Roy Glashan's Library
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"Sudöstlich Venus," Verlag Scherl, Berlin, 1940
"Sudöstlich Venus," Verlag Scherl, Berlin, 1940
"Sudöstlich Venus," Ferd Dümmlers Verlag, Bonn, 1949
"Sudöstlich Venus," Ferd Dümmlers Verlag, Bonn, 1949
Wird es in naher oder ferner Zukunft möglich sein, ein von Menschenhand gesteuertes Raumschiff besteigen zu können und nie erlebter Wunder außerhalb der Erde teilhaftig zu werden?
Die Antwort gibt das neue Werk »Südöstlich Venus« des durch seinen technisch-utopischen Roman »Detatom« bekannt gewordenen Schriftstellers Paul Eugen Sieg.
Die Raumschiffe der »Detatomwerke« durcheilen seit fast zehn Jahren in stundengeregeltem Verkehr, auf wohlberechneten Bahnen, den nachtschwarzen Raum von Planet zu Planet. Auf dem Mars erblüht die neue Kolonie, die ständig Nachschub erfordert. Da ereilt eines Tages auf sehr gewagtem Kurs HD 66 die Katastrophe durch Meteoreinschlag.
Es gelingt dem fast manövrierunfähigen Wrack auf der Venus notzulanden. Menschen finden sich zu ihrem Schrecken in die Urzeit der Erde zurückversetzt. Riesenhafte Echsen, die Saurier der Kreidezeit, verursachen Abenteuer, die die Nerven dem Zerreißen nahebringen, bis endlich die Rettung durch das Schwesterschiff HD 65 naht. Diese Geschehnisse weiß der Verfasser unter Anwendung heute als gesichert zu betrachtender physikalischer, astronomischer und geologischer Tatsachen mit einer unerschöpflichen Phantasie so fesselnd und mitreißend zu gestalten, daß selbst das Unwahrscheinlichste packende Wirklichkeit wird.
HANNES NORD, der Leiter der Erdstation, betrat früher als sonst sein Arbeitszimmer. Der Schlaf der vergangenen Nacht hatte ihn mehr denn je erquickt nach den anstrengenden letzten Wochen.
Auf dem Schreibtisch lagen noch nicht die Posteingänge und Betriebsmeldungen wie sonst. Er blickte auf die Uhr. Erst halb acht? Verständlich somit das Fehlen!
Er langte stehend zum Fernsprecher, seine Linke ergriff den Hörer, der Zeigefinger der Rechten tastete in die kreisförmige Öffnung des Wählers. Dreimal schnurrte die Scheibe.
»Tüt — — — tüt — — — tüt« das Zeichen der Verbindung.
Pause.
— — — —
»Nord! Ich vermisse die Nachtmeldungen der Marsstation.
Etwas Besonderes —?«
— — — —
»Wie? — — — — HD-66? — — — Ist doch erst gestern abend mit vierundzwanzigstündiger Verspätung und Havarie von der Raumfahrt zurückgekehrt.« — — — —
»Morgen früh schon starten?« - Unwillig schüttelte er den ausgeprägten, kantigen Kopf. - »Wann ging die Anweisung ein?«
— — — —
»Schicken Sie mir, bitte, sofort den Text herüber — — — —auch die weiteren Eingänge!«, setzte er barsch hinzu.
Der Hörer klinkte grob auf die Gabel. Nord nahm aufgebracht vor dem Schreibtisch Platz. Sein Gesichtsausdruck wurde hart und nachdenklich. Die Finger trommelten heftig auf der Tischplatte. Das Arbeitstempo, das neuerdings »von drüben« - wie er in Gedanken die Marssiedlung nannte - angeschlagen wurde, überstieg alle Anforderungen, spannte die Besatzung der Raumschiffe zu sehr an. Er mußte Helo Torwaldt seine Bedenken offen darlegen,
Es klopfte.
