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PAUL EUGEN SIEG

ANGOLESA

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UTOPISCHER ROMAN

Ex Libris

Erstveröffentlichung: Gebrüder Weiss Verlag, Berlin/München, 1954

Diese E-Buch-Ausgabe: Roy Glashan's Library, 2025
Version vom: 2025-10-25

Bearbeitung: Roy Glashan

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»Angolesa«, Gebrüder Weiss Verlag, Berlin/München, 1954


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»Angolesa«, Gebrüder Weiss Verlag, Berlin/München, 1954



»Angolesa«, entwirft ein faszinierendes Zukunftsszenario, das sich um eine bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung dreht:

Der Wissenschaftler Dr. Peter Förster gelingt es, Gold künstlich aus Meereswasser zu gewinnen. Diese Erfindung hat das Potenzial, die globale Wirtschaft grundlegend zu verändern. Die Aussicht auf unbegrenztes Gold bedroht die bestehenden Finanzsysteme, Börsen und Währungen. Mächtige Interessengruppen sehen ihre Kontrolle und ihren Einfluss schwinden. Die Entdeckung ruft Gegner auf den Plan, die versuchen, Försters Arbeit zu sabotieren. Es beginnt eine gefährliche Verfolgungsjagd, bei der politische und wirtschaftliche Interessen aufeinanderprallen...




In der Prachtstraße Chikagos, der Lake Avenue, befand sich das Verwaltungsgebäude der »International Gold Company«. Aus der langen Flucht der Fenster strahlte, viele Stockwerke übereinander, helles Licht auf den winterstarren Michigan See.

Es war um die späte Dämmerstunde. Die nahende Nacht und ein leichter Nebel ließen alle Umrisse verschwimmen.

Ein junger Mann eilte mit hastigen Schritten über den festgetretenen Schnee, drückte die wuchtige Glastür auf und betrat, flüchtig den Pförtner grüßend, das mit schweren Teppichen belegte Treppenhaus, wo ihn sogleich einer von den vielen wartenden Fahrstühlen aufnahm.

Im vierten Geschoß stieg er aus, durchmaß einen langen Gang, dann war das Ziel erreicht. Er klopfte an und stand fast im gleichen Augenblick schon im Zimmer.

»Abend, Fräulein Clark! — — Kann ich meinen Onkel sprechen?«

»Tut mir leid, Mister Bender!« Die Sekretärin erhob sich und schüttelte herzlich die dargereichte Hand. Ihre Augen leuchteten vor Freude darüber, daß sie einen gern gesehenen Besuch wieder einmal begrüßen durfte.

»Was heißt, tut mir leid? — — Bitte verschanzen Sie sich nicht hinter den hier üblichen strengen Anweisungen. Ich wäre nicht persönlich gekommen, wenn mein Anliegen einen Aufschub duldete!«

Charles Bender hängte Mantel und Hut in einen Wandschrank. Sein Verhalten bewies, daß er mit der Örtlichkeit sehr vertraut war. Er wandte sich wieder der Sekretärin zu.

»Sie schweigen, Fräulein Clark?«

Die Angeredete lächelte nur und zuckte die Schulter.

»Also wieder einmal strenge Anweisungen?«

»Leider ja, Mister Bender, und diesmal sogar sehr strenge. Ich darf nicht einmal telefonisch die Konferenz stören.«

»Konferenzen sind hier an der Tagesordnung. Darf ich wissen, mit wem?«

»Sie erfahren es nachher ohnehin von Ihrem Herrn Onkel. Die Herren vom Eisen und Stahltrust sind vor etwa zehn Minuten eingetroffen!«

Charles Bender pfiff leise durch die Zähne. Überraschung malte sich auf seinen Zügen. Er schritt einige Male im Raum hin und her, blieb am Fenster stehen und starrte hinaus.

»Wie lange, schätzen Sie, wird die Sitzung dauern?« Doch ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich sehe ein, daß es unzweckmäßig ist, meinen Onkel jetzt mit anderen Dingen zu behelligen. Bitte lassen Sie sich nicht stören, Fräulein Clark. Ich muß eben warten!«

Der Neffe des Leiters der »International Gold Company« wählte aus dem Bücherschrank einige Zeitschriften und setzte sich in einen der Klubsessel, während die Sekretärin ihre Arbeit wieder aufnahm.

Charles Bender senior schloß seinen einleitenden Vortrag:

»So ergab es sich also, meine Herren, daß die Tatsache der bisher trotz aller Bemühungen nicht nachahmbaren Erfindung dieses Doktor Peter Förster mich zu der Anregung veranlaßte, eine umfassende Front von Gold und Eisen, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu schaffen. Der alleinige Zweck dieser Interessengemeinschaft wäre, das betone ich nochmals ausdrücklich, den jeweiligen Stand unserer nach neuen Gesichtspunkten zu organisierenden Laboratoriumsforschung in laufendem Erfahrungsaustausch der anderen Partei bekanntzugeben. Nur so besteht meines Erachtens die Möglichkeit, das Geheimnis eines Tages doch noch zu lüften und den Vorsprung, den jene drüben in Europa gewonnen haben, einzuholen. Gelingt uns das nicht, so bleibt nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und für teures Geld Patent Lizenzen von dem europäischen Goldstahl Konzern zu erwerben. Sie, meine Herren, um unter Benutzung des Goldstahlverfahrens Ihren Fabrikaten weiterhin Weltabsatz zu verschaffen, und wir, um einen Sturz des Goldpreises zu vermeiden.«

Die Antwort der Versammlung bestand zunächst in Schweigen.

Doch dann begann der Leiter des Stahltrustes:

»Wir hatten nach Ihrer Einladung, Mister Bender, einen ähnlichen Vorschlag erwartet und innerhalb unseres Konzerns bereits weitgehende Klarstellung erzielt. Von der Zweckdienlichkeit eines Zusammengehens sind wir überzeugt. Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie schon eine verbindliche Formulierung Ihres Planes entworfen haben?«

Statt einer Antwort reichte der Leiter des Goldtrustes einen maschinegeschriebenen Bogen hin, der knapp zur Hälfte mit schwarzen Zeilen bedeckt war.

Die Beratung der Stahlleute war nur kurz.

»Ohne Zusatz und Einschränkung angenommen!« war die Antwort ihres Sprechers.

»Da Ihre Vollmachten ausreichen, Mister Johnson«, hob Charles Bender an, »steht der Unterzeichnung dieses Abkommens nichts mehr im Wege. Darf ich bitten?«

Der Leiter des Goldtrustes und Johnson unterschrieben, dann folgte der Austausch der Urkunden.

»Um nun sofort zum Kern der Dinge vorzustoßen, bitte ich jetzt meinen Chef Physiker, Mister Morrison, uns über den neuesten Stand unserer Forschung zu berichten«, führte Charles Bender die Sitzung weiter.

Die Wissenschaftler des Stahlkonzerns entnahmen ihren Aktentaschen Schreibblocks und blickten voller Erwartung auf.

Morrison begann:

»Die unbedingt einer baldigen Klärung harrenden Fragen bilden zwei Hauptgruppen. Erstens: Wie gewinnt Doktor Peter Förster in seinem Werk bei Benguella Gold aus dem Meerwasser, und zweitens, welcher weitere, ebenfalls noch völlig unbekannte Prozeß ermöglicht es ihm, Stahl derartig, und dabei hauchdünn, zu vergolden, daß er ohne Anwendung von Wetterschutzfarbe witterungsbeständig wird.

Das erste Problem, die Goldgewinnung aus dem Meerwasser, ist schon seit Jahrzehnten angeschnitten worden. Ich erinnere an das britische Patent von Duke aus dem Jahre 1899. Ciantar und Wilde unternahmen Anfang dieses Jahrhunderts vergebliche Versuche in Belgien. 1905 wurde in London unter dem Vorsitz des bekannten englischen Chemikers Sir William Ramsay eine Gesellschaft zu gleichem Zweck gegründet. Der Verwirklichung aller theoretischen Betrachtungen standen die viel zu hohen Gewinnungskosten entgegen. Denn bei jedem Arbeitsprozeß ist, kaufmännisch gesprochen, der Bedarf an Menschenkraft und aufgewandter Energie ausschlaggebend für seine Rentabilität.

Doktor Förster beschäftigt in seinem Werk, soweit uns bekannt, nur siebzehn Personen. Der Einsatz an Menschenkraft ist also bedeutend schwächer als in irgendeinem Goldbergwerk. Wie wir ferner zuverlässig wissen, ist sein Bedarf an elektrischer Energie in Anbetracht der uns gleichfalls bekannten Produktion äußerst gering. Die genaue Zahlenangabe steht unseren Kollegen vom Stahltrust zur Verfügung. Kohle oder Rohöle gelangen nicht zum Verbrauch.

Ein Schmelzprozeß scheidet somit aus unseren Betrachtungen aus, ebenso wie jedes andere Verfahren, durch Verdampfen des Meerwassers aus der übrigbleibenden Salzsole oder gar dem Salz selbst Gold zu gewinnen. Derartige Behandlungen beanspruchen, wie schon rein theoretische Überlegungen aufzeigen, weit größere Energiemengen als die, die Doktor Förster benötigt.«

Die Herren des Stahltrustes nickten höflich. Sie schienen den bisherigen Darlegungen des Vortragenden keine allzu große Beachtung zu schenken. Sie sahen darin nur einleitende Worte, denen hoffentlich bald aufschlußreichere Enthüllungen folgen würden, denn man hatte ja auch eine gewisse Abteilung, der es oblag, die Augen in der weiten Welt offenzuhalten.

Morrison fuhr fort: »Wir vermuteten eine Zeitlang, daß das Förstersche Verfahren mit irgendwelchen chemischen Mitteln arbeitet, die das Gold rasch binden und zur Ausfällung bringen. Mehrfache peinlich exakte Analysen des vom Werk ausgeschiedenen Meerwassers bewiesen die Haltlosigkeit derartiger Annahmen. Solche Chemikalien müßten auch von Zeit zu Zeit ergänzt werden. Das ist aber, wie eine Überprüfung der Warenzufuhr ergab, nicht der Fall.«

Johnson schmunzelte vielsagend.

»Ich brauche Ihnen nicht auseinanderzusetzen, daß eine elektrische Zerlegung des Wassers, also Elektrolyse, aus vielerlei Gründen nicht in Frage kommt.

Es bleibt demnach nur ein uns noch unbekannter Katalysator. Sie wissen, daß es die Deutschen auf diesem Gebiet zu einer wahren Meisterschaft gebracht haben, ich erinnere nur an Luftstickstoff, Buna und synthetische Motortreibstoffe!«

Recht nachdenklich schauten jetzt die Chemiker des Stahltrustes vor sich hin. Morrison hatte den wundesten Punkt getroffen.

Charles Bender, der Chefmanager, Generaldirektor der »International Gold Company« weidete sich still an dem Mienenspiel seiner neugewonnenen Vertragspartner. Er war ihnen doch um einige Nasenlängen zuvorgekommen, das trat klar aus ihrem Benehmen zutage. Nur gut, daß er schon bei Beginn der Gemeinschaftsarbeit erheblich neue Gesichtspunkte zu seinen Gunsten verbuchen konnte. Es galt für die Zukunft, die Fäden noch viel enger zu knüpfen!

»Wir wären trotz aller Bemühungen unserer Laborator ien nicht einen Schritt in dieser verteufelt unangenehmen Angelegenheit weitergekommen«, hob Morrison nach kurzer Pause wieder an, »wenn uns nicht zwei fast gleichzeitig bei uns eintreffende Beweismittel zu der Erkenntnis gezwungen hätten, daß sich unsere Versuche und Forschungen auf falschem Geleise bewegten.«

Die Versammlung hob gespannt den Kopf.

»Sie wissen alle, daß in Deutschland die erste vergoldete Brücke kurz vor ihrer Einweihung steht. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß die Baustelle außergewöhnlich scharf bewacht ist. Doch ein Zufall kam uns zu Hilfe. Kinder spielten weiter abwärts am Ufer der Mosel mit einem fremdartig blitzenden Gegenstand. Durch die Vorsehung eines gütigen Geschicks kam dieser Gegenstand in unsere Hände.«

Verständnisvolles Lächeln huschte über die Mienen der Gäste.

»Es handelt sich«, Morrison griff rasch in seine Aktentasche, »um diesen Bolzen.«

Er legte ihn auf den Verhandlungstisch.

Reines Gold!

Die Überraschung wurde zur maßlosen Verblüffung.

»Donnerwetter, Mister Bender, mein aufrichtiges Kompliment!« Mit diesen Worten machte Johnson als erster seiner sichtlichen Erregung Luft.

»Endlich etwas Greifbares, wonach wir schon lange vergebens fahndeten. Jetzt können unsere Chemiker diesem vertrackten Goldstahl zu Leibe rücken.«

Er reichte den Bolzen weiter.

»Ich fürchte, sie werden genausowenig weiterkommen, wie wir«, bemerkte der Chef des Goldtrustes spöttisch lächelnd.

»Das müßte doch mit seltsamen Dingen zugehen, wenn wir jetzt, da ein Probestück in unseren Händen ist, nicht herausbekämen, wie es hergestellt wurde!« entgegnete erfolgssicher Johnson.

»Bitte! Nehmen Sie es! Ich stelle Ihnen gerne diesen vergoldeten Bolzen zu Untersuchungszwecken zur Verfügung.

Schneiden Sie ihn getrost in Stücke, wenn Sie wollen.«

Die völlige Freigabe der so überaus wertvollen Beute machte Johnson stutzig.

Seine Chemiker blickten betroffen den Chef des Goldtrusts an. So großmütigen Verzicht leistete keiner, der nicht tr iftige Gründe dafür hatte.

»Vielleicht hören wir, bevor wir zur freien Aussprache übergehen, Morrisons Darlegungen noch zu Ende an«, meinte Charles Bender und, als rasch Schweigen eintrat, sagte er nur: »Bitte, Herr Morrison!«

Der Vortragende räusperte sich und begann wieder:

»Ich sprach eben von zwei Beweismitteln, die uns auf eine neue Spur brachten. Das zweite dürfte uns der nunmehr gemeinsam erstrebten Lösung wesentlich näher bringen. Es wird Sie gewiß interessieren, wenn ich Ihnen, bevor ich fortfahre, noch mitteile, daß die Vergoldung dieses Stahlbolzens hauchdünn, ideal homogen und gleichzeitig unvorstellbar fest haftend ist. Mit keinem bis heute bekannten Verfahren können wir auch nur entfernt Ähnliches hervorbringen. Ich stelle nachher die Ergebnisse der zahllosen von uns durchgeführten Experimente den Herren zur Verfügung, um unnötige Wiederholung in Ihren Laboratorien zu vermeiden.

Ständen diese Tatsachen nicht unerschütterlich fest, so würde ich der zweiten Entdeckung wohl nicht genügende Beachtung geschenkt haben. Ich glaube heute zuversichtlich, auf dem richtigen Wege zu sein.«

Steigende Spannung bemächtigte sich der Zuhörer mit Ausnahme Charles Benders, der sich angelegentlich mit seinem Füllbleistift beschäftigte.

Morrison griff abermals in seine Aktentasche.

»Würden die Herren einmal diese Fotografien genauer betrachten?«

Die Abzüge wurden verteilt.

»Es handelt sich um Mikroskopaufnahmen von Meeresplankton!«

Die Chemiker des Stahltrustes schüttelten die Köpfe. Was hatte Meeresplankton mit dem Goldstahlverfahren zu tun, ein ganz fremdes Gebiet, auf dem sie herzlich wenig Bescheid wußten.

»Sie sehen auf jedem der Bilder rechts und links je ein Planktontierchen, eines der niederen Lebewesen, die in unheurer Menge im Wasser vorkommen. Während jedoch die linke Aufnahme ein lebendes Plankton darstellt, dessen Körperzellen sämtlich intakt sind, stammt die rechte Aufnahme von einem toten, in welchem die Mehrzahl der Zellen zerstört und deformiert wurde. Die Objekte rechts beschaffte mir mein Mitarbeiter Mister Tovan, dessen Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit anderen Ereignissen ich diese wertvolle Entdeckung verdanke.«

»Etwa aus Benguella?« wollte einer der Zuhörer wissen.

»Jawohl, direkt hinter dem Ausstoßrohr des Werkes Angolesa als Meerwasserprobe entnommen!«

»Verzeihen Sie, Mister Morrison, ich bin kein Planktonforscher, habe wohl mal gehört, daß es so etwas gibt. Ihre Fotografien dürften gewiß für den Fachmann von großem Interesse sein«, äußerte sich etwas bissig Johnson, der allgewaltige Leiter des Stahltrustes. »Ich weiß nicht, was die eben von Ihnen erwähnten gewaltsam zerstörten Zellen mit der Meeresgoldgewinnung zu tun haben sollen!«

»Das wußte ich damals genausowenig wie Sie im Augenblick noch, Mister Johnson. Doch wir besitzen bei uns in den Staaten genügend Spezialinstitute, die da zuständig sind. Die Anfrage bei einem von ihnen ergab, daß derartige Zerstörungen an Zellen nur bewirkt werden durch sehr kurzwellige Strahlungen, wie sie Radium oder besondere Typen von Röntgenröhren aussenden, oder — — —«, Morrison schwieg einen Augenblick, die Wirkung seiner Enthüllung zu steigern, »durch Ultraschall!«

»Sind Sie überzeugt, daß Doktor Förster mit Ultraschall arbeitet?« Johnsons Stimme zitterte vor verhaltener Aufregung.

»Jawohl!« war die feste Antwort Morrisons.

»Donnerwetter!« Johnson tupfte sich rasch mit dem Taschentuch über die Stirn. Dann meinte er zu Charles Bender:

»Wenn sich das bewahrheitet, was eben Ihr Herr Morrison behauptet, dann kann uns nur ein glücklicher Zufall zum Erfolg verhelfen. Ich begann meine Laufbahn als Physiker. Ich kenne nur zu gut die gewaltige Ausdehnung dieses Forschungsgebietes. Überall nur Spezialistentum in begrenztem Arbeitsbereich, keiner beherrscht diese Materie vollständig.«

»Ich freue mich, daß Sie sowohl die Zusammenhänge als auch die Folgen, die sich daraus für uns ergeben, so rasch überblicken. Bei mir hat es etwas länger gedauert, da ich nicht vom Fach bin!« entgegnete Charles Bender. »Johnson, Sie sehen jetzt wenigstens die Beweggründe, die mich veranlaßten, so rasch wie möglich eine Interessengemeinschaft unter Dach und Fach zu bringen, in ihrem ganzen Ausmaß. Nur eine wohlorganisierte Planung und Verteilung der Aufgaben, laufender Austausch der Erfahrungen kann hier zum Ziele führen. Forschungen sind kostspielig! Wir müssen um jeden Preis den unbestreitbaren Vorsprung der europäischen ›Goldstahl‹ einholen, sonst — — —«.

Bender hob die Schultern. Er überließ es seinem Verhandlungspartner, die sich ergebenden Folgerungen selbst zu überdenken.

Johnson blickte sorgenvoll vor sich hin. Jede Antwort erübrigte sich.

Nach geraumer Zeit unterbrach Charles Bender das Schweigen.

»Ich schlage vor, die Sitzung aufzuheben und für übermorgen eine Zusammenkunft unserer Fachkräfte anzuberaumen. Es bedarf wohl kaum noch des Hinweises, daß vor Beginn der Gemeinschaftsarbeit der heute abgeschlossene Vorvertrag weitgehend ausgebaut werden muß, um die Rechte und Pflichten der Vertragschließenden eindeutig abzugrenzen.«

»Einverstanden, Mister Bender! Ort und Zeit werde ich telefonisch mit Ihnen vereinbaren.«

Johnson erhob sich, und nach wenigen Worten geleitete Morrison die Gäste aus dem Raum.

Der Leiter der »International Gold Company« betrat sein Arbeitszimmer.

Es gab noch manches zu erledigen. In erster Linie mußte er einen Verhandlungsbericht aufsetzen.

Er drückte eine Taste nieder. Die Sekretärin erschien und meldete Charles Bender junior, der in dringender Angelegenheit vorgelassen zu werden wünschte.

»Soll hereinkommen, der Junge!« Bender zeigte ein strahlendes Gesicht. Der Neffe war sein auserkorener Liebling, tüchtig, schweigsam, zuverlässig.

Schritte nahten, und kurz darauf schloß sich hinter Bender junior die Tür.

»Willkommen, Charles!« Sie schüttelten sich kräftig die Hände. »Nimm Platz! — — — was führt dich her?«

»Leider ein unangenehmer Vorfall, Onkel!«

»Sehr schlimm?«

»Noch nicht! — — — Kann aber noch kommen!«

»Schieß los, Charles!«

»Du kennst den langen Pitt, Onkel?«

»Selbstverständlich kenne ich den Leiter meiner Informationsabteilung. Er war einige Wochen krank und nahm erst vor wenigen Tagen seinen Dienst wieder auf.«

»Sehr richtig, Onkel. Heute nachmittag suchte ich ihn einer Auskunft wegen auf. Pitt war aufgebracht, wie ich ihn noch nicht erlebte.«

»Ist doch sonst die Ruhe selber!« erwiderte Bender, ungläubig den Kopf schüttelnd.

»Hör, bitte, weiter, und du wirst das Benehmen verständlich finden. Während Pitts Abwesenheit hat sein Vertreter, Henderson, dessen sonst anerkennenswerte Tatkraft leicht in Draufgängertum umschlägt, eine Anweisung in Sachen Doktor Förster erteilt, die — —«

»In Sachen Doktor Förster?« unterbrach Bender bestürzt seinen Neffen.

»Ja, ausgerechnet! — — Würde es sich nur um eine geringfügige Abänderung deiner eindeutigen Verhaltungsvor schrift handeln, so säße i c h jetzt nicht hier, sondern Pitt, dem bedauerlicherweise die Aufregung einen Rückfall ein trug. Um es kurz zu machen! Entgegen deiner Anweisung, im Falle Förster die Erkundungstätigkeit mit größter Behutsamkeit voranzutreiben, jedes Vorgehen zu unterlassen, das uns in ernstliche Konflikte verwickeln könnte, ordnete Henderson an, durch einen Gewaltakt, gleich welcher Art, einen Zwischenfall zu inszenieren!«

»Hat der Mensch seinen Verstand verloren?« Zornentbrannt schlug Bender mit der flachen Hand auf den Tisch.

Der Neffe zuckte schweigend mit den Schultern.

»Ja, was hat der komplette Narr denn mit dieser hirnverbrannten Anordnung bezweckt?«

Wohl dem, der schreien kann, dachte Bender junior, um so rascher entlädt sich der Grimm. Doch schon hatte der Onkel die Fassung wiedergewonnen.

»Entschuldige, bitte, Charles, wenn mein Temperament eben mit mir durchging, ich kann aber Eigenmächtigkeiten nicht...« Er lehnte sich, noch immer schwer atmend, zurück. »Bitte, fahre fort! Sind dir die Gründe für Hendersons Vorgehen bekannt?«

»Die psychologische Triebfeder dürfte wohl in einer gewissen Rivalität Hendersons Pitt gegenüber zu suchen sein.Sein Plan aber geht dahin, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von der in wenigen Tagen stattfindenden Einweihung der goldenen Brücke, drüben in Deutschland, abzulenken und das Werk Doktor Försters in Verruf zu bringen. Hier!« der Neffe griff in die Brusttasche. »Die bereits vollständig ausgearbeiteten Artikel für Presse und Rundfunk, welche Henderson heute Pitt zur Begutachtung vorlegte. Dadurch kam die üble Geschichte zutage. Du kannst dir vorstellen, daß der Verlauf der Auseinandersetzung zwischen den beiden sehr stürmisch war.«

»Besaß Henderson wenigstens noch so viel Einsicht, mit der ungeschminkten Wahrheit herauszurücken?«

»Pitts unbestechliche Logik zwang ihn dazu!«

»Welche Tatsachen ergaben sich?«

»Ein gewisser Higgins, den ich nicht kenne, erhielt sehr weitgehende Vollmachten, Sprengstoffanschläge durchzuführen. Ein hochseegängiges Motorboot und ein Flugzeug mit Besatzung charterte er von den ihm zur Verfügung gestellten erheblichen Barmitteln. Drei anscheinend recht dunkle Ehrenmänner sollten ferner bei Walker in Benguella untergebracht werden. Im übrigen lauten die Abmachungen dahin, daß Higgins nach eigenem Ermessen je nach Lage der Dinge handeln solle.«

»Das Unternehmen ist sofort abzustoppen!« brüllte Bender los.

»Es dürfte zu spät sein, Onkel! Wer weiß, welche unvorstellbare Katastrophe dieser Higgins inzwischen bereits heraufbeschworen hat!«

»Dann Gnade Gott Henderson!!!«

Erregt sprang Charles Bender senior auf und durchmaß mit weitausholenden Schritten den Raum.

»Mein lieber Junge! — — Industriekämpfe sind hart! Mit Glacéhandschuhen wird der Gegner da nicht angepackt. Das brauche ich dir wohl nicht besonders auseinanderzusetzen. Wir haben diesem Doktor Förster Schwierigkeiten bereitet, diese Manieren Hendersons können uns aber in des Teufels Küche bringen!

Ich fürchte obendrein, daß unser sonst so vorsichtiger Walker im Wettrennen um den Erfolg in dem Vorgehen Higgins' einen Freibrief für sich erblickt, ähnlich skrupellose Methoden in Anwendung zu bringen.«

Der Leiter des Goldtrustes hielt im Gehen inne.

»Ich muß heute abend noch Pitt sprechen! — — _ Glaubst du, daß sein Zustand eine sofortige Beratung verträgt?«

»Ich erhoffe sogar eine wesentliche Besserung, wenn er in freier Aussprache mit dir durch einen klaren Entschluß seiner Sorgen enthoben wird. Meine Anwesenheit ist bei dieser Besprechung wohl nicht erforderlich «

»Hast du etwas vor?«

»Ja, Onkel, die Zeit ist schon sehr vorgerückt!«

»Dann laß dich nicht aufhalten! Ich danke dir für die rasche Berichterstattung. Bitte, stehe morgen früh zu meiner Verfügung!«

»Sehr gern, Onkel!«

Charles Bender junior verabschiedete sich und verließ das Zimmer.

*

Das Kinn mit dem schmalen Spitzbart auf die Linke gestützt, empfand Doktor Peter Förster kaum das leichte Beben seines Flugzeuges, das dem Atlantik zustrebte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem neuen Vertrag, der, vor wenigen Stunden in Nova Lisboa unterzeichnet, ihm die Möglichkeit gab, sein Werk nach seinem Willen auszubauen. Während die rechte Hand die Bogen hielt, folgten seine Augen dem fremdsprachigen Text, dessen juristische Klauseln nicht leicht zu übersetzen waren.

Dennoch! — —

So wird es gehen!

Auf beiden Seiten herrschte Vertrauen!

Die portugiesische Regierung hatte ihn durch den Beauftragten des Alto Commissario wissen lassen, daß nicht der Buchstabe, sondern der Geist des Vertrages ausschlaggebend sei.

Von Herzen war der Glückwunsch seines mit südländischem Temperament gestikulierenden Notars gekommen, und alle restlichen Bedenken waren geschwunden, als nach der Unterzeichnung der höchste Vertreter Lissabons, eben jener Alto Commissario, im kleinen Kreise seines Privathauses, ihm, Dr. Förster, beide Hände freudig geschüttelt und gesagt hatte:

»So verfügen Sie von heute an selbständig über ihre gesamte Meergoldproduktion und den uneingeschränkten Ausbau Ihres Werkes. Die bisherigen Lizenzen sind abgegolten durch Ihren Gold a b f a l l. Der aber wird uns reichlich Arbeit geben und obendrein wertvolle Handelsbeziehungen vermitteln.

Sie wissen, wie mir dieses Angola, die größte Kolonie Portugals, ans Herz gewachsen ist. Die Entwicklung hier voranzutreiben, ist mein einziges Bestreben. Sie boten mir Ihre Hand dazu. Der soeben abgeschlossene Vertrag ist nur ein äußeres Zeichen unserer sich immer herzlicher gestaltenden Beziehung und des gegenseitigen Vertrauens.«

Gut so! dachte Förster, so soll es sein:

Vertrauen gegen Vertrauen!

Er klappte den Einband zu, griff nach der Ledermappe und schob den Vertrag hinein.

Leise knackte das Metallschloß unter dem Druck des Daumens. Schlüssel klirrten! Dann verstaute er die Aktentasche im Gepäcknetz.

Das mußte der Katumbella sein.

Tief unter ihm zog die afrikanische Landschaft dahin. Peter Förster neigte sich dem Kabinenfenster zu.

Ja! Das war der Katumbella, der im hart eingeschnittenen Bett zwischen den dicht bewachsenen leuchtend grünen Ufern seine gelben Wassermassen träge zu Tal trieb.

Jetzt sollte gleich das breite Tal des Cubál in Sicht kommen. Schon oft hatte er den Flug von Benguella nach Nova Lisboa und zurück unternommen und kannte genau die markantesten Stellen des Kurses, der, beim ersten Male zu fällig gewählt, sich später immer wieder als der günstigste erwiesen hatte.

Jetzt überquerte die tief und ruhig brummende Maschine die sanft hügelige, mit magerem Gras bewachsene Hochsteppe des Ganda-Bezirks. Die Baumgruppen auf dem hellen, silbrigen Grau des Grases erschienen als dunkle, mosaikartige Flecken in dem monoton welligen afrikanischen Hochland, rund 2000 Meter über dem Meere. In der Ferne tauchten die ragenden Bergmassive des Hanha auf, und weit öffnete sich jetzt das saftiggrüne Tal des Cubáls.

Von der Bahnstation Cubál waren es bis Benguella noch einhundertsechzig Kilometer, während die Luftlinie nur etwa hundert Kilometer betrug. In spätestens einer halben Stunde mußte die Maschine zur Landung ansetzen.

Försters Gedanken sprangen zu seinem Werk und beschäftigten sich mit der Umorganisation und Erweiterung, die der neue Vertrag ermöglichte.

Da mußte also zunächst — — — —

»Wie bitte?«

Ein verstörtes Auffahren.

Die Mikrophon Lautsprecher Apparatur neben dem Sitzplatz wiederholte noch einmal die Meldung des Piloten:

»Wir müssen notlanden, Doktor!«

»Zum Teufel, was ist los?«

Verquäkt antwortete unsichtbar die Stimme aus der Schallfläche:

»Beide Motoren fallen rasch von Touren! — — Temperatur steigt! — — Öldruck sinkt! — — Druckzusatzpumpe wirkungslos!«

»Und — — —?«

»Kann die Verantwortung nicht übernehmen, weiterzufliegen! — — — Cubáltal, wie Sicht zeigt, weit überschwemmt! — — — Aufwind voraus am Gebirgsabfall könnte Notlandung auf der Hochsteppe erleichtern! — — Bitte um Ihre Anweisung, Doktor!«

Schöner Reinfall, hier in dieser gottverlassenen Einöde notlanden!

Doch sein Entschluß war schnell gefaßt:

»Landen Sie, Felten!«

»Jawohl, Doktor!«

Jetzt erst wurde es Doktor Förster bewußt, daß die Motoren unregelmäßig arbeiteten.

Konnte ja reizend werden, wenn sie ganz aussetzen. Zwar sah die Hochfläche von hier oben glatt und eben aus. Aber die verflixten Sträucher und die Gesteinsblöcke dürften bei der Landegeschwindigkeit — — —

Lieber nicht daran denken!

Felten zog eine Kurve. Die Maschine neigte sich leicht über einen Flügel. Das Fahrgestell schwenkte aus seiner Verkleidung, spreizte sich vor wie die Fänge eines Raubvogels. Blankschwarz leuchteten die Gummireifen des Rollwerks.

Da verstummte in einigen kurzen Zuckungen der Steuerbordmotor.

Das Flugzeug schwankte.

Jetzt mag kommen, was will! — — Peter Förster stemmte beide Füße fest gegen die Kante des gegenüberliegenden Sitzes.

Schon schwebten sie dicht über dem Boden in rasendem Flug.

Der Backbordmotor keuchte knatternd mit letzter Kraft.

Ein erstes hartes Aufsetzen. Torkelndes, stoßendes Rollen über Unebenheiten. Wieder Schweben. Abermals ein dumpfes Aufprallen.

Dann ein rasselndes Streifen an der metallischen Bauchwölbung des Rumpfes. Das waren die niedrigen Sträucher. Gottlob, sie hemmten die Fahrt. Wenn nur nicht immer die weiten Löcher zwischen ihnen gewesen wären. So schnellte der schlanke Rumpf jedesmal hoch, wenn vereinzeltes Strauchwerk dem Spornrad Hindernisse entgegenstellte, um im Niederfallen wieder über die Unebenheiten zu poltern, bis die nächste Gestrüppgruppe erneut ein Hochwippen verursachte.

Die Tragflächen schwankten über dem wilden Federn des Fahrgestells. Ächzen und Knacken durchzitterte die Kabine.

Jetzt zog Felten die Bremsen.

Leichtes, wiederholtes Rucken zeugte von der Wirkung.

Doch immer noch sprangen die silbernen Schwingen über diesen tückischen Notlandeplatz, bebte der Rumpf unter den harten Stößen.

Wenn nur das Fahrgestell durchhält.

Rrrrum! Kra — a — ach!

Metall schliff kreischend über Stein.

Die Maschine kippte auf die rechte Tragfläche.

Bersten. Eine halbkreisförmige schleudernde Drehung. Das Heck hob sich rasend geschwind.

Nur kein Überschlag!

Peter Förster krampfte sich in die Haltegurte. Knirschendes Aufprallen! — — — Aluminiumblech zerfetzte irgendwo schrillend.

Kopfstand!

»Rausss!«

Im Rahmen der Tür zum Führersitz stand Felten, das Gesicht bleich.

»Rrrrausss!« gellte erneut die Aufforderung.

Haltlos rutschte, die Gurte loslassend, Doktor Förster den schmalen Gang zwischen den Sitzen abwärts.

Felten hatte die verklemmte Kabinentür mit zwei wuchtigen Fußtritten aufgesprengt, griff mit der Rechten unter die Achsel seines Herrn und zog ihn empor.

Förster stand, stemmte sich gegen die gut fünfundvierzig Grad schräg nach oben ragenden Laufroste, ein kletternder Schritt, dann sprang er hinaus, strauchelte auf dem steinigen Grasgrund, fiel mit einem stechenden Schmerz im rechten Fuß vornüber und schlug, ehe er die Hände vorstrecken konnte, mit der Stirn auf den Boden.

Vor den Augen zogen wallende Nebel.

Da fühlte er sich untergefaßt, geschleppt, getragen.

»So, wenn jetzt die Kiste Feuer fängt, kann — uns — —nichts — — mehr passie — — «

Die Sinne schwanden.

*

Als Peter Förster zu sich kam, lag er im Schatten einer Baumgruppe. Sein Pilot kniete neben ihm, die Augen auf ihn gerichtet.

»Gott sei Dank, Doktor!«

»Was — —?« fragte Förster matt und verständnislos.

»Daß Sie wieder am Leben sind!«

»Wasser, Felten!«

Noch erfaßten die Sinne nicht voll die Wirklichkeit.

Ratloses Schweigen und suchendes Umherschauen. Dann kam zögernd die Antwort:

»Doktor, hier ist kein Wasser!«

Da richtete sich Peter Förster auf. Die Schwäche wich etwas, die unsteten Augen suchten die Umgebung zu mustern. Felten stützte ihn, half, bis er angelehnt an dem Baum saß.

»Schöne Bescherung!« — Die Gedanken arbeiteten weniger verschwommen.

»Was ist mit der Maschine?«

»Völlig hin! Daß wir überhaupt mit dem Leben davongekommen sind, ist ein Wunder!«

Felten erhob sich, zog seine Jacke zurecht. »Ein großes Wunder noch, daß die heißgelaufenen Motoren nicht Feuer fingen!«

Försters matte Sinne begriffen noch nicht die Tragweite der Katastrophe.

»Ich muß etwas zu trinken haben! — — — — Ich komme um in dieser Gluthitze!« Die Rechte griff zum Hals und öffnete das Hemd weiter.

Der Pilot zuckte ratlos die Achseln, doch dann besann er sich kurz:

»Doktor, ich gehe rasch nachsehen! — — — Vielleicht, daß die Kühlwassertanks noch dicht geblieben sind!«

»Ja! — — gehen Sie!«

Felten eilte davon.

Noch immer war Peter Försters Kopf nicht frei von dem dumpfen Druck. Nur eines kam ihm langsam klarer zum Bewußtsein: Die Lage war trostlos in dieser sonnendurchglühten Hochsteppe. Gras, graugrün, silbernes Gras; Buschwald dort drüben und rechts von ihm auf dem Höhenrücken. Sonst nichts als Sonne, Sonne, nur weit am Horizont ein paar weißwattig geballte Wolken.

Wie kommt man überhaupt von hier fort?

Sein Blick fiel auf den Boden nieder. Die Hand überschattete die Augen, strich über die schmerzende Stirn.

Er bewegte die Beine, zog sie an, um bequemer zu sitzen.

Schmerz im rechten Knöchel ließ ihn auffahren.

Der Schuh war ausgezogen?

Über dem Strumpf ertasteten die Hände eine heiße Schwellung des Gelenks.

»Wird ja immer schöner!«

Das fehlte noch! Nicht einmal gehen können?

Wie war das bloß alles gekommen?

Die Gedanken suchten den Faden der letzten Geschehnisse aufzunehmen.

Die Notlandung! — — — Der Kopfstand der Maschine! — — Ich sprang heraus!

Aus — — — —! — — Weiter kam er nicht.

Wieder schweiften die Augen über die sonnenglasige Steppe. Zitternd stieg an einzelnen Stellen die heiße Luft empor.

Da tauchte Felten auf. Er hatte etwas unter den Arm geklemmt, beide Hände trugen Gegenstände, die aus dieser Entfernung nicht erkennbar waren.

Langsam kam er näher. Den Blick zu Boden gewandt, pendelte er im leichten Zickzack, um den Unebenheiten des Bodens auszuweichen. In seiner Linken blinkte etwas Gläsernes.

»Na, Felten! — — Was gefunden?«

»Nichts, Doktor!« tönte es zurück.

Wenige Schritte noch, er stand vor Förster.

»Außer zwei leeren Selterwasserflaschen! — — Das Kühlwasser der Motoren ist ausgelaufen und im aufgewühlten Erdreich vollständig versickert. — Nur Ihren Tropenhelm fand ich und die Aktentasche im Gepäcknetz. Die Riemenschnallen hatten sich in den Maschen verfangen. Daher ist sie wohl nicht herausgeschleudert worden. Eine Flasche scheint drin zu sein, wie es sich von außen anfühlt!«

»Geben Sie her!«

Förster zog an einer Kette seine Schlüssel hervor. Die Schlösser der Ledertasche sprangen auf. Ein von Seidenpapier umwickeltes Etwas kam zum Vorschein. Die Finger zerrissen die Umhüllung.

»Nanu? — — — Eine Flasche Portwein?« rief er erstaunt aus.

Doch dann entsann er sich wieder. Der Alto Commissario hatte ihm eine Flasche zum Flugplatz nachgeschickt — im letzten Moment noch.

»Hier! — Wollen Sie sie mal aufziehen, Felten?« bat er seinen Piloten.

Der Pfropfen gab nach und sprang heraus:

»Bitte sehr, Doktor!«

»Ah! — — — — Köstlich!« Schnuppernd bewegten sich die Nasenflügel über der Öffnung. Dann sagte Förster:

»Prost, Sie Lebensretter! — — Wer weiß, wo unsere Seelen ohne Ihre Umsicht jetzt schwebten! — — Der erste Schluck neu geschenkten Lebens gilt Ihnen!«

Damit setzte er die Flasche an den Mund.

Ein wohliges Aufatmen verriet, wie der herbe Südwein den matten Körper anregte und den letzten Rest der Schwäche verscheuchte.

»Hier, trinken Sie jetzt! — — Nur zu!« als er die höfliche Ablehnung seines Piloten wahrnahm, »Ihnen kann eine Stärkung auch nicht schaden!«

Felten tat Bescheid.

Doch mit Südwein allein ließ sich Durst nicht löschen, das merkte Peter Förster sehr bald.

»Felten, ich muß Wasser haben! Mein Lebtag wußte ich nicht, daß Durst einen so quälen kann. Wie lange war ich übrigens bewußtlos?«

»Na! eine gute Viertelstunde.«

»Dazu noch diese drückende Hitze!« Förster faßte sich an den Hals.

»Wir werden bald ein Gewitter bekommen, Doktor.

— — — Dahinten diese weißen Wolkentürme? — — Daher auch diese lastende, windstille Schwüle«, bemerkte Felten und deutete mit der erhobenen Hand zur Linken.

»Hm! — — — Sieht so aus! — — — Nichts zu machen. Werden wir eben naß. — Trocknet rasch wieder hier. _ _ _ Wäre ja nichts Neues! Wenn ich nur etwas zu trinken hätte.«

»Ich werde versuchen, Wasser zu beschaffen!« meinte Felten.

»Wie wollen Sie das machen?« Ein gespanntes Aufschauen Försters, der sich wohl darüber klar war, daß sein dringendster Wunsch in dieser verlassenen afrikanischen Einöde so leicht nicht in Erfüllung gehen werde.

»Als ich vorhin im Flugzeug war, sah ich drüben rechts«, er wies mit der Hand in die angegebene Richtung, »ausgedehnten Wald, der steil zum Tal abfällt. Wo so viel sattes Grün ist, muß in Afrika auch Wasser sein. Ich trinke mich da erst mal satt und bringe die Flaschen gefüllt zurück. — — Teufel! Wird das heiß hier!« Er griff zum Hemdkragen und öffnete ihn. .

»Und, wenn der Schein trügt?« begann Förster aufs neue.

»Dann müssen wir uns irgendeinen Weg zum Tal suchen. Dort ist Wasser genug!«

»Das habe ich auch vom Flugzeug aus gesehen«, sagte Förster mehr zu sich selbst. »Wie finden wir aber dahin? — — —Und, wie lange kann das noch dauern?«

Es wurde ihm immer klarer, daß er in seinem jetzigen Zustand einem stundenlangen, gewiß beschwerlichen Abstieg in dieser Sonnenglut, ohne Weg und Steg, nicht gewachsen war.

Er riß sich zusammen.

»Gehen Sie, Felten! — — — Hungern könnte ich noch tagelang! — — Der Durst aber geht über meine Kräfte!«

Felten sah, wie der Doktor litt. »Ich finde Wasser! — Darauf können Sie sich verlassen!«

Er stopfte die beiden Flaschen in die Tasche und eilte davon.

*

Doktor Förster war allein. Die Gedanken kreisten um eine Quelle, einen Bach, ein Rinnsal. Dort drüben war es ja grün. Saftig strahlendes Grün! — — — —

Diese blödsinnig schwüle Hitze ist schuld an allem!

Hitze — — Durst — — Wasser!

Schon wieder diese Gedanken!

Ich muß mich ablenken! Schon wollte er zu den Akten greifen, da fiel sein Blick auf den Fuß.

Er betastete ihn nochmals.

So schlimm war das gar nicht! Ja, gewiß, etwas heiß und geschwollen. Er mußte nach dem Absprung aus dem steil hochragenden Flugzeugrumpf sehr unglücklich zu Boden gekommen sein und sich den Knöchel verstaucht haben. Vorn überfallend hatte sein Kopf dann eine recht unsanfte Bekanntschaft mit einem der verstreut umherliegenden Gesteinsbrocken gemacht.

Er faßte sich an die Stirn. Kurz über den Augenbrauen, zur Schläfe hin, fühlte er eine leichte Beule.

Nun, dann war ja alles klar, auch die kurze Bewußtlosigkeit.

Nur der Fuß! Der Fuß mußte, koste es was es wolle, noch durchhalten, bis sie den Abstieg von diesem verteufelt öden Hochland bezwungen hatten. Im weiten Cubáltal stießen sie auf die Negeransiedlungen und damit gewiß auch auf Farmen. Dann waren sie gerettet.

Förster griff nach dem Halbschuh und streifte ihn über.

Das ging!

Er stand auf.

Das war kein Bruch!

Er trat einmal leicht stampfend auf.

Hm! Schön war es nicht! — Aber er hatte die Gewißheit, er konnte gehen!

Doch zum Teufel, was war das?

Er fuhr hoch.

Hier hatte doch eben jemand gesprochen.

Ruhe!

»Bin ich denn verrückt geworden? — Sind hier Gespenster — — — —?«

»Kalungá patrao!«

Förster schnellte herum.

Da standen drei bogenbewaffnete Neger, nacktschwarz und ölglänzend.

»Kalungá!« — Seine Lippen wiederholten mechanisch den Gruß, den er oft unten an der Küste von seinen dunklen Hilfsarbeitern vernommen hatte.

»Lalipó!« tönte singend der Gegengruß, wobei alle drei sich verneigten.

Lalipó — — —? Was heißt Lalipó?

Auf gut Glück wiederholte er:

»Lalipó!«

»Saperé«

Wieder ein achtungsvolles Verneigen der drei kriegerisch aussehenden Gestalten.

»Ist ja eine reizende Unterhaltung!« dachte Förster. Aber wenn es nur so weitergeht! Schließlich gab es nur eines für ihn: Haltung zu wahren! Sonst — — —? Er hatte keine Waffe — — nichts bei sich!

Förster richtete sich zu voller Größe auf. Trat einen Schritt vor.

»Fala Portugez?«

»Ndati patrao!«

Sie schüttelten alle drei heftig verneinend die Köpfe.

Verstanden hatten sie! Das beruhigte! Irgendwo mußten sie mit den Herren des Landes schon zusammengetroffen sein, sonst hätten sie die Frage, ob sie portugiesisch sprächen, nicht verneinen können.

Ratlose Stille.

In der Ferne grollten dumpf die ersten Anzeichen des nahenden Gewitters. Die feuchte Schwüle wurde unerträglich.

»Fazenda?!« herrschte plötzlich, wie von einem Tropenkoller befallen, Förster nach einer Farm fragend, die Schwarzen an.

»Fazenda armá kóko!«

Demütig singend erklang die Antwort des Ältesten. Er wies mit der Hand zum Gebirgsabfall und schnatterte wild drauf los, doch Förster verstand nichts. An der Küste hatte er sich niemals um die Kimbundusprache der Eingeborenen gekümmert. Die Vorarbeiter seines Werkes sprachen hinreichend portugiesisch. Das hatte auch er gelernt. Jetzt rächte sich die Gleichgültigkeit gegenüber der Eingeborenensprache.

»Fazenda armá kóko?« Was soll das heißen?

Da kam Felten keuchend angelaufen. Unter dem Tropenhelm rannen kleine Schweißperlen über sein gerötetes Gesicht.

»Wollen die was?« stieß er erregt hervor, beide Hälse der gefüllten Wasserflaschen wie Schlagwaffen mit den Fäusten umkrampfend.

Da sah Förster das Wasser. Endlich Wasser!

»Geben Sie!« Er riß förmlich eine der Flaschen aus Feltens Hand, öffnete sie, trank, trank in langen Zügen das quellkühle Naß bis zur Nagelprobe.

»Haa— —— —! Tat das gut! — — Die nächste, Felten! Teufelskerl, daß Sie hier Wasser fanden!«

Der Inhalt der zweiten verschwand glucksend in der ausgedorrten Kehle.

»So! — — Donnerwetter! — Jetzt fühle ich mich wieder menschlicher!« schnaufte Förster befriedigt.

Da fingen die drei Kerle an zu grienen und lachten plötzlich, laut durcheinanderschnatternd.

Förster und sein Pilot starrten sich verdutzt an. Was war denn nun los? Eben sah es noch eklig nach kriegerischen Verwicklungen aus, und nun lachten die drei Schwerbewaffneten mit breitem Mund, daß hell die weißen Zähne blitzten.

»Verrückte Gegend!« brummte Felten, den Kopf schüttelnd.

»Owáwa tschiwua!« nickte vertraulich der mittlere der drei unheimlichen Gestalten und deutete auf Doktor Förster.

»Was heißt das nun wieder?«

»Oh, das weiß ich!« antwortete Felten. »Das kenne ich vom Flugplatz. Wasser ist gut, heißt das!«

Jetzt lachten alle fünf, bis die Heiterkeit verebbte und sie wieder nicht wußten, was sie mit sich anfangen sollten.

»Können Sie noch mehr von dieser herrlichen Sprache?« brach Förster das Schweigen.

»Nee! Aber meistens verstehen die Brüder die einfachsten portugiesischen Worte. Versuchen Sie's mal, Doktor!«

»Caminho — Fazenda?«

»Caminho con Fazenda kóko! — — Kóko!« Alle drei deuteten mehrmals wichtigtuerisch in die gleiche Richtung.

Gott sei Dank! Sie hatten verstanden. Der Weg zu einer Farm sei dort, denn »kóko« schien »dort« zu heißen.

Er schickte sich an zu gehen, und schon setzten sich die drei, ihre Bogen schulternd, in Marsch.

»Halt, Doktor! — — Unser Gepäck!«

»Gott! Daran hab' ich gar nicht mehr gedacht. Was machen wir damit?«

»Mitnehmen!« kam es aus Feltens Mund. »Ich gehe unsere Koffer holen und lade sie den Brüdern da auf die Köpfe. Lasten tragen haben sie alle von Jugend an gelernt!«

»Versuchen Sie's. Ich warte hier!«

»Enju!« herrschte Felten die Schwarzen an, und siehe da! sie folgten genau so willig, wie drunten in Benguella das farbige Hilfspersonal des Flugplatzes. .

»Schöne Blamage!« brummte Förster den Davonschreitenden nach. »Daß ich mich so habe ins Bockshorn jagen lassen! Die Gesellschaft scheint in der Wildnis genau so zahm zu sein wie an der Küste!« setzte er sein Selbstgepräch fort.

— — — — — —

Was war mit der Sonne? Er blickte zum Himmel. Eine pechschwarze Wolkenwand schob sich herauf. Die ersten helleren Vorboten hatten sich vor den glühenden Ball geschoben.

Da zuckte drüben ein greller Blitz.

Dumpf polternd krachte kurz darauf der Donner.

Tropengewitter! Kleine Regenzeit! Da wurde man halt naß und wurde ebenso schnell wieder trocken.

Nur die Schwüle war unerträglich. Das Hemd klebte am feuchten Körper.

Felten kam zurück.

Auf den Köpfen von zwei der Schwarzen schaukelten frei die leichten Koffer. Der dritte, anscheinend im Rang etwas gehobenere, trug Bogen und Pfeile der anderen.

Ein neuer Blitz zerschnitt die fahlgraue Dämmerung. Polternd, durch den ganzen Himmel rumorend, folgte der langanhaltende, rollende Donner.

»Hier ist noch Ihr Fernglas. Es lag am Boden. — — Hoffentlich ist es noch heil! Ich trage es. — — Sie müssen Ihren Fuß schonen.«

»Danke, Felten! — Und was nun?« Peter Förster deutete mit der Hand zum Himmel.

»Ich denke, wir bleiben am besten hier im Schutz des dichten Baumes. Etwas hält er schon ab!«

»Dachte ich mir auch so!« Beide lehnten sich an den Stamm.

Die ersten dicken Tropfen klatschten auf die Blätter.

Doch die drei Schwarzen verfolgten mißtrauisch das Gehabe der Weißen. Auf einmal begannen sie wieder laut untereinander zu schnattern, bis der Älteste, der die Bogen trug, einen Schritt näher trat und, sich halb verneigend und den Kopf ständig angstvoll schüttelnd, in das pfeifende Singen der ersten Sturmbö rief:

»Katschiwáku, patrao! — — Katschiwáku!«

Dann folgten hastige Worte, die Förster nicht verstand:

»»Kóko tchiwua — — kóko — — kóko!«

Dabei deuteten unentwegt alle drei auf eine nahe Baumgruppe, deren Blätterdach viel lichter und lange nicht so schutzversprechend aussah.

Was sollte das nun wieder?

Ratlos starrten sich die beiden Europäer an.

Die Schwarzen hörten nicht auf, die andere Baumgruppe zu empfehlen, das war klar aus den Gesten ersichtlich.

»Ich hab's Felten! — — Los! — Marsch, marsch hinüber! — — Einschlagsgefahr!«

Doktor Förster humpelte mehr, als daß er lief. Die kalten Tropfen wurden dichter, schreckten die heiße Haut.

Dann war die kleine Karawane angelangt.

Die Neger setzten die Koffer behutsam dicht am Stamm zur Erde, hockten sich herum und schwatzten befriedigt.

»Von denen können wir noch viel lernen!« meinte Förster prustend. »Diese Naturkinder kennen besser als wir die blitzgefährdeten Hölzer!«

Krach! Rrrumm!

Sie zogen erschreckt die Köpfe ein. Dann setzte das Tropengewitter mit voller Wucht ein. Blitz folgte auf Blitz, fast in Sekunden Abstand, doch zuckten, wie der Physiker Dr. Förster beobachtend feststellte, nur wenige zur Erde.

Die meisten tobten hellblau oder gelblich in wildem Zickzack von Wolke zu Wolke.

Der Donner glich einem unaufhörlichen Trommelfeuer.

Der Regen prasselte als Sintflut hernieder.

Trotz der Mittagsstunde wurde es dunkler und dunkler.

Nur die grellen Fanale der wilden elektrischen Entladungen schreckten die Augen.

Stumm waren die Neger in sich geduckt.

»Verdammt, Felten! So hab' ich mir ein Tropengewitter im Freien doch nicht vorgestellt!«

Ssitt - ssitt - kärr - röö - ruumm - brru - u -u -rrrr! Dieses ewige Donnerpoltern ging auf die Nerven.

Schon wieder!

Das Firmament gleißte unentwegt auf in zuckendem Grünblau.

Da!

Was ist das!

Die Haare schienen sich zu sträuben, ein prickelnder Schauer überlief den Körper.

Luft!

Herrgott! — — Das Herz!

Ein alles überblendender Strahl peitschte vom Himmel die Erde. Augen schließen.

Schrilles Zischen!

W u u mmm!

Die Erde bebte!

Die Neger schrien, sprangen auf, wollten wegrennen, hasteten zurück, warfen sich heulend zu Boden.

Da schoß drüben, wo das Flugzeug stand, eine haushohe Stichflamme empor. Ein Explosionsstoß folgte, der auch die Weißen zu Boden zwang. Splitter hackten irgendwo ins Holz.

»Felten! — — Was abbekommen?«

»Nein, Doktor! — — Verdammte Pest!«

Schweigen! Auch die Schwarzen waren stumm geworden. Nur der Regen strömte rauschend hernieder.

Das Wummern des Donners zog weiter zu Tal. Die grellen Blitze leuchteten nur noch scheinwerferartig durch die Wolken. Drüben brannten laut knisternd, in dichten Qualm gehüllt, die Trümmer der Maschine.

Es schien, als ob das Unwetter plötzlich den Steilhang herabgefallen wäre, tief in die weite Niederung des Cubáls.

Jetzt nieselte es nur noch, und schon brach die Sonne heißstrahlend aus den zerflatternden Wolkenfetzen hervor.

Triefend hingen Hemd und Hose am Leibe.

Da stand Peter Förster auf und schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt.

Auch Felten sprang hoch.

Nur die Neger zogen die Knie an und blieben hocken. Angstvoll geweitete Augen starrten auf die Weißen.

»Onjira katschiwáku!« jammerte der Älteste.

»Onjira katschiwáku!« tönte es im Chor der drei sogleich recht weinerlich hinterher.

»Wenn ich wüßte, was das heißt, wäre mir wohler; denn irgendwie scheinen uns unsere drei Helden für die Geschehnisse verantwortlich zu machen.« Förster runzelte die Augenbrauen, prüfte beobachtend das Verhalten der Neger, von deren Gutwilligkeit sein und Feltens Schicksal abhing.

»Das kann ich ihnen übersetzen.«

»Nanu?«

»Ja, Doktor! Katschiwáku sagen die Kimbundus zu allem, was böse und schlecht ist. Vorhin sagten sie das schon mal unter dem anderen Baum. Ich war aber noch in Gedanken bei unserem Flugzeug und hörte nicht recht hin. Eben fiel mir das wieder ein. Onjira heißt eigentlich die Gans, ›der große Vogel‹, und damit bezeichnen die frisch aus dem Busch Kommenden unten in Benguella jedes Flugzeug!«

»Das hieße also ›Böses Flugzeug‹?«

»Ja, Doktor! Mir sagte einmal ein portugiesischer Monteur, der schon lange die Eingeborenen kannte, die Schwarzen seien in ihrem Aberglauben fest überzeugt, daß so eine Art Teufel mit Flügeln, der dauernd donnernd brüllt, darin stecke, und die Weißen wüßten darauf zu reiten.«

Peter Förster lachte auf:

»Die Geschichte ist köstlich — und heiter?«

»Daß immer ein böser Geist den anderen anlockt und neue Untaten stiftet!«

»Felten, ich habe nie gewußt, daß Sie sich so intensiv mit dem Seelenleben der Neger beschäftigt haben!«

»Was soll man abends tun? Im Kiosk des Flugplatzes sitzen wir nach des Tages Hitze trinkend und rauchend zusammen, und da erzählt jeder was. So erfährt man auch solche Dinge!«

»Demnach sind wir zwei als Geisterreiter voll verantwortlich für das üble Gewitter, dem verdammt auf die Nerven gehenden Blitzstrahl, der die Maschine traf und zur Explosion des Benzintanks führte?«

»Selbstverständlich, Doktor! — — — Unser Motorengedonner hat den richtigen Donner gelockt! — — — Ein böser Geist den anderen! — — Dann kriegten die zwei untereinander Krach. — — Feuer gegen Feuer! Und nun herrscht wieder Frieden. — — Nur stehen wir bei denen da«, er wies mit dem Kopf auf die Neger, »im Verdacht, schuld an der Geisterkeilerei zu haben. Und, da unsere drei Schwarzen dabei Zeuge waren und Helfer der Weißen, fühlen sie sich mitschuldig. Geister aber rächen sich für jede Beobachtung ihrer Taten. Darum kriechen auch die Schwarzen bei jedem Gewitter in ihre Hütten, um ja nichts zu sehen.«

Verblüfft starrte Förster seinen Piloten an:

»Und weiter — —?«

»Sie, Doktor, und ich, wir gehen jetzt einfach zum Tatort, beschauen uns die Trümmer Ihrer schönen Maschine und kehren seelenruhig hierher zurück. Geschieht uns nichts, so haben die Geister verziehen, und alles ist in schönster Butter! Niemals aber würde ein Schwarzer Ihnen jetzt dahin folgen. — — — Auch später wird der Ort der Geisterkämpfe ängstlich von den hier Ansässigen gemieden werden, denn die furchtbare Schlacht spricht sich rasend schnell herum. Die Negertrommelei funktioniert besser als unser Radio. — — — Wir kehren sogar als Freunde der versöhnten Geister zurück, das Feueropfer ist gebracht, der brummende Teufelsvogel ging bestraft zu den Seinen ein!«

— — —

»Woher wissen Sie das?«

— — —

Felten hob die Schultern.

