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OSKAR HOFFMANN
ALS FRED W. HAMILTON

YPSILONS GEFRORENE ELEKTRIZITÄT

Cover

RGL e-Book Cover
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DER ROMAN EINER PHANTASTISCHEN ERFINDUNG


Ex Libris

Dies E-Buch-Ausgabe:

Roy Glashan's Library, 2025
Version von 2025-10-08

Erstellt von Matthias Kaether und Roy Glashan

Textquelle:

Phantastiches Novellen, Nachdruck der der erstmals
zwischen 1900 und 1912 erschienenen Erzählungen

Herausgeber
Dieter von Reeken,
Brüder-Grimm-Straße 10,
21337 Lüneburg
www.dieter-von-reeken.de

2. Auflage 2019

Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

Alle von RGL hinzugefügte Inhalte sind urheberrechtlich geschützt

Link zu weiteren Werken dieses Autors


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Titelbildgestaltung: Dieter von Reeken

--*--

Oskar Hoffmann
als Fred W. Hamilton

Ypsilons gefrorene Elektrizität

Der Roman einer phantastischen Erfindung

INHALTSVERZEICHNIS

1. Kapitel.
Ypsilons Ideen und Gedanken

2. Kapitel.
Auf dem Follingbohöjden

3. Kapitel.
Die Meute der Spekulanten

4. Kapitel.
Eine abenteuerliche Nacht

5. Kapitel.
Das Ende des Elektrikers

--*--


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Fred W. Hamilton: Ypsilons Gefrorene Elektrizität.
Der Roman einer phantastischen Erfindung.
Berlin: Dr. Potthof & Co 1911: Einbanddeckel.


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Titelseite (S.1, unpaginiert).


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Beginn des ersten Kapitels (S.5, unpaginiert).

--*--

Erstes Kapitel
Ypsilons Ideen und Gedanken

Es gibt wunderliche Menschen auf der Welt, und es passieren zuweilen seltsame Dinge unter der Sonne. Es birgt der Erdkreis Geister allen Schlages: Alltagsmenschen, Narren, Phantasten und Gottbegnadete. Zu der letzten Kategorie gehören zweifellos auch die Sterblichen, denen es gelingt, den Schleier von den Geheimnissen der Natur zu lüften und den Rätseln der Weltschöpfung auf die Spur zu kommen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte sich in London ein Klub konstituiert, der sich »Liga der Geistesriesen« nannte und der in seine Mitte nur solche Personen aufnahm, die eine wissenschaftliche oder technische Großtat zu vollbringen gedachten und dazu auch geeignet waren, just wie der Held dieser Geschichte, der es verstanden, große Probleme zu lösen.

Dieser eigenartige Mann lebte in einem kleinen Orte im Nassauischen und nannte sich Simon Ellbogen. Unter diesen Namen kannten ihn aber nur seine Nachbarn, und die wenigsten hatten davon eine Ahnung, daß er noch unter einem Pseudonym eine zweite Existenz auf der Welt führte und als ein gewisser Doktor Ypsilon schon hier und da von sich reden gemacht hatte.

Doktor Ypsilon war nämlich der Verfasser eines seinem originellen Inhalt nach ganz verrückten Buches, das unlängst erschienen und den Titel »Ideen eines Grüblers« trug.

Hat der Leser schon einmal die Bekanntschaft eines Ideenjägers gemacht? — Doktor Ypsilon alias Ellbogen war einer von der krassesten Sorte, einer von denen, die in ihrem Hirn einen besonderen Winkel besaßen, aus dem heraus die seltsamsten Ideen krochen.

Wer Ypsilons Buch gelesen hatte, hielt dieses sicher für ein Sammelsurium von hirnverbrannten Gedanken, für die nur ein Phantast das rechte Verständnis haben könne.

So kam es denn, daß die »Ideen eines Grüblers« sich schon in der ersten Auflage ausgelebt hatten, und bald kein Mensch mehr einen Heller für die papierenen Gedanken eines Doktor Ypsilon verausgabte.

Wir wollen jetzt einmal der Lebensgeschichte unseres Helden nachgehen, die voll interessanter Momente und Begebenheiten ist und Zeugnis ablegt, wie kleine Ursachen große Wirkungen zur Folge haben können.

Das kleine Städtchen X. liegt in einer Gegend HessenNassaus, die noch heute so friedlich und beschaulich ist, wie in der guten alten Zeit, als die Postwagen über die ausgefahrenen Landstraßen rasselten und der »Schwager« sein Lied dazu blies. Die Kuppel des schlanken, ehrwürdigen Kirchturmes grüßt hinüber zu den Abhängen des unfernen schwarzblauen Westerwaldes, und die rotbedachten Ziegelhäuser, der freundliche Marktplatz mit seinem Brunnen und die sauberen Straßen erwecken in jedem Fremdling den Eindruck des Heimischen und Friedvollen.

In unmittelbarer Nähe dieses Städtchens befand sich das umfangreiche Landgut des Grafen von Holgen und dicht dabei ein altes, verwittert aussehendes Haus mit grün angestrichenen Fensterladen, das inmitten eines verwilderten Gartens stand. Zahlreiches Unkraut mit Mengen hochaufgeschossenen blühenden Mohnes wucherte auf dem Zugang zur Tür dieses Gebäudes. Hier war das Heim Simon Ellbogens, die Geburtsstätte der seltsamen Ideen eines Doktor Ypsilons.

Es war um die Zeit als der Sommer mit seiner vollen Sonnenglut einzusetzen begann. Wald und Wiese prangten im saftigsten Grün, und wohlig warme Lüfte strichen darüber hin.

Um Ellbogens Haus herrschte Einsamkeit, sein Besitzer liebte diese. Nicht oft geschah es, daß sich jemand aus der nahen Stadt auf den schmalen Weg verirrte, der am gräflichen Gutshof vorbei hierher führte. Desto häufiger aber konnte man Ellbogens Nachbar, den hochgeborenen Herrn von Holgen, auf diesem Pfad erblicken. Fast jeden Tag suchte der Graf den Einsiedler, den er scherzhaft einen Ideenjäger genannt hatte, auf, um mit diesem ein Stündchen in anregender Unterhaltung zu verplaudern.

Solches geschah auch heute, an einem Tage, den Ellbogen wegen eines neuen großen Gedankens als glücklich pries.

»Sie kommen mir gerade recht!« rief er dem Grafen entgegen, als er seiner ansichtig wurde. »Herr Graf, ich habe eine Idee geboren, just eben.«

»Wieder einmal ...« gab der Angeredete, ein in höheren Jahren stehender, würdig aussehender Herr, zur Antwort und lächelte fein dazu.

»Diesmal ist's ein fruchtbarer Gedanke,« fuhr Ellbogen fort und geleitete seinen Besucher in sein Arbeitszimmer, in welchem es recht merkwürdig aussah. Ein Gemach im Stil einer modernen Alchimistenstätte, deren viele ihrem Zwecke nach einem Uneingeweihten völlig unbekannten Geräte, jedem Beschauer zu denken gaben.

Simon Ellbogen setzte sich neben dem Grafen nieder und steckte eine Miene auf, als hätte er einen großen, großen Trumpf auszuspielen. Von Gestalt etwas untersetzt, bildete er einen Gegensatz zu dem hochgewachsenen Herrn von Holgen, auch war er um ein bedeutendes jünger als dieser und im Besitz eines prächtigen schwarzen Vollbartes, während der Graf bereits zu den stark Ergrauten zu rechnen war.

Ellbogen war auf dem Lande groß geworden. Als einziger Sohn eines vermögenden Bauern gelangte er nach dem frühen Tode seines Vaters zu Vermögen und konnte seinen Neigungen, die etwas eigener Art waren, fröhnen. Er besaß nämlich, trotz seiner mangelhaften Schulbildung, ausreichende Kenntnisse in der Physik und Chemie, die er sich durch eifriges Lesen nach und nach erworben hatte. Zu Hause nannte man ihn deshalb spöttisch den gelehrten Bauer. Späterhin hatte es ihn dann nicht mehr im Heimatsdorfe gelitten, und er war nach Berlin, dem Stapelplatz der Intelligenz und des Wissens, übergesiedelt. Hier hatte er die Menschen kennen gelernt, aber auch den Wert des Geldes. Erstere lernte er bald verachten, während der Mammon anfing ihn zu reizen. Dann vertiefte sich der gelehrte Bauernsohn in Studien, und als er glaubte, einen genügenden Grundstock des Wissens zu haben, drehte er der Weltstadt den Rücken und setzte sich hier hinten im Nassauischen fest, um in aller Ruhe und Stille irgend eine große, weltumkrempelnde Erfindung zu machen. An Gedanken fehlte es ihm nicht und den berühmten Amerikaner Edison einmal zu übertrumpfen, war ihm Lebensziel geworden.

Ellbogens neueste Idee gehörte ins Gebiet der Elektrizität und erschien im Prinzip geradezu absurd.

»Franklin entriß einst dem Himmel den Blitz,« sagte er im Gespräch mit seinem Nachbar, der eifrig den Ausführungen Ellbogens folgte.

»Stimmt!« versetzte der Graf. »Hier war aber die Möglichkeit auch gegeben.«

»An mir soll es jetzt sein, den Blitz in eine feste Form zu bringen, sobald ich ihn gefangen habe,« äußerte sich Ellbogen weiter.

Hätte diese Worte ein anderer als der Graf gehört, so würde der Betreffende den Sprecher derselben für geistesgestört gehalten haben. Doch von Holgen war an derartige absurde Ideen seines Nachbarn hinreichend gewöhnt und hatte dafür meistens ein Lächeln oder leise Zweifel und gelegentlich auch einen gelinden Spott übrig.

»Mein lieber Graf, verlachen Sie meine Ideen nicht bevor Sie dieselben kennen gelernt haben.«

»Ich wette mit Ihnen, Nachbar, daß Sie es nie und nimmer vermögen werden, mir einen regelrecht zu Eis erstarrten Blitzstrahl vor Augen zu führen.«

Simon Ellbogen schwieg für einen Moment.

»Sie werden Edison nie den Rang ablaufen,« fuhr der Graf fort.

»Topp! ich nehme Ihre Wette an!« versetzte darauf Ellbogen und reichte dem andern mit einer gewissen zur Schau getragenen Sicherheit seine Rechte. »Um was gilt's?«

»Bei der Wette laufe ich keine Gefahr sie zu verlieren, darum kommt es mir auf die Höhe der Summe nicht an. Ich möchte mich in dieser Hinsicht mehr nach Ihren Verhältnissen richten.«

Ellbogen zögerte für einige Augenblicke. Was dann, wenn seine Versuche, die ohnehin eine nette Summe Geldes verschlingen würden, fehlschlugen, und am Ende doch noch die Unausführbarkeit seiner phänomenalen Idee dartaten? In einem solchen Falle würde er sein halbes Vermögen eingebüßt und sich dabei noch zu einem gut Teil vor seinem Nachbar blamiert haben.

Der Graf bemerkte Ellbogens Zögern und rief: »Sehen Sie! Sie scheinen Ihrer Sache durchaus nicht sicher zu sein. Ihre famose Idee mit dem grandiosen Eisblitz wird zweifellos ewig nur in Ihrer Phantasie existieren.«

»Ich nehme die Wette an!« erwiderte Ellbogen nach weiterem kurzen Überlegen. »Ich will versuchen in Wirklichkeit umzusetzen, was ein Edison nicht einmal zu denken, geschweige gar auszuführen wagt.«

»Die Menschheit wird sich über Ihre gefrorenen Blitze sicherlich lustig machen, ehe sie dieselben in Figura zu Gesicht bekommt,« sagte Graf von Holgen.

»Meine Idee grenzt durchaus nicht an den Begriff Unmöglichkeit, sie verliert sich keineswegs ins Uferlose, wie Sie, werter Graf, annehmen.«

»Na, Sie verübeln es mir doch nicht, wenn ich in dieser Hinsicht mich vor Ihnen als ein großer Zweifler entpuppt habe?«

»Durchaus nicht ... übrigens ist meine Idee eine Doppelidee.«

Graf von Holgen horchte auf und wußte nicht, wie er das zu verstehen hatte.

»Was wollen Sie damit sagen?« frug er interessiert.

»Meine Idee kann gegebenenfalls, wenn sie sich in die Tat umsetzen läßt, zwei neue Weltwunder schaffen.« Bei diesen Worten schmunzelte Ellbogen und strich sich durch seinen leicht ergrauten Bart.

»Sie sprechen in Rätseln.«

»Durchaus nicht. — Gefrorene Elektrizität wäre das eine und festes Licht das andere Weltwunder.«

Die Wirkung der Worte war eine verblüffende. Der Graf traute seinen Ohren nicht, als Ellbogen von festem Licht sprach.

»Nachbar,« rief er, »wollen Sie hier Schildbürgerstückchen aufführen? Festes Licht? ... Hirngespinst?«

»Sagen Sie meinetwegen auch kristallisiertes Licht.«

Der Graf wußte nicht ob er herzhaft lachen oder mit seinem Nachbar Mitleid empfinden solle.

»Phantasien eines modernen Schildbürgers würde zweifellos jeder exakte Wissenschaftler sagen, wenn er von Ihren famosen Ideen erführe.«

»Glaub's schon,« meinte Ellbogen ernsthaft. »Aber man hat schon oft gewisse Dinge für größte Unmöglichkeiten gehalten und sie als Ausgeburten hirnverbrannter Phantasten bezeichnet. Meine Versuche werden mir ja bald greifbare Resultate geben ... dann sprechen wir uns wieder, lieber Graf.«

Das Gespräch drehte sich noch eine Weile um die seltsamen Produkte, mit denen ein simpler Mensch wie Ellbogen die Welt beglücken wollte. Dann verabschiedete sich der Graf und wünschte seinem Nachbarn lächelnd alles Glück.

Daheim erzählte Graf von Holgen den Seinen von Ellbogens verrückten Ideen.

»Der Arme wird geistig gelitten haben,« meinte mit einem Ausdruck tiefen Bedauerns die Frau des Hauses.

»Gefrorene Blitze ... das klingt wie amerikanischer Humbug,« sagte Irma, die Tochter des Hauses, und lachte so, daß schließlich auch ihr Vater mit einstimmte.

»Und bei der einen Unmöglichkeit läßt es der originelle Kauz nicht einmal bewenden, er will auch festes Licht fabrizieren,« erzählte der Graf weiter.

»Komplett überspannt,« rief die Frau Gräfin. »Man müßte eigentlich die Ortsbehörde aufmerksam machen. Der Mann könnte irgendwie Schaden anrichten.«

»Er ist harmlos,« entgegnete ihr Gemahl und durchmaß mit langen Schritten das Zimmer.

»Festes Licht ... na, das ist doch eine närrische Idee.«

»Er will es den Schildbürgern wohl nachmachen,« meinte Irma und wiegte sich vor Ergötzen über diese Dinge in einem Schaukelstuhl.

»Fixe Ideen,« — — murmelte der Graf.

»In Schilda fingen sie anno dazumal auch das Sonnenlicht in Säcken ein und trugen es in das fensterlose Rathaus,« ließ sich Irma höchst belustigt wieder vernehmen.

Von seiner eingegangenen Wette berichtete der Graf seinen Angehörigen nichts. Er würde ja dieselbe zweifellos gewinnen, das stand bei ihm fest, aber — man konnte vielleicht doch nicht wissen. In der Welt waren in letzter Zeit so unglaubliche Entdeckungen und Erfindungen gemacht worden, die niemand geahnt hatte, bis sie eben da waren. Der Nachbar war ein heller Kopf und erschien ihm durchaus nicht geistesgestört. Freilich, die Probleme, die er zu lösen gedachte, trugen den Stempel des völlig Unmöglichen.

— — Einige Tage nach diesen Vorgängen kursierte in dem Städtchen X., in dem der Held unserer Erzählung wohnte, das Gerücht, der sehr ehrenwerte Herr Ellbogen wäre geistig umnachtet und hätte sich in seinem Hause eingeschlossen. Auch von dem festen Licht und der gefrorenen Elektrizität war etwas unter die Leute gedrungen. Die hochwohlgeborene Frau Gräfin hatte es der Frau Amtmann und diese der Frau Bürgermeister in den Mund gelegt. So erfuhr das gestrenge Stadtoberhaupt von der eigentümlichen Angelegenheit.

»Wachtmeister!« sagte der Bürgermeister in seinem Amtszimmer zu dem ihm Rapport erstattenden Oberhaupt seiner Ortspolizei. »Gehen Sie mal den Dingen auf den Grund. Es ist wohl anzunehmen, daß bei Herrn Simon Ellbogen, dem Nachbar des Grafen nicht alles richtig ist. Der Mann scheint eine Geistesstörung erlitten zu haben. Er soll das unmöglichste Zeug schwatzen!«

»Zu Befehl, Herr Bürgermeister!« antwortete der in strammer Haltung vor dem Gestrengen stehende Polizeiwachtmeister.

»Zunächst fühlen Sie mal nur ... verstehen Sie. Machen Sie nicht einen Lapsus!« sprach der Gewaltige von X.

»Und wenn ich finde, daß der Mann ...« Der Polizist machte hierzu eine entsprechende Geste, indem er mit dem Zeigefinger an seine Stirn tippte. »Wenn der Mann nicht recht bei Sinnen ist, soll ich ...«

»Dann sollen Sie mir sofort Bericht darüber erstatten. Nun gehen Sie! Sie können übrigens bei Ihrem Besuch Herrn Ellbogen einen andern Zweck angeben, jedenfalls darf er nichts merken.«

»Zu Befehl, Herr Bürgermeister!« Der Wachtmeister drehte sich vorschriftsmäßig auf seinem rechten Stiefelabsatz, gab seinem wuchtigen Körper einen regelrechten militärischen Ruck und entfernte sich dann.

Eine halbe Stunde später stand der Vertreter der heiligen Hermandad vor Simon Ellbogens Haus und begehrte Einlaß, der ihm aber erst nach geraumer Weile gewährt wurde.

»Sind Sie Herr Simon Ellbogen?« frug die löbliche Ortspolizei in schnarrendem Amtston, als der Eigentümer des Hauses schließlich öffnete.

»Der bin ich ... haben Sie etwas auszurichten oder ...«

»Hm ... ich — ich komme in Katasterangelegenheiten. Das Haus ist doch wohl Ihr Grundstück?« frug der Wachtmeister, der sich als Grund seines Kommens im stillen etwas zurecht gelegt hatte.

»Allerdings,« versetzte Ellbogen.

»Betreiben Sie hier ein Gewerbe?«

»Ich ... nein.«

»Hm ... aber es heißt doch, daß Sie hier etwas fabrizieren.«

»Ich, nein.«

»Nanu!«

Jetzt blitzte Ellbogen der Gedanke durch den Kopf, daß von seinen Versuchen etwas bekannt geworden sein mußte; vielleicht durch den Grafen, der sich bewogen gefühlt hatte, einiges auszuplauschen.

»Sie sprachen vom Fabrizieren ... hm, allerdings beschäftige ich mich mit chemischelektrischen Versuchen,« antwortete Ellbogen und beschloß die neugierige Ortspolizei ein wenig zu hänseln.

»Was fabrizieren Sie?« frug der Wachtmeister und spitzte die Ohren.

»Licht,« gab Ellbogen zurück, ohne mit einer Miene zu zucken.

»Licht?« replizierte der Polizeigewaltige und schüttelte den Kopf.

»Licht!« tönte es nochmals an seine Ohren.

Der Vertreter der heiligen Hermandad schielte sein Visavis an, und es griff die Überzeugung bei ihm Platz, daß jener nicht ganz normal sei.

»Festes Licht, Herr Polizeiwachtmeister.«

Jetzt gilt es, das Gespräch fortzusetzen, dachte der Polizist, für den es nun ausgemachte Sache war, daß der andere nicht bei gesunden Sinnen war.

»Können Sie mir vielleicht etwas von Ihrem Fabrikat zeigen?« frug er dann nebenhin.

»Bitte, belieben Sie näher zu treten!«

Drinnen im Wohnzimmer präsentierte Ellbogen dem Wachtmeister ein Stück Kohle.

»Sehen Sie, das ist festes Licht,« sagte er mit feinem Lächeln.

»Eh! das ist doch Kohle!« entgegnete der Polizist und faßte sein Gegenüber ins Auge. Der Mann war irrsinnig, das stand jetzt bei ihm fest.

»Mein Lieber, verbrennen Sie doch einmal die Kohle. Sie wird dann eine Flamme geben ... na, das ist doch Licht.«

Diese Definition kapierte allerdings auch das beschränkteste Polizistengehirn.

»Kohle verbrennt, gibt eine leuchtende Flamme, ergo ist es festes Licht,« sagte in ironischem Tone Ellbogen und blinzelte lustig die hochlöbliche Ortspolizei an.