»Herein!«
»Guten Morgen, Herr Nord! — Ich bringe die Post.«
»Danke, Schmidt!«
Hannes Nord nahm einen Stoß Meldungen und die Eingangsmappe entgegen. Der Bote verließ geräuschlos das Zimmer. Nords Finger blätterten. Hier! Seine Lippen murmelten:
»HD-66 startet Dienstag, den 8. August, Mitternacht Erdzeit zum Mars stop Kein Bemannungswechsel stop Ladung die in Meldung 39/3002 aufgeführten Maschinen und landwirtschaftlichen Geräte, da hier dringend benötigt stop Frigga Holk zum Mars versetzt, benutzt gleichfalls HD-66 stop Torwaldt.«
Ärgerlich legte er das Blatt auf den Tisch zurück. Gewiß, HD-66 war das modernste und größte Schnellfrachtschiff, das regelmäßig zum Mars fuhr, doch vermochte er nicht ohne große Bedenken der Ansicht Helo Torwaldts beizustimmen, die Urbarmachung des Marsbodens auf Kosten der Kräfte der Raumschiffbesatzung so rasch voranzutreiben. Überdies: Würde die Zeitspanne ausreichen, die gemeldete Havarie zu beheben? Noch wußte er nichts Genaues. Frank Gunter, der Kapitän von HD-66, hatte in der Nacht nur noch durchsagen lassen, daß er persönlich Bericht erstatten wollte.
Nords Hand fuhr zu der schmalen Signalplatte, drückte einen Knopf nieder. Eine gelbe Lampe glühte auf. Gut so. Seine Sekretärin war also schon im Dienst.
Wenige Sekunden später tat sich die Tür auf.
»Guten Morgen, Herr Nord!«
»Morgen, Fräulein Wiemann! — — Bitte, wollen Sie aufnehmen!«
Die Aufgeforderte nahm rasch ihm gegenüber am Schreibtisch Platz und hielt abwartend den Bleistift über den Papierblock.
Etwa 10 Minuten diktierte Hannes Nord das Schreiben, welches HD-66 seinem Freund, Helo Torwaldt, auf den Millionen von Kilometern entfernten Stern, der da Mars hieß, überbringen sollte. Der Schluß lautete:/p>
»Du wirst Dich meinen Darlegungen nicht verschließen können. Die Nerven gerade der Besatzungen der 14 Frachtschiffe werden meines Erachtens dauernd überbeansprucht. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob, entstanden aus dieser Überreizung, der Ehrgeiz die Kapitäne treibt, immer kürzere Rekordfahrzeiten herauszuholen, wobei die anbefohlene Vorsicht und Sorgfalt außer acht gelassen werden. Das aber geht auf Kosten der Fahrsicherheit und des Materials und kann uns im Falle eines Unglücks im Weltenraum den guten Ruf unbedingter Fahrsicherheit kosten.
Ich sehe Deinen Entschlüssen entgegen und bleibe mit den herzlichsten Grüßen
Dein Hannes.«
»Lesen Sie, bitte, noch einmal vor, Fräulein Wiemann!«
Nord hob den Kopf, während die Sekretärin der Aufforderung nachkam.
»Ja, gut so!« Er blätterte in der Post und den Meldungseingängen, diktierte erforderliche Anweisungen, auch an Frigga Holk, die Bibliothekarin, und beantwortete die
weiteren Zuschriften.
»Danke, Fräulein Wiemann! Das wäre im Augenblick alles!«
Die Sekretärin erhob sich. Seine Gedanken kreisten wieder um die Probleme des Frachtschiffdienstes. Irgendwoher fühlte er Unheil nahen. Gespenster? — — Zum Teufel damit! Gibt's nicht! — — Kommt von der blödsinnigen Arbeiterei. — — Und doch? — — Wäre es nicht besser, Helo Torwaldt den Unfall von HD-66 nach der Berichterstattung Frank Gunters sofort hinüberzufunken?
Da schnurrte das Telephon. Ein Vorbeugen zum Hörer.
»Nord! — — Ah, Herr Gunter? — — Welche Freude! — — Aber bitte, selbstverständlich. = =- Kommen Sie doch gleich! — — — Wie? Noch nicht gefrühstückt? — — Keine Ausrede! Sie sind herzlich willkommen! — — — Nein, im Gegenteil, ich auch nicht! — — — — Aber sicher, steht ja alles auf dem Tisch, reicht gewiß für zwei! — — — Na, endlich! — — — Also bis gleich!«
Er legte den Hörer zurück, sprang sichtlich ruhiger und entspannt auf und begab sich in den Nebenraum. Die Sorgen wichen. Gunter kam. Frank Gunter, ein aufrichtiger Kamerad und der beste aller Raumschifffommandanten. Ihm durfte er freimütig alle Bedenken offenbaren,
Eine geraume Weile schon sprachen die zwei Männer in Nords Eßzimmer, das im unterirdischen Werk, platzbeschränkt, Tür an Tür mit Hannes Nords Arbeitszimmer lag. Das einfache Frühstück war beendet. Flinke Hände hatten Besteck und Geschirr abgeräumt. Der Rauch der ersten Morgenzigarette, doppelt schmackhaft nach dem trotz allem kräftigen Imbiß, stieg blaukräuselnd zur Decke.