»Gott! Doktor! — Ich hab' oft tagelang nichts zu tun, und der deutsche Elefantenjäger, Tobias, der vor sechs Wochen so rasch am Schwarzwasserfieber unten an der Küste starb, hat mir das alles erzählt. — — —«

Förster schwieg.

Seltsam dieses Afrika, das er, nur seiner Technik lebend, nie geschaut hatte. Er sann nach.

Felten berichtete eine Weile noch von den Erfahrungen des verstorbenen Tobias, dann schloß er seinen Bericht:

»Kommen Sie, Doktor! — — Wir gehen zum Flugzeug!«

Peter Förster folgte nachdenklich der Aufforderung.

Als er sich nach einigen Schritten zu den noch unter dem Baum hockenden Negern umblickte, sah er die Augen in einem Gemisch von Angst und Neugierde auf sich gerichtet.

*

Der Blitz hatte ganze Arbeit geleistet. Nur die Motoren und Teile des Rumpfes lagen verstreut auf der verkohlten Brandstelle.

»Sie sind also fest überzeugt, daß Sabotage vorliegt, Felten?«

»Ja, Doktor! Ich habe vorige Woche in Benguella beide Motoren überholt. Sie waren in Ordnung. Ich hätte die Maschine ohne jedes Bedenken nach Europa geflogen. In Nova Lisboa muß sich irgendwer trotz aller Bewachung Zutritt zu dem Hangar verschafft und mit großer Sachkenntnis dem Öl einen Zusatz verpaßt haben. Feinde haben Sie genug, Doktor! — — Das wissen wir ja! — — Sie sollten hier irgendwo in der Wildnis hops gehen.«

»Der Plan war vorzüglich eingefädelt!« fuhr Felten mit einem wütenden Blick auf die Trümmer seiner Maschine fort. »Die schwere Kiste ohne gutes Rollfeld landen war nach menschlichem Ermessen unmöglich. Es mußte Bruch geben, Bruch, der uns alle beide in ein besseres Jenseits befördert hätte. Nichts als ein mordsmäßiger Dusel hat uns gerettet!«

»Na, na Felten! Seien Sie mir nicht zu bescheiden. Wenn Sie nicht gewesen wären ...« Dankbar legte Förster die Rechte auf die Schulter seines Piloten.

»Nee! Doktor! Mordsmäßiges Schwein war das, sonst nichts! Hätten die Motoren nur fünf Minuten später ausgesetzt, dann wäre die Geschichte unten im überschwemmten Cubáltal anders ausgelaufen! Der starke Aufwind hier oberhalb des Steilhangs begünstigte die Landung. — — Außerdem wirkten die niedrigen Sträucher auf der fast glatten Hochebene als ideale Bremse und dann — — —! Sehen Sie sich einmal um! — — — Ausgerechnet hier, in unserer Landebahn, liegen nur kleine Gesteinsbrocken umher. — — — Erkennen Sie da drüben die halbmeterhohen Burschen und da — — — und da???« Die Hand deutete in die Blickrichtung. »Wären wir mit voller Fahrt gegen die beiden Dinger gerannt, dann wäre der Bart ab gewesen! — — — Nee! Nee, Doktor! Schwein war das, mordsmäßiges Schwein, sonst nichts! — — — Da half keine Fliegererfahrung! — — — Übrigens, das war schon gar kein Schwein mehr, das war eine fette Fliegersau!«

Peter Förster mußte lachen.

»Na — — Felten! Bescheidenheit ist eine Zier! Mit der fetten Sau im Führersitz hätte ich ungern landen mögen, da waren Sie mir schon lieber!«

»Meinen Sie wirklich, Doktor?«

»Aber ganz gewiß! Doch wir müssen uns eilen!« Er winkelte den rechten Arm, schaute auf die Uhr. »Es ist gleich halb eins. Wer weiß, wie lange der Abstieg dauert und wie weit die Farm noch entfernt ist. Um sechs ist es dunkel!«

Im Davonschreiten bückte sich Felten plötzlich und hob etwas auf.

»Mein Handrad! — — Fast unversehrt? — — Das nehme ich mir als Andenken mit!«

Als sie zu den Schwarzen zurückkehrten, standen diese erwartungsvoll um das Gepäck geschart! Mit großem Mißtrauen betrachteten alle drei den Gegenstand in Feltens Hand.

»Katschiwáku, patrao!« jammerte der Älteste ablehnend.

»Sehen Sie, es geht schon wieder los!« lachte Felten. »Von Geisterstätten soll man nichts fortnehmen. Das ist Geistereigentum. Sie rächen sich sonst! — — — Doch ich bin fest überzeugt, daß sich die restlichen Teile unserer Maschine hier bald in vielen Negerhütten als bösen Zauber bannende Heiligtümer befinden werden. Zu sehr lockt sie der Besitz des glänzenden Metalls. Dann wird einfach der böse Zauber in einen guten umgewandelt. Das besorgen Medizinmänner und manchmal auch alte, weise Frauen gegen Entlohnung, meist in Hühnern!«

»Hat Ihnen das auch Tobias erzählt?«

»Ja, Doktor!« Felten öffnete seinen Koffer und legte das Handrad oben auf. Dann schloß er den Deckel wieder.

»So! — — Twente!« herrschte er die Neger an.

Nur unwillig und unter mißbilligendem Kopfschütteln hob der Neger das Gepäckstück, in dem sich das geisterbehaftete Andenken befand, auf und schob es auf seinem dichten Wollschädel zurecht.

Dann setzte sich die kleine Karawane in Marsch. Zuerst der Häuptling, dann Peter Förster, Felten und zum Schluß die beiden Kofferträger.

Nach kurzer Zeit hatten sie einen ausgetretenen Negerpfad erreicht. Förster atmete auf. Jetzt würde es sich mit dem leicht schmerzenden Fuß besser ausschreiten lassen als auf der geröllbesäten Hochsteppe im dichten Gras. Doch er täuschte sich. Der Pfad war, wie alle Negerwege, sehr schmal und muldenförmig nach innen ausgetreten und machte ihm das Gehen sehr schwer.

Sie waren am Steilhang angekommen und blieben stehen. Nach dem reinigenden Gewitter tat sich ein herrlicher Weitblick kristallklar vor ihnen auf. Links schob sich der Gebirgsausläufer in etwas größerer Höhe noch einige Kilometer vor, um dann steil und dicht bewaldet in ein fruchtbar grünendes Tal abzufallen. Überall glitzerten dort unten silberne Wasserläufe. Gegen Westen zeichneten sich am Horizont seltsam bizarre Felsformen unter dick geballten schneeweißen Wolken ab. Die heißen Strahlen der brennenden afrikanischen Sonne überfluteten das üppige Bild. Zur Rechten, wenige hundert Meter ab, senkte sich in leichten Stufen ein dichter immergrüner Galeriewald der Ebene zu. Auch unten noch, in schmaler Fächerform sich abzeichnend, war am höheren Wuchs der Bäume zu erkennen, daß der hier oben entspringende Bach der große Lebensspender war.

Ein eigenartiges Schnattern tönte aus den lianenbewucherten Stämmen des Galeriewaldes.

»Felten, geben Sie mir doch bitte mal das Glas!«

»Hier, Doktor!«

Peter Förster setzte es an, — — suchte.

»Eine Affenherde! Hier! — — Rasch! — — Schauen Sie mal!«

Er reichte Felten den Feldstecher.

»Tatsächlich! — — — Und was für ausgewachsene Kerle! Die ersten Affen, die ich in freier Natur zu Gesicht bekomme.«

»Ich auch!«

»Ha!« Felten setzte das Glas ab und schüttelte sich vor Lachen. »Da hat eben so ein Großer einem Kleinen eine gewischt! — — Aber wie! Dann haute der ab. Der Große zähnefletschend hinterher, rauf und runter die Lianen. Genau wie im Zoo in Berlin!«

Nun beobachtete Förster wieder. Das fröhliche Zucken der Mundwinkel zeigte, wie das Gehabe der Herde ihn ergötzte.

»Schade! Jetzt sind sie im Wald verschwunden.«« _— Nach einer Weile: »Wissen Sie, Felten, ich bin jetzt schon mit unserem Mißgeschick fast ausgesöhnt. Sitze da seit langem an der Küste Afrikas und kenne Afrika selbst nicht.«

»Wird man nie ganz kennenlernen!« sagte Tobias«, bemerkte Felten gelassen.

»Aber schön ist es doch! — — Seltsam! — — Ich habe gar keine Bedenken mehr. Wir werden schon zu Tal kommen und die Farm finden! Wundervoll diese unberührte Natur, diese unendliche Ruhe, die grenzenlose Weite grünender Üppigkeit da unten. Ich hab' mich noch nie so frei und unbeschwert gefühlt. — Maschine zum Teufel! — _ Nicht wissen wohin! — — Und doch diese sorglose Gelassenheit. — — Geht Ihnen das auch so, Felten?«

»Tobias sagte mal, daß der Weiße in Afrika erst wieder Mensch wird. In Europa wäre er eine widerliche Bestie in Kleidern!«

Verblüfft musterte Förster seinen Piloten.

Noch ganz in Gedanken, setzte er das Fernglas an und durchforschte die tief unter ihm sich ausbreitende Landschaft.

Ein Freudenruf!

»Felten, da liegt die Farm! — — — Ich sehe die Häuser ganz deutlich!«

Er wies mit der ausgestreckten Hand die Richtung.

Mit bloßem Auge konnte jetzt auch Felten die Gebäude erkennen.

Förster wandte sich an die Schwarzen, deutete auf die Stelle. Er wollte Gewißheit haben und fragte:

»Fazenda?«

»Ja, patrao! — — Fazenda armà!« schnatterte der Älteste.

Die beiden Weißen schauten sich verdutzt an. Die Kerle hatten »ja« gesagt? Klar und deutlich ein deutsches »Ja«? Dann mußten sie doch Deutsch können. Peter Förster versuchte es. Sie sahen ihn verständnislos an und gaben keine Antwort.

»Verrückte Gesellschaft! Ja« können sie sagen aber Deutsch verstehen sie nicht!« polterte Felten.

Später wurde ihnen dieses Rätsel gelöst. In der Kimbundusprache dieses Landstrichs bedeutet zufälligerweise »ja« dasselbe wie im Deutschen. »Ja« heißt eben ja!

Der Abstieg war beschwerlicher, als sie gedacht hatten. Besonders Förster kam nur langsam über den buckligen Weg abwärts. Die Neger hingegen turnten, trotz der Lasten nie schwankend, wie die Affen barfuß über alle Unebenheiten zu Tal.

»Donnerwetter, ich hab' schon wieder Durst!« Förster blieb stehen, lüftete leicht den Tropenhelm und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Geht mir genau so! Das ist ja der reine Backofen hier!«

»Hilft nichts! — — Weiter! — — Da unten ist Schatten!« Doktor Förster deutete nach den Ausläufern des Galeriewaldes, der in dichten Busch überging.

Die kleine Karawane setzte sich wieder in Marsch, die letzten zweihundert Meter dieses felsig rutschigen Abstiegs zu bezwingen.

In einer knappen Stunde war es geschafft. Dichter Wald nahm sie auf. Der Weg wurde breit und eben, und sie kamen auf dem festgetretenen Boden rascher voran.

»Gott sei Dank, daß diese infame Kletterei ein Ende hat.« Förster atmete erleichtert auf. »Hier kann man wieder leben. Wie oft sind wir wohl über diesen Steilhang mit unserer seligen Maschine hinweggebraust. Wer von uns hätte je gedacht, daß wir da mal zu Fuß herunterkraxeln müßten in einer niederträchtigen afrikanischen Bullenhitze? — — Das Schlimmste haben wir hinter uns. Ich schätze, daß wir in einer guten Stunde die Farm erreicht haben werden.«

»Was macht Ihr Fuß, Doktor?«

»Na! Schön gerade nicht! — — Ich fürchte, das dicke Ende kommt noch nach. Die Überanstrengung wird sich rächen!«

»Haben Sie denn Schmerzen?«

»Nein, das wäre zuviel gesagt. — — — Bissel entzündet! Der Schuhrand drückt auf die Schwellung!«

Schweigend schritten sie unter dem grünen Dach des dichten Buschwaldes weiter. Kein Lüftchen regte sich, und langsam begann der eben noch als Kühle willkommene Schatten sich in drückende, feuchte Schwüle zu verwandeln. Die dumpfe, feuchte Mittagshitze, nach dem Gewitter wie in einem Treibhaus, umspann lähmend jedes Mitteilungsbedürfnis, machte schlapp und schläfrig. Die nackten Sohlen der Neger klatschten leise auf dem festgetretenen Grund des Weges. Die harten Absätze der Weißen wanderten im Gleichschritt.

Ein leises, monotones Rauschen erklang aus der Ferne, tönte näher und näher. Bei einer unerwarteten Wegbiegung erblickten sie den glitzernden Bach. In hellen Kaskaden schoß die sprudelnde Flut rechts von den Felsen hernieder, unterbrach auf gute zwei Meter den Negerpfad und verschwand gurgelnd in leichter Windung zur Linken im dichten Unterholz.

»Gott sei Dank!« Mehr sagte Peter Förster nicht.

Die Schwarzen schienen die Gewohnheiten der Weißen zu kennen. Sie setzten unaufgefordert die Lasten ab.

Förster und Felten knieten rasch am Rande nieder und schöpften mit den Händen das prachtvolle kühle Naß.

Herrgott! Das tat wohl!

Förster ließ die schäumende Flut über die heißen Unterarme rinnen, hob sie empor, kühlte noch und noch die Schläfen, den Hals und die Stirn.

»Ha! — — — Am liebsten möchte ich mich ganz hineinstürzen!«

»Lieber nicht!« Felten prustete knieend. »Lieber nicht, Doktor! Könnte die schönste Lungenentzündung geben.«

»So! — — Das reicht einstweilen!« meinte Förster aufstehend.

»Daß Wasser so köstlich sein kann, hab' ich bis heute nicht gewußt!« Er schlenkerte die nassen Finger, zog sein Taschentuch heraus und trocknete Gesicht, Hals und Hände ab. »Ich fühl' mich wie neugeboren!«

Befreit aufatmend ließ er sich auf einem umgestürzten Baum nieder.

Jetzt erst tranken die Schwarzen, die sich bis dahin damit begnügt hatten, die Weißen zu beobachten. Sie lagen lang am Rande des rauschenden Baches auf dem Bauch und sogen mit ihren wulstigen Lippen laut schlürfend das rasch vorbeiströmende Naß ein.

»Eigentlich viel einfacher und bequemer als unsere Methode!« Felten interessierte sich abermals für die Lebensart der Schwarzen.

»Schon richtig! — — Doch! — — Sie vergessen, daß wir Kleider anhaben, während jene halbnackt sind«, entgegnete Förster.

Plötzlich hob er überrascht den Kopf. Was war das? Auch die Neger lauschten, die Wollköpfe vorgestreckt, gespannt in die Richtung, aus der auf dem Pfad jenseits des Baches ein Geräusch näher und näher kam.

Schritte — — Stimmen — — Schritte — —.

Immer näher!

Felten sprang auf.

Da tauchte um die letzte Biegung des Weges ein Weißer mit einer Schar schwarzer Begleiter auf.

»Bom dia, senhores!« schallte es ihnen entgegen.

— —

Ein Verharren, dann ein Sprung über den schmalen Bach und schon war der Fremde am diesseitigen Ufer angelangt und streckte erfreut die Rechte vor.

Doch auf einmal stutzte er:

»Was? — — Sie sind Deutsche?«

Beglückt wies die gehobene Hand auf die Koffer, die über und über mit deutschen Hotelschildchen beklebt waren.

»Ja! Förster ist mein Name!« entgegnete der Doktor.

»Grammer! — Mein Gott, diese Überraschung!«

Felten stellte sich vor. Und jetzt erst schüttelten sich die drei in ehrlicher Freude die Hände.

»Sind Sie von dem Flugzeug?«

»Gewesenen Flugzeug, ja!« Grimmig brummte Peter Förster auf.

»Das liebliche Gewitter vorhin hat der Maschine den Rest gegeben. — — — Total verbrannt!«

»Gottlob, daß Sie wenigstens am Leben sind!« sagte Grammer sichtlich aufgeregt. »Ich fürchtete schon das Schlimmste!«

Er atmete heftig nach dem heißen Eilmarsch.

»Vor etwa drei Stunden kamen einige von meinen Schwarzen aus der Kaffeepflanzung angelaufen. Ich war unten im Reisfeld am Cubál.« Und der Farmer berichtete, was ihn veranlaßt hatte, die Arbeit abzubrechen.

»Ich aß rasch zu Mittag, machte meinen kleinen Verbandkasten fertig und marschierte mit zehn Mann und zwei Hängematten ab. Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen, daß ich Sie gesund und munter hier schon vorfinde und obendrein noch als Landsleute.«

Die Eingeborenen hatten sich inzwischen im Halbkreis um die drei Träger Försters niedergehockt und lauschten der Erzählung.

Kaum hatte Grammer seinen Bericht beendet, als Förster, sein krankes Bein vorstreckend, nach Worten zu suchen begann: »Wie — soll — ich — Ihnen das nur — danken —«.

»Hier im Busch ist doch selbstverständlich, daß einer dem anderen hilft! Zeit spielt in den Tropen keine Rolle, und was mich betrifft, so dürfen Sie überzeugt sein, daß ich mich aufrichtig freue, Landsleute angetroffen zu haben, so sehr ich Ihren Unfall auch bedaure.«

Er trat nochmals auf Förster und Felten zu und schüttelte beiden kräftig die Hände. Dann fuhr er fort:

»Wir werden Sie, Herr Förster, jetzt in einer Hängematte verstauen. Ihr Fuß gefällt mir nicht. In einer guten Stunde sind wir auf meiner Farm, dann kann meine Frau nachsehen, was Sie sich verletzt haben.«

Er wandte sich seinen Schwarzen zu.

Die Schar sprang auf. Zwei schulterten eine kräftige Stange, die aussah, als ob sie vor kurzer Zeit noch ein schlanker grüner Baum gewesen wäre. Darunter hing eine braune Seemannshängematte. Peter Förster wurde hineingepackt. Grammer breitete ein weißes Laken darüber. Wie ein Zeltdach hing es spitzwinklig von der Tragstange über die Ränder der Hängematte herab. Förster lag wohlgeborgen im Schatten. Einen Duft von deutscher Hausfrau, von Sauberkeit, Seife und Sonne atmete das schneeige Leinentuch aus. Er hätte jetzt schlafen mögen.

»So etwas nennt man hierzulande Tipoia!« erläuterte der Farmer.

Die Schwarzen patschten mit ihrer Last auf den Schultern durch den Bach und setzten sich, am jenseitigen Ufer angekommen, sofort in leichten Trab.

»So also sieht Afrika aus?« dachte Peter Förster. Er blickte durch die dreieckige Öffnung des weißen Sonnenschutztuches.

Die Bäume huschten vorbei. Ein Stück blauer Himmel lugte herein, dann wieder Schatten und tiefgrüne, gefiederte Baumkronen. Ein schwarzer Rücken schob sich vor die Offnung, hob die Schulter unter die Tragstange, der Vordermann sprang zur Seite. Die Ablösung der Träger war erfolgt, ohne daß Förster eine Erschütterung verspürt hätte.

»Es muß doch schön sein, hier zu leben, statt in der ewigen Hast Europas.« Er schloß ermüdet und eingeschläfert durch die überstandenen Strapazen, durch das Wiegen, den gleichförmigen, immer wiederkehrenden Sang der Neger und durch die lastende Hitze seine Augen.

*

Doktor Förster erwachte für afrikanische Begriffe spät am nächsten Morgen. Es war fast neun Uhr. Hell schimmerte durch die Ritzen der Fensterläden und des Türrahmens das Licht. Ein Moskitonetz umspannte, viereckig um die Matratze festgestopft, das Bett. Er wollte sich umwenden, um das feine Gewebe zu lüften und um nach der Uhr zu schauen, da fühlte er, daß ein dicker, noch feuchter Verband den rechten Knöchel umgab.

»Gott ja! — — Ich bin ja bei Grammer auf der Farm!« Hastend setzten die Gedanken die Bilder der jüngsten Geschehnisse zusammen.

Da klopfte es an die Tür.

»Ja! — — Herein!«

Ein blendender Strom strahlender Sonnenglut zwang die Augen kurz zu schließen.

»Gutten Morgen, Hherr!«

Ein Schwarzer stand im Zimmer, öffnete behutsam die Fensterläden. Eine neue Lichtflut brach herein.

»Guten Morgen!« erwiderte Peter Förster sich aufrichtend den Gruß. »Du kannst ja prima deutsch, Junge!«

Ratlos, doch voll eifriger Dienstbeflissenheit, starrte der Boy im weißen Hemd und weißen, kurzen Hosen Förster an.

Schwere Schritte ertönten. Ein Schatten verdunkelte die offene Tür.

Es klopfte.

»Morgen! — — Ist es gestattet? Will mal nach meinem Patienten schauen kommen!«

»Aber gewiß, Herr Grammer!«

»Hat Kanguanda Sie auf Deutsch begrüßt?« Der Farmer zog schmunzelnd einen Stuhl ans Bett und ließ sich wuchtig nieder.

»Fabelhaft sogar! — — Mehr scheint er aber nicht zu können!« antwortete Förster hinter seinem Netz.

»Sehr richtig!« Grammer lachte vergnügt. »So ein paar Brocken Deutsch haben sich alle hier im Laufe der Jahre angeeignet und wenden sie sehr stolz bei passender Gelegenheit an. — — Wie geht's Ihnen, Herr Doktor? — —Gut geschlafen? — — Was macht der Fuß?«

»Danke, Herr Grammer! Geschlafen habe ich herrlich! — —Der Fuß hat sich unter der tatkräftigen Behandlung Ihrer Gattin anscheinend wieder darauf besonnen, daß er als menschliches Gehwerkzeug zu dienen hat!«

»Na, na! Sie spotten schon wieder! Mit so was ist nicht zu spaßen! Gestern abend sah das nicht so aus, als ob der Bluterguß und die durch die Überanstrengung verursachte Sehnenentzündung so rasch verschwinden würden!«

»I! — —— Das Pedal hat zu parieren!«

»Die Götter mögen Ihnen den kindlichen Glauben erhalten. — — — Ich freue mich auf alle Fälle, daß Sie für mindestens acht Tage mein Gefangener sind, denn eher lasse ich Sie nicht los!«

»Das ist Freiheitsberaubung!« begehrte Förster auf. Doch die Betonung der Worte bewies, wie beglückend er Grammers Hilfsbereitschaft empfand.

»Ich stehe jetzt auf!« Er zog energisch an dem Moskitonetz.

»Halt! Vorsichtig! — — — Sie dürfen nicht gehen, mein lieber Doktor!«

»Sagen Sie mal! — — Sind Sie Arzt oder Farmer?«

»In Afrika muß man alles sein!«

»Reizend! Und ich komme mir langsam vor, als wäre ich nicht auf einer abgelegenen Farm im tiefsten Busch, sondern verhätschelter Patient eines europäischen Luxussanatoriums! Dabei fühle ich mich nicht im geringsten krank!«

»Glaube ich sehr gerne! — — Doch dürfen Sie überzeugt sein, daß wir hier mit solchen Fußgeschichten besser Bescheid wissen. — — Wenn Sie angezogen sind — Kanguanda wird Ihnen dabei helfen , setzen Sie sich auf diesen Stuhl hier, und dann werden Sie zum Frühstück auf die Veranda getragen! — — Einverstanden?«

»Na, meinetwegen, wenn Sie das für richtig halten!« So ganz wohl fühlte sich Förster in der ihm aufgezwungenen Rolle nicht.

»Also gut! Abgemacht! In einer Viertelstunde erwarte ich Sie zum frischbereiteten Kaffee aus eigener Pflanzung!«

Und damit verließ er, Förster noch einmal freundlich zuwinkend, das Zimmer.

Das späte Frühstück, bei dem der Farmer und seine Gattin Gesellschaft leisteten, war vorüber. Flinke schwarze Hände hatten abgeräumt, Frau Grammer den feuchten Verband erneuert und ihrer Ansicht Ausdruck gegeben, daß sie in zwei Tagen mit einer leichten Ölmassage beginnen könne.

Grammer und Peter Förster rauchten ihre Pfeifen. Strahlend beschien die Tropensonne das fruchtbare Bild rundum. Drei goldgelbe Bananenstauden pendelten an Baumbastschnüren von den Seitenträgern des schattigen Vorbaus hernieder. Ein saftig grünes Maisfeld wogte zur Linken im leise fächelnden, warmen Wind. Der verdickte Ansatz der Fruchtkolben hinkte fast unwillig, wie aus reifender Ruhe gestört, dem regelmäßigen Auf und Abwogen nach. Förster schaute sinnend auf den sonnigen Frieden. Er riß sich los:

»Da ist also Felten um sieben Uhr heute früh mit Fräulein Hard und zwei Schwarzen aufgebrochen?«

»Ja! Er war von seinem Plan nicht abzubringen, und da ich ihm innerlich recht geben mußte, unterstützte ich seine Absicht und beorderte statt des erbetenen einen Trägers meinen schwarzen Mechaniker, wenn ich so sagen darf, und den Bretterschneider. Beide verstehen, in vielen Jahren angelernt, etwas von Technik und können ihm auf alle Fälle gut zur Hand gehen!«

»Und Fräulein Hard?«

»Na!« — — Ein tiefer Zug aus der Pfeife. »Sie nahm ihren Schießprügel mit, um einen frischen Braten für die Abendtafel zu besorgen. Außerdem wollte sich meine technisch sehr interessierte Nichte den Ort Ihres Flugzeugunfalles anschauen.«

»Ist Fräulein Hard eine so gute Jägerin?« Peter Förster schob das hochgelegte Bein etwas bequemer.

»Gut ist kein Begriff! Nachdem ich sie hier in knapp vierzehn Tagen — es sind jetzt drei Monate her in die afrikanischen Jagdverhältnisse eingeweiht hatte, ist sie fast nie ohne Beute heimgekehrt. Ihr kleiner flinker Jagdboy Hátana geht für sie durchs Feuer. — — Er ist übrigens, das vergaß ich zu sagen, als dritter mitgegangen.«

»Und was wollte Felten oben ausbauen?«

»Wie er sagte, die Ölfilter, Lagerschalen und einen Kolben sicherstellen und als Beweisstücke zu Tal bringen.«

»Viel Vergnügen! — — Verrückte Idee bei der Hitze!« Förster streckte sich im Liegestuhl. »Bin eigentlich sonst solche Eigenmächtigkeiten bei ihm nicht gewöhnt. Scheint an der afrikanischen Freiheitsluft zu liegen!«

»Sind Sie ungehalten, Herr Doktor?«

»Ach bewahre! — — Niemals! — — Ich fühle mich, offen gestanden, bei Ihnen wohler als je in meinem Leben. Dieses phantastisch schöne, weite Tal dort!« — Er deutete mit dem Pfeifenstiel in die Richtung. — »Das aufragende dunkle Gebirge als Rahmen. Bis in die Ferne die bewaldeten Höhenzüge. Sie haben sich einen idyllischen Platz für Ihre Farm ausgesucht. Na, und dann nicht zuletzt«, Förster wandte den Kopf zur Seite, seine Augen strahlten, »solche lieben Gastgeber...«

»Aber, Herr Doktor, was meinen Sie, wie froh meine Frau und ich sind, mal ein neues Gesicht hier zu sehen. — — Monatelang sind wir oft hier allein auf uns angewiesen, besonders, wenn in der großen Regenzeit alle Wege und Stege rundum unpassierbar werden. — — Doktor! Da freut man sich!« Dichte Rauchwolken umhüllten sein lächelndes Gesicht. »Afrika ist nicht Europa! — —Hat man obendrein das Glück, einen so berühmten Gast einzufangen, ja dann will einem einsamen Pflanzer das Herz vor Freude springen. — — Jetzt wird erstmal für ein paar Tage Ferien gemacht und so richtig alles von der Seele geredet! Sie kommen schon nicht ungeschoren davon, da können Sie ganz unbesorgt sein. Vor allem müssen Sie von Ihrem sagenhaften Werk berichten. Was meinen Sie, wie wir im tiefen Busch, bloß von den paar Zeitungen lebend, langsam still werden und uns auf eine angeregte Unterhaltung freuen, denn ein Radio mit seinen kostspieligen Anodenbatterien und Akkus kann ich mir hier nicht leisten. — — Du Grete!« Grammer wandte sich plötzlich, wie von argen Zweifeln geplagt, seiner Frau zu: »Haben wir noch etwas von dem Roten im Keller oder vielleicht auch noch Portwein?«

Frau Grete blickte von ihrer Näharbeit auf.

»Für so seltene Anlässe sind immer Reserven vorhanden!«

Grammer lachte vergnügt auf, während seine Frau sich anschickte, das Zimmer zu verlassen.

Grammer wollte gerade in seinen Betrachtungen fortfahren, da näherte sich Kanguánda, der Boy.

»Was gibt's?« sagte der Farmer auf deutsch.

Kanguánda schien diese Aufforderung zum Reden gewohnt zu sein. Singend gleichförmig kamen lange für Förster unverständliche Sätze von seinen dicken Lippen.

»Immer dieselbe Geschichte!« Grammer stand erbost auf und erklärte seinem Gast:

»In der Trockenheit drängt sich die Gesellschaft zu Botengängen nach Ganda. Da können sie sich so richtig während der zwei Tage Marsch von der Arbeit erholen, rennen schwatzend von Dorf zu Dorf und tauschen alle Neuigkeiten aus. Doch kaum geht die Regenzeit los, da will keiner mehr!«

Förster lächelte still. Er hatte im Tiefsten volles Verständnis für die Schwarzen.

Grammer griff zu seinem Tropenhelm. »Bitte, entschuldigen Sie mich eine kurze Weile! — Geh' selbst mal rasch hinüber ins Negerdorf!«

Schon wollte er davoneilen, da drehte er sich kurz um.

»Sie müssen ja die Telegrammtexte noch aufsetzen! — —Werden wir gleich haben!«

Er ging in den anstoßenden Raum und kehrte gleich darauf mit einem dünnen Schreibbrett, Briefpapier und Umschlägen zurück.

»So, Doktor! — — Ihren Füller haben Sie doch bei sich?« und schon stapfte er mit wuchtig ausgreifenden Schritten davon.

Peter Förster blickte ihm sinnend nach.

Auch hier schien nicht alles so friedlich zuzugehen, wie es sich von außen anschaute!

Dann zog er den Füller hervor, überlegte kurz und schrieb zwei Telegramme, die der schwarze Bote dem Bahntelegraf in Ganda überbringen sollte. Eines war nach Nova Lisboa bestimmt, dem Hohen Commissario Mitteilung von seiner Notlandung zu machen. Ohne allen Zweifel war bei dem guten Flugmeldedienst längst seine Maschine als überfällig durchgegeben worden. Im zweiten benachrichtigte er sein Werk, daß seine Rückkunft erst in acht bis zehn Tagen zu erwarten sei.

Förster griff zu einem dritten Bogen. Ein Schreiben an den Administrator in Ganda, welches jenen über das Geschehen in seinem Bezirk informierte. Er bat, von allen Hilfsaktionen abzusehen. Er sei gesund und munter auf Farm Camátia.

Da erschien in der Krümmung des Weges, gerade als er das Papier in den Umschlag schob, Grammer. Ein baumlanger Neger trottete sichtlich unzufrieden hinter ihm her. Ein in der Farbe undefinierbares, langes, dunkles Lendentuch war das einzige Bekleidungsstück.

»So! — — Das wäre geschafft!« knurrte der Farmer. »Sind Sie fertig, Doktor?«

»Jawohl! Haargenau mit der Zeit ausgekommen!«

»Um so besser!« — —

Noch immer kochte der Zorn in Grammers Stimme, als er durch den Vorbau schritt und den anschließenden Raum betrat.

Kurzes Kramen. Er kehrte mit einer Lederjagdtasche am Umhängeriemen zurück.

»Darf ich bitten?«

»Augenblick!«

Förster zog die Brieftasche und entnahm ihr einen Geldschein, den er zusammen mit den drei Briefen dem Farmer reichte.

Grammer verstaute alles und zurrte die Verschlußschnallen der Tasche fest. Dann hängte er dem Boten die Tasche um.

»So!« Dann folgten für Peter Förster unverständliche Worte an den Schwarzen.

»Ja, Patraò!« war die Antwort des Schwarzen.

»Twente!«

Der Neger marschierte ab.

Die beiden Europäer waren wieder allein.

»Sagen Sie mal, Herr Grammer, Ihr Bote ging doch verdammt ungern!« Förster legte die ausgebrannte Pfeife auf den Tisch.

»Wenn der nun einfach mit dem Geld durchbrennt, die Tasche wegwirft und irgendwo im Busch verschwindet?«

»Ausgeschlossen!« Der Farmer lachte. »Dafür war der Geldschein, den Sie ihm gaben, viel zu groß. Damit kann kein Schwarzer etwas anfangen, ohne sofort Verdacht zu erregen. Denn...«

»Onjira! — Patraò, onjira kinéne!«

Kanguándas entsetzter Schrei zerriß den angefangenen Satz.

»Ein Flugzeug!« Grammer schnellte hoch und stürzte nach draußen.

Des Negers weißgelbe Handfläche unter den dunklen Fingern deutete zitternd in die Richtung des Bergsattels.

Jetzt war auch das Motorenbrummen deutlich vernehmbar.

»Tatsächlich! — — Ein Flugzeug dort oben, wo Sie notlandeten.«

Die Aufregung steckte an. Förster wollte aufstehen.

»Nein, nein, bleiben Sie sitzen! — — Sie dürfen nicht gehen!«

Grammer kam rasch zurück.

— — —

»Mein Fernglas!« Schon war er wieder draußen. »Ich berichte Ihnen alles!

Das ist ein Regierungsflugzeug! — — — Eben leuchtete hell das farbige Kennzeichen auf! — — — Es kreist über Ihrer Unfallstelle! — Ganz niedrig! — — Jetzt beugt sich einer heraus, winkt — — macht Zeichen! — — Felten scheint mit seinen Leuten schon oben zu sein! — — — Die Maschine geht noch tiefer! — — Der Mann winkt wieder, nun mit beiden Armen! — — Da! — — Das Flugzeug dreht ab! — — Sie kommen hierher! — — — Sie kommen nach hier!«

Außer sich vor Begeisterung, sprudelte Grammer die Worte hervor, setzte hastig das Glas ab.

»Hören Sie, hören Sie?«

Immer klarer und lauter tönte das Brummen des Motors.

Die Farmersfrau eilte herbei.

»Was ist los, Hans?«

Auch die Küchenboys folgten heftig gestikulierend und schnatternd.

»Ein Regierungsflugzeug, Grete! — — — Sie suchen unseren Doktor!«

Burr — — — rärr —

Entsetzt aufschreiend zogen die Neger die Köpfe ein und hielten die Ohren zu.

Dicht über das Hausdach raste jetzt donnernd der große Vogel dahin. Eine Hand warf einen weiß leuchtenden Gegenstand aus dem Fenster der Kabine.

Schon sauste der Boy davon, den Weg abwärts.

Während Grammer auf die andere Seite des Hauses hastete und ausspähte.

»Sie steigen höher — — wenden — — kommen zurück!«

Da kam Kanguánda keuchend angerannt und brachte ein weißes Päckchen. .

Grammer nahm es, knotete es auf. Ein Taschentuch, darin eingehüllt ein Schraubenschlüssel, an dem ein Zettel befestigtwar.

»Hier, Doktor, rasch — — lesen Sie! — — Ich habe meine Brille nicht bei mir. — — Mein Gott, so was ist mir in den vielen Jahren, die ich hier sitze, noch nicht vorgekommen!«

Wieder dröhnte die Maschine über dem Hause, kurvte.

Die Küchenboys rannten schreiend davon, dem Negerdorf zu. Kanguánda war mutiger, hielt sich dicht an die Weißen. Doch seine weitgeöffneten Augen verfolgten maßlos entsetzt den unheimlich kreisenden, brüllenden Riesenvogel.

»Ein Bettlaken!« rief Peter Förster: »Hier steht's, Grammer!« Er deutete auf den zerknitterten Zettel:

»Wenn Doktor Förster gesund bei Ihnen, ein weißes Tuch auslegen! Wenn dringende Hilfe erforderlich, zwei weiße Tücher in Abstand auslegen! Schieße rote Leuchtkugel, wenn Zeichen verstanden!«

Schon war die Farmersfrau zurück, hielt in beiden Händen ein Leintuch.

»Was soll damit?«

»Gib!« Der Gatte riß es fast an sich.

Auf dem nahen Weg breitete er es aus, der Boy half zitternd.

»So!« — — — Ein Blick nach oben.

Das Flugzeug brauste näher, tiefer. Das Motorendonnern ließ das Haus erbeben.

In geringer Höhe platzte eine rote Leuchtkugel, verschüttete sprühend ihre Funken.

»Verstanden!« jubelte Grammer.

Die Maschine zog eine Kurve, dann nahm sie Kurs gegen Westen und entschwand rasch den Blicken.

»Dunnerkiel! — — — Das nenne ich mal eine Abwechslung!«

Grammer strahlte, und seine Frau meinte:

»Herrgott! — Herr Doktor! — Ich bin ganz aufgeregt! — —So was hab' ich noch nicht erlebt!«

»Siehste, Alte! Um unsereinen würden sie nicht so ein Aufhebens machen. — — — Aber hier, unser Gast! Da sind sie hinterher, wie der Deibel hinter der armen Seele, suchen mit Flugzeugen den Busch ab! — — Hah! Wir haben uns eine nette Speicherratz eingefangen. — — So leicht kommen Sie hier nicht los, Doktor! — —«

Der Himmel hatte sich für europäische Begriffe unwahrscheinlich rasch bezogen. An den Ausläufen der schwarzen Wand standen dicke weiße Watteballen, die sich gegen den blaustrahlenden Horizont grell abhoben.

Der Donner rumorte.

Es wurde dunkel.

Die ersten Blitze zuckten.

Schwere, dicke Tropfen klatschten hernieder, spritzten auf dem lehmigen Boden auf und hinterließen kleine Löcher.

Der Regen wurde dichter. Ein grauer Schleier prasselte aus einer Riesenbrause herunter.

»Das wird wieder so seine fünfzig bis sechzig Millimeter im Regenmesser absetzen!« bemerkte der Farmer.

»Und die da oben werden erheblich naß!« warf Förster befriedigt, im Trockenen zu sitzen, ein.

»Na! — — Wenn schon! — — Ist ja Regenzeit! In spätestens einer halben Stunde strahlt wieder die sengende Sonne und heilt allen Schaden!«

»Das hab' ich gestern fast genau um die gleiche Stunde selbst erlebt. — — — Schön ist es! Schön ist es hier!« Peter Förster streckte den kranken Fuß aus.

Undurchdringlich rauschte die tropische Sintflut dampfend hernieder.

»Übrigens! — — — Spielen Sie Schach, Doktor?«

»Leidenschaftlich!« entgegnete Förster.

»Ist ja herrlich!« Als ob das Leben nur eine selige Freude sei, kramte Grammer unter der Tischplatte, zog ein Schachbrett hervor, und schon hieß es:

»Rechts oder links — — ?«

Förster schlug leicht auf Grammers Linke.

»Weiß zieht an!«

Sie bauten die Figuren auf und hörten nichts mehr von dem rauschenden Regen. Zwischen den Zügen, im ernsten und nachdenklichen Sinnen, pafften leichte Rauchwolken zur Decke.

»Gardez!«

Draußen ebbte der Regen ab, wurde leiser und leiser. Die Sonne brach durch die letzten zerfetzten Wolkenstreifen. Dampfend stieg die heiße Nässe aus den fruchtbaren Feldern ringsum auf.

Grammers Gesicht spiegelte erlöste Hingabe: Freude eines alten Farmers, der für kurze Zeit der afrikanischen Einsamkeit entronnen war.

Gegen fünf Uhr nachmittags waren Evelyne Hard, Felten und die Schwarzen zurückgekommen. Grammer hatte recht behalten. Ein Umbämbi, eine Antilope so groß wie ein deutsches Reh, war die Jagdbeute. Felten hatte besondere Werkstücke des einen Motors ausgebaut, der seinem Bericht nach durch Blitzschlag oder die Wucht der Explosion fort geschleudert, etwa zwanzig Meter von der Hauptbrandstelle entfernt gelegen und keinen nennenswerten Schaden erlitten hatte. Ein Fläschchen enthielt das verdächtige Öl. Die gründliche Untersuchung der Teile mußte erst den endgültigen Beweis für seinen, beim Auseinandernehmen des Motors noch bestärkten, Verdacht erbringen, daß Sabotage vorlag.

Die Farmersfrau war in der Küche tätig, das Abendessen zu bereiten, das heute aus frischer Wildleber und einigen Antilopensteaks bestehen sollte.

Evelyne plauderte zur Freude ihres alten Onkels munter drauflos, wobei der fremdartige Tonfall ihres Deutsch ihre amerikanische Herkunft verriet.

Ein köstliches Geschöpf, dachte Peter Förster. Hellblondes weichlockiges Haar umrahmte ein Gesicht, das fast jungenhaft auf dem schlanken, sportgestählten Körper anmutete. Die Ähnlichkeit zwischen Onkel und Nichte war groß. Peter Förster hatte erfahren, daß Evelynes Vater einst die jüngste Tochter einer kinderreichen Gutsbesitzersfamilie, die geliebte Schwester Grammers, als Gattin auf seinen großen Besitz in den Staaten »entführt« hatte, wie Grammer mit leiser Wehmut in der Stimme sich ausdrückte. Das Glück war groß, doch währte es nur kurze Zeit, denn vor der zweiten Geburt starben Mutter und Kind durch einen Unglücksfall.

Damals zählte Evelyne zwei Jahre. Der trostlose Vater verschwendete seine ganze Liebe an die einzige Hinterlassenschaft der vergötterten Frau, und Evelyne hatte heranwachsend ihrem »guten Dadd«, wie sie den Vater begeistert nannte, die Liebe reich vergolten.

Eine Entfremdung war erst eingetreten, als der Vater vor einem halben Jahre eine Frau geheiratet hatte, die ihre ältere Schwester hätte sein können. Die dreiundzwanzigjährige Tochter fühlte nicht nur die immer stärker werdende Spannung, sondern empfand auch bitter die Wesensänderung des Vaters.

Da Evelyne von ihrem fernen Onkel in Afrika wußte, hatte sie ihren Dadd gebeten, ihr einen halbjährigen Jagdaufenthalt bei Onkel Hans zu bewilligen. Daß der Vater ihrem Vorschlag sofort begeistert zustimmte, war die größte Enttäuschung für sie gewesen.

Peter Förster betrachtete das lebensfrohe plaudernde Geschöpf, das große Selbständigkeit, gute Beobachtungsgabe und starke Anteilnahme an seiner Umwelt verriet. »Ist eigentlich ein Junge dran verloren gegangen«, dachte er; doch eine solche Entwicklung Evelynes als jugendliche Kameradin des einsamen Vaters auf der großen Farm in den Staaten, fernab von der nächsten kleinen Stadt war wohl ganz natürlich.

Jetzt berichtete Evelyne mit verblüffendem Nachahmungstalent, wie Felten in der schattenlosen Glut den heißen Motor auseinandergenommen hatte. Felten mußte einen, Förster bisher unbekannten reichen Sprachschatz an kräftigen Ausdrücken besitzen. Daß die Wiedergabe den Tatsachen entsprach, ging eindeutig aus seinem verlegenen Gesicht hervor. Er mochte wohl der Ansicht gewesen sein, daß die Deutsch Amerikanerin solche Wortwendungen nicht zu deuten wisse. Der Reinfall war um so größer.

Peter Förster weidete sich still an der Verzagtheit seines Piloten, und Evelyne schien es darauf anzulegen, Felten in noch größere Verlegenheit zu bringen.

»Und wie kamst du zu dem Umbámbi?« schaltete sich Grammer ein, um dem verlegenen Felten zu Hilfe zu kommen.

»Oh! Sehr einfach! Ich habe Herrn Felten gebeten, er möge einmal nicht von Niggers und dem armen Tobias erzählen. Ganz leise sein! — — Da kam das Umbámbi direkt aus dem Busch, mir vor die Flinte! Bumm — — tot!«

In Evelynes Augen blitzte der Schalk, als sie Felten zuzwinkerte.

Doch jetzt war es an ihm, ihr heimzuzahlen.

»Das stimmt nicht! — — Nein, das stimmt nicht! — — Also...?«

»Warum so aufgeregt?« fragte Förster belustigt.

»Also!« Felten holte tief Atem und lehnte sich vor. »Vorhin das — — — —! Na, ja, das war schon richtig! — — Ich hab' das tatsächlich gesagt! — — Aber die Sache mit dem Reh war anders!«

»Und — —?« Peter Förster ließ nicht die Augen von ihm.

»Na, ja! — — Als wir an dem Bach waren, wo wir Herrn Grammer trafen, sagte Fräulein Hard, ich solle mich mit den beiden Schwarzen mal etwas erholen, aber nicht rauchen und nicht reden. Ganz leise sein. — Dann ging sie einfach weg mit ihrem Boy, der das Gewehr trug. — — Es wurde recht langweilig, und nach einer Stunde kam sie lachend wieder. Der Boy, Satanas — — —«

»Nein! — — Hátana! — — — Kein Teufel!« warf Evelyne geschwind ein.

»Also gut, Hátana! Also Hátana trug das erlegte Reh — —!«

»Umbámbi!« sagte Evelyne weich und vorwurfsvoll.

»Trug also das Umbámbi!«

Felten wollte seine Geschichte noch zu Ende bringen, doch da erschien die Farmersfrau und lud sie zum Abendtisch ein.

*

Nach dem Essen, das allen trefflich gemundet hatte, saßen sie um den weißgedeckten Tisch.

Ein Petroleumbrenner unter einer Milchglasglocke zischte leise und schien in scharf begrenztem Kreis auf das schneeige Linnen. Eine Unzahl Insekten schwirrte um das lockende Licht oder krabbelte auf dem Tischtuch.

Peter Förster und Felten betrachteten sichtlich neugierig das seltsame Treiben.

»Ist das jeden Abend so?« fragte Peter Förster.

»Das ist verschieden!« antwortete Grammer behaglich. »Wir haben Tage, da sind wir ohne diese geflügelten Gäste, und dann wieder welche, an denen es wimmelt, wie heute.«

»stört Sie das nicht?« wollte Felten wissen.

»Nein, die Tiere tun uns nichts. Sie halten sich nur im Lichtkreis der Lampe auf. Und außerdem ist ihr Tun und Treiben immer neu und interessant zu beobachten. Wir kennen so ungefähr ihr abendliches Schicksal. Sehen Sie da, Doktor, da ist eben eine Gottesanbeterin angekommen. Passen Sie auf!«

Grammer war ganz bei der Sache. Alle schauten auf das merkwürdig schlanke Insekt von etwa fünf Zentimeter Länge, das, nahezu versteinert, mit angehobenem Körper und Vorderbeinen, wie ein lebloses Stückchen Ast auf der Tischdecke saß.

»Passen Sie auf, was jetzt geschieht!« Grammer vergaß im Eifer der Beobachtung, seine Pfeife anzustecken.

»Da!«

Wie der Blitz war der nur scheinbar starre Körper der Gottesanbeterin auf ein kleines krabbelndes Ungeziefer, das sich zu nahe an die tückische Fallenstellerin herangewagt hatte, niedergesaust. Da gab es kein Entrinnen mehr aus den stählernen Zangen von Kiefern und Vorderbeinstacheln. In kürzester Zeit war die Beute verspeist, und wieder saß das gefährliche Insekt aufgereckt in täuschender Verstellung.

»Donnerwetter!« bemerkte Peter Förster, von dem Schauspiel gebannt. »Und so was gibt man den wohlklingenden Namen Gottesanbeterin. Klingt doch so harmlos und fast fromm!«

»Von wegen harmlos und fromm!« lachte Grammer spöttisch. »Diese Gottesanbeterin ist der räuberischste Vielfraß und Mörder unter den Insekten, und ihren Namen muß ihr mal irgendwer gegeben haben, der nur die wahrhaft fromme und demütige Haltung, das zum Himmel gewandte Gesicht beobachtet hat, nicht aber ihr heimtückisches Fallenstellen.«

»Also auch hier Lug und Trug, wie bei den Menschen!« Feltens in Afrika wach gewordene philosophische Art begann sich wieder einmal zu regen.

»Da! Numero zwei!« warf Peter Förster erregt ein.

»Werden noch viele folgen, und wenn sie satt ist, mordet sie nur noch!«

Grammer zündete sich die Pfeife an.

»so ein Biest sollte man totschlagen!« sprudelte Felten erbost.

»Warum? — — Ist doch sehr nützlich für die Menschen, die überflüssigen Plagegeister umzubringen!« Evelyne saß zurückgelehnt da und hielt den grausamen Kampf der Natur für zweckdienliche Selbstverständlicheit.

Frau Grete hatte aus dem Nebenzimmer zwei Flaschen Wein gebracht.

Der Farmer strahlte.

»Na, hab' ich's nicht gesagt?«

Rasch waren die Gläser eingeschenkt.

»Prost, mein lieber Doktor!«

Die Kelche erklangen.

»Doch, nun müssen S i e einmal erzählen!« Grammer lehnte sich behaglich zurück. »Schon mehrfach lag es mir heute auf der Zunge, Sie zu bitten, von Ihrem Werk zu berichten. Immer kam etwas dazwischen. — Wollen Sie mir jetzt den Gefallen tun?«

Die beiden Frauen unterstützten die Bitte des Hausherrn.

Da hob Peter Förster an:

»Daß ich Gold aus dem Wasser des Ozeans gewinne, wissen Sie. Da aber bisher kein Mensch Gold im Meerwasser hat sehen, noch weniger in nennenswerten Mengen herausholen können, ist meine gesamte Arbeit umwoben von einem Nimbus bedenklichster Geheimniskrämerei. Selbst meiner Person haftet der Ruf eines wissenschaftlichen Hochstaplers an, und meine Widersacher sind eifrig bemüht, mich als üblen Scharlatan hinzustellen, der es versteht, gutgläubigen Narren ihr Geld aus der Tasche zu ziehen. Sie wissen, daß man in jeder Propaganda eine Lüge nur genügend oft zu wiederholen braucht, und sie wird als unerschütterliche Tatsache hingenommen und geglaubt. Das Prinzip, mich überall zu diskreditieren, ist vielfach bestimmend für die seit Jahren in der Weltpresse angezettelten, zum Teil sehr geschickt durchgeführten Manöver.

Ich gestehe offen, daß mir diese ewige Hetze schon sehr viel böse und bittre Stunden bereitet hat. Überall stieß ich auf Mißtrauen. Immer aufs neue mußte ich die Menschen, die ich notwendig brauchte, überzeugen, daß meine Erfindung tatsächlich auch im großen Maßstabe praktisch durchführbar sei und die zu gründende Gesellschaft zum Herren nicht nur des Meeresgoldes, sondern des Goldes schlechthin machen würde. Meine Gegner wissen das; wissen, das kann ich getrost behaupten, viel mehr, als sie vor der Öffentlichkeit zugeben. Die Unsicherheit ihrer Stellung aber treibt sie zu stets neuen Angriffen. Jede meiner Aktionen wird von ihnen sabotiert, jede neue Planung stößt auf Schwierigkeiten. Bestochene Elemente schieben sich zwischen mich und meine gesuchten Vertragspartner, immer nur Mißtrauen säend, Verleumdungen ausstreuend, mich und das verhaßte Werk, mein Lebenswerk, zu vernichten.«

Förster schwieg. Er atmete hörbar. Fast schien es, als ob er bereute, sein persönliches Erleben so in den Vordergrund geschoben zu haben.

»Sehen Sie, Herr Grammer!« Er zog spöttisch die Mundwinkel herab. »Sie können sicherlich in kurzer Zeit erfahren, durch Presse oder Rundfunk, daß ein gewisser Doktor Peter Förster nach seinem letzten Betrugsversuch bei dem Hohen Kommissar der portugiesischen Regierung in Nova Lisboa in Erkenntnis seiner wahren Lage mit seinem Flugzeug Selbstmord versucht habe, um den unausbleiblichen Folgen seines Riesenbetrugs zu entgehen, daß aber ein Narr von deutschem Landsmann den Schwerverletzten zufällig im wildesten Busch aufgelesen und gerettet habe. Der Narr wären Sie dann, Herr Grammer!«

Der Angeredete schaute .ernst drein, während Evelyne auffuhr.

»Ja, wer ist denn diese Bande, die Sie so verfolgt!«

»Fräulein Hard, besagte Bande, wenn ich das Wort wiederholen darf, rekrutiert sich leider hauptsächlich aus überaus geschäftstüchtigen und den Ruin ihres Monopols befürchtenden Landsleuten Ihrer nordamerikanischen Heimat.«

In den Zügen des Mädchens malte sich keinerlei Zeichen des Erstaunens.

»Ich ahnte es! — — — Jetzt weiß ich es leider!«

Verblüfft fragte der Doktor:

»Sie ahnten etwas?«

»Ja! Daß  S i e« — eine leichte Bewegung der Hand untermalte das gedehnte »Sie« — »der damned gold doctor seien!«

»Interessant, interessant!« Peter Förster lehnte sich gespannt zurück. »Die Welt scheint wieder einmal klein zu sein!« Er lächelte unmerklich. »Doch darf ich fragen, Fräulein Hard, wie Sie zur Kenntnis des mir erst vor kurzem bekannt gewordenen DGD, das heißt nämlich nichts anderes als ›damned gold doctor‹, gekommen sind?«

Evelyne schien gar nicht berührt von der Preisgabe eines in gewissen Kreisen offenbar streng gehüteten Geheimnisses, während die übrige Tischrunde mit ungläubigem Staunen der unerwarteten Wendung der Unterhaltung folgte. Selbst Frau Grammers Handarbeit ruhte im Schoß. Mit argwöhnischen Blicken musterte sie ihre Nichte.

»Meine Stiefmutter«, fuhr Evelyne ohne Zögern fort, »pflegt leider einen mir nicht sympathischen Umgang. Ihr einziger älterer Bruder spielt eine angeblich führende Rolle in einer Investigation Company!« Die letzten Worte sprach sie amerikanisch aus. »Zu seinen verrückten Gewohnheiten gehört auch, zu den unmöglichsten Tages und Nachtzeiten, meistens aber nachts, Dadds bisher so friedliche Farm zu überfallen. Er kommt nie allein in seinem Auto. Meist sind es mehrere seltsame Zeitgenossen, die er mitbringt. Mein guter Dadd tut alles, ihr« — sie sagte zum zweiten Male nicht Mutter, »Freude zu machen, und trinkt sogar mit!« Das Mädchen schaute gequält vor sich hin.

»Und bei einem derartigen Gelage erfuhren Sie dann meinen Namen?«

»Ja! Doktor!« Sie schaute ihm unbefangen in die Augen. »Es war wenige Tage vor meiner Abreise nach hier. Da fielen sie wieder — es war drei Uhr morgens — über uns her. Ich richtete Cocktails draußen am Frigidaire an und vernahm nur einen Schwall von unverständlichen Reden. Als ich zurückkam, quäkte mir gerade noch eine widerwärtige Stimme in die Ohren:

»Just to the damned gold doctor!« Da brach das Gespräch ab. Das ist alles, was ich weiß! — _ Doch es gehört wohl nicht allzuviel Kombination dazu, aus meiner Reise nach Angola und Ihrem derzeitigen Arbeitsplatz in diesem Lande nun, wo ich Sie kenne, zu schließen, daß nur Sie jener damned gold doctor sein können!«

Peter Förster hatte schr aufmerksam zugehört. Das Ergebnis seiner von Mißtrauen geschärften Betrachtung war, daß das Mädchen die Wahrheit sprach. Es gab keine Brücke von diesem sauberen und klaren Geschöpf zu seinen Gegnern, zu denen der Bruder jener Frau offenbar nahe Beziehungen hatte. Wie weit die neue Mutter eingeweiht war, stand dahin, aber auf alle Fälle war es das Mädchen nicht. Das entschied kurz seine Menschenkenntnis.

»Machen Sie sich Sorgen darum, Fräulein Hard?«

»Doch, Doktor! Ich hatte schon Angst um Dadd. Der Umgang mit den Kreisen, die die zweite Frau ins Haus brachte, ist Gift für ihn. Wenn Mutter doch am Leben geblieben wäre! — Nun aber«, ihre schlanke Gestalt straffte sich, »habe ich noch Sorgen um Sie dazu!‹

»Sie haben Sorgen um mich ?« In der Frage lag leichtes Staunen.

»Ja!« Evelyne zögerte einen Augenblick, um dann rasch fortzufahren:

»Wenn der Kreis unserer nächtlichen Heimsucher identisch sein sollte mit Ihren Gegnern, dann sei Ihnen das Schicksal gnädig! Diese Mischung aus niedrigem Geldprotzentum und brutaler Gangsterart widert mich an, ja flößt mir geheime Angst ein, obgleich ich dieses Gefühl als Tochter meines Vaters sonst nicht kenne. Auf alle Fälle wäre diese Bande zu allem fähig! — — — — Das sind auch keine Amerikaner, wie ich sie sonst kenne, obgleich sie fließend unsre Sprache reden«, setzte sie gedankenverloren hinzu.

Peter Förster hatte die Bemerkung über die Nichtamerikaner, die für ihn hätte sehr aufschlußreich werden können, noch mit dem eben Vernommenen beschäftigt, überhört. Er beugte s ich vor:

»Haben Sie einmal mit Ihrem Herrn Vater darüber gesprochen?«

»Ja! — — Doch er steht in seiner für mich unfaßbaren Liebe zu jener Frau so unter ihrem Einfluß, daß er wie mit Blindheit geschlagen ist und alles an ihr nur schön und anregend findet.«

Grammer nickte gedankenvoll, als ob er jedes Wort der Nichte bestätigen wollte, doch dann riß er sich plötzlich zusammen und sagte:

»Jetzt, Doktor, sind Sie aber wieder dran! Sie müssen nun endlich einmal von Ihrem Werk erzählen. Ich sitze wie auf Kohlen. Alles Technische interessiert mich maßlos.«

»Das stimmt!« ergänzte seine Frau. »Nicht weniger Ev und mich!« Ihr Gesicht war nach ermunterndem Aufschauen wieder über die Handarbeit gebeugt.

Peter Förster streifte kurz mit einem nachdenklichen Blick das Mädchen an seiner Seite und begann:

»Am einfachsten wäre es, wenn ich Ihnen chronologisch, das heißt so, wie die Dinge an mich herantraten oder wie ich sie mir erarbeitet habe, mein Werk schildern würde. Das würde aber, wie ich vorhin erkannte, zu lange dauern. Wir säßen morgen abend noch hier.«

»Schade!« warf bedauernd der Farmer ein.