»Sie wollen mich wohl hier zum besten halten?« erwiderte der Wachtmeister und es begann in ihm zu gären.

»Nicht im geringsten. Haben Sie schon mal etwas von pulverisierter Elektrizität gehört? Meine Erfindung! Darf ich Ihnen eine Schaufel voll holen? Beim nächsten Gewitter können Sie mich gelegentlich mal besuchen, dann können Sie einen vereisten Blitz mit Muße betrachten.«

Ellbogen wollte noch weiter in der Tonart reden, um die Ortspolizei um ihr bißchen Verstand zu bringen, als der Wachtmeister sich mit einem undefinierbaren Blick eiligst erhob und erklärte, wegen der Katasterangelegenheit wiederkommen zu wollen. Und fort war er.

Ellbogen schmunzelte, verschloß seine Tür und blieb dann weiterhin für seine Mitbürger unsichtbar.

Nachdem der Wachtmeister Bericht erstattet hatte, war das Stadtoberhaupt unschlüssig, was in der Sache zu tun sei. Nach einer Diskussion mit den andern Stadtvätern beschloß man Herrn Ellbogen vorläufig ungeschoren zu lassen, da er nicht gemeingefährlich erschien. Somit blieb der Ideenjäger eine geraume Zeit ungestört, was ihm durchaus erwünscht war.

--*--

Zweites Kapitel
Auf dem Follingbohöjden

Auf den glasgrünen hochgehenden Wogen der sturmgepeitschten Ostsee schaukelte gleich einer Nußschale der Dampfkutter »Südstern«. Sein Kurs war von Kiel aus bisher immer ostwärts gerichtet, jetzt hatte er aber beigedreht und hielt sich nordwärts.

Sein scharfer Bug durchschnitt die weißgesäumten Wellenkämme, die ihren schaumigen Gisch fortgesetzt auf das Deck des Fahrzeuges warfen. Die Naturgewalten trieben hier ihr Spiel mit Menschenwerk und Menschengeschick.

Der »Südstern« besaß über Deck einen eigenartigen Aufbau, wie solchen kein Schiff aufwies. Zwischen Schornstein und Takelage erhob sich, noch weit über die Mastspitze emporragend und in der Form einem Obelisken ähnelnd, ein verschaltes Holzgestell, an dessen Spitze sich ein mächtiger, mit einer Anzahl metallener Stangen gespickter Eisenring befand. Von diesem aus liefen eine Menge Kabeltaue ins Innere des Holzbaues. Das war alles, was sich von dieser für ein Seeschiff absonderlichen Vorrichtung dem Auge bot.

»Wir kommen heute schlecht vom Fleck,« sagte eine in einem Ölmantel gehüllte Gestalt zu dem Kapitän des Kutters.

»Die Maschine gibt nicht mehr her,« versetzte der Gefragte und lugte aufmerksam achteraus.

»Schneckentempo — —« brummte der andere vor sich hin.

»Wir fahren schon mit der Höchstgeschwindigkeit,« entgegnete der Kapitän.

»13 Knoten?«

»15 läuft der Kutter jetzt. Mehr ist aus diesem Kasten nicht herauszuholen. Nach Seemannsbegriff ist das schon 'ne nette Leistung für einen Kutter.«

Der Mann in dem wassertriefenden Ölmantel trat jetzt dem Kapitän näher, sprach dann im Flüsterton zu ihm und sah sich dabei häufiger um, ob nicht etwa unberufene Ohren in der Nachbarschaft die Unterhaltung belauschten.

»Herr Kapitän, die Mannschaft ist so neugierig,« sagte der Mann im Ölmantel. »Fortgesetzt schleicht mir einer nach oder beobachtet mich aus der Ferne.«

»Herr Ellbogen, Sie können sich aller Besorgnisse in dieser Beziehung enthalten. Lassen Sie den Leuten das bißchen Neugier, Ihnen tut es ja keinen Schaden. Ihr Geheimnis bleibt ihnen doch verborgen, mögen sie sich auch die Köpfe darüber zerbrechen.«

»Glauben Sie, Herr Kapitän?«

»Was Sie tun und treiben, das bekommt keiner heraus.«

»Die Leute betrachten mich immer mit so argwöhnischen und scheuen Blicken, das stört mich.«

,,Seeleute sind abergläubisch und allem, was sie mit ihren fünf Sinnen nicht erfassen können, stehen sie mit einem Gemisch von Mißtrauen und Furcht gegenüber. So ist die Situation auch hier.«

Der Kapitän nahm jetzt sein Fernglas zur Hand und richtete seinen Blick ostwärts über die gewaltigen Wellenberge, die sich bald hier bald dort zu Seiten des Kutters erhoben und ihre Schaumspritzer auf Deck heraufsandten.

»Könnte uns eine Havarie begegnen?« frug Ellbogen, der Mann in dem Ölmantel, und forschte in des Kapitäns Gesicht.

»Die See ist heute ein gefährliches Wasser; aber wir kommen glatt durch ... Steuermann!« rief der Kapitän dann mit Stentorstimme. ,,Drehen — einige Striche westsüdwest!«

Der Orkan schien eben mit besonders heftiger Kraft über die See hinzubrausen. Der Kutter ächzte und stöhnte und bahnte sich, ohne dabei sonderlich vom Flecke zu kommen, seinen Weg über die Wogenkämme, blieb aber mehr ein Spielball der sich einander überstürzenden Wellen.

,,Drei Striche westsüdwest!« tönte jetzt die rauhe Stimme des Steuermanns als Antwort, daß er das gegebene Kommando verstanden, zurück.

Die See brüllte! Dazu das Stampfen der Maschine im Bauche des Kutters, das Heulen und Pfeifen des voll entfesselten Sturmes, das Ächzen des Mastes mit seinen Rahen, das klang wie ein Konzert der Hölle.

Dem Seemann schiert so was nicht, aber einer Landratte wie Simon Ellbogen konnte die wütende Naturgewalt doch etwas einschüchtern, wenngleich sich dieser vermessen wollte, eine andere, noch stärkere Naturgewalt zu bändigen und seinem Willen dienstbar zu machen.

Was an Bord nicht niet- und nagelfest war, das spülte jetzt die See hinweg, deshalb zog es Simon Ellbogen vor, sich unter Deck zu verfügen. Er begab sich also in seine Kajüte. Dort fand er seinen Reisegefährten emsig beschäftigt Berechnungen anzustellen.

,,Teufel!« rief Ellbogen beim Eintritt dem letztgenannten besorgt zu. »Das Wetter spielt uns aber übel mit. Hoffentlich geht alles glatt ab.«

Der Angeredete blickte von seiner Arbeit auf. Er war ein Mann in Mitte der Dreißig, blond und bartlos. Seine Gesichtszüge verrieten Intelligenz und Energie. Trotzdem der Sturm das Schiff so hin- und herwarf, daß manche Gegenstände in der Kajüte fortwährend einen Tanz vollführten, hatte er sich in seiner Arbeit nicht stören lassen; sie schien sein höchstes Interesse in Anspruch zu nehmen.

,,Schade, daß der Sturm kein Gewitter mit sich gebracht hat,« antwortete er. »Dann hätten wir wenigstens den Blitzfänger hier einmal ausprobieren können.«

Ellbogen nickte. »Frühstücken wir. Ich habe noch einiges mit Ihnen zu besprechen.«

Bei diesen Worten klingelte er dem Steward.

»Wenn die nautischen Angaben nur stimmen, daß sich in der Nähe der schwedischen Insel Gotland Gewitterherde befinden,« meinte Nobel und blickte Ellbogen an.

In diesem Augenblick trat der Steward mit einigem Geschirr durch die Tür. Deshalb schwieg der Sprecher. Im nächsten Augenblick gab es dann einen kapitalen Ruck, und der Steward flog in seiner ganzen Länge mitsamt dem, was er gerade brachte, zu Boden.

,,Jetzt können wir auf den Dielen frühstücken,« sagte Nobel im scherzenden Tone. ,,Da fließt er hin, der Saft der edlen Reben!« fügte er deklamierend hinzu und zeigte mit der Hand auf die rote Rinnsal des vom Steward vergossenen Weines.

»Mit meinem Appetit sieht es sehr windig aus,« erwiderte Ellbogen, dem einige Regungen der Seekrankheit gekommen zu sein schienen.

Der Steward war inzwischen mit den Scherben der Flasche und Gläser aus der Kajüte verschwunden.

Bums! gab's wieder Stöße und Rucke. Nobel flog gegen Ellbogen.

,,Heiliger Florian!« rief ersterer. »Ich bin schon öfters zur See gefahren, so hat's mich aber lange nicht geschüttelt.«

Diese Attacke des Sturmes schien aber die letzte gewesen zu sein, denn kurz darauf wurde es etwas ruhiger; man verspürte bald nur noch das Schlingern des Schiffes und das Stampfen der Maschine, das Sausen und Heulen draußen ließ plötzlich nach.

Die weitere Fahrt des Kutters, den Ellbogen für seine Zwecke gechartert hatte, um sich mitsamt seinem Begleiter nach der schwedischen Insel Gotland befördern zu lassen, verlief ohne jede Störung.

Der ,,Südstern« landete am Ziele, schiffte seine paar Passagiere aus und löschte seine ominöse Ladung, die aus dem für die Kutterbemannung ein Rätsel bildenden Holzturm und einer Anzahl festverschlossener Kisten bestand. Dann dampfte das Fahrzeug wieder den heimatlichen Gestaden zu.

Wir müssen zunächst nun einige Zeit zurückgreifen und auf die Umstände zu sprechen kommen, welche Simon Ellbogen veranlaßt hatten, sein Experimentierfeld hier auf die ferne Meeresinsel zu verlegen.

Eines Tages, kurz nachdem der Bürgermeister mit Hilfe der Ortspolizei seine Fühler bei ihm ausgestreckt hatte, griff die Presse die in weiteren Kreisen inzwischen bekannt gewordene Nachricht von dem, was sich ein gewisser Ellbogen in X. zu unternehmen unterfange, auf und brachte eine höchst amüsante Notiz in den Spalten ihrer Blätter.

Darin hieß es unter anderem, daß in X. Schildbürgerstückchen passierten. Ein verrückt gewordener Sonderling fabriziere in seiner stillen Klause einige Zentner festes Licht, auf das bereits die Stadtväter von X. im voraus Beschlag gelegt hätten, wahrscheinlich hätte man dort den Bau eines neuen Rathauses ohne Fenster geplant. Weiterhin machte der satirische Reporter, der Ellbogens geheime Pläne seiner Kritik unterzog und sie dem geduldigen Leserpublikum einer »Sauregurkenzeit« zur geneigten Kenntnisnahme unterbreitete, seine Randbemerkungen zu den von Herrn Ellbogen in Aussicht gestellten gefrorenen Blitze und empfahl dem genialen Erfinder derselben eine Glashütte, die leistungsfähig wäre, haushohe Einmachbüchsen zur Aufbewahrung solcher Gewitterentladungen herzustellen.

Einige Tage später machte dann dieser in Spott getauchte Zeitungsbericht einer sachlich gehaltenen, ernst aufgefaßten Notiz Platz. Darin wurde unter Aufbietung eines großen Scharfsinnes dargelegt, wie es möglich sei, festes Licht und gefrorene Elektrizität herzustellen und damit eine Weltumkremplung herbeizuführen. In diesem Artikel, bei dessen Lektüre die Leser noch mehr den Kopf schüttelten als vordem, wurde auch Ellbogens Name genannt.

Diese sensationelle Abhandlung hatte zur Folge, daß Herr Ellbogen eines Tages den Besuch eines Fremden empfing, der ein außerordentliches Interesse für die Dinge und Pläne hatte, die ihn bewegten. Es war ein intelligent aussehender, noch in jüngeren Jahren stehender Elektroingenieur namens Kurt Nobel.

Zuvor war dieser Interessent auf dem Bürgermeisteramt in X. gewesen, um sich über den Herrn Ellbogen, seine Person und Wohnung zu unterrichten. Dort hatte man ihm klar gemacht, daß er es mit einem übergeschnappten Sonderling zu tun haben würde, falls er den Zeitungsnachrichten irgendwe1chen Glauben schenke. Herr Nobel ließ sich aber durch diese Auskunft nicht beirren und turnte schlankweg zu dem hin, der sich unterfing der Welt neue Formen von Licht und Elektrizität zu schaffen.

Ein kurzes Gespräch genügte, um diese beiden Männer einander näher zu bringen. Nobel bot sich Ellbogen als Assistent kurzerhand an und hatte die Freude, daß er als solcher angenommen wurde. Für den Sonderling war der junge Mann eine wertvolle wissenschaftliche Kraft, diese hatte ihm bislang gefehlt.

Ellbogens Vertrauen zu dem jungen Mann war ein großes, weshalb er keinen Anstand nahm, diesen in die Geheimnisse seiner neuen Elektrokunst bis in die Details einzuweihen.

»Es interessiert mich zu erfahren, wie Sie auf den Gedanken gekommen sind, die elektrische Energie in feste Form zu bringen,« fragte Nobel, als Ellbogen begonnen hatte, seine Erfindung in groben Umrissen zu erzählen.

»Das ist mit wenigen Worten gesagt,« erwiderte der Gefragte. »Ich habe früher einmal eine Ballonfahrt unternommen und dabei die Beobachtung gemacht, daß bei Gewittern in höheren Regionen infolge der dort vor sich gehenden Eisbildung große Mengen atmosphärischer Elektrizität gebunden werden.«

»Ah!« rief Nobel aus. ,,Aber wie verwerteten Sie diese Erscheinung?«

»Ich habe diese meteoro1ogischen Vorgänge im kleinen nachgeahmt.«

,,Verstehe —«

»Ich habe mir große Kessel bauen lassen, die ich luftleer machte, soweit dies angängig war. Diese füllte ich mit gesättigtem Wasserdampf und leitete alsdann elektrische Starkströme durch denselben.«

Nobel staunte. »Und bei diesem einfachen Verfahren erhielten Sie gefrorene Elektrizität?«

Ellbogen nickte. ,,Kristallisierte elektrische Energie in Eisform.«

»Wunderbar!« rief Nobel begeistert aus.

»Ich staunte anfänglich auch,« entgegnete Ellbogen, »und wollte nicht an ein festes Elektroeis glauben, trotzdem ich das Beispiel oben in den Lüften studiert hatte.«

,,Seltsam, natürlich ...« meinte Nobel.

»Als ich das gefrorene Material in der Hand hielt, gewahrte ich seine elektrische Natur. Beinah hätte ich mir Brandwunden dabei zugezogen ...«

»Donner! feste Elektrizität, klumpenweise ... so etwas ist ja unglaublich!« rief Nobel aus und schüttelt einmal über das andere den Kopf.

»Und doch ist es so, mein Lieber. Ich habe die Versuche solange wiederholt, bis ich ein richtiges Verfahren zur Erzeugung von Elektroeis ausgearbeitet hatte. Mit dem trete ich nun demnächst vor die Öffentlichkeit.«

»Die Menschheit wird staunen,« versetzte begeistert Nobel.

,,Für irrsinnig wird man mich halten. Schon hier im Städtchen glaubt man, ich sei etwas übergeschnappt. Nun, ich lasse die guten Leute vorläufig bei dem Glauben, bis meine Erfindung spruchreif ist.«

,,Herr Ellbogen, Sie werden eine ganze Weltumkremplung herbeiführen. Sie haben die größte Erfindung gemacht, die jemals das Licht der Welt erblickt hat.«

,,Meine neue Energie läßt sich für die Praxis sehr bequem verwenden. Ich kann das Elektroeis in Stücken mit der Post oder Bahn versenden und habe dabei nur Obacht zu geben, daß die Mengen nicht ins Schmelzen kommen, bevor sie verwendet werden.«

,,Bei Gott! Sie sind ein Tausendkünstler,« meinte Nobel mit Emphase.

»Ein einziges Kilo meiner gefrorenen Energie reicht hin, das größte Hotel oder Schiff tagelang zu beleuchten oder eine Lokomotive hunderte von Kilometern fahren zu lasen.«

,,Großartig! großartig!« Nobel konnte sich über diese Perspektive, welche Ellbogen hinsichtlich der Verwendbarkeit seines Elektroeises entrollte, gar nicht beruhigen. Er war zu verblüfft über das Gehörte.

,,Meine Elektrizitätsblöcke sind stets sofort verwendbar. Es kann ihnen die Energie auf leichteste Weise abgezapft werden,« fuhr Ellbogen fort. Des weiteren entwickelte er dann Nobel seine Pläne und Ideen, um die ganze Angelegenheit vorwärts zu schieben.

Als Nobel eingeweiht war, schlug Ellbogen vor, daß er an einem geeigneten Orte experimentieren wolle, und wählte eine gewitterreiche Gegend, welche das Abfangen von Blitzen gestattete. So gerieten die beiden mit ihren Apparaten auf die schwedische Insel Gotland, welche wegen ihrer Gewitterherde bekannt sein sollte.

Ellbogens Bestreben war zunächst darauf gerichtet, Blitze in Mengen abzufangen und diese dann in Kristallform überzuführen.

Nobel schwor, nachdem er von der Methode Kenntnis erhalten hatte, daß die Sache gelingen müsse und das Ellbogens Idee wunderbar sei.

»Das macht kein Doktorus Faust Euch nach!« rief er mit Enthusiasmus aus, als Ellbogen ihm bekannt gab, wie er des Himmels hunderttausendvoltige Blitze durch seine Methode in feste glitzernde Eisschlangen verwandle.

,,Unsere Versuche werden ein ständiges Spiel mit dem Leben bilden,« gab Ellbogen zur Entgegnung. »Die ungeheuren Kräfte eines Blitzes bändigen, ist ein tollkühnes Unternehmen. Wenn es einem Franklin gelang, diesen Feuerschlangen ihren Weg zur Erde vorzuschreiben, so vermesse ich mich sie in ihrem rasenden Laufe aufzuhalten.«

Nobel blickte sein Gegenüber mit einem Gemisch von Bewunderung und Begeisterung an.

»Sie meistern die Natur,« versetzte er dann. »Sie haben sich zum Herrn der Kräfte aufgeschwungen ... die Welt gehört Ihnen — Ihnen ganz allein!« Das klang etwas pathetisch und theatralisch, weshalb Ellbogen ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Die kleinen Menschenkräfte, mein lieber Freund, können die Naturkräfte bezwingen ... es kommt dabei nur auf das Wie an,« erwiderte er dann und strich sich durch sein Haar, sein Auge sinnend auf einen Punkt im Zimmer heftend. »Nur über eins bin ich noch im unklaren ... doch darüber später. — Eins müssen Sie mir jetzt zunächst noch versprechen. Befolgen Sie meine Anweisungen stets aufs peinlichste. Ich bin für Ihr Leben verantwortlich. Der geringste Fehlgriff im Bereiche meiner Tätigkeit kann Sie ins Jenseits befördern, und ich wäre dann Ihr Mörder.«

»Ich verspreche es Ihnen,« entgegnete Nobel.

,,Denken Sie immer an die furchtbaren Kräfte, denen wir uns mit schwachen Händen gegenüberstellen.«

»Welche Kraftmengen mögen in einem Blitz stecken? Haben Sie darüber schon Berechnungen angestellt?« frug der Ingenieur lebhaft weiter.

,,Zweifellos viele tausend Pferdestärken.«

»Und diese vermögen Sie in einer Glasröhre festzuhalten? Sie sind fürwahr ein Titan, ein Napoleon der Technik!« rief Nobel aus.

Ellbogen quittierte diese Anerkennung abermals mit einem verbindlichen Lächeln. ,,In Gotland werde ich Sie mit meinen Methoden etwas näher vertraut machen. Eins noch. Um die Sache zu fördern, benötige ich größerer Geldsummen. Meine Mittel sind nicht so bemessen, daß ich die Experimente noch lange fortführen kann. Die Versuche kosten Geld und wieder Geld ...«

,,So müssen wir Kapitalisten beschaffen,« entgegnete Nobel schnell.