Frank Gunter, Kommandant des größten Frachtschnellschiffs, HD-66, glich nur in seiner beachtlichen Größe Hannes Nord, bot aber schon durch den feiner gegliederten Körperbau, noch betont durch die enganliegende dunkelblaue Uniform der Raumschiffoffiziere, einen auffälligen Gegensatz zu der wuchtigen Gestalt seines Gegenübers im grauen, weitgearbeiteten Anzug. Erschien Nords vierkantiger Schädel mit den immer wachen, braunen Augen, der breiten, eckigen Stirn unter dem dichten schwarzen Schopf, dem ausgeprägten Unterkiefer wie eine ständige Drohung von rücksichtsloser Unbeugsamkeit und eisernen Willens, so verleiteten Frank Gunters weicher Ausdruck, die versonnen gewölbten Lippen, die großen hellen Augen, das lange schmale Hinterhaupt unter den glatt zurükgekämmten dunkelblonden Seidenhaaren, besonders aber die fast frauenhaft schlanken, gepflegten Hände zu der Annahme, einen energielosen, gut leitbaren Träumer vor sich zu haben, bis — — — ja, bis der von unten emporschnellende, herausfordernd spöttische Blick den Gegner traf, niederträchtig stumm und eindringlich. Ob der wenigen Worte, die dann folgten, machten die davon Betroffenen meist ungemein geringen Gebrauch Dritten gegenüber.
Doch Gunter war gerecht und mehr noch, er setzte sich ein. Im Augenblick drohender Gefahr schob er mit liebenswürdig zuvorkommender Rücksichtslosigkeit jeden seiner Untergebenen zur Seite — hier bin ich Kommandant —, handelte selbst an der Stelle derer, denen er leicht hätte Befehl erteilen können, unternahm selbst jedwedes Wagnis — und gewann stets! Gewann nicht nur sein Leben, sondern das aller ihm Anvertrauten und deren opferbereite Liebe.
Diese Charakterzüge, verbunden mit einem ausgesprochenen Verantwortungsbewußtsein auch technischen Dingen gegenüber, sicherten ihm seit Jahren Zuneigung und Freundschaft des sonst so verschlossenen Hannes Nord.
Ein kurzes Schweigen war im Gespräch eingetreten. Da hob Nords tiefe Stimme wieder an:
»An die Art Ihrer Berichterstattung bin ich nun langsam gewöhnt, alter Freund! — — — Das dicke Ende kommt wohl noch nach, wie?« — Der Ton hob sich. — »Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß das große Meteor, das Sie da ankratzte, wie Sie eben beliebten anzudeuten, plötzlich den Kurs änderte, Verzeihung, Herr Frank Gunter, murmelte und eine andere Bahn einschlug?«
»Nö! — Tat es auch nicht!« =- — Gunter betrachtete angelegentlich die sich kräuselnde Aschenbildung an seiner Zigarette.
»Ja zum Teufel! — Dann hat Ihnen dieser Erzbrocken ein anständiges Loch in den Leib geschlagen!« Hannes Nord verlor langsam seine sprichwörtliche Beherrschung. Der Unfall im Weltenraum erregte ihn als Konstrukteur zutiefst.
»Mir nicht! — — Aber meinem Schiff!« Gedehnt tönten die Worte.
»Überaus einleuchtend, sonst säßen Sie nicht mehr hier!« — Nords rascher Widerhieb.
»Hm — — — sehr richtig! — — Doch! — — « Aller Übermut wich aus den lachenden Augen. Die Rechte langte zum Aschenbecher und drückte hastig den glimmenden Rest der Zigarette aus. »Es war der übelste Zwischenfall auf allen meinen Fahrten. Das Meteor traf voll mittschiffs. HD-66 wurde durch die Wucht des Zusammenpralls aus der Bahn gerissen.«
»Und?«
»Wir sind weitergefahren!«
»Mit dem schwer havarierten Schiff noch die Erde erreicht und gelandet?« Entsetzen sprach aus der Stimme.
»Wie Bild zeigt, ja!«
Nord lehnte sich, schwer atmend, zurück.
»Wo liegt HD-66 jetzt?«
»Auf der Außenwerft 3 — zur Reparatur. — — — Ich würde eine kleine Besichtigung vorschlagen! — — — Tatbestände pflegen eindringlicher als zeitraubende Schilderungen zu wirken.«
»Kommen Sie!«, war alles, was Hannes Nord hervorbrachte.