»Na, Sie werden in den nächsten Tagen noch alle Einzelheiten erfahren. Heute nacht will ich zunächst einmal einen Abriß geben, der sozusagen eine Einführung darstellen soll.«

»Gut, gut!« schmunzelte der alte Farmer und paffte dichte Wolken, um die frisch angezündete Pfeife in Gang zu bringen. »Aber nun endlich los! Ich brenne schon wie meine Pfeife.«

Doktor Förster berichtete:

»Gold ist, wie Sie wissen, im Gesteinsmantel unserer Mutter Erde überall verteilt. Man hört allerdings immer nur von einigen Lagerstätten, die ihres größeren Gehaltes wegen abbauwürdig und daher berühmt sind. Tatsächlich gibt es aber in allen Gesteinen, besonders den quarzhaltigen, Spuren von Gold. Im Laufe von vielen Hundertmillionen von Jahren war das einzig Beständige auf unserem Planeten das Meer. Kontinente stiegen auf und versanken. Stets wusch der Regen an den wechselnden Massen der über das Meer hinausragenden Gebirge und erosierte sie, das heißt, trug sie ab, in Verbindung mit seinen Helfern: Wind, Frost, Eis und Hitze. Spülte grobe und feinste Teile in jenes ewige Meer, in welchem einige in Lösung übergingen, wie z.B. Kochsalz, während sich andere als Sedimente, das heißt, feinst zerriebene Gesteinssande auf dem Grunde des Wassers absetzten.

Zu jenen Bestandteilen ehemaliger Mineralien, die sich im Salzwasser lösten, gehört auch Gold. Viel, sehr viel Gold ist im Meerwasser im Laufe der Jahrmillionen angehäuft. Doch, da Gold viel, viel seltener vorkommt als Kochsalz, ist sein Mengenverhältnis auch dementsprechend gering. Vorhanden ist es jedoch, im ganzen betrachtet, in gewaltigen Mengen.

Die Ozeane der Erde besitzen eine Wassermenge von rund 1,3 Milliarden Kubikkilometern. Eine wahrhaft unvorstellbare Zahl! Das Gold ist darin gelöst zu etwa 0,1 Milligramm pro Kubikmeter. In rund tausend Litern Meerwasser befindet sich demnach im Durchschnitt ein Zehntel Milligramm des gesuchten Edelmetalls. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß die Untersuchungsergebnisse außerordentlich schwanken, je nachdem ob klares oder getrübtes Meerwasser untersucht wurde.

Klares Meerwasser birgt Gold fast ausschließlich als Goldchlorwasserstoffsäure, getrübtes als kolloidales Gold. Also Gold in Form von feinstverteilten, winzig kleinen Gallertkügelchen oder Klümpchen, die so klein sind, daß sie im gebräuchlichen Mikroskop einzeln nicht wahrgenommen werden können.

Multiplizieren Sie nun die auf der Erde vorhandene ungeheure Menge Meerwasser mit der von mir als Durchschnitt bestimmten Menge Meergold von ein Zehntel Milligramm pro tausend Liter, so erhalten Sie die geradezu phantastische Zahl von 130 Millionen Tonnen Gold. Eine Tonne hat tausend Kilogramm. Also sind im Meerwasser unleugbar 130 Milliarden Kilogramm des allseits so begehrten Metalls enthalten.«

»Teufel noch eins! — — — Das ist ja unvorstellbar!« Grammer hielt verdutzt seine Pfeife mit beiden Händen umklammert.

»So ist die Zahl auch unvorstellbar. Sie kommen aber den Dingen rasch näher, wenn Sie einen Vergleich heranziehen. Die Erde soll rund zwei Milliarden Menschen beherbergen. Dann kämen auf jeden Bewohner fünfundsechzig Kilogramm Gold, das entspräche bei einem Handelswert von etwa dreitausend Goldmark pro Kilogramm einer Wertverteilung von rund zweihunderttausend Goldmark pro Kopf.«

»Wie? — — — Mit einem Ruck erhält jeder zweihunderttausend Goldmark in bar?«

»Könnte jeder erhalten, wenn ich mit einem Ruck, wie Sie sagen, das gesamte Meergold ausfällen könnte und — — verteilen würde. Das erste aber kann selbst ich nicht, der berüchtigte Herr des Meergoldes. — — — Und das zweite, die Verteilung, wäre ein heller Wahnsinn, denn mit diesen Goldmengen könnte keiner etwas anfangen, und Gold wäre dann genau so wertlos, wie einst das Gestein, das es barg. Es sei denn, man könnte diese Riesenmenge Goldes einem ganz anderen Verwendungszweck zuführen als bisher, wo es nur als Währungs und Schmuckmittel gebraucht wurde.

Ich fasse noch einmal zusammen: Gold ist im Meerwasser in riesenhaften Mengen vorhanden. Diese Frage ist somit eindeutig geklärt. Die weitere Frage lautet nun: Erstens, wie gewinnt man dieses Meergold, und zweitens, was kann man damit anfangen, ohne sich, rein kaufmännisch gesprochen, den Ast abzusägen, auf dem man selbst sitzt. Denn je mehr Gold produziert würde, desto wertloser müßte es mit der Zeit werden, bis eines Tages die Produktionskosten den Verkaufserlös übersteigen. Es sei denn, ein neues Anwendungsverfahren — und darauf allein kommt es an — sauge die Goldvorräte so rasch auf, daß fortlaufend starke Nachfrage gewährleistet ist.«

Bissig setzte Doktor Förster hinzu:

»Die gemutmaßte Wertlosigkeit ihres gehamsterten Goldhortes aber fürchten meine Gegenspieler. Sie sollen weiter fürchten, die Narren, die ohne Weitblick sich selbst die goldene Zukunft vermauern!«

Er griff zum Glase, trank schnell einen Schluck, lehnte sich zurück und schwieg, als ob er eine Frage erwartete.

Grammer prüfte aus dem Halbschatten seines Platzes sinnend die Züge seines Gastes, den fest geschlossenen Mund über dem blonden Spitzbart, den schmalen Rücken der Nase, die hohe, gerade Stirn.

»Sie sagten eben: Sich die goldene Zukunft selbst vermauern?!«

Evelyne war es, die fortfuhr:

»Daraus würde hervorgehen, daß Ihre Gegner noch Vorstellungen anhängen, die Sie als überholt kennzeichnen möchten?«

Diese diplomatisch gewandte Ausdrucksform empörte Peter Förster. Nichts haßte er mehr als Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit.

»Ich möchte nichts als überholt gekennzeichnet wissen, als was nicht längst durch meine Forschungsergebnisse überholt ist!«

Die Betonung klang schroff.

Das Mädchen schaute ihm verwundert in die Augen.

»Oh — Ich wollte Sie nicht verletzen, Doktor! — — Meine Frage entsprang nur dem Wunsch, Dinge, die ich noch nicht begreife, zu klären. Meine Parteinahme ist ohnedies bei Ihnen! — — Das brauche ich wohl kaum noch mit Redensarten zu bekräftigen!«

Doktor Peter Försters Blicke hingen an dem Gekrabbel der vielen Insekten auf dem grell beschienenen Tischtuch.

»Fräulein Hard!« — Er wandte ihr den Kopf voll zu. —

»Ich muß Sie meiner Heftigkeit wegen um Entschuldigung bitten. — — Ich danke Ihnen für Ihre freimütigen Worte!«

Nach einer Weile grüblerischen Schweigens fuhr er fort:

»Das ist es ja, was mir kein Mensch glauben will!« Er richtete sich in seinem Stuhl auf. »Kein Mensch? Was heißt kein Mensch! — — — In Europa wissen die Eingeweihten genau, sehr genau, was ich will. — — — Vergolden will ich! — — — Sonst nichts als Vergolden! —

— Die blödsinnig gehamsterten Goldvorräte einem dem Wohl der gesamten Menschheit dienenden Zweck zuführen! — — Und das erscheint jenen Goldtrustinhabern als ein faules Aushängeschild, um in ihr Monopol einzubrechen. Ich will gar kein Gold gewinnen, sondern nur so viel Gold dem Meere entziehen, wie nötig ist, um in erster Linie Stahl zu vergolden und damit hunderterlei Arbeitsgänge, Kostenaufwand, Materialverschwendung ein für alle Male zu stoppen und die freiwerdenden Menschenkräfte einer höheren Aufgabe entgegenzuführen.« Er räusperte sich heftig.

»Hören Sie! — — Ich muß doch wieder von mir erzählen! — Ich komme nicht darum herum!

Vor einigen Jahren arbeitete ich noch als Assistent meines verehrten Lehrmeisters, Professor Hiedermann, an Forschungen über Ultraschall. Mich behexte geradezu eine viel belächelte Wahnvorstellung, daß jedem der bisher auf der Erde bekannten Elemente eine Lieblingsschallwelle zukommen müsse, wie etwa in der Spektralanalyse die Wellenlänge von charakteristischen Bandenspektren! — — Verzeihen Sie bitte, wenn ich auf die physikalischen Einzelheiten nicht näher eingehe und mich so unwissenschaftlich ausgedrückt habe. — — — Kurz und gut — — der große Wurf gelang eines Tages! Ich fand die spezifisch selektive Ultraschallwelle für Gold, als erste. Ich entdeckte weiter, daß in einem Bade besonderer chemischer Zusammensetzung sich Eisen unter Anwendung sehr, sehr geringer Ultraschall Energien so vergolden, hauchdünn mit Gold überziehen läßt, daß es absolut korrosionsfest wird. Wissen Sie, was das heißt?« stieß Doktor Förster hervor.

Er atmete tief, die Wucht der aufs neue anstürmenden Gedanken zu bändigen. Dann fuhr er fort:

»Eisen ist nun einmal das meist angewandte Metall. Dabei ist aber gerade Eisen das korrosionsempfindlichste, das heißt, es wird vom Sauerstoff der Luft, von schwefeligen Verbindungen, auch von Kohlensäure begierig aufgegriffen. Die selbst jedem Laien bekannten lockeren Oxydschichten von Eisenrost blättern sehr leicht ab und geben so immer erneut die noch unversehrte Metalloberfläche der Zerstörung preis! — Hier will ich Einhalt gebieten, um kostbaren Rohstoff zu schützen. Mit jedem Kilogramm Fertigfabrikat, das ich der naturgegebenen Rostvernichtung entziehe, erspare ich der Menschheit tausendfache Arbeitsgänge. Um nur einen davon zu nennen, die ewige kostspielige Anstreicherei mit Rostschutzfarben.

Revolution des Eisens! — — Mit Hilfe des Goldes! — — Ich weiß, welche Kämpfe da gegen das Beharrungsvermögen, das jede Umstellung haßt, und damit gegen die Gewinnsucht vieler einzelner noch auszufechten sind. — — Viel Feind, viel Ehr!«

»Und viele Hunde sind des Hasen Tod!« Fast niedergeschlagen sprach Evelyne die Worte vor sich hin. »Erst Gold, jetzt noch Eisen? — — Sie müssen, by jove, der Liebling der Trusts sein!«

»Bin ich auch! Hab' ich schließlich erst gestern wieder erlebt! — — —«

»Sie haben viel Mut, Doktor!« kam es wieder von dem Mädchen.

»Nein, hab' ich gar nicht! — — Nur die Idee gibt mir die Kraft, Sie läßt den Einsatz nichtig erscheinen. — — — Die Rohstoffe der Erde werden immer knapper. Das ist eine Binsenwahrheit! — — Daß aber merkantile Gewinnsucht einzelner Machtgruppen Rohstoffe hamstert, sie gegeneinander ausspielt, sinnlos vergeudet, nur um aus der Zerstörung Profite zu ziehen, das ist ein Verbrechen, dem Einhalt geboten werden muß. Rohstoff mit Rohstoff, gleich welcher Art, zu paaren, letzte Beständigkeit menschlicher Schöpfung, die unzählige Schweißtropfen Namenloser gestaltete, anzustreben, das ist wohl ein Ziel, das aller Opfer wert ist! — — Sinn für die sparsamste Anwendung nicht zu umgehender Rohstoffe muß die zukünftige Welt regieren. Größte Anstrengung aller Forschung suche höchste Veredlung des Naturgegebenen! Es gilt, das als edelstes geachtete Metall, Gold, aus seinen Nibelungenhorten hervorzuziehen, es praktisch anzuwenden, die unedlen Metalle, wie besonders Eisen, zu veredeln! — — Menschenwerk dauerhaft, fest für die Ewigkeit zu machen! Ein Idol muß fallen, um einem neuen Ideal zum Siege zu verhelfen!«

»Und wenn nicht?« — — fragte wieder das Mädchen.

»Dann wird der einstweilen noch unmerkliche, dennoch erbittert geführte Kampf der Interessengruppen ausarten in einen furchtbaren Krieg, der unsere Erde erneut erschüttern wird bis ins Mark.«

Schweigen lastete über der Tischrunde. Leise zischte der Petrolgasbrenner und warf sein weißes Licht auf die Leinendecke. Wie Peter Förster fast unbewußt feststellte, waren die vielerlei Insekten völlig verschwunden.

In der Ferne rumorte ein Gewitter. Matter Wind hatte sich aufgetan.

Der Hausherrin Antlitz war niedergebeugt über die ruhende Handarbeit. Grammer blickte mit weit offenen Augen in das helle Licht, als ob er die neue goldene Zukunft greifbar vor sich sähe, und in Evelyne rang die Erschütterung, die die nächtliche Stunde geboren hatte.

Ein erster Windstoß fuhr ums Haus.

Wenn jene drüben, jenseits des Ozeans, wüßten, was ich jetzt weiß, sann Evelyne. Sieger bleibt doch der Verfechter der besseren Sache und — sie wollte sich wehren gegen ein seltsames Gefühl der Hochachtung — sie wußte, der Sieger saß, den Kopf zu Boden gewandt und seinen Gedanken nachhängend, an ihrer Seite. |

Wieder fegte, diesmal heftiger, ein Windstoß über die afrikanische Erde. Lähmende Schwüle peinigte die feuchte Haut.

»Wird 'was Nettes absetzen! — — Das Gewitter kann gut werden! Alle Geburtswehen sprechen dafür!« Der alte Grammer zerriß rauh das Schweigen. »Doktor, da lohnt es sich nicht, schlafen zu gehen! — — Hat keinen Zweck! — — Werden doch kein Auge zutun, bei dem Krach, den es da geben wird. — — — Teufel, ist das heiß!« Er schenkte bedächtig die Gläser ein.

»Prost! — — Vertreiben wir eine Hitze mit der anderen!«

Hell klangen die Gläser, zerrissen den Bann, den das Gespräch und das lähmende Wetterdräuen verursacht hatten.

»Und nun, lieber Doktor, möchte ich doch mal endlich wissen, wie Sie eigentlich Gold aus dem Meerwasser gewinnen. — — Verzeihen Sie mir das Wörtchen endlich. — — Aber jedesmal, wenn wir fast so weit waren, kam 'was dazwischen. — — — Die Nacht ist mörderisch heiß geworden! — — Kenne das! — Afrikanische Unterhaltungen verlaufen meist tiefsinniger, zumal wenn die Natur — — —«

Ein greller Blitz peitschte eine blendende Lichtflut aus dem Vorbau in den Raum. Jäh folgte ein einziger. harter Kanonenschlag von zermalmendem Luftdruck und Schall.— — — Die Lampe erlosch.

»Das wird viel ungemütlicher werden, als ich annahm!« sprach Grammer ruhig aus tiefstem Dunkel. Er hantierte irgendwo an der Lampe, das ausströmende Gas abzustellen.

»Grete! — — Die Kerzen!«

Ein Kramen in der Tischschublade.

»Hab' schon!«

Doktor Förster erschien die Antwort in dieser pechrabenschwarzen Finsternis nach dem nervenzerrüttenden Intermezzo sehr unglaubwürdig.

Ein Streichholz flammte auf. Die Kerze strahlte ihr mildes Licht.

»Das scheint öfters bei Ihnen vorzukommen?« Förster schüttelte mit erzwungen heiterer Betonung den nachwirkenden Schock ab.

»Öfter ist zu viel gesagt! — — — Teufel! Das hat eben gesessen! — — — Steckt mir noch in allen Gliedern!«

»Ihnen auch? — — Dann brauche ich mich ja nicht mehr zu schämen, denn mir ging's durch und durch, das merke ich jetzt erst.« Peter Förster fand zu einem herzhaften Lachen zurück.

»Lachen Sie nicht, Doktor! — — Das war ein sehr übles Vorzeichen. Gewitter, die so beginnen, ohne Regen, der berüchtigte Blitz aus heiterem Himmel, die haben es in den Tropen in sich!«

Grammer stand auf und ging hinaus, Ausschau zu halten. Von der Veranda tönte die Stimme:

»Kommen Sie mal, Doktor! — — — Aber schonen Sie Ihren Fuß!«

Hilfsbereit sprang Evelyne hinzu, wollte ihn stützen.

»Um Gottes willen, Fräulein Hard! — — Ich bin doch kein Krüppel! — — Danke, danke! — — Ich humple schon.«

Sie gingen gemeinsam hinaus, Förster mit einem Bein vorsichtig auftretend.

Noch ferne atmosphärische Entladungen zeichneten im Dunkel die Umrisse der Gestalt Grammers, der an der Brüstung stand.

»Können Sie schon sicher gehen?«

»Ja, gewiß! Zumindest mich fortbewegen!« gab Förster zur Antwort.

»Gut! — Das wollte ich nur feststellen! — — Wer weiß, was heute nacht noch fällig ist.«

»Sehen Sie so schwarz?«

Eine aufbäumende Sturmböe peitschte feine Sandkörnchen und aus dem Strohdach herausgerissene Halme über die Gesichter.

»Man muß bei dem, was bald kommen wird, mit allen Möglichkeiten rechnen!« sagte die tiefe Stimme Grammers. »Peinlich wäre mir die Vorstellung, meinem Gast vielleicht nicht immer zur Seite stehen zu können.«

Jetzt fielen die ersten Tropfen schwer wie Bleikugeln auf den nächtlichen Grund. Wieder zerriß ein wildes Lichtfanal die glutheiß lastende Dunkelheit. Dann jagte der Orkan heran, überdröhnt noch von dem rasend polternden Donner. Das Haus bebte.

Auch Frau Grammer war herausgekommen.

Drinnen flackerte mit hin und hergerissener Flamme die einsame Kerze.

Immer näher kam die Gewitterfront, die grell in allen Farben flammenden Lichtbänder durchschnitten unaufhörlich die undurchdringliche Nacht in wirren Wegen.

Schaurig schön war das Bild ungezügelter Naturraserei.

Der Regen schwoll an zur prasselnden Flut. Die Erde schien zu bersten in einem Trommelfeuer nicht endenden Dröhnens und Paukens.

»Wir gehen besser hinein!« Ein Gischt von Wassertropfen schnob unter das Dach, sprühte naßkalt über die Beobachter. Der Sturm riß an den flatternden Hemden.

Evelyne und die Hausherrin waren ins schützende Innere des Hauses geflüchtet.

Grammer stützte den Gast und wollte gerade zur Zimmertür einbiegen.

»Nanu! — — was ist das?«

Sein ausgestreckter Arm wies auf eine grellweiß leuchtende Erscheinung, die rasch vom Himmel herabsank.

»Kugelblitz!« rief begeistert Peter Förster, der als Physiker frohlockte, endlich einmal das so seltene Naturereignis mit eigenen Augen wahrgenommen zu haben.

»Niemals! — — Sieht ganz anders aus! — — Da! — — Schon wieder — — zwei — — drei! — — Das sind Leuchtkugeln oder Leuchtfallschirme.« Grammer schrie gegen die Orkanböen.

Ehe Peter Förster antworten konnte, zerriß plötzlich ein explosionsartiges Licht die wolkenjagende Nacht hoch oben am Himmel, und wie ein Komet stürzte ein langflammiges Fanal rasend rasch der Erde zu.

»Das ist ein Flugzeug!« entsetzt schrie Förster gegen den Sturm an.

Schon erhellte ringsum die unheimlich schnell näherstürzende Lichtfackel das ächzende Land, blendete grell auf, da verschlang der nahe Busch die schaurige Erscheinung. Man vermeinte ein Prasseln zu hören. Feuergarben schossen aus den Umrissen der scharf gegen das Dunkel abgezeichneten Baumkronen.

»Ev! — Die Stablampe!«

»Ja!— — Ich komme!«

Das Strahlenbündel schnitt in die Dunkelheit empörter Naturgewalten.

Die Nichte prallte fast auf den Onkel.

»Gib!«

»Nein, ich komme mit!«

»Los!«

Und ehe sich Doktor Förster versah, stand er allein auf dem von Blitzen umflammten Vorbau des strohgedeckten Farmerhauses. Der Himmel tobte in für Europäer unvorstellbaren Wehen, um seine fürchterlichen Energien zu entladen. Und da dachte Grammer noch an andere? Wollte helfen, obwohl sein eigen Gut aufs höchste bedroht war?

Peter Förster, zur nutzlosen Tatenlosigkeit verurteilt, wandte sich ab und betrat fröstelnd die Wohnstube. Die Temperatur war stark gefallen.

»Das Geschick muß seinen Lauf nehmen! — — Kommen Sie, Doktor!« forderte ihn die Hausherrin auf.

Er schloß fest die Tür.

Doch die Ritzen bändigten die grellen Blitze nicht. Das heulende Zerren des Sturmes am knarrenden Dach, das röhrende Wummern des Donners ging auf die Nerven.

Nach einer halben Stunde kamen Onkel und Nichte triefendnaß zurück. Ihr Bemühen war vergeblich gewesen.Die Insassen des abgestürzten Flugzeuges mußten in der prasselnden Glut ums Leben gekommen sein.

*

Ein strahlender Morgen war der grimmen Nacht gefolgt. Eben schob sich der Sonnenball über den Rand des Gebirgskessels, in dem die Farm Camitia lag. In erster warmer Strahlenflut glitzerten unzählige nasse Perlen an den Gräsern und Blumen. Die langblättrigen Agaven schienen mit Öl auf Hochglanz poliert und warfen gleißend das Licht zurück. Im nahen frisch gebadeten Busch ockte ein Kaffernrabe seinen eintönigen Ruf. Zwei schneeweiße Kuhreiher stelzten gravitätisch hinter dem Reittier des Hausherrn drüben auf der eingezäunten sattgrünen Wiese. Ein wundervoller Tag brach an, die kristallklare Luft war köstlich erfrischend.

Doktor Peter Förster stand in der weitgeöffneten Tür seines Gastzimmers und reckte gähnend die Glieder, um die letzte Müdigkeit abzuschütteln.

Da bog der Farmer um die Ecke. Er hatte bereits seine Neger für die Tagesarbeit eingeteilt und im Ziegenstall und bei den Rindern Umschau gehalten, ob der nächtliche Spuk ohne Schaden vorübergegangen sei. Sein Gesicht strahlte. Ein sicheres Zeichen, daß alles in bester Ordnung war.

Er streckte seinem Gast die Rechte zum Morgengruß entgegen.

»Schon auf, mein lieber Doktor?«

»Morgen, Herr Grammer!« Sie schüttelten sich die Hände. »Ja, mich hielt's nicht mehr im Bett, als der erste Schein durch die Türritze dämmerte! — — — Ist ja wundervoll, diese frisch erwachende Natur ringsum!«

»Ja, doppelt schön nach den üblen Fährnissen dieser Nacht! — — Doch was macht Ihr Fuß?«

»Geht besser, als ich angenommen hatte. Die Behandlung Ihrer verehrten Gattin wirkt Wunder. Nur den Schuh getraue ich mich noch nicht anzuziehen.«

»Sehr richtig! — — Kommen Sie, ich helfe!«

Grammer schob die Schulter unter die Achsel des Gastes.

»Das Frühstück wartet!«

Beide gingen langsam, der Doktor gestützt und humpelnd, dem nahen Farmerhause zu.

*

Nach dem Morgenimbiß saßen die Männer unter dem schattenspendenden Vorbau. Evelyne half der Tante im Gemüsegarten.

»Wann gedenken Sie aufzubrechen?«

»Na, so in einer kleinen halben Stunde, vielleicht eher. Bis dahin werden die beiden Weibsen die Grünfutterpflege erledigt haben. — — Aha! Da kommen schon Ihre Träger!«

Vier Schwarze näherten sich bescheiden der Veranda.

»Kalungá!« tönte der singende Gruß.

»Morjen!« antwortete der Farmer und kümmerte sich nicht weiter um die vier, denen das nichtstuende Zuschauen durchaus zusagte, wie ihre zufrieden grinsenden Mienen zum Ausdruck brachten.

Grammer zog gedankenvoll an seiner Pfeife. Dann hob er den Kopf und schaute Peter Förster mißtrauisch an.

»Ihre Kombinationsgabe in allen Ehren! — — — Sie haben ja leider mehr Erfahrung im Umgang mit Verbrechern als ich!«

»Herzlichen Dank für das Kompliment!« warf der Doktor lachend ein. »Bitte, bitte! Ist gern geschehen!« Der alte Farmer schmunzelte, fuhr dann fort:

»Also, wie gesagt, Ihre Kombinationsgabe in allen Ehren, daß aber Ihre Gegner das verbrecherische Spiel so weit treiben würden, — — nein, das kann ich einfach nicht glauben!«

Er schüttelte sehr energisch den Kopf, als ob er eine widerliche Vorstellung abwehren wollte.

»Und doch spricht alles dafür. Die eingehende Untersuchung des verunglückten Flugzeuges dürfte den letzten Beweis erbringen, um die Kette zu schließen. Ich werde leider recht behalten!«

»Nein, das ist unfaßbar! Das wäre gemeinster Mord, dazu noch an gänzlich Unbeteiligten!«

»Ich sprach ja schon mehrfach aus, daß meine Widersacher zu vielem fähig sind. Ich sollte auf jeden Fall hier mitten im Busch verschwinden, für immer! Erst der Anschlag auf mein Flugzeug. Er mißlang. Und heute nacht der Angriff auf Ihre Farm, der uns, wäre er gelungen, alle todsicher in das berühmte bessere Jenseits befördert hätte. Ich wiederhole noch einmal die Schlüsse, aus denen ich folgere.

Erstens: Ihr Boy ist, wie Sie sagten, gestern nachmittag in Ganda angekommen. Zweitens: Kurze Zeit darauf wußte man, bei dem in Afrika üblichen Geklatsche, sowohl in Nova Lisboa als auch an der Küste, genau, wo ich war. Meine 'Telegramme sorgten dafür. Die Wahrscheinlichkeit ist aber noch viel größer, daß die Meldung des Suchflugzeuges von meiner glücklichen Errettung und Auffindung, sei es durch Bordfunk oder nach der Landung, noch früher die Runde gemacht haben dürfte. Das wäre dann schon gestern vormittag der Fall gewesen.

Drittens: Nachtgewitter treten in dieser Jahreszeit, wie Sie sagen, mit fast uhrmäßiger Pünktlichkeit auf.

Viertens: Kein Neger steckt, wie Sie gleichfalls betonen, bei Gewitter den Kopf aus seiner Hütte. Alle peinlichen Zeugen fallen also fort!

Was liegt da näher als der Schluß, daß von der »International Gold« gedungene Gangster unter irgendeinem Vorwand von einem der Küstenflugplätze starteten, unterwegs in der Savanne, die überall ideale Landemöglichkeiten bietet, niedergingen, einige Spreng und Brandbomben zu laden, die Mithelfer vorsorglich dorthin gebracht hatten, wieder aufstiegen und nach erfolgter Zielerkennung in sehr großer Höhe hier über Ihrem Anwesen kreuzten. Eine Farm muß sich mit ihren bebauten Flächen, den weißen Häusern sehr gut von dem umgebenden Busch auch aus großer Höhe des Nachts ausmachen lassen. Der Mond schien ohnedies. Es kommt noch hinzu, daß die Lage von Camátia in der Mulde der halbkreisförmig ansteigenden Gebirgskette die rasche Auffindung stark begünstigt.«

Förster schwieg einen Augenblick, fuhr dann fort:

»Mit dem Eintreffen der Gewitterfront sollte der Pilot durch die Wolkendecke herunterstoßen. Einige Leuchtbomben sollten das Ziel weisen. Diese Leuchtbomben haben wir ja noch gesehen. Das Weitere wäre ein Geschehen weniger Sekunden geworden. Nämlich: Ein paar Brand und Sprengbomben auf Ihr riedgrasgedecktes Anwesen. Um keinen Verdacht zu erregen für den Fall einer behördlichen Untersuchung, wird man die Spreng oder Splitterbomben besonders klein gewählt haben. Im Aufruhr der Elemente hätten nicht einmal geschärfte Negerohren etwas Besonderes vernommen, und am nächsten Morgen hätten vier vom Blitz erschlagene Weiße verkohlt unter den Trümmern der völlig zu Asche verbrannten Farm gelegen. Letzteres soll ja wohl ab und zu mal in Afrika vorkommen! — — Nicht wahr?«

Doktor Förster dehnte sich in seinem bequemen Stuhl.

»Gebe ich alles zu! Sie schildern die Möglichkeiten wie erwiesene Tatsachen. — Aber — — Nein, nein, so etwas kann es in einer zivilisierten Welt nicht geben!«

»Zivilisierte Welt?« begehrte Förster höhnisch auf, »Tünche, nichts als Tünche! Wenn Sie nur wenig daran kratzen, kommt meist eine andere Gesinnung zutage! Davon kann ich ein Liedchen singen!«

Da nahte Frau Grammer, die jugendstrahlende Evelyne an ihrer Seite. Beide trugen kleine Körbe voll grünen Salats und Gemüse.

Grammer schauderte bei dem Gedanken, daß dieses blühende Leben ringsum um Haaresbreite der Vernichtung entgangen sein sollte. Sein Gast, der aus einer anderen Welt zu kommen schien, wurde ihm unheimlich.

Er raffte sich zusammen.

»Na! Dann können wir wohl aufbrechen?«

»Ja, Onkel! Nur rasch noch einen Schluck kühles Limonadenwasser!« bat Evelyne und verschwand im anstoßenden Wohnraum.

»Nénne tipoia!« wies Grammer die Neger an.

Zwei Neger verschwanden und kamen kurz darauf mit der Förster schon bekannten Hängematte unter dem schlanken Stamm wieder.

»Bin nur gespannt, was mein braver Felten in der Zwischenzeit bei dem Flugzeugwrack ausgeknobelt hat«, meinte er, als er bequem lag.

Dann setzte sich die kleine Karawane in Marsch. Frau Grete wollte zu Hause bleiben, einen leckeren Fruchtpudding zu bereiten, wie sie entschuldigend vorgab. In Wahrheit hatten sie die nächtlichen Ereignisse sehr angegriffen.

Hinter dem Maisfeld folgte schattiger Buschwald. Ein kleines, doch vom nächtlichen Regen hochgehendes Flüßchen durchquerte man in einer seichten Furt. Grammers und Evelynes langschäftigen Schnürstiefeln konnte das Wasser nichts anhaben. |

Das Gelände stieg an. Der Negerpfad wurde schmaler.

Grammer, an der Spitze des Zuges, blickte scharf auf den linken Wegrand.

»Halt! — — Hier! — « rief er, nach kurzem Marsch stehenbleibend.

Peter Förster sah aus seiner Hängematte, daß das hohe Gras an dieser Stelle niedergetreten war.

Sie bogen vorsichtig, auf die nun beginnenden Unebenheiten des Bodens achtend, vom Pfad ab in den Busch, der mit dichtem Unterholz und scharfen Gräsern bestanden war. Erst der Farmer, dann Evelyne, Förster in seiner Tipoia, zuletzt die beiden schwarzen Reserveträger.

Nicht lange währte es, da stand die Gruppe vor einer kohlschwarz gesengten Lichtung. Grammer gab zur Seite tretend den Blick frei.

Im gleichen Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes. Mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen schrie zuerst der vordere Träger, dann die anderen unverständliche Worte.

Doktor Peter Förster machte, ehe er sich's versah, eine recht harte Bekanntschaft mit Mutter Erde. Seine Träger hatten in ihrer Verstörtheit die Hängemattenstange einfach fallen lassen, die ihm zu allem Überfluß noch auf den Kopf schlug. Dann jagten alle vier davon, als ob der leibhaftige Gottseibeiuns hinter ihnen her wäre.

»Enju kulo!« schrie der erboste Farmer hinter ihnen her.

»Enjui lombili!«

»Ndati!« klang es schon fern aus dem Busch.

Bei dieser Weigerung, sofort zurückzukommen, brüllte Grammer auf und rannte hinterher.

Felten war zugesprungen und half. Eine neue Beule schien auf des Doktors Stirn ihre Geburt anzukünden.

»Verrücktes Volk!« knurrte Förster. »Der Teufel soll euch holen! — — — Einen da so einfach im Grünen auszuladen! — — — Was hat mich da bloß so niederträchtig gestochen?« Er rieb sich verdächtig die hintere Verlängerung seines Rückens.

Felten schlug die Hängematte auf dem Boden zur Seite. Eine kleine, aber sehr stachlige Aloe sah reichlich ramponiert und zusammengequetscht aus.

»Kein Wunder! Das Zeug sticht sogar durch starke Leinwand!« Felten und Evelyne mußten sich das Lachen verbeißen. »Sie haben wirklich Pech, Doktor!«

»Pech?« Förster deutete vielsagend, doch mehr um von seinem Mißgeschick abzulenken, auf die Überreste der ausgebrannten Maschine. »Ich glaube«, er rieb sich nochmals den Hosenboden, »wir sollten eher von Glück reden!«

Grammer schnob jetzt mit zornrotem Kopf aus dem hohen Grase heran, wie ein wütiges Nashorn. Hinter ihm folgten mit schuldbewußter Miene, die vier Schwarzen, doch ihre Bedrängnis wuchs, je näher sie den Trümmern des großen verbrannten Vogels kamen.

»Entschuldigen Sie bitte, Doktor! — So etwas ist mir in meiner jahrzehntelangen Afrikapraxis noch nicht vorgekommen, daß Eingeborene einen Weißen fallen lassen! Haben Sie sich verletzt, Doktor?«

»Na, das gerade nicht. Die Stange fiel mir nur auf die Stirn. — — Aber der verflixte Kaktus hier hat mir seine Stacheln in meine Sitzgelegenheit gedrückt. — — Brennt verteufelt!«

»Auch das noch! — — Ev! — — Verschwinde mal außer Gesichtsweite! — — Die Dinger müssen sofort heraus! — — Das kann sonst eine eklige Eiterung ergeben!«

Und dann folgte eine Prozedur mitten im Busch, die entschieden chirurgische Fähigkeiten in der Handhabung der Taschenmesserspitze seitens des alten Afrikaners offenbarte. Die Szene war so kitzlig, daß Peter Förster, den Oberkörper vorgebeugt, urplötzlichin ein schallendesGelächter ausbrach. Grammer und Felten hatte schon lange der Lachteufel geplagt. Nun legten auch sie ihren Gefühlen keinen Zwang mehr an.

Was Förster an mitleidgeheuchelten Bemerkungen über sich ergehen lassen mußte, gehört in den saftvollen Sprachschatz von Soldaten.

Nur die Neger schielten verschämt abseits.

*

Man hatte Doktor Försters Tipoia Tragestange auf die Astgabelung niederer Bäume gelegt. Seine Füße berührten den Boden. Er saß, halb auf der Seite liegend, in der Hängematte, um den arg geschundenen Körperteil zu schonen.

»Na! — — Meine Kombinationsgabe, wie Sie vorhin meinten? — — Was sagen Sie jetzt, Herr Grammer?«

Die gelinden Schmerzen bezwangen den feuerköpfigen Geist keineswegs.

»Was Felten da gefunden hat, stellt wohl ohne Vorbehalt eine kleine Splitterbombe dar, die aus irgendeinem Grunde nicht explodiert ist. — — Die Verwüstungen hier und der stark zerstörte Rumpf der Maschine sprechen dafür, daß noch mehrere dieser Dinger beim Aufschlag hochgingen! — — Dort!« der Doktor deutete mit der Hand, »die vielen tiefschwarzen verkohlten Stellen im Untergrund verursachten Brandbomben, die vom Explosionsdruck weggeschleudert wurden. Der Busch und das Unterholz sind doch schwer angesengt! — — Oder etwa nicht? — Lediglich den Sturzbächen des Gewitterregens haben wir es zu verdanken, daß der Brand nicht weiter um sich gegriffen hat.«

Schweigen.

»Die zehn vierzig Zentimeter langen Metallhülsen, die Felten am Ort sammelte, sind nach seiner Bestätigung als Fachmann nichts anderes als der Rest jener eben erwähnten Brandbomben.

»Zweifeln Sie jetzt noch, Herr Grammer?«

Der Farmer stand an einen Baum gelehnt. Ein Teil des metallenen Flugzeugflügels, der angespießt in den Baumästen hing, bot willkommenen Schatten vor der sengenden Glut der höher steigenden Sonne.

Grammer antwortete nicht.

Scheinbar teilnahmslos starrten die Neger in schlecht verhohlener Angst auf die immerhin noch gewaltigen Reste der abgestürzten Maschine. Grausam verbogene Metallrippen, zerfetzte Bleche, angeschmolzen und schwarz, dazu noch die in den angeknickten Bäumen hängenden Trümmer der Schwingen, das Bild wirkte selbst für das härteste Gemüt eines Weißen mitten in dieser saftig grünenden Unberührtheit und der Ruhe des afrikanischen Busches niederschmetternd.

Grammer schwieg tief erschüttert.

Evelyne begehrte unvermittelt auf:

»Wo sind denn die Menschen, die so etwas ausführen konnten?«

Da schaltete sich Felten ein und meinte:

»Fragen Sie nicht weiter, Fräulein Hard!«

In ihren Augen schimmerten Tränen der Wut.

Felten schaute zur Seite:

»Ich hatte zwei Stunden Vorsprung, die Überreste der Insassen zu bergen. Zwei waren es!«

*

Grammer und Förster saßen allein. Der Doktor in seiner

Traghängematte unter einem schattenspendenden Blech, das Feltens Geschicklichkeit in nahen Ästen befestigt hatte, der alte Farmer hockte, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Rücken gekrümmt, im tiefen Sinnen auf einem umgebrochenen Baum.

Evelyne war auf Wunsch Grammers zur nahen Farm geeilt, Desinfektionsmittel zu holen, da Peter Förster sich energisch weigerte, den Tatort zu verlassen, bevor er die letzte Klärung erhalten hatte, Grammer andererseits darauf bestand, die Stachelwunden so rasch wie möglich vorbeugend zu behandeln. |

Der Pilot strolchte nach einer kurzen Unterredung, begleitet von den vier schwarzen Trägern, irgendwo im Busch herum. Grammer hatte nur einen Wust von technischen Fachwörtern und Abkürzungen vernommen. Den Nachdenklichen kümmerte auch wenig, was die beiden besprachen. Zu sehr hatte ihn die Erkenntnis erschüttert, daß an der Auslegung der Geschehnisse in vielen Punkten nicht zu zweifeln war. So viel Gemeinheit gab es auf dieser Welt?

Schwer, aber anständig und sauber hatte er sein Leben lang gegen Umwelt und Natur gerungen. Von einer wahren Pechsträhne verfolgt, oft dem Zusammenbruch nahe, hatte er sich jedoch immer wieder gegen das Schicksal gestemmt, aufs neue angefangen und geschuftet, um sein klares Lebensziel zu erreichen. Was hier geschehen war, steckte in seiner Planung und Ausführung voll so abgründiger Hinterlist und Brutalität, daß sein tiefer Glaube an das Edle und Gute im Menschen erschüttert war.

Er konnte den hetzenden Gedanken Auswege bieten; in den eisklaren Folgerungen seines Gastes gab es keine Lücke.

Das abgestürzte Flugzeug war für militärische Zwecke ungeeignet, das hatte Felten ihm bewiesen, und er hatte keinen Anlaß, die Worte des Erfahrenen zu bezweifeln. Außerdem wußte Grammer selbst durch eine zufällige Information, welche Typen die portugiesische Regierung hier flog. Das Baumuster B.K. 111, »Busch Klepper«, wie die beiden spöttelnd die Abkürzung auslegten, war eine ausgesprochene Reise und Expeditionsmaschine, und wer nahm auf Reisen Spreng und Brandbomben mit?

Auch der Kurs sprach gegen die Annahme, es könnte sich vielleicht doch um ein von der Witterungsunbill abgedrängtes Militärflugzeug handeln. Die übliche Route lag viel zu weit entfernt.

Und weiter: Man flog hier nie des Nachts! Auf keinen Fall in der böen und gewitterschwangeren Regenzeit!

Er mochte die Sache ansehen, wie er wollte, Doktor Förster behielt leider recht. Es handelte sich um ein Attentat, das ein gnädiges Geschick mit einem der irren Blitze zunichte gemacht hatte. Wäre der nicht vom Himmel heruntergeprasselt, nicht genau an der rechten Stelle, zufällig zündend — — —

Zufällig zündend — — —?

Des alten Farmers Gedanken verhaspelten sich.

Seine schöne Farm stand blühend, er wußte sie nahe, unter strahlender Sonne, die dem Mittag zueilte. Sie alle lebten noch!

Und hier? — — — — Eine Stätte grausiger Vernichtung!

Entsetzen hatte ihn gepackt, als Felten nach dem Davoneilen Evelynes stumm seinen Arm ergriff und ihn wenige Schritte abseits in den Busch führte.

Das schauderhafte Bild verkohlter menschlicher Körper würde er sein Lebtag nicht mehr loswerden. Er wußte nur dem Beherzten Dank, der solche Aufräumungsarbeit bereits unternommen hatte. Gegen Abend sollten die Schwarzen ein Grab ausheben. Hier gab es keine Möglichkeit mehr, die Identität der Toten festzustellen. Die Reste sollten vor Benagung durch nächtliches Getier Bestattung finden, das gebot Menschenpflicht!

Wie ist jene Welt doch so ganz anders als die meine!

Drüben saß der Doktor über sein Notizbuch gebeugt und schrieb.

Grammer griff in die Tasche, holte Pfeife und Tabak hervor, dann machte er es sich auf seinem Baumstumpf bequem.

Mit den ersten Zügen sammelten sich seine Gedanken. An den Tatsachen, das gestand er sich ein, war nicht zu zweifeln. Nur den Auslegungen, die sein Gast ihnen gab, vermochte er nur widerwillig zu folgen. Gut! Hier war ein Flugzeug mit Brand und Sprengbomben abgestürzt. Das stand, wie das Bild vor seinen Augen bewies, unangreifbar fest. Wollte man noch zugeben, daß es sich nicht um ein außer Kurs geratenes Militärflugzeug handelte, und wirklich den Fall setzen, den Förster mit bestrickender Logik wahrhaben wollte, daß es sich nämlich um ein Attentat auf ihn handelte, welcher Zweck in aller Welt sollte damit verfolgt werden? Welchen Sinn sollte es haben, den Doktor auf solch hundsföttische Art aus dem Wege zu räumen? Das Werk in Benguella arbeitete bereits. Die Unterlagen zu dem Geheimverfahren ruhten ganz gewiß in seinem diebessicheren Schrank aus »Europastahl«. Für die Gegner Försters sprang mit seinem Tode in keinem Fall ein Erfolg heraus. Nur Ablenkungsmanöver? Und das noch mit Mord, Mord dazu noch an gänzlich Unbeteiligten. Nein! — — Niemals! So verbrecherisch handelt keiner, verbrecherisch und sinnlos zugleich! Mochten die Industriegewaltigen jenseits des großen Teiches auch manchmal Wettbewerbsmethoden anwenden, die man getrost als hart bezeichnen durfte, bis zu solcher Gewissenlosigkeit würden sie sich niemals versteigern. Davon war Grammer zutiefst überzeugt.

Er blickte zu Förster hinüber, der immer noch Aufzeichnungen machte. Armer Kerl, dachte Grammer. Dir hat man gewiß schon oft übel genug mitgespielt, wie es ja bei der Umwertung aller Werte, die jener sich anschickte durchzuführen, gar nicht anders zu erwarten war. Solch jahrelangem Verfolgtwerden mochten die stärksten Nerven nicht gewachsen sein. Wäre es ein Wunder, wenn dann alle Geschehnisse vom Standpunkt eines kleinen Verfolgungswahnes betrachtet würden?

Wie leicht war es möglich, daß beide Geschehnisse, die Ursachen der Notlandung und hier diese Bombenmaschine, eine viel einfachere und sinnvollere Lösung fänden als die von seinem Gast zusammenkombinierten. Noch war allerdings keine Aussicht dazu vorhanden. Das konnte erst die Zukunft bringen. Auf alle Fälle schied für Grammer ein Bombenattentat auf eine friedliche Farm für alle Betrachtungen aus.

Als er hochsah, blickte er in die Augen Försters.

Dieser steckte gerade Notizbuch und Bleistift in die Tasche.

»Na! Herr Grammer! Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?« Überlegene Siegesgewißheit malte sich auf den heiteren Zügen Peter Försters.

»Auf alle Fälle nicht zu den Ihren, um das gleich in aller Offenheit auszusprechen!« entgegnete freundlich, doch bestimmt der alte Farmer.

»Nanu?« gab Förster erstaunt zurück.

Da legte Grammer offen und klar seine Meinung dar, doch mußte er sich eingestehen, daß seine gesamten Argumente nur von seinem Gefühl und dem Glauben an die Ethik menschlicher Beziehungen getragen waren.

Als er geendet hatte, meinte der Doktor:

»Ich achte Ihren Standpunkt, lieber Herr Grammer, und wünschte, ich könnte auch noch so denken. Um aber den Realitäten näherzukommen, sagen Sie selbst, ist es noch nie geschehen, daß ein Flugzeug benutzt wurde, um einen zu mächtig gewordenen Konkurrenten aus dem Wege zu räumen?«

Als Grammer nachdenklich schwieg, fuhr Förster fort:

»Sie entsinnen sich gewiß des Falles Löwenstein, der in London ein Flugzeug bestieg, in Brüssel aber nicht ankam. Es wurde von Freitod gesprochen. Eingeweihte wollten es besser wissen. Oder des zweiten rätselhaften Falles, ich glaube, er spielte in der Tschechoslowakei, wo die Maschine mit einem Industriegewaltigen abstürzte. Erinnern Sie sich?«

Grammer nickte.

»Nun bin ich überzeugt«, setzte der Doktor seine Rede fort, »daß man die Liste derartiger Fälle noch vervollständigen könnte, eine Liste der Gewaltanwendungen, um lästige Konkurrenten aus dem Wege zu räumen!«

»Gut! Die beiden von Ihnen erwähnten Fälle gebe ich zu!« unterbrach der Farmer seinen Gast. »Das ist tatsächlich vorgekommen. Wirklich geklärt wurden meines Wissens beide Fälle nie! Dann bliebe aber immer noch ein Bombenangriff auf eine friedliche Farm in Afrika ein unerhörtes Monstrum in der Geschichte der Industriekämpfe, und ich glaube einfach nicht an ihre Auslegungen.« Er ereiferte sich: »Mag der Ort auch noch so gut gewählt und mögen im Falle des Gelingens die Naturgewalten zu den Schuldigen gestempelt worden sein, was hätte es für einen Zweck gehabt, Sie zu beseitigen? Ihr Verfahren arbeitet, die Unterlagen dazu besitzt zweifelsohne die »Europastahl« und würde im Falle Ihres Todes Ihr Werk fortsetzen. Es wäre sinnlos, völlig sinnlos, Sie j e t z t , da es zu spät ist, noch aus dem Wege zu räumen. Wenn Sie so entschlossene Gegner haben, wie Sie vorgeben, dann hätten diese eine solche Tat, falls sie überhaupt mit derartig frevelhaften Gedanken spielten, früher begangen und — — — —«

»Nein!« unterbrach Peter Förster schroff. »M i r sind die Beweggründe völlig klar. S i e können sie nicht wissen, das gebe ich zu. Die ›Europastahl‹ — die ›Goldstahl‹ ist eine Tochtergesellschaft, und zur Zeit die bedeutendste und mächtigste dieser Dachorganisation — ist kein einheitliches Gebilde, sondern, wie das meist bei solch: vielverzweigten Mammutunternehmen der Fall ist, aus recht heterogenen und zum Teil rivalisierenden Interessengruppen zusammengesetzt. Eine davon erstrebt den Zusammenschluß mit der ›International Gold‹ und damit die Errichtung eines Goldtrustes. Diesem Ansinnen habe ich mich mit allen Kräften widersetzt. Meine Verträge sichern mir noch auf fünf Jahre das Bestimmungsrecht. Ich will, daß der gesamten Menschheit meine Entdeckungen zugute kommen, und ich will die Macht der nur auf ihr Geschäft bedachten Konzerne brechen. Nicht einzelne sollen verdienen, sondern alle Nutznießer sein!

Ich selbst bin leider genötigt, für eine gewisse Zeit selbst Trustherr zu spielen, war gezwungen, die ›Goldstahl‹ zu gründen und mit ihr in die ›Europastahl‹ einzusteigen, wie man sich in diesen Kreisen ausdrückt. Nur dieser Weg führt zu dem von mir gesteckten Ziel. Der Tag wird kommen, da die Goldhorter in aller Welt, allerdings unter erheblichen Verlusten, klein beigeben und so zusammenarbeiten müssen, wie ich es will, d.h., ich betone das noch mal, zum Wohle der gesamten Menschheit, nicht etwa zur Befriedigung meiner mir angedichteten Machtgelüste und skrupellosen Ausnutzung meiner Monopolstellung. Das wollen die anderen! In der augenblicklichen Phase der Kämpfe will man mit Hilfe jener Gruppe in der ›Europastahl‹, die ich eben erwähnte, eine für die ›International Gold‹ günstige und verlustfreie Fusionierung herbeiführen. Das will ich nicht, denn dann bliebe alles beim alten. Ich allein stehe also jenen im Wege! Folglich — — — fort damit!«

Peter Förster unterstrich mit einer harten Bewegung der flach durch die Luft fahrenden Hand die letzten Worte.

»Für einige ...zig Millionen Dollar lohnt sich so etwas schon!«

»Nein!« sagte Grammer.

»Sie sind ein unerschütterlicher Idealist!« lachte Förster.

»Aber auch in dieses Dunkel wird Licht kommen. Dann werden wir sehen, wer recht behält. — — — Doch nun zu etwas anderem!« setzte er nach kurzer Pause hinzu.

»Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie Sie Ihrem Administrator in Ganda von dem Vorfall Meldung machen wollen?«

»Zur Meldung bin ich verpflichtet — — —!«

»Wollen Sie mir das überlassen? — — — Es ist doch das einfachste! Ich habe soeben sämtliche Einzelheiten in mein Notizbuch eingetragen. Daß man höheren Ortes an meiner und Feltens Aussage nicht zweifelt, brauche ich wohl kaum zu betonen. Ich möchte aber davon absehen, dem hiesigen Administrator eine Meldung zu erstatten. Der Gouverneur in Benguella scheint mir die richtige Stelle zu sein. Die Umgehung des vorgeschriebenen Dienstweges nehme ich auf meine Verantwortung, ebenso die paar Tage Verzögerung!«

Doktor Förster ließ den Blick über die Stätte der Zerstörung schweifen. Ringsum grünte der afrikanische Busch mit seinen mittelhohen Bäumen. Die Sonne strahlte grell und heiß auf das Blätterdach und malte unregelmäßige helle Flecken auf den grasüberwucherten Grund. Es herrschte eine unfaßbar wohltuende Ruhe rundum. Die Natur schien vor dem nahenden Mittag zu schlafen. Kein Vogellaut, kein Lufthauch war zu vernehmen.

Nur :die feuergeschändete Lichtung, die Trümmer zerstörten Materials gemahnten an das grausige Ereignis.

Grammer kramte in seinen Taschen, suchte nach Streichhölzern und Tabak, um die Pfeife neu in Brand zu stecken.

Da klangen plötzlich von ferne verschwommene Laute.

Er hob den Kopf und lauschte.

»Felten scheint irgendwie sehr energisch geworden zu sein!«

»Nanu!«

»Nun!« Grammer stopfte am Tabak herum. »Kenne die wehleidigen Stimmen, wenn Neger bei einer Missetat erwischt sind!« Das Streichholz flammte auf. »Die Bande hat ein ausgesprochen schlechtes Gewissen! — — — Hören Sie, Doktor?«

Peter Förster vernahm nur ein fernes Lamentieren, das er sich nicht zu erklären vermochte. Er bewunderte im stillen des alten Farmers Erfahrung.

Es währte nicht lange, da mußte er, der jetzt auch die Stimme seines Piloten klar ausmachen konnte, seinem Gastgeber recht geben. Felten war in Fahrt. Die schwarze Sippschaft schien ihn beträchtlich geärgert zu haben.

»Bin mal gespannt, was meine treue Seele so in Harnisch gebracht hat. Brüllt ja ganz lieblich!«

Grammer paffte tief vergnügt:

»Wenn zwei in verschiedenen Sprachen reden, vermag auch größte Lautstärke keinen Ersatz für die nun mal erforderliche Verständigung zu bieten. — — — Auf alle Fälle streiten beide Parteien, Felten auf portugiesisch und die Schwarzen in ihrem Kimbundu, um ein weißes Tuch. Soviel ich bisher — —«

»Um ein weißes Tuch?«

*

Der Doktor schnellte aus seiner Lage hoch, verzog aber sofort schmerzhaft sein Gesicht. Die Rache der kleinen Aloe mahnte, einen gewissen Körperteil schonender zu nutzen. Grammer grinste schadenfroh:

»Ei, ei, Doktor!« Des Farmers Stimme zeigte nicht das geringste Mitleid. »,Man soll nicht wider den Stachel lecken‹, steht schon bei den Aposteln geschrieben.«

»Die Apostel können mich meinetwegen — —!«

»Er— — götzen!« ergänzte unschuldsvoll der friedlich schmauchende Grammer den Satz.

»Sehr hübsch ausgedrückt!« gab Peter Förster schlagfertig zurück. »Der von Berlichingen hätte seine helle Freude gehabt!«

Der Alte strahlte. Solch ein Partner war nach seinem Geschmack. |

Es hatte keinen Sinn mehr, weiter nach dem weißen Tuch zu fragen; denn schon betrat Felten mit sechs Eingeborenen den Schauplatz. Mitten zwischen den vier selbstbewußten Trägern, von ihnen wie von einer Polizeieskorte umzingelt, erschienen zwei Schwarze, denen eine Mischung aus Schuldbewußtsein und Verschlagenheit deutlich in den Gesichtern geschrieben stand.

»Herr Grammer!« brach Felten los. »Diese hartgesottenen Burschen wollen durchaus nicht eingestehen, wo sie den weißen Fallschirm herhaben. — — Hier!« Er warf wütend den Seidenballen zu Boden. »Wir haben sie da drüben erwischt. Der schneeweiße Stoff hat sie verraten, als sie bei unserem Näherkommen türmen wollten!«

Der Farmer war nicht aus der Ruhe zu bringen.

Es folgte nun von seiner Seite ein eingehendes Verhör, von dem weder Förster noch der Pilot ein Sterbenswörtchen verstanden. Die vier Schwarzen Grammers assistierten musterhaft, lagen auf der Lauer wie Schießhunde, um die eingefangenen Missetäter zu überführen. Rededuelle, begleitet von heftigen Gebärden, prasselten in den stillen Busch. Grammers Leute führten den Prozeß, um die Stoffdiebe von der Verwerflichkeit ihrer Handlungsweise zu überzeugen. Förster hatte den Eindruck, als ob sie durch verdoppelten Diensteifer ihre eigene Missetat vom Morgen wiedergutmachen wollten.

Endlich waren die in die Enge Getriebenen mürbe.

»Also los!« Der Farmer sprang auf. »Wir sind soweit! Die Brüder haben gestanden, wo sie den Fallschirm herhaben, und werden uns zum Fundort führen. Obendrein faseln sie etwas von einem Kasten, von dem sie ihre weiße Beute abgeschnitten haben wollen.«

»Wir sind am Ziel!« rief Felten begeistert.

Doch ehe Grammer, der keine derartige Bestätigung der sehr bezweifelten Kastenaussage erwartet hatte, Anweisung geben konnte, aufzubrechen, erschien Evelyne, ein Päckchen unter dem Arm.

»Mein Gott, dich hatten wir ganz vergessen!«

»Gott sei Dank! Dann brauch' ich auch nicht mein langes Ausbleiben zu entschuldigen, Onkel!« lachte sie fröhlich.

»Schlechte Krankenschwester! — — Was, Doktor?«

»Ich sehe doch deinem Gesicht an, daß du wieder irgendeine Dummheit gemacht hast, Ev!«

Hab' ich auch, Onkel! — — Tante gab mir das Schlüsselbund. Das war aber das verkehrte. Bei meinen Versuchen, den stählernen Arzneischrank zu öffnen, hab' ich um ein Haar das Schloß vermurkst. — — Dann haben wir es zu zweit doch geschafft. Es dauerte nur etwas länger. Der Tropenschrank ist aber heil geblieben.«

»Das ist deine Rettung!« Grammer konnte seinem Liebling nicht böse sein, auch wenn er scheinbar erzürnt brummte. Er wandte sich an Peter Förster:

»Ich glaube, es hat jetzt keinen Zweck mehr, Sie hier noch zu verarzten. Wir sind ohnehin in einer Viertelstunde daheim!«

Der Angeredete lag schon in seiner Tipoia. Diensteifrig harrten die Schwarzen auf den Abmarsch, die Tragstange auf den Schultern.

Des Doktors zustimmende Antwort war das Signal zum Aufbruch.

Die kleine Karawane setzte sich in Marsch, angeführt von den zwei Delinquenten, deren etwaige Fluchtabsicht durch Feltens und der beiden restlichen Eingeborenen scharfe Bewachung unmöglich gemacht wurde.

Den Schluß bildete Grammer, der Evelyne eifrig alles erzählte, was er auf dem Herzen hatte.

*

Das Mittagessen verlief in einer auf der sonst so stillen Farm seltenen Angeregtheit.

Grammer berichtete unentwegt, steckte voller Unrast, die sich auf die Tafelrunde übertrug. Der nach kurzem Suchen im Busch gefundene »Kasten« war, wie sich bald herausstellte, ein Radioapparat. Das erregte ihn zu sehr. Sein lang gehegter Wunsch, ein solches Gerät zu besitzen, war nunmehr rasch in Erfüllung gegangen.

»Die Sache mit dem Radio ist mir noch immer nicht ganz klar«, unterbrach die Gattin den Redefluß.

»Na, hör' doch mal in Ruhe zu!« Es wirkte etwas grotesk, Grammer von Ruhe reden zu hören, da gerade er die Unruhe selbst war.

