiner Hoffnungen Beraubten Mitleid zu haben.

Der Vorsitzende des Gerichtshofes ergriff jetzt wieder das Wort. »Signor Nikitin, da gegen Sie die Anklage wegen Falschmünzerei erhoben ist, so können wir Sie, so sehr wir Ihrem Berichte vollen Glauben beimessen, doch noch nicht freisprechen, sondern müssen Sie auch weiterhin in Haft behalten, bis sich Ihre Unschuld völlig erwiesen hat und Ihre vermeintliche Entdeckung als nichtig erkannt worden ist.«

Nikitin erwiderte nichts. Ihm war es ja gleich, ob er jetzt, wo alle seine goldenen Träume zerronnen waren, in die Untersuchungshaft zurückging oder in seinem Heim sich in den trübseligsten Gedanken erging. So wanderte er denn dahin, wo er schon über eine Woche untergebracht worden war.

Als er dann nach einiger Zeit auf freien Fuß gestellt wurde, vergrub er sich in sein Laboratorium und wurde nur noch selten von den Nachbarn gesehen.

Als nun Nikitin zwecks Auslieferung an Rußland verhaftet werden sollte, da fand man den Unglücklichen als Irrsinnigen vor — — er hatte über das Fehlschlagen seiner Sache den Verstand verloren.


Illustration

--*--

ENDE


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