»Das wird seine Schwierigkeiten haben.«

»Wieso?«

,,Nun, Uneingeweihte werden meine Entdeckungen für unmöglich halten und in mir einen Spekulanten oder Schwindler erblicken, und von Fachleuten möchte ich mir nicht vorzeitig in die Karten sehen lassen.«

,,Herr Ellbogen, überlassen Sie mir die Angelegenheit mit der Beschaffung von Kapitalisten. Ohne daß wir unsere Methoden im geringsten preisgeben, werden sich genug Geldmänner finden, die uns unterstützen, so bald wir ihnen unsere weltbewegenden Pläne auseinandergesetzt haben.«

»Es soll mich freuen, wenn Sie Resultate erzielen. Ich lege die Sache der Finanzierung in ihre Hände. Sie sollen dabei nicht zum schlechtesten wegkommen.«

»Ich darf doch einiges über Ihre Entdeckungen öffentlich bekannt geben? Es ist dies notwendig, um die Aufmerksamkeit der Geldleute zu erregen.«

Ellbogen überlegte einige Momente, dann versetzte er: »Die Welt wird mich für einen Narren halten ... nun, mir soll's gleich sein. Geben Sie meine kristallisierten Blitze und meine gefrorene Elektrizität bekannt, ich habe nichts dagegen. Die Leute werden freilich alles für einen Aprilscherz halten, und niemand wird für solche unglaublich erscheinende Dinge auch nur einen Heller opfern.«

,,Gestatten Sie, daß ich in dieser Hinsicht anderer Meinung bin. Gerade das Unglaubliche wird die spekulationssüchtigen Kapitalisten anziehen. Manches Unmögliche hat sich später schon bewahrheitet. Die Leute haben in dieser Hinsicht zuweilen einen wahren Kinderglauben.«

»Nun, es soll mich freuen, wenn Sie mir zur Verschaffung von Kapital hilfreiche Hand leisten könnten. Die Experimente verschlingen viel Geld, und Sie wissen, ich bin nicht allzu reichlich mit irdischen Glücksgütern gesegnet.«

Nobel versprach eifrig, die nötigen Schritte zu unternehmen. Im stillen trug er sich bereits mit dem Gedanken der sofortigen Gründung eines den Erdball umspannenden Elektrotrustes. Es sollte ein Riesenunternehmen werden, welches die ganze Welt mit Kraft und Licht versorgte. Vom Nordpol bis zum Äquator als Trustkönige herrschen zu können, dieser Gedanke schloß für ihn fabelhaften Reichtum und eine Fülle großer Macht ein. So berauschte er sich, noch ehe er einen Schritt getan, um die Idee zu verwirklichen.

Unverzüglich ging Nobel nun ans Werk. Er verfaßte zunächst einen sensationellen Bericht für die Presse und stilisierte sodann ein Inserat, welches ihm Geldmänner zuführen sollte. Der erwähnte Bericht war die Lockspeise für gläubige und ungläubige Seelen. Hinsichtlich des den Kapitalisten in Aussicht gestellten Gewinnes warf er schlankweg mit Millionen um sich. Als Optimist sah er goldene Berge, als Fachmann prophezeite er eine Umkrempelung der industriellen Welt: pries, wie Eisenbahnen, Seeschiffe und Luftfahrzeuge künftig mit einer Handvoll Kraft bewegt und wie die Nacht in Tag verwandelt werde, sobald das wunderbare Elektroeis des Doktor Ypsilon seinen Siegeszug um den Erdball anträte. In solchen herrlichen Tiraden ging es in dem Bericht weiter. Der gesamten Kulturmenschheit entrollte Nobel eine Zukunftsperspektive, wie sie sich die irdischen Sterblichen gar nicht schöner auszumalen vermocht hätten.

Und diese wahrhaft vielverheißenden Auslassungen des Ingenieurs Nobel sollten auch nicht ohne Erfolg bleiben. Die Insel Gotland bildete bald darauf — es mochten kaum zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Berichtes in den großen Tageszeitungen des Kontinentes vergangen sein — das Ziel verschiedener Leute, die von allerlei Motiven beseelt waren.

--*--

Drittes Kapitel
Die Meute der Spekulanten

Ellbogen und Nobel hatten die Zeit ihres Aufenthaltes auf Gotland nach Kräften ausgenützt, und eine Reihe Experimente der Blitzbändigung waren an gewitterreichen Tagen unternommen worden, leider jedoch ohne jeden Erfolg.

In dem Fischerdorfe, das beim Follingbohöjden lag, bekamen die Einwohner vor dem geheimnisvollen Treiben der beiden Fremden bald einen heillosen Respekt, der zuletzt einen solchen Umfang annahm, daß jeder um Ellbogen und seinen Gefährten, einen weiten Bogen machte, sobald man ihrer ansichtig wurde.

Der ominöse Holzturm, den Ellbogen an der höchsten Stelle der Insel, auf dem Follingbohöjden hatte errichten lassen, wurde von den Bauern und Fischern der Nachbarschaft ebenfalls ängstlich gemieden; es wagte sich niemand in dessen Nähe. Geschwätzige Zungen alter Weiber hatten die Mär verbreitet, die beiden fremden Männer aus Deutschland trieben auf dem Follingbohöjden Dinge, die den bösen Geistern genehm seien, sie veranstalteten um Mitternacht Hexensabbathe und ähnliches.

Von Zeit zu Zeit besuchte Ellbogen die Stadt Wisby, welche an der Nordwestküste der Insel gelegen ist. In der Regel pflegte er dann die dort für ihn lagernden Postsachen abzuholen. Als er wieder einmal nach dem Orte pilgerte, hatte sich ihm Nobel angeschlossen. Beide waren diesmal recht neugierig, was sie auf dem Postamte an Zuschriften vorfinden würden, nachdem Nobels Bericht über Ellbogens Entdeckungen durch die Presse in die breite Öffentlichkeit gelangt war.

»In welche Zeitungen haben Sie Ihren Bericht lanciert?« frug Ellbogen unterwegs.

»In die ›Times‹, den ›Figaro‹, das ›Berliner Tageblatt‹ und noch einige europäische Blätter von Bedeutung,« entgegnete Nobel.

»Ich bin gespannt, wie man die Sache aufnimmt.«

»An Zweiflern und Spöttern wird es nicht fehlen,« meinte Ellbogen und blickte gedankenvoll in die Ferne. Dann blieb er plötzlich an einer Wegbiegung stehen und zog sein Notizbuch aus der Tasche, in welches er sich etwas vormerkte. »Es kam mir soeben ein neuer Gedanke, er ist der Untersuchung wert.«

»Sie stecken immer voll Ideen,« versetzte der Ingenieur und er hätte gern in Erfahrung gebracht, welchen Gedanken sein Begleiter soeben seinem Notizbuche einverleibt hatte.

»Ich rechtfertige meinen Spitznamen ... man nennt mich ja einen Ideenjäger,« er widerte Ellbogen lachend.

»Die Menschheit wird sich bald gezwungen sehen, Ihr Tun und Denken ernster aufzufassen.«

»Nicht eher wird sie das tun, als bis ich ihr überzeugende Beweise gebracht habe,« gab Ellbogen zur Antwort.

»Sie werden über die Zweifler und Spötter dann triumphieren ...«

»Noch ist es nicht soweit ... noch lange nicht. Es gibt sehr viel Arbeit zu bewältigen, ehe ich die Früchte ernten kann. Die Saat schießt nur langsam auf.«

»Hoffentlich läßt sich die Sache schnellstens finanzieren,« meinte Nobel.

»Die Menschen sind zu mißtrauisch, mein Lieber. Es wird uns kaum jemand seinen Geldsack vor die Nase hängen.«

»Oho! in dieser Hinsicht bin ich weniger Skeptiker. Spekulanten gibt's immer, und da unsere Sache arg verlockend ist, so glaube ich, daß sie sich mancher durch den Kopf gehen lassen wird.«

Im Verlaufe des weiteren Gespräches erreichten beide Wisby, und ihr erster Gang galt dem Postamt.

Nicht wenig verblüfft waren sowohl Ellbogen als auch Nobel, als ihnen ein gewaltiger Stoß Briefschaften und Zeitungen ausgehändigt wurden. Auf einen solchen reichen postalischen Segen hatte nicht einmal Nobel im entferntesten gerechnet.

Beide begaben sich damit sofort in ein naheliegendes Gasthaus, um hier eine Sichtung der Korrespondenz vorzunehmen.

Eine Anzahl Telegramme wurden zunächst geöffnet. Es waren allerlei Anfragen aus London, Paris und anderen Großstädten und betrafen natürlich die Entdeckung Ellbogens. Man erkundigte sich, ob die Sache patentreif und praktisch überhaupt ausnutzbar sei. Einige depeschierten, daß sie auf dem Wege nach Wisby seien, um persönlich Rücksprache zu nehmen.

Die Briefe hatten meistens einen ähnlichen Inhalt. Nur drei derselben machten eine Ausnahme. Der eine stammte aus der Feder eines Spaßmachers, welcher ehrfurchtsvoll anfrug, ob die gefrorenen Blitze von Gotland in Einmachbüchsen verkauft würden, solchen Falles erbäte er sich per Nachnahme eine Probebüchse. Der zweite Brief war von einem Professor der Physik geschrieben, welcher eine förmliche Anklage gegen Ellbogen erhob, daß dieser sich erdreiste, mit seinen Phantasien wissenschaftlichen Unfug zu treiben usw. Der dritte Brief kam aus England. Eine Lordschaft ließ durch ihren Sekretär anfragen, ob Mr. Ellbogen schleunigst einmal über den Kanal kommen könnte. Er besäße eine große Sammlung von seltenen Erzeugnissen der Natur und Kunst und hege den Wunsch seinem Kuriositätenkabinett auch einen gefrorenen Blitz einzuverleiben, für Überlassung eines solchen würde Seine Lordschaft gern 200 Pfund Sterling zahlen.

Ellbogen reichte das Schreiben seinem Begleiter und sagte: »Mit diesem Lord Spleen wäre ein Geschäft zu machen.«

Nobel hatte soeben eine Zeitung aus den Postsachen herausgezogen und diese auseinander gefaltet. Sein Blick war auf einen rot angestrichenen Artikel auf der ersten Seite des Blattes gefallen. Kaum hatte er die ersten Worte gelesen, als er die Zeitung — es war ein deutsches Blatt — mit heller Entrüstung Ellbogen reichte.

»Das ist stark!« rief er dann empört aus.

»Was haben Sie?« frug Ellbogen.

»Das ist der Gipfel der Niedertracht! ... Was versteht übrigens ein Journalist auch von wissenschaftlichen Dingen.« Nobel redete sich fast in Ekstase hinein.

Ellbogen warf jetzt einen Blick in die Zeitung, dann zog er seine Stirne kraus und sagte: »Ich habe die Auslassungen der Presse nicht anders erwartet. Diese hier ist allerdings ein wahres Potpourri von Hohn und Spott, aber bekümmern soll es mich nicht.«

Der besagte Artikel in der deutschen Zeitung, welcher die Überschrift: »Fastnacht in der Wissenschaft!« trug, schalt den Erfinder der gefrorenen Blitze einen kapitalen Narren, der reif, überreif fürs Irrenhaus sei, der vielleicht auch unter falscher Maske als Erzschwindler sein Unwesen treibe, oder, was wohl am ehesten anzunehmen sei, einen Fastnachtsscherz auf dem ernsten Gebiete wissenschaftlicher Forschung inszeniere.

Ellbogen warf die Zeitung beiseite und meinte, er lege auf solches blöde Geschreibsel keinen Wert und wolle sich nicht eine Minute hindurch darüber ärgern.

Nobel vermochte seine Entrüstung nicht sobald niederzukämpfen, er schimpfte noch weidlich über die Niedertracht der Zeitungsschreiber, als Ellbogen mit der Durchsicht weiterer Briefe begann.

»Hier, Herr Nobel, scheint ein Angebot vorzuliegen, wie wir es gebrauchen können,« sagte Ellbogen.

»Ein Kapitalist?« Fug Nobel rasch.

»Ein Konsortium von Geldleuten entbietet sich zur Verwertung meiner Erfindung und hat bereits drei sachverständige Herren nach hier geschickt, welche heute in Wisby ankommen müssen. Treffpunkt im Hotel König von Schweden.«

»Deutsche?« frug Nobel.

»Franzosen,« antwortete Ellbogen. »Der Brief ist von einem Monsieur Lefèbre, Bankier in Paris unterzeichnet.«

»Als gute Deutsche sollten wir dem Ausland nicht den Nutzen aus der Sache ziehen lassen,« meinte nachdenklich Nobel und strich sich mehrmals durch seinen blonden Schnurrbart. Dann entzündete er eine Zigarette und blies den blauen Rauch in Ringeln von sich.

Ellbogen zuckte die Achseln.

»Mein Elektroeis soll Gemeingut der ganzen Welt werden. Überdies nimmt Deutschland keine Rücksicht auf mich und mein Schaffen, darum nehme ich auch keine Rücksicht,« gab Ellbogen zur Erwiderung.

»Wenn sich das Elektroeis zu Kriegszwecken verwenden ließe, so würde das Land, welches Sie ...«

»Holla! Nobel,« unterbrach ihn Ellbogen hastig. »Den Gedanken werde ich aufgreifen ... zu Kriegszwecken — — man könnte ganze Armeen in wenigen Minuten ins Jenseits befördern.«

»Es könnte ein furchtbares Kampfmittel abgeben. Die Schrecken des Krieges würden sich vertausendfachen.«

»Es wäre wenig menschlich von mir gedacht, wenn ich den Plan, Ihre Idee, durchführte. Meinen Sie nicht auch?«

»Auch ohne unser Zutun wird das Elektroeis die neue Kampfwaffe der Kulturvölker werden.«

»Herr des Himmels!« rief Ellbogen mit leisem Entsetzen aus. »Wenn ich der furchtbaren Wirkungen gedenke ... die halbe Menschheit wird vom Erdboden fortrasiert. Keine Pest, keine Hungersnot könnte mit den elektrischen Zukunftsschlachten auch nur im entferntesten verglichen werden. Bedenken Sie einmal. Zehn Gramm rasch zerfließendes Elektroeis genügen schon, um ebensovielen Menschen das Lebenslicht auszublasen. Ein einziger Zentner könnte eine ganze Gegend unter elektrische Wellen setzen, das heißt soviel als mit einem Schlage alles in derselben befindliche Leben zu vernichten!«

Nobel schauderte bei diesen Darlegungen und er empfand jetzt vor dem Entdecker des Elektroeises fast ein Grauen. Lag doch in der Hand dieses Mannes das Schicksal ganzer Völker.

»Sie werden Wohltäter und Todfeind für die Menschheit in einer Person sein,« sagte er dann und in seiner Stimme konzentrierten sich die Gefühle, die ihn eben beherrschten.

Ellbogen kam es jetzt erst so recht zum Bewußtsein, welche ungeheure Macht mit der Erfindung des Elektroeises in seine Hand gegeben worden war. Er wurde darum sehr nachdenklich.

»Verbreitet schmelzendes Elektroeis seine Energie in Wellenform?« frug Nobel. »Oder ist das nur eine vage Annahme Ihrerseits?«

»Die durch das Schmelzen des Eises freiwerdenden elektrischen Energiemengen breiten sich in weitem Umkreis um ihre Quelle genau so aus, wie die Wellen um einen ins Wasser geworfenen Stein, nur schneller, unendlich schneller.«

»Und es sind Wellen hochgespannter Elektrizität?«

Ellbogen nickte.

»Schwächen sich diese nicht schnell ab?« frug der Ingenieur weiter.

»Allerdings. Ebenso wie die Wellen der drahtlosen Telegraphie auf große Entfernungen hin mehr und mehr unwirksam werden.«

Ellbogen beschäftigte sich nun wieder mit den Briefschaften und beriet mit seinem Gefährten, wo die Zusammenkunft mit den Kapitalisten, die ihr Kommen in Aussicht gestellt, respektive bereits angekündigt hatten, stattfinden könne.

»Es kommt nur ein einziges Hotel hier in Frage. Zudem werden dort die französischen Herren auch absteigen,« entgegnete Nobel.

»Gut, begeben wir uns also dorthin.«

Die Briefschaften wurden zusammengepackt und die kleine Zeche in dem Wirtshause beglichen. Dann wanderten beide nach dem Hotel.

Dort angekommen, erfuhren sie, daß einige Herren aus Paris bereits eingetroffen wären. Sie hatten offenbar Eile allen anderen Konkurrenten zuvorzukommen.

Ellbogen ließ sich vom Wirt ein Zimmer anweisen, in welchem man ungestört verhandeln konnte.

Lange brauchte er und Nobel nicht zu warten, die Herren aus Frankreich waren überaus schnell zur Stelle.

Ellbogen hatte sich kaum im Zimmer umgesehen, als es an die Tür klopfte. Auf sein energisches Herein! traten drei Gestalten ins Zimmer, elegant gekleidet vom Scheitel bis zur Sohle. Der Älteste, ein stark ergrauter Herr von einigen fünfzig Jahren, gehörte seinem Exterieur nach zweifellos der hohen Pariser Finanzwelt an. Er war der Sprecher und Führer der Deputation des Konsortiums, welches mit Ellbogen in geschäftliche Verbindung zu kommen trachtete.

Mit dem tadellos gebügelten Zylinder in der Rechten trat der Genannte vor Ellbogen hin und stellte sich diesem vor.

»Delacroix ist mein Name,« begann der Franzose in einem leidlichen Deutsch. »Habe ich die Ehre Herrn Ypsilon vor mir zu sehen?«

»Ah! Sie sind die Herren aus Paris,« antwortete Ellbogen. »Bitte nehmen Sie gefälligst Platz.

Die drei Herren folgten der Aufforderung. Dann richteten sie ihre Augen auf Ellbogen, und ihre Blicke verrieten deutlich, wie sie im stillen den genialen Erfinder des Elektroeises, der hier vor ihnen stand, bewunderten.

»Sie sind bereits schriftlich von unserem Kommen und Anliegen von Paris aus benachrichtigt,« begann der ältere Herr wieder, dessen ölige Stimme wenig sympathische Klangfarbe besaß. »Ich kann also ohne Umschweife auf die Dinge zu sprechen kommen.«

»Bitte!« versetzte Ellbogen, welcher Nobel einen Blick zuwarf.

»Sie haben, wie die Zeitungsberichte angeben, eine Art elektrisch geladenen Eises erfunden,« fuhr Delacroix fort und heftete seine Pupillen mit gespanntestem Interesse auf sein Visavis.

»Es handelt sich in diesem Falle um kristallisierte Elektrizität, Monsieur Delacroix ... eh! so war doch wohl Ihr werter Name, mein Herr?«

Der Angeredete nickte eifrig. »Gestatten Sie, daß ich Ihnen hier meine Begleiter ebenfalls vorstelle? ... Monsieur Francillon ... Monsieur Souvestre.«

Die beiden anderen Franzosen hatten sich bei der Vorstellung erhoben und machten eine tadellose Verbeugung. Dann ließen sie sich wieder auf ihre Plätze nieder.

Ellbogen stellte nunmehr Nobel als seinen Assistenten und rechte Hand vor.

»Sie sind gekommen, um meine Erfindung zu erwerben?« frug Ellbogen sodann und ließ seine Augen über die Besucher schweifen.

»So ist es,« versetzte Delacroix.

»Hm ... hm — — Sie glauben den Zeitungsberichten so ohne weiteres?«

Jetzt sahen sich die drei Franzosen untereinander verwundert an.

»Aber ... die Sache hat doch wohl seine Richtigkeit? Ich hoffe, daß die Angaben über Ihr Elektroeis ...« fuhr Delacroix fort.

Ellbogen unterbrach ihn schnell. »Die Angaben stimmen schon, denn dieselben entstammen meiner Feder oder vielmehr der meines Assistenten hier. Ich wundere mich nur, daß Sie der Sache keine Zweifel entgegenbringen, wie es so viele andere getan haben.«

Die drei Herren stutzten.

»Nun, es freut mich sehr, daß Sie meiner Erfindung tatsächlich das Vertrauen entgegenbringen, das ihr gebührt. Ich weiß das zu schätzen. Doch kommen wir nun auf den Kern der Sache zu sprechen. Was beabsichtigt Ihr Konsortium mit meiner Erfindung anzufangen?«

Die Frage schien etwas verblüffend zu wirken.

»Wir haben eine industrielle Verwertung des Elektroeises im Sinne,« begann Delacroix. »Ich wüßte nicht, was wir sonst damit anfangen könnten.«

»Mein Eis könnte ja auch militärisch eine Verwendung finden,« meinte Ellbogen.

Delacroix streifte mit einem schnellen Blick seine Begleiter.

»Herr Ypsilon, unser Unternehmen ist ein rein industrielles. Wenn Sie etwa Bedenken hegen sollten ...«

Wieder unterbrach Ellbogen alias Ypsilon die Rede Delacroix'. »Wir wollen diesen Punkt vorläufig nicht weiter erörtern. — — Welches Angebot haben Sie mir zu machen?«

»Wir sind noch völlig im unklaren, welchen Wert Sie Ihrer Erfindung beimessen,« warf jetzt Monsieur Souvestre ein.

»Wissen Sie auch, meine Herren!« rief Nobel aus dem Hintergrund, »daß es sich hier eigentlich um eine mit allem Geld der Welt nicht zu bezahlende Erfindung handelt?«

Delacroix wendete sich erstaunt nach dem Sprecher um.

»Ja, ja! das Leben ganzer Völker liegt in unserer Hand!« fuhr Nobel mit gehobener Stimme fort.

»Sie spaßen wohl,« gab Monsieur Francillon zur Antwort.