»Die B.K. 111, das sagte ich dir ja schon, besitzt außer der Bordfunkanlage noch einen zweiten Radioapparat.«

»Wie? — — Und den wollt ihr aus dem völlig verbrannten Flugzeug geborgen haben?«

»Aber Grete! — — Unterbrich mich doch nicht immer! — — Hör doch mal endlich in Ruhe zu!«

Peter Förster griente verstohlen. Mein Gott, war der gute Alte aufgeregt, fieberte geradezu in Vorfreude auf das kommende Ereignis. So würde jener mit seiner Erklärung nicht so rasch zu Ende kommen.

Da schaltete er sich ein:

»Darf ich Ihnen die Sache einmal vom technischen Standpunkt aus schildern, Frau Grammer?«

»Ja!— — Bitte, Herr Doktor!— — Das wird wohl das beste sein.«

»Ja, ja, erzählen Sie nur, Doktor! Sie haben...«

Grammer ergab sich kopfschüttelnd in sein Schicksal.

»Die B.K. 111 zeichnet sich durch eine in allen Kulturstaaten patentierte Besonderheit aus«, hob Peter Förster an, »die ihr gerade als Expeditionsflugzeug Weltruf verschaffte. Es ist früher häufig vorgekommen, dafs bei einer Notlandung die Flieger zwar mit dem Leben davonkamen, dann aber trotz eingeleiteter Suchaktion infolge der Ungunst des Klimas, des Fehlens rascher Hilfe und der Abgelegenheit ihres Landungsortes fern jeder Siedelung dennoch erlagen.

Die B.K.-Werke ersannen nun eine im Prinzip sehr einfache Einrichtung, die es heute, nachdem sie bis ins Letzte durchkonstruiert und erprobt wurde, gestattet, ein kleines, kombiniertes Sende- und Empfangsgerät in jeder Lage sicher zu Boden zu bringen.

Ist die Besatzung, um Beispiele zu nennen, gezwungen, vor der Landung mit dem Fallschirm abzuspringen, dann kann der Pilot durch einen Hebeldruck das im Schwanz der Maschine eingebaute Sende- und Empfangsaggregat auslösen. Zugleich aber sinkt mit ihm ein zweiter Fallschirm zur Erde, die beide durch eine dünne Stahllitze verbunden sind.

Im Falle eines Brandes löst sich die kleine Radioanlage selbsttätig aus, wenn die Temperatur — ich glaube, es sind siebzig Grad — erreicht. Die Bronzelitze von einigen hundert Metern Länge verhindert auch hier ein zu weites Abtreiben von der Landestelle.

In allen Fällen befindet sich in unmittelbarer Nähe der Gestrandeten, wenn ich so sagen darf, der Rettung bringende Apparat. Ich will nicht auf weitere technische Feinheiten eingehen, wie z.B. auf das automatische Hilferufsenden, die Konstruktion des Gerätes, dem selbst gröbstes An- und Aufschlagen keinen Schaden zufügen kann. Sehr geschickt wurde auch das Antennenproblem gelöst. Die eben erwähnte Bronzelitze ist etwa alle zehn Meter durch zerreißfeste kleine Isolationsstücke unterbrochen. Ein kräftiges Taschenmesser genügt, um eine zweckdienliche Unterteilung vorzunehmen und die Drähte an Bäumen auszuspannen. So ist die gegen Erdschluß gesicherte Sende- und Empfangsantenne fertig.«

»Aha! Das war also die vielbesprochene Antenne, die Herr Felten vor dem Essen vom Küchenschornstein zu unserem Flaggenstock am Hausdach zog?«

»Sehr richtig, Frau Grammer! — — Und als Erde diente die Zuführung zu dem Blechbehälter, welchen wir in dem nahen Frischwasserbächlein vergruben.«

»Jetzt ist mir auch klar, wieso der Radioapparat trotz Vernichtung des Flugzeuges angeblich noch funktionieren soll.«

»Angeblich? — — Nein, Frau Grammer! — — Er wird einwandfrei jede gewünschte Kurzwellenstation heranbringen, wenn uns atmosphärische Störungen keinen Strich durch die Rechnung machen.«

»Na?! — — Wenn ich das mal bei uns erleben könnte!« erwiderte sie zweifelnd.

»Nun, du wirst es gleich erleben!« Grammer war hochgesprungen. Sein Platz bot Blickfeld auf den offenen Vorbau des Hauses. Er sah gerade noch, wie der Pilot, dessen Basteltrieb das Mittagessen verkürzt hatte, sich Kopfhörer überstülpte und an den Einstellknöpfen des vom Himmel gefallenen Radiogeräts hantierte.

»Felten dreht schon dran!«

Der alte Farmer hastete nach draußen. Frau Grete folgte.

Als Evelyne und Peter Förster langsam nachkamen, umstand das Paar fiebernd den geheimnisvollen grauen Kasten.

»Würden Sie sich bitte hinsetzen?« bat der Pilot, dessen Sammlung durch die Unruhe der Zuschauer beeinträchtigt wurde.

Alle folgten willig, bis auf den Doktor.

Eine Frage, ein kurzes Zunicken, dann nahm auch er in einem der Korbsessel um den runden Tisch Platz.

Schweigen.

Höchste Erwartung!

Märchenhafte Stille eines glühendheißen Tropenmittags lastete auf den Feldern.

Felten, die Kopfhörer übergestülpt, drehte nicht mehr.

Zögerte immer noch.

Ein Hebelwenden.

Aus dem Kasten drang brodelndes Lautsprecherrauschen.

Dann:

»Vom Kurzwellensender Baden-Baden hören Sie jetzt das

Mittagskonzert! — — Es spielt — —«

Ein heißes Aufschluchzen des Farmers.

»Grete! — — Hörst du? — — Die Heimat!« Die Stimme versagte den Dienst. Zu groß war die Ergriffenheit.

»Aber Hans?« Vergebens wehrte auch sie sich mit nassen Augen gegen die starke Gemütsbewegung.

Im Geiste formte sich die ferne Stadt zu einem kleinen bunten Fleck aus Häusern, blühenden Gärten, Straßen, jagenden Verkehrsmitteln, über dunklen Asphalt hastenden Menschen, Autos, Radfahrern, wendigen Fußgängern, Kaffeehäusern, Restaurants voller Luxus und Großstadtimpuls, und irgendwo mitten darin sprach ein Mensch die Muttersprache, so selbstverständlich, so alltäglich und doch, zum ersten Male gehört, so neu, so unwirklich, so klar und selbstbewußt, daß die Seele bebte.

»— — — Walzer von Strauß!«

*

Das Mittagskonzert war rauschende Freude. Doch Grammer hielt es nicht lange an seinem Platz. Er wollte wissen, wie der Apparat funktionierte und gesellte sich zu Felten, um sich von ihm all die vielen Knöpfe und Hebel erklären zu lassen, denn schließlich würde er sie bald allein bedienen müssen.

»Ja! — — Habe ich verstanden! — — Und jetzt hier dieser rote Knopf? — — — Wozu — — —«

»Halt!« schrie Felten auf.

Zu spät!

Die lustige Musik zerbrach im Akkord.

Tii — Ti, Ti, Ti, — — Tiii — — Tiii —

Der verhexte Lautsprecher schmetterte ein nervenzerreißend hohes Getriller von kurzen und langen Morsezeichen.

Abstellen, wollte der entsetzte Doktor brüllen.

Ein jäh aufblitzender Gedanke änderte jedoch die Weisung im letzten Augenblick, da Felten schon Antenne und Erde aus dem Gerät reißen wollte.

»Zurück! — — Sendung laufen lassen!«

Felten sank ergeben in seinen Stuhl und warf noch einen höchst vorwurfsvollen Blick auf Grammer, der dieses unerwünschte Zwischenspiel, dessen Folgen nicht abzusehen waren, verursacht hatte.

»Setzen Sie sich, Herr Grammer! — — — Rasch!« — — bat Förster.

»Außerste Ruhe, bitte!« — — Seine Stimme wurde gedämpft.

»Der Sender läuft! — — Vollautomatisch! — — Ich weiß nicht, wie lange! Unsere Gegner werden seit Stunden auf Nachricht warten. — — Sie sind auf dem Posten! — — — Evelyne!« — — Ein schnelles Aufblicken zu dem Mädchen, das er zum ersten Male so anredete: »Sie müssen mir helfen. — — Sie sprechen amerikanisch. — — Keiner kann bei der geringen Tonfrequenzbreite des Gerätes eine Stimme wiedererkennen. — — Sprechen Sie tiefer! Das Mikrofon ist über dem Lautsprecher, die siebartigen Löcher im Kreisrund. — — Antworten Sie langsam, noch vom Unfall mitgenommen. — — — Von Ihrer Geistesgegenwart hängt jetzt alles ab! — — Ich verlasse mich auf Sie! — — Hier! — — Setzen Sie sich neben Felten!«

Dieser hatte längst mit der flachen Hand das Mikrofon verdeckt. Er kannte zu gut die Wirkungsweise des »Bring-Hilfe-Gerätes«.

Evelyne folgte sofort. Behende huschte sie auf den angewiesenen Platz.

Peter Förster atmete erleichtert auf. Sie schien seine Absicht erraten zu haben.

Da verstummite das Schrilltönen des automatischen Senders.

»Bitte äußerste Ruhe!« kam nochmals Försters Aufforderung.

Bleierne Totenstille des Tropennachmittags. Auf dem Kamm der nahen Berge begannen sich weiße Kumuluswolken vorzuschieben, die neues Gewitter verhießen.

Grammer atmete erregt. Frau Grete zupfte und glättete verstört ihren Leinenrock.

Es brodelte, zischte und knackte leise im Lautsprecher.

Dann, zum Entsetzen aller, eine quäkende Stimme in amerikanischer Sprachfärbung aus dem gleichen Schallrund, das eben noch fröhliche Musik aus der Heimat gebracht hatte.

Der Doktor stenografierte wild in sein Notizbuch.

Evelyne, die ihren Auftrag richtig erfaßt hatte, schilderte wahrheitsgetreu die Katastrophe des Flugzeuges in knappen Worten. Sie spielte ihre Rolle geradezu meisterhaft: Stoßweise Sätze, nie zu Ende geführt, karge Andeutungen eines vom Mißerfolg Zermürbten.

»Kaum verletzt! — — — Waren betäubt!« — — — —

Das war kein Englisch mehr, sondern übel nachlässige amerikanische Umgangssprache.

»Kleidung o.k.! Nächste Bahnstation glatt erreichen, klar.«

»Wo melden?« fauchte Peter Förster der Sprecherin ins Ohr.

Das war der Gipfelpunkt der Unverfrorenheit.

Nur jemand, der an den Folgen eines Absturzes noch unter Gedächtnisschwund litt, konnte so fragen, wie Evelyne, bis — — — — bis der Lautsprecher nach Worten, die wie Flüche klangen, drei Buchstaben und eine Straßenbezeichnung kundtat.

»All right! — I stop!«

Im gleichen Augenblick drückte Felten, auf heftiges Deuten von Förster, eine Taste nieder.

Der Apparat war abgeschaltet.

»UfI!« atmete Doktor Förster erleichtert auf, indem er bebend das Notizbuch zuklappte und in der Tasche verstaute.

»Jetzt können wir wieder reden! — — Danke Ihnen, Fräulein Hard!« Er streckte ihr herzlich die Rechte entgegen.

Sie schlug nicht ein. Ein nachdenklicher Blick faßte die Augen ihres Gegenübers.

»Doktor! — — Sie haben mich überrumpelt!«

Peter Förster stutzte, zog die Hand zurück:

»Es ging doch alles herrlich glatt! Nachdem wir einmal«, ein lachendes Kopfwenden zu Grammer, »fast in eine Katastrophe hineingerutscht wären, bin ich sogar sehr stolz auf meinen Einfall, aus der höchst kritischen Situation einen Nutzen gezogen zu haben, der ungeahnte Erfolge verheißt. Ich weiß jetzt genau, wo in Benguella die Bande sitzt, die unser aller Leben fast auf dem Gewissen gehabt hätte, auf alle Fälle mich und mein Werk auslöschen wollte. Die drei Buchstaben und die Straßenangabe genügen mir vollauf. Ich bin jetzt im Bilde, und das Weitere wird die Regierung des Landes sehr rasch veranlassen!«

Doch Evelyne antwortete bitter:

»Onkel hat das Unheil nicht mit Willen angerichtet, Sie aber wußten genau, was Sie vorhatten. — — — Es ist ein peinigendes Gefühl, zur Spionin erniedrigt zu werden. — —Ich schäme mich jetzt meiner Rolle, die ich im ersten Impuls, Ihnen zu helfen, gespielt und durchgeführt habe!«

In Försters Gesicht zuckte es. Widerspruch war er nicht gewohnt, und solche zimperliche Auslegung seines unbestreitbaren Erfolges im Kampf um Sein oder Nichtsein empörte ihn.

Grammer stopfte an seiner Pfeife herum. Das Schweigen wurde beängstigend.

Doch Evelynes Augen ließen nicht von denen ihres Widersachers. Da erkannte Peter Förster die tieferen Beweggründe des ihm unverständlichen Verhaltens.

Seine Stimme hob sich:

»Iheaterspielen ist im Leben auch eine Waffe. Wie bei aller aufgezwungenen Waffenanwendung entscheidet allein der Erfolg! — — Fräulein Hard! — — Die Not gebietet oft, Zickzackwege einzuschlagen. — — Sie zu begehen, ist noch lange keine Lumperei! — — Und — — vorübergehend eine entstellende Maske sich vorzubinden, um im überraschenden Angriff das sichere Ziel zu erreichen, zeugt von stärkerer Eigenart, als den handgreiflichen Erfolg aus Scham, mangelnder Entschlußkraft, aus purer Anständigkeit schießen zu lassen!« Die Hand schlug hart auf die Stuhllehne.

Jetzt berührte er den Kern der Dinge:

»Ich versichere Ihnen, daß mir nichts ferner liegt, als einen Makel Ihres Charakters aus Ihrer meisterhaften Verstellung abzuleiten. Es war ein hoher Einsatz! Daß wir gewonnen haben, verdanke ich allein Ihnen.«

»Bravo!« rief begeistert der alte Farmer.

Frau Grete schaute lächelnd kurz zu Doktor Förster hinüber, prüfte Evelynes Antlitz und war zufrieden.

»Fabelhaft, Doktor! Sie haben mir aus der Seele gesprochen!« polterte Grammer befreit los, »das verdammte Pack, das so etwas anzetteln wollte, muß mit allen Hintermännern zur Strecke gebracht werden — — —!«

Noch immer schauten sich Peter Förster und Evelyne in die Augen und achteten nicht des lauten Beifalls.

»Haben Sie mich verstanden? — — Alles verstanden?«

»Ja, Doktor!«

»Ja und nein! — — — Doch habe ich jetzt Verständnis für Ihre Kampfstellung!«

Ihre Rechte ruhte mit festem Druck in der Hand Försters, und ihre Blicke tauchten ineinander.

Felten war mit einigen Schwarzen zurück zur Stätte des Grauens gegangen. Spaten und Hacken, die jene trugen, deuteten den stumm Nachblickenden, was dort noch zu vollbringen war. Vor Sonnenuntergang sollten die menschlichen Reste dem Fraß nächtlichen Aasgetiers entzogen werden.

Die Uhr zeigte gegen vier Uhr nachmittags. Frau Grete stand auf, um, wie sie sagte, rasch noch mal in den Gemüsegarten zu schauen.

Evelyne hatte bereits vor einer Stunde mit Hátana die Farm verlassen, um durch eine kleine Hühnerjagd die Abendtafel zu bereichern.

Grammer und sein Gast blieben allein zurück auf der Veranda, und bald waren beide Männer vertieft in eine Unterhaltung, die fast ausschließlich von Doktor Förster bestritten wurde, da des Farmers Wißbegier unstillbar schien.

»Dann ist also Ultraschall nichts anderes, als für menschliche Ohren unhörbarer Schall.«

»Sehr richtig, Herr Grammer! Unser Ohr kann nur Wellen von etwa sechzehn Schwingungen pro Sekunde, das ist ein sehr tiefer Ton, bis etwa zwanzigtausend Schwingungen, einem höchst schrillen Pfeifton, wahrnehmen. Was darüber ist, vermag der Mensch nicht mehr zu hören. Die technische Darstellung solcher Ultraschalle, also Schalle von Schwingungen jenseits des Hörbereichs, wie das Wörtchen ultra besagt, ist praktisch einfach. Die Frequenz kann nahezu unbegrenzt gesteigert werden. Es gibt Schallerzeuger, die mehrere hundert Millionen Schwingungen pro Sekunde spielend leicht auf elektrischem Wege erzeugen.«

»Da hört jedes Vorstellungsvermögen auf«, bemerkte Grammer.

»Sehr richtig! Sehen oder hören können wir derartige Erscheinungen nicht mehr, nur noch messen.

Die Wirkung des Ultraschalls aber ist ungeheuer; denn die abgestrahlte Energie eines schwingenden Körpers nimmt proportional mit dem Quadrat der Frequenz zu. Ein Kanonenschuß, um nur ein Beispiel zu nennen, ist ein lächerliches Geräusch ohne Kraft, verglichen mit dem Energiegehalt von Ultraschallwellen.

Die Forschung auf diesem Gebiete steckt noch in den Antängen. Die Zukunft wird da noch viele Überraschungen und nie geahnte Ergebnisse bringen. Ich erzählte Ihnen gestern schon, daß ich wie von einer fixen Idee, einem Wahn besessen war, und dieser mich einem Gesetz auf die Spur kommen ließ, nach welchem alle Elemente auf eine spezifisch kritische Ultraschallwelle selektiv reagieren. In Ausnutzung dieser von mir entdeckten Eigentümlichkeit gelingt es mir nun, nach Überwindung der ersten ›Kinderkrankheiten‹ rein technischer Art, Gold aus dem Meerwasser in beliebiger Menge unter Aufwendung nur sehr geringer elektrischer Energie auszufällen. Das ›Wie‹ allerdings ist mein Geheimnis.«

Grammer schmunzelte.

»Kann mir sehr wohl denken, daß Sie dieses Geheimnis zu hüten wissen!«

Der Doktor fuhr fort:

»Bekannt ist, daß ich das Meerwasser des kalten Benguellastromes, eines Abzweigers der südpolaren Westwind-Trift, mit Turbinen einsauge, entgolde, wenn ich so sagen darf, und einige Kilometer weiter nördlich in gleicher Tiefe unter dem Meeresspiegel wieder ausfluten lasse. Die recht starke Meeresströmung vor der Küste Angolas und das Vorhandensein des Großelektrizitätswerkes ›Katumbella‹ waren bestimmend für die Wahl des Ortes. — Und, wie gesagt, es handelt sich nur um ein Versuchswerk. — Auf alle Fälle, um das noch einmal klarzustellen, mußte ich auf der weiten Erde einen Platz wählen, an dem eine erhebliche Meeresströmung mir Gewähr bot, daß nicht schon entgoldetes Wasser aufs neue angesaugt werden konnte. Diese Überlegungen waren es, die mich bewogen, meine Versuchsanstalt in der Nähe Benguellas zu errichten, und ich einigte mich vor zwei Jahren mit der portugiesischen Regierung über den Ankauf des geeigneten Platzes. Seit rund einem halben Jahr arbeitet das unterirdisch angelegte Werk zu meiner vollsten Zufriedenheit.

Ich war ein restlos glücklicher Mensch, der den ersten großsen Erfolg seines Lebens errungen und sichergestellt hatte. In Deutschland hatte inzwischen die ›Goldstahl‹ — übrigens mein Geldgeber — einen Teil ihres Betriebes auf die Vergoldung von Stahl nach meinem Geheimpatent umgestellt. Das Gold, das ich in Benguella erzeugte, reichte einstweilen vollauf.

Es ist kaum faßbar, wie gering die Menge Goldes ist, um einen viele hundert Kilogramm schweren Stahlträger mit einem hauchdünnen Überzug absolut witterungsbeständig zu machen. Ich habe leider kein Probestück derart vergoldeten Stahls bei mir. Der fast smaragdgrüne und zugleich golden irisierende Glanz ist von zauberhafter Schönheit.«

Der alte Farmer dachte bei dieser Beschreibung an die herrlich seltenen Eidechsen des Landes, die so prächtig schillerten, wenn grelle Tropensonne ihr Schuppenkleid zum Leuchten brachte.

»Kurz und gut, ich war glücklich, restlos glücklich, fühlte in mir eine unbändige Lebenskraft, die der unbestreitbare Erfolg verlieh, bis eines Tages Fischerboote in immer größerer Zahl in der Gegend der Wasserausfluter meines Werkes auftauchten.

Sie können sich sehr wohl vorstellen, daß ich an Sabotagevorhaben meiner Gegner denken mußte. Unheimlich und unbegreiflich wurde die Geschichte nur dadurch, daß jede Logik gegen ein Attentat auf die Rohre des Wasserauslaufs sprach. Viel mehr Erfolg wäre einem irgendwie gearteten Angriff auf die Ansaugleitung beschieden, da der einlaufende Wasserstrom Explosivkörper bis in unmittelbare Nähe der Turbinen bringen könnte. Alle Beobachtungen an jener Stelle aber, die rund fünf Kilometer von der des Auslaufs entfernt ist und an der sich die Fischerflottille täglich einstellte, waren ohne jedes Ergebnis, obgleich ich allergrößte Sorgfalt anordnete. Ich dachte an Ablenkungsmanöver und ähnliche Möglichkeiten, die eine bedrängte Phantasie mir vorgaukelte.

Nichts von alledem! Die Landesbehörden wollte ich aus naheliegenden Gründen nicht mit jeder Kleinigkeit behelligen.

Da brachte eines Tages Felten die erlösende Erklärung. Er war wieder einmal in einem der Kaffeehäuser im nahen Benguella gewesen, um, wie er es nennt, Landeskunde zu betreiben.

Der Fischreichtum hätte sich unglaublich vermehrt, seit mein Werk arbeite, behaupteten dort die begeisterten Gäste.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Meine Ultraschallbestrahlung des Meerwassers mußte Plankton in kaum vorstellbarer Menge abtöten. Diese Kleinstlebewelt bot, in Billionenzahl tot vor dem Ausflußrohr zu Boden sinkend, ein Freßparadies für jung ausgekommene Fischbrut. Diese wieder lockte größere. — Groß frißt Klein, ein uraltes Naturgesetz, besonders im Wasser. — Alles, was Fisch hieß, zog gewissermaßen zu den Fleischtöpfen Agyptens, vor meine, ewig neue Nahrung ausschwemmenden Metallrohre, und ihnen wiederum folgte der Mensch als größter Räuber und warf seine Netze aus.

Am nächsten Tage schon flog Felten nach Deutschland. Seine einzige Zulast war ein ausführlicher Brief an meinen verehrten Lehrmeister.

Genau eine Woche später traf Professor Hiedermann mit einem Mitarbeiter und den erforderlichen wissenschaftlichen Instrumenten auf dem Flugplatz von Benguella ein. Er hatte meinen halben Notschrei richtig verstanden, die Tragweite meiner Entdeckung erkannt und, entschlußfreudig wie er war, sofort gehandelt.

Es folgten Tage reich gesegnet mit wundervoller Arbeit, die wissenschaftlichen Diskussionen jagten sich bis in die Morgenstunden.

Dann war endlich das Ergebnis sichergestellt. Es übertraf alle Erwartungen. Meine spezifische Ultraschallwelle tötete erhebliche Meeresplanktonmengen in Bruchteilen von Sekunden. Nie für möglich erachtete Zukunftsaussichten taten sich auf.

Die Lebewelt des Plankton umfaßt, um nur eine Auslese zu geben: Geißeltierchen, Strahlentierchen, Krebstiere, Flügelschnecken, Larven und Jugendformen von Fischen, wie auch Bakterien und Diatomeen und sonstige mikroskopisch einzellige Algenformen.

An und für sich wäre die Tatsache nicht so erschütternd. Die Abtötung gewisser Mengen dieses Planktons ist für den großen Haushalt des Meeres gänzlich belanglos, auch dann noch, wenn Tausende von Werken das gleiche täten.

Nicht absehbare Bedeutung kommt aber der systematischen Ausnutzung dieser Entdeckung für die Ernährung der immer stärker anwachsenden Menschheit zu.

Ich will nur zwei Beispiele herausgreifen, um die sich hauptsächlich unsere wissenschaftlichen Diskussionen drehten. Es ist Ihnen bekannt, daß die großen Fischzüge und damit die Fangmöglichkeit nur auf einigen begrenzten Gebieten des weiten Ozeans vorhanden sind. Kabeljau und Heringe können für Europa nur bei den Neufundlandbänken, um Island herum und an der norwegischen Küste in gewinnbringender Menge gefangen werden. Weite, meist durch schwere Stürme und Nebel gefährliche Wege müssen bis dahin zurückgelegt werden. Der Hin- und Rückmarsch verursacht Zeit-, Material-, ja, sogar Menschenverluste.

Gelänge es, mit Hilfe meines Verfahrens Planktonkonzentrationen an einer beliebigen Stelle des Meeres zu schaffen, so müßten, nach dem Beispiel von Benguella, sich auch dort massenweise erst kleinere, dann größere Fische einfinden. Späteren Versuchen ist es vorbehalten, die Ergiebigkeit solcher planmäßiger Fischfanglenkung zu erweisen und in die Praxis umzusetzen!«

»Teufel noch eins, sind das Aussichten!« fuhr verblüfft der alte Farmer auf.

»Lieber Herr Grammer, wir waren genau so fassungslos wie Sie jetzt, als im Laufe der fortschreitenden Untersuchungen das Diskussionsthema immer klarere Formen annahm. Das Meer als Kolonie, in der man nach Menschenwillen säen und ernten kann, wenn das Säen einstweilen auch noch mehr einem Düngen gleichkommt!

Gleiche, wenn nicht noch größere Bedeutung kommt auch folgender Überlegung zu: Es ist bekannt, daß die Trockensubstanz der sehr häufigen Kleinkrebstierchen rund sechzig Prozent Eiweiß, zehn, oft mehr Prozent Fett sowie zwanzig Prozent Kohlehydrate enthält. Sehr gutes Fleisch besitzt ähnliche Nährwerte. Der allseits beliebte Kaviar enthält nur dreißig Prozent Eiweiß, vierzehn Prozent Fett und kaum Kohlehydrate.

Was sich bei planvoller Ausnutzung meiner Entdeckung als Zusatzernährung für den Menschen und als Kraftfuttermittel für die von ihm gezüchteten Tiere noch herstellen lassen wird, ja, mein lieber Herr Grammer, das weiß ich selbst nicht im entferntesten abzusehen.

Ich habe nach kurzem inneren Kampf Professor Hiedermann als einzigem reinen Wein eingeschenkt. Ich habe ihn in alle meine Geheimnisse, in die Schwierigkeiten der Praxis gegenüber rein theoretischen Überlegungen, von der Inbetriebnahme des Werkes bis zu seinem erfolgreichen Arbeiten eingeweiht. Es geht hier um mehr, als nur dem Erfinderstolz des einzelnen zu dienen.

Wenn auch schon mein Goldverfahren der gesamtenMenschheit gewaltige Fortschritte zu bringen versprach, so verblichen vor meinem geistigen Auge diese Aussichten vor der neuen Erkenntnis, daß es möglich werden könnte, der an allen Stellen um die Ernährungsfreiheit kämpfenden Menschheit den Weg zurück zur Urmutter allen Seins, zum Meere, zu weisen und dort in Hülle und Fülle vorhandene, unerschöpfliche Nahrungsreserven planvoll nutzbar zu machen!«

Doktor Förster schwieg. Nur sein Mienenspiel verriet, welche Vorstellungen bei ihm die umstürzenden Zukunftspläne auslösten.

»Und einen solchen Idealisten wollte man heute nacht mit Bomben um die Ecke bringen! — — Seltsame Welt, die ihre Wohltäter ausrotten möchte, ich verstehe dich nicht mehr!« Der alte Farmer schüttelte den Kopf.

»Es tönt ein altes Lied!« hob Förster langsam an, »wer dem Fluß der Dinge zu weit vorauseilt, muß gewärtig sein, von seinen Zeitgenossen infolge ihrer Beharrungssucht gekreuzigt zu werden! — — — Doch — — lassen wir das!

Zurück zur Wirklichkeit! Professor Hiedermann hat jetzt schon in Deutschland die erforderlichen Schritte unternommen. Eine Versuchsanstalt, der große Geldmittel zur Verfügung stehen, ist bereits gegründet, der auserlesene Stab der Mitarbeiter zur Geheimhaltung verpflichtet.«

— — —

Die Nachmittagssonne schoß nur noch zeitweilig aus dicken, weißen, an den Rändern schon schwarzgetönten Wolken ihre letzten Bündel schräger Strahlen auf die wie erstorbene Tropenlandschaft. Die Hitze drückte. Fernes Grollen kündigte ein neues Gewitter an. Draußen stand der sattgrüne Mais mit einem noch geschlossenen prallen Fruchtkolben stumm und bewegungslos kerzengerade, wie bewimpelte Lanzen.

Das schmale Frischwasserbächlein an der Langseite des Farmerhauses plätscherte sehnsüchtig, als ob es auf neue Regenkraft warte.

»Herr Grammer, was ich Ihnen erzählt habe, ist meinen Gegnern nur zum Teil bekannt. Sie wissen, daß ich Gold aus dem Meere gewinne, aber das ist bis jetzt auch alles. Sie werden nun wie die Wahnsinnigen in ihren Laboratorien arbeiten, um das ›Wie‹ herauszubekommen. Der merkwürdig anwachsende Fischreichtum in der Nähe meines Werkes dürfte ebenfalls jenseits des großen Teiches Anlaß genug zum Kopfzerbrechen gegeben haben, wissen doch alle Küstenbewohner davon und nutzen die Tatsache sogar tüchtig aus.

Wir waren allein! — — Ich habe Ihnen nach einigem Zögern die Zusammenhänge aufgedeckt, weil Sie durch meine unfreiwillige Landung und durch die so gastliche Aufnahme in Ihrem Hause mit in den Strudel der Ereignisse hineingerissen worden sind. Es könnte sehr wahrscheinlich sein, daß man Ihnen von seiten meiner Gegner noch einige Überraschungen zugedacht hat.

Nach meinem ersten Bedenken, Sie einzuweihen, bietet mir jetzt Ihre Persönlichkeit die Gewähr, daß Sie schweigen und in jeder Lage richtig handeln werden.«

Grammer streckte über den Tisch hinweg seinem Gast die Rechte zu. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen!«

Peter Förster ergriff wortlos die dargebotene Hand.

Der in vielen Kämpfen grau gewordene Farmer würde sich eher in Stücke hacken lassen, als das soeben Vernommene preiszugeben.

*

Das Spätnachmittagsgewitter zog bedrohlich herauf.

Da setzte auch schon prasselnd der Regen ein.

Gerade noch huschte Evelyne unter den schützenden Vorbau des Farmerhauses, mit ihr einer der Eingeborenen.

»Hui! — — Das ist noch mal gut gegangen. Fünf Hühner habe ich erwischt!« Sie stellte die Kleinkaliberbüchse behutsam in den anstoßenden Wohnraum, kam strahlend zurück.»Für jeden eins! — —

Doktor, fünf Hühner! — — Was sagen Sie dazu?« — — — Doch ohne die Antwort abzuwarten: »Enju!« Der schwarze Postträger trat näher. Sie öffnete seine Ledertasche.

»Hier Ihre beiden Telegramme, Doktor!«

Peter Förster nahm sie dankend entgegen und begann das erste zu öffnen.

Ein Glückwunsch des Hohen Kommissars? — — — Tatsächlich! Nicht zu unterschätzen, solch sinnfälliger Beweis des Wohlwollens. Er nickte zufrieden. Das entsprach der Linie der jüngsten Abmachungen.

Weiter!

— — —

Eine chiffrierte Nachricht aus dem Werk? Ihm schwante Unheil, die Zahlenreihen schwammen piötzlich vor seinem Blick.

»Nanu, Doktor, was ist denn mit Ihnen?« Grammer hatte den jähen Wechsel im Ausdruck seines Gastes bemerkt. »Schlechte Nachricht?«

»Die eine nicht! — Hier, lesen Sie selbst!« Er reichte das Telegramm hinüber.

»Donnerwetter, das nenne ich warme Anteilnahme!« Der Farmer gab das Blatt zurück. »Und Numero zwei?«

»Weiß noch nicht! — — Um den Klartext herauszubekommen, benötige ich etwas Zeit und — — Ruhe!«

Evelyne musterte betroffen die bestürzte Miene. So kannte sie den Doktor noch nicht.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

»Ja, Herr Grammer! — — Wenn Sie mir drinnen Licht machen und gestatten würden, daß ich Ihren Schreibtisch benutze.«

»Aber selbstverständlich«, versicherte der Farmer lebhaft und eilte, seine Zusage in die Tat umzusetzen.

Die Dunkelheit brach mit tropischer Schnelle herein. Blitze zerrissen die letzte Dämmerung, und der Donner dröhnte dumpf. Der Regen pladderte in gleichförmiger Stärke, doch das leichte Gewitter verebbte schon.

»So, Doktor! — — Kommen Sie, ich helfe Ihnen!«

Gestützt humpelte Peter Förster in die große Wohnstube und ließ sich vor dem Schreibtisch nieder.

Peter Förster griff zum Bleistift, schrieb und rechnete. Seinem Chiffrecode lagen mathematische Formeln zugrunde, die die ersten drei Zahlen angaben. Nur diese mußte er im Kopfe haben, die weitere Lösung ergab sich zwangsläufig. Kein Unberufener konnte jemals den Text enträtseln. Das Verfahren war umständlich und zeitraubend, aber sicher.

Eine Viertelstunde verging.

Er hob grübelnd den Kopf und nickte stumm vor sich hin. Also doch! — — Er straffte sich.

»Herr Grammer!«

»Ja, Herr Doktor!« — — Ein Stuhl knarrte draußen. Der Farmer betrat den Raum. »Nun? — — — Hoffentlich doch nichts Ernstes?«

»Leider doch! — — Was ich lange befürchtete, ist eingetreten!«

»Um Gottes willen!« Entsetzt blickte Grammer seinen Gast an.

»Ja! Das Telegramm besagt nichts anderes, als daß der Versuch unternommen worden ist, durch unterseeische Sprengungen die Ansaugrohre meines Werkes außer Betrieb zu setzen. — — Ich muß sofort nach Benguella! — — —Heute abend noch! — — Wann passiert der Nachtzug Ganda?«

»Gegen zwei Uhr früh!«

»Kann ich den noch erreichen?«

»Ich stelle Ihnen Träger und zwei Traghängematten zur Verfügung. In fünf Stunden schaffen ausgesuchte Leute auch bei Nacht den Weg!«

»Dann muß ich, um ganz sicher zu gehen, etwa um acht hier aufbrechen!«

»Das reicht vollauf!«

»Ich danke Ihnen, Herr Grammer! — Können Sie verstehen, wie mir zumute ist?«

»Mehr als Sie ahnen, Doktor! — — Alles, was in meinen Kräften steht, geschieht unverzüglich!«

»Wie kann ich das je wiedergutmachen, was Sie...!«

»Reden Sie doch keinen Unfug! Hier geht es gar nicht um Ihre Person!«

Schon hantierte der Alte an einer Stallaterne. Der Docht fing Feuer.

»Ich geh' ins Negerdorf, um die Leute auszusuchen.«

»Bieten Sie das Mehrfache der üblichen Belohnung!« rief Förster hinterher.

»Wird gemacht!« rief Grammer zurück, der schon nach draußen geeilt war.

*

In der nächsten Viertelstunde überstürzten sich die Ereignisse. Grammer hatte im Negerdorf einen schwarzen Boten aufgetrieben, der ein an Evelyne gerichtetes Telegramm trug. Er habe nur vor dem großen Regen Unterschlupf gesucht, sonst hätte er es schon abgeliefert.

Ermunterndes Zureden, unterstützt von den eigenen Schwarzen, die den Verhörten im Lichtschein der Laterne eng einschlossen, ergab aber, daß der Bote schon am Tage zuvor von Ganda mit Sonderzulage und dem Auftrag abgeschickt worden war, das dringende Telegramm auf dem kürzesten Wege nach Farm Camátia zu bringen.

Er habe den Weg verfehlt. — Der Buschpfad sei vom Hochwasser überschwemmt, ein Übergang weggerissen. —Umwege; kurz, eine Fülle fauler Ausreden, die Grammers Postboy im Bewußtsein seiner wichtigen Zeugenrolle mit viel Zungenfertigkeit widerlegte.

Tatsache blieb nur, daß Evelyne eine vielleicht überaus wichtige Nachricht vierundzwanzig Stunden zu spät erhielt.

Evelyne riß das Telegramm sogleich auf und erfuhr, daß ihres Vaters Zustand zu ernsten Bedenken Anlaß gäbe, und sie möge unverzüglich die Rückreise antreten.

*

Zum letztenmal waren sie um das Abendessen vereinigt.

Jeder fühlte den Zwang, den er sich antat.

Peter Förster dachte an sein Werk, Evelyne an den Vater. Grammer, seine Frau und Felten bemühten sich, den Abschiedsschmerz zu unterdrücken. Doch Gott sei Dank gab es noch einiges zu regeln.

So versprach Förster seinem Gastgeber, ihm neue Batterien für das Radiogerät zu besorgen und ihm zuzuschicken. Er schärfte ihm nochmals ein, daß er den roten Knopf nie niederdrücken dürfe. Im übrigen sei die Bedienung sehr einfach. Eine genaue Gebrauchsanweisung käme gleichzeitig mit der Sendung.

Nachdem ein Glas Portwein alle zum Abschied noch einmal gestärkt hatte, stand der Hausherr als erster auf:

»Na dann! — — — Fertigmachen!« und ging hinaus in die Dunkelheit, um die entsprechenden Anweisungen zu geben.

Peter Förster wurde in der Tipoia verstaut.

Felten hatte dem Gepäck zwei große Stablampen entnommen. Eine erhielt Evelyne, die, wie er, darauf bestand, zunächst zu Fuß zu gehen. Später wollten sie abwechselnd die zweite Traghängematte benutzen, denn nur diese zwei besaß Grammer. Das bevorstehende Unternehmen war keine Kleinigkeit. Über dreißig Kilometer mußten die Neger im Geschwindschritt bei Nacht bewältigen. Gottlob schien vom klaren Himmel der Mond, die schmalen Pfade der Eingeborenen zu erhellen. Es war der nächste Weg, fernab der sonst gebräuchlichen Autostraße.

Letztes Händeschütteln. Lampen blitzten über die fettigen Rücken der Schwarzen. Die Stimmung der Träger war vorzüglich. Peter Förster hatte ihnen außer einer beträchtlichen Geldentlohnung gesalzenen Trockenfisch versprochen, Frau Grete das restliche angebratene Fleisch des von Evelyne erlegten Umbambis verteilt, ferner Brot, alles seltene Leckerbissen für Negermägen. Laut schnatterte die begeisterte dunkle Mannschaft.

Noch einmal umarmte Evelyne Onkel und Tante.

»Los! — — Twente!« schrie Grammer.

»Twente!« brüllte wiederholend der Capataz, der mit einer Stallaterne voranlaufen sollte.

»Twente!!«

Und jetzt kam Ordnung in den wilden Haufen.

An der Spitze, hinter dem laternenbewaffneten Anführer, die Traghängematte Försters, dann Evelyne, Felten und zum Schluß die leere Tipoia, begleitet von der Ablösungsmannschaft, die zum Teil das Gepäck auf ihren Wollschädeln trug.

Winken — Lichterblitzen — Punkte nur noch. — —

In der Ferne rauh anhebendes Marschgegröhle der Neger, das allmählich verebbte.

Die tropisch warme Nacht hatte bald alle Geräusche verschluckt.

*

Kurz vor Ganda erreichten sie die Autostraße. Peter Försters Sinne waren umfangen von den zauberhaften Eindrücken. Raum und Zeit schienen in dieser Nacht ausgelöscht. Dunkel dräuend reckte sich nun das gewaltige Massiv des Gandaberges im milden Licht des abnehmenden Mondes. Einige bizarre hell beschienene Wolken umsäumten die Gipfel.

Die Träger sangen, schwatzten, beglückt, auf der glatten Straße ungehemmter als im dunklen Busch ausschreiten zu können, dem nahen Ziel entgegen.

Die letzten Bäume des hohen Tropenwaldes blieben zurück. Man kreuzte die silbern glänzende Spur der Eisenbahn. Die Schwarzen verstummten. Die ersten weißgetünchten Häuser nahten, unwirklich anzuschauen nach der Unendlichkeit wuchernder, unberührter Natur.

Peter Förster hatte trotz des bequemen Liegens kein Auge zugetan. Zu gewaltig waren die Eindrücke der gespensterhaft vorbeihuschenden Umgebung gewesen. Der Negerpfad verengte sich häufig so, daß die Äste der Sträucher seine Hängematte streiften. Unfaßbar, wie bei der kaum erkennbaren Spur die Schwarzen in stetem Geschwindschritt ihn sicher trugen und nie strauchelten.

Nur eine Erinnerung ließ jetzt noch leichten Schauder den Körper überlaufen. Unter ihm gurgelte ein tief eingeschnittener Fluß, und ein langer, gefällter Baum war die einzige Brücke. Zwei schattenhafte Riesen turnten schwankend mit ihm in der Hängematte über den schmaler und schmaler werdenden Stamm, bis das jenseitige Ufer unter lautem Freudengeheul der Zurückgebliebenen erreicht war.

Wenn die da ausgerutscht wären — — —?

Brr! Das »Wenn« durfte man gar nicht zu Ende denken.

— — — — — Die Flüsse hier wimmelten von Krokodilen.

Die Neger verlangsamten das Tempo. Schritte nahten auf dem knirschenden Eisenkiesgrund der Autostraße. Es war Felten.

»Schlafen Sie, Doktor?«

»Nein!— — Das war mir unmöglich!«

»Wir sind am Ziel.«

»Ich weiß!« — — — Schweigen. Dann »Felten!«

»Ja, Doktor?«

»Ich habe heute nacht ihren Tobias verstehen gelernt!«

Wäre es Tag gewesen, Peter Förster hätte ein glückliches Aufblitzen in Feltens Augen wahrgenommen.

»Schläft Fräulein Hard?«

»Nein, Doktor! — — Mir ging's wie Ihnen«, tönte die helle Stimme Evelynes aus der Tipoia, die hinter ihm getragen wurde.

Breite Bänder gelblichen Lichtes aus mehreren hohen, geöffneten Türen zogen scharf abgesetzte Streifen über die Straße. Die Nacht war blutwarm.

Stimmen von mit südlichem Temperament geführten Unterhaltungen wurden laut.

Evelyne sprang aus ihrer Traghängematte. Geschwind ordneten die Hände das Haar.

Die Schwarzen hielten an.

Felten half Peter Förster, stützte ihn, und schon betraten sie das »Ganda-Hotel«, das seinen Ruf, das erste am Platze zu sein, durch strahlende Lichtfülle betonte.

Bei ihrem Eintritt verstummte die Unterhaltung.

Ein großer Tisch war frei.

An ihm nahmen Doktor Förster und Felten, der ihm behilflich war, rasch und möglichst unauffällig Platz und zwischen ihnen Evelyne. Draußen harrte stumm die schwarze Trägermannschaft.

Tuscheln, zweifelndes Schulterzucken rundum.

Der bedienende Boy nahte.

Förster bestellte. Alle drei hatten Durst.

Sie unterhielten sich zwanglos, um das beobachtende Schweigen ringsum abzuwehren.

»Was? — — Noch nicht eins? — — Tolle Leistung der Träger! — — Da haben wir ja noch über eine Stunde Zeit, Felten!«

»Ganz gewiß, Doktor!«

»Man sollte es nicht für möglich halten! — — — Fast fünfunddreißig Kilometer in fünf Stunden! Und das noch dazu bei Nacht!«

Der schwarze Boy brachte die Getränke.

»Hat jemand Hunger?«

Evelyne und Felten verneinten.

Sie plauderten zu dritt. Das Bild des Nachtmarsches gewann aus Schilderungen von kleinen Einzelerlebnissen an Einprägsamkeit und unvergeßlicher Schönheit.

Draußen warteten mäuschenstill die Schwarzen, deren neugierige Augen das Gehabe der Weißen im hellerleuchteten Raum aufmerksam verfolgten.

»Felten, sehen Sie mal zu, ob Sie einen Sack Trockenfisch einhandeln können. Die Hotels sind hier doch meistens mit einem Store verbunden.«

Der Pilot stand auf.

Das Getuschel rundum war, wie Förster zu seinem Leidwesen bemerkte, immer erregter geworden.

Sicherlich war längst einer der Boys unauffällig nach draußen zu Grammers Trägern geschickt worden, um Auskunft über die Persönlichkeit, zumindest des »Woher« der neuen Gäste zu erhalten.

Man hatte herausbekommen, wer er war! Das merkte Förster jetzt, da die eben noch sichtbare Erregung wissender Entspannung wich. Südländische Höflichkeit gebot, den Gast nicht zu behelligen. Flog auch manch sensationslüsterner Blick aus gleichgültig dreinschauenden Gesichtern noch versteckt zu ihm herüber, Europas Gesetze wurden nun doch wieder streng gewahrt. Die kleine Entgleisung wurde durch überbetonte Zurückhaltung ungeschehen gemacht, die Unterhaltung zwangloser.

»Gott sei Dank!« äußerte Evelyne trocken. »Bei uns in Amerika wäre die Sache anders verlaufen!«

Peter Förster lachte.

»Reporter und so — — —!«

»O je!« Eine Handbewegung, die alles sagte.

Felten kam zurück, setzte sich.

»Der Sack Fische ist schon draußen!«

»Bravo! — — — Und?«

»Der Capataz verteilt sie! — Nur die Ehrfurcht vor dem hellen Licht und den vielen Weißen hält die glückstaumelnde Gesellschaft vor lautem Freudengebrüll zurück!«

»Haben Sie noch Geld gegeben?«

»Ja! — — Jedem fünf Angolares! — — Habe im Store gewechselt!« — — Förster nickte lebhaft Zustimmung.

Für deutsche Begriffe sind das vierzig Goldpfennig, dachte er, dafür läuft keiner in Europa mit schwerer Last rund fünfunddreißig Kilometer, obendrein bei Nacht! — Afrika!

Die Zeit verlief rasch. Peter Förster vermied, daß die Unterhaltung sein Werk berührte, ebenso wie Evelyne, sehr gefaßt, nicht auf den traurigen Anlaß ihrer Reise zurückkam.

Überrascht stellten sie fest, daß sie eilen mußten, wenn sie den Zug noch erreichen wollten.

Draußen warteten die Schwarzen, die Peter Förster noch schneller als vorher zum nahen Bahnhof trugen.

*

Unwahrscheinliche europäische Wirklichkeit in diesem afrikanischen Mondnachtfrieden bot das Heranbrausen der mit einem gewaltigen Scheinwerfer die Strecke hell erleuchtenden Schnellzugmaschine. Stahl dröhnte und hämmerte unter den Achsen der nachfolgenden Wagen.

Man hatte ihnen bedeutet, in den letzten Wagen einzusteigen. Er würde erst in Nova Lisboa an den Transafrika-Expreß Elisabethville-Lobito angehängt und böte stets Platz.

Die Schwarzen hatten das Gepäck heraufgereicht und scharten sich schnatternd um die Plattform dieses letzten Wagens, auf dem die drei standen.

Der Zug fuhr nach sehr kurzem Aufenthalt ab.

Das Schnattern wurde zum Abschiedsgebrüll. Einige rannten noch hinterher, riefen: »Komm bald wieder, patráo!«, bis ihnen der Atem ausging. Glimmende Holzkohlenstückchen wirkten ein rot leuchtendes Band zwischen den gleißenden Stahlschienen. Afrikanische Lokomotiven heizen alle mit Holz, das rechts und links der Bahnlinie als billigstes Feuerungsmaterial in Hülle und Fülle im Busch geschlagen wird.

Dräuend ragten die Gandaberge. Der Zug schlängelte sich in steten Windungen abwärts aus zwölfhundertachtzig Meter Höhe der zweihundertfünfzig Kilometer entfernten Küste am Atlantik entgegen.

Weit zurück vermochte das Auge den rotglühenden Streifen der verglimmenden Holzkohle im engdurchschnittenen Iropenwald zu verfolgen.

*

In einem Schlafwagenabteil erster Klasse hatten sich Förster, Evelyne und Felten häuslich eingerichtet. Nach Landesbrauch benutzten gewöhnlich nur zwei Reisende ein solches Abteil. Die starke Besetzung des Zuges schuf eine willkommene Ausnahme. An Schlaf dachte doch keiner, zu stark klangen die Erlebnisse noch nach. Im übrigen währte die Fahrt nur sieben Stunden, und bequemen Platz hatte jeder.

Ein Boy brachte bald einige Flaschen eisgekühlten deutschen Exportbiers aus dem Speisewagen. Selbst Evelyne verschmähte nicht den erfrischenden Trunk.

Felten bat, die hintere Plattform aufsuchen zu dürfen. Ihn lockte es, die nächtliche Fahrt mit all seinen afrikaverliebten Sinnen allein auszukosten.

Förster blickte Evelyne fragend an, und sie nickte. Die klaren Augen des Mädchens sagten ohne jede Befangenheit zu, und schon schloß sich die Tür hinter dem Piloten.

Das unerwartete Alleinsein mit Evelyne brachte Peter Förster offensichtlich in Verlegenheit.

Evelyne lehnte den Kopf in ihr Eckpolster und schloß die Augen.

Tata — — tata— — tata, pochten dumpf die Räder.

Der Zug führte sie einer ungewissen, bangen Zukunft entgegen.

Mein Werk — — mein Werk — — mein Werk, sann im Takte der Schienenstöße der Doktor. Mit Wucht überfiel ihn die Vorstellung aller Möglichkeiten, die sich dort ereignet haben konnten.

Die Gedanken sprangen zu Evelyne, auf deren Gesicht sich große Sorge abzeichnete.

»Fräulein Hard!«

Sie nickte nur.

»Was in meinen Kräften steht, werde ich aufbieten, Ihnen an der Küste behilflich zu sein!«

»Haben Sie aufrichtigen Dank, Doktor!« Sie machte aus ihrer Verzagtheit kein Hehl. —

»Wohin wollen Sie sich in Benguella begeben?«

Da fiel Peter Förster ein, daß er ihr Telegramm, das sie liegengelassen hatte, eingesteckt hatte. Er zog rasch das Notizbuch heraus.

»Ich habe dies hier im Hause Ihres Onkels an mich genommen, da ich befürchtete, es könnte in der allgemeinen Aufregung vergessen werden.«

Er gab ihr das Blatt.

»Dank, Doktor! — — Ich hätte es zweifellos liegenlassen, und die Adresse stand doch darauf.«

Evelyne nahm das Formular und entfaltete es.

»Daß ich so achtlos war! — — Tatsächlich! — — Da ist die Anschrift! — — Lesen Sie selbst!«

Peter Förster griff gedankenlos danach, schon mit ganz anderen Plänen für rasche Hilfe beschäftigt.

Er las flüchtig, stutzte, riß hastig den Bogen dem nahen Lichte zu, um einen ihm unmöglich erscheinenden Lesefehler richtigzustellen. Zeilen flimmerten vor seinen Augen.

Da war nichts richtigzustellen!

Schwarz auf weiß bleckten ihn die Buchstaben an.

Er mußte sich irren, zerrte abermals sein Notizbuch heraus.

Die Finger blätterten in rasender Eile, fanden die Seite, verglichen — — — —

»Doktor! — — Um Gottes willen, was ist Ihnen?« Das Mädchen griff verstört nach seinen Händen, deren eine das Telegramm, deren andere das aufgeschlagene Notizbuch hielt.

*

Der helle Morgen schien in das Abteil. Der Zug durchfuhr die weite, wellige Savanne hinter Catengue.

Auf dem Fenstertischchen lagen Papiere ausgebreitet, Försters Notizbuch und der Brief, der Schuld an dem jähen Aufbruch Evelynes von Camátia trug.

Förster nahm ihn erneut zur Hand.

»Fräulein Hard, das Schreiben ist ein diplomatisches Meisterstück. Die Fülle von geschickt zusammengestellten Andeutungen mußte ohne Zweifel in Ihnen den Eindruck erwecken, Ihr Herr Vater sei schwer erkrankt. Davon steht aber nicht das geringste darin. Wenn es sich tatsächlich um eine Krankheit handeln würde, dann wäre doch auf alle Fälle die Meinung des behandelnden Arztes wiedergegeben worden. Nichts dergleichen! — — — Wie gesagt, ein Meisterstück, einen Menschen in denkbar größte Verwirrung zu setzen. Die Wirkung wurde ja auch gründlich erreicht.«

»Doktor, ich kann die Zusammenhänge nicht fassen! — —Welchen Zweck soll denn das Ganze haben?«

»Auf alle Fälle zunächst den einen, Sie nach Benguella zu locken und Sie unter durchaus einleuchtenden Vorwänden mit Ihren Landsleuten zusammenzubringen.«

»Das hätte man einfacher anstellen können«, warf Evelyne ein.

»Da gebe ich Ihnen vollkommen recht! Gerade dieser Einwand erlaubt aber den Schluß, daß der tieferliegende Zweck nur der sein kann, Sie durch Angst und Sorge um Ihren Vater der freien Entschlußkraft zu berauben und Sie fest an die in dem Brief so warm empfohlenen Mittelsleute zu ketten. Noch klarer ausgedrückt, Sie willfährig zu machen. Man nennt so etwas: unter Druck setzen!«

Evelyne blickte zweifelnd auf.

Warmer Zuspruch klang aus den Worten, als Förster seine Gedanken zu Ende führte:

»Erstens fahren Sie nach Benguella, und zweitens ist Ihr seelisches Gleichgewicht denkbar stark erschüttert. Das können Sie doch nicht bestreiten? Die beabsichtigte Wirkung ist also, wie ich es vorhin schon andeutete, erreicht. Sie müssen sich darüber klarwerden, daß das nur die Folgen dieses Briefes sind, einzig und allein Folgen dunkler Andeutungen! — — Nirgends finde ich eine greifbare Bestätigung, die Ihre Verzagtheit rechtfertigt.«

»Sie hätte doch nicht geschrieben, wenn es Dadd nicht schlecht ginge! — — Dazu noch das Telegramm!«

Vergebliche Mühe, dachte Peter Förster. So komme ich nicht weiter! — — — Wie einem kranken Kinde redete er ihr nun zu:

»Fräulein Hard! — — Wo steht hier in diesem Brief, daß es Ihrem Vater schlecht geht?«

»Das ist es ja eben! — — — Gewiß will man mich nur schonend vorbereiten, und in Benguella erfahre ich erst die ganze Wahrheit!«

»Das wäre sehr, sehr hart für Sie! — — Ich glaube aber nicht an diese Möglichkeit.«

»Ja, um Himmels willen, was glauben Sie denn?«

Peter Förster beugte sich vor.

»Daß Ihre Mutter Beziehungen zu meinen Gegnern hat, war doch Ihre Meinung!«

»Bitte, sagen Sie nicht Mutter! Nennen Sie sie, wie Sie

wollen, nur nicht Mutter! Der Name Mutter ist mir zu heilig. — Die Tatsache als solche jedoch bezweifle ich nach dem, was ich durch Zufall in Vaters Haus erfuhr, nicht.«

»Gut! — — Weiter! Können Sie leugnen, daß sich die Adresse, an die Sie sich in Benguella wenden sollen, mit jener deckt, die wir durch das Notsendegerät bei Ihrem Onkel erfuhren?«

»Leider nein! Doch das kann reiner Zufall sein. Vielleicht handelt es sich um eine gewöhnliche Handelsgesellschaft.«

»So! — — Und die inszeniert Bombenüberfälle, um mich um die Ecke zu bringen? Zumindest aber steht sie mit den Attentätern in Verbindung und gibt drahtlos Weisungen, wohin Sie sich begeben sollen. Schöne Handelsgesellschaft!« Beißender Spott sprach aus seinen Worten.

Evelyne zögerte. Eine Ahnung, welchen Verdacht der Doktor hegte, dämmerte in ihr auf:

»Mit anderen Worten, Sie bezichtigen also die Frau meines Vaters, unter einer Decke mit jenen zu stecken, die den Plan ausgeheckt haben?«

»Zu einer Bezichtigung reicht das Beweismaterial nicht aus. Meine Mutmaßungen bewegen sich allerdings auf dieser Linie!«

»Sie sehen Gespenster am hellichten Tage, Doktor! — — Onkel Hans meinte schon, an Ihnen sei ein Detektiv verlorengegangen!« Evelyne war ehrlich empört. Empfand sie auch keinerlei Gefühl der Zuneigung zu ihrer Stiefmutter, so lehnte sie dennoch solche Gedankengänge um des Vaters willen ab, dessen Gattin in solch entwürdigendem Verdacht stand. Sie fuhr fort:

»Wenn Sie schon so weitgehende Folgerungen aus dem Brief ziehen, dann möchte ich auch wissen, welche Rolle mir zugedacht sein soll, um das nach Ihrer Ansicht begonnene Spiel zu vollenden!«

Ohne der Herausforderung zu achten, meinte Förster:»Organisationen, die den alleinigen Zweck haben, hinter die Geheimnisverfahren ihrer Gegner zu kommen, beienen sich meist männlicher Agenten. Vorzügliche, oft noch bessere Dienste leisten aber auch geschickt angesetzte Frauen!«

Diese Offenbarung verschlug Evelyne die Sprache.

Der Doktor sprach weiter:

»Die Herrschaften unten in Benguella scheinen mit ihrer Kunst am Ende zu sein, versuchen es nun mit anderen Methoden. Man hat Beziehungen zu Ihnen, Sie befinden sich gerade eben in diesem Lande, Sie sprechen hervorragend Deutsch!« — — —

»Und dann sollte man Sie in dem Augenblick, als wir uns durch Zufall kennengelernt haben, mit Bomben um die Ecke bringen wollen und ruft mich durch ein Telegramm zur Küste? — — Nehmen Sie es mir nicht übel, Doktor, Ihre Logik scheint bei dem Flugzeugunfall bedenklich gelitten zu haben.«

Förster lachte belustigt:

»Gerade das Telegramm beweist, daß die Anstifter des Bombenüberfalls mit Ihrer Stiefmutter in Verbindung stehen und sehr wahrscheinlich den Inhalt des Briefes kennen. Man kann nicht an einen wildfremden Menschen im afrikanischen Busch telegraphieren, wenn man nicht weiß, wie er heißt und wo er steckt. Man kann aber sehr wohl einen bekannten Menschen rasch abberufen, wenn man ihn einer drohenden Gefahr entziehen will. — — Die von Ihnen soeben arg beanstandete Logik läßt aus der gegebenen Tatsache eine einzige Schlußfolgerung zu: Ursprünglich lag nur ein Plan vor, siehe Brief. Der wurde überholt durch einen zweiten, siehe die Attentate. Daß der Schnittpunkt beider Planungen zufällig in Camátia, an Ihrem Aufenthaltsorte, lag, schuf Verwirrung und stellt ein ausgesuchtes Pech für meine Gegner dar. Doch diesem Zufall verdanke ich obendrein wertvolle Erkenntnisse.«

»Sie haben ja eine allerliebstee Meinung von meinen Landsleuten!« war die ablehnende Antwort Evelynes.