Er erhob sich. Verharrte eine Weile, Frank Gunter betrachtend. Mechanisch knöpften die Finger in harten Bewegungen den Rock zu.
Gunter saß immer noch.
»Gunter! — — Kommen Sie doch!«
Die Hand schlug kameradschaftlich auf die Schulter.
Da sprang Frank Gunter, wie von einem Bann befreit, auf, und beide Männer verließen den Raum. In der großen unterirdischen Montagehalle, in der einst vor Jahren das erste Raumschiff HD-1 geheimnisvoll erbaut, HD-1, mit dem Helo Torwaldt als erster Mensch kühn in den Weltenraum vorgestoßen war, bestiegen sie schweigend das Schnellboot, das sie hinausbringen sollte zur Werft. — Als sie auf dem Hinterdeck Platz genommen hatten, begann Frank Gunter wieder:
»Das Meteor traf - bei allem Glück nicht in die Kommandokugel einzuschlagen — recht unglücklich genau von der Breitseite in die Hochdruck- und Vakuumkammern zwischen den Frachtkugeln II und III und zerriß im Kabelschacht B nahezu alle Leitungen zum Heckmaschinenraum. Es verging geraume Weile, bis sich die gesamte Bemannung von dem ersten Entsetzen erholt hatte, als die Prüfung ergab, daß auch der Leitungsschacht S eingedrückt sein mußte. Wir waren zu 90 Prozent heckmanövrierunfähig geworden!«
Das E-Boot setzte sich langsam, völlig geräuschlos auf der stillen Wasserfläche in Fahrt und strebte dem Ausgangstunnel zu.
Nord schüttelte erregt den mächtigen Kopf. Seine Phantasie malte ihm die grausige Katastrophe aus, der jene um Haaresbreite, im wahrsten Sinne des Wortes, entgangen waren. Dann grollte es:
»Wie haben Sie denn, in drei Teufels Namen, landen können? Das Helan ist doch zehnmal leichter als Luft! Wie konnten Sie das total manövrierunfähige Schiff zur Erdoberfläche herabzwingen?« ;
»Landen? — — — Hm! — — —« Frank Gunter blickte an sich herab und wischte bedächtig ein Staubteilchen vom Rockaufschlag. »Wir befanden uns noch 24 Stunden von der Erde entfernt. So war die Landung zunächst keine akute Frage. Wohl aber die Fahrtrichtungskorrektion. Ich ließ daher zunächst HD-66 durch mehrfache Bug-E-Rohr-Ausstöße auf Steuerbord in den richtigen Kurs schwenken, aus dem es durch die Wucht des Zusammenpralls abgelenkt war. Meine Offiziere umstanden mich zu kurzem Meinungsaustausch. Des Ernstes der Lage waren wir uns jetzt deutlich bewußt. Es hieß rasch handeln, die Schutzanzüge anlegen und mit allen verfügbaren Kräften die Leitungen notdürftig flicken. Ferner — — —« Das große Tor des unterirdischen Kanals tat sich auf. Die spiegelnde Weite des Frischen Haffs lag vor dem herausschießenden Schnellboot, das rasch an Geschwindigkeit gewann. Frank Gunter brach ab, hatte den Kopf gehoben und blinzelte in den hellen Augusthimmel. Seine Gedanken schienen nicht mehr bei der Sache zu sein. Schweigend blickte er, das Haupt weit zurückgelehnt, nachdenklich zur Sonne. Dann kam es spöttisch von seinen Lippen:
»Hast mich doch nicht erwischt, du Glühheiße! Bin dir gerad' noch einmal entkommen! Ja, ja! Nur hast du dieses Mal deine Fangarme allzu stürmisch nach mir ausgestreckt!« — Und plötzlich lief ein Zittern über die hohe, schlanke Gestalt. Die Hände bebten, um die willensschmalgepreßten Lippen zuckte es.
Hannes Nord betrachtete ihn aufmerksam. »Also doch!' sann es in ihm. Die lang befürchtete Nervenschwäche meldete sich.
Dann war alles weitaus gefährlicher gewesen, als Gunter es darstellte, dann hatte es dort draußen im Weltenraum ein Rennen auf Leben und Tod gegeben, um mit dem schwerhavarierten Schiff doch noch die Erde zu erreichen und nicht, durch das gewaltige Meteor aus der Bahn geschleudert, in den Anziehungsbereich der Sonne zu geraten und in sie einzustürzen, lebendig zu verbrennen, zu vergasen.