»Ich möchte der Behauptung meines Assistenten nicht widersprechen,« warf Ellbogen ein und steckte ein Lächeln auf.

»Wenn Sie Ihrer Erfindung einen solchen Wert zumessen, so fühle ich mich außerstande, hier mein Angebot zu machen,« gab Delacroix zur Entgegnung.

»Ich möchte im vorhinein jetzt betonen, daß ich überhaupt nur die Lizenz für Frankreich verkaufe,« sagte Ellbogen.

»So ... hm — und was fordern Sie dafür?« frug Delacroix und hustete.

»Ich bin über die Summe noch nicht im klaren.«

»Wenn sich Ihr Elektroeis so verwendbar erweist, wie wir darüber durch den ›Figaro‹ unterrichtet worden sind, bieten wir Ihnen 500 000 Franken für das alleinige Recht, es herstellen zu dürfen. Das heißt wir wollen die alleinigen Produzenten für ganz Frankreich sein.«

»Danke!« Mit diesem Wort quittierte Ellbogen das Angebot.

»Wie! Diese Riesensumme erscheint Ihnen zu niedrig?« rief Franciilon.

»Meine Herren, noch ist meine Sache nicht spruchreif, da ich zur Zeit noch mit Versuchen beschäftigt bin. Mir liegt es in erster Linie daran, ein flüssiges Kapital zu erhalten, um meiner Erfindung Leben zu verleihen.«

»So liegt noch kein fertiges Projekt vor?« frug Delacroix hastig.

»An der Erfindung im Prinzip brauchen Sie keine Zweifel zu hegen, aber weitere Versuche sind zunächst von nöten, um erstmalig größere Mengen von Elektroeis zu fabrizieren. Bisher habe ich nur kleine Quantitäten erzeugen können. Wollen Sie mir dazu finanziell die Hand reichen, so soll es Ihr Schade nicht sein?«

»Über diesen Punkt müßte das Konsortium zunächst einmal beraten,« meinte Delacroix.

»Wollen Sie es dahin verständigen?«

»Mit Vergnügen ... ich werde sofort ein Telegramm absenden.«

»Es liegen mir zur Zeit noch verschiedene Angebote vor ... von anderen Seiten,« sagte Ellbogen.

»So-o,« erwiderte gedehnt Delacroix.

»Wir brauchen aber schnelle finanzielle Unterstützung. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, heißt bei uns in Deutschland ein Sprichwort. Beschleunigen Sie die Angelegenheit und Sie ernten die Früchte.«

»Sie geben uns doch eine Probe Ihres elektrischen Eises?« frug jetzt Souvestre.

»Wozu? — Glauben Sie meinen Angaben nicht?« entgegnete Ellbogen.

»Eine Probemenge ist erforderlich, Monsieur Ypsilon,« sagte Delacroix.

»Niemand wird die Katze im Sack kaufen,« fügte Francillon in seinem schlechten Deutsch hinzu.

»Wollte ich Ihnen eine Probemenge mit auf den Weg geben, so würden Sie wohl Frankreich lebend nicht erreichen,« versetzte lächelnd Ellbogen.

»Wir würden Ihren Tod auf dem Gewissen haben,« pflichtete Nobel den Worten Ellbogens bei.

»Einige Gramm werden sich mit der nötigen Vorsicht schon transportieren lassen,« meinte Delacroix und riß die Augen weit auf.

»Nicht ein Gramm! ... Solange keine geeigneten Transportvorrichtungen vorhanden sind, welche das Schmelzen der Substanz verhindern, solange darf nichts in die Hände anderer geraten,« sagte Nobel mit Nachdruck.

»Haben Sie überhaupt Vorräte von gefrorener Elektrizität?« frug Souvestre.

»Daheim ... ja,« entgegnete Ellbogen.

»Und wo ist das?« frug Delacroix.

»In Deutschland.«

»Wie? Sie wohnen nicht hier auf Gotland?« frugen die drei Franzosen wie aus einem Munde.

»Nein ... ich beschäftige mich hier nur mit Versuchen, die auf das Erstarren der elektrischen Energie, welche in Gewitterblitzen steckt, gerichtet sind.«

»Und mit Erfolg?« frug Francillon und richtete einen lauernden Blick auf Ellbogen.

Dieser bejahte.

»Kann die in fester Form erhaltene Blitzenergie nicht auch industriell oder technisch eine Verwertung finden?« Diese Frage stellte Souvestre.

»Allerdings ... es wäre die billigste Form gefrorener Elektrizität,« gab Ellbogen zur Erwiderung.

Im Verlaufe des weiteren Gespräches kam Ellbogen abermals auf den finanziellen Punkt zu sprechen, es lag ihm ja sehr daran, schnellstens Kapitalien in die Hände zu bekommen, da er mit seinen Geldmitteln bald zu Ende war.

»Geben Sie uns eine Probe Ihres Elektroeises und in längstens zwei Wochen stehen Ihnen fünfmalhunderttausend Franken zur Verfügung,« ließ sich nach langer Debatte Delacroix vernehmen.

»Dazu fühle ich mich hier außerstande, meine Herren.«

Delacroix zuckte mit den Achseln und erhob sich. Das gleiche taten dann auch seine beiden Begleiter.

»Gut,« versetzte Ellbogen. »Ich werde Ihnen eine Probe meiner Elektrizität nach Paris senden, sobald dies mir möglich ist.«

»Eh bien!« antwortete Delacroix. »Eins noch. Sichern Sie uns das Prioritätsrecht unter anderen französischen Angeboten, welche Ihnen höchstwahrscheinlich noch gemacht werden, zu?«

»Sie fordern von mir etwas, wofür Sie mir kein Äquivalent zubilligen.«

Delacroix erwiderte: »Wir haben nicht die geringste Bürgschaft dafür, ob Ihre Angaben über die angeblich gemachte Erfindung auch stimmen. Es kann doch hier kein Abschluß ins Blaue hinein getroffen werden.«

Da fuhr Nobel in die Höhe. »Ich hoffe, Sie betrachten uns nicht als Schwindler und Mätzchenmacher!«

»Behüte — aber Sie müsen doch selbst zugeben, daß ...«

Ellbogen unterbrach Delacroix schnell. »Allerdings ... Ihr Konsortium will sich überzeugen ... selbstverständlich! Gleich nach meiner Ankunft daheim erhalten Sie das Gewünschte.«

Damit fand die Unterredung ihr Ende. Ohne das Prioritätsrecht zugesichert erhalten zu haben, trollte die dreiblätterige Kommission davon, im Grunde genommen recht unzufrieden mit dem Gang der Dinge, so weit diese ihre Mission betrafen.

Auch Ellbogen war nicht erbaut von der Unterredung. Er begab sich wieder zu seiner Versuchsstation auf dem Follingbohöjden, während Nobel in Wisby zurückblieb, um die Korrespondenz zu beantworten, die Ellbogen erhalten hatte.

Am folgenden Tag — Nobel war noch nicht wieder auf dem Follingbohöjden angekommen — umwölkte sich in der zehnten Vormittagsstunde der Himmel und es hatte den Anschein, wie die Schwüle der Luft verriet, daß ein Gewitter sich nähere.

Schnell traf Ellbogen seine Vorbereitungen, um mit dem Blitzfänger dem Himmel die zuckenden Feuerschlangen zu entreißen. Tage lang hatte er auf den Augenblick gewartet, jetzt mußte er nach Möglichkeit ausgenützt werden.

Die ersten Regentropfen fielen eben nieder, als eine kleine Schar Leute den Follingbohöjden erstiegen. Ellbogen gewahrte dieselbe. Verwundert sah er die Ankömmlinge sich nähern. Waren es Ausflügler oder galt der Besuch ihm?

Bald erkannte er in dem Anführer der kleinen Schar Nobel.

Kopfschüttelnd ging er den Kommenden einige Schritte entgegen.

Nobel winkte ihm eifrig zu. Inzwischen machte sich das erste Donnerrollen bemerkbar, und die Tropfen fielen dichter.

Hastig strebten Nobel und seine Gefolgschaft dem schützenden Hause zu, welches sich am Ostabhange des Berges unweit des ominösen Holzturmes erhob. Das Gebäude diente Ellbogen und seinem Gefährten für die Dauer ihrer seltsamen Versuche zur Wohnstätte; ein Bauersmann hatte ihm den hölzernen Bau gegen gutes Entgelt überlassen und war vorläufig hinab ins nächste Dorf gezogen.

Nobel eilte den anderen, die ihm folgten, ein gut Stück voraus und stand nun vor Ellbogen, ehe noch seine Begleiter den letzten Rest Weg von 50 Schritten zurückgelegt hatten.

»Um aller Welt willen!« rief ihm Ellbogen verwundert zu. »Was bedeutet das? Diese vielen Menschen?«

Nobel lachte und schlüpfte unter die Tür des Häuschens. Dort schlug er seinen Wettermantel auseinander und prustete und wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht.

»Eine ganze Meute Spekulanten und Gott weiß was für Leute bringe ich mit. Sie haben sich alle an meine Fersen geheftet und mir keine Ruhe gelassen bis ich sie zu Ihnen geführt habe,« antwortete der Ingenieur.

»Das ist ja unglaublich!« rief Ellbogen aus und starrte die sich eilig nähernde Schar Leute an.

»Im Hotel in Wisby haben sie mich ausfindig gemacht. Der Himmel mag wissen, wer sie auf unsere Spuren gebracht hat.«

»Teufel! der Besuch kommt mir nicht gerade gelegen. Jetzt, wo ich das Gewitter zu einem neuen Versuche ausnützen will,« meinte Ellbogen.

»So mögen die Leute warten, bis wir Zeit gefunden haben. Alle tun übrigens so wichtig und geheimnisvoll und einer will dem anderen zuvorkommen. Ich habe schon unterwegs einigen auf den Zahn gefühlt und herausbekommen, daß die meisten industrielle Spekulanten sind.«

Während Nobel noch sprach, traten zwei Herren, die als erste nach ihrem Führer das Haus erreicht hatten, an Ellbogen heran und baten diesen mit ausgesuchter Höflichkeit um Unterkunft.

»Treten Sie herein, meine Herren,« antwortete Ellbogen, der sah, daß er hier zwei Deutsche vor sich hatte.

Unmittelbar darauf waren auch die übrigen Herren, acht an der Zahl, bis zur Pforte gelangt und Ellbogen ließ sie sämtlich unter das schützende Dach des Hauses treten.

Der Regen ging jetzt in Strömen nieder.

»Nobel, beschäftigen Sie sich bitte mit den Herren. Ich habe keine Zeit.« Mit diesen Worten beobachtete Ellbogen den Blitzfänger des Holzturmes.

Einige Augenblicke später zuckte auch schon ein Blitz, und die flammende Feuergarbe schoß aus dem Gewölk hernieder, in dem Turm mit ungeheuerem Donnerschlag verschwindend.

Die im Flur des Hauses versammelten Männer schraken samt und sonders zusammen und wähnten, daß es eingeschlagen habe. Nobel beruhigte sie aber.

Ellbogen stand an der Tür und starrte unausgesetzt zu seinem Turm hinüber. War des Experiment diesmal gelungen? Wie, wenn gar noch ein zweiter Blitz folgte, dann würde er den vielleicht gelungenen Versuch wieder zu Schanden machen. Der zweite Blitzstrahl würde den gefangenen ersten befreien.

Solche Gedanken durchfluteten Ellbogens Kopf.

Mit vermehrter Heftigkeit prasselte jetzt der Regen nieder, und wiederholt zuckten Blitze, und Donnergerolle erfüllte die Luft.

Voll brennenden Verlangens, ob der Versuch diesmal gelungen sei, stand Ellbogen da, er durfte es aber nicht wagen, sich zu überzeugen, solange die Gefahr bestand, daß noch ein zweiter Blitzschlag den Turm treffen könne.

Nobel unterhielt sich inzwischen mit den im Flur Versammelten, die an ihn tausend neugierige Fragen stellten. Einige Engländer, welche ein geradezu auffälliges Interesse an den Tag legten, wollten sich vor die Tür begeben, um Ellbogen selbst in das Kreuzfeuer ihrer Fragen zu nehmen, doch Nobel vertrat ihnen den Weg.

»Herr Ypsilon« — Nobel gebrauchte das Pseudonym — »ist jetzt für niemand zu sprechen.«

»Was tun Herr Ypsilon?« frug der eine Englishman.

»Er fängt Blitze,« versetzte Nobel in sarkastischem Tone.

Der andere riß die Augen weit auf.

»Das ist sehr interessant!« rief der Sohn Albions.

»Ich muß sehen, wie das Mr. Ypsilon machen,« sagte der zweite Engländer, eine baumlange Gestalt mit völlig glattrasiertem Gesicht.

»Herr Ypsilon will ungestört sein,« entgegnete kategorisch Nobel und postierte sich an die Haustür.

Draußen tobte das Wetter weiter. Verschiedentlich erhellten die Blitze den Flur des Hauses, und das Grollen des Donners verriet die Heftigkeit mit der die entfesselten Naturgewalten hier um das Bergplateau tobten.

Ellbogen wich nicht von seinem Platze, trotzdem der niedergehende Regen seinen Standort nicht verschonte. Unausgesetzt richtete er die Augen auf den Blitzfänger, jede Sekunde einen zweiten Einschlag in den Turm gewärtigend.

Drinnen im Flur standen unterdessen die fremden Besucher, und ein lebhaftes Gespräch entspann sich, dessen Mittelpunkt natürlich Ypsilons geheimnisvolle Tätigkeit bildete. Nobel gab hin und wieder auf einige Fragen Antwort, im allgemeinen aber hielt er mit seinen Aufklärungen weislich zurück und horchte lieber jeden aus, welche Zwecke er mit seinem Besuche verbinde.

Die Antworten, welche Nobel erhielt, waren meist verschleiert; keiner wollte so recht vor den anderen mit der Sprache herausrücken. Eins jedoch wurde Nobel klar: eine Meute neuer Spekulanten hatte sich hier zusammengefunden.

»Ist Herr Ypsilon ein Deutscher?« frug ein gewisser Herr, der sich als Direktor eines holländischen Elektrizitätswerkes entpuppt hatte.

Nobel bejahte ohne Ellbogens Heimatsort zu nennen.

»Herr Ingenieur,« sagte ein vollblütiger Bayer, dessen Dialekt ihn als solchen sogleich verriet. »Als rechte Hand des Herrn Ypsilon sind Sie wohl hinreichend über die neue Entdeckung unterrichtet? Die Zeitungen bringen immer nur lückenhafte Berichte, nach denen man sich kein rechtes Bild machen kann ... repräsentiert das Elektroeis tatsächlich feste elektrische Energie?«

Nobel nickte hierzu lässig. »Ich sage nicht zuviel, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe, daß Sie künftig die Elektrizität in Papier wickeln können, wenn es Ihnen beliebt.«

»Großartig ... unglaublich!« echote ein Herr aus dem Hintergrund, der bislang nur wenige Fragen gestellt hatte, sich überhaupt recht passiv verhielt. Seinem Äußeren und seiner Sprache nach war er zweifellos ein Österreicher. Neben ihm stand ein elegant gekleideter älterer Mann, dem man seine mosaische Abkunft auf hundert Schritte Entfernung anzusehen vermochte. Unruhig spielte er unablässig mit seinem über der geblümten Weste baumelnden goldnen Zwicker. Jetzt drängte er sich auffällig an die Seite Nobels und wollte diesen in ein Gespräch ziehen.

Mit einer Stimme, der ein leichter jüdischer Akzent anhaftete, erkundigte er sich, ob die Blitzelektrizität tatsächlich kristallisiert werden könne und welche Kraftmengen dabei gebunden würden.

Die anderen horchten gespannt auf.

»Wir speichern die Kräfte von zehntausend Pferden in einer Glasröhre auf,« gab Nobel lächelnd zur Erwiderung.

Die Herren sahen sich gegenseitig verwundert an.

Es mochte wohl mancher unter ihnen an der Richtigkeit des Gesagten zweifeln. 10 000 Pferdekräfte in einer Glasröhre! — — Das klang etwas nach Aufschnitt und Humbug.

»10 000 Pferdekräfte kann man doch unmöglich ...« begann der holländische Direktor und setzte eine Zweiflermiene auf.

Nobel streifte den Sprecher mit einem Blick, der diesen belehren mußte, daß er es besser wußte. Gleichzeitig unterbrach er die Einwendung des Direktors mit den Worten: »Wenn drüben das Experiment gelungen ist, sollen Sie alle den Eisblitz in figura sehen. Ich hoffe, daß dann Ihre Zweifel behoben sind.«

Ellbogen betrat in diesem Augenblick den Flur; es mochte ihm draußen doch zu ungemütlich sein. Das Gewitter hatte zwar nachgelassen, aber der Regen floß noch in Strömen, dazu fegte ein Wind, der die schweren Regentropfen vor sich her peitschte, über das Plateau.

Alle im Flur Anwesenden gerieten in diesem Augenblick in lebhafte Bewegung.

»Meine Herren!« begann Ellbogen und überflog mit einem Blick die kleine Schar. »Wie ich vermute, gilt die Ehre Ihres Besuches mir? Ich gehe wohl nicht fehl in meiner Annahme, wenn ich in Ihnen Interessenten für meine Entdeckung vermute? — — Der Ort hier ist leider wenig geeignet, Unterhaltungen zu führen. Deshalb wollen wir uns in mein Arbeitszimmer verfügen. Lieber Nobel, Sie führen die Herren einstweilen dahin, ich muß mich noch einmal um den Stand der Dinge draußen kümmern, dann stehe ich zur Verfügung.«

Ellbogen wartete gar keine Antwort ab, sondern trat wieder ins Freie hinaus.

Der junge Ingenieur ließ die Herren in ein Gelaß eintreten, welches sehr primitiv ausgestattet war. Soweit die Sitze ausreichten, nahm man Platz; einige postierten sich an das Fenster, dessen blinde, verregnete Scheiben einen schwachen Ausblick auf den Turm gewährten, der sich in dreißig Schritten Entfernung erhob.

Nobel begab sch dann hinaus, um Ellbogen zu befragen, wie er sich des weiteren verhalten solle, da er sich der Neugierigen drinnen nicht mehr erwehren könne.

»Was sind es für Leute?« frug Ellbogen.

Der Ingenieur zuckte mit der Achsel. »Nur einer hat sich bis jetzt bewogen gefühlt mir seine Herkunft zu verraten. Es ist dies ein holländischer Direktor eines Elektrizitätswerkes.«

»So ... hm ... ob ich es jetzt wagen kann in den Turm zu gehen?« frug Ellbogen und beobachtete das abziehende Gewitter.

»Das Gewölk zerstreut sich ja schon, es wird kaum eine Entladung noch stattfinden,« meinte der Gefragte und musterte den Himmel. »Ich bin gespannt, ob der eine Blitz in die Falle gegangen ist.«

Ellbogen begab sich, ohne eine Erwiderung zu geben, eilends nach dem Turm und öffnete vorsichtig dessen Tür. »Bitte, holen Sie doch meine Gummikleidung,« bat er dann Nobel, der sich sofort auf den Weg machte und hinter der Tür des Hauses verschwand.

Ellbogen drehte sich in Erwartung seiner Schutzhülle jetzt noch einmal nach dem Hause um und gewahrte an dem Fenster eine Galerie sich reckender und streckender Köpfe, die sämtlich neugierig zu ihm herübersahen.

Nobel brachte einen Gummimantel, eine Kappe und Schuhe. Ellbogen nahm die Sachen in Empfang und bekleidete sich hastig damit.

»Seien Sie um Himmels willen vorsichtig !« rief ihm Nobel nach, als Ellbogen den Turm betrat.

Der Regen hatte inzwischen ganz nachgelassen und weder Bitz noch Donner war vernehmbar. Das Gewitter hatte sich ausgetobt.

Ängstlich harrte Nobel auf den Augenblick, in welchem Ellbogen wieder erschien. Eine Minute verging — zwei — — — — drei —

»Herr Ellbogen!« rief jetzt Nobel und seine Stimme verriet, daß er recht besorgt war.

Eine knappe Minute später öffnete sich die Tür des Turmes und Ellbogen trat heraus. Er machte eine unbefriedigte Miene und entledigte sich seiner Gummihandschuhe.

»Nun?« frug Nobel und sah ihm er wartungsvoll ins Gesicht.

»Pech!« antwortete Ellbogen. »Denken Sie sich, der Blitz hat den Behälter durchschmolzen. Es ist mir unerklärlich! Die Isolierung war so vollständig.«

»Den Kessel durchschmolzen?«

Ellbogen nickte wehmütigen Blickes.

»Wer soll nun das Ding reparieren?«

»Ich breche meine Versuche hier ab und trotte wieder heimwärts.«

»Mir soll's recht sein,« meinte Nobel. »Es war aber eine mißglückte Exkursion, die viel Geld gekostet hat.«

»Kommen Sie. Ich möchte jetzt die Leute drüben sprechen,« sagte Ellbogen und schritt auf das Haus zu.