»Es handelt sich dabei nicht um Ihre Landsleute im allgemeinen«, entgegnete Förster, »sondern um eine Handvoll Gauner, mit denen ich allerdings sehr trübe Erfahrungen machen mußte. — — — Wäre es nicht zu überlegen, Fräulein Hard, ob Sie nicht doch lieber in Benguella Abstand von Ihrem Besuch nehmen?«

»Ausgeschlossen! Ich will so rasch wie möglich erfahren, was Dadd zugestoßen ist!«

»Ich fürchte — — —«

Da öffnete sich die Abteiltür. Felten kam und fragte, ob er den Morgenkaffee bestellen solle.

Förster nickte nur und legte die Papiere zusammen. Bald erschien der schwarze Boy mit dem Frühstück. Der Pilot berichtete begeistert von den Eindrücken der nächtlichen Fahrt, dem raschen Sonnenaufgang, der fast plötzlichen Veränderung der Landschaft, und hieb unbeschwert in die dargebotenen Genüsse ein.

Evelyne war sehr schweigsam.

*

Von San Pedro bis Lengue überwand der Zug einhundertvierzig Meter Gefälle auf vier Kilometer Länge. Eine Zahnradstrecke, meisterhaft den Windungen einer jäh abfallenden Regenschlucht angepaßt, führte über mehrere Brücken zur weiten Ebene von Benguella.

Felten hatte den Lokomotivwechsel in San Pedro benutzt, um mit dem Werk zu telefonieren und den Kraftwagen zum Bahnhof zu bestellen, dann hatte er wieder seine Plattform aufgesucht, das Wunderwerk der Technik in Muße zu betrachten.

Förster und Evelyne waren allein im Abteil.

»Unter den obwaltenden Umständen halte ich es für das Beste, wenn Sie mit mir fahren. Ich verfüge über einige Gastzimmer, die ich Ihnen gerne anbiete!«

»Ich nehme Ihre Einladung und den damit verbundenen Schutz dankbar an. Und gestehe, daß mir ein Stein vom Herzen gefallen ist. Im Hotel hätte ich keine Ruhe gefunden. Der Gedanke quälte mich schon lange.«

»Gut! Das wäre also klargestellt! Noch heute vormittag bringt Sie mein Wagen zu Ihren Landsleuten. Berichten Sie dort getrost, daß Sie bei mir wohnen.

Nur eine Bitte habe ich: Alle Vorgänge auf und um Camátia schildern Sie wahrheitsgetreu, besonders was meine Person anbetrifft. Doch von dem nächtlichen Flugzeugangriff und seinen tödlichen Folgen für die Besatzung, von dem sichergestellten Sender wissen Sie nichts! — — Prägen Sie sich dieses bitte gut ein. Ich fürchte, daß man Sie in ein Kreuzverhör nehmen wird.«

»Keine Sorge, Doktor!«

»Fragt man Sie, warum ich mit meinem kranken Fuß nicht länger auf der Farm geblieben bin, so sagen Sie, ich hätte ein Telegramm bekommen, das mich in große Erregung versetzt habe. Das wäre auch der Anlaß zur Mitreise gewesen. In meinem Werk solle irgend etwas nicht stimmen. Mehr nicht!«

Sie nickte.

Das letzte Stück der Bahn führte durch fast trostlose, flache Wüste. Nur an Stellen künstlicher Bewässerung wucherte üppiger Pflanzenwuchs.

Die ersten Häuser der Stadt wurden sichtbar. Der Zug verlangsamte die Fahrt, Bremsen knirschten. Träge kamen die schweren Pullmanwaggons vor dem offenen Bahnsteig zum Stehen.

Durch eine große Menge weißer und schwarzer Schaulustiger schaffte sich Felten, den humpelnden Doktor stützend, Bahn. Neger trugen das Gepäck.

Sie stiegen, vielfach begafft, in den vor dem Bahnhof parkenden großen Kraftwagen, der sofort abfuhr.

*

In einer der stillen Seitenstraßen Benguellas führte ein Holztor zu einem weiten, geräumigen, von hohen Steinmauern umsäumten Hof, in den ein zweistöckiges, weißgetünchtes Gebäude hineinragte, das an zwei Fronten galerieartige Balkone umliefen. Von der Straße bot sich ein festungsgleicher Anblick, der nur im Hof freundliche Auflockerung erfuhr.

Die alte Hafenstadt war vor einigen Jahrhunderten Hauptsammelplatz der Sklavenkarawanen aus dem Inneren des Landes. Viele solcher mauerbegrenzter Höfe zeugen heute noch von jenem grausamen Handel mit Menschenware, die einst hier eingepfercht auf den Abtransport nach dem fernen Kontinent in glühender Sonnenglut warten mußte.

Eine Steintreppe wies den Weg ins Innere des vormaligen Sklavenjägerhauses. Angenehme Kühle hätte einen Besucher empfangen, der den jalousieverdunkelten Arbeitsraum des Chefs der ›International Trading Company' betrat. Das Zimmer war leer. Vor den bis zum Boden herabreichenden Fensterläden aus schmalen grünen Brettchen, die die drückende Hitze dieses Küstengebiets abwehren halfen, schlief behaglich eine Katze. Sie schien durch die Licht-Schatten-Wirkung der Jalousie wie ein Zebra gestreift.

Schritte nahten auf dem pflasterharten Hof. Ein hagerer Mensch, um dessen knochigen Körper der schlechtsitzende weiße Anzug schlotterte, nahm gemächlich die Stufen, betrat den Raum. Beim Anblick der schlafenden Katze überlief Schadenfreude die habichtartigen Züge. Sachte nahm er den Tropenhelm vom Kopf und zielte kurz. Mit miauendem Wehgeschrei ergriff das getroffene Tier die Flucht.

Der Lärm wirkte.

»Hallo, Jim Williams?« tönte eine quäkende Stimme aus dem Nebenzimmer.

»Wer sonst, Chief!« antwortete der Hagere, der sich in einen der breiten, kühlen Ledersessel fallen ließ.

»Ich komme!«

Gleich darauf betrat der mit Chief Angeredete den Raum. Seine Rundlichkeit ließ nichts zu wünschen übrig. Rosig glänzten die Polster des geschwollenen Gesichtes.

Mit einer Leichtigkeit, die man dem schweren, untersetzten Körper kaum zugetraut hätte, glitt er in den Klubsessel, den ein Rauchtisch von jenem seines Gegenübers trennte.

»Was haben Sie festgestellt?«

»Sie sind beide da; fuhren sofort ins Werk!« Williams unterbrach seinen Bericht, rief, laut in die Hände klatschend:

»Pedro!«

»Sie, senhor!«

»Bring die Flaschen und Eis!«

»Sie, senhor!«

Der Boy schob einen Metalltisch herein und zog sich sogleich wieder zurück.

Der Hagere mischte Whisky, Eisstückchen und Soda, rührte im Glas, setzte an. Der Inhalt verschwand in einem Zuge.

Chief Walker blickte nachdenklich auf. Die soeben erfahrene Neuigkeit barg eine Fülle höchst verheißungsvoller Aussichten.

»Sie fuhren beide in das Werk? — — Das ist Tatsache, Williams?«

»Kein Zweifel, Chief! — — Ich fuhr mit einem Taxi bis zum Stadtausgang hinterher, um sicher zu sein, daß Miß Hard nicht etwa zu einem Hotel gebracht würde!«

»Hmm! — Vereinfacht den Fall außerordentlich. — — Welchen Eindruck machten die zwei?«

»Der Doktor trägt einen Fuß im Verband. Felten mußte ihn beim Gehen stützen. Die Hard sah sehr bedrückt drein.«

»So, hat er doch etwas abbekommen! — — — Diesen blödsinnigen Higgins soll der Teufel holen!« brauste Walker auf. »Seine Gewaltmethoden dürften den Dümmsten stutzig machen!«

Der Temperamentsausbruch verebbte so rasch, wie er gekommen war. Die Mienen glätteten sich:

»Sie fuhren beide ins Werk! — — Sieh da, sieh da! Da hat mir dieser verdammte Narr, ohne es zu wollen, viel Arbeit erspart!«

Doch plötzlich befiel ihn Mißtrauen. Seine Pläne erfüllten sich viel rascher, als er je hätte erhoffen können.

»Sie täuschen sich nicht, daß es die Hard war?«

»Jeder Irrtum ausgeschlossen, Chief! Habe sie sofort wiedererkannt!«

Walker wollte ganz sicher gehen, stand auf und entnahm einem stählernen Wandschrank ein Aktenbündel.

In seinen Ledersessel zurückgelehnt, blätterte er, fand das Gesuchte und reichte über den Tisch hinweg eine Fotografie.

»Das ist sie also?«

Jim Williams nahm das Bild, prüfte kurz.

»Ja, gewiß ist sie es!«

»Ist es nicht, Williams! — — Sie haben recht schlecht bebachtet!«

»Was meinen Sie hierzu?« und damit hielt er dem Verdutzten eine zweite Fotografie hin.

Williams verglich die beiden Bilder.

»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Chief! Seit Tagen trage ich diesen Abzug mit mir herum« — er griff in seine Rocktasche —, »mir die Züge einzuprägen, und jetzt behaupten Sie, ich hätte mich getäuscht? — — Es war niemand anderes als Miß Hard, die mit dem D. G. D. aus dem Zuge stieg. Jeder Irrtum ist ausgeschlossen!«

»Um so besser!« Walker atmete sichtlich zufrieden auf. »Ich habe nur etwas feststellen wollen.«

Verständnislos schüttelte Williams den Kopf.

»Darf ich wissen, was?«

»Daß die Ähnlichkeit tatsächlich sehr groß ist! — — — Die Aufnahmen stellen zwei Frauen dar, nicht eine, wie Sie annehmen. Ich gab Ihnen den Abzug eines Bildes, dessen Original in Deutschland lebt. Sie erkannten darin aber Miß Hard wieder. Einer besseren Bestätigung bedurfte es nicht, meine letzten Bedenken zu zerstreuen.«

Williams war zwar gewohnt, daß sein Herr und Meister in all seinen Planungen sehr behutsam und weitschauend vorging. Ihn aber mit einem falschen Foto auf die Fährte zu setzen, überstieg sein Fassungsvermögen.

Aus dem rosigen Gesicht des Chiefs glänzte befriedigte Eitelkeit. Als ob es sich um völlig Belangloses handelte, fuhr er fort:

»Ich erwarte übrigens Miß Hard noch heute vormittag!«

»Die Hard?« Ein Ausruf höchster Verblüffung. In Jim Williams begannen längst vermutete Zusammenhänge greifbarere Formen anzunehmen.

»Sie soll also — — —!«

»Indeed! — Sie soll!«

»Und die andere — — —?«

»Hören Sie, Williams! — — Die Zeit drängt. — Ich muß mich kurz fassen. Lernte bei meinem letzten Aufenthalt in den Staaten die Hards auf ihrer Farm kennen. Er ist Deutscher. Eine Verwandte von mir, seine viel jüngere zweite Frau. — — Tochter aus erster Ehe ist jene, die bald hier vorsprechen wird. Sie traf damals gerade ihre Vorbereitungen, nach Angola zu einem Onkel zu fahren. Interessierte mich nur, weil sie in dieses Land reisen wollte. Meine Pläne entstanden erst später. Ihr Gesicht ließ mich nicht los. Kannte es genau und wußte es doch nicht unterzubringen. Alles Grübeln zwecklos!

Beim Studieren der Akten Förster wurde einige Tage darauf meinem Gedächtnis nachgeholfen. — — Passen Sie jetzt gut auf, Williams!«

Dieser griff rasch nach den Zigaretten auf dem Rauchtisch und beugte sich wißbegierig vor.

»Der Doktor hatte als Student eine große Liebe!« Über des Hageren Züge lief spöttische Genugtuung. Recht gründlich schien das Vorleben des D.G.D. ausgeforscht worden zu sein.

»Er und die Angebetete, ebenfalls Studentin, arbeiteten im selben Universitätsinstitut«, berichtete Walker gleichmütig.

»Gemeinsame wissenschaftliche Interessen schmiedeten diezwei noch enger zusammen. Er war damals ein armer Teufel, konnte wenig bieten, und sie wollte hoch hinaus! — — Ein dritter trat auf den Plan. Der hochachtbare Professor hatte Feuer an seiner Doktorandin gefangen. Gegen diese übermächtige Konkurrenz kam der jugendliche Held nicht auf. Die Beziehungen erkalteten auf ihrer Seite immer mehr, und eines Tages war die Heißgeliebte mit dem anderen verlobt und bald darauf verheiratet!«

»Oh, schade!« Glänzend gespieltes Mitleid verdunkelte das schadenfrohe Habichtsgesicht. Dann blickte er lauernd auf.

»Verstehe ich Sie recht, Chief, so trug ich die Fotografie der damaligen Braut bei mir?«

»Hum!« Bejahendes Kopfnicken.

»Und die Ähnlichkeit mit Miß Hard ist so groß, daß — —«

»Ich darauf meine Pläne aufbaute!« ergänzte Walker den Satz.

»Teufel! — — Das haben Sie gut eingefädelt! Das war ein meisterhafter Gedanke, Ihrer würdig, Chief!«

Geschmeichelt nahm Walker das Kompliment zur Kenntnis und rieb sich die Hände.

»Würde wohl etwas länger gedauert haben, die Hard mit dem D. G. D. zusammenzubringen, wenn dieser Gewaltnarr von Higgins das Flugzeug nicht ausgerechnet bei Camátia zum Absturz gebracht hätte. So liefen sie sich direkt in die Arme! Obendrein hat allem Anschein nach der großmütige Herr die alleinreisende Dame unter seinen Schutz genommen, läßt sie sogar bei sich wohnen. Konnte nicht besser kommen, nicht besser kommen!« Noch immer rieb sich Walker die Hände. Er glich einem verzückten Faun.

»Ich mußte sonst mit der Tatsache rechnen, daß der D.G.D. seit jenem Reinfall ein unerbittlicher Weiberfeind geworden und sehr mißtrauisch ist. Doch es gibt so etwas wie verdrängte Komplexe. Männer, und gerade geistig hervorragende, bevorzugen einen ausgesprochenen Typ von Frauen. Die Hard ist dieser Typ! Außerdem sieben Jahre jünger als Numero eins. Darauf baute ich meine Pläne auf. Ohne eine Mittelsperson im Goldwerk gelangen wir nicht ans Ziel! Ist Ihnen alles klar, Williams?«

»Gewiß, gewiß, sonnenklar, Mister Walker!«

»Na, dann lesen Sie rasch noch dieses Schreiben hier!« — der Chief blätterte in den Akten und reichte ihm einen Bogen — »damit Sie nachher über alles im Bilde sind!« Es war die Abschrift des Briefes der Stiefmutter an Evelyne.

»Wie haben Sie das nur wieder fertigbekommen?« Williams wußte zu gut, wie er der Eitelkeit seines Herrn schmeicheln konnte.

»Frau Hard, meine Nichte, sonst kein übles Wesen, braucht viel Geld. Hat die Dummheit gemacht, bei der Eheschließung ihre beachtlichen Schulden zu verschweigen. Saß in der Klemme! — — Haßt außerdem die erwachsene Stieftochter als lästige Nebenbuhlerin um die Gunst des sehr begüterten Gatten. Versprach ihr, diese Konkurrenz hier in Mißkredit zu bringen. Eine Anzahlung schaffte ihr einige ungeduldige Gläubiger vom Halse. Mit dem Rest halte ich sie mir an der Kette. Die Frau ist brauchbar, in unseren Diensten zu arbeiten, der Brief wird seine Schuldigkeit tun. Miß Hard liebt ihren Vater über alles. — — Jetzt rasch noch einige Stichworte zu diesem erwarteten Besuch!«

Walker und Williams berieten eine Weile, dann stand dieser auf.

»Chief, ich werde jetzt mal im Store nach dem Rechten sehen!«

»Gut! — Rufe Sie, wenn sie da ist! Muß bald kommen. Ihre Rolle kennen Sie. Feines Benehmen, größte Zurückhaltung! — — Übrigens, ziehen Sie einen frischen, neuen Anzug an! — — Macht besseren Eindruck!«

»All right, Chief!«

Die schlottrige, lange Gestalt verließß den Raum.

Die Tür tat sich nochmals auf.

»Chief, ist inzwischen Nachricht von den Fliegern gekommen?«

»Idioten!« Der Dicke brauste cholerisch auf. »Sollen sich allein durchschlagen. — — Blödsinniger Plan Higgins! — — Teufel weiß, was die noch anrichten! — — Genick brechen wäre besser gewesen!«

»All right, Chief!«

Die Tür schloß sich wieder.

*

»Herr Doktor läßt sich entschuldigen, Fräulein Hard!« empfing der Pförtner des Werkes Evelyne, als der Kraftwagen im schwarzen, runden Betonbunker hielt.

Er geleitete sie zu dem geräumigen Aufzug.

»Sie möchten mit dem Mittagessen nicht auf ihn warten. Wichtige Arbeit liegt vor. Herr Doktor wird anrufen!«

»Danke Ihnen!«

Rasselnd schloß sich die Gittertür. Der Aufzug glitt in die Tiefe.

Im zweiten unterirdischen Stockwerk befanden sich die Wohnräume. Evelyne schritt durch die hellerleuchteten Gänge und betrat ihr Gastzimmer.

Erschöpft fiel sie in einen Sessel. Sie war dem Weinen nahe. Alle bisher zur Schau getragene Beherrschung drohte sie zu verlassen.

»Das ist unmöglich! — — Das kann nicht sein!« Ein gequälter Schrei drang in die Stille.

Sie rang nach Fassung, suchte die wirr einstürmenden Gedanken zu ordnen.

Doktor Förster hatte sich in seinen phantasievollen Gedankengängen gründlich geirrt. Das stand einwandfrei fest. Sie war von ihren Landsleuten in dem großen, vornehmen Hause mit einer Zuvorkommenheit und einer zarten Rücksichtnahme empfangen worden, wie sie nur wahren Gentlemen eigen zu sein pflegten.

Besonders der neue ›Onkel‹, den sie schon auf der Farm ihres Vaters kennengelernt hatte, war über jeden Zweifel erhaben. Sie hatte ihn sofort wiedererkannt.

In warmer, väterlicher Zuneigung wußte er ihr die nun einmal nicht aus der Welt zu schaffenden Tatsachen mit feinem Taktgefühl näherzubringen.

Er erkannte freimütig an, daß er kein Verständnis für die Handlungsweise seiner Nichte habe.

Solch aufrichtige, treue und offenherzige Männer wie Mister Hard gäbe es kaum noch einmal auf dieser geldgierigen Welt. Das Einstehen für die Schulden seiner Gattin beweise nur aufs neue den makellosen Charakter.

Evelyne sann. Sie konnte sich gut vorstellen, daß der Vater bereit war, das Letzte für die vergötterte Frau zu opfern. Wie sagte doch Mister Walker?

Nur allein geschäftliche Unerfahrenheit verbunden mit dem Wunsch, die erforderlichen Mittel zu beschaffen, habe einen solch gefestigten Menschen zur Börsenspekulation veranlassen können.

Man hatte Erfrischungen angeboten und hatte später, als der Sturm der Seele in ihr abebbte, von Doktor Förster mit großer Achtung gesprochen.

Mister Walker wußte bereits durch einen Regierungsbeamten von dem bedauerlichen Flugzeugunfall, der gottlob ohne ernstliche Folgen verlaufen sei.

Der hagere Williams betonte gedämpft, daß der Menschheit ein unersetzlicher Verlust widerfahren wäre, wenn ein solch hervorragender Forscher auf so tragische Weise sein Leben eingebüßt hätte.

Und Evelyne hatte bedenkenlos die sehr zurückhaltenden kleinen Zwischenfragen beantwortet. Man achtete zu sehr ihre Stimmung.

Eines stand fest, Doktor Förster war sehr im Unrecht. Morgen sollte sie zu Mister Walker wiederkommen. Er erwartete ein Telegramm. Dann erst könne man gemeinsam beraten, wie noch Hilfe möglich sei.

»Dadd, lieber Dadd, wenn ich jetzt doch bei dir wäre!«

Das fassungslose Mädchen schluchzte laut und barg verzweifelt den Kopf in den Armen.

*

Als Evelyne ihre Beherrschung wiedergewonnen hatte, ging sie in das anstoßende Badezimmer, den Staub Benguellas abzuduschen. Das kalte Wasser erfrischte Körper und Sinne.

Auf telefonische Anfrage nach ihren Wünschen zum Mittagessen bat sie, zu warten, bis Doktor Förster seine Arbeit beendigt habe. Sie fühle noch keinen Appetit. Man möge ihr inzwischen ein Glas Vermouth-Bitter schicken.

Die Uhr ging auf eins.

Warum ließ der Herr des Hauses nichts von sich hören? Seltsames Verhalten!

Da schrillte abermals das Telefon.

Evelyne nahm den Hörer ab.

Peter Förster bat, sein langes Fernbleiben zu entschuldigen. Die Erklärung werde er bald persönlich geben. Ob sie einverstanden sei, in etwa zehn Minuten Versöhnung zu feiern?

Sie bejahte, leichten Vorwurf in der Stimme, dennoch war sie beglückt, des quälenden Alleinseins enthoben zu werden. Jetzt ließ sie den Bademantel von den Schultern gleiten und entnahm dem geöffneten Koffer ein leichtes Seidenkleid, in das sie behend hineinschlüpfte. Dann schritt sie zum Spiegel, um die Haare zu ordnen.

Es klopfte.

»Ja, bitte!«

Peter Förster erschien. Er sah leicht abgespannt aus, doch seine Augen strahlten. Die Hände hielt er auf dem Rücken verschränkt.

»Sie sind sehr ungehalten, Fräulein Hard?«

»Na! — — — Ich fühle mich etwas vernachlässigt!« sagte sie lächelnd.

»Eine kleine Buße!« Er reichte ihr eine verstecktgehaltene, wundervolle, langstielige, rote Rose. Da erst gewahrte er das kostbare Seidenkleid.

»Herrgott! Fräulein Hard! — — Sie sehen ja aus wie eine leibhaftige Dame. So kenne ich Sie noch gar nicht.«

»Ich bin ja auch nicht mehr im wilden Busch, sondern in einer überraschend kultivierten Umgebung!«

»Dank für das hübsche Kompliment!« Förster lachte zufrieden.

»Und ich danke für die prachtvolle Rose!« entgegnete Evelyne und sog deren köstlichen Duft tief ein.

»Wie kommen Sie hier in diesem unterirdischen Gefängnis zu solch seltenen Schätzen?«

»Eine kleine Liebhaberei von mir, Blumen zu züchten.«

»Doch nicht etwa hier unten, ohne Licht und Sonne?«

»Mit künstlicher Sonne geht es genau so gut, vielleicht noch besser, weil ich alle Regelmöglichkeiten in meiner Hand habe.«

»Kaum zu glauben! Doktor, Sie haben mir eine große Freude bereitet. Rosen sind meine Lieblinge unter den Blumen.«

Sie erblickte eine hohe Vase auf dem Schreibtisch, füllte sie rasch mit Wasser und steckte mit feiner Behutsamkeit die außergewöhnlich schöne Blüte hinein.

»Können wir jetzt essen gehen, Fräulein Hard? — — Ich gestehe offen, daß mir nach aller Arbeit der Magen beträchtlich knurrt.«

»Gewiß, Doktor! — — Sofort! — Hab' ja lang genug warten müssen.«

»O weh! — — — Und die Rose?«

»Gut, Sie pflichtvergessener Gastgeber, dann habe ich keine Sekunde gewartet! Werd' mir aber merken, wie man hier zu Rosen kommt!« Sie lachte so frisch und kameradschaftlich, daß Peter Försters Herz warm wurde.

Sie schritten nebeneinander durch den Gang. Förster bemühte sich, die Gehbehinderung nicht in Erscheinung treten zu lassen.

»Hier bitte!« Sie betraten das Eßzimmer.

Von einem unerwarteten Anblick betroffen, verharrte Evelyne auf der Schwelle.

»Doktor!« Ein seliger Ausruf des Entzückens. »Diese Blumen im Wintergarten! — Die strahlende Sonne!«

»Ist leider künstlich! — Die Blumen aber sind echt!« Genugtuung blickte aus seinen Augen.

Er schloß die Tür.

*

Der Herr des Werkes hatte zum Staunen Evelynes einen sehr guten Appetit entwickelt.

Das Essen war beendet. Sie schickten sich gerade an, zum Kaffee den ›Wintergarten‹ aufzusuchen, als erneut das Telefon schrillte.

Das Gespräch war kurz.

»Ich komme sofort!« hörte Evelyne.

Dennoch geleitete sie der Doktor zuvorkommend hinüber und wies dabei auf einige besonders schöne Exemplare in der lichtüberstrahlten Blumenfülle.

Dann bat er seinen Gast, vorerst seine Abwesenheit zu entschuldigen, er hoffe, in einer kleinen Viertelstunde zurück zu sein. Die Dringlichkeit des Anrufs hindere ihn, ihr endlich einmal ungestört Gesellschaft zu leisten.

Evelyne war allein.

Ein Diener räumte geräuschlos den Tisch im Nebenraum ab.

Ihre Gedanken weilten bei dem, was sie eben vernommen hatte.

Förster hatte sein langes Ausbleiben wahrlich belegen können.

Sie sann über den Bericht.

Gestern in den frühen Morgenstunden, vor Sonnenaufgang, waren Unregelmäßigkeiten in der Meerwasserzufuhr aufgetreten. Die Turbinen sogen nicht mehr die normale Menge durch. Der wachhabende Ingenieur schaltete die gesamte Anlage kurz auf ›rückwärts‹, ein erprobtes Mittel, um die vor die Schutzgatter der Ansaugrohre getriebenen Hemmnisse fortzuspülen. Doch selbst nach erneuter Umstellung der Turbinen auf Vorwärtsbewegung war die Leistung nicht befriedigend. Förster erklärte Evelyne, daß aus technischen Sicherheitsgründen das Hauptansaugrohr unter dem Meeresspiegel sich fächerartig in mehrere kleinere aufteile, von denen stets nur eine Hälfte in Betrieb sei, die andere wahlweise zu- und abgeschaltet werden könne, falls Treibholz, Tanginseln oder andere unterseeisch schwimmende Störenfriede Verstopfung verursachten.

Der Ingenieur sei nicht mehr dazu gekommen, diese Vorrichtung in Tätigkeit zu setzen, da zwei fast gleichzeitige

dumpfe Detonationen das schwere Betonwerk hätten erbeben lassen.

Er habe dann das Vernünftigste getan, was er tun konnte, die gesamte Anlage stillgelegt und sofort im Geheimcode telegrafiert. Es wäre nur gut gewesen, daß wenige Stunden vorher das Telegramm aus Camátia angekommen sei.

Es folgte dann eine Schilderung der Tätigkeit Försters an diesem Vormittag, die Evelyne kaltes Gruseln verursachte. Das Werk besaß für Reparatur- und Kontrollzwecke ein Taucherfahrzeug mit einem wasser- und druckdichten Stahlaufbau. Kabel verbanden den Großscheinwerfer wie das Kommandotelefon mit der Zentrale. |

Der Doktor berichtete, wie er eingestiegen sei, die Luke verschraubt habe und dann in das gewaltige Ansaugrohr eingeschleust worden sei. Die Fortbewegung des kleinen Panzerungetüms auf Gummirädern in dieser tunnelgleichen Leichtmetallröhre erfolge allein durch den Wasserstrom, dessen Geschwindigkeit seine telefonische Kommandodurchgabe an den Turbinenwärter regele. Je nachdem diese Maschinen vor oder rückwärts liefen, bewege sich auch das Taucherfahrzeug.

Größte Wachsamkeit und peinlich genaues Eingespieltsein erfordere das Befahren der kleineren Endrohre. Nur eines sei in solchem Falle jeweils geöffnet, sämtliche anderen durch die ferngesteuerten Verschlußklappen von der treibenden Gewalt der durchströmenden Wassermenge abgeschlossen.

Im ungestörten Betrieb sei eine derartige Kontrolifahrt ziemlich glatt verlaufen.

Die Folgen der Sprengwirkung habe aber unberechenbare Nebenströmungen und Wirbel verursacht. Es sei nicht schön gewesen! — — Darum habe er sich auch so verspätet.

Reserveverschlußtüren, die nur mit dem Greiferarm des Tauchgerätes in Tätigkeit gesetzt und verriegelt werden könnten, würden jetzt durch ein Mitglied der Belegschaft, einen ausgebildeten Spezialtaucher, zugedrückt und abgedichtet. —

In etwa zwei Stunden, wenn alles klappe, könne die Goldgewinnungsanlage wieder voll anlaufen.

Ihr Gastgeber hatte seinen knappen Bericht so anspruchslos vorgetragen, daß alle Schwierigkeiten belanglos erschienen. Sie konnte sich aber des Empfindens nicht erwehren, daß da unter Wasser ein bitterer Kampf gegen die Elemente stattgefunden hatte, bis die endgültige Feststellung der verursachten Zerstörung von einem willensharten Mann erzwungen worden war.

Wenn derartige Versuche, das Werk durch guteingestellte Tiefentreibminen zu schädigen, sich wiederholen würden, könnte die Angelegenheit etwas kostspielig werden. Ein Hochseetaucherschiff mit den erforderlichen Ersatzrohren müsse jetzt aus Europa angefordert werden, um den alten Zustand wieder herzustellen.

Auch habe er den Plan erwogen, Schnellboote anzukaufen, die mit Einverständnis der portugiesischen Regierung das Gebiet des Ansaug- und Ausstoß-Rohrsystems in weitem Umfang bewachen sollten. Schiffe, Mannschaftslöhne, Betriebsstoff und viele weitere Bedingtheiten würden aber erheblich gesteigerte Mehrkosten der Produktion verursachen. Alles in allem eine teuflisch gut durchdachte Offensive seiner Gegner, ihn schachmatt zu setzen.

Die Anwesenheit des Dieners bot keine Veranlassung, sich Zurückhaltung aufzuerlegen. Die wenigen, als zuverlässig erprobten Hilfskräfte des Werkes wußten längst Bescheid. In solch verschworener Kumpanei gab es keine Geheimnisse. Die Sicherheit des Auftretens aller war Beweis genug. Das hatte sie sehr stark empfunden.

Evelynes mühsam errichtetes Gedankengebäude drohte einzustürzen.

Wem sollte man Glauben schenken?

Der Diener machte sich wieder im Nebenraum zu schaffen, nahte dann höflich und meldete, Herr Doktor sei in wenigen Minuten zurück. Er erlaube sich, den kaltgewordenen Kaffee fortzunehmen.

*

»Ich schickte mich schon an, abermals in das Taucherfahrzeug zu klettern, um den Unglücklichen aus seiner mißlichen Lage zu befreien, besser gesagt, den mir hoffnungslos erscheinenden Versuch zu unternehmen, da meldete er, es sei ihm gelungen, aus eigener Kraft loszukommen.

Uns allen fiel ein Stein vom Herzen. Er lebte, und was ich geradezu bewundere, er arbeitet weiter, tief unter dem Meeresspiegel.«

»Aber, Doktor! — — Kann man denn nicht einer solch infamen Gesellschaft, die Treibminen auswirft und Menschenleben in höchste Gefahr bringt, das Handwerk legen?«

»Was wollen Sie machen? — — Wissen Sie, wer der Täter ist? — — Hat ihn je einer beobachtet? — — Die allmächtige ›International Gold' zu verdächtigen — ohne handgreifliche Beweise, das wäre glatter Wahnsinn. Die Minen können doch zufällig im Sturm von einem Kriegsschift losgerissen und ins Meer gefallen sein. Der Benguellastrom driftete sie nordwärts. Ich allein bin doch nur an meinem Unglück schuld, da meine Ansaugrohre sich die gefährlichen Dinger vor den Schlund gerissen haben. Da müssen sie doch explodieren!«

»Das Märchen glauben Sie doch selbst nicht, Doktor!«

»Warum soll ich das nicht glauben? — — Es gehört nur die nötige Portion Frechheit dazu, eine so unverfrorene Behauptung mit mildem Augenaufschlag dem schwer Geschädigten als einzig mögliche Erklärung der tiefbedauerlichen Unterwasserunfälle beharrlich zu wiederholen, und er glaubt sie schließlich selbst.«

»Aber Sie doch nicht!«

»Das hängt davon ab, welches Verhalten einem die jeweilige Lage aufzwingt!«

»Doktor! — — Sie sind mir manchmal unheimlich!«

»Fräulein Hard!« — Die Stimme hob sich. »Man hat mich so weit gebracht, daß mir heute jedes Mittel recht ist, meinem Lebenswerk zum Siege zu verhelfen! — — Doch ich bitte Sie: haben Sie volles Vertrauen zu mir, Fräulein Hard! — Aber lassen wir jetzt meine Sorgen! — — Berichten Sie von den Ihren! Es war schon egoistisch genug, Sie dauernd mit meinem Kram zu behelligen. — — Hab' mir zwischendurch manche Vorwürfe gemacht: Hör doch endlich mit deiner Erzählerei auf! Da drüben sitzt ein Menschenkind, das mehr als ein Recht besitzt — — —«

»Ja! Ich komme!« Er sprang auf.

Der Diener hatte geklopft und Peter Förster an den Apparat gebeten.

Förster entschuldigte sich für einen Augenblick.

»Na, Gott sei Dank! — — Die C-Spritze geben! — — Sofort schlafen legen! — — Typische Überdruckerscheinungen!«

»Wie?«

»Jawohl! — — Anlage noch zwei Stunden rückwärtslaufen lassen!«

»Nein — — nein, auf keinen Fall! & ;Können sonst noch tagelang warten. — — — Muß eben gewagt werden!«

»Gegen fünf fahre ich erst.«

»Auch dort zu erreichen! — — Danke!«

Evelyne hatte jedes Wort vernommen. Es war ihr nicht schwergefallen, die Bruchstücke sinnvoll zusammenzureimen.

Um fünf wollte Förster fahren? — — Es war drei! Das drückende Empfinden, im Verlauf dieses unruhigen Tages nicht mehr zu der so dringend herbeigewünschten Aussprache zu kommen, wich.

Die letzten Worte bewiesen, wie stark seine Anteilnahme war. Sie sann über diesen Menschen. Widerspruchsvoll und unehrlich? Nein, das war er niemals! Von den ewigen Kämpfen hart mitgenommen, aber von einer wohltuend starken Aufrichtigkeit und Lauterkeit. Das bedeutete aber, daß doch die andere Seite, die sie weit weniger kannte, des beschuldigten, frevelhaften Spiels mit ihr fähig war.

Sie sah nicht mehr klar, alles verwirrte sich.

»Jetzt stehe ich Ihnen endlich zur Verfügung! — — Ich mußte noch einige Anweisungen an die Zentrale geben. — —Seien Sie unbesorgt, in den nächsten zwei Stunden geschieht nichts, was uns stören könnte. — — Wollen Sie nun von Ihren Erlebnissen heute früh berichten?«

Förster lehnte sich, nachdem er in einem breiten hellen Rohrsessel Platz genommen hatte, bequem zurück.

Evelyne kam der Aufforderung nach. Sie schilderte in der ihr eigenen anschaulichen Art das Haus, den Empfang, die Zuvorkommenheit der beiden Herren, erzählte, daß Walker ein flüchtiger Bekannter und sogar eine Art Großonkel sei, und legte schließlich zögernd den Kern der ihr so peinlichen Angelegenheit bloß; des Vaters Schulden um der Frau willen, die verfehlte Spekulation und den nahenden Bankrott. Sie verheimlichte auch nicht, daß der ›Onkel‹ empört über das Verhalten der Nichte sei, ihr sogar versprochen habe, mit seinen Mitteln im Rahmen des Möglichen zur Verfügung zu stehen. Nur sei die Höhe der erforderlichen Summe noch nicht bekannt. Er erwarte stündlich das entscheidende Telegramm.

Sie hatte sich in der Vorstellung des jüngst Erlebten warm gesprochen, berichtete zuletzt, wie um einen Trumpf auszuspielen, von der herzlichen Anteilnahme der beiden an Försters Unfall und den lobenden Worten für den großen Forscher. Ohne es zu wollen, hatte sie wieder Partei für die Hilfsbereiten ergriffen, empfand das plötzlich jedoch ganz klar und wurde unsicher.

Nach einigen belanglosen Sätzen schwieg sie und blickte ihr Gegenüber an.

Gedankenverloren zauste Försters Linke den Spitzbart. Er hatte zu aufmerksam zugehört und beobachtet. Nichts war ihm entgangen.

Genau so, wie ich mir die Entwicklung gedacht habe, sann er. — — Verteufelt gut eingefädelt!

Wie kann ich, um dem lieben, unerfahrenen Geschöpf so rasch wie möglich Ruhe und Sicherheit zurückzugeben, die ganze schmutzige Verschwörung aufdecken?

Seine Augen faßten die ihren, die ihn erwartungsvoll, fast verzweifelt anschauten.

»Fräulein Hard! — — Sie kennen Ihren Vater besser als ich. Trauen Sie ihm eine derartige Handlungsweise zu?«

Sie zuckte resigniert die Schultern.

»Ich sagte ja schon auf Camátia, daß die Liebe zu dieser Frau Dadd sehr verändert hat!«

»So meine ich das nicht! Glauben Sie, daß Ihr Vater, um Geld zu beschaffen, spekulieren könnte?«

Evelyne stutzte. Förster gewahrte es, fuhr rasch fort:

»Soweit ich im Bilde bin, hat Ihr Vater doch sein Leben lang hart gearbeitet, die Farm in vielen Jahren nicht nur gehalten, sondern obendrein ständig vergrößert und ausgebaut. — — Wie groß ist, verzeihen Sie, wenn ich danach frage, der eigene Grundbesitz?«

Ohne zu zögern, nannte Evelyne eine Zahl.

»Donnerwetter! Das hatte ich nicht erwartet!«

Die ehrliche Verblüffung des Doktors erfüllte das Mädchen mit Stolz.

»Mit welchen Mitteln, das wissen Sie vielleicht als langjährige Vertraute Ihres Vaters, hat er denn die gerade in den Vereinigten Staaten häufigen Krisen der Landwirtschaft überbrückt?«

»Ich weiß nur, daß er einmal gezwungen war, Geld aufzunehmen.«

»In welcher Form?«

»Das erhielt Dadd anstandslos als Darlehen von einem langjährigen Freund, einem etwas schrullenhaften Iren, O'Connor mit Namen. Er war Besitzer einer kleinen Bank.«

»Wieso war?«

»Er starb leider im vergangenen Jahr! Es ging uns beiden sehr nahe. Fast jedes Wochenende kam er, immer mit Jubel begrüßt, zu uns heraus, knurrte, brummte, schimpfte, holte sich die Angel aus seinem Zimmer — er hatte ein eigenes Zimmer bei uns —, verschwand und erschien nur zu den Mahlzeiten. Dann aber hatte ich stets eine diebische Freude. Dadd und er haben sich nur gestritten und gezankt: Dadd war ein ›kompletter Idiot‹ und ›Nichtswisser‹ in der Landwirtschaft, und Onkel Con, wie ich ihn nannte, hatte keine richtige Ahnung vom Bankfach. Um die tollsten Dinge erhitzten sich die beiden.

Wenn dann Onkel Con montags früh in seinen uralten Ford stieg, hatte der komische Kauz feuchte Augen, schlug unentwegt meinem lieben Dadd auf die Schulter: Es sei herrlich gewesen! Nächsten Sonnabend käme er wieder, worauf man sich bei allen Heiligen verlassen könnte, und Dadd freute sich die ganze Woche auf die geistige Keilerei, wie er es nannte.

Doch eines Samstags kam er trotz aller Heiligen nicht mehr. — — Der Schlag hatte ihn getroffen. Wir fuhren zum Begräbnis. — — Das war genau acht Tage, bevor Dadd diese Frau kennenlernte! — — Ach, warum erzähl' ich Ihnen das!« — — — Evelyne schüttelte verbittert die jäh aufsteigende Erinnerung ab. »Verzeihung, Doktor, diese Abschweifung kam so über mich, vom lieben, alten Onkel Con zu plaudern.«

Wieder strich die Linke Försters den Spitzbart.

»Da ist durchaus nichts zu verzeihen, Fräulein Hard. Diesen Einblick in die Beziehungen Ihres Vaters konnten Sie mir nicht besser vermitteln. — — — Darf ich jetzt noch fragen, wer die Bank heute verwaltet?«

»Ein Neffe des alten Junggesellen, sein alleiniger Erbe! — — Ist übrigens genau so wie der Onkel.«

»Zuverlässig?«

»Dadd hat keine Bedenken, zumal er ihn schon lange kannte, sein Vertrauen auf ihn zu übertragen.«

»Wenn ich das richtig verstehe, ist dieser Neffe jetzt der Treuhänder und Verwalter des Barvermögens Ihres Vaters!«

»Das weiß ich!«

Wieder fuhr die Linke über den Spitzbart.

»Zur Spekulation, rasch Geld zu erhalten, könnte Ihren Vater nur der Bankrott seiner Bank, also dieses Neffen, bewogen haben«.

»Um Gottes willen! — — Das ist unmöglich!«

»Ist aber die einzige Erklärung für seine Handlungsweise! Denn bei solch nahen Beziehungen wäre es ein leichtes gewesen, dort rasch einen Kredit aufzunehmen, notfalls in Form einer Hypothek. — — Oder war das Grundstück bereits überlastet?«

Evelyne war fassungslos. Wohinaus wollte der Doktor?

»Überlastet? — — Was soll das heißen?«

»Ob Schulden auf der Farm ruhten?«

»Nicht ein Cent! Dadd war gerade darauf stolz!«

»Das wissen Sie genau?«

»Er rühmte sich stets in der Debatte mit Onkel Con, daß er einer der wenigen Farmer in USA sei, der schuldenfrei dastände!«

»Das wissen Sie ganz genau?«

»Ich habe doch Dadds Bücher geführt! — Für ihn die gesamten Steuern erledigt.

Evelynes Stimme klang verzweifelt.

»Darf ich Sie bitten, das Weitere mir zu überlassen?«

»Was wollen Sie tun?«

Förster sann noch einen Augenblick nach. Dann hob er an:

»Ja!:— — So geht's! — — Ich werde sofort ein Chiffre-Telegramm nach Deutschland aufgeben. Daß ich öfters telegrafiere, ist hier nichts Neues. Selbst wenn die Gesellschaft überall Querverbindungen haben sollte, kann sie keinen Argwohn schöpfen.

Meine Mitarbeiter im Stahlkonzern besitzen ein weit ausgespanntes Netz von Beziehungen. Einer unserer Mittelsleute drüben in USA kann in kurzer Frist die erforderlichen Nachforschungen beendet haben. Übrigens eine sehr leichte Aufgabe im Vergleich zu anderen, die gestellt werden. Ich schätze, daß wir in etwa drei Tagen einen umfangreichen Bericht in Händen haben, der, wenn meine Mutmaßungen zutreffen, Sie aller Sorgen entheben wird! — — Ich habe diesen auf den ersten Blick umständlich erscheinenden Weg gewählt, weil eine direkte Rückfrage bei Ihrem Vater möglicherweise von seiner jetzt totsicher wachsamen Frau abgefangen wird. Sind Sie einverstanden, Fräulein Hard?«

»Sie bezweifeln also immer noch, daß es Dadd schlecht gehen sollte?« Evelyne sah, wenn auch voll inneren Schwankens, einen Rettungsanker, an den sie sich klammerte.

»Ich halte die ganze Geschichte für ein abgefeimtes Erpressungsmanöver!«

»Ja, aber um Himmels willen, zu welchem Zweck?«

Peter Förster sah lange in die bestürzten Augen des Mädchens. Sie hielt dem forschenden Blick in brennender Erwartung stand.

Die Wahrheit sagen? — — Nein, nein, tausendmal nein! Nicht daran rühren! Wie hatte das gemeine ausgekochte Pack nur Kenntnis von dem wunden Punkt seiner Seele bekommen? Sie durfte nichts davon ahnen. Das Wissen um die Ähnlichkeit, die ihm selbst Tag für Tag schmerzlicher zum Bewußtsein kam, hätte ihr jede Unbefangenheit genommen.

»Evelyne! — — — Den Zweck vermag ich auch noch nicht mit aller Deutlichkeit zu erkennen. Eines nur steht für mich fest, daß die Frau Ihres Vaters mit im Spiel ist. Der Brief, den Sie in Camätiia erhielten, schließt jeden Zweifel aus.«

»Was kann sie denn von mir wollen?«

»Vielleicht durch ein raffiniertes Intrigenspiel Sie mit dem Vater entzweien!«

»Das ist unmöglich!«

»Wie gesagt: Ich habe noch andere Vermutungen, die sich in ähnlicher Richtung bewegen, doch möchte ich darüber nicht sprechen, bevor ich volle Gewißheit habe. Einen Menschen schlecht zu machen, ist leichter, als den guten Ruf wiederherzustellen! — — Sie verstehen mich, Evelyne!«

»Ja, Doktor!« Ihre saubere Art hatte volles Verständnis für diese Erklärung.

»Wenn nur die Antwort schon hier wäre!«

»Wir wollen jetzt erst einmal das Telegramm aufsetzen. Das ist die vordringlichste Aufgabe. Dann allerdings müssen wir uns einige Tage in Geduld fassen. — — Wird's gehen, bis dahin die sorgenden Gedanken ein wenig zu verbannen?«

Er schaute sie liebevoll an.

»Es muß, Doktor! — — Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar!«

Sie reichte die Hand.

Förster schlug frohen Herzens ein. Dann stand er auf, um Papier zu holen und den Text zu entwerfen.

Eine Viertelstunde später eilten durch das Seekabel von Lobito nach Europa sonderbare Zeichen.

Erst nach dem Abendessen fanden Förster und Evelyne zu ungestörter Zwiesprache zurück. Bei Tisch waren drei Mitarbeiter Försters, die dienstfrei hatten, zugegen. Einige Gefolgschaftsmitglieder speisten stets gemeinsam mit dem Chef. Der lustige leitende Ingenieur gefiel ihr. Seine Schnurren ließen die Sorgen der Gegenwart vergessen. Der bärenstarke Hüne war der Pförtner, welcher gleichzeitig als ausgebildeter Taucher im Werke Dienst tat. Er entwickelte einen staunenerregenden Appetit, lachte meist kauend über die spaßigen Einfälle und freute sich über Kleinigkeiten wie ein Kind, während der Glasbläser und Quarzschleifer, Spezialist für Ultraschallerzeuger, Grunwald mit Namen, der noch Kraftfahrerdienste im Nebenberuf versah, sehr zurückgezogen und wortkarg kleine Bissen mit der Gabel pickte.

Doch bald nach Beendigung der Mahlzeit zogen die drei sich zurück, einander freundlich mit Handschlag gute Nacht wünschend.

Förster saß mit seinem Gast wieder in dem von beiden so geliebten Wintergarten und erfreute sich an den herrlichen Blumen.

Während der Doktor sich seine Abendpfeife zurechtmachte, begann er von seinem Besuch bei dem Gouverneur des Benguelladistrikts zu erzählen: Der neue Vertrag mit dem Hohen Kommissar, von dem der Gouverneur noch nichts wußte, hatte beträchtliches Aufsehen und ehrlich gemeinte Glückwünsche hervorgerufen. Dann aber, je weiter der Bericht fortschritt, verfinsterte sich des Gouverneurs Gesicht. Es bedurfte großer Eindringlichkeit, den Flugzeugunfall ins rechte Licht zu rücken.

Als Peter Förster die Schilderung des versuchten Attentats auf Farm Camátia beendigt hatte, war der Gouverneur aufs höchste erregt aufgesprungen.

»Nein, senhor dottore!« rief er aus, »daß Sie grimmige Gegner haben, ist unserem Geheimdienst selbstverständlich bekannt. Ein Versuch, in unserem Lande vermittels eines Flugzeuges Brand- und Sprengbomben zu werfen, ist unmöglich. — — Sie gehen zu weit! Unsere Polizeiüberwachung schließt jede derartige Möglichkeit aus!«

»Sie werden sich an Ort und Stelle überzeugen, Exzellenz! Eine unversehrte Bombe liegt überdies noch gesichert am Tatort.«

»Es ist selbstverständlich, daß spätestens übermorgen von Amts wegen eine polizeiliche Erhebung, durch Fachleute unterstützt, stattfindet!«

»Und diese wird auch zu keinem anderen Schluß kommen«, warf Förster ein.

Der Gouverneur nahm stirnrunzelnd wieder Platz. Es war ihm klar, daß ein Mann wie Doktor Förster niemals wilde Schauergeschichten erzählen würde.

»Es bestände noch die Möglichkeit, daß ein Bombenflugzeug Ihrer Luftwaffe, Exzellenz, auf einem Dienstflug zu Schaden gekommen wäre!«

Mit südländischer Lebhaftigkeit griff er — der Herrscher über ein Land so groß wie Bayern — zum Telefon.

»Bitte, Herr Oberst!« — —

»Würden Sie die Liebenswürdigkeit besitzen, die Berichte »M« der letzten drei Tage herüberzuschicken. Ich benötige sie dringend!«

»Danke verbindlichst, Herr Oberst!«

Sie diskutierten wieder, als ein schwarzer Soldat eine Mappe brachte.

»Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick, Herr Doktor!« Die Finger blätterten, die Augen überflogen die Seiten.

»Nein! — — — Keine unserer Maschinen ist in der in Frage kommenden Frist zu einem Übungs- oder Transportflug aufgestiegen. Wie ich ersehe, sind sogar sämtliche Heeresflugzeuge meines und der benachbarten Distrikte zu einem kriegsmäßigen Manöver weiter im Inneren des Landes zusammengezogen. Ein Verfliegen kommt bei der gegebenen Entfernung nicht in Frage.«

»Somit bin ich des letzten Zweifels enthoben.«

»Herr Doktor! Wenn Sie es nicht wären, der hier vor mir sitzt, ich würde jeden anderen als verrückten und böswilligen Verleumder von Angehörigen einer befreundeten Macht und meines Landes sofort verhaften und ausweisen lassen! — — Die Geschichte geht einfach über mein Fassungsvermögen! — — Unglaublich, ganz unglaublich!« Er schlug wütend mit beiden Händen auf die Stuhllehnen.

»Können Sie feststellen«, fragte Peter Förster weiter, »wer hier oder auf den benachbarten Flugplätzen gelandet oder aufgestiegen ist?«

»Ich hatte im gleichen Augenblick dieselbe Idee.« Alles kribbelte in der hastigen Bewegung von kochender Aufregung. Die Angelegenheit, das fühlte Förster, ging dem Gouverneur an die Ehre.

Wieder tönten Befehle in die Sprechmuschel des nahen Apparates.

Das Warten steigerte sichtlich die Nervosität. Die tropische Hitze der Küste zehrte an der Widerstandskraft der Weißen.

Ein Boy brachte weitere Akten und verschwand sehr rasch. Das zorngerötete Gesicht des Hohen Herrn verhieß nichts Gutes.

Wieder blätterten die zitternden Finger.

Er stutzte.

»Um welche Type handelt es sich nach Ihrer Meinung?«

»Die B.K. 111!«

»Die Jungfrau stehe mir bei! — — Sie haben recht, Herr Doktor! — — Lesen Sie selbst! — — Ich bin außer mir!«

Daß das der Fall war, sah Förster.

Er nahm die Flugplatzberichte.


Angekommen am — — — um — Letzter Landeplatz: Matadi, Kongo. Papiere, Visa: einwandfrei. Zweck der Reise: Geschäftlich. Nationalität der Insassen: Ausstellende Paßbehörde. — — Papiere des Flugzeugs — — Flugtüchtigkeit...


und so weiter. Die üblichen Formalitäten:


Zollvisitation: Keine, da nur Zwischenlandung zwecks Betriebsstoflergänzung.


Jetzt wieder auf der nächsten Seite.


Abflug: Pa 642 KT. Type: B.K. 111 zum Nachtflug zweiundzwanzig Uhr vier Minuten. Nächstes Flugziel: Windhuk oder Swakopmund, je nach der Wetterlage. Flugsicherheits-Meldedienst: Strich. Funkverbindung: Strich.


Aha, die vorsichtigen Herren hatten Abstand davon genommen, von der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeit, den internationalen Sicherheitsdienst in Anspruch zu nehmen. Bei Nichtbezahlung der geringfügigen Prämie wurde an das angegebene Ziel keine funktelegrafische Meldung durchgegeben, noch erfolgte Standortprüfung. Wer so fliegen wollte, flog auf eigene Gefahr. Kam zwar selten vor, war aber statthaft.

Weiter:


Dauer des Aufenthalts: Fünf Stunden, achtzehn Minuten. Verhalten der Insassen: Stadtbesuch zu Fuß.


Pfi! pfiff Förster durch die Zähne. Sehr schlau, die Kraftwagen des Flugzeugplatzes nicht zu benutzen.

Es folgte eine Reihe erfüllter Formalitäten, dann die Unterschrift des Diensttuenden.

Peter Förster schob die Akten auf den Tisch zurück.

Immer noch trommelten die nervösen Finger des Gouverneurs, der gerade eine der vielen, kaum halb gerauchten Zigaretten im Aschenbecher zerdrückt hatte.

»Herr Doktor! — — Gelesen?«

»Ja!«

»Ich zweifle keineswegs mehr, daß es sich hier um die durch Blitzschlag verunglückte Maschine handelt!« Der Gouverneur stieß erregt den Atem durch die Nase.

»Umstände und Zeit passen so gut, wie man es sich zur Aufdeckung der Zusammenhänge nicht besser wünschen könnte!« bestätigte Doktor Förster.

»Leider, leider!« näselte etwas dünn die Stimme des Hohen Herrn. »Und doch Ihnen, Herr Doktor, eine Genugtuung. Sie werden verstehen, daß mir diese Flugzeugangelegenheit, ausgerechnet in meinem Bezirk, leicht an die Nerven geht. Eine Lehre habe ich aber jetzt schon gezogen: Ab morgen wird jede, auch zwischenlandende Maschine einer kleinen Zollvisitation auf Einfuhrgüter, die laut internationalem Abkommen verboten sind, unterzogen. — — Wir waren wieder einmal etwas zu großzügig!«

Er rieb sich zufrieden die Hände.

»Überdies werde ich, um letzte Zweifel auszuschließen, einen Funkspruch ›An alle« durchgeben lassen, ob die Pa 642 KT. doch noch irgendwo gelandet ist.«

»Ich bitte Sie, Exzellenz, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen.« Der Gouverneur stutzte.

»Danke Ihnen, Herr Doktor. Ich war in meiner begreiflichen Erregung etwas kurzsichtig. — — Werde mir aber auf anderem Wege Gewißheit verschaffen!«

Peter Förster lächelte verbindlich.

Die nächste halbe Stunde brachte die Enthüllung neuer Geschehnisse.

Förster berichtete Evelyne, daß die Mitteilung der persönlich festgestellten Folgen des unterseeischen Treibminenangriffs auf sein Werk dem Faß den Boden ausgeschlagen habe.

Der Gouverneur habe vor erstickter Wut gebebt, dann sich im jähen Umschwung des Temperaments sehr rasch gefaßt, Pläne entworfen, seinen ihm ans Herz gewachsenen Distrikt von solcher Pest zu befreien, koste es, was es wolle. Seine Ehre und das Ansehen der Kolonie ständen auf dem Spiel. Er zweifle nicht im geringsten mehr an den Tatbeständen und den davon abgeleiteten Vermutungen, schärfer ausgedrückt, Zusammenhängen. Der neue Vertrag zeige ihm, was von höchster Stelle erwünscht sei. Auch ohne diesen letzten Ansporn hätte der Doktor überzeugt sein dürfen, daß alle Sympathien auf seiner Seite stünden, alle Unterstützung ihm zuteil würde.

»Doktor, sind Sie nicht leichtsinnig, mir all das so haargenau wiederzugeben?«

Da lachte Peter Förster hell auf, so gewiß, wie er seit Jahren nicht hatte sein können.

»Nein, Evelyne!«

Es lockte sie zu sehr, das Spiel weiterzutreiben.

»Und wenn ich morgen Mister Walker alles ebenso haargenau erzähle?«

»Dann würden Sie nur eines erreichen, daß die Bande schleunigst ihre Koffer packt und fluchtartig das Land verläßt. Soviel Frechheit traue ich selbst denen nicht zu, daß sie als hundertprozentig entlarvte Gauner noch im glühenden Ofen sitzenbleiben, bis man die Tür schließt, um sie vollends zu rösten. Überdies — — betrögen Sie sich um Ihren ureigenen Haupterfolg, den geliebten Vater wieder völlig für sich allein zu besitzen!«

Er beugte sich unvermittelt über die Linke des fassungslos dreinschauenden Mädchens und küßte sie ritterlich.

»Doktor!«

Förster richtete sich auf. Er vermochte nicht zu unterscheiden, ob der unterdrückte Ausruf seiner verwirrenden Eröffnung oder dem unerwarteten Handkuß galt.

Sie strich sich zitternd über die Schläfen.

»Doktor! Geben Sie mir Gewißheit! — — Sagen Sie mir nur eines! — — Was sollte das letzte heißen? — — Was ist mit Dadd?«

»Ich hoffe, in einigen Wochen an einem wunderschönen Tage an dieser Stelle zu dritt sitzen zu können. Drei glückliche Menschen, und ich fürchte fast, der glücklichste ist Ihr Vater!«

»Herrgott! Sie können einen rasend machen mit Ihrer ewigen Geheimniskrämerei. Einmal offenbaren Sie einfach alles, das andere Mal verschanzen Sie sich hinter undurchdringbar dunklen Andeutungen!«

Das schlanke Geschöpf wirkte in seinem ehrlichen Zorn bezaubernd. Die weit nach hinten gehobenen Hände schoben die Haare zurecht, nestelten, glätteten, als ob es gälte, Ordnung darin zu schaffen.

Förster stand lächelnd auf und humpelte hinaus.

Vom Eßzimmer klang es fragend:

»Irinken Sie Mosel, Fräulein Hard?«

Sie lehnte den Kopf zurück, ihn zu erspähen, dann nickte sie zustimmend.

Die Gedanken wurden ruhiger und kreisten nur noch um die eine Frage: Warum sagt er dir nicht alles?

Was wußte er mehr als sie, daß er so siegesgewiß sprechen konnte?

Dadd, du bist genau so wie er! Immer erst nachher gestandest du die volle Wahrheit ungeschminkt ein. Wie oft fragtest du dann listig froh: Sollte ich dir den Kopf auch noch schwer machen? Ein getreuer Helfer in der Gefahr ist besser, als ein Mitwisser um eigne Not!