»Gunter!« — Seltene Wärme warb aus der tiefen Stimme Nords.
Ein hartes Kopfschütteln war die einzige Antwort. Hannes Nord blickte hinüber und verstand, Jetzt nicht dran rühren. Frank Gunter mußte mit sich und seinen zerfetzenden Gedanken erst allein fertig werden.
»Peter, fahren Sie aufs Haff hinaus, Richtung Frauenburg!«
»Jawohl, Herr Nord!«
Ein dankbarer Blick traf den Freund aus den blauen, nun so seltsam unsteten Augen Frank Gunters.
Lautlos schoß das E-Boot dahin. Schweigend saßen die beiden Männer in den großen weißen Korbstühlen auf dem Hinterdeck. Das sanfte Rauschen der Bugwellen war Ohr und Sinnen wohltuend und beruhigend.
Nords Gedanken waren bis ins tiefste aufgewühlt. Daß hier das erste Raumschiff dem furchtbarsten Schicksal, das ständig allen Weltenraumfahrern drohte, den Wirkungen des Zusammenstoßes mit einem größeren Meteor, mit knapper Not entgangen war, das wußte er nun. Der kaum noch zu leugnende Zusammenbruch Gunters redete eine deutlichere Sprache als seine wie üblich leicht hingeworfenen Worte.
Was hatte jener vorhin gesagt? Ich ließ zunächst HD-66 durch mehrfache Elektronenausstöße in den richtigen Kurs schwenken — — —. Schwenken — —? Was sollte das heißen? Jetzt erst begann Nord die Einzelheiten zu durchdenken. Wenn, wie Gunter vorhin angab, das Meteor das Schiff von der Breite glatt durchschlagen hatte, dann mußte sein Einfluß nach allen physikalischen Erkenntnissen äußerst gering gewesen sein. Eine kleine Versetzung in der Richtung des Aufschlags, nicht mehr.
Nords mathematisch geschulter Geist grübelte. Seine Augen streiften fragend Frank Gunter. Der saß neben ihm in dem breiten Korbstuhl, hatte den Kopf auf die Lehne zurüdgelegt, die Augen geschlossen, als wollte er ein Sonnenbad nehmen. Nichts verriet mehr, was in seiner Seele vorging.
Schwenken — — schwenken — — schwenken? Das Wort ließ Hannes Nord nicht los. Seine Sinne arbeiteten angestrengt. Je eher er des Rätsels Lösung fand, um so besser. Er ersparte dem Freund an seiner Seite den Tatsachenbericht, der ihn nur aufs neue erschüttern mußte. Und plötzlich zuckte es in ihm vernichtend auf. Das Meteor hatte niemals das Schiff ganz durchschlagen, sondern war in den vielfachen Schotten und Wänden steckengeblieben. Das Helan, der Baustoff aller Raumschiffe, Helo Torwaldts Erfindung, zehnmal leichter als Luft und viel härter als Stahl, hatte Widerstand genug geboten, die gesamte kinetische Energie des Einschlags zu vernichten und . . . HD-66 war aus der Bahn gerissen, mußte nahezu manövrierunfähig in der neuen erzwungenen Richtung, mit der schweren Last im Leibe, parabelförmig der Sonne zustreben, jener heißglühenden Sonne, der schon das Meteor verfallen war.
Jetzt erst erkannte Hannes Nord mit aller Klarheit, was vorhin Gunters Worte an die Sonne im tiefsten zu bedeuten hatten, wußte vollauf um die entsetzliche Gefahr. Pfui Teufel! Nord schauderte es. Weiter hetzten die Gedanken, malten das Bild aus. Die Besatzung mußte ja im Augenblick des Zusammenpralls in dem Raumschiff herumgetaumelt sein, ärger, als wenn eine schwere Schiffsgranate einen widerstandsfähigen Panzerturm trifft. Keiner hatte das Leben eingebüßt? Mehr als ein Wunder! Mit unerhörtem Draufgängertum mußte Gunter das Allerletzte aus den noch wenigen arbeitsfähigen Elektronendüsen herausgeholt haben, um das schier unvermeidliche Schicksal abzuwenden. Mehr noch! Seine reichen Erfahrungen in der Raumschiffahrt allein konnten ihm den Weg gewiesen haben, diese navigatorische Meisterleistung zu vollbringen. Wie aber hatte das schwer havarierte Schiff, eines Teils seiner Antriebskraft beraubt, mit falschem Kurs aus dem Weltenraum kommend, seinen Heimathafen auf der großen Planetenkugel, Erde genannt, ansteuern können?