»Es ist wohl das beste, wenn niemand etwas von dem Fehlschlag unseres Versuches erfährt,« meinte Nobel und folgte.

»Ganz meine Ansicht.« Mit diesen Worten trat Ellbogen in das Haus. Im Flur entledigte er sich seiner Schutzkleidung und begab sich dann in das Gemach, in welchem die Schar der Besucher weilte und seines Erscheinens sehnsüchtig harrte.

»Die Herren entschuldigen, wenn ich nicht gleich zu Diensten stand, aber ein wichtiger Versuch mußte zu Ende geführt werden,« begann Ellbogen, als er unter jenen stand und seine Blicke von dem einen auf den andern schweifen ließ.

»Ich habe in den Zeitungen über Ihre eigenartige Entdeckung gelesen,« ließ sich als erster ein graubärtiger, kleinerer Herr vernehmen. »Mein Name ist Jakob Holz. Eine Unterredung unter vier Augen mit Ihnen wäre mir erwünscht.«

»Darum möchte ich nämlich auch bitten!" rief der Österreicher und drängte sich etwas vor.

»Ich auch! ich auch!« riefen verschiedene Stimmen durcheinander.

»Aber, meine Herren!« entgegnete Ellbogen und wehrte die Nächststehenden von sich ab. »Einer nach dem andern!«

Jetzt entstand ein heftiger Wortstreit, wer als erster ein Anrecht hatte, mit Herrn Ypsilon zu unterhandeln.

»Da Sie mir vermutlich irgendwelche Angebote machen wollen, so bitte ich, dies hier zu tun ... mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«

Ellbogen richtete die Frage kurzerhand an den Nächststehenden.

»Oh! Sie sind der Mann, der Elektrikeis machen,« antwortete der Gefragte, jener baumlange Engländer. »Ich heißen Mr. Surrey. Wollen Sie mir verkaufen das Erfindung?«

»Gemach, Mr. ... Mr. ... Surrey,« antwortete Ellbogen. »Sie sind nicht der erste, der mir ein Angebot macht.«

Die Gesichter einiger Anwesender verlängerten sich bei diesen Worten merklich.

»Ich biete 10 000 Pfund, Mr. Ypsilon, wenn Sie ...« fuhr der Englishman fort.

»Oh! ich geben mehr, viel mehr für das elektrische Eis!« rief der andere Engländer.

Jetzt glaubten die anderen es auch an der Zeit ein Gebot zu machen.

»Meine Herren!« sagte Ellbogen, »da ich hier keine Auktion abzuhalten gedenke, so ersuche ich Sie, Ihre Angebote schriftlich zu machen. Adressieren Sie nur Simon Ypsilon, Wisby, postlagernd. — — — Im übrigen, sind Sie von der Möglichkeit einer Herstellung gefrorener Elektrizität voll überzeugt? Sie wünschen jedenfalls Proben davon? Damit könnte ich vorläufig freilich nicht dienen.«

Auf die Überlassung von Probemengen mochten fast alle gerechnet haben und man schien deshalb wenig davon erbaut zu sein, daß kein Körnchen des wunderbaren Elektroeises vorgezeigt wurde.

Ellbogen, mißgestimmt darüber, daß das Experiment fehlgeschlagen, verspürte wenig Lust, irgendwelche Unterhandlungen mit diesem oder jenem fortzusetzen. Für alle Fälle notierte er sich die Namen der Spekulanten und Interessenten und vertröstete sie in Hinblick auf die Eisproben auf später.

Nachdem er über seine Erfindung noch einiges nähere hatte verlauten lassen, verabschiedete er seine Besucher.

Der letzte derselben war ein gewisser Herr Ephraim Tulpenstengel, ein Bankier aus Wien. Er war von allen am schwersten abzuschütteln gewesen.

»Wenn Ihre Angaben alle wahr sind, sollen Sie durch mich ein reicher Mann werden, Herr Ypsilon,« sagte Ephraim Tulpenstengel und machte eine seiner lebhaften Gesten dazu. »Das elektrische Eis is eine Sache, die Goldstangen wert is. Wir könnten einen elektrischen Trust inszenieren, der Morgan, der Rockefeller werden Sie beneiden.«

Ellbogen unterbrach den Redestrom des Juden. »Die Tragweite der Erfindung ist mir längst bewußt. Kapitalien brauche ich dazu. Kapitalien. So bald als möglich.«

»Schließen Se ab mit mir einen Vertrag, dann sollen Se alles haben,« erwiderte Tulpenstengel listigen Blickes.

»Ich kann mich jetzt noch niemandem verpflichten. Mein Elektroeis ist mir nicht um einen Pappenstiel feil.«

»Wer bietet Ihnen einen Pappenstiel?« frug der Jude. »Sie werden ein steinreicher Mann, wenn ich die Sache in die Hand nehme. Ohne schriftliche Garantien kann ich aber nichts tun. Kenne ich doch Ihr Eis gar nicht.«

»Sie werden es noch kennen lernen,« versetzte Ellbogen. »Ein einziges Gramm davon hat die gleichen Wirkungen wie eine Tonne Dynamit. Kriege könnte ich führen, ganze Völker vernichten!«

»Das klingt alles großartig,« meinte Herr Tulpenstengel und strich sich wohlgefällig durch seinen Bart. »Herr Ypsilon, schließen Se ab den Vertrag und alles geht nach Ihrem Wunsch.«

Ellbogen ließ sich aber nicht herbei, dem Wiener Bankier irgendwelche schriftlichen Zugeständnisse zu machen. Mit seiner grandiosen Erfindung standen ihm alle Finanzkreise der Welt offen, wenn er nur erst in der Lage war, Elektroeis zu fabrizieren, bislang hatte er aber daheim wenig erzeugen können.

So kam es denn schließlich, daß auch Herr Ephraim Tulpenstengel fortging, ohne etwas erreicht zu haben. Aber der schlaue und berechnende Bankier war zähe, er ließ das Projekt nicht fahren und wollte Ypsilon alias Ellbogen daheim in Deutschland aufsuchen.

Nur um jenen los zu werden, bedeutete Ellbogen ihm, daß er in längstens zwei Wochen in die Heimat zurückkehren und ihm von dort aus eine Benachrichtigung zugehen lasen wolle.

Damit beschied sich schließlich Herr Tulpenstengel und verließ das Haus auf dem Follingbohöjden. Ellbogen und Nobel sahen ihm durch das Fenster nach. Sie bemerkten, wie der Finanzmann einen mächtigen Bogen um den Turm machte und dann in der Richtung nach Wisby bei der nächsten Wegbiegung verschwand.

Ellbogen begab sich nun zu dem Turm hinüber und Nobel schloß sich ihm an. Beide beabsichtigten die Ursache des Fehlschlagens ihrer Versuche näher zu ergründen. Die Besichtigung des Kessels, der der wichtigste Teil der ganzen Vorrichtung war, mit deren Hilfe Blitzenergie in kristallisierten Zustand gebracht werden sollte, ergab, daß die eine Wand zum Teil abgeschmolzen war, ein Schaden, der in dem kleinen Orte Wisby nicht repariert werden konnte.

Diese Entdeckung setzte natürlich allen weiteren Versuchen sofort ein Ziel. Ellbogen beschloß seine Rückkehr nach Deutschland, und Nobel mußte sich sofort nach der nächsten Fahrgelegenheit in Wisby erkundigen.

Einige Tage später schwammen beide bereits auf den grünen Fluten der Ostsee. Den ominösen Turm hatten sie jedoch zurückgelassen — er steht noch heute auf den Follingbohöjden, einsam als stummer Zeuge aus entschwundenen Tagen, wo sich ein Sterblicher kühn vermaß, des Himmels Blitz zu bändigen.

--*--

Viertes Kapitel
Eine abenteuerliche Nacht

Frau Lola lag auf ihrem Diwan und hatte sich ein Mittagsschläfchen gegönnt. Ein Buch, welches sie vor dem Einschlafen zur Lektüre benutzt hatte, war ihren weißen Händchen entglitten und auf den Boden in den dickwulstigen Teppich gefallen.

Die prächtige Standuhr auf dem Konsol verkündete eben mit dumpfem Gongschlag die dritte Nachmittagsstunde. Frau Lola Rasmuß erwachte darüber. Sie reckte sich und wollte sich eben erheben, als sich die Tür öffnete und Robert Rasmuß, ihr Mann, hereintrat.

»Nun, du siehst ja so verärgert aus?« frug die junge Frau und forschte in den Gesichtszügen ihres Mannes, als könne sie daraus die Gründe seiner Mißstimmung ermitteln.

»Ursache genug,« brummte Rasmuß. »Hat da irgendwo ein gewisser Doktor Ypsilon eine Erfindung gemacht, die die ganze Industrie in andere Bahnen lenken wird, wenn sich alles bewahrheitet, was darüber in den Blättern geschrieben wird.«

»Ja, aber um Himmels willen, das geht dich doch nichts an!« rief Frau Lola aus.

»Das geht mich nichts an! Mein Ruin kann es werden!«

»Worum handelt es sich denn eigentlich?«

»Um eine neue Elektrizitätsform,« versetzte Rasmuß kurz.

»Davon verstehe ich nichts.«

»Hoffentlich ist das Gerücht nur eine Zeitungsente oder es handelt sich um eine unreife Sache. Andernfalls kann ich meine Fabrik schließen und meine Waren verschleudern.«

»Du wirst wahrscheinlich wieder einmal eine Sache für ernst nehmen, die andere kaltblütig belächeln,« meinte die junge Frau und erhob sich von dem Diwan, trat vor den Pfeilerspiegel und ordnete ihr lichtblondes schönes Haar.

»Wer mag nur dieser Doktor Ypsilon sein? Nicht die geringste Ahnung habe ich ... denke dir, mit gefrorener Elektrizität will er Maschinen treiben und Lichtanlagen speisen.«

»Wa—as! Mit gefrorener Elektrizität? Gibt es denn so etwas?« frug die kleine Frau verwundert.

»Bis jetzt hat man eine solche Elektrizitätsform natürlich nicht gekannt, und wer davon gesprochen hätte, den hätte man reif fürs Irrenhaus gehalten!«

»Aber das ist doch wohl nicht gut möglich. Elektrizität ist doch kein Wasser.«

»Was ich über die gefrorene Elektrizität denken soll, das geht über meinen Horizont! Die ganze Sache schmeckt lebhaft nach einem Aprilscherz, und ich würde ihr vielleicht gar keine Beachtung schenken, wenn nicht Fachzeitungen die Erfindung besprochen hätten. Dies macht mich stutzig, wenn auch jener Doktor Ypsilon niemand bekannt ist und sein Elektroeis noch kein Menschenauge gesehen hat.«

»Ach, vielleicht ist doch alles nur Humbug,« entgegnete die blonde Frau Lola und man sah es ihr an, daß sie sich nicht um einen Pfifferling Kopfschmerzen darüber machte, was ihren Mann so erregte.

Rasmuß schüttelte zweifelnd den Kopf und begab sich hinüber in das Privatkontor seiner Maschinenfabrik. Dort beschied er seinen ersten Ingenieur zu sich.

»Herr Wessel, sagen Sie mal, haben Sie schon etwas von der neuen Erfindung eines gewissen Doktor Ypsilon gehört?«

Der Ingenieur nickte und erwiderte: »Von dem famosen Elektroeis?«

»Ganz recht ... was halten Sie von der ganzen Sache?«

Der Gefragte zuckte die Achseln. »Sicher Humbug.«

»Nun, wir wollen das nicht so ganz als pure Unmöglichkeit betrachten,« meinte der Fabrikbesitzer.

»Aber, bedenken Sie doch. Gefrorene Elektrizität! Etwas widersinnigeres gibt es doch gar nicht.«

»Allerdings, Herr Wessel. Doch wer weiß, wie es der Erfinder fertig gebracht hat, aus der Unmöglichkeit eine Möglichkeit zu machen. Dann könnte ich ja meine Fabrik schließen. Meine Maschinen würde kein Mensch mehr kaufen.«

»So schnell schießen die Preußen nicht, verehrter Herr Rasmuß. Mit der festen Elektrizität hat es sicher irgend einen Haken und bezweifle ich auf das entschiedenste, daß dieses Problem so gelöst ist, daß es eine Weltumkremplung nach sich zieht,« erwiderte im bestimmten Tone der Ingenieur.

»Wir wollen trotzdem die Sache nicht aus dem Auge verlieren. Sie schaut ja ganz wie ein Phantasiegebilde aus, aber die Fachzeitschriften beschäftigen sich bereits damit und das eben macht mich stutzig.«

»Je mehr ich darüber nachdenke, desto unglaublicher erscheint mir die Erfindung,« entgegnete Wessel.

»Donnerwetter! das gäbe eine hübsche Umwälzung auf der Erde, wenn das Elektroeis sich seinen Platz unter der Sonne eroberte. Überlegen Sie sich das einmal. Schon allein der Gedanke, daß man eine Dose mit feiler Elektrizität immer bei sich tragen könnte und somit zwanzig oder dreißig Pferdekräfte in der Westentasche mit sich herumschleppte, ist großartig!«

Der Ingenieur lachte.

»Etwas derartiges hat ja nicht einmal der selige Jules Verne sich zu erdenken gewagt,« fuhr Rasmuß fort.

»Mit einem Zylinder voll Elektroeis müßte man einen ganzen Eisenbahnzug mit hundert Kilometer Geschwindigkeit in Bewegung setzen können. Das klingt wunderhübsch, Herr Rasmuß, aber eine solche Errungenschaft wäre ein Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln, und darum fehlt mir der Glaube.«

»Hm ... der Doktor Ypsilon wäre ein Wunderkerl.«

»Mögen die Zeitungen über Ypsilon und sein Eis schreiben so viel sie wollen, ich glaube es nicht eher als bis ich das Zeug gesehen und probiert habe.«

»Haben Sie eine Ahnung, wo der Weltumstürzler haust?« frug Rasmuß.

»Vielleicht ist's ein Amerikaner ... Ypsilon klingt mir etwas verdächtig. Am Ende ist's nur ein Pseudonym.«

»Ein absonderlicher Name.«

»Eben zu absonderlich, um nicht den Verdacht zu erwecken, daß hierbei einiges nicht ganz stimmt.«

Rasmuß beruhigte sich allmählich bei dem Gedanken, daß schon oft Erfindungen oder seltsame Entdeckungen publiziert worden waren, die sich späterhin als minderwertig oder ohne jegliche Tragweite herausstellten. Als er am Abend desselben Tages dann im Ratskeller mit seinen Stammtischlern beim Schoppen Bier zusammen kam und hier gleich zu Beginn der Unterhaltung das Elektroeis aufs »Tapet« brachte, da belachte man die Sache und nannte die gefrorene Elektrizität ein Produkt, daß nur in dem Hirn eines dem Überschnappen nahen Phantasten existiere.

Als letzter der Stammgäste erschien der Bürgermeister auf der Bildfläche. Er hatte sich heute infolge eines Vorkommnisses etwas verspätet. Kaum hatte er sich gesetzt, als er mit einer Neuigkeit herausrückte.

»Haben Sie schon einmal etwas von festem Licht gehört?« frug er seinen Nachbar, den Apotheker Eule.

Dieser verneinte und meinte, das sei ein eben solcher Blödsinn wie das elektrische Eis.

»Richtig!« rief Bürgermeister Kaul. »Das Elektroeis ... die Herren haben also davon auch schon gehört?«

»Na, in den Zeitungen steht's doch,« entgegnete der Rentner Sauer.

»Wissen Sie auch schon, daß der Erfinder in unserer Stadt wohnt?« frug Kaul weiter.

»Dr. Ypsilon?!« platzte Rasmuß heraus und sprang von seinem Stuhl auf.

»Ellbogen heißt der Mann,« korrigierte ihn der hochweise Stadtvater.

»Das ist unglaublich!« rief Rasmuß.

»Es war mir schon lange bekannt,« fuhr Kaul fort und zündete sich eine »Holländer« an. »Daß Sie davon noch nichts wissen.«

»Kennen Sie den Menschen, Herr Bürgermeister?«

»Ich habe noch nicht das Vergnügen gehabt. Habe mich auch weiter nicht um den Sonderling gekümmert. Er ist sicher etwas — hier.« Bei den letzteren Worten tippte das Stadtoberhaupt an seine Stirn.

»Übergeschnappt?« frug Rasmuß.

»Festes Licht ... gefrorene Elektrizität! Überlegen Sie sich den Unsinn doch einmal,« sagte der dicke Rentner, der schon einmal das Wort zur Sache ergriffen hatte.

»Dr. Ypsilon und Ellbogen ... sagten Sie nicht, daß der Mann Ellbogen hieß? Ist das ein und dieselbe Person?« frug Rasmuß stark interessiert.

Der Bürgermeister nickte. »Ein und der selbe Kerl.«

»Daß die Zeitungen aber soviel Notiz von einer Sache nehmen, die doch zweifellos großer Blödsinn ist, das verstehe ich nicht,« warf der Apotheker ein.

»Und das tollste ist, daß man über unsere Stadt schon Glossen macht. Diese Herren Zeitungsschreiber wagen sich allerlei!« sagte Kaul. »In einem Blatte hieß es, daß unsere Stadt ein richtiges Schildbürgernest wäre, deren Stadtväter wohl bald festes Licht in Säcken in ihr dunkles Rathaus schleppen wurden, um ihren Geist zu erleuchten.«

»Das ist allerdings eine unerhörte Frechheit, Herr Bürgermeister,« rief der Stadtverordnete Fabrikant Fellnagel aus.

»Klage sich einer mit den Zeitungsschreibern bei Gericht herum,« erwiderte Kaul. »Dabei kommt nichts heraus als eine kleine Geldstrafe für diese Leute und die Sache wird nur noch breiter getreten und zum Schluß sind wir die Blamierten.«

»Vielleicht ist an dem Elektroeis oder dem festen Licht doch ein Körnchen Wahrheit. Wer weiß, wie — — —« meinte Rasmuß.

»Rasmuß!« rief der Apotheker aus. »Festes Licht! Einen größern Blödsinn kann ich mir nicht denken. Wer halbwegs 'ne blasse Ahnung von der Physik hat, der muß sich doch sagen, daß Lichtstrahlen niemals in eine solche Form gebracht werden können, daß man sie in Papier wickeln kann.«

»Aber das Elektroeis ... die Fachzeitschriften beschäftigen sich doch damit,« entgegnete Rasmuß.

»Ideen eies Dr. Ypsilon — Hirngespinste! Und darauf fällt die Fachpresse hinein? Unglaublich naiv!« platzte der Apotheker heraus.

»Wo wohnt der Herr Ellbogen eigentlich?« frug jetzt Sauer.

»Vor dem Tor draußen,« antwortete Kaul. »Es ist ein Nachbar vom Grafen Holgen.«

»So was lebt unter uns? — Da wäre ich also auch ein Schildbürger?« sagte Sauer und sein feistes Gesicht verzog sich in einer Weise, daß die anderen am Stammtisch auflachen mußten.

»Ich werde morgen früh sofort Recherchen anstellen lassen,« ließ sich dann der Bürgermeister weiter vernehmen. »Schon vor einigen Wochen habe ich einen Polizisten zu Ellbogen gesandt, doch war nichts anderes zu ermitteln, als daß dieser sich mit allerlei Experimenten zu seinem Vergnügen beschäftige. In letzter Zeit war der famose Herr verreist und ich habe nichts wieder von ihm gehört.«

Als die Mitternachtsstunde schlug, ritten die Herren am Stammtisch noch immer auf demselben Thema herum, und auf dem Nachhauseweg konnten Rasmuß und der dicke Rentner es sich nicht verkneifen, trotz der vorgerückten Nachtzeit noch einen Spaziergang vors Tor zu unternehmen, um einmal die Örtlichkeit in Augenschein zu nehmen, wo der geheimnisvolle Ypsilon hauste.

Rasmuß schlug, als er mit seinem Begleiter das gräfliche Besitztum passiert hatte, den schmalen Weg ein, der von dort zu des Einsiedlers Haus führte.

Es war eine herrliche Nacht. Der Mond stieg soeben über den Horizont und warf sein fahles Silberlicht auf den kiesigen Weg. Eine Nachtigall im nahen Gebüsch sang ihr Lied dazu und ein lauer Wind strich durch die Wipfel der Bäume, welche zu Seiten des Weges standen.

Stille ringsum. Nirgends ein Licht. Alles lag in Ruhe und Frieden da. Unter den Schritten der beiden Wanderer knirschte der Kies. Rasmuß war eine sehr empfängliche Natur und mystische Dinge konnten ihn leicht in Erregung versetzen und seine Sinne gefangen nehmen. Eine Weile hindurch waren die beiden Männer wortlos neben einander hergegangen und hatten sich ihren Gedanken überlassen. Als Rasmuß dann aber in den Weg einbog, der zu Ellbogens Haus führte, brach Sauer das Schweigen und frug mit gedämpfter Stimme: »Kennen Sie die Gegend. hier?«

Rasmuß verneinte.