Peter — — Dadd — — Peter — — Dadd!

Sind alle Männer so? Dadd, Onkel Con, Onkel Hans — —Peter? — —

Ähnlich — —!

Doch Peter und Dadd?

Wenn ich die beiden doch einmal zusammenbringen könnte! — — Die würden sich verstehen!! — — Was hatte da Peter Förster gesagt? In einigen Wochen an einem wunderschönen Tag zu dritt? — Und Dadd der glücklichste?!

Wie wäre ich doch glücklich! — Mit Dadd und Peter!

Um den Hals fallen könnte ich dir, Peter, wenn du das zustande brächtest.

Um den Hals fallen? Peter — —? Warum nenne ich ihn Peter?

Evelynes Kinn sank in die aufgestützten Hände. Gedankenversponnen starrten die Augen auf den zart geöffneten Kelch einer hochstieligen, dunkelroten Rose.

Draußen bummerte etwas. Sie schmiegte sich zurücklehnend in den kühlen Korbsessel. Förster fragte aus dem Nebenraum:

»Fräulein Hard! — — Wollen wir hier noch ein wenig plaudern? — — Meine Blumen haben einen viel zu langen Tag hinter sich. Das vertragen selbst Menschen nur ausnahmsweise, wie heute.«

»Ich komme!«

Sie sprang auf und sah eine Flasche und Gläser in einer gemütlichen Ecke des Eßzimmers auf dem niedrigen Tisch.

»Darf ich Sie bitten, noch rasch jenen Schalter am Türrahmen auf Null zu stellen? — — Nur nach links schieben!« ergänzte er, als er die zögernde Fingerbewegung wahrnahm.

Die künstliche Sonne im Wintergarten verdämmerte zuckend in Dunkelrot und verlosch.

»Ihre Zuvorkommenheit als Gastgeber ist bestrickend, Doktor!« — — Evelyne sank in den Ledersessel. »Ich bedauere nur, hier nicht Bescheid zu wissen, sonst würde ich Ihrer Bewegungsfreiheit Grenzen ziehen!«

»Nun wird's gut!« Verblüfft hielt Peter Förster im Einschenken inne.

»Ja! Ich würde Sie in Ihren Stuhl verbannen und selbst die notwendigen Gänge unternehmen. — — Denken Sie ein wenig mehr an Ihren Fuß! Ihr Gesicht beim Gehen gefällt mir nicht. Sie sind genau so wie Dadd. Der murkste auch immer so lange herum, bis er ganz auf der Nase lag. Wollen Sie nicht lieber einen Arzt hinzuziehen?«

»Er kann mir doch nicht helfen. Nachher werde ich das Bockbein mit Ultraschall massieren, und Sie sollen einmal sehen, wie rasch die Schwellung vergeht.«

»Mit Ultraschall? — — Ich glaube, Sie gewinnen damit Gold? Das ist doch kein Heilmittel?«

»O doch! In vielen Fällen sogar ein viel wirksameres als Kurzwellen-Diathermie! Doch trinken wir einmal! Sehr zum Wohle!«

Sie nippte nur an dem Kelch. Mosel sollte, so hatte man ihr gesagt, ein greulich saures Getränk, nur für Männerkehlen sein. Jetzt blickte sie überrascht hoch.

»Das schmeckt ja köstlich!«

»Erwarteten Sie etwas anderes?«

»Im geheimen schon! — — Habe Mosel nie getrunken, nur drüben in den USA viel Seltsames darüber vernommen.«

»In den USA!« Geringschätzig zuckte Förster mit den Schultern. »Solche Trockenbeeren-Auslese gibt's selbst bei uns nur für Kenner!«

Ein herzhafter Schluck Evelynes zeigte, daß sie dem lieblich duftenden Wein Geschmack abgewonnen hatte.

»Sie sprachen eben von Ultraschall-Behandlung. Spürt man davon etwas?«

»Nicht das geringste! Nur die Wirkung ist bei richtig gewählter Wellenlänge verblüffend.«

»Dann wünsche ich nur, daß diese heute oder morgen zauberhafte Heilung hervorrufe! — — Prosit, Doktor!«

»Na, na! — — Nicht so hastiig! Solch ein Tropfen besitzt auch Alkohol!«

»Keine Furcht! Wer als einzige Tochter mit Dadd auf einer abgelegenen Farm groß geworden ist, verträgt schon was. — — Aber — — mein Wunsch eben war sehr eigensüchtig! — — Ich hab' ein Attentat auf Sie vor!«

»Um Himmels willen, Sie auch noch!« Förster streckte in gut gespielter Verzweiflung beide Hände hoch.

»Onkel Hans erzählte mir, daß Sie ein guter Jäger seien. Felten hat da so was ausgeplaudert.«

»So, so!«

»Die Savanne hinter dem Anstieg der Steilküste soll viel Wild, sogar Großwild, wie Löwen, beherbergen!«

Sie zwinkerte übermütig lachend.

»Ach so! Und da meinen Sie, daß ich möglichst rasch gesund werden soll, um Sie an die mir gewiß bekannten wenigen Wasserstellen zu führen!«

»erraten!«

»Dann ist Ihr Mitgefühl für mich und meinen kranken Fuß allerdings sehr zweifelhaften Ursprungs!«

»Pfui, Doktor!« Die Augen schimmerten ehrlich traurig. Förster freute sich still an dem Mienenspiel, das jede Regung

offenbarte.

»Evelyne! — — Sie sind mir zuvorgekommen. Ich hatte Sie mit diesem Vorschlag überraschen wollen, morgen oder übermorgen, wenn das verflixte Gelenk wieder gehorcht, und das wird es sehr bald!«

»Wirklich?« Nun wußte Peter Förster nicht, ob die Freude der Aussicht auf die lockende Jagd oder der Genesung seines Fußes galt. Das liebe Gesicht leuchtete zu glücklich.

Sie drang in ihn, zu erzählen, was er schon geschossen habe und unter welchen Umständen. Und Peter Förster berichtete gern, zwischendurch die Gläser neu füllend, bis die Flasche geleert war.

Der Zeiger der Standuhr ging auf elf.

»Morgen nachmittag erleben Sie übrigens, das vergaß ich fast zu erwähnen, ein kleines Fest, an dem alle hier im unterirdischen Werk teilhaben werden, ein Fest, das seit langem mit Spannung erwartet wird.«

»Hat jemand Geburtstag? — — Ein Werkjubiläum?«

»Nein! — — Nichts dergleichen, weit mehr noch!! — Ich hatte Tag und Stunde im Wirbel der Geschehnisse auf Camátia glatt vergessen. Erst heute früh wurde ich hier daran erinnert.«

»Nicht wieder geheimnisvoll werden, Doktor!« bettelte die Stimme.

»Morgen nachmittag wird die erste goldene Brücke der Welt feierlich eingeweiht. Alle europäischen Sender übertragen den Bericht!«

»Und Sie sind nicht dabei?«

»Es war mir unmöglich!«

Eine Viertelstunde nach der anderen verging bei lebhafter Unterhaltung. Erst als es zwölf schlug, brachen sie auf.

Förster geleitete Evelyne zu ihrem Zimmer.

Evelyne vermochte lange nicht einzuschlafen.

*

Jim Williams lag hingestreckt im Klubsessel. Die breiten Sohlen der Stiefel an den überlangen Beinen klappten im Takt gegeneinander. Angenehme Kühle herrschte in dem jalousieverdunkelten Raum. Kaffee stand neben ihm auf dem niedrigen Rauchtisch und eine Flasche Kognak, aus der jeder Tasse ein tüchtiger Schluck zugesetzt wurde.

Er hatte sich gestern abend wieder einmal über Higgins geärgert. Alles war hier so gut gegangen, bis dieses dämliche Greenhorn ankam, mit dem bestimmten Auftrag des Trusts, unter allen Umständen bis zum Zwölften einen Zwischenfall herbeizuführen.

Jim liebte nicht Gewalt. Er war sich seines glänzenden Schauspielertalentes bewußt. Langsam die Gegner einzuwickeln, befriedigte ihn ungemein.

Higgins' gottverdammte Gewaltmethoden konnten einem obendrein die Polizei auf den Hals hetzen, und damit wollte er aus angeborener Abneigung nichts zu tun haben.

Dieser über zweistündige Besuch des D.G.D. gestern beim Hohen Herrn von Benguella gefiel ihm gar nicht.

Der Doktor mußte ja auf den Kopf gefallen sein — und das war der helle Junge by Jove nicht —, wenn ihm die seltsame Unglücksserie nicht zu denken geben sollte. Erst der Unfall mit der hervorragenden Maschine, die noch nie versagt hatte, und dann diese blödsinnige Minensprengerei!

Sein glänzend arbeitender Chief, von dem er noch viel lernen wollte, war durch diesen Elefanten Higgins kaltgestellt, wenn es auch in dem Trustbefehl hieß, unbeschadet der zur Zeit notwendigen Sonderaktion die früheren Instruktionen zur Durchführung zu bringen.

War vollendeter Unsinn, das! — — Denn wenn der Doktor hops ginge, war das köstliche Spiel mit der Hard aus, mangels Vorhandenseins des nun einmal in solchen Dingen erforderlichen Partners.

Weiß der Kuckuck, ob Higgins nicht seine Handlungsvollmacht recht erheblich überschritten hatte, denn so dämlich waren die da oben bei Gott nicht! .

Ein Glück, daß diese Bombenkiste wenigstens vom Blitz getroffen wurde. Das Schicksal hatte schon herrlich eingegriffen, indem es die Hard mit dem D. G. D. zusammenführte. Es hatte dadurch unglaublich viel Plackerei erspart. Ihnen so in die Hände zu spielen, war gewiß nicht die Absicht dieses verbissenen Narren gewesen, als er durch seine bestochenen Mittelsleute in das Ol der Motoren einen Zusatz mischen ließ, der des Doktors Flugzeug gerade an der rechten Stelle zur Notlandung zwang.

Teufel, war der gute Chief in Wut, als er von dem Bombenvorhaben erfuhr, hatte sofort ein Blitztelegramm nach Camátia losgelassen, um wenigstens das Girl zu retten.

Nur gut, nur gut, daß das daneben gegangen war. Jim liebte Gewitter nicht, aber diesmal war er gern bereit, Zeus seine persönliche Hochachtung für das tatkräftige Eingreifen zu zollen.

Die Mäuschen lebten jetzt so schön im unterirdischen Betonklotz beisammen und ahnten nichts von der Katze, die sie bald hetzen würde, bis auch sie dort eindringen konnte.

Den lästigen Higgins waren sie los! Der saß jetzt schon in dem Morgenflugzeug Richtung Norden, laut telegrafischer Order, sofort das Land zu verlassen. Wie hatte sich der Dicke heute in aller Frühe gefreut, als er den Text dechiffrierte.

Mochte die Einweihung der goldenen Brücke getrost erfolgen. Der Trust konnte auch einmal eine Niederlage vertragen. Er, Williams, und Walker, sein Chief, würden ihm zu größerem Erfolg verhelfen. Zwar würde die Weltöffentlichkeit nicht von diesem Geschehnis abgelenkt werden. Keine Pressesensation: Tod des alleinigen Erfinders, der sein Verfahren streng geheim hielt! — — Bedauerlicher Flugzeugunfall! Oder — — Farm in Afrika, auf der er als Gast weilte, durch Blitzschlag eingeäschert!

Die Idee, der lästigen Konkurrenz allen Wind aus den Segeln zu nehmen, war nicht schlecht. Die Einweihung der Goldbrücke wäre zum Fiasko geworden. Kein Mensch hätte unter solchen Umständen der Meldung und dem Rundfunkbericht darüber Beachtung geschenkt, und viel Zeit wäre gewonnen, bis jene das verlorene Vertrauen zurückerobert hätten. Nicht jeder konnte nach Deutschland fahren und sich an Ort und Stelle überzeugen, daß die Goldbrücke tatsächlich stand und hielt.

Ähnliche Meldungen aber als Ablenkungsmanöver ohne vorhandene Tatsachen in die Welt zu setzen, sich die Blöße zu geben vor dem sofort einsetzenden Dementi der hier den Doktor schützenden Landesregierung, das würde selbst die ›International Gold' nicht wagen. Der Bumerang schlug zu leicht zurück.

Williams brummte zufrieden. Alles ging herrlich glatt für seine und des Chiefs Pläne.

Nur die Erinnerung an den zweistündigen Aufenthalt des D. G. D. beim Gouverneur ließ ihm keine Ruhe.

Wenn doch wenigstens die beiden Flieger wieder zurückkämen, damit man endlich Bescheid wüßte, wo und wie sich das Blitzunglück ereignet hatte. Die Bomben konnten obendrein gefunden werden. Kein Mensch hier vermochte sie der Mitwisser- oder gar Mittäterschaft zu beschuldigen.

Jim aber liebte keine Unklarheiten, die alle Vorausberechnungen über den Haufen werfen konnten. Dieser verdammte Higgins!

Sein »Kaftee«-Durst war gestillt, die Laune war rosig. Süßlich duftender Zigarettenrauch wob leichte Schwaden.

Bald würde der wieder ins Bett gestiegene Langschläfer erscheinen, dann mußten auf das genaueste die weiteren Pläne mit den letzten Informationen abgestimmt werden. Chief Walker hatte eine bewundernswerte Gabe, alle noch möglichen unliebsamen Verquickungen vorauszusehen und etwaige Querschläge in seine Rechnung miteinzubeziehen.

Gegen elf kam die Hard.

Jim Williams streckte höchst zufrieden seine langen Beine noch weiter aus. Der Gedankenarbeit war einstweilen genug getan.

*

Gegen Mittag war das Mädchen völlig verstört von ihrem Besuch zurückgekommen. Walker hatte ihr sehr schonend beigebracht, daß die Schulden der Mutter »nur« knappe hunderttausend Dollar betrügen. Wie die leichtsinnige Nichte diese Summe vergeudet habe, sei ihm vollkommen rätselhaft. Das Telegramm sei am frühen Morgen erst eingetroffen. Viel schlimmere Folgen müßten aber die Fehlspekulationen ihres Vaters hervorrufen, die sich auf annähernd vierhunderttausend Dollar beliefen. Eine Hypothek auf die an sich große Farm gestalte sie auf alle Fälle für die nächste Zukunft unrentabel, an einen Verkauf sei unter den obwaltenden Umständen gar nicht zu denken, da der Preis zu stark gedrückt würde. Es müsse sehr bald ein Überbrückungskredit beschafft werden, dem aber genügend Sicherheit gegenüberstände. Es gälte, den Vater sofort zu sanieren, um ihn für jede Spekulation auf die Farm unangreifbar zu machen. Dann könne man später an einen normalen Verkauf denken und das Darlehen zurückerstatten.

Der Vater habe sich die Zerstörung seines Lebenswerkes so zu Herzen genommen, daß — — er bitte sie inständig, den schweren Schlag mit Fassung zu ertragen, es wäre ihm entsetzlich, daß gerade ihn das Geschick dazu ausersehen habe, der so rasch liebgewonnenen Großnichte die furchtbare Eröffnung zu machen — — daß der Vater — — einen Selbstmordversuch unternommen habe, den in letzter Sekunde seine Frau vereitelte. Jetzt läge er, von zwei Pflegern Tag und Nacht bewacht, völlig mit den Nerven zusammengebrochen, darnieder.

Ob vielleicht Evelynes vermögende Verwandten die Summe aufbringen könnten?

Drüben in den USA sei es unmöglich, da selbstverständlich jede Bank sich ein so gutes Geschäft in Ausnutzung der Zwangslage nicht entgehen lassen würde.

Oder — sie möge ihm die Zumutung verzeihen, er durchdenke nur jede vielleicht erfolgverheißende Möglichkeit —ob ihr Gastgeber, der ja täglich Gold in reinster Form produziere, nicht mit einer Handvoll einspringen könne.

Evelyne war viel zu zerrissen, um die empörende Zumutung, wie sie sie später nannte, sofort zurückzuweisen.

Zum Schluß hatte Walker noch betont, daß ein neuer Telegrammwechsel eingeleitet sei. Er täte alles nur Denkbare, sie auf dem laufenden zu halten, bäte sie aber andererseits höflich und eindringlich, jeden Weg zu erwägen, der der Beschaffung des Geldes dienlich sein könne. Eine telegrafische Verbindung noch ihrerseits mit dem Vater aufzunehmen, wäre in Anbetracht der kritischen körperlichen Verfassung bedenklich. Er bedürfe dringend der Schonung.

Als sie dies alles Peter Förster erzählt hatte, war die Widerstandskraft des Mädchens erschöpft, ihr Kopf sank in die Hände, sie weinte fassungslos.

Förster stand neben ihr, strich sanft über das Haar. Kein Wort des Trostes kam über die verbissenen Lippen, zu sehr tobte der Zorn in ihm.

Das war alles von A bis Z erlogen, um das in solchen Lebenskämpfen unerfahrene Geschöpf mürbe zu machen. Höchst bezeichnend war die vorsorgliche Anfrage, ob er selbst nicht das Gold zur Verfügung stellen könne. Die Bande wußte genau, daß Evelyne in ihrer Not ihm alles haarklein erzählen würde. Sollte sein etwaiger Argwohn auf falsche Bahn gelenkt werden?

Einen Augenblick zuckte der Gedanke auf, sie morgen mit der Botschaft hinzuschicken, er wolle die Summe als Darlehen vorschießen, doch er verwarf ihn sofort wieder. Die mit allen Wassern gewaschenen Erpresser würden nur einen vorsorglich vorbereiteten neuen Trick anwenden, und das gemeine Spiel begänne in anderer Tonart. Zeitverlust, nichts anderes als Zeitverlust!

Evelynes Qualen mußten ein Ende finden, bald, sehr bald, aber unter Beobachtung feinster Diplomatie.

Försters Sinne arbeiteten fieberhaft. Sollten jene tatsächlich von der Voraussetzung ausgehen, er könne weich werden und sein Geheimnis als Loskauf für den Vater der etwaigen Geliebten preisgeben?

Lachhaft! Auf alle Fälle stand fest, daß sie gründlich in seinem früheren Leben herumgeschnüffelt haben mußten.

Zu welchem Zweck wurde dieser Köder ausgeworfen?

Wo konnte der Haken verfangen? Angenommen, die große Ähnlichkeit sollte als Brücke zu einer raschen Bekanntschaft dienen. Derartige Voraussetzungen waren nicht von der Hand zu weisen bei der ursprünglichen Planung. Jetzt aber war diese bereits erfüllt, in größerem Umfang erfüllt, als jene sie jemals in ihre Rechnung hätten einstellen können, denn Evelyne wohnte sogar in seinem Werk.

Warum aber setzt man das Manöver, Evelynes seelische Zerrüttung von Besuch zu Besuch zu steigern, mit solcher Hartnäckigkeit fort?

Der zermarterte Kopf fand keine Lösung!

Unheimlich wirkte die Sicherheit des Vorgehens. Überfiel man einen Menschen aus heiterem Himmel mit Erpressungen — denn darauf lief das Verfahren hinaus, so mußte irgendwo eine Rückendeckung vorhanden sein, ein dunkler Punkt zumindest, an dem der Hebel angesetzt werden konnte. Grammers Berichte und Evelynes Charakter boten volle Gewähr, daß im Leben der Hards, sowohl des Vaters als auch der Tochter, ein solcher nicht vorhanden war.

Wohl gab die zweifelhafte zweite Frau Veranlassung zu solchen Gedankengängen. Ihr Intrigenspiel konnte für kurze Zeit, durch die große Entfernung bedingt, die Erforschung der Wahrheit hintanhalten, um mit Walker zusammen im trüben zu fischen.

Über kurz oder lang aber mußte das Lügengebäude zusammenbrechen, unter allen Umständen innerhalb dieser Zeitspanne der beabsichtigte Schlag erfolgen.

Welcher Schlag?

Peter Förster tappte nach wie vor im Dunkeln.

Ihn beruhigte einzig und allein die Vorstellung, daß eine unmittelbare Gefahr Evelyne keineswegs drohte. Mochten die gegen ihn angewandten Methoden auch dafür sprechen, daß dieser Walker zu allem fähig war. Ein ähnlich gewaltsames Vorgehen gegen das Mädchen, gar ihr Leben anzutasten, schied bei allen Überlegungen aus. Das raffiniert eingefädelte Ränkespiel verlöre jeden Sinn und Zweck, und dieser war nach seiner Beurteilung nur darauf gerichtet, mit ihrer Hilfe Aufschluß über die Arbeitsmethoden der Goldgewinnung zu erhalten.

Was wußte sie denn schon? Daß er mit Ultraschall arbeitet?

Mit der Kenntnis dieser Tatsache allein wäre der ›International Gold' herzlich wenig gedient, sonst hätte er nicht an jenem Abend in Camátia darüber sprechen können.

Nur eine gewaltsame, dabei völlig sinnlose Erpressung wäre imstande, diesem ungewöhnlich gefestigten Menschenkinde den Mund zu öffnen. Auch das konnte Walker nicht wagen. Sie war Amerikanerin, kannte ihn von früher her, wußte vieles und stand obendrein unter seinem und damit auch der Behörden Schutz.

Was in aller Welt konnte die Bande bezwecken?

Er hätte von Anfang an bei der sofort gewonnenen Erkenntnis der Sachlage viel energischer darauf bestehen sollen, den Besuch bei Walker zu unterlassen.

Diese Einsicht kam zu spät!

Überdies wäre das selbständige Geschöpf in ihrer heißen Sorge um den geliebten Vater niemals dazu zu bewegen gewesen.

Ihr raten, die Beziehungen abzubrechen?

Solange die Ungewißheit bestand, blieb jeder dahin zielende Beeinflussungsversuch vergeblich.

Den Gouverneur verständigen? — — Walker konnte sich getrost auf seine verwandtschaftlichen Beziehungen berufen und behaupten, im Auftrage von Frau Hard guten Glaubens gehandelt zu haben.

Die Gedanken verfingen sich in der Vielzahl der Möglichkeiten und drangen zur letzten Klarheit nicht durch. Er empfand beklemmend, daß die Sorgen um das Geschick des Mädchens an seiner Seite seiner Entschlußkraft ein unzerreißbares Netz allgegenwärtiger Widerstände übergeworfen hatte.

Sorge?

War das noch Sorge?

Was hab' ich vor wenigen Tagen im Zuge von »unter Druck setzen« gesprochen? Da half kein Wehren, er war jetzt selbst mit das Opfer geworden!

Noch strichen die Hände über Evelynes weiche Haare, hielten an in ihrer Bewegung.

Und es gelang ihm, zärtlich zu ihr sprechend, die Erschütterte zu trösten, ihr neuen Mut einzuflößen. In wenigen Tagen sei alles vorüber. Das erlösende Telegramm käme gewiß! Sollte, was er für ganz unmöglich hielt, dem Vater dennoch Unheil widerfahren sein, so stände ihr von seiner Seite aus die Summe sofort zur Verfügung.

Evelyne hatte ihn sprachlos, keines Wortes mächtig, angestarrt. Die feste Zusicherung aber, die er ihr wie selbstverständlich gab, vermochte sie allmählich zu beruhigen.

Nach dem späten Mittagessen schritten sie gemeinsam durch das Werk.

Förster wollte Evelyne ablenken und fand selbst dabei das innere Gleichgewicht wieder, als seine Begleiterin mehr und mehr Anteilnahme an dem technischen Aufbau des Goldwerkes zeigte.

Sie hatten den Maschinenraum verlassen. Das hohe Singen der Elektromotoren, das gedämpft vernehmbare Brausen der Wasserturbinen klang noch in den Ohren nach. Nur Stahl und Beton umgab sie.

»Wir müssen jetzt hier die Treppe zum dritten Stock emporsteigen. Ich sagte Ihnen schon, daß die gesamte Anlage wie eine vergrabene Pyramide angeordnet ist. Über dem zum Hügel gewölbten Erdboden guckt nur die Spitze als runder Bunker hervor, darunter verbreitert sich das Bauwerk unsichtbar bis auf hundert mal hundert Meter Grundfläche, fünfunddreißig Meter unter dem Spiegel des Meeres, welches, rund einen Kilometer von hier entfernt, an der Küste brandet.

Im vierten, tiefsten Geschoß, also hier, befinden sich an den beiden Seiten nur die Turbinenräume und in der Mitte die weit größere Rieselhalle. Die wollen wir uns nun von oben ansehen.

Während aber die Turbinenräume noch jederzeit betreten werden können, ist die Goldgewinnungsanlage hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen.

Dreißig Meter unter dem Wasserspiegel des Ozeans liegen die Ansaug- und Ausstoßrohre. Das bedeutet drei Atmosphären Überdruck, die der menschliche Körper nur sehr schwer verträgt!«

»In welcher Beziehung stehen Atmosphärendruck der Luft und Wassertiefe?« wollte Evelyne wissen.

»Zehn Meter Wasser entsprechen genau einer Atmosphäre oder siebenhundertsechzig Millimeter Quecksilber, wie es jedes Barometer anzeigt.«

»Aha! — — Verstanden! Dann sind dreißig Meter Wassertiefe gleich drei Atmosphären!«

»Sehr richtig!«

»Und die verträgt der Mensch nicht?«

»Nur nach langer Übung und allmählichem Anpassen an den hohen Druck.«

»Warum haben Sie denn die Rohre so tief versenkt? Wäre es nicht einfacher gewesen, sie flacher zu legen?«

»Das schon? Aber erstens könnten sie die Küstenschifffahrt behindern, zweitens, und das war ausschlaggebend für die Konstruktion des Werkes, arbeitet mein Ultraschall-Goldgewinnungsverfahren mit bestem Wirkungsgrad bei rund drei Atmosphären Überdruck. Drittens sind so die empfindlichsten Teile der Gesamtanlage erheblich besser vor irgendwelchen Eingriffen geschützt.«

»Das ist einleuchtend, wenn mir auch noch lange nicht klar ist, wie das Gold aus dem Meerwasser herausgeholt wird.«

»Das werden Sie gleich sehen! Ein wenig Geduld noch und die Zauberhöhle liegt vor Ihren Blicken.«

Sie schritten die Treppe hinauf.

»Hier, bitte!« Peter Förster stemmte sich mit der Schulter gegen eine Stahltür, die langsam nachgab. Sie betraten einen niedrigen, aber gewaltig weiten Raum. Aus einer Unmenge runder Schiffsbullaugen schimmerte Licht von unten herauf.

»Um Himmels willen, haben Sie hier einen Riesentanzsaal errichtet?«

Peter Förster rief erheitert: »Mit Leuchtparkett vielleicht? — — Dieser Vergleich ist mir noch nicht gekommen!«

»Das ist ja unheimlich, Doktor! — — Diese Ausmaße vermutet kein Mensch unter der Erde. Wenn man zum erstenmal den simplen Eingangsbunker auf dem Sandhügel inmitten der verlassenen Wüste über uns sieht, ist man schwer enttäuscht. Das soll das sagenhafte Goldwerk sein? — — Mir wenigstens erging es so! — — Und hier?«

»Glaub? ich sehr gern! Der Schein soll auch trügen. Kleine Tarnung! — — Doch vergessen Sie nicht die eben erwähnte Pyramide. Solche Dinger haben es an sich, oben spitz zu sein und unten sehr viel Fläche einzunehmen. Jetzt sind wir halt im breiten Fuß der Pyramide.«

Evelyne stand da und staunte über das unerwartete Wunder.

»Das ist einfach nicht faßbar! — — ie groß ist diese Halle?«

»Nahezu achtzig mal hundert Meter!«

»Phantastisch! — — Schade, daß sie so niedrig ist. Wie müßte sie erst als Kuppelbau wirken!«

»Wäre zwar schön, aber unnötige Raumverschwendung.«

Hunderte dieser seltsamen runden Glasluken zogen den Blick magnetisch an.

Der Umgang war nur schmal. Eine Mauer von etwa sechzig Zentimeter Höhe schloß ihn ab. Dann spannte sich, mit deren oberem Rand gleich, wie ein gewaltiges flaches Dach, die von vielen Lichtkreisen durchbrochene Fläche.

»Bitte, schauen Sie einmal durch eines dieser Kontrollfenster!«

Evelyne trat näher, lehnte sich vor, die Hände auf den kühlen niederen Betonrand gestützt.

Sie sah nur hellerleuchtetes Wasser, das in leiser Bewegung flimmerte. Nichts war sonst zu erkennen.

Enttäuscht hob sie den Kopf und blickte ihren Begleiter an, dessen Gesicht im Dämmerlicht verschwamm.

Es schien ihr, als ob er lächelte.

»Was ist das, Doktor?«

»Sie schauten eben in die Zauberhalle!«

»Sah eher aus wie eine verlassene Badeanstalt!«

»Ausgezeichnet!« Wieder lachte Förster auf. »Es ist aber so, da unten gewinne ich das Gold!« Er wartete schweigend auf die Wirkung der Worte.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Das hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Dazu noch die verrückten dicken Glasscheiben, die so elend blendeten, daß man kaum vernünftig hindurchschauen konnte.

»Wo ist denn das Gold?«

»Kommen Sie, Evelyne!«

Sie wanderten im matten Licht die Brüstung entlang.

»Vorsicht, bitte! Ich gehe voran!«

Eine Treppe führte wieder abwärts.

Die Stufen waren von unten hell bestrahlt.

Sie stiegen sie hinab.

Ein Zimmer tat sich auf.

Von der linken Seite ragte durch die Wand eine Reihe spiegelblanker Metallrohre herein. Rechts zog sich ein Tisch, auf dem mehrere Waagen unter Glasgehäusen standen und Stapel von Ledersäckchen in Fächern lagerten.

Jetzt erst gewahrte Evelyne die Vielzahl von eingelassenen weißen Scheiben. Zeiger pendelten. Zahlenscheiben schnurrten. Grüne, rote, gelbe, blaue Flüssigkeitssäulchen trieben ein munteres Spiel über Skalenstrichen, stiegen auf und sanken herab oder standen wie erstarrt. Ihr jagte das geheimnisvoll Unerklärliche leichten Schauer über die Haut.

Da schaltete Förster, bückte sich, öffnete die glitzernde Verschlußklappe an einem der blanken Rohre.

In die untergehaltene Linke rieselte feinster, gelbfunkelnder Metallstaub. .

Gold.

»Bitte, Fräulein Hard!«

Gleichmütig ließ er den Inhalt in die Rechte des Mädchens rinnen.

»Gold!«

Zaghaft, fast erschüttert, zog Evelyne Furchen über den kostbaren kleinen Hügel in der Handmulde.

Finger und Nägel waren vergoldet, als sie in der stummen Gebärde einhielt.

»So, nun gießen Sie das Zeug hier in die Schale! Was kleben bleibt, gehört Ihnen!«

»Doktor?«

»Ist doch nichts wert!«

Sie entsprach, wie unter einem Bann stehend, der Aufforderung und schüttelte und klopfte mit großer Behutsamkeit, um nichts zu verstreuen. Die Handfläche blieb golden.

Ratlos schaute sie auf.

»Putzen Sie getrost den Rest mit Ihrem Taschentuch ab!— — — Ist ja Ihr Eigentum!«

Sie folgte.

»Nun haben Sie eine hübsche Erinnerung an diese Stunde!«

Das feine Seidentuch war mit Tausenden glitzernder winziger Goldsternchen übersät.

»Geht so leicht nicht heraus!« meinte Peter Förster.

»Aber — —!« Sie rang nach Atem. »Was kostet Sie das?«

»Nichts! — — Gold ist wertlos! Nur menschlicher Wahn schuf ihm eine Sonderstellung, weil es selten ist, weil es haltbar ist, weil es ständig so betörend funkelt, weil es leicht zu verarbeiten ist, weil vieltausendjähriger Wahnwitz den Besitzer zum ungekrönten Herrscher über die Nichtbesitzer emporhebt, weil die künstliche Aufrechterhaltung, ja sogar Züchtung dieses Aberglaubens vom alleinigen Wert des Goldes den goldhortenden Wucherern Macht über die in Bann geschlagene Menschheit verlieh.

Das ist aus! — — — Das war einmal! Milliarden Kilogramm Gold schwimmen im Wasser der Ozeane. — — — Ich hole sie heraus!

Ich will ihm den Fluch nehmen! Alle sollen vernünftigen Gebrauch von diesem Metall machen wie von den vielen mehr oder minder wertlos erachteten anderen!«

Sein Blick sprang auf die Instrumente über, um die Erregung zu verbergen, in die die eigenen Worte ihn versetzt hatten.

Die Finger drehten an Stellrädern, betätigten Schalter und Hebel.

Evelyne verfolgte jede Bewegung. Sie sah nur den Rücken und die tätigen Hände des Mannes. Es würde so werden, wie er sagte! — — Sie glaubte an ihn, fiel es auch schwer, altgewohnte Vorstellungen fahren zu lassen.

Förster hielt inne, blickte auf die Armbanduhr.

»Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit. Das reicht gerade, Ihnen noch die restlichen Teile der Anlage zu zeigen. Einverstanden?« |

»Hoffentlich wird es nicht noch einmal so unheimlich wie hier!« antwortete Evelyne rasch.

»Unheimlich? Bei dem strahlenden Licht?«

»Na! Da hinter der Instrumentenwand rauscht irgendwo Meerwasser, und wenn Sie eine der Klappen aufmachen, kommt angeblich wertloses Gold heraus! — Das ist schon unheimlich!«

»Sie wollten doch vorhin wissen, wo das Gold ist!«

»Die Überrumpelung ist Ihnen auch glänzend geglückt!«

Förster lächelte, deutete dann in den Raum.

»Hier ist nicht mehr viel darzutun. Dort die Präzisionswaagen. — Da die Ledersäckchen zum Transport. Was hinter dieser Schalttafel geschieht, ist ziemlich belanglos. Um die physikalischen und chemischen Einzelheiten zu verstehen, muß man schon Spezialist auf diesem Gebiete sein. Auf alle Fälle wird dort das ausgefällte Gold vom Meerwasser getrennt und durch mehrere Apparate geschickt, bis es als feinster Goldstaub hier unten entnommen werden kann. Wenn Sie das aber sehr interessiert, dann erkläre ich Ihnen den Verlauf des Verfahrens später einmal.«

Sie nickte rasch.

»Und jetzt zurück nach oben!«

Er schritt die Treppe voran. Das Paar betrat die weite Halle.

»Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß dieser Beobachtungsraum schwarz gestrichen ist!«

Jetzt erst wurde Evelyne sich dessen bewußt.

»Die matte Helligkeit stammt allein aus den vielen Luken. Würde er etwa weiß sein, so könnte man vor lauter Spiegelerscheinung des zentimeterdicken Glases nicht erkennen, was unter uns in der, wie Sie es nennen, ›verlassenen Badeanstalt‹ vorgeht. Dort aber befinden sich Tausende von kleinen Ultraschallerzeugern, über die das Meerwasser langsam dahinströmt. Sie fällen das Gold aus und müssen von Zeit zu Zeit mit besonderen Peilgeräten überprüft werden, ob sie alle einwandfrei arbeiten.

Das Glas kann nicht dünner gehalten werden, weil, wie ich vorher schon sagte, in dem Raum, der das Wasserbecken beherbergt, drei Atmosphären Überdruck herrschen.

Sie näherten sich dem Eingang.

»Diese Panzertür schließt sich automatisch, falls mal eine der Scheiben zerbersten sollte. Wäre eine derartige Sicherung nicht vorhanden, so könnte das gesamte Werk versaufen. Wasser hat bekanntlich nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren das Bestreben, überall auf gleich hohen Stand zu kommen, in unserem Falle, sich dem Meeresspiegel anzugleichen. Wir aber stehen im Augenblick fast dreißig Meter darunter.

Sie brauchen nichts zu befürchten! Bis heute ist noch keine der Kristallscheiben entzweigegangen. Sollte das aber geschehen, wenn hier gerade mit dem Prüfgerät gearbeitet wird, so besteht kein Anlaß, etwa fluchtartig das Feld zu räumen. Die Luft entweicht so langsam, daß genügend Zeit verbleibt. Erst muß mal das Riesenbecken unter uns vollaufen, bevor Wasser hier eindringt. Bis dahin sind übrigens normalerweise die Turbinen abgestellt und alle Schotten dicht gemacht.«

Sie waren am Ende des achtzig Meter langen Ganges angelangt, bogen rechtwinklig ab in die Hundertmeter-Umfassung. Dort befanden sich auch Lichtfenster in der Längswand.

»Schauen Sie bitte hier einmal durch! Dahinter kommen aus dem Turbinenraum drei mächtige Rohre. Sie teilen sich in immer kleinere. Können Sie erkennen, wie sie sich fächerartig ausbreiten und schließlich in vielen feinsten Röhrchen in das Becken münden?«

»Ja! Hier blendet das Licht nicht so! Das sieht aus wie drei liegende Riesenbäume, deren Stämme sich rasch verzweigen und verästeln!«

»Sehr gut! — Auf der anderen Seite, also jenseits der Rieselhalle hätten Sie übrigens das gleiche Bild. Auch dort befinden sich Turbinen, die das Wasser aus dem Becken durch dünnste Röhrchen ansaugen und in drei Rohren in das Meer zurückführen.

Um die Anlage mit dem geringsten Kraftaufwand zu betreiben, verläuft der gesamte Durchströmungsprozeß in gleicher Tiefe unter dem Meeresspiegel.

Die Trennung des ausgefällten Goldes erfolgt auf der Ausströmseite. Dort sind allerdings die kleinsten Röhrchen nicht glatt wie hier, sondern schlangenförmig auf und ab gewunden.«

Peter Förster näherte die Armbanduhr dem hellen Fenster.

»Es wird langsam Zeit! — Wir müssen nach oben gehen!«

Evelyne warf rasch noch einen Blick durch eine der Rundluken hinab auf die fast stille Wasserebene des Riesenbassins, wandte sich dann ab.

»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Doktor, dient also das gewaltige Becken unter uns nur dazu, das Meerwasser in dünner Schicht so langsam wie möglich über die Goldausfäller streichen zu lassen, damit ja nichts der Ultraschallbestrahlung entgeht.«

Förster hielt im Gehen inne.

»Evelyne! Jetzt verblüffen Sie mich!«

»Das war doch nicht schwer zu begreifen!« Sie lachte hell und zufrieden.

»Na! Ich weiß ja nicht! Dazu gehört doch wohl schon ein angeborenes technisches Talent!«

»Von Dadd geerbt!«

Doch es tat nicht mehr so weh, an den geliebten Vater zu denken. Das Vertrauen war zu stark.

*

Fast die gesamte Belegschaft des Werkes saß im Versammlungszimmer, als das Paar eintrat. Evelyne kannte schon alle, begrüßte aber Felten und den fröhlichen Oberingenieur besonders herzlich.

»Na! — Wie steht's mit dem Empfang?« Förster schritt auf das große Radiogerät zu.

»Wir haben Glück, Doktor! — Keine Gewitterstörungen!«

Da tönte Musik aus dem Lautsprecher.

»Oh, das ist ja fabelhaft! — Fräulein Hard! Darf ich Sie bitten, hier neben mir Platz zu nehmen?«

Sie ließen sich nieder. Jeder der Anwesenden saß in einem bequemen Ledersessel. Manche rauchten und plauderten gedämpft. Andere schwiegen erwartungsvoll. Man las die Spannung von ihren Gesichtern ab.

»Franz! — Ist auch genügend Stoff kalt gestellt?«

»Aber natürlich, Herr... .«.

»Na! Dann kann's losgehen! — Was meinen Sie, meine Herren?«

Freudige Zustimmung klang auf.

Die letzten Akkorde eines Marsches verstummten.

Eine Stimme im Lautsprecher räusperte sich und hob an:

»Wir stehen hier abseits auf einem vorgeschobenen Teil des Bahnsteigs in Bullay. In wenigen Minuten muß der Sonderzug einlaufen. Eine große Zahl geladener Gäste ist versammelt. Ich sehe führende Männer der Industrie und Politik, bekannte Köpfe hervorragender deutscher und ausländischer Gelehrter.

Doch lassen Sie sich rasch noch das herrliche Bild, das sich vor meinen Augen auftut, beschreiben. Unter mir fließt im strahlenden Licht eines klaren Wintertages geruhsam die Mosel. Die giebligen Häuser des verträumten Weindorfes Alf spiegeln ihre weißen Zeilen in den stillen Fluten. Der spitze Kirchturm mahnt an sonntägliche Ruhe. Und Sonntag ist wahrhaft heute hier eingekehrt, Festtag für die Bevölkerung, die Zeuge sein darf eines in der Welt erstmaligen Aktes.

Die Ruine der Marienburg grüßt von dem langgestreckten Höhenrücken des Reiler Halses aus längst verklungener Ritterzeit, und Schloß Arras späht mit seinen Zinnen aus dem engen Tale des Alfbaches herüber.

Weinreben über Weinreben schnurstracks ausgerichtet, eine Reihe neben der anderen herniederlaufend, jetzt noch wintertot, werden bald zu neuem Leben erwachen und aus ihren schwellenden Trauben köstliches Labsal den dürstenden Kehlen schenken.

Und mitten hinein in diese von Schönheit begnadete Landschaft springt mit einem einzigen himmelstürmenden Bogen die goldene Brücke, spannt, herrlich anzuschauen, ihre schimmernden Flanken über den dunkel ziiehenden Fluß. Gülden glitzern Streben und Bögen im schrägen Licht einer strahlenden Sonne, die vom stahlblauen Himmel hernieder wohlig wärmt und leuchtet. Und in den Fluten zeichnet sich das Abbild so scharf, daß das trunkene Auge kaum Schein und Wirklichkeit zu trennen vermag.

Die goldene Brücke!

Das Werk deutscher Hände und deutschen Erfindergeistes. Vor allem aber eines Mannes, dessen weltumstürzender Gedankenflug den Keim zu dieser Tat schuf.

Stahl ist golden geworden. Wer hätte es je für möglich gehalten, daß dieses kostbare Metall solche Verwendung finden würde, Eisen für alle Zukunft vor tückisch fressendem Rost zu bewahren. Wir stehen an der Wende eines neuen Zeitalters.

Sie aber, meine lieben Hörer, sind Zeugen eines Ereignisses, dessen weittragende Folgen noch kein Mensch abzuwägen vermag!«

Der Ansager schwieg. Aller Augen starrten auf den Doktor, prüften, wie er die Worte hinnahm.

»Ich gebe das Mikrophon weiter an Bahnsteig zwei. Bitte, Bahnsteig zwei! Melden!«

»Hier Bahnsteig zwei! — Der Sonderzug naht! — Die mächtige Lokomotive trägt einen goldenen Lorbeerkranz auf der stählernen Brust. — Weiß strömt der Dampf in den blauen Himmel. — Langsamer wird die Fahrt. — Die Maschine biegt auf den Bahnsteig ein. —«

Dumpf polterte der Lautsprecher. Metallen schwer pochten die tuckenden Schläge der Räder auf die Schienenstöße. Zischen, helles Kreischen der Bremsen. Fauchen von gepreßter Luft.

Der Zug stand.

Gedämpft klang die Stimme des Sprechers.

»Wir stehen vor dem Wagen, den gleich die prominenten Vertreter der europäischen Staaten und ihrer Industrie verlassen werden. — Die Tür öffnet sich.

Arbeitsminister Doktor Quandt steigt die Stufen herab und wird begrüßt von dem Landrat des Kreises.

Jetzt Professor Doktor Hiedermann, der allseits bekannte Lehrmeister seines nun weltberühmten Schülers, Doktor Förster.

Geheimrat Kroppen-Hellbert, Leiter des Stahlkonzerns. Seinem weitschauenden Blick verdankt die gesamte Menschheit die Verwirklichung und praktische Auswertung der Entdeckung Doktor Försters!«

Namen folgten auf Namen.

Evelynes Blicke streiften prüfend ihren Nachbarn.

Das also war Peter Förster?!

Die Namen verwirrten schon, hatten Klang und Berühmtheit. Und sie alle waren zur Einweihung der ›Goldenen Brücke‹ erschienen?

Peter Förster! Und du bist nicht dabei? Sitzt stumm neben mir?

Das Mikrophon war weitergegeben worden. Ein neuer Ansager berichtete vom Verlassen des Bahnhofsgebäudes, nannte wieder Namen und erläuterte den Zuhörern ihre Bedeutung.

Ein vierter meldete, daß auf dem Platz am Brückenkopf als erster Professor Hiedermann zu den geladenen Gästen reden werde. Sie nahten, schlossen sich enger zusammen, Professor Hiedermann spräche, wie er sähe, ohne Manuskript. Jugendlich schlank und groß die Erscheinung. Niemand glaube ihm die Jahre.

Und Hiedermann sprach.

Seine Rede war eine einzige fröhliche Erzählung, eine humorvolle Zusammenfassung des Lebenslaufs seines Schülers. Menschliche Genugtuung und Anteilnahme klangen aus der häufig aufbrausenden Freude der Zuhörer.

Lautes Lachen auch im unterirdischen Werk, in das sichtlich erheitert auch Dr. Förster einstimmte.

»Ich bedaure nur eines aufrichtig, daß mein heute gefeierter Schüler nicht unter uns weilen kann. Ich bin aber gern bereit, alle Ehrungen auf mein Haupt zu nehmen!« Abermals unterbrach Beifall den Fluß der launigen Rede.

»Wenige Wochen sind erst vergangen, da weilte ich bei ihm in seinem ersten Werk im fernen Afrika. Glaubte ich anfangs noch, ihn bestimmen zu können, zu seinem Tage hierherzukommen, so überzeugte mich eine neue, vielleicht noch umstürzendere Entdeckung dieses genialen Geistes, daß solche Arbeit wichtiger ist, als geehrt zu werden, und handelte es sich selbst um eine solche Ehrung, wie die augenblickliche Stunde sie nur einmalig in der Geschichte der Menschheit zu vergeben hat!

Ich grüße Sie, Peter Förster, weiß ich Sie doch jetzt lauschend vor ihrem Lautsprecher. Ich grüße Sie und Ihre Arbeitskameraden im heißen Lande. Mein erster Wunsch gilt ihrer Gesundheit und ihrer nie erlahmenden Schaffenskraft! Mein zweiter der Erreichung des hohen Zieles, das Sie sich steckten. Eine dankbare Menschheit möge das Geschenk, das Sie ihr brachten, auch sinnvoll nutzen!«

Wieder ertönte starker Beifall.

204

Die strahlenden Augen der Seinen blickten Förster voller Stolz entgegen.

»Es spricht Herr Arbeitsminister Doktor Quandt!«

Knapp und sachlich tönten nun Worte, die die wirtschaftliche Bedeutung der Tat beleuchteten.

Von seiten eines englischen Wissenschaftlers wurde die Forschertat als solche in das gebührende Licht gestellt, ohne, wie Peter Förster mit stiller Genugtuung wahrnahm, das entscheidende ›Wie‹ des Verfahrens zu berühren. Die Rede war ein dialektisches Meisterwerk. Ein französischer Gelehrter gab eine nahezu vollständige Übersicht der zukünftigen Anwendungsgebiete des Goldstahls.

Dann folgten kürzere und knappere Erklärungen von Vertretern aller Staaten, die der »Europastahl« angeschlossen waren. Zum Teil waren sie mit Ordensverleihungen oder der Zuerkennung akademischer Ehrentitel verbunden.

Fast drohte die Feier ermüdend zu werden, zumal da kaum einer alle die Sprachen der europäischen Völker beherrschte, die hier zu Wort kamen. Der leitende Ingenieur war, wie Evelyne still beobachtete, eifrig bemüht, eine Liste der verliehenen Auszeichnungen zusammenzustellen.

Der Sprecher kündete an, daß der Präsident der »Europastahl«, der Schwede Erikson, jetzt die Schlußansprache halten würde. Erikson sprach zum Glück für die meisten Hörer deutsch.

Er ging zunächst auf die Geschichte der »Goldstahl« ein, hob mit sehr warmen und anerkennenden Worten das große und alleinige Verdienst Dr. Peter Försters hervor und verwies auf die Vielzahl der Ehrungen, die dem leider Abwesenden in dieser Stunde zuteil geworden seien, als sichtbarer Ausdruck des Dankes zunächst nur der europäischen Völker, denen einer der ihren ein Geschenk von noch nicht abzusehender Tragweite gemacht habe, weniger was die Gewinnung des Goldes aus dem Meer anlange, als die Veredelung des Eisens im Goldstahlverfahren. Er verwies an dieser Stelle auf die umfassende Darstellung des französischen Wissenschaftlers.

Seine Stimme hob sich, als er auf das nachdrücklichste betonte, daß nach dem Willen Dr. Försters, dessen Ansichten er ohne Einschränkung unterstütze, alle Völker dieser Erde ohne Ausnahme der Segnungen des neuen Goldzeitalters, wie er es nannte, teilhaftig werden sollten.

Dann ging Präsident Erikson auf die zukünftigen Pläne der »Europastahl« ein. Ein Zentralforschungs- und Planungsinstitut sollte in Kürze errichtet, desgleichen zunächst zehn weitere Meergoldgewinnungswerke an geeigneten Stellen gebaut werden. Er schloß mit den Worten:

»Der für das Gesamtvorhaben bewilligte Kredit beträgt eine Milliarde Schwedenkronen. Nach eingehender Beratung sind wir zu dem Entschluß gekommen, daß kein Geeigneterer als Dr. Förster selbst mit der alleinigen verantwortlichen Leitung dieses Forschungs- und Planungsinstitutes betraut werden könnte. Nicht nur sein überragendes Forscher- und Organisationstalent, mehr noch sein umfassendes Wissen auf diesem bis vor kurzem unbekannten Spezialgebiete befähigt Dr. Förster allein, diesen wichtigen Posten zu übernehmen. Wir haben uns lange überlegen müssen, wie wir auch unsererseits dem hier Hochgefeierten unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen könnten. Wir glauben, daß wir alles in unserer Macht Stehende getan haben, dem hervorragenden Forscher auch die Arbeitsmöglichkeiten zu geben, die er verdient.

Ich habe hiermit die Ehre, im Namen des Direktoriums der »Europastahl«, Herrn Dr. Peter Förster zu bitten, den Antrag anzunehmen. Ich glaube ferner in aller Namen zu sprechen, wenn — — —«

Der Lautsprecher brodelte und knackte — eine Unterbrechung in der Übertragung.

Da zerriß tosende Zustimmung die Stille.

Eriksons letzte Worte gingen in diesem Jubel unter.

Die Menschen im unterirdischen Werk waren nicht mehr zu bändigen. Sie stürmten auf ihren Doktor zu, allen voran der ewig lebendige Erste Ingenieur. Die Glückwünsche kamen aus heißen Herzen. Laut schwirrten die frohen Stimmen. Die Ehrungen übertrafen alle Erwartungen, sie galten ihnen mit.

Der Lautsprecher war abgestellt. Die Schilderung des Ansagers über den Ausgang der Feier war in dieser Stimmung belanglos geworden.

Evelyne stand abseits. Ihr Gesicht glühte.

Peter! — Du großer Peter, du! Sie kam sich plötzlich so kleinmütig mit ihren Sorgen vor.

Da sah sie das Antlitz mit den strahlenden Augen, die sie suchten. Eine Gasse wurde frei.

Wenige Schritte nur, dann lag ihre Hand in der seinen.

»Werden Sie den ehrenvollen Ruf annehmen, Doktor?«

»Das fragen Sie noch? — Ja, tausendmal: Ja!«

Er schüttelte wie ein ausgelassener Junge die fest umschlossene Rechte.

»Dann wünsche ich Ihnen vom Herzen zur neuen Arbeit Erfolg und Anerkennung!«

»Genau so herzlichen Dank!« Die Blicke tauchten auf Sekunden tief ineinander.

Er ließ die schmale Mädchenhand los, rief:

»Franz, gute, alte Seele! — Was ist mit Ihnen los? — Sollen wir ganz trocken feiern?«

Pfropfen knallten.

Und dann kam Franz. Feucht schimmerten die Augen. Er schämte sich seiner Rührung und stotterte einen verworrenen Glückwunsch, als er das erste Glas dem Gefeierten darbot, der es seiner Nachbarin weiterreichte.

Die Kelche klangen.

Der »Erste« wollte eine Rede halten.

»Um Gottes willen, nur nicht das, Körner!« unterbrach der lachende Doktor den angefangenen Satz. »Das haben die drüben in Deutschland schon gründlich besorgt. Mein Bedarf ist für einige Zeit gedeckt! — Nichts für ungut, Körner! — Jetzt wollen wir alle uns nur der Stunde freuen!«

Und wahrhaft, die Freude war überwältigend.

*

Der offene Kraftwagen glitt geräuschlos über die fast spiegelglatte Sandebene, die sich südlich von Benguella erstreckte. Auf dem harten Boden, der nur spärlich mit Gras bewachsen war, drehten sich die Reifen in rascher Fahrt.

»Ich benutze absichtlich nicht die große bequeme Straße. Der starke Verkehr macht das Wild scheu. Dieses hier ist eine uralte Platt. Sklavenkarawanen quälten sich einst hier hinab zur Küste, und in der romantischen Zeit Afrikas zogen Burentrecks mit zwanzig, dreißig Zugochsen vor den hochrädrigen Planwagen schwer mit Lasten bepackt zu den spärlichen Siedlern im Binnenlande«, erzählte Peter Förster.

Evelyne saß an seiner Seite. Sie trug wieder Jagdhemd und kurze Hose, wie er sie zum ersten Male auf der Farm gesehen hatte.

Zwei Gewehre waren an der Außenwand des Wagens in Ständern angeschnallt, und ihre stahlblauen Läufe schimmerten in der von Hitze flimmernden Luft.

»Durch die Steppe hier fährt jeder so, wie er will. — Sehen Sie da hinten die große s-förmige Windung, die den Steilabhang hinaufklettert?«

»Ja, sehr gut!«

»Da müssen wir hin, das ist ein Reststück jener alten Platt, wird auch von der hohen Obrigkeit noch etwas in Schuß gehalten, um die geliebten Jagdgründe leichter zu erreichen.«

»Ist denn so viel Wild da oben?«

»Genug, seit das Gebiet unter Schutz steht. Aber pirschen muß man schon und gut Bescheid wissen, sonst kommt einem so leicht kein Gehörn vor die Flinte!«

»Sie sind doch noch gar nicht so lange im Lande?«

»Als das Werk gebaut wurde, hatte ich viel mehr Zeit als heute. Ich strolchte häufiger in der Savanne herum. Aber obgleich ich in Europa ein guter Jäger war, gelang es mir hier nicht ein einziges Mal, zu Schuß zu kommen, bis ich eines Tages auf einen alten Buschläufer, einen Buren, stieß, der, erst sehr knurrig und zurückhaltend, mich bald in sein verkrustetes Einsiedlerherz schloß. Der Alte war ein ausgesprochenes Original. Er bestritt seinen Lebensunterhalt nur mit dem Erlegen von großem Raubwild, dessen kostbare Felle er an der Küste verkaufte. Begleitet war er von zwei Schwarzen, die ihm durch Dick und Dünn folgten.

Kurz und gut, er wurde mein Lehrmeister im afrikanischen Jagen. Ich mußte ihm allerdings feierlich geloben, seine Geheimnisse nicht preiszugeben. Das Versprechen hab' ich treu gehalten. Nur von einem laß ich die Finger — und werde ihm darin auch nie ins Gehege kommen — dem Angehen von Löwen oder gar Leoparden.«

»Nanu?« Erstaunt blitzten die Augen Evelynes Förster an.

»Nein! — Ein einziges Erlebnis genügte mir vollauf. Die Großkatzen scheuen den Menschen, weichen aus, wo sie nur können, sind sie aber gestellt oder gar angeschossen, dann kann der leichtsinnige Draufgänger sein Testament machen, wenn er dazu noch Zeit hat. Entrinnen gibt's da nicht mehr. Nur eiserne Nerven und eine totsichere Hand sind seine letzte Rettung. Ich war dabei, als ein Leopardenweibchen aus letztem Ansprung über dem alten Nimrod tot zusammenbrach. Nur dem dicken Lederhemd verdankte der aschfahl gewordene sein Leben. Sah obendrein noch reichlich beschrammt aus.

Alles geschah so unglaublich rasch, daß es bei mir nicht einmal dazu langte, die Büchse hochzureißen.

Da schwor ich mir, niemals auch nur den Versuch zu unternehmen, auf freier Wildbahn diesem tückischen Wildzeug nachzustellen. Wenn so etwas dem fast lebenslang Erfahrenen unterlaufen konnte, wieviel eher mir, der ich in dieser Jagd ein ausgesprochenes Greenhorn bin, wie sie drüben in Ihrer Heimat sagen.

Ich habe später unter des Alten Anleitung sowohl einen Löwen als auch einen Leoparden aus sicherem Schutz an der Wasserstelle erlegt. Das ist ›was anderes‹, man kann schon sagen, ein völlig gefahrloses Unternehmen.«

»Man könnte meinen, Onkel Hans rede!« Ziemlich ungläubig schaute Evelyne in die Ferne.

»Jeder erfahrene Afrikaner wird das gleiche sagen!«

Der Wagen durchquerte ein Trockenbachbett. Triebsand hemmte die Fahrt plötzlich so, daß beide leicht nach vorn schossen.

»Na, na?« äußerte Förster seine Bedenken. Da faßten die wühlenden Räder wieder festen Untergrund. Steil zog das Gefährt den Hang hoch.

Im Kühler begann das Wasser zu brodeln.

Es war stickig heiß.

Kleine Schweißperlen standen einem jeden unter dem Tropenhelm auf der Stirn.

Die Umgebung wurde steiniger.

Reifenspuren liefen rechts und links näher zusammen.

Jetzt war die Straße erreicht, wenn man so etwas Straße nennen wollte.

Der Fahrer schaltete aut den ersten Gang.

Der Wagen holperte über felsige Unebenheiten, zwängte sich schaukelnd höher und höher.

Die alte Platt besaß eine Steigung, die geradezu unwahrscheinlich wirkte. Einhundertfünfzig Meter Höhenunterschied überwand sie in knapp einem Kilometer. Es gab kleine Wegstrecken, die fast eben erschienen, dann folgten gleich darauf jäh wie Buckel aufragende Anstiege.

Evelyne strahlte vor Freude.

Weiter und weiter wurde die Sicht. Dort unten lag Benguella verschwommen im flimmernden Hitzedunst. Der blaue Ozean allein leuchtete klarer.

»Oh! Ist das schön, Doktor! Solche Fahrt liebe ich!« .

»Weniger mein Wagen«, lachte Peter Förster. »Die armen Reifen!«

»Gott, Sie blutiger Materialist!« höhnte der übermütige Mund.

Sie bogen nach rechts ab.

Jetzt begann der schwierigste Teil der Straße.

Ganz langsam, im Fußgängerschritt, arbeitete sich die Maschine vorwärts.

Dann war es geschafft.

Jäh tat sich eine fast tischglatte Ebene auf.

Die Savanne.

Angenehm leichter Wind fächelte Kühlung vom Meer herüber.

Die Natur hatte sich plötzlich verändert.