Bei der normalen Raumschiffahrt war das ein leichtes. Die Schiffe schossen mit der letzten Geschwindigkeit der Fahrt in die oberste Gashülle der Erde ein, wo sie nach kurzer Zeit zum Stehen kamen. Die Atmosphäre wurde in die während der Weltenraumfahrt evakuierten Frachtkugeln gelassen, gleichfalls die Hochdruckkammern gefüllt, das Schiff auszubalancieren. Der Auftrieb des Helans hielt es dann im Gleichgewicht mit der dünnen Gasatmosphäre, die dort oben in der Höhe der Heavysideschicht vorhanden ist. Die Raumkurse waren zeitlich so angesetzt, daß dieser »Anhaltepunkt« mehr oder minder genau, bildlich gesprochen, über einem riesigen Trichtereinguß lag, einem Trichter, dessen nach unten verengerter Auslauf in unmittelbarer Nähe der Detatom-Werke auf der Ostsee vor der Frischen Nehrung sich befand. Selbst bei starker Wolkenbildung oder Nebel bot das »Wassern« in der See vermittels der Radiopeilung und Richtsendung keine Schwierigkeiten. Helan ist zehnmal leichter als Luft. Die daraus erbauten Raumschiffe hatten trotz der Maschinenlast, Ladung und Bemannung einen so erheblichen Auftrieb in der Nähe der Erdoberfläche, daß sie nur mit der Rüclstoßkraft ihrer Elektronendüsen herabgezwungen werden konnten. In Schußfahrt tauchten sie in das Meer. Durch die geöffneten Ventile strömte Wasser in die Flutungskammern. So beschwert, wurden die Raumschiffe zu normalen Wasserfahrzeugen, die dann durch den großen Stichkanal in der Frischen Nehrung bei Kahlberg das weite Hafenbecken des Frischen Haffs langsam ansteuerten. Ein ungelöstes Rätsel blieb nur dem Grübelnden, wie HD-66, nachdem es gelungen war, der Gefahr des Sonneneinsturzes zu entgehen, solche Landung hatte vornehmen können. Nach Aussage Frank Gunters waren die Heckdüsen durch den Meteoreinschlag nahezu gebrauchsunfähig geworden, desgleichen die Steuerflossen, die der Richtwirkung in der Lufthülle der Erde dienten. Die Heckdüsen aber gerade waren es, die das Schiff auf die Erdoberfläche hinunterpressen sollten, die defekten Steuerflossen, die es jeder Zielsicherheit beraubten. Sollte eine sehr geschickte Ausnutzung der Zulast in Gestalt des gewaltigen Meteors diese Meisterleistung möglich gemacht haben?
Das Schnellboot glitt durch die friedliche Fläche des Haffs. Nord blickte, an den Problemen grübelnd, hinüber zu den gewaltigen Anlagen, in knapp zehn Jahren entstanden, die sich jetzt in ihrer ganzen Größe und Ausdehnung dem Auge boten. Riesige Hallen ragten auf, eine neben der anderen, die Bauplätze der Raumschiffe. Domhohe Krane reckten ihre filigranartigen Gittertürme in den blauklaren Himmel. In das ölträge Haff erstreckten sich weit hinaus schwimmende Stege, alle parallel zueinander.
Vor einer Reihe von ihnen lag silbergleißend das große Frachtraumschiff HD-66. Nichts Außergewöhnliches, das Zeugnis von der überstandenen Katastrophe hätte ablegen können, war aus dieser Entfernung zu erkennen.
Hannes Nord griff sacht — den Freund nicht zu stören — zu dem Fernglas, das stets unter der Sessellehne wohlgeschützt hing, und setzte es vor die Augen.
Das Schnellboot rauschte durch die stillen Fluten.
Ein leiser Ruf der Überraschung kam von seinen Lippen.
Was war mit dem Schiff? Mit nahezu 45 Grad Schlagseite nach Steuerbord ruhte es auf dem Wasser. Deutlich war die außergewöhnliche Lage an den schiefstehenden Horizontalsteuerflossen zu erkennen. Das Glas glitt suchend über den mächtigen Schiffsleib. Wo war die Einschußöffnung des Meteors — — —?
Da — — oben am äußersten Rande des Gesichtsfeldes gähnte mittschiffs ein beträchtliches Loch, hob sich dunkel von der silbernen Wandung ab. Soweit es aus dieser Entfernung zu schätzen war, mochte sein Durchmesser gut und gerne fünf Meter betragen.