In demselben Augenblick bemerkte er einen schwachen Lichtschein, der hinter den Bäumen hervordrang.

»Dort muß das Haus sein,« sagte er halblaut und zeigte mit der Hand vor sich her.

»Es brennt bei ihm noch Licht ... so spät,« versetzte Sauer mit gleichfalls gedämpfter Stimme.

Die Männer blieben eine kleine Weile stehen und horchten.

»Ich höre jemand hämmern,« flüsterte Rasmuß.

»Mir ist es auch so,« bestätigte Sauer.

»Er scheint die Nacht zur Arbeit zu benützen ... eigentümlich —«

»Ein Geheimniskrämer ...« murmelte der dicke Rentner.

»Hoffentlich bleiben wir von ihm unbeobachtet. Es wäre mir nicht angenehm, wenn er uns hier überraschte.«

»Schleichen wir uns dem Hause vorsichtig näher. Die Bäume schützen uns, wir können kaum gesehen werden.«

»Das Spionieren hat eigentlich wenig Zweck.«

»Nun, das Haus können wir uns schon mal ansehen,« entgegnete Sauer.

Die beiden schritten jetzt weiter.

»Sehen Sie den flackernden Lichtschein ... dort linker Hand?« frug Rasmuß hastig.

Sauer nickte und beugte sich vor, um besser sehen zu können.

»Was mag Ellbogen in der Nacht dort tun? Ich bin gehörig neugierig geworden und gebe etwas drum, wenn ich seinem Treiben auf die Spur kommen könnte.«

Rasmuß wagte es jetzt bis nahe zur Gartentür vorzudringen. Vorsichtig lugte er durch das halboffene Fenster, durch welches der Lichtschein drang. Drinnen hantierte jemand, ohne daß der Späher die Gestalt deutlich zu sehen vermochte. Dann ertönte ein Surren durch die Stille der Naht.

Sauer schlich sich nun auch an die Gartenpforte heran.

Rasmuß legte die Hand auf seinen Mund, um jenem anzudeuten, daß er nicht sprechen solle.

Das Surren hielt an. Es klang fast unheimlich.

Eine Adeptenwerkstätte! Flackernder Lichtschein, mystisch klingendes Surren und Summen, und das um die späte Nachtstunde. Für die beiden Lauscher lag die Gefahr nahe, daß der unter ihren Füßen knirschende Kies sie verraten könne. Deshalb traten sie jetzt auf die dicht mit Unkraut überwucherte Wiese und versuchten um das Haus herumzuschleichen, in der Hoffnung, von hinten mehr gewahren zu können.

Der Mond warf die Schatten der Männer voraus, als diese um die Ecke der Umzäunung schritten. Dann näherten sie sich der Stelle, an der sie vorher einen grellen Feuerschein flüchtig bemerkt hatten. Dieser war inzwischen verschwunden, und nichts verriet, daß hier etwas zu entdecken war, was die Neugier der Männer hätte befriedigen können. Die grünen Laden waren dicht geschlossen und das Surren hier nur gedämpft vernehmbar.

Rasmuß flüsterte seinem Begleiter zu, er solle seine Schuhe ausziehen, damit kein Schritt ihre Anwesenheit verrate. Sauer tat dies, nachdem Rasmuß sich gleichfalls seiner Fußbekleidung leise entledigt hatte.

»Fatal, wenn man uns hier erwischt,« meinte Sauer.

»Allerdings ... pst!«

Das Surren hatte plötzlich aufgehört.

»Wir wollen wieder nach vorn schleichen,« raunte Rasmuß seinem Begleiter ins Ohr.

Dieser nickte anstatt jeder Antwort.

Die beiden waren kaum um die Ecke des Gartenzauns gebogen, als in dem erleuchteten Fenster ein Kopf sichtbar wurde.

»Hollah!« tönte es dann an die Ohren der beiden Spione. »Wer ist dort?« rief eine Stimme.

Die Angerufenen erschraken ein wenig, konnten sich aber den Blicken Ellbogens nicht entziehen, da sie im hellen Mondlicht standen und weder Baum noch Strauch in der Nähe waren.

»Wir haben uns verirrt,« stotterte Rasmuß in seiner Verlegenheit.

»Wirklich? Wie ist das nur möglich?« gab Ellbogen in einem Tone zurück, der den andern aufs deutlichste verriet, daß ihrer Antwort herzlich wenig Glauben beigemessen wurde.

»Unser Spaziergang hat uns auf einen falschen Weg geführt,« rief jetzt Sauer hinüber.

»Ich möchte fast wetten, daß mehr die Neugier Sie in die Nähe meines Hauses getrieben hat,« erwiderte Ellbogen.

»Offengestanden, ja,« sagte Rasmuß, der einsah, daß hier ein Versteckspielen mit seinen Absichten nicht am Platze war.

»Das dachte ich mir,« entgegnete Ellbogen.

»Sie werden uns unsere Neugier hoffentlich nicht verübeln, mein Herr?« frug Rasmuß und beeilte sich gleich Sauer, seine Stiefel wieder anzuziehen.

»Nicht im mindesten ... ich habe zwar keine Ahnung wer Sie beide sind, aber ...«

»Ich bin der Fabrikant Rasmuß.«

»Sie haben zweifellos Wunderdinge über mich gehört und wollten diesen einmal auf die Spur kommen,« sagte Ellbogen. »Das zu erraten, ist wohl nicht schwer für mich.«

»Auch das stimmt,« versetzte kleinlaut Rasmuß.

»Wenn ich die Herren einladen darf?« Ich bin gern bereit Ihnen einen Blick in meine Mysterien zu gestatten,« rief Ellbogen und verschwand vom Fenster, um gleich darauf in den Garten hinauszutreten.

»Ich bin kein Geheimniskrämer,« sagte Ellbogen, als er das Gittertor aufschloß.

»Sie beschämen uns fast mit Ihrem Entgegenkommen,« versetzte Rasmuß und warf einen mißrauischcn Bick auf Ellbogen.

»Machen Sie keine Umstände, meine Herren.« Damit ließ der Sprecher seine Besucher eintreten und geleitete diese in das Haus.

»Ich möchte mich jetzt auch vorstellen,« begann Sauer. »Ich bin der Rentner Sauer.«

»Freut mich, Ihre werte Bekanntschaft zu machen,« entgegnete Ellbogen.

»Verzeihen Sie eine Frage,« sagte hierauf Rasmuß. »Soviel mir bekannt ist, nennen Sie sich Ellbogen.«

»Simon Ellbogen heiße ich.«

»Ist Ihnen ein Dr. Ypsilon bekannt?«

»Ich müßte lügen, wenn ich dies verneinen wollte,« gab Ellbogen zur Antwort.

Inzwischen machte sich das Surren im Hause wieder bemerkbar.

»Meine Herren, Sie sehen, daß ich gewillt bin, Ihre Neugier zu befriedigen und werden sich darüber im stillen gewiß recht wundern. Es hat dies aber seinen Grund darin, daß ich sowieso jetzt in die Öffentlichkeit hinaustreten will, um meine Erfindungen der Kulturmenschheit zu überliefern.«

»Wirklich!« — rief Rasmuß aus.

»Ich beschere der Welt zwei neue Sachen.«

»Gefrorene Elektrizität ...« fiel Sauer ein.

»Sie sind schon unterrichtet, wie ich sehe.«

»Die Zeitungen ...« versetzte Sauer.

»Allerdings ... was Sie aber darin gelesen haben werden, wird kaum mit dem stimmen, was Sie jetzt zu Gesicht bekommen werden. Wollen Sie in diesen Raum hier eintreten ... es ist mein Arbeitszimmer.«

Bei diesen Worten öffnete Ellbogen die Tür eines geräumigen Zimmers, in welchem eine Ampel ein dem Tageslicht täuschend ähnliches Licht verbreitete.

»Nehmen Sie einen Augenblick Platz, meine Herren.«

Rasmuß und sein Begleiter kamen der Aufforderung nach und beide ließen dann ihre Blicke durch das Gemach schweifen.

Außer einigen Apparaten und Geräten vermochten sie jedoch nichts zu entdecken, was ihre Neugier noch weiter anfachen konnte.

»Angenehme Beleuchtung hier,« meinte Rasmuß, dem die eigentümliche Ampel mit ihrem noch eigentümlicheren Lichtschein auffiel.

»Hm ... festes Licht« — warf Ellbogen leicht hin und kramte auf seinem Schreibtisch, der voller Papiere lag, herum.

Rasmuß starrte Sauer an, dann lenkten sich beider Augen wieder auf die Ampel.

»Festes Licht,« brachte Rasmuß erstaunt über seine Lippen. »Also doch ...«

Ellbogen lachte. »Regelrecht festes Licht. Sie können es mit einem Hammer zerschlagen ... zu Pulver. Sie können mit einem Stück desselben Fensterscheiben zertrümmern. In der Tasche können Sie es mit herumschleppen ...«

»Aber das ist doch unmöglich!« platzte Sauer heraus und schnitt dabei eine Grimasse, die verriet, wie grenzenlos verblüfft er war.

»Ein Stückchen gefällig, meine Herren?«

Mit diesen Worten zog Ellbogen die Ampel herunter und griff in diese hinein. Dann präsentierte er seinen Besuchern eine leuchtende feste Masse.

»Sehen Sie, meine Herren, das Stückchen hier gibt Licht. Es strahlt unausgesetzt, bis es sich erschöpft hat.«

»Merkwürdig ...« versetzte Sauer.

»Gefrorene Elektrizität?« fiug Rasmuß.

»Nein, aber eingefrorene Lichtmengen,« gab Ellbogen zur Erwiderung.

»Wie haben Sie das fertig gebracht? Das ist ja für menschliche Begriffe gar nicht faßbar!« rief Rasmuß.

»Vorläufig noch mein Geheimnis ... Doch ich will Ihnen einige Andeutungen darüber machen. Meine Erfindung beruht auf der physikalischen Tatsache, daß ein Lichtstrahl, wenn er in die Achse eines horizontal austretenden Wasserstrahles eindringt, er in letzterem gefangen bleibt und erst wieder befreit wird, wenn sich der Wasserstrahl in Tropfen auflöst. — — So, nun bitte kommen Sie, ich will Ihnen noch einiges zeigen, was Sie sicher in Erstaunen setzen wird.«

Die Männer erhoben sich und folgten Ellbogen in ein anstoßendes Gemach. Dunkelheit umgab sie hier.

»Haben Sie schon einmal einen zu Eis erstarrten Blitz gesehen?« frug Ellbogen.

»Herr Ellbogen, sind Sie ein Hexenkünstler?!« rief Rasmuß aus.

»Auf solchen mittelalterlichen Titel verzichte ich, zudem geht bei mir alles mit natürlichen Dingen zu ... Ich werde Ihnen jetzt einen Eisblitz vor Augen führen.«

Ellbogen hantierte einige Augenblicke in der Dunkelheit.

»Was ich Ihnen zeige, ist eine zwei Meter lange starkwandige Glasröhre, welche armdick und in einem andern gläsernen Behälter gelagert ist. Diese Röhre enthält einen Teil eines Gewitterblitzes in regelrecht gefrorenem Zustande.«

»Unglaublich,« entfuhr es Rasmuß' Lippen.

»Der Blitz ist durch mein Verfahren natürlich unschädlich gemacht, wenigstens so lange ich ihn gefangen halte.«

»Und wenn der Blitz zu entwischen Gelegenheit findet, dann wird er verheerend wirken? Eine gefährliche Nachbarschaft, Herr Sauer,« ragte Rasmuß.

»Gott behüte, daß so was hier passiert!« entgegnete der dicke Rentner.

»Sie haben derartiges wirklich nicht zu befürchten,« beruhigte Ellbogen seine Gäste.

Der nächste Moment bot nun ein eigenartiges Schauspiel.

Die Glasröhre wurde plötzlich sichtbar und in ihr flackerte und flammte es, just so als sähe man in einen Blitzstrahl, der feurig vom Himmel zur Erde herabschießt. Wie das zuckte und glühte! Die zackige Form des gefangenen Blitzes blieb völlig unverändert und seine Enden verloren sich in einem violetten Schimmer.

»5000 Pferdekräfte habe ich in die enge Röhre gebannt,« sagte Ellbogen.

»Unheimlich!« murmelte Sauer und ihm wurde es anscheinend ungemütlich in der furchtbaren Nachbarschaft des gefangenen Blitzstrahles.

»Die Kraft von zehn Schnellzugslokomotiven sozusagen in einer Glasbüchse aufgespeichert,« meinte Rasmuß. »Herr Ellbogen, mich überkommt vor Ihrem geheimnisvollen Können eine grenzenlose Hochachtung.«

»Als letztes will ich Ihnen nun noch mein Elektroeis zeigen,« sagte Ellbogen. »Im Prinzip beruht dessen Herstellung auf derselben Methode, die ich zur Fesselung und Erstarrung der Blitze verwende.«

»Ein Geheimnis natürlich, daß Sie uns nicht verraten werden,« versetzte Rasmuß. Er hätte gar zu gern einige nähere Aufschlüsse gehabt.

»In wenigen Wochen soll die Welt mit meinen Wundern näher bekannt gemacht werden, bis dahin mochte ich nichts verlauten lassen.«

Ellbogen verschloß hierauf die Blitzöhre wieder durch einen Druck auf den Knopf eines langen Stahlzylinders. der sich dann vorschob, womit völlige Dunkelheit im Raume eintrat.

»Ich gehe jetzt voraus. Bitte, folgen Sie mir!« sagte Ellbogen und öffnete eine Tür. »Hier auf dem Flur hängen Gummianzüge, daneben stehen Gummigaloschen. Bekleiden Sie sich gefälligst damit, meine Herren!«

Rasmuß und Sauer taten wie ihnen geheißen.

»Wir können ohne diese Gummikleidung keinen Schritt in meinen Eiskeller tun,« sagte Ellbogen, der sich ebenfalls einen Schutzanzug anlegte.

»Es ist dort wohl sehr gefährlich?« frug Sauer ängstlich.

»Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie in der Isolationskleidung stecken,« beruhigte Ellbogen ihn.

»Gummi bildet einen Schutz gegen Ihr Elektroeis?« frug Rasmuß.

Ellbogen bejahte. »Sie müssen bedenken, daß an dem Ort, wo ich Sie jetzt hinführen werde, große Mengen kristallisierter Elektrizität aufgespeichert liegen. Hunderttausende von Pferdekräften! Deshalb muß man eine Schutzhülle tragen.«

»Schmilzt das Eis nicht?« frug Rasmuß.

»Ich halte die Temperatur immer auf gleicher Höhe.«

»Enthalten die Eismassen hochgespannte Elektrizität?«

»Ich habe zwei Abteilungen. Eine für Starkstromeis und eine für das Schwachstromeis. Letztere ist ungefährlich und könnte zur Not ohne Isolierschutz betreten werden.«

»Ich bin sehr neugierig, Herr Ellbogen, wie Sie es fertig bringen, die Energie in einen solchen Zustand zu überführen,« meinte Rasmuß.

»Mit einer Naturkraft bändige ich die andere. Mehr kann ich Ihnen jetzt wirklich nicht verraten,« gab Ellbogen zur Antwort.

»Sie werden mit Ihrer Erfindung mich und tausend andere ruinieren,« fuhr Rasmuß fort.

»Wieso?«

»Ich bin Fabrikant von Dampfmaschinen. Ein ganzes Vermögen steckt in dem Lager, welches ich habe, hunderte von unverkauften Maschinen werde ich nach Einführung Ihres Elektroeises zum alten Eisen werfen müssen. Alle Maschinen werden künftig mit Ihrem Energiemittel getrieben werden.«

»Das wird eine unausbleibliche Folge sein. Aber mußte nicht einmal die Zeit kommen, in der die Menschheit sich eine neue Energieform in ihrem Lebenshaushalt zunutze macht?«

»Allerdings ...« sagte seufzend Rasmuß.

»Sie werden künftig Maschinen bauen, die sich mit meinem Elektroeis betreiben lassen. Das Brot nehme ich Ihnen also nicht.«

»Aber augenblicklich wäre es doch mein Ruin.«

»Nun, so schlimm wird das wohl nicht gleich werden,« meinte Sauer.

»Ja, Sie, Herr Sauer, haben gut reden, Sie haben Ihr Schäfchen längst ins Trockne gebracht und leben von Ihren Renten.«

»Der Fortschritt läßt sich nun einmal nicht aufhalten,« sagte Ellbogen. »Der Umsturz kommt zwar etwas recht unvermittelt und überraschend, aber die Krise wird bald überwunden werden.«

Während dieser Unterhaltung hatten die Männer ihre Schutzkleidung angelegt, und Ellbogen schritt nun voraus einen dunklen Gang entlang, der zu einer Kellertreppe führte.

»Jetzt müssen wir etwa fünfzig Stufen hinabgehen. Halten Sie sich an dem Geländer fest. Ich werde Licht machen.« Bei diesen Worten griff Ellbogen in die Tasche und zog einen kleinen Behälter hervor, dem er einige Körner festes Licht entnahm. Sie lieferten in seiner Hand eine matte Beleuchtung, die ausreichte, um die Treppenstufen erkennen zu lassen.

Unten angekommen, öffnete Ellbogen eine schwere Tür, dann noch eine zweite und sagte: »Jetzt sind wir im Gefahrenbereich. Fürchten Sie aber nichts. Die Gummikleidung schützt Sie.«

Eine eisige Luft drang Rasmuß und seinem Begleiter entgegen, und die Augen mußten sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, ehe hier etwas unterschieden werden konnte. Von allen Seiten flimmerte es den Eintretenden entgegen. Ein Anblick, wie ihn vielleicht Myriaden von Glühwürmchen in der Nacht bieten würden.

In gewaltigen Blöcken lagerte hier die kristallisierte Elektrizität. Ein Vorrat, der genügt hätte, allen Ozeandampfern ein ganzes Jahr hindurch die Kohle entbehrlich zu machen.

Und in diesem unheimlichen Kraftmagazin herrschte Grabesstille, die Energie schlummerte und nur ein Wärmehauch könnte sie zum Leben erwecken.

Die Luft des Kellers war von einem stechend sauren Geruch erfüllt und erschwerte fast das Atmen. Es war dies eine Folge der fortgesetzten Entwicklung von Ozon.

»Es ist kein gemütlicher Aufenthalt hier, meine Herren,« sagte Ellbogen und nahm eine Handvoll des grobkörnigen Eises und hielt dieses Rasmuß hin. »Sehen Sie, wie das leuchtet und funkelt!«

»Wagen Sie es sich, das Eis so anzufassen?« frug Sauer, der weidlich fror und mit den Füßen zu trampeln begann.

»Warum nicht? Mit Gummihandschuhen hat das keine Gefahr. Mit dieser kleinen Handvoll könnte ich das größte Unheil anrichten, wenn ich wollte. Sobald das Eis in der Wärme schmilzt, wird die Energie allmählich frei und verbreitet sich in Wellenform im Raume.«

»Eine Fortleitung des freiwerdenden Stromes durch Drahtleitungen macht sich somit entbehrlich?« frug Rasmuß.

Ellbogen bejahte.

»Wie vermag man aber die sich zerstreuende Energie aufzufangen und zum Antrieb von Maschinen zu benutzen?«

»Zu diesem Zwecke dient ein von mir konstruierter Sammler, dessen Beschreibung ich mir hier ersparen will.«

Sauer drängte jetzt, daß der Rückzug angetreten werde. »Die Kälte läßt einem das Blut in den Adern erstarren, ich halte es nicht mehr aus.«

»Kommen Sie, meine Herren!« sagte Ellbogen und verließ den Keller, die Türen hinter sich sorgfältig verschließend.

»Eine wahre Nordpolkälte!« brummte Sauer.

»Nur 15 Grad Celsius,« entgegnete Ellbogen.

Oben wieder angekommen, entledigte man sich der Gummibekleidung.

»So, meine Herren, ich hoffe jetzt Ihre Wißbegier befriedigt zu haben. Aber um eins möchte ich Sie noch bitten. Wollen Sie über das, was Sie bei mir gesehen haben, Stillschweigen beobachten? Nur einige Wochen lang. Meine Sache ist noch nicht für die Öffentlichkeit reif, und ein vorzeitiges Bekanntwerden kann mir nur zum Nachteil gereichen.«

Rasmuß und Sauer versprachen dies.