Der Fahrer hielt und stellte den Motor auf langsamen Leerlauf.

»Nanu? — Was ist jetzt los?« fragte Evelyne.

»Hören Sie nichts?«

Es bullerte, brodelte, kochte.

»Das ist ja reizend! — Sitzen wir fest?«

»Nein, nein! Keine Bange« — — Und auf den Kühler deutend: »Da vorne hat nur jemand glühheißen Durst! Fünfundfünfzig Grad im Schatten, der hier nirgend vorhanden ist, und dieser Berg sind zu viel des Guten selbst für die beste Maschine. Erst muß sie ein wenig verschnaufen, dann gibt's neues Kühlwasser, und weiter geht's.«

Der Fahrer holte einen Kanister hervor, hantierte vorsichtig an der Kühlerverschraubung und sprang behende zur Seite. Ein zischender Dampfstrahl schleuderte kochende Flüssigkeit hoch.

Man wartete ein Weilchen, goß frisches Wasser auf, und weiter ging es, wie auf einem glatten 'Tanzboden, über die sonnenüberflutete Savanne.

Einzeln oder in kleinen Gruppen standen bizarre, etwa vier Meter hohe Gewächse, die von einem weit ausladenden saftiggrünen Blätterkaktus gekrönt waren. Über diese Blätterkrone hinaus schossen aus einem langen Stengel, der sich leuchterartig verzweigte, strahlend gelbrote Blütenkerzen senkrecht in den blauen Himmel.

Die Aloeagave war es oder wie sie meist ihres Aussehens wegen treffend genannt wird, die Kandelaberkaktee.

Niedere Dornakazien bildeten dichte Buschgruppen, und höhere Schirmakazien, immer zu mehreren zusammenstehend, spannten ihr flachgestutztes Blätterdach in das Firmament.

Eine trostlos verlassene Einöde, schier ohne jedes warmblütige Leben.

Kein Tier war zu erblicken.

Selbst die lästigen Insekten, die Plagegeister unten an der Küste, fehlten.

Nur die Webervögel turnten an ihren Nestern herum, die wie lange, von den Ästen herunterhängende Einkaufsnetze ausschauten.

»Und hier soll so viel Wild sein?«

»Oh, ja!«

»Jetzt begreife ich, daß man da lange vergebens herumlaufen kann.«

Peter Förster erklärte die Pflanzenwelt und gab fortlaufend dem Fahrer Richtungsanweisungen.

»Sagen Sie bloß, Doktor, wie finden Sie hier zurecht? — Auf Meilen hinaus sieht doch alles gleich aus.«

»Das scheint nur so. Der Erfahrene kennt selbst in dieser Monotonie seine Wegweiser. Zur Rechten liegt jetzt ein Trockenbach. Regnet es hier auch recht selten, so prasseln doch zeitweilig tropische Güsse hernieder, die die wellige Ebene zentimeterhoch unter Wasser setzen. Dann strömen die Fluten in den Mulden zusammen, aus denen sie sich durch tief eingerissene Schluchten strudelnd einen Abfluß suchen.

Die für den Pflanzenwuchs notwendige Feuchtigkeit bringen hier des Nachts die jahreszeitmäßigen erheblichen Taumengen.«

»Verrückte Gegend! — Diese vollkommene Verlassenheit und Stille wirkt fast unheimlich.«

Noch eine Viertelstunde währte die Fahrt, schnurgeradeaus auf ein gewiesenes Ziel zu, ein kleiner Haken und wieder geradeaus, dem neuen entgegen.

»Stop!«

Der Wagen hielt unter drei Schirmakazien.

Förster und Evelyne nahmen ihre Büchsen und entsicherten sie.

»Ab vier Uhr alle zehn Minuten Sirene! — Sie wissen ja Bescheid, Grunwald! Eine kleine Sicherheitsmaßnahme!« erläuterte Förster, schon im Davonschreiten. »Ich habe mir in den Jagdwagen eine weittönende Sirene einbauen lassen, nachdem ich einmal um ein Haar nicht zurückgefunden hätte.« Sie wanderten durch das an dieser Stelle niedrige Büschelgras. Meterweise war kahler fester Sandboden, dann wieder Inseln dieser seltsamen Büschel.

»Ich bin doch ehrlich erstaunt, wie sich ihr Fuß gemacht hat. Man merkt nichts mehr von der Verstauchung.«

»Ja, die Ultraschalltherapie, richtig angewandt, besitzt verblüffende Heilwirkung. — Heute will ich Ihnen ja nur einen ersten Einblick in die Savanne und vielleicht auch, wenn wir Glück haben, in ihre Tierwelt verschaffen. Ein Stündchen sozusagen spazierengehen und prüfen, wie das Gelenk durchhält. Jetzt wollen wir aber schweigen! Sie sind ja selbst Jägerin!«

Evelyne nickte zustimmend.

Vor ihnen senkte sich die Landschaft einer Mulde zu, die mit dichterem Baumwuchs bestanden war.

Förster prüfte den kaum verspürbaren Wind, der mehr nur ein Luftzug war.

Er schien zufrieden.

Sein Blick haftete fest auf dem Boden, nach Fährten ausschauend.

Die Schritte wurden kürzer und kürzer, geräuschlos, immer vorsichtiger.

Vereinzelte Gruppen von Dornbusch wurden umgangen.

Näher und näher rückte der hochstämmige Akazienhain, dessen Untergrund mit mannshohem Gras und vielerlei Dickicht überwuchert war.

Einige der wenigen Wasserstellen, dachte Evelyne.

Förster mußte einen gehbaren Weg dort hinein kennen. Mehrmals hob er suchend den Kopf, bog dann etwas zur Rechten ab.

Im dauernden Zickzack zwängten sie sich vorwärts, tunlichst darauf bedacht, nirgends an dem Dorn der noch niedrigen, aber dichten Büsche anzuhaken.

Es trennten sie etwa nur noch zwanzig Meter von den hohen Stämmen, die wie eine Wand ihnen gegenüberstanden.

Plötzlich stockte Peter Förster, beugte sich nieder, prüfte, tat vorsichtig noch einen Schritt.

»Leopardenfährte? — Schwer auszumachen!« raunte er fast unhörbar. — »Größte Vorsicht! — Sichern Sie voraus!«

Evelyne nahm ihr Gewehr schußbereit höher.

Kurz vor der ersten weitausladenden Akazie war ein heller unbewachsener Sandfleck, eingefaßt von hohem Steppengras. Jetzt erkannte er die Fährte deutlich. Frische Ballenabdrücke des Leoparden.

Umkehren!

Es wäre Selbstmord, weiterzugehen. Das Raubtier saß totsicher irgendwo in dem Dickicht versteckt.

Schade!

Er richtete sich auf, wollte seiner Begleiterin einen Wink geben. Da krachte betäubend neben ihm ein Schuß.

Im selben Augenblick gewahrte Förster rasend rasch vom hohen Ast einen gelbgesprenkelten Ballen auf sie zuschnellen.

Ein einziger Griff nach dem Genick Evelynes. Im blitzjähen Niederwerfen riß er das Mädchen hart zu Boden.

Dumpf schlug dicht hinter ihnen ein schwerer Körper auf.

Herumwälzen.

Gewehr hoch!

Das Herz jagte zum Zerspringen.

Gleich würden zwei funkelnde Lichter aus dem noch wogenden Gras aufblitzen.

Mitten dazwischen, bevor der Leopard zum tödlichen Ansprung ansetzte!

Die einzige Hoffnung!

Das Korn tanzte über die Kimme. Er drückte ab.

Fauchen, wütiges Krampfen und Toben.

Ein letzter zerreißender Schrei.

Totenstille.

Den Kolben umkrampft, lag Peter Förster schweißgebadet.

Er wagte das schier Unmögliche nicht zu glauben.

— — — —

Minuten fürchterlichster Erregung verstrichen.

— — — —

Nichts rührte sich.

— — — —

Da stand er vorsichtig auf, das Gewehr im Anschlag, tastend Fuß um Fuß vordringend.

— — — —

Vor ihm lag im niedergemähten Grase starr ausgestreckt mit gebrochenen Lichtern der Leopard.

— — — —

Der Lauf näherte sich dem mächtigen Kopf, senkte sich in die Ohren, schob, stieß zu...

— — — —

Kein Lebenszeichen mehr!

— — — —

»Evelyne!« — Ein heißer Schrei der Erlösung.

— — — —

Nichts antwortete ihm.

— — — —

Er sprang in wildem Satz zurück, stürzte neben ihr nieder.

»Ev!«

— — — —

Unter der Stirn lag der stählerne Lauf des Gewehrs.

Er wandte zart den leichten Körper auf den Rücken, zog ihn empor, hob den Kopf und bettete ihn an seine Brust.

Neben der Schläfe war ein kleiner dunkler Fleck.

»Ev! — Ev!«

Ratlos verstört strich er über die weichen Haare, rüttelte mit der Linken an der Schulter.

— — — —

Kein Wasser, zu helfen!

Und knapp zwei Meter neben ihm lag das verendete, grausig schöne Raubtier.

Minute um Minute verging in verzehrender Untätigkeit.

Nur Gedanken schwirrten zermürbend und aufpeitschend.

Die gefolterten Nerven bebten.

— — — —

Es war nutzlos, länger zu warten. Er mußte die Ohnmächtige zum Wagen tragen und schickte sich an, die leichte Bürde aufzurichten, um die Schulter unterzuschieben.

Die Bewegung erweckte die Betäubte.

Sanft ließ er sie erneut niedergleiten.

Sie hob schwer die Lider.

— — — —

»Pe-ter!« Ein Hauch nur.

Zwei Augenpaare standen sich dicht gegenüber.

»Peter!«

Sie versuchte, den Arm um seinen Nacken zu schlingen.

Diese Stunde sprengte alle Dämme, die längst erwachte Liebe noch bändigten.

*

Grunwald fuhr geschickt den Wagen so nahe wie möglich an die königliche Jagdbeute heran.

Zu dritt schleiften sie das schwere Tier, luden es auf den kistenartigen Gepäckträger des Jagdautos.

Die Gewehre wurden gesichert und in den Haltern verschnallt.

Dann ging's heimwätrts.

Unterwegs berichtete Evelyne von den wenigen Augenblicken vor ihrem Schuß.

Als Peter sie aufforderte, voraus zu sichern, gewahrte sie zunächst nur auf einem starken Ast der Schirmakazie etwas langgestreckt Gelbliches. Unsicher war das Licht unter dem dichten Blätterdach.

Das Gelbliche zog sich zusammen. Fast genau die Breitseite darbietend, funkelten aus dem jäh klar erkannten mächtigen Kopf zwei wutschillernde Augen.

Der alte Bure! — Der tödliche Absprung, sei der einzige Gedanke gewesen.

Neben dem Schulterblatt zeichnete sich spitz der Winkel des unter dem geduckten Körper angepreßten Vorderlaufes.

Da sitzt das Herz!

Sie gestand, daß wilde Leidenschaft sie erfaßt hatte. »Du oder wir!«

Dann sei aus der hochgerissenen Büchse der Schuß losgegangen.

»Danke schön! — Schuß losgegangen!« meinte Förster trocken. »Merkwürdige Büchse, die so haargenau Fleck schießt!« Die Augen lachten stolz. »Ev, das war ein Meisterschuß! Das Fell laß ich dir gerben, — das Leopardenfell natürlich!«

»Will ich auch gebeten haben!« Sie zauste glücklich seine Haare.

»Das kleine Einschußloch aber wird nicht kunstgerecht wie sonst vernäht, sondern golden eingefaßt.«

»Übrigens sind wir jetzt quitt, Peter!« unterbrach ihn Evelyne.

»Nanu?« —

Als Evelyne das verblüffte Gesicht wahrnahm, wiederholte sie. »Doch! Wir sind jetzt quitt! Du lobtest eben so lieb meine Treffsicherheit, und ich muß dir rasch noch als Entschädigung unter die Nase reiben, daß ohne deine Geistesgegenwart, mich blitzschnell mit dir zu Boden zu reißen, der Sprung der Bestie nicht über uns hinweggegangen wäre! Brrr! — Pfui Teufel, hat so ein Vieh scharfe Krallen! Ich glaubte doch, daß, wenn der Schuß säße, die Bestie wie ein Sack vom Ast herunterfallen würde.«

»Wiildkatzen sind irrsinnig zäh und unberechenbar!« belehrte sie der Doktor.

»Meinst du etwa damit mich?«

»Zum Kuckuck! — Kann man denn kein vernünftiges Wort mehr mit dir reden?«

Grunwald fuhr im scharfen Tempo! Sehr schräg schon stand das Himmelslicht.

Es galt, noch vor der fast ohne Dämmerung rasch hereinbrechenden Nacht die schwierige Steilplatt abwärts hinter sich zu bringen.

Der Glutball der Sonne berührte eben feuersengend die unendliche Wasserweite des Ozeans am fernen, fernen Horizont.

Man vermeinte, das wilde Zischen der feindlichen Elemente hören zu müssen.

Evelyne vermochte den Blick nicht von dem bestrickenden Spiel der ständig wechselnden Farben loszureißen.

Wilder als bei der Auffahrt schaukelte der mühsam gebremste Wagen jetzt abwärts und schüttelte sie gründlich durch.

Dann war es geschafft!

Fast geräuschlos glitt das Fahrzeug über den steinfesten Sand der Benguellawüste.

Zwei gleißende Scheinwerferbündel fingerten suchend durch die plötzliche Dunkelheit voraus, den Weg heimwärts zu finden.

*

Jim Williams schlenkerte gelassen durch die stille Seitenstraße Benguellas. Sorglos wie in bester Laune summte er ein Lied vor sich hin.

Er bog in den alten Sklavenhof ein, nahm bedächtig die Stufen und raste plötzlich — außer jeder Sichtweite — wie ein Wilder durch den schattigen Raum, stürzte, ohne anzuklopfen, in das Privatzimmer Walkers.

»Jim! — Leichter Sonnenstich?! — Sehr heiß heute!!« nörgelte die verweisende Stimme des Chiefs, der lesend auf einer kühlen Ledercouch lag.

Statt jeder Antwort schnappte der Gemaßregelte nach der Whiskyflasche und einem Wasserglas, schenkte es mit zitternden Händen voll und goß mit einem Zuge den scharfen Inhalt herunter. Dann flog der Tropenhelm in die Ecke.

Walker richtete sich auf.

Hier stimmte etwas nicht!

Williams fiel in einen Korbsessel. Jetzt sah Walker, daß dicke Schweißtropfen auf seiner Stirn standen.

»Dieser höllenverfluchte Higgins! — Aus, Chief! — Koffer packen! Abhauen!« Er rang nach Luft.

Walkers rosa Bäckchen wurden eine Tönung blasser.

»Williams! — Sie sollten nicht so hastig trinken!«

›Wird bald keine Gelegenheit mehr dazu geben! An Bord höchstens! — Hier nicht mehr!« Höhnisch lachte der Hagere auf, gewann aber langsam die Fassung wieder, die er eben auf der Straße noch so meisterhaft zur Schau getragen hatte.

»Chief! — Wir sind aufgesessen!«

»Aufgesessen? — Wem?«

»Dem D.G.D. mit größter Wahrscheinlichkeit!«

›Dem D.G.D.!« Walker schnellte hoch, trat rasch näher. »Was wissen Sie?«

»Chief, Sie kennen meinen täglichen Geschäftsbesuch! War auch heute dort. Erst nichts Neues! Plötzlich kommt — na, Sie wissen schon, herein. — Der Mulatte war noch gelber als sonst, schlotterte vor Aufregung. Ich konnte zuerst keinen Zusammenhang in seine wirre Schnatterei bringen, dann aber traf mich fast der Schlag.

Heute mittag ist eine Untersuchungskommission der Regierung mit zwei Kraftwagen in Ganda angekommen. Kein Mensch hatte eine Ahnung davon!

Vier höhere Kriminalbeamte und zwei Flugsachverständige waren in Camátia. Higgins' Sprengstoffkiste ist unweit der Farm, vom Blitz getroffen, abgestürzt!«

»Wissen wir, Jim! — Nichts Neues!«

Walker beruhigte sich selbst mit seinen Worten, goß ein Glas eiskalten Sodawassers herunter und setzte sich.

»Was wir nicht wissen, Chief, ist, — daß die beiden Flieger ums Leben gekommen sind!«

»Pech! — Und?« In Walkers Hirn überhasteten sich die Pläne. Davon brauchte der da nichts zu ahnen.

»Die Bomben sind explodiert! — Hätten viel größeres Unheil angerichtet, wenn der Regen nicht gewesen wäre.«

Schweigen.

»Die restlichen Knochen der beiden sind an Ort und Stelle beigesetzt worden!«

»Diese Deutschen sind human!« — War die einzige Entgegnung.

Jetzt kam der Trumpf Jim Williams'. Er fieberte, endlich Wirkung auf solche Dickfelligkeit zu erzielen.

»Der Notsender befindet sich im Besitz Mister Grammers!«

Das saß! Befriedigt lehnte er sich zurück, während Walker wie ein Tobsüchtiger aufsprang.

»Hab diesem tollwütigen Hund von Higgins nicht rasch genug das Maul zuhalten können. — Dieses —!« Der Dicke rang nach Worten, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen.

»Brüllt unsere Firma in den Aether! Straße, Hausnummer, alles —!«

Walker rannte wie ein gefangenes Raubtier auf dem dicken Teppich hin und her.

Williams trank noch einen Whisky.

»Mäßigen Sie sich!« schrie der Jähzornige, den gesammelten Grimm auf Jims Haupt entladend. »Brauche in den nächsten Stunden nüchterne Köpfe! Verstanden, Jim Williams!«

So rasch wie der Anfall gekommen, war er verrauscht. Die Mienen glätteten sich, als er seinen Stuhl heranzog, wieder Platz nahm, ein Bein über das andere schlug und sorgsam die Bügelfalten der weißen Hosenbeine zur Seite legte.

»Peinlich, sehr peinlich! — Doch habe ich Ähnliches in meine Rechnung einkalkuliert!*

Er lächelte aus seinen rosigen Speckbacken voller Selbstzufriedenheit.

»Wissen Sie mehr? — Könnte das Verfahren vereinfachen!«

Gedrückt antwortete sein Gegenüber:

»Soviel ich aus dem Mulatten herausbekommen habe, soll der Hohe Herr hier vom D.G.D. vorher schon informiert worden sein.«

»Hieße also, der Sender wurde vom D.G.D. bedient? — Wir stehen im Täterverdacht?«

»Ja!«

»Werden nichts wagen, Jim! — US-Handelsschutz! — Pfö — hh! — Nichts zu beweisen! — Reiner Zufall. — Gleiche Wellenlänge. — Wollten unseren notgelandeten Landsleuten helfen! — Wir wissen von nichts!«

Doch trotz aller zur Schau getragenen Gleichgültigkeit zwang ihn die innere Erregung, erneut aufzuspringen. Er durchmaß den Raum in hastigen Schritten. In seinem Gesicht arbeitete es. Dieser verfluchte Higgins hatte alle Pläne über den Haufen geworfen. Wer wußte, wann ein Verfahren gegen die Firma eingeleitet würde. Tote bedienen keine Radiosender. Das war ein genialer Schachzug des.Doktors gewesen. Der Verdacht fiel auf ihn. Erst der Flugzeugunfall, dann die Minengeschichte und zuletzt Bomben im Busch. Die Belastungsmomente waren sehr stark!!

Zwei Stunden hatte der D.G.D. beim Hohen Kommissar zugebracht? — Was die da besprochen hatten, konnte er sich jetzt an den fünf Fingern abzählen, die Aussendung der Untersuchungskommission nach Camátia besagte alles.

Sollten nicht alle bisher erzielten Erfolge in Frage gestellt werden, so gab es nur eine Lösung: Zugreifen, heute noch zugreifen, bevor die polizeiliche Untersuchungsmaschine auf volle Touren gekommen war.

Der Entschluß war gefaßt: Higgins' vermaledeite Methode trieb dazu, rasch zu handeln.

Er setzte sich, wandte sich Jim Walker zu.

»Rufen Sie die Hard an! — Gute Nachricht vom Vater! — Möchte sofort herkommen!«

»Kommt nicht!«

Verblüfftes Anstieren. Williams gewahrte es unter den fast verschlossenen Augenlidern.

»Warum nicht?« Die Stimme des Chiefs wurde drohend.

»Ist mit dem D.G.D. auf Jagd gefahren!«

»Alle Teufel — — —!«

Dann verklärte sich jäh der Ausdruck.

»Das Schicksal ist uns günstig! — Viel besser so! — Kommen vor Dunkelheit nicht zurück! — Hi-hi-hi! Walker rieb sich vergnügt die Hände. »Muß uns bei Nacht aufsuchen. Trotzdem anrufen! — Jede Stunde nachfragen. Der Nachtbesuch kann unter den gegebenen Umständen ihren Beschützer nicht stutzig machen!«

Jim wurde es ungemütlich.

Er liebte nun einmal keine Gewaltanwendung. Daß diese jetzt viel rascher, als befürchtet, kommen würde, dafür sprachen die Verhältnisse.

Es wurde so, wie ihm schwante.

Eine Viertelstunde später tagte hinter fest verschlossenen Türen und Fenstern eine Versammlung von sechs Männern, Chief Walker sprach, Williams saß im Hintergrund. Die drei Lageraufseher, die Higgins mitgebracht hatte, freuten sich offensichtlich auf das bevorstehende Ereignis.

Ein seltsam anmutender Mensch in diesem Kreise war Mister Tovan. Wirre, brünette Haare umrahmten das Gesicht dieses jungen Gelehrten. Hinter der Brille übersahen teilnahmslose Augen verächtlich die Anwesenden. Doch in diesen Augen glomm ein fanatisches Feuer.

Pläne und Zeichnungen lagen ausgebreitet auf dem Tisch. Gedämpft tönten die Worte des Chiefs:

»Hier im zweiten Stockwerk befinden sich die Laboratorien. Eine andere Deutung ist nicht möglich. Ihre Aufgabe, Mister Tovan, geht dahin, die ihnen als Fachmann wichtig erscheinenden Geräte an sich zu bringen!«

Tovan nickte zustimmend.

»Helfen soll Ihnen dabei Ben!«

Auch dieser nickte.

»Sie zwei«, er wandte sich an die restlichen Lageraufseher, »riegeln rechts und links ab! — Ein paar Schreckschüsse — und nur im Notfall von den Maschinenpistolen Gebrauch machen!

Williams, Sie bewachen die Hard! Ermunterndes Zureden wird sie schon kirre machen, den richtigen Weg zu den Laboratorien zu weisen!

Die Überrumpelung ist zu groß, als daß Gegenwehr befürchtet werden könnte. Sollte es dennoch dazu kommen, dann die Hard als Geisel vorschieben! — Verstanden, Williams?«

»All right!« lautete die Antwort.

»Beim Rückzug die Hard unter allen Umständen mitnehmen! — Immer, in jeder Bewegung, den Eindruck erwecken, als ob sie mit uns im Bunde wäre! Vor allem daran denken: Sie haben nur fünf Minuten Zeit!

Dann mit dem Wagen zum Strand! Ich erwarte Sie dort. — Sie kennen den Platz?«

Alle stimmten zu.

»Dort wartet unsere Barkasse. — Ich gebe Lichtsignale —Richten Sie sich darauf ein, daß Sie in der starken Dünung des Meeres erheblich naß werden. — Vergessen Sie mir nicht die Hard! Sie ist die einzige, die als Belastungszeuge gegen uns auftreten könnte! Ich vertraue sie Ihnen an, Williams! Das ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie mit in die Barkasse gelangt! — Hat noch jemand eine Frage?«

Nach einem Prüfen der Gesichter:

»Nein! — Also alles klar!

Dann bitte ich Sie jetzt, Ihre Koffer zu packen. Jeder nur einen! Für zurückgelassenes Eigentum kommt die Gesellschaft auf. Das Gepäck lasse ich rechtzeitig an Bord bringen! Bis nachher, meine Herren!«

*

Als Evelyne voller Erwartung das matterleuchtete Zimmer betrat, wurde sie von dem biederen Großonkel und von Mister Williams strahlend empfangen.

Das Bankhaus O'Connor habe unter Hintansetzung der eigenen Interessen in eine tragbare Sanierung eingewilligt. Vater Hard sei auf dem Wege der Besserung. Heute nachmittag sei das Telegramm gekommen.

Walker entkorkte selbst, zur Feier des Tages, wie er es nannte, herrlichen Schaumwein. Die Gläser klangen bei angeregter Unterhaltung.

Draußen schaltete Grunwald die Scheinwerfer ab, was das überglückliche Mädchen noch bemerkte.

Doktor Peter Förster und der erste Ingenieur, Körner, standen vor einem großen Zeichentisch im Laboratorium. Es galt, die endgültigen Pläne gutzuheißen, wie der minenzerstörte Teil der Ansaugrohre am ehesten wiederhergestellt und in Betrieb genommen werden konnte.

Körner zeigte Skizzen von neu ersonnenen Abwehrvorrichtungen, um Wiederholungen derartiger Vorkommnisse ein für alle Mal auszuschließen.

Die Diskussion der Für und Wider nahm beider Sinne voll in Anspruch.

Nur einmal blickte Peter Förster rasch auf die elektrische Wanduhr. Jetzt würde Evelyne, gemessen an der üblichen Zeit ihrer Besuche, bald von Benguella zurück sein. Nach dem gemeinschaftlichen Abendessen sollte eine Feier, auf der er den Mitarbeitern seine Verlobung mit Fvelyne bekanntgeben wollte, den frohen Tag beschließen.

Schon war der Gedanke wieder bei den verzwickten technischen Problemen.

»Ich halte dennoch die Versenkung von Betoncaissons mit schmalen Zwischenräumen für billiger und zweckdienlicher als die von Ihnen vorgeschlagene Stahlrostsicherung. Sehen Sie hier, Doktor! — Der Entwurf eines Teilabschnittes!«

Auf den Zeichentisch gelehnt, debattierten beide.

»Die Sache hat nur einen Haken. Wenn — — —«

Das plötzliche Aufheulen der Sirene riß Doktor Förster die Worte vom Munde.

»Alarm!« grellte es vom Nebenraum.

Drei Männer rissen die Tür auf, stürzten durch das Laboratorium und verschwanden in den anstoßenden Gängen und Zimmern.

»Auf die Posten!« schrie Förster.

Es bedurfte der Befehle nicht mehr. Jeder wußte aus vielfachen Übungen, wo sein Platz war. Der Zufall wollte es nur, daß Peter Förster und der erste Ingenieur schon an den ihren standen. Ein Mann nur fehlte noch. Da kam er erregt atmend, öffnete einen Schrank und warf Maschinenpistolen auf den Zeichentisch.

Körner stand vor einer Schalttafel.

Der Doktor vor einer zweiten, schaltete sämtliche Telefone und Lautsprecher des unterirdischen Werkes auf das herausklappbare Kommandomikrophon.

»Der diensttuende Pförtner ist überrumpelt! — Der Aufzug fährt ohne Außenkontrolle!« tönte die jagende Stimme Körners.

»Dann gleitet er hübsch langsam nieder!« war die ruhige Entgegnung Försters.

Doch sein Herz schlug zum Zerspringen. Dem Werk konnte so leicht nichts zustoßen.

Evelyne! — Evelyne!

Das also hatte die Bande beabsichtigt!

Mit seinem Kraftwagen ungehindert eindringen!

Zu spät fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Lebte sie noch?

Brachte man sie als Geisel mitgeschleppt?

— — —

Grüne runde Lichter hatten verlöschend rote ersetzt. Nur zwei davon glommen noch, die Turbinenräume. Jetzt sprang auch ihre Farbe nach Grün über. Alle Stationen waren besetzt.

»Stahltüren schließen!«

Körner betätigte Hebel.

Fernes Rauschen zitterte durch den Raum.

Wie helfen — helfen?

Die zermürbten Sinne fanden keine Lösung.

»Eingangsschiebetor klemmt!« meldete der Erste.

— — —

»Außerste Kraft! — Hindernis zerquetschen!«

Herrgott, wenn da Evelyne — — —?

Er wollte schreiend den Befehl zurücknehmen.

Zu spät!

Das Verhängnis hatte längst dort oben seinen Lauf genommen.

Förster jagte zu den Gläsern, die explosions- und kugelsicher wie die Wand waren. |

Der dritte Mann stand schon beobachtend an einem der kleinen runden Durchblicke.

»Der Aufzug!« meldete er kurz.

Körner allein hielt Wache vor seiner Schalttafel, um die Befehle, die gleich kommen mußten, auszuführen.

»Aufzugtür entriegeln!«

Ein unerwartetes Kommando.

Körner stutzte, drückte dann rasch einen Kontakt nieder.

Noch sah Förster nichts.

Das dicke Drahtschutzgewebe um den großen Lastenaufzug verhinderte jedes klare Erkennen.

Doch der erlösende Gedanke war aufgeblitzt.

Ein jäher Sprung zurück zu den Maschinenpistolen.

»Kramer, bewaffnen Sie sich!«

Der Mann am Ausguck folgte eilend der Aufforderung.

Wieder blickte Peter Förster durch eines der Rundgläser.

Fünf Gestalten waren herausgetreten, standen hinter — Evelyne.

Heiß durchflutete es den Beobachter.

Sie lebte — — —!

Die Hände schienen auf dem Rücken gefesselt.

— — —

Die Bande redete wild auf sie ein.

— — —

Sie wies mit dem Kopf in die Richtung der Tür zum Gemeinschaftsraum, rechts neben dem Laboratorium, aus dem Förster fiebernd spähte.

— — —

Jetzt! Ihre Blicke trafen rasch und flehend genau zu ihm herüber. Wußte sie ihn dort? — Ahnte sie seinen Plan?

— — —

Wieder!

— — —

»Blendstrahler voll Licht!« Ein rauhes Kommando.

— — —

Plötzlich war die viereckige Halle mit dem Aufzug in der Mitte in eine gleißend ätzende Lichtflut getaucht.

»Kramer! — Decken Sie Rückzug!«

— — —

Da entsicherte Förster die schwere Stahltür, schwenkte sie mit aller Kraft auf.

Schrie!

Irr geblendet, hatten jene draußen die Arme vor die Augen geschlagen.

»Ev — Ev — Ev!

In einem einzigen Ducken, Fortschnellen hatte sich das Mädchen von ihrem Bewacher losgerissen.

»Ev — Ev —!«

Nur der Stimme entgegen raste sie vorwärts.

— — —

Schüsse peitschten.

— — —

Zwei Hände ergriffen sie, zerrten die Halbblinde herein.

— — —

Kramer warf sich gegen die Tür.

— — —

Die Schlösser knackten erlösend.

— — —

»Gaaas!«

— — —

Ein einziger Triumphschrei Peter Försters.

Er hielt die Zitternde fest in seinen Armen.

— — —

An den Ausgesperrten aber vollzog sich das Schicksal. Schnell würde das Betäubungsgas sein Werk tun.

»Ev! — Ev! — Du!«

— — —

»Peter!«

Sie trank erlöst seine irren Küsse.

— — —

Hinter ihnen standen zwei mit freudestrahlenden Augen: Körner und Kramer.

»Fräulein Hard! — Fräulein Hard!«

Doch diesmal fand selbst der sonst so redegewandte Erste Ingenieur kein Wort.

Er vermochte nur beide Hände erschüttert darzubieten.

»Erlösen Sie mich erst von meinen Fesseln, dann will ich gern einschlagen!« versuchte Evelyne aufzulachen, doch ihre Lippen zuckten gequält.

Kramer kniete nieder.

— — —

»Geht nicht!«

Peter Förster versuchte den Verschluß zu öffnen. Schob, zerrte, drückte — —

Vergebens!

— — —

»Rufen Sie Asbeck, Herr Körner!«

Der Erste Ingenieur telefonierte.

»Alarm aufheben!« bemerkte Förster noch, schon wieder über die verzwickten Handschellen gebeugt, die die zarten Gelenke schon fast wundgescheuert hatten.

Alle Mühe war umsonst.

Wenn jetzt Asbeck, der Feinmechaniker des Werkes, die Stahlklammern nicht zum Aufschnappen brachte, dann standen der Ärmsten noch arge Qualen bevor.

»Sind bereits selig entschlafen!« knurrte plötzlich in die Stille des Wartens Kramer, der wieder Ausschau hielt.

»Stellen Sie den Gasstrom ab! — Zu viel wäre schade für die Bande!« Ein Zuruf des Doktors an Körner. Der schaltete bereits.

Endlich erschien Asbeck.

Verblüfft starrte er Evelyne an.

Da fiel sein Blick auf die Handschellen.

»Verdammtes Pack!« Ingrimmig schnaufte er im Niederknien und wußte jetzt, warum er gerufen worden war.

»Kramer, reich mir mal da drüben aus dem Werkzeugschrank den Satz Stahlsonden!« — Er hob den Kopf: »Werden wir gleich haben, Herr Doktor! — Kenn' das amerikanische Patentding!* — —

»Hier, Asbeck!«

»Danke! — Halt jetzt mal unserem Fräulein die Handschellen fest, damit's nicht noch mehr scheuert. — So — ja —richtig!«

Er hantierte mit den Instrumenten.

Knacks, tönte es.

Evelyne war frei, reckte die Arme, rieb dann vorsichtig die Gelenke.

»Meinen herzlichsten Dank, Herr Asbeck!« Sie reichte die Hand. »Was wäre aus mir geworden, wenn Sie nicht... .«

»Nichts zu danken, Fräulein Hard!« unterbrach Asbeck sie.

Dann wandte sie sich um, ihrem Peter zu.

Zwei Augenpaare hielten eine stumme Zwiesprache.

Das Laboratorium hatte sich mehr und mehr gefüllt.

Erregte Worte schwirrten. |

Einige der Männer traten immer wieder an die Gucklöcher, schauten voller Befriedigung auf die draußen betäubt liegenden Männer.

»Haben Sie schon Frischluft ventiliert?« fragte Förster seinen Ersten Ingenieur.

»Jawohl, Doktor! Können in wenigen Minuten nach

draußen gehen! — Jeder genug gesehen?«

»Ja!« ertönte vielfach die Antwort.

»Dann schalte ich die Blendstrahler ab! — Geklappt hat das aber! — Dunnerkiel, besser als bei jeder Übung!« Der Übermut des Ersten kam wieder zum Durchbruch. »Bisher hatte unser Doktor doch stets noch was zu bemängeln! Dieses Mal hoffentlich nicht!«

Alle lachten schallend auf. Der Bann war gebrochen.

»So, und jetzt weiter!« gemahnte Försters Stimme. »Öffnen Sie bitte, Kramer!«

Langsam schwenkte die Stahltür nach innen.

Prüfend schritt Peter Förster als erster hinaus.

»Die Luft ist rein! — Kommen Sie!«

Die Männer folgten.

Rasch waren die Betäubten entwaffnet und alle Taschen gründlich untersucht. In einem Handkoffer entdeckte Asbeck verschiedenartiges Sprengmaterial.

Auf rasch herbeigeholten Tragbahren wurden die leblosen Körper in den Aufzug gebracht.

Das erste unterirdische Stockwerk barg eine Reihe kleiner Gelasse. Daß sie einmal als Einzelhaftzellen dienen könnten, hatte der Baumeister sich wirklich nicht träumen lassen.

»Körner, nehmen Sie, bitte, einige Leute mit und schaffen Sie die Kerle in die Räume elf bis fünfzehn. Jeden schön für sich! — Dann fahren Sie weiter nach oben und schauen mal nach dem Pförtner. Ich bin in großer Sorge, daß dem letzten, der uns noch fehlt, ernstliches Unheil zugestoßen ist. — Bitte, aber allergrößte Vorsicht! — Waffen mitnehmen! — Es ist zwar zu erwarten, daß, falls in der Einfahrtshalle noch Helfershelfer sind, diese auch betäubt wurden. — Dennoch — auf der Hut sein!«

»Selbstverständlich, Doktor!«

Einige eilten zurück und brachten die Maschinenpistolen.

Der Aufzug setzte sich in Bewegung.

Die Zurückbleibenden suchten den Gemeinschaftsraum auf. Förster nahm Evelynes Arm, drückte ihn zart an sich.

»Komm, Liebes, du!« —

Sie betraten das leere Laboratorium.

»Hier setz dich neben mich!« Er schob ihr einen Stuhl zurecht, drückte innig die Lippen auf das Haar, nahm dann selbst Platz und griff zum Hörer des 'Tischapparates.

Die Verbindung war rasch hergestellt.

»Hier Angolesa. Doktor Förster! — Bitte, Herrn Gouverneur.«

Evelyne verstand zu wenig portugiesisch, um der sich nun entspinnenden Unterhaltung zu folgen. Sie stellte nur fest, daß ihr Peter lebhafter und lebhafter wurde, mehrmals in freudiger Überraschung auf den Tisch hieb, ›sehr gut, ausgezeichnet — bravo‹ rief.

Ihre Gedanken glitten zu den letzten Geschehnissen. Nichts glaubte sie mehr dem angeblich so besorgten Großonkel. Eine einzige ekelerregende Schufterei dieser Erpressungsversuch. Ihr Peter hatte recht behalten. Lieber, guter Dadd, wie wirst du dich freuen, wenn du erst erfährst, wie glücklich ich bin.

Da schlug der Hörer auf die Gabel.

»Ev! Das ist großartig! Hör zu!

Heute nachmittag erhielt der Gouverneur die telefonische Meldung aus Ganda. Die Untersuchungskommission war von Camátia zurück. Sie bestätigten vollauf meinen Bericht. Da entschloß sich seine Exzellenz, nach Rückfrage beim Hohen Kommissar in Nova Lisboa, zuzufassen und das Räubernest auszuheben. Er wollte, um jedes Aufsehen zu vermeiden, erst nach Eintritt der Dunkelheit die Verhaftung vornehmen. Ausgerechnet du kamst dem Polizeichef, der das Anwesen bereits umstellt hatte, in die Quere.

Nun aber das Schönste! Um dir jede Aufregung zu ersparen, verschob er den Zugriff bis nach deiner Abfahrt.

Der Leiter der Firma hätte sich galant am Wagen von dir verabschiedet, doch nur eben diesen Herrn hätten sie als einzigen erwischt. Die anderen Vögel waren ausgeflogen. Ich hätte das Gesicht seiner Exzellenz zu gern sehen mögen, als ich ihm mitteilte, daß der Rest der Bande sich in meinem Gewahrsam befindet. Morgen früh, wenn ihr Rausch vorüber ist, werden sie auf Numero ›Sicher‹ nach Benguella übergeführt.«

Er unterbrach nachdenklich die Wiedergabe des Telefongesprächs.

»Wie ist denn das möglich? — Der Chief har sich galant von dir verabschiedet?«

»O ja! Sehr galant sogar!«

»Das begreife ich nicht!«

»Das wirst du auch so leicht nicht! Hör erst mal! — Als ich das Haus betrat, empfingen mich Williams und Walker. Dieser berichtete hocherfreut, daß ein neues Telegramm eingetroffen sei. Dadd befinde sich auf dem Wege der Besserung. Das Bankhaus O'Connor habe in eine tragbare Sanierung eingewilligt.«

»Ist ja alles erlogen!«

»Weiß ich jetzt, Peter! Doch hör weiter! Zur Feier des Tages gab es Sekt!«

»Auch das noch!«

»O ja, sehr guten sogar! — Und plötzlich wurde mir von hinten ein Betäubungsmittel vor Mund und Nase gehalten. Mir schwanden rasch die Sinne!«

»Verdammtes Pack!« Förster trieb die Vorstellung zu wütendem Grimm. »Was hast du nur ausstehen müssen!«

»War halb so schlimm. Nur im Augenblick des Erstickens hatte ich rasende Angst!«

Das Mädchen erzählte so sachlich, als ob es sich nicht um sie, sondern ein Wildfremdes gehandelt hätte.

»Ich muß sehr rasch wieder zu mir gekommen sein. Ein Knebel steckte in meinem Mund, und drei schwerbewaffnete Kerle ließen mich im übrigen nicht im geringsten Zweifel, was ihre Pistolen bedeuteten. Fenster und Tür waren fest verschlossen.

Dann eröffnete mir der liebevolle Großonkel, daß ich bei dem geringsten Zeichen von Widerspenstigkeit kaltgemacht würde. Ich sei in ihrer Gewalt — und daran zweifelte ich nicht, zumal da ich bereits gefesselt war. Ich hätte sie in das unterirdische Werk zu führen. Ob es Tatsache sei, daß sich die Laboratorien im zweiten Stockwerk befänden.

Ich nickte nur. Sprechen war ja unmöglich.

Wie dankbar war ich dir in diesem Augenblick, daß du mir den gesamten Abwehrmechanismus deines Werkes genau erklärt hattest. Ich wußte, daß die Bande rettungslos in der Falle vergast würde. Nur die Vorstellung, was mit mir als mitgeführter Geisel geschehen könnte, war mir weniger sympathisch.

Auf alle Fälle erfreute Walker, wie seine Spießgesellen, meine rasche Einschüchterung auf das angenehmste.

Der Chief befahl, mir den Knebel aus dem Munde zu nehmen.

Und dann wurde ich nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht.

Ich beantwortete sämtliche Fragen wahrheitsgetreu. Nur von Abwehrvorrichtungen wußte ich nichts. Meine Willfährigkeit machte den denkbar besten Eindruck. Sie fühlten sich so sicher, daß jeder Argwohn schwand. Ich markierte Höllenangst und Verzagtheit, um mir größere Bewegungsfreiheit für später zu verschaffen. Ich baute fest darauf, daß du schon einen Weg finden würdest, mich den Klauen der Bande zu entreißen, bevor es vielleicht zu spät wäre. Dazu war aber notwendig, daß man mir keinerlei Eigenmächtigkeiten mehr zutraute, die Bewachung nicht so scharf wie jetzt war.«

»Ich bewundere deinen Mut, Ev!« In ehrlichem Staunen betrachtete Förster das liebe Gesicht.

»Ach, red' keinen Unfug! — Die Suppe hatte ich mir selbst eingebrockt, weil ich deiner größeren Erfahrung nicht voll vertraute. Nun durfte ich sie auch allein auslöffeln.

Die drei Schwerbewaffneten verschwanden auf einen Wink Walkers mit dem langen Williams. Dieser seltsame Mister mit den feurigen Augen, ›Tovan‹ glaubte ich zu verstehen, begehrte nur immer noch mehr zu erfahren, wandte dann einmal einen Blick zu Walker, als ob er sagen wollte, das haben Sie geradezu glänzend gemacht.

Der Chief selbst belehrte mich, daß ich mich nachher fein ruhig und gesittet zu benehmen hätte. In meiner Limousine würde es etwas eng werden, da schon die fünf Herren in der Dunkelheit vor mir hineingeklettert seien. Ich hätte mich gelassen niederzusetzen, ganz gleich worauf. Er würde mir persönlich das Geleit geben. Ich möge aber felsenfest überzeugt sein, daß eine einzige verdächtige Bewegung meinen sicheren Tod bedeute.

Ich war entsetzlich verstört und versprach hoch und heilig, alles, was er verlange, bedingungslos durchzuführen, nur mein Leben solle er schonen.

Das sicherte er großzügig zu.

Dann tat er das Dümmste, was er tun konnte. Er holte eine weitere Flasche Sekt und gab mir zu trinken. Ich sollte mich nach dem Schreck etwas stärken! Sehr behutsam führte er mir mehrmals das Glas zum Munde. Das Riesenkamel!

Hätte er geahnt, wie wonnig neue Kraft mir der Schaumwein verlieh! Die Folgen der leichten Besinnungslosigkeit waren wie weggeblasen. Ich fühlte mich jetzt wahrlich für alles gestärkt.

Bald darauf kamen die vier zurück. Ich vernahm, daß sie nun auch wußten, welche Geheimsignale erforderlich seien, um mit dem Wagen unangefochten in die Bunkerhalle zu gelangen, und wie man diese betätigte. Einer trug schon Jackett und Mütze Grunwalds.«

»Um Himmels willen! — Grunwald!«

Fassungslos schlug sich Peter Förster an die Stirn. »Wie konnte ich den vergessen!«

Evelyne war entsetzt, daß sie des Fahrers nicht mehr gedacht hatte. Sie allein wußte ja, daß Grunwald im alten Sklavenhaus zurückgeblieben war.

»Peter! — Ich —«

»Laß gut sein, Ev! Ich hätte daran denken müssen. Meine Sorge aber war einzig bei unserem Pförtner oben! — Weißt du etwas über Grunwalds Schicksal?«

»Nein! — Erpreßt haben sie ihn, das ging aus den schnell gewechselten Worten hervor!«

Ein kurzes Nachsinnen, dann griff Förster zum Telefon.

Die Wählerscheibe schnurrte.

— — —

Warten!

— — —

»Hier Angolesa! — Doktor Förster. — Ist Herr Santos Cabral zu erreichen —?«

»Der Polizeichef!« raunte er Ev zu.

Wieder folgte eine Unterhaltung in der Landessprache, diesmal aber nur kurz.

Er legte den Hörer zurück.

»Ein gütiges Geschick gebe, daß sie ihn finden! — Cabral bricht sofort zur Haussuchung auf. — Er sagte noch, aus Mister Walker sei kein Sterbenswörtchen herauszuholen.«

Schritte nahten.

Es war der Erste Ingenieur.

»Befehl ausgeführt!« meldete er sachlich nüchtern, doch den listig blinzelnden ÄAuglein war anzusehen, daß er wieder zu Allotria aufgelegt war.

Förster schüttelte abwehrend den Kopf.

In verändertem Tonfall fuhr Körner fort: »Unser Bär von Pförtner muß einen irrsinnigen Kinnhaken verpaßt bekommen haben. Er ist außerdem vom Gas betäubt. Das Herz schlägt ruhig und normal. Ich habe ihn in die Krankenstube bringen lassen.«

»Na, wenigstens diese Sorge los!« bemerkte aufatmend Peter Förster.

»Unsere schöne Limousine aber, Herr Doktor, besteht nur noch aus zwei ungleichen Hälften, sofern Hälften ungleich sein können!« Er lachte wieder.

»Wie ist denn das möglich?«

»Unsere vorsichtigen Einbrecher haben sie genau auf die Rollschiene des Stahlschiebetors gesetzt. Vermutlich wollten sie auf diese Weise verhüten, daß man ihnen den Rückzug abschnitt. Erinnern Sie sich noch, als ich vorhin rief: Eingangs-Schiebetor klemmt?«

Förster nickte.

»Da gab ich auf Ihren Befehl volle Kraft! — Ha! — Unsere vortrefflichen Maschinen!«

»Na, und?«

»Genau den Daumen konnte ich noch in die Fuge klemmen. Bis auf diese Breite«, er wies den genannten Finger, »ist unser guter Mercedes querdurch zerquetscht!«

»Hm, ja —«, erwiderte Förster zerstreut. Dann richtete er den vollen Blick auf Körner und fragte:

»Sagen Sie, Körner, ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß einer von uns fehlt?«

Erschreckt über diese unerwartete Antwort starrte der Ingenieur erst den Frager, dann Evelyne an.

Er zuckte die Achseln, grübelte.

»Fehlt doch keiner, Doktor!«

»Na, dann kann ich wenigstens mein Gewissen mit der zweifelhaften Entschuldigung entlasten, daß Sie als stellvertretender Betriebsleiter nach allen Aufregungen auch nicht die Gedanken zusammenhalten können! — Höchst bedauerlich! — Für uns beide, Körner! — Grunwald fehlt!«

»Das kommt nur von seiner Einzelgängerei!« polterte der hitzige Ingenieur los. »Er hockt da Tag und Nacht fast ausschließlich über seiner Piezokristallschleiferei und kümmert sich nie um unsere Gemeinschaft! — Kein Wunder, daß man ihn vergißt! Hat eben kein rechtes Gefühl für Kameradschaft!« .

So unrecht hatte Körner nicht.

Förster schaute auf.

»Vielleicht lernt er auch das in diesen Stunden! — Wenn er noch lebt. Aber das enthebt uns nicht des Vorwurfs der Pflichtvergessenheit!«

Körner war ein viel zu aufrichtiger Mensch, die Berechtigung der Worte nicht anzuerkennen.

Förster berichtete kurz, was er wußte und was er unternommen hatte, und — die Feier könnte selbstverständlich nicht stattfinden.

Etwa eine Stunde später schellte kurz nach dem gemeinschaftlichen Abendessen das Telefon.

Der Polizeichef meldete, daß das Haus auf das gründlichste untersucht worden sei. Er bedaure aufrichtig, mitteilen zu müssen, daß von Senhor Grunwald keine Spur gefunden worden sei.

Die Stimmung sank auf den Nullpunkt.

Bei der Brutalität der Gangster zweifelte keiner an der Tatsache, daß der belastende Zeuge beseitigt worden war.

Förster schwieg.

Evelyne suchte ihn abzulenken, blätterte in den neu eingegangenen Telegrammen, reichte ihm Stück um Stück zu.

In der Mitte des Raumes debattierte, langsam sich erhitzend, eine Gruppe, was alles hätte geschehen können.

Der Zeiger der Uhr rückte der zehnten Abendstunde entgegen.

Förster las wieder, nach kurzem Aufsehen, Telegramme. Draußen knackten irgendwo die Sicherheitshebel des Aufzugs.

Asbeck erschien mit erhitztem Gesicht.

»Herr Doktor! — Der eine Lange — ist schon wach! — Den anderen haben wir die Wasserkrüge hingestellt. — Sie schlafen noch! — Williams heißt er! — Will Sie sprechen! Wir haben wieder zugeschlossen! — Soll ich ihn holen?«

Zunächst dachte Peter Förster daran, mitzugehen, dann aber — ein Blick auf die Gesichter der Seinen genügte.

»Bringen Sie ihn her! — Aber aufpassen!«

Der Feinmechaniker eilte von dannen.

Die Spannung stieg.

Stimmenwirrwarr!

»Der gerührte Jim!« Evelyne lachte hell auf: »Ich bin gespannt auf die neue Rolle, die er uns vorspielen wird.«

Das Stichwort wirkte unbeabsichtigt.

Erwartungsvolle Ruhe trat ein.

Die Tür ging auf.

Der hagere Jim Williams stand in glänzend gespielter Pose im Rahmen. Eine angedeutete Verbeugung. Asbeck und Kramer wachten hinter ihm.

Mit schnellen, ausholenden Schritten ging er über den weichen Teppich auf Doktor Förster zu. Eine neue, knappe Verbeugung.

»Habe die Ehre mit Herrn Doktor Förster? — Jim Williams ist mein Name!«

Dann eine leichte Wendung.

»Fräulein Hard, ich bin untröstlich! Sie sehen mich völlig zerknirscht.« Tatsächlich, Haltung und Minenspiel waren Ausdruck völliger Niedergeschlagenheit. »Ich sehe Ihre zarten Gelenke frei der schändlichen Fesseln. — Eine Zentnerlast fällt mir von der Seele!« Er richtete sich auf. Ein strahlend erlöster Blick streifte über die Versammelten. »Einzig mein heißer Wunsch trieb mich her, Ihnen zu helfen. — Hier diesen Schlüssel wollte ich überbringen!« Er legte tatsächlich einen flachen Gegenstand auf den runden Tisch vor Evelyne.

Der Bursche sprach ein erstaunlich korrektes Deutsch.

So viel Frechheit verschlug den Atem.

Förster ging ernst auf den Ton ein, während ein Teil seiner Leute mühsam das Lachen verbiß.

»Es freut mich außerordentlich, Mister Williams, daß Sie um meine Braut so besorgt sind. Sie hätten Ihren freundschaftlichen Gefühlen nur früher Ausdruck verleihen sollen!«

»Ah! — Ihr Fräulein Braut! Darf ich mir erlauben, Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch zu dem gewiß erst jungen Ereignis auszusprechen?« Es fehlte nicht viel, und Jim hätte in entwaffnender Biederkeit die Rechte geboten.

»»Was aber Ihren leicht verständlichen Vorwurf anbetrifft, so bin ich an allem völlig unschuldig, so sehr auch der Schein gegen mich spricht. Ich wurde zu dem scheußlichen Attentat auf Ihr in der Welt einzigartig dastehendes Werk gezwungen, gegen meine tiefste innere Überzeugung mit Gewalt gezwungen!« Die Stimme schluchzte fast. »Und das nur meiner deutschen Sprachkenntnisse wegen.«

»Bitte, nehmen Sie Platz, Mister Williams. Ich sehe, daß ich Ihnen fast bitteres Unrecht zugefügt hätte. Sie flößen mir Vertrauen ein. — Darf ich Ihnen etwas anbieten? — Ich schätze, Sie werden Durst leiden!«

»Herr Doktor«, — der Hagere zog in würdiger Zurückhaltung einen Stuhl heran —, »ich danke Ihnen! Ein Mann mit Ihrer Menschenkenntnis läßt sich nicht täuschen. Ich habe Mister Walker, meinen Chef, gewarnt, ihm geraten, die Finger von dem abscheulichen Vorhaben zu lassen. Es war verlorene Liebesmühe.« In bitterer Entsagung hob er die Schultern. »Ich habe darauf hingewiesen, immer und immer wieder, daß ein Genie wie Herr Doktor Förster« — der Blick strich rasch, die Wirkung abschätzend, über die versammelten Männer — »auch die seiner hohen technischen Bildung entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen getroffen haben würde, um sein Werk zu schützen. Es war vergebens. Nun muß ich die unselige Tat anderer büßen.«

»Aber, Mister Williams, S i e doch nicht! — Und der bösartige Anstifter, Ihr Erpresser, sitzt längst hinter schwedischen Gardinen und sieht seinem gerechten Schicksal entgegen.«

»Ah! — Mister Walker wurde festgenommen?« Unverkennbare Genugtuung verklärte das hagere Antlitz. »Wahrhaft eine Fügung göttlicher Gerechtigkeit!« .

»Sie haben das rechte Wort ausgesprochen, Mister Williams!« fuhr Förster fort. »Doch was darf ich Ihnen als Erfrischung anbieten?«

»Ich sehe, Sie sind beim Wein! — Wäre es sehr unbescheiden, wenn ich um etwas Whisky-Soda bitten dürfte?«

»Durchaus nicht — Franz, bringen Sie mal den Whisky und Sodawasser!«

»Sie sind ein wirklich scharmanter Gastgeber, sehr verehrter Herr Doktor! — Wie stimmungsvoll und gemütlich ist es hier! — Ich hatte das nicht erwartet!«

Der Diener brachte die Flaschen. Williams mischte behend.

Die Männer um Förster waren einfach sprachlos.

»Auf Ihr Wohl und das Ihrer entzückenden Braut!« Williams hob in vollendetem Anstand sein Glas. »Es ist zwar nicht Sitte, mit diesem Getränk ein Wohl auszubringen. Bitte, nehmen Sie meinen guten Willen für die Tat. Das Ganze sei Ihrer glücklichen Zukunft dargebracht.«

Schwapp! Der Inhalt war verschwunden.

»Bitte, bedienen Sie sich nur, Mister Williams!« nötigte Peter Förster. »Ich vermute, Sie sind auch sonst ein fröhlicher Zecher.«

»Gott ja, Herr Doktor! In diesem Klima ist die Kehle häufig trocken!«

»Das dachte ich mir so!« entgegnete leicht boshaft der seltsame Gastgeber. »Verzeihen Sie, Mister Williams, Sie säßen nämlich ohne eine gewisse Alkoholgewöhnung noch nicht hier. Sie waren recht widerstandsfähig gegen das Betäubungsgas.«

»Herr Doktor, Sie wissen scharmant zu scherzen!«

»Finden Sie?« Er beugte sich vor. »Gestatten Sie, daß ich Ihnen einmal einen Whisky-Soda mische, Mister Williams?«

»Aber bemühen Sie sich doch nicht, verehrter Herr Doktor! — Sonst mit dem größten Vergnügen!«

Förster goß das Glas nahezu voll Whisky. Ein Spritzer Wasser nur folgte.

»So! Mister Williams, das dürfte wohl eher nach Ihrem Geschmack sein. — Nur keine falsche Bescheidenheit vorschützen, wir sind hier unter aufrechten Männern!«

»Ich bewundere abermals Ihre Menschenkenntnis.«

Jetzt erst trank das hagere Gestell mit Behagen.

»Da fällt mir gerade ein«, meinte der Doktor leichthin, »uns fehlt unser Fahrer, Herr Grunwald. Wissen Sie vielleicht zufällig, wo er sein könnte?«

»Um Gottes willen, Herr Grunwald!« — Entsetzt sprang Williams hoch. »Daß ich des Armsten nicht gedachte!« Er raufte sich das Haar, ließ sich erschöpft wieder in den Stuhl fallen. »Fürchterlich, Herr Doktor!«

»Was ist mit Grunwald?«

»Er wurde in das Haus gelockt! — Sie wissen nicht, Herr Doktor, wie peinlich es für mich ist, darüber zu reden. Ich wurde gezwungen. Doch ich schulde Ihnen Aufklärung!«

»Sprechen Sie getrost, Mister Williams! Sie stehen unter meinem Schutz!«

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor! — Grunwald wurde gefesselt. — Da ich der einzige bin, der deutsch spricht, sollte ich das Verhör vornehmen. — Er sagte nicht aus. — In ihrer Wut schleppten die Gangster, die ein gewisser Higgins gedungen hatte, Herrn Grunwald in den Keller und — furchtbar, Herr Doktor! — Ich konnte die Tat nicht hindern. —

Sie erpreßten ihn.«

»Wie?«

»Die Firma handelt auch mit schweren — —«

Williams hielt in seinem Bericht inne. Ein Blick des Unbehagens schnellte kurz unter den gesenkten Lidern über den Kreis der Männer, deren gespannter Gesichtsausdruck von allem anderen als von Wohlwollen sprach.

»Nun?« bestand der Doktor auf Fortsetzung.

Da beugte der hagere Williams sich plötzlich vor über die Tischkante und sprach sehr hastig und für die Umsitzenden nicht verständlich auf Förster ein.

»Weiter!« — mahnte der Doktor, als Williams abermals schwieg.

Und wieder flüsterte Jim Williams, bis er sich achselzuckend in seinen Stuhl zurücklehnte, die Linke in müdem Verzicht anhebend und wieder sinken lassend.

Peter Förster stand auf, schob hart den Stuhl zurück.

In seinem Gesicht arbeitete es.

»Asbeck — Kramer! — Führen Sie diesen — Herrn ab!« Man sah, daß es ihn äußerste Mühe kostete, sich zu beherrschen. |

Jim Williams erkannte, daß sein Spiel verloren war. Er verbeugte sich knapp und verließ den Raum, verfolgt von den starren Blicken der Werksangehörigen.

Einer der beiden Wächter schloß die Tür hinter ihm.

»Erlassen Sie es mir bitte, daß eben Gehörte wiederzugeben. — Vielleicht kann es später Grunwald — wenn er noch lebt!« sagte Förster, der bereits am Fernsprecher stand. Aus den Worten klangen Ekel und Verbitterung.