Das knarrende Geräusch des Korbstuhls neben ihm ließ Nord das Glas absetzen. Frank Gunter hatte sich aufgerichtet und schaute fragend in das Gesicht seines Chefs.
Noch schwieg Nord, aber in Sekundenschnelle hatte er den erschauten Tatbestand durchdacht und seine Schlüsse daraus gezogen. Seine Folgerungen aus den spärlichen Worten Gunters waren richtig gewesen. Das schwere Meteor stak noch unten im Körper des Raumschiffs, sonst wäre die Schieflage unerklärlich.
Die Blicke der Freunde hingen ineinander. Klar leuchteten die Augen Gunters wieder. Die Nervenschwäche, Folge weniger des furchtbaren Erlebens als der Vorstellungskraft, was hätte geschehen müssen, wenn — — — war überwunden.
»Wir wollen jetzt zur Werft fahren!« Seine Hand fuhr durch die Luft, als ob er einen Strich unter alles Gewesene zog.
»Peter! Zu HD-66!«
»Jawohl, Herr Nord!«, ertönte die Stimme des Schiffsführers. Das Boot wendete hart winklig in rauschender Fahrt. Die nachlaufende Heckwelle ließ es im neuen Kurs einige Male schlingern. Dann glitt es wieder ruhig durch die sommerstille Wasserfläche.
Das Achterdeck lag erhöht, bot freie Sicht selbst über Kajüte und Bug hinweg. Näher und näher kam die Werft. Näher und näher HD-66.
Frank Gunter hatte sich in seinem Korbsessel zurückgelehnt. Sein Blick richtete sich starr geradeaus auf das
Raumschiff. Leise trommelten seine Finger auf dem Rohrgeflecht der Lehnen.
Nord schwieg.
Wozu jetzt reden? Er wußte nun um die Qual, die jener an seiner Seite in den letzten 24 Stunden für seine Mannschaft und sich ausgestanden hatte. Wovon jetzt reden? In wenigen Minuten mußte ja der Beweis seiner logischen Folgerung, das Meteor, greifbar als metallisches Geschoß des Weltenraums, eingebettet in die zerfetzten Wandungen des Raumsdiffes, vor ihm liegen.
Da brach Frank Gunter unvermittelt das Schweigen. Seine Stimme war eintönig, weltenweit, seine Gedanken mußten abgewandt sein, seine Lippen nur formten, einer quälenden Erinnerung folgend, mechanisch die Worte:
»In meiner Jugend, so erzählte mein Vater, ließ er einmal, damals noch Leiter eines großen Industriewerkes, eine Zukunftsdeuterin zu sich kommen. Einer seiner Prokuristen hatte sie auf einem Gesellschaftsabend hochintellektueller Geister kennengelernt«, jetzt atmete Spott deutlich die Betonung Gunters Worte, »und war restlos gefangen von ihren hellseherischen Fähigkeiten. Mein Vater, ein überaus klarer Kopf, dachte nur daran, den Gegenbeweis dieses übersinnlichen Unsinns zu erbringen, indem er jene Chiromantin zu sich bestellte. — — Um ganz sicher zu gehen, ließ er sie nicht zu sich in seine Privatwohnung kommen, sondern in das Werk, vertauschte sogar seine generaldirektorialen Arbeitsräume mit denen eines seiner höheren Angestellten. Er tat recht! Man kann bei solchen Typen nie wissen, wie weit ihre vorinformatorische Tätigkeit gediehen ist. Er verbot ferner jedem, der diese Frau zu ihm führte, irgendwelche Äußerungen. Von gleichen, mehr oder minder realen oder gefühlsduseligen Interessen bewogen, erklärte sich eine Reihe von Oberingenieuren, technischen und kaufmännischen Leitern bereit, ebenfalls zukunftgedeutelt zu werden. Als Zeit wurde Samstag nachmittag, kurz nach Werkschluß, angesetzt. Daß jeder schwieg, war in Anbetracht des Experiments eine Selbstverständlichkeit. Der Sonnabend kam und mit ihm jene sogenannte Wahrsagerin. Alle Zimmer waren von den sonstigen Insassen vertauscht. Die Reihenfolge der »Interviews« wurde ausgelost. Als Nummer drei kam mein Alter Herr heran. Und nun hören Sie, lieber Nord, was jene neben vielem unfaßbaren Blödsinn sagte: »Sie haben zwei Söhne. Der eine, ein reiner Gefühlsmensch, wird stets in seinem abenteuerlichen Leben durch seinen Glauben an das Gute, sein nie erlahmendes Ringen um Erkenntnis, kismetbehütet auf die Beine fallen und den richtigen Weg finden. Er ist ein vagabundierender Faust und besiegt allen Widerstand durch die Beharrlichkeit seines guten Willens. Er ist wie selten ein Mensch vom Glück begünstigt!'