»Als ein ruinierter Mann verlasse ich Sie jetzt,« fügte Rasmuß noch hinzu. »Meine Fabrik muß ich schließen ...«

»Das sollen Sie nicht, Herr Rasmuß,« antwortete hastig Ellbogen. »Im Gegenteil, mir ist der Gedanke gekommen, ob Sie nicht in meinem Fahrwasser segeln können.«

»Wie soll ich das verstehen?« frug Rasmuß.

»Hören Sie. Mein Assistent, der Ingenieur Nobel, hat einen Elektromotor für meine Zwecke konstruiert, dessen Massenfabrikation Sie betreiben können. Sie erhalten von uns die Lizenz und ...«

»Ist das Ihr Wort, Herr Ellbogen?!« rief Rasmuß freudig aus.

»Auf mein Wort!«

»Ich danke Ihnen.«

»Morgen soll Sie mein Assistent aufsuchen und Sie können sich dann mit ihm besprechen. Im übrigen also Stillschweigen, bis ich selbst an die Öffentlichkeit trete.«

Nach der Verabschiedung eilten Rasmuß und Sauer voll von den erhaltenen Eindrücken ihren Behausungen zu. Längst schon war die dritte Nachtstunde verstrichen und der Morgen begann bereits zu dämmern, als beide ihr Heim erreichten und sich Lebewohl sagten.

--*--

Fünftes Kapitel
Das Ende des Elektrikers

Innerhalb der Mauern des Städtchens X. pflegte sich das tägliche Leben jahraus jahrein in derselben gemütlichen, jeder Absonderlichkeit und Aufregung baren Weise abzuspielen. Nur selten wurden die friedlichen Bürger durch Ereignisse besonderer Art aus ihrer Ruhe und ihrem Kleinstädterphlegma aufgerüttelt. Die Stadtväter und löblichen Behörden hatten deshalb ein von keinem Wässerchen getrübtes Dasein und konnten allabendlich sorglos in die Federn krauchen.

Erst ein böser Freitag sollte hier eine Wandlung der Dinge herbeiführen und aus dem friedsamen Städtchen ein Wespennest machen, in das jemand keck hineingegriffen hatte.

Ahnungslos von dem, was sich nun abspielen sollte, waren die Bürger an diesem Tage wie gewöhnlich frühzeitig aufgestanden — Langschläfer mochte es wohl auch in X. geben — und viele saßen noch beim Morgenkaffee, als sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitete, daß im Laufe des Tages bei dem Grafen von Holgen hoher Jagdbesuch eintreffen werde. Sr. Durchlaucht der Erbprinz von LoxenRauenstein hatte sich unerwartet im Schloß angemeldet und gedachte zwei volle Tage in X. Quartier zu nehmen.

Bürgermeister und Stadtrat waren kopflos. Ersterer setzte sich sofort hin und brütete über einer Empfangsrede, die dem hohen Besuche zugedacht war. Die übrigen Stadtväter berieten schnell in einer Frühsitzung, wieviel Meter Guirlanden man an das vorsintflutlich aussehende Rathaus und an die Torreste hängen müsse, um dem hohen Besuch den richtigen Begriff von der Gesinnungstreue der Bürger von X. beizubringen.

Der Stadtbaumeister Kuckuck meinte, man müsse einmal tief in den Stadtsäckel greifen, damit Sr. Durchlaucht die besten Eindrücke von X. mit fortnehme.

Graf von Holgen hatte dem Herrn Bürgermeister zwar mitgeteilt, daß der Erbprinz inkognito reise und wohl kaum auf einen öffentlichen Empfang irgendwie rechne. Trotzdem aber hatte das würdige Stadtoberhaupt es für unbedingt erforderlich erachtet, auch das Inkognito gebührend zu begrüßen.

Eine Stunde später waren in X. schon zahlreiche Hände mit der Ausschmückung des Rathauses tätig. Ein Empfangskomitee konstituierte sich in aller Eile, Ehrenjungfrauen hüllten sich in duftig weiße Mullkleider und die Stadtväter suchten ihre Bratenröcke und Zylinder hervor, mit denen sie vor Sr. Durchlaucht zu erscheinen gedachten.

Auch auf dem Schloßgut bereitete man sich auf den hohen Besuch Kopf über Hals vor. Graf von Holgen warf sich in Galatoilette und traf für die Jagd in seinem Forst alle Vorkehrungen.

Die Kunde von der Ankunft des Erbprinzen gelangte auch in Ellbogens Haus. Früh schon war Nobel gekommen, um einige Experimente zu unternehmen, von denen man aber absah, weil es in der Nachbarschaft bereits außerordentlich lebhaft zuging.

Der Tag war trüb angebrochen und es begann sich ein Nebel zu entwickeln, der bald alles wie ein dichter Schleier überzog und ein Sehen auf drei Schritte fast zur Unmöglichkeit machte.

Diese Witterungslaune paßte dem Empfangskomitee wenig ins Programm. Was half da alle festliche Ausschmückung, Durchlaucht hätte ja kein Blatt von den Guirlanden sehen können. Das wurde allseits schmerzlich empfunden, doch hoffte man, daß sich der böse Nebel bis zur Ankunft des hohen Gastes wieder zerstreue. Die Aussichten erschienen allerdings recht gering.

Mancher Ehrenjungfrau mochte diese Witterungstücke aber zugute kommen, der durchlauchtigste Gast übersah dann die häßlichen Flecke der nicht instand gehaltenen Mullkleidchen, und vielleicht auch die Sommersprossen oder sonst wenig hübschen Merkmale der einen oder andern Schönen, die zum Empfang von der Frau Bürgermeisterin in aller Eile mobil gemacht waren, entgingen so seinen kritischen Blicken.

Seit undenklichen Zeiten hatte keine Fürstlichkeit in den Mauern von X. geweilt, und wenn man die alten Chroniken der Stadt durchstöberte, so fand sich, daß einmal anno 1632 ein Sohn Ludwigs von NassauWeilburg mit seinem Reitertroß die Stadt berührt hatte.

Der hochlöbliche Herr Bürgermeister, der über seiner Empfangsrede brütete wie ein Huhn auf seinen Eiern, hatte eben diese Stadtchroniken eilends aus dem Archiv herbeischaffen lassen, um festzustellen, welche Erlaucht, Durchlaucht oder Hoheit vor dem zu erwartenden Gaste in den Mauern von X. schon einmal geweilt hatte. Er gedachte solchenfalles des letzten fürstlichen Besuches in seiner schwungvollen Ansprache Erwähnung zu tun.

Bürgermeisler Kaul hockte also über besagten Chroniken und wühlte in den verstaubten Akten herum, ohne etwas bezügliches zu finden. Das machte ihn geradezu nervös. Dazu kam noch, daß aller Augenblicke irgend jemand ihn zu sprechen wünschte — dringend natürlich zu sprechen, Sr. Durchlaucht wegen —

Um die zehnte Stunde, als Kaul seine Ansprache im Konzept vollendet hatte und er dieselbe gerade memorierte, wobei ihm seine zweitälteste Tochter Eulalia behilflich sein mußte, meldete sich eine Polizeiordonanz bei ihm.

»Was wollen Sie?« frug der Bürgermeister knurrig. »Immer diese Störungen!«

»Melde gehorsamst, daß ein gewisser Simon Ellbogen, der Nachbar des Herrn Grafen Holgen, sich weigert, seinen Privatweg für Dekorationszwecke herzugeben. Herr Bürgermeister wollen geneigtest anordnen, was dagegen zu tun sei,« antwortete der Polizist.

»Lauter solche Scherereien!« brüllte der überreizte Stadtvater und lief im Zimmer auf und ab. »Privatwege sind, wenn das öffentliche Interesse es erheischt, keine Privatwege mehr. Haben Sie das verstanden? Sagen Sie das dem Herrn ... wer ist es gleich?«

»Simon Ellbogen, Herr Bürgermeister.«

»Sagen Sie das dem Herrn Ellbogen also und wenn er sich weigert, so machen Sie vom Polizeirecht Gebrauch. Verstanden? — Gehen Sie, meine Zeit vertrödle ich nicht weiter mit solchen Lappalien.«

Der Polizist machte auf dem rechten Absatz Kehrt und verließ den Gestrengen.

»Eulalia, weiter!« sagte Kaul in verärgertem Tone zu seiner Zweitältesten. »Wo war ich stehen geblieben.«

Jungfer Eulalia hatte das natürlich vergessen, ihre Gedanken hatten während des störenden Zwischenfalles bei dem jungen Erbprinzen geweilt, dem sie beim Empfang ein Bukett zu überreichen hatte.

Der Bürgermeister ging, mit der rechten Hand auf dem Rücken und mit der Linken sich in seinem Vollbart krauend, in langen Schritten im Zimmer auf und ab. »Durchlauchtigster Herr Erbprinz,« begann er memorierend. »Dreihundert Jahre sind über die ergrauten Mauern von X. dahingerauscht ...«

»Aber, Vater, ergraute Mauern! das kann man doch nicht gut sagen,« warf Eulalia ein. »Mauern sind doch keine Haare ...«

»Papperlapapp!« brummte Papa Kaul. »Das muß ich besser wissen. — — — Weiter! ... Dreihundert Jahre sind über die ergrauten Mauern von X. dahingerauscht ...«

»Lieber Mann,« rief in diesem Augenblick die behäbig aussehende Gattin des Bürgermeisters und hantierte mit einer Bürste, wahrend sie in der Linken einen schwarzen Bratenrock ihres Mannes hielt. »Dein Rock ist wirklich nicht mehr gut.«

»Himmel! Frau! laß mich doch nur in Ruhe! ich muß memorieren, das ist nötiger als alle Bratenröcke der ganzen Welt!« knurrte unwillig Kaul.

»Aber du kannst doch nicht ...«

Der Bürgermeister schnitt seiner Frau die Rede ab, indem er mit überlauter Stimme im Rekapitulieren seiner Ansprache fortfuhr. »Dreihundert Jahre sind über die ergrauten Mauern von X. dahingerauscht ...«

Es klopfte vernehmlich, als Kaul gerade im Begriffe war, über den schon dreimal hergesagten Satz hinwegzukommen.

»Das ist doch, um aus der Haut zu fahren!« schrie der Gestrenge. »Ich bin für niemand zu sprechen!«

Frau Kaul rief: »Herein!«

Im Rahmen der Tür erschien ein Dienstmädchen. »Drei Herren wollen den Herrn Bürgermeister sprechen,« sagte sie.

»Ich lasse sie bitten in einer halben Stunde wiederzukommen,« versetzte voll Ingrimm Kaul.

Das Mädchen verschwand.

»Dreihundert Jahre sind über die ergrauten Mauern von X. dahingerauscht, seitdem ein fürstlicher Fuß diese abgeschiedene Stätte betrat. Seitdem haben wir, Eurer Durchlaucht ergebensten Diener, auf den Zeitpunkt gewartet, wo wir erneut einen Gast fürstlichen Geblüts begrüßen können ...«

»Vater,« warf Eulalia wieder ein. »Das klingt doch gerade so, als wenn du und die Bürger der Stadt 300 Jahre gewartet hättet. So alt wird doch kein Mensch.«

»Himmel! Eulalia! Das ist doch nur bildlich gemeint,« platzte Kaul verärgert heraus und setzte dann das Repetieren seiner Rede fort.

»... wo wir erneut einen Gast fürstlichen Geblüts begrüßen können. Unsere Ehrfurcht und Loyalität sind unbegrenzt und unsere Freude über Hochdero Erscheinen ...«

Der Bürgermeister wurde hier durch schmetternden Trompetenschall unter seinen geöffneten Fenstern abermals gestört und zwar in einer Weise, daß Eulalia erklärte, nichts verstehen zu können.

Kaul warf einen Blick auf die Straße hinab. Bei dem dichten Nebel konnte er drunten aber nichts unterscheiden. Wütend warf er das Fenster zu und befahl seiner Zweitältesten hinunter zu gehen und nachzusehen, was los sei.

Inzwischen rekapitulierte Bürgermeister Kaul weiter.

Heil dir im Siegerkranz! tönte es an seine Ohren, und die Klänge der Kapelle brachten ihn bald ganz aus dem Konzept.

Als Eulalia wieder erschien, berichtete sie, daß die Stadtkapelle unten übe.

»Sie sollen auf dem Blocksberg Musik machen, aber nicht hier unter meinen Fenstern!« schimpfte Kaul und rang die Hände vor Verzweiflung. »Wir gehen ins Badezimmer, das hat keine Fenster. Dort höre ich nichts von dem Spektakel,« ordnete er an und trollte sich nach dieser Beschlußfassung mit seiner Zweitältesten zornig nach dem fensterlosen Gemach, wo er tatsächlich auch eine Zeitlang ungestört blieb und das Einstudieren seiner verschnörkelten Ansprache zu Ende führen konnte.

* * *

Unterdessen war man auf dem gräflichen Gute überaus beschäftigt, die letzte Hand anzulegen, um Sr. Durchlaucht würdig zu empfangen und vaterländische Gesinnungstreue herauszukehren.

Graf von Holgen schritt mit seiner Gattin stolz durch die festlich geschmückten Räume seines Hauses, um mit kritischem Blick alles in Augenschein zu nehmen.

»Durchlaucht liebt die Blumen sehr,« sagte der Graf. »Besonders Gladiolen. Schade, in der ganzen Stadt sind nur ein paar Stengel aufzutreiben gewesen.«

»Wie schade,« repetierte mit einem Ausdruck leichten Bedauerns die Gattin.

»Der Bürgermeister plant großen Empfang durch die Behörde. Das ist doch völlig überflüssig, da der Erbprinz inkognito reist und sein Besuch mir allein gilt.«

»Allerdings, na, die Leutchen meinen's gut. Laß ihnen das harmlose Vergnügen und Durchlaucht wird auch nicht gerade böse darüber sein,« entgegnete die Frau Gräfin.

»Seine Zeit ist aber sehr gemessen, und solche Empfänge, Festreden und was sonst noch damit zusammenhängt, könnten ihn doch in seinen Reisedispositionen zu einer Aufenthaltsverlängerung zwingen.«

»Der Diener kam eben aus der Stadt zurück und erzählte, daß es drinnen lebendig sei wie in einem Bienenstock,« sagte scherzhaft die Gräfin und musterte die gedeckte Tafel des Speisezimmers, welche für den hohen Besuch mit allem vorhandenen Silberzeug ausgestattet war. Prunkstücke und Weinpokale, die seit Jahr und Tag verstaubt in den Ecken gestanden, waren hervorgeholt und zum Schmuck der Festtafel aufgestellt worden. Das Geschlecht derer von Holgen verfügte über eine Anzahl solcher wertvollen Erbstücke, die nur in ganz besonderen Fällen in Gebrauch genommen wurden.

Es war inzwischen die zwölfte Mittagsstunde herangekommen, als Graf und Gräfin ihren Rundgang durch das Herrenhaus beendet hatten und sich nun um ihre einzige Tochter Irma zu kümmern begannen.

Das holdselige Töchterlein des Hauses war mit ihrer Grandtoilette noch emsig beschäftigt, trotzdem die Ankunft Sr. Durchlaucht nahe bevorstand.

Unten im Gehöft stampften bereits die beiden Braunen, fertig eingeschirrt in dem mit Blumen geschmückten Wagen, und ihr Schnauben und Wiehern verrieten die Ungeduld, mit der sie auf das Schnalzen des Kutschers harrten, um abfahren zu können.

Von den geladenen Jagdgästen trafen jetzt der Apotheker Eule und der Rentner Sauer als erste ein.

Der dicke Sauer stak in einem funkelnagelneuen Anzug, der ihm viel zu eng zu sein schien, denn er schwitzte darin und die Knöpfe platzten ihm fast vom Rock.

Graf von Holgen begrüßte die Ankömmlinge und geleitete sie in die für den Erbprinzen hergerichteten Empfangsräume.

»Wenn nur der Nebel nicht wäre,« klagte der Graf. »Die Treiber auf der Jagd werden schimpfen.

»Donnerwetter!« rief Sauer. »Ihr Nachbar könnte es vielleicht fertig bringen den Nebel zu beseitigen. Er ist doch so ein Tausendkünstler.«

»Ellbogen? — —« frug der Graf lächelnd zurück.

»Ich habe kürzlich gelesen, daß man den Versuch gemacht hat, Nebel durch Elektrizität zu beseitigen,« meinte Sauer weiter.

»Und Sie glauben, daß Ellbogen das Kunststück auch fertig brächte? ... Nein, mein Lieber, Ellbogen ist ein Phantast, ein Ideenreiter, den darf man nicht zu ernst nehmen.«

»Die Zeitungen beschäftigen sich aber viel mit ihm,« warf Eule ein.

»Sein festes Licht und seine patente gefrorene Elektrizität sind und werden immer Hirngespinste bleiben,« entgegnete der Graf.

Sauer lächelte, er wußte es besser.

Jetzt trafen die übrigen Jagdgäste ein. Der Fabrikant Fellnagel, der pensionierte Major von Redern und Rasmuß.

Jeder drückte in erster Linie sein Bedauern über die Ungunst der Witterung aus, und man räsonierte weidlich über den verflixten Nebel, der die angesetzte Jagd geradezu illusorisch machte.

Wieder regte Sauer im Gespräch an, der Graf möge doch schnellstens den Nachbar Ellbogen aufsuchen, damit dieser sich darüber äußere, ob er den Nebel nicht zu vertreiben in der Lage sei.

Graf von Holgen murmelte etwas wie Zeitverschwendung und Phantasterei.

Rasmuß faßte die Sache aber ernster auf. Er wußte wie Sauer, daß Ellbogens neue Elektrizitätsform kein Unsinn war.

»Nun, Herr Graf, Ihr Nachbar ist ein äußerst findiger Kopf und seine Erfindungen sind tatsächlich von Bedeutung.«

»Herr Rasmuß!« fiel von Holgen ihm in das Wort. »Sie scheinen auch zu der gläubigen Gemeinde meines Nachbarn zu gehören.«

»Allerdings ... ich habe auch zwingende Gründe dazu, an seine Erfindungen zu glauben.«

Der Graf schüttelte den Kopf und sagte: »Eine Zerstreuung des Nebels mit Elektrizität halte ich für ausgeschlossen, Ellbogens famose Kunst würde dabei zweifellos scheitern.«

»Nun, das möchte ich noch dahingestellt sehen!« rief Rasmuß aus. »Ich werde einmal einen Sprung hinüber tun und mit ihm über die Sache reden.«

»Bitte, Herr Rasmuß ... wenn es Ihnen Spaß macht — — versäumen Sie sich aber nicht. Sr. Durchlaucht trifft in einer halben Stunde hier ein,« gab Graf von Holgen zur Erwiderung.

»Ich bin zur Minute zurück. Ellbogen wohnt ja nicht weit. Hoffentlich ist er erreichbar für mich,« sagte Rasmuß.

»Wenn Herr Ellbogen dem Nebel einen Klaps versetzen will, so soll er seine Sache ordentlich machen ... Durchlaucht wird für derartige enorme Leistungen auf dem Gebiete des Witterungswesens ihm sicher das Knopfloch schmücken!« rief Graf von Holgen dem sich eilig entfernenden Rasmuß scherzhaft nach.

Der Fabrikant ging spornstreichs zu dem Tausendkünstler hinüber und hatte das Glück, diesen anzutreffen und von ihm empfangen zu werden.

Rasmuß brachte sein Anliegen bezüglich der Zerstreuung des Nebels sogleich vor.

»Es käme auf einen Versuch an,« meinte Ellbogen und legte nachdenkend die Hand an das Kinn.

»Wenn Sie beispielsweise eine gewisse Menge Ihres Elektroeises im Freien zur schnellen Schmelzung brächten, so müßte doch eine Energiezerstreuung in der Atmosphäre die Folge sein.«

»Mm ... aber welche Quantitäten nötig sind, um einen so dichten Nebel zu zerreißen, darüber bin ich völlig im unklaren, Herr Rasmuß.«

»Kleinere Mengen würden wahrscheinlich wirkungslos bleiben.«

»Mm ... und bei größeren Mengen könnte der Versuch sehr leicht üble Folgen in anderer Weise haben.«

»Würde das mit Gefahr für Menschen verbunden sein?« frug der Fabrikant und er schien jetzt auch seine Bedenken zu hegen.

»Sie fragen mich zuviel — — mir geht in dieser Hinsicht die Erfahrung ab, gänzlich ab.«

»Zerstreut sich die in dem schmelzenden Eise frei werdende Elektrizität in einer explosionsähnlichen Weise?«

»Bei einer plötzlichen und schnellen Schmelzung wäre so eine Wirkung nicht ausgeschlossen. In der Sonnenglut zerfließend, würde mein Eis wie gleiche Mengen entzündetes Dynamit wirken.«

Rasmuß schauderte es.