Der Finger drehte die Wählerscheibe.

Nach kurzem Warten war die Verbindung hergestellt, der Polizeichef verständigt. — »Ich komme sofort«, hörte der »Erste« noch.

Da wandte sich der Doktor ihm zu:

»Herr Körner! — Los, Leute! — Die Trümmer oben aus dem Wege räumen! — Felten, Sie kommen mit, fahren mich mit dem Jagdwagen nach Benguella! — Ich muß dabei sein. Ich weiß jetzt wo Grunwald zu suchen ist. — Vielleicht ist er noch zu retten!«

Ein rascher Abschied von Evelyne, die allein zurückblieb. Sie ging in den Wintergarten. Die Luft hier ertrug sie nicht. Ein Schauer überlief den Körper.

Bald kam der Erste Ingenieur zurück und leistete ihr Gesellschaft.

Die Gefolgschaft harrte, im Gemeinschaftsraum versammelt, auf die Rückkehr ihres Doktors.

Was würde er bringen?

*

Die Zeit verstrich endlos langsam.

Eine Stunde mochte vergangen sein, da meldete die Signalanlage die Rückkehr des Wagens.

Bald darauf summte der Aufzug.

Die Entscheidung nahte. Totenstille Erwartung zeichnete die ernsten Gesichter.

Die Tür schwenkte auf.

Försters glückliche Augen sagten alles.

Sie sprangen auf und umringten ihn.

»Grunwald lebt!«

Jubel erklang.

»Der Arzt kam wahrhaftig in letzter Minute. Die künstliche Atmung war von Erfolg. — Grunwalds starkes Herz hat ihn gerettet. — Er liegt im Krankenhaus unter guter Obhut. — Es wird allerdings noch einige Tage dauern, bis er hierher zurückkehren kann; denn es besteht noch die Gefahr, daß ein Nervenfieber die Wiedererstarkung des Körpers hinauszögert. Doch der Chefarzt meint, daß selbst eine solche Erkrankung den robusten Körper Grunwalds nichts anhaben könne.«

Die Botschaft erfüllte die Herzen mit Freude.

»Nun mache ein jeder, was er will!« fuhr Förster fort. »Ich kann mir vorstellen, daß die Ereignisse dieses Tages in den Gemütern erst abklingen wollen und noch keiner an Schlaf denkt. Mir wenigstens ergeht es so! — Franz!«

»Herr Doktor?«

»Sie wissen Bescheid?!«

»Jawohl, Herr Doktor!«

»Dann also, soweit es möglich ist, gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herr Doktor!« schallte es zurück.

Peter Förster verließ den Gemeinschaftsraum, die Zurückbleibenden noch einmal fröhlich grüßend.

*

Mitternacht war lange vorüber. Noch immer saßen Evelyne und Peter im blumenleuchtenden Wintergarten. Stoff zur Unterhaltung war wahrlich genug vorhanden. Die aufgepeitschten Nerven gaben keine Ruhe.

»Weißt du übrigens, Ev, daß heute der Dreizehnte ist?« Ein Blick auf die Uhr. »Besser gesagt gestern!«

»Hu, die verschrieene Unglückszahl hat aber gründlich versagt!« |

»Unglückszahl? — Nein! Bei unseren Vorfahren galt sie immer als ausgesprochene Glückszahl. Zum Kuckuck, da schrillt doch irgendwo ein Wecksignal! — Hörst du?«

Lauschen!

»Ja, jetzt ganz deutlich, Peter!«

Beide standen auf, gingen dem Schall nach. Auf dem Gang war kaum etwas zu vernehmen.

»Wir wollen mal im Laboratorium nachschauen, dort ist die Fernmeldezentrale.«

Als sie den Raum betraten, schrillte es wieder. Ein Blick auf die Anzeigetafel.

»Der Kabeltelegraph läuft! — Jetzt? — Um diese Zeit? — Es muß schon was sehr Dringendes sein!«

Förster öffnete die Tür zum Nebengelaß.

Der Schreibhebel des tickenden Gerätes hämmerte fleißig Morsezeichen auf den schmalen herausquellenden Papierstreifen. Ein kleiner Ringelhaufen lag bereits auf dem Boden.

Förster nahm den Anfang auf, ließ das Band durch die Finger gleiten.

»Unchiffrierter Klartext? — Nanu?«

Dann:

»Ev! Unser Telegramm! — Hier, setz dich! — Dort ist ein Block und Bleistift. — Schreib bitte! — Ich diktiere. — Fertig?«

»Los!« lachte Evelyne. Keine Furcht quälte sie mehr. Gleich würde die volle Bestätigung von Dadds Wohlergehen schwarz auf weiß vor ihr liegen.

Langsam, Wort um Wort schrieb die Hand, und bei jedem vollendeten Satz leuchteten die Augen heller.

»Schluß!«

Da sprang sie jubelnd auf und fiel ihrem Peter stürmisch um den Hals. »Nun ist alles, alles gut!«

»Hattest du noch Zweifel?«

»Nein, Peter! Aber es ist so schön, zu wissen, daß Dadd genau so gesund und munter ist wie wir zwei. — Er fehlt uns nur noch hier!«

Förster machte sich an dem Apparat zu schaffen, gab die Bestätigungszeichen, dann kehrten sie in den Wintergarten zurück.

»Lies, bitte, noch einmal vor!«

»Ja, Peter, hör!


ANGOLESA BENGUELLA WESTAFRIKA

EINGEHENDE UNTERSUCHUNG JEDEN VERDACHT ZERSTREUT STOP WIDERRUFEN FEHLMELDUNG ZUSTAND GESUNDHEIT CHEF-CHEMIKER ZUSAMMENARBEIT BEEINTRÄCHTIGT STOP AUSFÜHRLICHER BERICHT FLUGPOST ABGEGANGEN STOP GOLDSTAHL


Peter, warum haben die nur so einen verrückten Text gekabelt?«

»Sehr einfach, Ev! Dringende Klartelegramme laufen rascher als chiffrierte, unterliegen auch nicht so sehr der Verstümmelungsmöglichkeit und zeitraubenden Rückfragen. Der Text ist übrigens glänzend zusammengestellt. Auch der Argwöhnischste muß gerade des Klartextes wegen glauben, daß es sich hier um eine unbedeutende geschäftliche Mitteilung handelt.«

»Der gute Dadd als Chefchemiker ist köstlich! — Herrgott, ist dieser Dreizehnte ein Glückstag! — Du, jetzt fang ich doch langsam an, müde zu werden. — Nur noch eine Frage, Peter! Immer wenn ich sie stellen wollte, kam etwas dazwischen. Die Anschrift Angolesa, Benguella brachte mich wieder darauf. Warum hast du eigentlich deinem Werk diesen Namen gegeben?«

»Als vor etwa drei Jahren feststand, daß des Benguellastromes wegen und manch anderer Umstände halber das erste Meergold-Gewinnungswerk nach Angola verlegt werden sollte, liefen die weiteren Planungen unter dem Kennwort ›Angolesa‹, das angolesische Unternehmen, sozusagen. Nach hiesigem Landesgesetz muß nun jede Firma eingetragen werden. Ich wollte die langgewohnte Bezeichnung nicht schießen lassen und fand nach einigem Grübeln aus der Abkürzung den offiziellen Wortlaut: Angola Gold Exploration S. A., auf gut deutsch: ›Angola-Gold-Erforschungs A.G.‹, denn sociedade anonyma heißt Aktiengesellschaft. Somit war das Kind international verständlich neu getauft.«

»Das Wort hat einen seltsamen Klang. Geheimnisvoll und doch ansprechend«, gab Evelyne ihrem Sinnen Ausdruck.

Peter Förster erhob sich.

»Jetzt wird aber Schluß gemacht! Es ist gleich halb vier!«

Kurze Zeit darauf kam auch über die letzten, die bis dahin im unterirdischen Werk noch munter gewesen waren, der wohlverdiente Schlaf.

Am nächsten Morgen frühstückte Evelyne später. Sie fühlte sich nicht so frisch wie sonst. Die vielfachen Erschütterungen des Vortages waren nicht ohne Rückwirkung geblieben. Wirre Träume hatten die Seele gehetzt und geängstigt.

Von ihrem Peter lag ein lieber Gruß auf dem Tisch, und eine der langstieligen Rosen, die eben erst begann, die herrlich dunkelrote Knospe zu entfalten, duftete bestrickend.

Franz, die treue Seele, bediente stumm und aufmerksam.

Starker Akazienhonig, der von den Eingeborenen Angolas neben Wachs in großer Menge wild geerntet wird, träufelte zäh auf das knusprige Brötchen.

»Was ist das da draußen für ein ungewohntes Rumoren und Poltern, Franz?«

»Vor einer Stunde kamen Lastwagen vom Hafen. Sie brachten große Maschinenteile. Heute in aller Frühe legte die ›Winfried‹ in Lobito an.«

»Maschinenteile?«

»Ja, Fräulein Hard! — In den Turbinenräumen werden die vorgesehenen Erweiterungen durchgeführt.«

»Aha!« — —

»Was macht unser Pförtner?«

»Der?« Franz lächelte, als ob er sagen wollte, wie können Sie um diesen Bären besorgt sein. »Schuftet wie ein Herkules!«

»Soso! — Ist Nachricht von Grunwald eingegangen?«

»Herr Doktor Förster gab heute morgen an alle durch, Herr Grunwald schliefe unter der Wirkung des eingespritzten Beruhigungsmittels fest und gut. Der Chefarzt glaube, ihn bereits morgen entlassen zu können. Dann sollte er sich aber noch einige Tage in frischer Luft bewegen. Herr Doktor will ihn auf zehn Tage ins Hochland schicken, des kühleren Klimas wegen.«

»Das hat der Ärmste auch verdient!« In warmem Mitgefühl schaute Evelyne auf. »Franz, was sagen Sie zu dieser Rohheit?«

»Fräulein Hard, — ich kann dazu nichts sagen.« Die Augen schimmerten feucht, fast furchtsam. — »Ich habe mich sehr erregt, als ich heute morgen Einzelheiten erfuhr.«

»Daher sehen Sie auch so blaß aus!«

»Ja, Fräulein Hard! — Es ging mir sehr nahe!«

Franz schenkte neuen Kaffee ein.

»Sind die Gangster schon fort?«

»Ja, Fräulein Hard! Sie wurden in aller Frühe von Beamten zum Stadtgefängnis abgeführt.«

Das Telefon summte.

Er eilte zum Apparat.

»Jawohl, Herr Doktor.«

Franz kam zurück und teilte Evelyne mit, daß Doktor Förster sie im Werk erwarte. Und sofort sprang Evelyne auf, stürzte im Stehen rasch noch den Kaffee hinunter.

»Auf Wiedersehen, Franz!«

Schon schlug die Tür zu.

*

Evelyne mußte, nachdem sie ihren Tropenhelm geholt hatte, vor dem großen Lastenaufzug warten, wo sie von den Arbeitenden fröhlich begrüßt wurde. Ein schweres Maschinenteil hing in Ketten einer Laufkatze. Der Motor sprang summend an. Langsam bewegte sich die wuchtige Masse den weit geöffneten Stahltoren zu.

Zum ersten Male konnte sie dort hinunterschauen.

Schienen, in breitem Abstand, führten eine schiefe Ebene steil abwärts. Ein merkwürdig gebautes Fahrzeug, hinten zwei kleine, vorn zwei große Räder, ruhte auf den Gleisen.Die Ladeplattform stand auf diese Weise immer waagerecht. Stahltrossen erlaubten, das Gefährt auf und ab zu bewegen.

Nur mit Hilfe dieses sinnreichen Beförderungsmittels, deren zwei vorhanden waren, war es möglich, Lasten zu den im tiefsten Stockwerk gelegenen Turbinenräumen zu transportieren, befand sich doch in der letzten Sohle das gewaltige Rieselbassin, darüber in der Mitte die Beobachtungshalle. Den Aufzug konnte man daher, bedingt durch die Pyramidenform des unterirdischen Werkes, nur bis zu dem zweiten Stockwerk durchführen. Dort wurde vermittels der Laufkatze umgeladen, eine durch die vorhandenen technischen Hilfsmittel leichte Arbeit.

Nicht lange währte es, da war der Lastenaufzug frei gemacht.

Evelyne stieg ein, und rasch glitt er aufwärts.

Blendender Glast der tropisch heißen Sonne schlug ihr entgegen, als sie den Garagenraum verließ.

Ihr Blick fiel auf die zur Seite geräumten Trümmer der zerquetschten Limousine.

Wie sah der schöne Wagen aus!

»Guten Morgen, Ev!« begrüßte sie lachend Förster, der hinter einer großen Kiste hervortrat. Sein Auge leuchtete glücklich. »Gut geschlafen?«

»Na! — Es ging an! — Guten Morgen, Peter!«

»Von traumlosem Tiefschlaf kann ich auch nicht berichten. Es war ein bißchen viel, was uns gestern über die Köpfe kam. Ich rackere mich deshalb hier auch ein wenig ab. Körperliche Arbeit ist immer noch die beste Nervenentspannung. — Willst du mittun?«

»Wenn ich darf? — Sehr gerne sogar!«

»Verstehst du, mit Hammer und Brecheisen umzugehen?«

»Dadds Tochter kann alles!«

»Dann los! — Drüben die Lattenverschläge müssen auseinandergenommen werden. Zerschlag mir aber, bitte, nicht die Aluminiumgußstücke, die darin stecken!«

»Keine Sorge, Peter!«

Schon ging die Arbeit weiter.

Die Männer rundum schmunzelten erheitert, dann beifällig, wie geschickt das Mädchen zu Werke ging.

Dennoch war Evelyne froh, als Mittagspause gemacht wurde.

Es war verteufelt anstrengend, in der glühenden Sonne zu schuften.

Um keinen Preis aber hätte sie sich die Blöße gegeben, nicht durchzuhalten.

Als sie herunterfuhren, fragte sie Peter, warum er nicht, nach Landesbrauch, durch Neger die Arbeit machen ließe.

Er wehrte ab. Selbst die sollten die Nase nicht allzu nahe hineinstecken. Außerdem käme solch körperliche Anstrengung sehr selten vor und sei ein wohltuendes Ausspannen seiner Leute von dem ewigen Einerlei unter Tag.

*

»Das Telegramm würde ich so nicht abfassen, Ev!«

»Warum nicht? — Es besagt doch alles!«

»Nicht genug, Liebste! — Ich habe mir die Angelegenheit heute früh durch den Kopf gehen lassen. Über kurz oder lang kommen wir nicht darum herum, deinem Vater Mitteilung von dem Brief seiner Frau an dich zu machen. Das schwer belastende Schriftstück hab ich übrigens in meinem Tresor eingeschlossen. Daß sie mit Walker unter einer Decke steckte, ist vollauf bewiesen. Allein die unwahre Behauptung, Vater erginge es schlecht und du solltest, auf alles gefaßt, zur Küste fahren und eben jenen Mister Walker aufsuchen, genügt, ihr moralisch das Genick zu brechen. Es gilt jetzt, deinem geliebten Dadd die Augen zu öffnen!

Ich mische mich höchst ungern in fremde Angelegenheiten. In diesem Falle halte ich es, zumal als dein baldiger Mann, für meine Pflicht, einzugreifen. Es wird ein bitterer Schlag für Vater sein.«

»Peter!« In steigender Bestürzung hatte Evelyne zugehört.

»Ja, Ev, wo Hinterlist und Verrat herrschen, ist eine Ehe zerbrochen.«

Schweigen trat ein.

Dann faßte sich das Mädchen.

»Ich verstehe mich jetzt selbst nicht, daß ich nicht so weit dachte. — Armer, lieber Dadd!« setzte sie aufseufzend hinzu.

»Ich habe mir lange überlegt, wie wir Vater den Sachverhalt am schonendsten beibringen können. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß eine Andeutung der Entlarvung schon genügen dürfte, dieses Weib von sich aus zur Aufgabe der Stellung zu veranlassen. Was sie dabei Vater vorlügen wird, ist gleichgültig. Die Lawine kommt ins Rollen, ohne daß Dadd den Anstoß dazu zu geben braucht. Vollendete Tatsachen schmerzen nicht so, wie langsame Loslösung von liebgewonnenen Vorstellungen.«

»Du hast recht, Peter!«

»Sagtest du nicht einmal, Ev, daß du diese Frau auf ihren Wunsch mit ihrem Vornamen anreden solltest?«

»Ja, Peter!«

Förster griff in die Seitentasche, zog ein Blatt Papier heraus.

»Das Telegramm geht übrigens mit dem Vermerk MP, eigenhändig oder persönliche Zustellung, um jedes Abfangen zu verhüten. Was hältst du von folgendem Text?

›Von Dinas Brief in größter Sorge um dein Wohlergehen versetzt. Durch Verhaftung Onkel Walkers skrupelloses Zusammenspiel aufgedeckt. Schriftlicher Bericht folgt. Es grüßen ihren Vater als Verlobte Doktor Förster und seine glückliche Evelyne. Angolesa, Benguella.‹«

Sie nickte nach kurzem Nachsinnen.

»Es ist gut so, Peter!« — Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Nur das letzte klingt beinahe so, als ob ich allein glücklich wäre.«

»Weißt du denn so genau, ob ich es auch bin?«

»Oh, du dummer, lieber Peter!«

*

Förster hatte einen Frachter zur Heimreise gewählt. Er wollte dem Trubel auf dem großen Passagierdampfer aus dem Wege gehen. Das jüngst erst in Dienst gestellte Schiff bot überdies mehr Bequemlichkeit in seinen geräumigen Kabinen und mehr Bewegungsfreiheit auf dem sonnensegelüberspannten Oberdeck als irgendein anderes.

Er, Evelyne, seine junge Frau, und Vater Hard waren die einzigen Passagiere. Zwar währte die Fahrt zehn Tage länger, aber was tat das schon! Der Körper gewöhnte sich so, nach dem jahrelangen Aufenthalt in der drückenden Hitze des Küstenstriches bei Benguella, leichter an den Wechsel des Klimas.

Überdies mußte das Schiff so manchen Hafen anlaufen, um Fracht aufzunehmen. Die vielen Stunden wurden ge

nutzt, um Land und Leute Westafrikas kennenzulernen.

Der Abschied in Lobito war nicht leicht gefallen. Besonders von den Kameraden des Werkes, von jenen, die sich vom Dienst hatten frei machen können, um ihren Chef an Bord zu bringen, hatte man sich nur schwer gelöst.

Doch auch von seiten der portugiesischen Freunde, an ihrer Spitze der Gouverneur, waren so warme Worte gefallen, daß das Herz weich wurde, als es galt, sich voneinander zu trennen.

Die geruhsame Fahrt in der steten, gleichmäßigen Dünung des Atlantischen Ozeans bot nach allen Erlebnissen wundervolle Entspannung.

Der Kapitän des Schiffes überbot sich in Aufmerksamkeiten, dem Gast jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Evelyne hatte einen neuen Sport ausfindig gemacht, die ewig gleichförmigen Tage auf der grenzenlosen Weite des Wassers anregender zu gestalten. Sie schoß Haifische und berichtete häufig von den jeweiligen Erfolgen.

Vater Hard saß meist abseits in seinem Liegestuhl und las, frönte, wie er selbst meinte, einer Tätigkeit, die er jahrelang vernachlässigt habe.

In Principé war Kakao an Bord genommen worden. In der berauschend schönen Bucht lag der hellgraue Frachter vor Anker. Der Aufenthalt gab Gelegenheit, die bizarre Vulkaninsel kennenzulernen.

Einen Tag vor Teneriffa berichtete beim Abendessen der Kapitän, daß funktelegraphisch die Mitteilung gekommen sei, ein weiterer Passagier werde noch zusteigen und bis Hamburg mitfahren. Herr Hard werde sich gewiß freuen; denn es sei ein Landsmann, ein Amerikaner.

Förster und Evelyne tauschten einen raschen Blick. Vater Hard zeigte durchaus keine Begeisterung.

Ob denn so schlechte Verbindung von Teneriffa nach Hamburg sei, fragte Evelyne.

»Durchaus nicht!« entgegnete der Erste Offizier.

»Dann verstehe ich nicht, weshalb ein Amerikaner ausgerechnet einen Frachter benutzen will!«

»»Warum nicht? Wir laufen genau so schnell wie jeder Passagierdampter, legen bis Antwerpen nicht an. — Es paßt ihm gewiß besser mit seiner Zeit.« Irgendwie schien der »Erste« im Stolz auf sein Schiff gekränkt zu sein.

Der Kapitän schaute lächelnd seine Nachbarin an.

»Fürchten Sie, daß unsere Gemütlichkeit leiden könnte?«

»Es war wirklich schön bis jetzt, und ich hoffte, daß wir bis Hamburg unter uns bleiben würden!«

»Überlassen Sie die Regelung nur mir!« lautete die verbindliche Antwort.

In Teneriffa liefen sie frühmorgens ein. Bis zum Abend nahm das Schiff Ladung auf.

Die drei waren an Land gegangen. Als sie in der Dämmerung zurückkehrten, lehnte ein junger Mensch an der Reling. Seine frischen, offenen Züge ließen viele Befürchtungen vergessen. Auf Schlimmeres gefaßt, hatte man erwartet, einen spleenigen Globetrotter anzutreffen.

Bei der gegenseitigen Vorstellung ergab sich, daß der neue Gast Bender hieß.

Bender?

Seltsames Zusammentreffen, dachte Peter Förster. Ausgerechnet Bender!

Sein grimmigster Gegner, der bedenkenlose Herr des Goldtrusts, hieß genau so!

Der neue Passagier war jedoch entschieden zu jung, um die Rolle eines Konzerngewaltigen zu spielen.

Verrückter Zufall! Es gab gewiß viele Benders drüben in den Staaten. Damit war die Sache zunächst abgetan.

Man plauderte beim Abendessen wie immer. Die Höflichkeit gebot, den Amerikaner in seiner Sprache mit den Fragen nach woher und wohin in die Unterhaltung einzubeziehen. In erfreulich natürlicher Art gab er seiner Dankbarkeit, nicht als fünftes Rad am Wagen betrachtet zu werden, Ausdruck. Vater Hard nahm sich darum des jungen Mannes etwas an.

Er habe schon bei der Agentur des Afrika-Dienstes in Teneriffa erfahren, wer seine künftigen Mitreisenden seien, gestand er freimütig. Ihm wäre ein Stein vom Herzen gefallen. Es sei wenig angenehm, in Unkenntnis einer fremden Sprache tagelang zur Schweigsamkeit verurteilt zu werden.

Als er sehr früh den Tisch verließ, um seine Kabine aufzusuchen, blickten ihm die Zurückbleibenden mit Wohlwollen nach.

Der Abend verlief in gewohnter Weise. Man empfand allgemein, daß man sich überflüssige Sorge gemacht habe.

Der Steward berichtete am nächsten Morgen beim Frühstück, der Amerikaner sei schon sehr zeitig aufgestanden und habe sich erkundigt, auf welcher Bordseite die Herrschaften ihre Liegestühle hätten, er habe dann gebeten, ihm auf der entgegengesetzten seinen Stuhl zu richten, er wolle, wie er freundlich hinzugesetzt hätte, keineswegs die Alteingesessenen in ihren Gewohnheiten stören.

»Ein seltenes Musterexemplar von guter Kinderstube!« meinte Vater Hard erfreut. »Die Sitten bei uns drüben sind sonst etwas hemdsärmeliger!«

So war es eine Selbstverständlichkeit, daß die drei beim Betreten des Oberdecks den still für sich Lesenden freundlich guten Morgen wünschten und daß sie bei ihm zu einer belanglosen Plauderei verweilten, bevor sie ihre Plätze einnahmen.

Haifische gab es in diesen Zonen nicht mehr. So mußte Evelyne auf den anregenden Sport verzichten. Man schlug unter der viel milderen Sonne eben die Zeit tot, wie es jedem gerade behagte. Das Schiff pflügte in rascher Fahrt, den Kiel jetzt nordwärts gewandt, die blauen Wellen des Atlantiks.

Nach Tisch hatten sich Vater Hard und Evelyne in ihre Kabinen zurückgezogen, und so ergab es sich zwanglos, daß Peter Förster mit dem Neuankömmling in ein Gespräch kam. Zwar beherrschte Förster englisch recht gut, doch bereitete ihm die amerikanische Aussprache seines Partners einige Schwierigkeiten.

Sie saßen bequem nebeneinander. In Teneriffa an Bord gekommene neue Zeitungen boten dem Amerikaner einen Anknüpfungspunkt, auf das Werk des Doktors zu kommen. Besonders die »Goldene Brücke« interessierte ihn ungemein. Förster verspürte langsam stärker werdendes Unbehagen. Dieser Mister Bender war bei einer Unterhaltung in seiner Muttersprache im Vorteil. Hinter der Gesprächslenkung steckte System. Merkwürdig, wie unbefangen er von Dingen plauderte, die zumindest besondere Kenntnisse auf den Gebieten erforderten, die Försters ureigene waren.

Trotz des sehr geschickten diplomatischen Vorgehens wurde eine bestimmte Absicht bald unverkennbar.

Es gehörte nicht zu des Doktors Art, lange Umschweife zu machen, wenn er sich eine bestimmte Meinung gebildet hatte.

»Verzeihen Sie die rein persönliche Frage, Mister Bender! Ihr Name steht zu dem eben erörterten Thema in gewissen Beziehungen! Ist Ihnen das bekannt?«

»Sie denken an meinen Onkel, den Leiter des Internationalen Goldtrusts?«

»So? — Allerdings! — Und wenn Sie, wie Sie eben sagten, sein Neffe sind, dann könnte Ihnen möglicherweise bekannt sein, daß zwischen diesem Herrn und mir eine Gegnerschaft besteht, die unüberbrückbar ist!«

»Ich bin von ihm mit allen Vollmachten versehen, um diese Gegnerschaft aus der Welt zu schaffen!«

Förster sprang auf.

Der junge Mann erhob sich gleichzeitig.

»Das ist der Gipfel aller Herausforderungen!«

»Ich habe keinen anderen Empfang erwartet!« war die höfliche Entgegnung.

»Dann wagen Sie noch, ausgerechnet an Bord dieses Dampfers Ihre Unverfrorenheiten auf die Spitze zu treiben?«

»Es blieb uns keine andere Möglichkeit! — Sie hätten mich ohne Zweifel an Land irgendwo zur nächsten Tür hinausgeworfen!«

»Soweit reicht Ihre Erkenntnis doch!« — Försters Hände ballten sich, als er einen Schritt näher trat. »Und hier meinen Sie, kann ich das nicht, wäre ich gezwungen, Sie anzuhören? — Scheren Sie sich zum Teufel!« Die Stimme bebte: »Mit Ihnen und Ihresgleichen habe ich nichts zu schaffen! — Verstanden, Mister Bender?«

Kochend vor Grimm kehrte sich Peter Förster ab und verließ das Oberdeck.

»Sorry, very sorry!« glaubten die aufgewühlten Sinne zu vernehmen. Der Kerl besaß noch die Frechheit, sein Bedauern hinterherzurufen.

Erst sein Flugzeug zum Absturz zu bringen, mit Minen das Werk zu zerstören, Bomben auf das friedliche Camátia werfen zu wollen, zuletzt mit Sprengstoff beladene Gangster, die Braut als Geisel vorschiebend, ihm auf den Hals zu hetzen und dann noch, als sei nichts geschehen, harmlos sein Bedauern auszusprechen, das ging über die Hutschnur!

*

Das friedliche Zusammenleben an Bord konnte getrost als zerstört bezeichnet werden. Mister Bender hatte gebeten, seine Mahlzeiten in der kleinen Bar des Schiffes einnehmen zu dürfen.

Der nächste Tag verging in Ruhe. Der Abgesandte des Trusts besaß gesellschaftliches Taktgefühl. Es schien, als sei er verschwunden.

Doch Förster traute dem Frieden nicht. Er sagte sich mit Recht, daß bei der ihm zur Genüge bekannten Zähigkeit seiner Gegner das Vorhaben noch längst nicht aufgegeben worden sei. Dem ersten Versuch werde zweifellos ein zweiter folgen.

Förster war entschlossen, diesen mit Zurückhaltung anzunehmen. Wenn die »International Gold« durch den Neffen ihres Leiters Beziehungen anzuknüpfen versuchte, dann mußte sie schon schwerwiegende Gründe haben. Ein so verbissener Widersacher hißt nicht die weiße Fahne, wenn ihn nicht Not dazu drängt. Und selbst, wenn dieser ungewöhnliche Schritt nicht durch zwingende Umstände diktiert war, sondern rein taktischen Erwägungen entsprang, mußte er die Gelegenheit wahrnehmen, in die Karten des Gegners zu gucken. Es ging um die Sache! Seine Verpflichtungen der Goldstahlgesellschaft gegenüber geboten, persönliche Gefühle hintanzusetzen. Die Verantwortung, die er in diesem Augenblick allein trug — weiterhin jahrelangen Kampf bis aufs Messer oder mögliche Verständigung — war groß.

Zwei Tage nach dem stürmischen Zwischenspiel saß Förster wieder allein auf dem Oberdeck. Das Schiff hatte nach Passieren von Kap Finisterre die Biscaya erreicht, die glatt wie selten unter strahlendem Frühlingssonnenschein leise wogte.

Er hatte sich nicht getäuscht, Bender nahte.

»Ich bitte, meine Aufdringlichkeit zu entschuldigen!«

Förster nickte kühl mit dem Kopf.

»Darf ich Ihnen als Legitimation meines Auftrages, der mich in diese Zwangslage versetzt, meine Vollmacht überreichen?«

Förster nahm wortlos den Umschlag. Er machte keine Anstalten, den Gegner zum Sitzen aufzufordern, öffnete und las.

Das Beglaubigungsschreiben war in deutscher Sprache abgefaßt und schloß mit der sehr höflich gehaltenen Bitte, Charles Bender junior eine Unterredung zu gewähren, von deren Ausgang die zukünftigen Beziehungen der europäischen und amerikanischen Goldgesellschaften abhingen.

Peter Förster erhob sich.

»Es dürfte wohl hier nicht der richtige Ort sein, derartige Besprechungen aufzunehmen. — Bitte, folgen Sie mir in die Bar!«

Eine knappe Verbeugung war die Antwort.

Unten angekommen, gab er dem Steward Anweisung, sie nicht zu stören und seiner Frau Bescheid zu sagen.

Er schloß die Tür hinter sich.

»Nehmen Sie Platz, Mister Bender!«

Die Männer saßen sich an dem runden Tisch gegenüber.

Förster mußte mit geheimem Wohlwollen feststellen, daß das Benehmen des jungen Mannes untadlig war, weit über sein Alter hinaus gefestigt und klar. Der Trust hatte keine schlechte Wahl getroffen.

»Leider sehe ich mich genötigt, mit einer formellen Entschuldigung zu beginnen!« brach jener das Schweigen. »Mein Onkel erfuhr zu spät von einem gewissen Vorhaben, als daß er es noch hätte abstoppen können.«

Aha, so weht der Wind, dachte Peter Förster. Alter Trick, sich von den Taten seiner Untergebenen zu distanzieren.

»Es würde eine Preisgabe innerer Zustände bei uns bedeuten«, fuhr Bender fort, »wenn ich Ihnen die Zusammenhänge, die zu den mehrfachen Angriffen auf Ihre Person und Ihr Werk führten, aufdeckte. Ich muß Sie zunächst bitten, mir auf mein Wort hin zu glauben, daß die ›International Gold‹, an ihrer Spitze mein Onkel, mit den Angriffen nichts zu tun hat.«

»Sie gestatten, daß ich mich mit einer derartigen Erklärung nicht zufrieden geben kann!«

Bender hob bedauernd die Finger einer Hand und trommelte kurz auf den Tisch.

»Doktor Förster! Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich bei Ihren nahen Beziehungen zu den portugiesischen Regierungsstellen annehme, daß das gesamte Material, das sich bei dem polizeilichen Verhör sowohl als auch besonders bei der Haussuchung in unserer Tarnfiliale in Benguella ergab, Ihnen zugänglich gemacht wurde!«

»Ich besitze die umfangreichen Abschriften!« Das Wort Tarnfirma ließ Förster aufhorchen. Sehr geschickt der Versuch, auf solche Art Vertrauen zu gewinnen!

»Das erleichtert mir, die Wahrheitsbeweise zu erbringen! Wir leugnen nicht, daß Mister Walker eigens zu dem Zweck dort stationiert wurde, Ihr Werk zu überwachen und alles Wissenswerte zu erkunden. — Das war unser gutes Recht auf Selbsterhaltung gegenüber der Bedrohung unserer Machtstellung durch Sie! — Die direkten Angriffe, die gegen Sie und Ihr Werk unternommen worden sind, stellen aber, ich betone das nochmals, unverantwortliche Eigenmächtigkeiten in fremdem Auftrag dar!«

Förster unterbrach:

»Sollten Ihre Absichten dahin zielen, mich zu bewegen, meinen Einfluß geltend zu machen, um eine Ihrer Gesellschaft außerordentlich abträgliche Aburteilung der Täter zu verhindern, so müßte ich die Verhandlung als beendet betrachten!«

»Die wahrhaft Verantwortlichen stehen leider nicht vor Gericht!« entgegnete Bender.

»Das sagen Sie so seelenruhig?«

»Ja! Weil dann nämlich bewiesen würde, daß die Leitung der ›International Gold‹ mit den Anschlägen nichts zu schaffen hat!«

»Es steht Ihnen frei, den stellvertretenden Leiter Ihrer Informationsabteilung, Mister Henderson, wie den noch rechtzeitig abberufenen famosen Mister Higgins der Gerechtigkeit zu überantworten!«

»Sie wissen sehr gut Bescheid!«

»Also geben Sie sich, bitte, keine Mühe, die Dinge zu verschleiern, und kommen Sie zum Kern Ihres Auftrages!«

»Wie Sie wünschen! Doch hege ich die Hoffnung, daß eine spätere Unterredung auch dieses bedauerliche Mißverständnis aus der Welt schaffen wird!«

Die Sicherheit, mit der Bender sprach, war immerhin beachtlich. Jetzt mußte sich zeigen, welchen Zweck er mit seiner Verhandlungsbereitschaft wirklich verfolgte.

Förster sah, wie sein Gegenüber in der eingetretenen Pause seine Ledertasche aufschloß, Akten entnahm und sie auf dem Tisch ausbreitete. Dann reichte er Fotografien und mehrere Bogen Millimeterpapier herüber, die mit Kurven und graphischen Darstellungen bedeckt waren.

»Wir kommen rascher zum Ziel, wenn Sie diese Unterlagen einsehen. Ich bin kein Fachmann! Gestatten Sie, daß ich inzwischen unseren Kaffee hierher bestelle?«

»Bitte sehr!«

Bender erhob sich und verließ den kleinen Raum.

Doktor Förster stützte den Kopf auf, sann einen Augenblick nach und machte sich dann an das Studium des Bildmaterials.

Plankton —?

Gut, daß jener draußen war, so brauchte er seine Verblüffung nicht zu meistern.

Rasch nahm er ein Bild nach dem anderen auf.

Ultraschallbestrahlung drei Sekunden, zwei Sekunden, eine halbe Sekunde. Frequenz. — Abstand des Schallerzeugers vom Objekt. — Intensität. — Reihenversuche eins bis neunzehn, zwanzig bis neununddreißig, siehe graphische Darstellung A Bund LM wie Kurve — lauteten die erklärenden Texte.

Jetzt die Zeichenbogen.

Er verglich.

Das Plankton hatte ihn verraten. Der Trust wußte immerhin, daß er mit Ultraschall arbeitete!

— — — —

Das war Mister Tovans Werk!

Hier! — Durchstromgeschwindigkeit im Rieselbassin. —

Erfassung der Wassermenge bei Anzahl von Bestrahlern —

Kurven auf Kurven! Wahrscheinlichkeitsannahmen und

alles fein säuberlich ausgewertet.

— — — —

Förster fühlte sich in jene Zeit vor Jahren zurückversetzt, als er selbst grübelnd über ähnlichen Kurven gesessen hatte, um den günstigsten Wirkungsgrad der zukünftigen Anlage herauszufinden.

Eine anerkennenswert gründliche Leistung der Wissenschaftler des Goldtrusts! Besonders interessierte ihn eine Darstellung der Druckabhängigkeit von der Menge des getöteten Planktons.

Er schob die Papiere zurück.

Der Steward erschien, brachte den Kaffee und meldete, Mister Bender käme sogleich wieder.

Es währte nicht lange, und Bender nahm seinen Platz ein.

»Darf ich Ihnen einschenken?«

»Bitte sehr!«

Als jener die Kanne absetzte, blickte er den Doktor forschend an, der angelegentlich in seiner Tasse rührte. Das Ergebnis seiner Musterung schien nicht befriedigend zu sein.

Bender schwieg.

Förster betrachtete noch eine Weile die Zeichnungen, dann schaute er auf:

»Außerst interessantes Material!« Die Finger klopften auf die Bogen. »Ich hatte Gelegenheit, mich mit Ihrem Mister Tovan darüber zu unterhalten.« — Das entsprach zwar keineswegs den Tatsachen. — »Ihre Laboratorien haben sich große Mühe gegeben, hinter mein Verfahren zu kommen! Sie hätten es aber einfacher haben können, wenn sie gründlich die Patentschriften über derartige Erfindungen studiert hätten!«

Das entsprach wiederum nicht den Tatsachen. Wenn du bluffst, kann ich das auch, dachte Peter Förster. Ich will doch mal sehen, worauf eigentlich diese Überrumpelung hinausläuft!

Bender reichte mehrere Fotokopien.

»Abhängigkeit der Planktonausfällung von der Schallwellenlänge« las Förster.

Er hob den Bogen höher, so daß sein Gegner sein Gesicht nicht sehen konnte. Dann ein rasend rasches Überfliegen der Kurve. Aha! Genau wie erwartet. Sie suchten im falschen Frequenzbereich. Gut, daß seinerzeit, als Professor Hiedermann im Werk war, diese Materie so gründlich bearbeitet worden war. Genau dieselbe Kurve hatte sich damals auch ergeben, wenn man die Goldabscheidung ausschaltete. Das verleitete natürlich, am höchsten Punkt der Kurve, infolge des dort massenweisen Auftretens von abgetötetem Plankton, die spezifische Schallschwingung der Goldgewinnung zu suchen. Er frohlockte innerlich. Fehlgeschossen, meine Herren! Erstens ist meine Ultraschallfrequenz eine ganz andere, und zweitens tritt erst als Nebenerscheinung der Goldausfällung die außergewöhnlich starke Planktonzerstörung auf. Macht ruhig so weiter, so einfach ist die Sache nicht!

Diese Erkenntnis beruhigte ihn.

Er nahm ein zweites Blatt.

Das gleiche, nur andere Beschallungszeiten.

Was hatte man eigentlich da links oben beim Fotokopieren abgedeckt? Ein viereckiger Stempel oder dergleichen mußte sich auf dem Original an dieser Stelle befunden haben.

Förster hob den Bogen höher, mehr dem Fenster zu.

Bender konnte nicht sehen, daß der Doktor nicht mehr die Kurven, sondern nur den hellen Fleck oben untersuchte.

Was standen da noch für Buchstabenreste, zur Hälfte gerade noch leserlich.

»USSCO. INSI« — ?

Man wollte ihm offensichtlich die ursprüngliche Beschriftung nicht zur Kenntnis bringen.

Er verglich die anderen Kopien, scheinbar sehr nachdenklich mit dem Studium der Kurven beschäftigt.

Mit Genugtuung nahm es Bender wahr.

Nein, nur auf diesem Bogen war der untere Teil des vermutlichen Stempelabdrucks nicht genügend sorgfältig abgedeckt.

USSCO. INSI.?

Würde er sich merken!

Irgendeine vielleicht sehr aufschlußreiche Tatsache konnte dahinterstecken.

Er reichte die Blätter zurück.

»Sie haben mich überrascht, Mister Bender!«

Dieser mußte aus dem bedenklichen Gesicht schließen, daß der Doktor stark beunruhigt war. Jetzt galt es, die Gelegenheit wahrzunehmen, zum Ziel zu kommen.

»Ich bitte, mir mein etwas ungewöhnliches Vorgehen nicht zu verargen!« begann er höflich. »Wie ich es schon ausdrückte, bin ich nicht Fachmann. So blieb mir nichts anderes übrig, als unsere Forschungsergebnisse sprechen zu lassen. Einer sofortigen Auswertung unserer Erkenntnisse stehen Teile Ihrer Patentansprüche entgegen. Wir würden allerdings andere Wege beschreiten.« — Förster lachte innerlich schadenfroh. — »Doch könnten immerhin Ihre zunächst noch als berechtigt vorausgesetzten Urheberrechte zu langwierigen Patentprozessen führen. Mein Auftrag lautet, Ihnen vorzuschlagen, derartige, meist sehr kostspielige Auseinandersetzungen zu vermeiden und zu einem beiden Interessen gerecht werdenden Vergleich zu kommen!«

Ihr habt doch Gold genug, dachte Peter Förster, geschnüffelt und experimentiert obendrein, auch mein Meergoldmonopol noch an euch zu bringen. Hinter deinem Vorschlag stecken doch ganz andere Absichten! Werd' dir schon auf die Schliche kommen, alter Freund! Erst will ich herauskriegen, was »USSCO. INSI.« heißt! Laut sprach er:

»Sie werden begreifen, daß ich die unerwartete Sachlage gründlich, sehr gründlich durchdenken muß, bevor ich so _ weittragende Entschlüsse fassen kann. — Darf ich Sie bitten, morgen nachmittag um die gleiche Stunde sich hier wieder einzufinden?«

»Selbstverständlich! Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung!«

Förster bot als erstes Zeichen der Annäherung die Hand, in die Bender freudig einschlug.

*

»Nichts, aber auch gar nichts haben sie herausbekommen!« berichtete in bester Laune Peter Förster Evelyne und Vater Hard. »Bluff! Nichts als Bluff! Ich halte es dem jungen Mann zugute, daß er die ihm gegebenen Weisungen befolgt, erzähl euch die köstliche Geschichte nachher ausführlich. Etwas anderes interessiert mich im Augenblick stark. Sag mal, Vater, hast du eine Ahnung, was USSCO heißt? Es könnte auch OSSCO oder OSSCU lauten.«

»Das solltest du eigentlich selbst wissen, Peter!« lächelte der alte Herr, »bist ja mit dieser Branche sehr nahe verwandt, vorausgesetzt, daß das Wort, wie du zuerst sagtest, USSCO heißt.«

Der Schwiegersohn schüttelte den Kopf.

»Na, dann will ich dir helfen!« fuhr er fort. »In Amerika kennt jeder diese Abkürzung des allmächtigen Stahltrustes: United States Steel Corporation.«

»Schau, schau!« war die verblüffte Antwort. Da nahm Förster Bleistift und ein Stück Papier aus der Tasche, zeichnete die lateinischen Großbuchstaben. »Jetzt fehlt mir nur noch INSI.« Er deckte die obere Hälfte der Buchstaben mit einem weiteren Blatt zu, so wie der Rest des Stempeldrucks auf der Fotokopie in Erscheinung getreten war.

»Ev, du bist doch groß im Rätselraten! — Was kann hier außer ›I‹ gesetzt werden?«

»T!« lautete die rasche Entgegnung.

»INST?? — INST?? — Ich hab's! — Institut heißt es! Amerikanische Stahlverbands-Institute, wobei wohl auf. deutsch zu ergänzen wäre: Forschungsinstitute!« frohlockte der Doktor.

»Sehr richtig!« bemerkte Vater Hard.

»Sieh an! — Die stecken also unter einer Decke, haben die Versuche in Gemeinschaftsarbeit durchgeführt? — Das gibt der Sache allerdings ein ganz anderes Gesicht —!«

Nun erzählte Peter Förster den Verlauf der Unterredung. Ein Horcher brauchte in dem kleinen Leseraum nicht befürchtet zu werden.

»Ich verstehe nur eines nicht, warum die ›Steel-Corporation‹ den Goldtrust vorschiebt«, meinte Hard in der weiteren Unterhaltung, »sie müssen sich doch sagen, daß dieser nicht gerade der geeignete Verhandlungspartner ist!«

»Die kennen unsere Differenzen nicht! — Daß der Goldtrust an meinem Verfahren interessiert ist, weiß alle Welt. Ist erst der Schleier davon gelüftet, so rechnen jene, könnte es ein leichtes sein, unter angeblich neuen Gesichtspunkten amerikanischer Patentansprüche die Goldstahlherstellung aufzunehmen. An der Goldstahlfabrikation dürfte wohl das Interesse am größten sein. Die einen können ihr gehamstertes Gold verkaufen und die anderen ihren damit veredelten Stahlwaren neue Absatzmärkte erschließen. Auf alle Fälle kämen sie billiger zum Ziel, wollen die kostspieligen Lizenzen umgehen. Fein ausgedacht, meine Herrschaften! Nur gut, daß die juristisch-kaufmännischen Fachleute, die gewiß diesen Plan ausgeknobelt haben, den rein physikalisch-technischen Zeichnungen zu wenig Aufmerksamkeit schenkten und es bei einer Abdeckung der Ursprungsbezeichnung auf den Fotokopien bewenden ließen.«

»Unter diesen Gesichtspunkten dürfte allerdings deine Annahme dem Tatbestand sehr nahe kommen«, gab Vater Hard seiner Ansicht Ausdruck. »Da fällt mir übrigens noch ein, daß ich beim Lesen der amerikanischen Zeitung, die ich mir in Teneriffa besorgte, einen ständigen Kursrückgang der ›International Gold‹-Aktien feststellte. Das dürfte dich gewiß interessieren!«

»Das ist allerdings recht aufschlußreich!«

Sie diskutierten noch eine Weile das Thema, ohne zu einem anderen Ergebnis als dem von Förster ausgesprochenen zu gelangen. Dann verließen sie das Lesezimmer, um vor dem Abendessen noch ein wenig frische Luft zu schöpfen.

*

Am nächsten Morgen passierte das Schiff Kap Quessant und richtete den Kurs auf Nordost, dem nahen Armelkanal zu.

Nach dem zweiten Frühstück ließ Charles Bender Doktor Peter Förster zu einer Zwischenkonferenz, wie er es bezeichnete, bitten. Bei den einleitenden Worten wies Bender darauf hin, daß er es, um die weiteren Verhandlungen auch menschlich auf eine andere Ebene zu bringen, an der Zeit hielte, eine Aufklärung über die verschiedenen Anschläge zu geben. Doktor Förster erfuhr folgendes:

Walker und Williams standen im Dienste der »International Gold« in jener Tarnfirma, wie Bender sie bezeichnete, in Benguella, mit dem Auftrage, unter der Maske harmloser Ex- und Importkaufleute das Goldwerk auf das genaueste zu beobachten. In dieser freimütig eingestandenen Tatsache erblickte Bender das gute Recht der in ihrer Existenz bedrohten »International Gold«. Dann aber nahm die Angelegenheit eine Wendung, die zu höchst unliebsamen Entdeckungen führte. Hatte man zu einem gewissen Zeitpunkt noch geglaubt, daß Henderson, der stellvertretende Leiter der Informationsabteilung, seine Machtbefugnisse unter Ausnutzung der Krankheit Pitts auf das unerhörteste überschritten habe, so wurde bald darauf durch Überwachungsagenten offenbar, daß Henderson und mit ihm Walker, insbesondere aber Higgins, der Wissenschaftler Tovan und drei Hilfsarbeiter in Benguella, nicht aber der hagere Williams, im Dienste einer fremden Macht standen. Diese hatte nicht nur noch größeres Interesse an der Aufdeckung des Herstellungsgeheimnisses des Meergoldes als die »International Gold«, sondern darüber hinaus an einem möglichst harmlos erscheinenden Unfall mit tödlichem Ausgang für Doktor Peter Förster.

Nun folgte eine neue Enthüllung, die bewies, wie gut die »International Gold« über alles informiert war. Förster hatte sich seinerzeit gegen den Widerstand einer gewissen Gruppe im Goldstahlkonzern vertraglich gesichert, daß bis zu einem von ihm zu bestimmenden Termin innerhalb von fünf Jahren das Herstellungsverfahren sowohl des Meergoldes als auch des Goldstahls sein Geheimnis bleiben sollte, eine Bedingung, die praktisch leicht durchzuführen war, da das unterirdische Werk in Benguella unter seiner alleinigen Leitung stand und zunächst das einzige dieser Art war. In Europa stellte einstweilen nur ein größeres Versuchswerk den nunmehr so berühmten Goldstahl her, und dort unterlag der einzige Ultrastrahlerzeuger, der ausschlaggebend die Vergoldung bewirkte, der restlosen Selbstzerstörung bei fremden Eingriff. Auch diese Tatsache war überraschenderweise Bender bekannt und stimmte nachdenklich, vielmehr noch aber die recht präzise Wiedergabe der Verhandlungen zu diesen Vertragspunkten, bei welchen jene Machtgruppe des Goldstahlkonzerns es durchgesetzt hatte, daß über die Bereitwilligkeit Försters hinaus, die wissenschaftlichen und praktischen Unterlagen des Herstellerverfahrens in einem sicheren Schließfach zu hinterlegen, ein scheinbar selbstverständlicher und harmlos klingender Vertragspassus aufgenommen wurde, wonach bei Försters Tode den Partnern Einblick in die Geheimunterlagen zu gewähren sei, wobei jene sich zur ferneren Geheimhaltung verpflichteten.

Charles Bender junior zog aus dem Dargelegten den Schluß und bewies diesen mit weiteren Argumenten, daß jene Stahlgruppe schon damals versteckt die Interessen jener fremden Macht wahrgenommen habe. Diese nun, um rascher zum Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, habe den kürzesten Weg gewählt, das heißt die Beseitigung Försters angestrebt. Förster sei mehr oder minder selbst schuld an den bedauerlichen Vorkommnissen durch die unvorsichtige Vertragsabfassung, meinte Bender zum Schluß seines Vortrags mit humoristisch betontem Sarkasmus, aus dem doch eine fühlbare Anteilnahme schwang.

Der Gong zum Mittagessen setzte der sehr aufschlußreichen Berichterstattung ein Ende. Während sich Peter Förster in seiner Kabine rasch wusch, sann er über das Gehörte nach und vermochte trotz schärfster Kritik keine Widersprüche aufzufinden. So also lagen die tieferen Zusammenhänge!

»Darf ich noch einmal Einblick in Ihre Fotokopien nehmen?« eröffnete Peter Förster das Gespräch.

»Bitte, sehr gerne!« Bender öffnete die Aktenmappe und reichte die Blätter herüber. Aha! dachte er triumphierend, gerade diese Kurven will er sehen. Da haben wir mit der kritischen Wellenlänge des Ultraschalls doch ins Schwarze getroffen.

Der Doktor wählte den verräterischen Bogen.

»Sagen Sie mal, mein verehrter Mister Bender, seit wann arbeitet ihre Firma mit der ›United States Steel Corporation‹ zusammen?«

»Wir mit der ›United Steel‹?«

»Ich muß das annehmen, wenn Sie nicht ein ähnliches Büro Walker auch gegen jene unterhalten und diese Tabellen dann ganz zufällig in Ihren Besitz gelangt sind!«

Der Hieb saß.

»Ich verstehe Sie nicht!« Bender war wirklich ein glänzender Unterhändler. Keinerlei Zeichen der Verblüffung war seinen Mienen zu entnehmen.

»Dann schauen Sie sich, bitte, einmal diese Reste eines Stempelaufdruckes an, der nur schlecht verdeckt worden ist. Ich lese da deutlich USSCO. Institute.«

»Sie werden sich gewiß getäuscht haben, Doktor!« Doch nahm er das Blatt und prüfte die Angaben.

Was würde jetzt kommen?

»Sie haben tatsächlich recht! Ja, jetzt erinnere ich mich, verzeihen Sie, bitte, wenn mir das im Augenblick entfallen war, daß mein Onkel einmal flüchtig erwähnte, die ›United Steel‹ stelle in ihren Laboratorien Versuche an, Stahl zu vergolden. Es haben da wohl auch Besprechungen stattgefunden.

»So! — Und bei diesen Besprechungen wurde Ihnen gerade dieses höchst wertvolle Material ausgehändigt?«

»Ich bin über die Einzelheiten nicht informiert worden.«

»Sehr bedauerlich! Sie werden begreifen, daß ich gern klar sehen möchte, ob ein Abkommen allein mit der ›International Gold Company‹ oder gleichzeitig mit der ›Steel Corporation‹ als stillem Teilhaber, wenn ich mich so ausdrücken darf, in Frage kommt.«

»Nur mit uns!« versicherte höflich aber bestimmt Mister Bender.

»Das müßte in dem zur Diskussion stehenden Vertrag eindeutig festgelegt werden!«

»Dem stehen von unserer Seite nicht die geringsten Bedenken entgegen!«

So war also dem geschickten Diplomaten nicht beizukommen.

»Es interessiert mich natürlich ungemein«, begann Förster wieder, »daß die ›United Steel‹ mit ihren Forschungen so nahe ans Ziel gekommen ist.«

Bender horchte zufrieden auf. »Mir war gar nicht bekannt, daß von dieser Seite ebenfalls meinem Werk in Benguella so viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, wie es Ihr Mister Tovan tat, denn aus den vorgefundenen Akten ging hervor, daß dieser es war, der die Plankton-Entdeckung machte und Ihnen weiterleitete. Andererseits muß zwischen den beiden Gruppen in Amerika bereits ein sehr weitgehender Erfahrungsaustausch stattgefunden haben, daß Sie im Besitz dieser Zeichnungen sind. Befremdlich finde ich nur, daß man mir diesen Tatbestand vorenthalten will und zu diesem Zweck bei den Fotokopien die Ursprungsmerkmale verdeckte.«

Bender klopfte mit einem Finger auf den Daumennagel und betrachtete angelegentlich dieses Spiel.

»Es liegt der Verdacht nahe«, fuhr Förster fort, »daß die ›International Gold‹ wie auch die ›United Steel‹ doch nicht das letzte Rätsel um meine Entdeckung lösen konnten, wie Sie annehmen, Mister Bender, und daß aus diesem Grunde Ihr Onkel Sie beauftragt hat, mit mir Verhandlungen aufzunehmen, um so in den Alleinbesitz der Patente zu kommen, dem ihm von der Not aufgezwungenen Partner um einige Nasenlängen zuvorzukommen und die alte Monopolstellung zu behaupten!«

»So sehr auch Ihre Beweisführung einen solchen Schein erwecken mag, so kann ich Ihnen versichern, daß die Veranlassung Ihrer Vermutung nicht entspricht. Uns beseelte nur der Wunsch, in persönlicher Fühlungnahme eine alte Differenz zu bereinigen und zu positiven Ergebnissen für eine zukünftige Zusammenarbeit zu kommen!«

»Sie gehen recht wenig auf meine Beweisführung ein, Mister Bender! Darf ich mir die Frage erlauben, ob die ›United Steel‹ von Ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt worden ist?«

»Dazu bestand keine Veranlassung!« entgegnete Benderrasch.

»Das verstehe ich nicht! Nach einer so umfangreichen Zusammenarbeit der beiderseitigen Laboratorien ist Ihr Vorgehen zumindest als seltsam zu bezeichnen. Ich fürchte, Sie mißtrauen sich gegenseitig!«

»Das Thema steht wohl nicht zur Diskussion!«

Förster ging nicht auf den Einwurf ein.

»Und wenn ich Beweise dafür hätte?«

Bender stutzte. Zum ersten Male verließ ihn auf Sekunden die Beherrschung.

»Wie meinen Sie das, Doktor?«

»Ich erhielt vorhin ein Telegramm. Darf ich Ihnen den chiffrierten Text übersetzen?«

»Sehr liebenswürdig, wenn Sie glauben, daß dieses Telegramm geeignet ist, unseren Verhandlungen förderlich zu sein.«

»Oh, das tut es!« lächelte Förster ironisch. »Hören Sie zu! ›Erbitte ab Antwerpen Flugzeugbenutzung, da Anwesenheit zur Verhandlung mit US.-Stahl dringend erforderlich. G o l d s t a h l.«

Förster lehnte sich beobachtend in seinem Stuhl zurück.

Charles Bender junior saß mit gerunzelter Stirn da. Sein Mienenspiel verriet nicht, was in ihm vorging. Nur die Nasenflügel bebten leicht.

Hastig zündete er sich eine Zigarette an, entschuldigte sich und bot Förster das Etui, der dankend ablehnte.

Die Mitteilung mußte wie eine Bombe eingeschlagen haben. Er schwieg beharrlich, rasch rauchend, um die aufgewühlten Empfindungen zu beruhigen.

Förster nahm die Fotokopien zusammen, stieß die Kanten leicht auf den Tisch und legte sie sauber geordnet bedächtig auf des Gegners Aktentasche.

»Bedeutet das, daß Sie unsere Verhandlungen als beendet betrachten?« fragte Bender, die Geste so auslegend.

Da lachte Peter Förster heiter auf.

»Mein lieber Bender, — ich wäre niemals in eine ernsthafte Verhandlung mit Ihnen eingetreten. Bitte, das nicht auf Ihre Person zu beziehen. Ihr Onkel konnte keine bessere Wahl treffen. Sie sind mir ausgesprochen sympathisch. Darum bedaure ich, daß gerade Sie das Mißgeschick haben, mit dem ohne Zweifel geschickt angelegten Bluff keine Wirkung zu erzielen.«

Ein höflich angedeutetes Verneigen war die einzige Antwort.

»Kennen Sie das Sprichwort: ›Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!‹ Dieses Mal wollte die ›International Gold‹ gleich zwei Gruben auf einmal graben, eine für mich und eine für die ihr inzwischen lästig gewordene ›United Steel‹. Jetzt liegt sie drin, endlich einmal! Und wissen Sie, daß das keinen so freut wie mich?«

Charles Bender nickte, als ob er volles Verständnis für des Doktors Standpunkt hätte. Nach den jahrelangen Verfolgungen war sein Triumph nur zu verständlich. Sie hatten ausgespielt! Die ›United Steel‹ war ihnen zuvorgekommen.

Es galt zu retten, was noch zu retten war!

»Erachten Sie meine Vollmachten für ausreichend«, begann er mit erstaunlicher Zähigkeit sein Ziel verfolgend, »um an den Verhandlungen teilzunehmen?«

»Nein!« entgegnete Förster. »Es wird in Kürze keine amerikanische internationale Goldgesellschaft mehr geben, die übrigens niemals in des Wortes bester Bedeutung international war. Wohl aber werden sich getreue Sachwalter dieses edlen Metalles annehmen, um es der gesamten Menschheit nutzbar zu machen. Sie sollen mir immerhin als Teilnehmer an diesen Verhandlungen willkommen sein, um in einer neuen Mittlerrolle nach den Staaten zurückzukehren. Wenn Sie glauben, daß Ihre Vollmachten so weit reichen, dann schlagen Sie ein!«

Und Charles Bender junior schlug ein.

Die Macht des Goldes war gebrochen!


ENDE


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Non sibi sed omnibus
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