»Ich werde mal mit meinem Assistenten die Sache besprechen und dann einen Versuch mit der Nebelzerstreuung unternehmen. Natürlich werde ich nur mit geringen Mengen operieren, gelingt es damit nicht, so habe ich wenigstens kein Unheil angerichtet.«

»Wo werden Sie die Ausstreuung des Elektroeises vornehmen?«

»Auf meinem Grundstück.«

»Dann werde ich mich hüten, dasselbe zu betreten.«

»Ich werde mit aller Vorsicht verfahren.«

»Gelingt Ihnen der Versuch, so stellen Sie Falb in den Schatten und Sr. Durchlaucht wird Ihnen sicher seine Anerkennung in Gestalt eines Ordens zuteil werden lassen,« sagte scherzhaften Tones Rasmuß.

Ellbogen lachte. In diesem Augenblick trat Nobel ins Zimmer. An der Tür blieb er aber stehen, etwas überrascht, daß Ellbogen wider seine sonstige Gewohnheit Besuche empfing.

»Ah! da kommt mein Assistent eben. Ich darf Sie wohl mit ihm bekannt machen?«

»Lieber Nobel, hier ist ein Bekannter von mir, Herr Rasmuß ... Sagen Sie mal, Herr Rasmuß, Graf von Holgen lacht also noch immer, sobald auf mich und meine Geheimtätigkeit die Rede kommt?«

»Jedenfalls steckt er stets den großen Zweifler heraus, Herr Ellbogen. Das würde jeder andere Uneingeweihte aber auch tun.«

»Zwischen mir und dem Grafen steht noch eine Wette an. Heute kommt sie zum Austrag ... er hat sie verloren.«

»Interessant ...« antwortete Rasmuß.

»Das kann ich bestätigen,« fügte Nobel hinzu.

»Welcher Art ist die Wette,« frug Rasmuß.

»Sie betrifft meine gefrorene Elektrizität.«

Aus der Ferne waren jetzt die Klänge einer Musikkapelle deutlich vernehmbar. Rasmuß sprang von seinem Sitze auf.

»Durchlaucht kommt! — Ich muß eilen ...« rief er und griff nach seinem Jagdhut.

»Die ganze Stadt scheint wegen dieses Erbprinzen auf dem Kopfe zu stehen,« sagte Ellbogen.

»Leben Sie wohl, meine Herren. Ich habe keinen Augenblick zu verlieren ...« Und fort war Rasmuß.

Hastig lief er den Weg hinab, der zu dem gräflichen Besitztum führte. Dann drängte er sich durch die Menschenmenge, welche das Gut umlagerte und gelangte noch rechtzeitig vor dem Eintreffen des hohen Gastes im Herrenhause an.

Am Torweg des Gutshofes hatten sich die Spitzen der Behörden aufgestellt: der Bürgermeister, die übrigen Stadtväter und höheren Beamten von X. sowie die Edelgarde der Ehrenjungfrauen. Eine Musikkapelle im Hintergrund, alles umschlossen von einer schwarzen Menschenmauer. Die Stadtpolizisten hatten alle Hände voll zu tun, die sich hier anstauende Menge in Schach zu halten und die Neugierigen, welche sich trotz Verbotes auf die Fahrstaße wagten, in die Reihen der anderen zurück zu jagen.

Der Nebel hatte sich inzwischen noch immer nicht gelichtet und ließ keinen Strahl der Mittagssonne durch.

Es war ein Uhr. Der Bürgermeister stand wie auf Kohlen. Im stillen repetierte er seine Rede, er hatte eine gehörige Angst vor dem Steckenbleiben. Seit Jahr und Tag hatte das würdige Stadtoberhaupt aber auch keine Gelegenheit gehabt, sich in Ansprachen zu üben, noch dazu in solchen, die fürstlichen Gästen zugedacht waren.

Kaul schwitzte bereits. Seine Tochter stand neben ihm, an der Spitze der weißgekleideten Ehrenjungfrauen und hielt in ihrer Rechten ein gewaltiges Rosenbukett. Sie fieberte ein wenig. In den nächsten Minuten durfte sie einem Prinzen gegenüberstehen und vor ihm einen Knix machen. So etwas passierte ihr wohl nicht wieder, dessen war sie sich bewußt, darum empfand sie die Weihe des heutigen Tages ganz besonders.

Während so in Erwartung des hohen Gastes jeder auf seinem Posten stand und ungeduldig auf die Durchlaucht harrte, ereignete sich unter der Zuschauermenge, die sich in unmittelbarer Nähe des Ellbogenschen Grundstückes drängte, ein seltsamer Vorgang.

Mehr als ein Dutzend Leute zeigten plötzlich ein eigentümliches Benehmen. Sie fingen an zu tänzeln und zu brüllen.

Was war passert? —

Die Leute gebärdeten sich, als hätten sie ihre fünf Sinne nicht beieinander. Es entstand dadurch eine große Panik unter den Zuschauern, gerade in dem Augenblick, als der Erbprinz ankam und Bürgermeister Kaul sich anschickte, den hohen Gast mit seiner tiefsinnigen, herrlichen Ansprache zu begrüßen.

Die Hurras und Hochs der Menge blieben zum größten Teil in den Kehlen stecken, denn im selben Augenblick, als Kaul die ersten Worte der Rede vom Stapel ließ, tänzelten und brüllten viele hundert Menschen und verursachten eine solche Aufregung, daß der Bürgermeister den Faden seiner Ansprache verlor und wie verstört auf die närrisch gewordene Menge stierte.

Der Nebel war in diesem Augenblick plötzlich stellenweise verschwunden — wie durch Zauberkraft vernichtet.

Natürlich konnte der Tumult dem Erbprinzen nicht entgehen. Kopfschüttelnd ließ er seine Blicke über die anscheinend blödsinnig gewordene Menge gleiten, und auch Graf Holgen war maßlos verblüfft.

Das Benehmen der Leute, die, so plötzlich wie vom Teufel besessen erschienen, wurde immer ärger.

Der Erbprinz wußte nicht was er denken sollte. War denn hier ein ganzes Narrenhaus freigelassen worden?

Bürgermeister Kaul schien völlig konsterniert zu sein. Waren denn seine Bürger samt und sonders verrückt geworden beim Anblick des fürstlichen Gastes?

Als das Gedränge und die Aufregung dann noch ärger wurden, zwängte sich das Stadtoberhaupt durch die Menge zu der Stelle hin, wo die Besessenen wie wahnwitzig umhertanzten und dazu schrien, als stäken sie am Spieße.

Kaul griff den ersten besten heraus und wollte sich über die Sache Aufklärung verschaffen, als er plötzlich aufschrie und ebenfalls zu tanzen anfing. Er fühlte in allen Gliedern ein kribbelndes Gefühl und es litt ihn nicht auch nur eine Sekunde still zu stehen. Es war ihm zu Mute, wie jemand, der unter dem Einfluß einer Elektrisiermaschine stand und den Strom durch den ganzen Körper gehen fühlt.

Die Panik unter dem Publikum wurde nun so arg, daß einige der Ehrenjungfrauen in Ohnmacht fielen und die Pferde des gräflichen Geschirres zu scheuen anfingen.

Der Erbprinz und der Graf verließen jetzt den Wagen und mischten sich unter die aufgeregte Menge, um sich über die unheimlich anlassenden Dinge selbst Aufklärung zu verschaffen.

Als endlich auch Rasmuß und Sauer auf der Bildfläche erschienen und Ellbogen als den Urheber der tumultarischen Vorgänge bezeichneten, da gerieten die sonst so braven Bürger von X. in helle Wut und zogen in Haufen vor das Grundstück des Attentäters. Hunderte stürmten das Haus und demolierten es in kurzer Zeit bis auf die Mauern. Der Volkswut war kein Einhalt zu tun, so sehr auch der Erbprinz, Graf Holgen und Rasmuß sich bemühten, die empörte Menge zu beschwichtigen.

Vergeblich suchte man der Person Ellbogens habhaft zu werden, nirgends eine Spur von ihm.

Als das Haus fast gänzlich demoliert war und hunderte von Menschen die Trümmerstätte umstanden, da drängte sich Rasmuß durch die Menge und warnte die Leute vor den gewaltigen Elektrizitätsmengen, welche in den Kellern des Gebäudes aufgespeichert wären.

Seine Warnung wurde zunächst noch in den Wind geschlagen, bis er seine nächtlichen Erlebnisse, die er im Ellbogenschen Hause gehabt hatte, erzählte. Dann wichen die meisten ängstlich zurück und verließen die gefährliche Gegend. Eine Stunde später war keine Menschenseele auf der Trümmerstätte mehr sichtbar.

Diejenigen, welche durch unsichtbare Kräfte wie Besessene sich gebärdet hatten, waren inzwischen wieder zur Ruhe gekommen und verspürten zum Glück keinerlei Nachwirkungen mehr.

Bürgermeister Kaul ordnete sofort eine Untersuchung des Grundstückes an, während Rasmuß dem Erbprinzen die Sachlage erklärte. Er war ja der einzige, der von Ellbogens Absichten Kenntnis gehabt hatte.

Als Rasmuß alles, was ihm über Ellbogen und seine geheimnisvolle Tätigkeit bekannt war, erzählt hatte und seine Bedenken über die durch die Volkswut erfolgte Demolierung des Hauses äußerte, fand der Graf die Sachlage als eine gefahrvolle und jagte damit dem Erbprinzen einen Schrecken ein. Dieser verabschiedete sich unter dem Vorwande, daß ihm durch den Vorfall die Lust zur Jagdpartie für diesmal vergangen sei und er lieber eine passendere Gelegenheit benutzen wolle.

So schied die Durchlaucht sang- und klanglos aus X.

Wo war nun der Urheber all der bösen Geschehnisse geblieben? Niemand hatte ihn zu Gesicht bekommen, ebensowenig seinen Assistenten.

Graf von Holgen besprach nun mit Rasmuß und dem abgehetzten Bürgermeister die Affäre.

»Hunderttausende von Pferdekräften liegen in dem Ellbogenschen Keller aufgespeichert. Wehe! wenn das Elektroeis schmilzt und diese furchtbaren Kräfte frei werden!« meinte Rasmuß mit sorgenvoller Miene.

»Wir müssen dem Schrecklichen vorbeugen!« rief Kaul aus und lief wie ein Verstörter im Zimmer auf und ab.

»Das ist leichter gesagt wie getan, Herr Bürgermeister,« versetzte Rasmuß. »Nur Ellbogen allein oder sein Assistent Nobel sind imstande, diese furchtbaren Kräfte zu bändigen.«

»Nobel ... sagten Sie nicht eben Nobel?« frug der Graf.

»Ganz recht. Er ist sein Vertrauter.«

»Den Namen habe ich doch schon einmal gehört — —«

»Nobel ist Ingenieur und stammt nicht von hier,« entgegnete Rasmuß.

»Wo mögen diese beiden Menschen nur stecken?« jammerte der Bürgermeister. »Wir müssen nach ihnen suchen ... sonst passiert das Furchtbare.«

»Welche Wirkungen in dem Elektroeis stecken, können Sie daraus ersehen, daß die wenigen Mengen, welche Ellbogen heute ausgestreut hatte, beim Abschmelzen solche Erscheinungen hervorgerufen hatten ... na, Herr Bürgermeister, Sie haben ja davon auch zu kosten bekommen,« sagte Rasmuß.

»Ellbogen und Nobel werden sich in ihrem Hause versteckt halten,« meinte Graf Holgen. »Möglicherweise sind sie auch bei der Demolierung ums Leben gekommen.«

»Wenn ich nur wüßte, was hier zu tun ist,« sagte seufzend Kaul. »Ich muß Maßnahmen treffen, sonst wird das Unheil kommen.«

»Die ganze Stadt ist in Gefahr. überlegen Sie es sich nur, hunderttausende von Pferdekräften können Leben und Gut der ganzen Bürgerschaft gefährden,« erwiderte Rasmuß.

»Furchtbar ... schrecklich! ... Der Landrat ist verreist und ich stehe ohnmächtig da,« jammerte Kaul weiter.

»Auf alle Fälle muß verhütet werden, daß die elektrischen Eismassen schmelzen!« rief der Graf aus.

»Ich werde nach Berlin telegraphieren. Die Regierung soll Sachverständige hierher schicken ... Ingenieure ... Professoren ... Militär — —« Kaul hatte dies atemlos herausgestoßen und lief jetzt wie eine vom Teufel verfolgte Seele davon.

»Die Eismassen müssen isoliert werden. Flüssiges Glas oder flüssiger Gummi müssen darüber gegossen werden,« sagte der Graf nachdenklich.

»Um Gottes willen!« rief Rasmuß. »Diese heißen Massen würden das Elektroeis erst recht zum Schmelzen bringen.«

»Vielleicht ist der Keller bei der Zerstörung des Hauses nicht mit demoliert worden. Dann wäre die Gefahr abgewendet.«

»Wer wagt sich das zu untersuchen?« versetzte Rasmuß.

»Ich. Sie sprachen doch von den Gummianzügen, die Sie bei Ellbogen benützt hätten ... ich werde mir sofort einen solchen anfertigen lassen und damit das Haus betreten. Sie geben mir eine Skizze, die mich etwas orientiert, um den Keller aufzufinden!«

»Herr Graf, Sie würden sich in eine große Gefahr begeben.«

»Die Gefahr ist nicht viel größer als jetzt. Ich bin der nächste Nachbar Ellbogens, und wenn dessen Eismassen schmelzen ohne daß jemand hiergegen Maßnahmen ergriffen hat, so bin ich am ersten geliefert. Bedenken Sie, daß wir uns hier nur ganze 150 Schritte von diesem Vulkan entfernt befinden.«

Rasmuß schauderte bei dem Gedanken zusammen, so nahe dem unheilvollen Orte zu sein.

»Ich wage es,« fuhr der Graf fort. »Jede Minute kann die Gefahr vergrößern. Noch ist von drüben her nichts zu verspüren.«

»Wenn Sie einen der Gummianzüge bei Ellbogen finden könn- ten ... das Haus ist aber so zerstört, daß ich daran zweifele.«

»Ich möchte das beinah versuchen,« entgegnete von Holgen.

»Nicht ein einziger Quadratzentimeter der Körperoberfläche darf frei sein, wenn Sie mit dem Eis in Berührung kommen. Sie müssen vollständig durch die Gummiumhüllung geschützt sein. Das Elektroeis gibt immer etwas Energie ab, auch wenn es nicht schmilzt.«

Der Graf ließ sich nunmehr von Rasmuß einen Situationsplan aufzeichnen, nach welchem er sich in Ellbogens demoliertem Hause einigermaßen zurechtfinden konnte.

Im letzten Augenblick entschloß sich Rasmuß Holgen zu begleiten. Der Graf lobte seinen Entschluß, und beide gingen nun zur Trümmerstätte.

Nirgends war eine Menschenseele zu erblicken. Friedlich lag die Gegend im hellsten Sonnenschein da; der Nebel hatte ihm Platz gemacht.

Aber drinnen in der Stadt herrschte Aufregung und Tumult. Jeder befürchtete draußen vor dem Tore eine Katastrophe. Und es gab eine Anzahl Leute, die bereits ihre Koffer packten, um so schnell als möglich die Gegend des Schreckens zu verlassen.

Die Stadtväter hielten unter dem Vorsitz ihres geängstigten Bürgermeisters eine Separatsitzung ab, um zu beraten, wie man das Unheilvolle, das da zu kommen drohte, rechtzeitig abwenden könne.

Das Städtchen X., das von der Kultur des übrigen Vaterlandes noch wenig beleckt war, weil es so abseits von allen Verkehrswegen lag, barg nur ein paar Sachverständige in seinen Mauem, die auf dem Gebiete der Elektrizität Bescheid wußten. Deren Ratschläge gingen dahin, daß zunächst die Gefahrstelle in weitem Umkreise abgesperrt werden und daß unverzüglich eine Untersuchung des Hauses stattfinden müsse. Des weiteren müssten sofort Starkstromkabel beschafft werden, um die freiwerdende Energie der schmelzenden Elektroeismassen abzufangen und in das Erdreich abzuleiten.

Das war aber alles nicht so einfach. Erstens hatte man keine Starkstromkabel sofort zur Hand — in X. kannte man nämlich die Elektrizität nur dem Namen nach — und zweitens, wer sollte diese Kabel an Ort und Stelle schaffen und dort anschließen? Das war offenbar mit Lebensgefahr verbunden, und zwingen konnte man niemand dazu.

Während man noch hin und her beriet, verspürten die Stadtväter einen sauren Geruch in der Luft, der sie zum Niesen und Husten reizte. Manchem bereitete er sogar Beklemmungen. Betroffen sah man sich gegenseitig an.

»Das ist Ozon!« rief plötzlich der eine Sachverständige und schnüffelte in der Luft herum. »Da haben wir die Bescherung! Die Katastrophe ist schon da!«

Das wirkte wie ein Hammerschlag auf ein gefülltes Pulverfaß. Ein Durcheinander und Tumult sondergleichen entstand jetzt, und die meisten verließen voller Angst das Sitzungslokal und stürzten auf die Straße hinaus.

Draußen herrschten aber noch schlimmere Zustände. Die Leute eilten wie Besessene durch die Straßen, die Atemnot erzeugte bei jedermann ein namenloses Angstgefühl.

Die Katastrophe war also ausgebrochen!

Die halbe Stadt floh hinaus aufs Land, weit weg von dem elektrischen Vulkan, jenseits in die Berge hinein. Dort erst kam man wieder zu sich, das Ozon drang nicht bis in diese Gegenden.

So vergingen zwei Tage der Angst und des Schreckens. Die Stadt X. war fast menschenleer und nur diejenigen, welche sich von ihrem Geld und Gut nicht zu trennen vermochten, harrten hier aus im Kampfe mit dem Ozon. Die gräfliche Familie war längst in Sicherheit, sie hatte sich unverzüglich nach Eintritt der Katastrophe fortbegeben und weilte in einer größeren Stadt am Rhein. Der Graf hatte es nicht wagen können, die Trümmerstätte zu betreten, da ihm die dort aufsteigenden Ozonmengen den Atem raubten. Auch Rasmuß war geflohen, geflohen in dem Augenblick, als er durch die zertrümmerte Tür ins Innere des Hauses zu dringen versuchte, aber durch die ihm entgegenströmenden, unheimlichen Kräfte zurückgeschleudert wurde. Mehrfach hatten er und Graf Holgen elektrische Schläge erhalten, die jedes weitere Vordringen zur Unmöglichkeit machten.

Acht volle Tage lang war X. wie ausgestorben, ein modernes Pompeji des neunzehnten Jahrhunderts. Alle Welt bedauerte seine Bürger, die von Haus und Herd hatten flüchten müssen in dem Augenblick, als sie sich voller Freude anschickten, die Anwesenheit eines Fürsten in ihren Mauern festlich zu begehen.

Das Elektroeis und das feste Licht, die man als Utopien belacht hatte, als die erste Kunde davon unter die Kulturmenschheit gedrungen war, konnten nach den sich abspielenden Vorgängen in X. nicht mehr bloße Phantasieprodukte eines Ideenjägers sein. Soviel stand nun fest.

Das Verschwinden Ellbogens und seines Assistenten erklärte man dahin, daß beide an der Stätte ihres Wirkungskreises, als diese durch Volkswut zerstört wurde, ums Leben gekommen waren.

Zehn Tage und Nächte hatten die Ausströmungen von Ozon und das Auftreten von elektrischen Wellen den Aufenthalt in und um X. fast zur Unmöglichkeit gemacht. Dann schien die Kraft der Elektroeismassen nachzulassen. Die Atmosphäre wurde wieder atembar und gestattete eine Rückkehr in die verödete Stadt. Nur die unmittelbare Nähe des elektrischen Vulkanes — so hatte man die Schreckensstätte getauft — mußte jeder meiden, da hier die Ausstömungen noch lange anhielten. Schließlich sah man sich auf Anraten der Regierungsbehörde veranlaßt, eine Zuschüttung des ganzen Grundstückes vorzunehmen, da die Wirkungen des Elektroeises nicht nachlassen wollten.

Da Ellbogen alias Doktor Ypsilon und sein Assistent nie wieder auftauchten, so bedauerte die gesamte Wissenschaft und Technik den Verlust dieses großen Erfinders, der es in der Hand gehabt hätte, die ganze Welt wirtschaftlich umzukrempeln, wenn er am Leben geblieben wäre.

Nach den Angaben, die Rasmuß und Sauer über die Erzeugung kristallisierter Elektrizität gemacht hatten, soweit Ellbogen darüber etwas näheres hatte verlauten lassen, vermochte niemand Elektroeis herzustellen.

So blieb denn das Problem der festen elektrischen Energie wie auch das des festen Lichtes noch weiterhin ein Problem, und wenn Doktor Ypsilon nicht von den Toten aufersteht, so werden sich die in X. passierten Vorgänge im Verlaufe vieler Jahre zu einer Mär verdichten, die auf Glaubwürdigkeit bei einer kommenden Generation wohl schwerlich rechnen darf.


ENDE


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