Mein Vater hielt lächelnd der Deuterin die Hand hin, denn er glaubte bei der damaligen Jugend seiner Jungens niemals an solches Geschwätz.«
»Und doch hatte sie Recht!« — — Wie ein grollender Donner stieg Hannes Nords tiefe Stimme in den nun bewußt leichtfertigen Plauderton Frank Gunters.
Gunter griff urplötzlich zu dem Zigarettenbehälter auf dem schmalen Bordtisch ihm gegenüber, nahm eine und entzündete sie mit einer Heftigkeit, die Nord erschreckte.
»Ja! — — — Sie hatte, — — — sie h a t recht. — — — Sie hat mich bezwungen! — — — Der e i n e bin ich. — — Glück, Glück, Glück, — so tönt es von allen Seiten! — — Und wo bleibe ich? Die Zuneigung aller beruht auf meinem G l ü c k ! — — Nicht auf m i r, — nicht auf dem, was ich leiste — — — leiste, — — — leisten w i l l , — — — auf meinem Einsatz! — — — Um stets im Erfolg schließlich um die Tat betrogen zu werden! — — Nur G l ü c k zu haben!«
Wie der Schrei eines durch Wunden gereizten Tieres gellten die letzten Worte über die sommerstille Fläche des weiten Haffs.
Hannes Nord war bis ins tiefste erschüttert. Folgen der Raumfahrt, Folgen der Raumfahrt, hämmerten seine Gedanken. Er sah nur noch, wie die kaum angerauchte Zigarette voll ingrimmigen Widerwillens über Bord geschleudert wurde, vermeinte, das verendende Zischen wie einen Peitschenhieb zu verspüren. Da fiel das Schnellboot von Fahrt und stoppte auslaufend vor einem der schwimmenden Anlegestege. Dicht daran lag das gewaltige RaumSchiff.
Gunter sprang mit überraschender Lebendigkeit hinaus und eilte mit harten Schritten über die in den ersten Morgenstunden errichtete Hilfsbrücke einer Gruppe von Arbeitern zu, die sich auf Leitern mit seltsamen Schneidgeräten an HD-66 zu schaffen machten.
Nord folgte. Bald hatte er den Freund erreicht und beobachtete stumm von der Seite sein Mienenspiel. Nichts mehr verriet die seelische Erregung des Gefühlsausbruches. Sein gesammelter Wille galt nur noch der Arbeit an dem Raumschiff. Die Anordnungen, die er gab, zeugten von ungemeiner Sachkenntnis. Die Worte tönten frei und fest, ohne jeden Unterton von Härte oder Befehlsdünkel, in einer selbstverständlich frohen Kameradschaftlichkeit. Es war wieder einer der Widersprüche in der Seele des zähesten aller Bezwinger des Weltenraumes. »Ist das Kabel gelegt?«
»Der Anschluß im Innern des Schiffes ist noch nicht bis zur Lagerstelle des Meteors vorgetragen«, ertönte die Stimme des leitenden Ingenieurs.
»Gut, Herr Wulff! Dann stoppen Sie die Arbeit hier, bis die Verbindung hergestellt ist! — — Übernehmen Sie die Aufsicht im Innern des Schiffes! Ich selbst bleibe hier draußen.« Dann wandte sich Gunter an Hannes Nord.
»Wollen Sie Herrn Wulff begleiten? Es wird Sie gewiß interessieren, an Ort die Missetaten unseres ungebetenen Himmelsgastes in Augenschein zu nehmen!« Gunters Augen zwinkerten herausfordernd fröhlich dem Freunde zu.
»Sie wollen das Meteor von außen herausschneiden?«,
war die zweifelnde Frage Nords.
»Ja! Denn umkippen können wir HD-66 nicht, um den Eindringling auf dem Wege herauskollern zu lassen, den er hinein nahm. Und mit Kranenzangen und Seilwerk kommt man nicht heran. So bleibt nichts anderes übrig, als den Eisenbrocken hier herauszuoperieren — und ins Haff fallenzulassen.«
»Ein gefährliches Unterfangen!« — Deutlich klangen die Bedenken aus Nords Stimme.
»Aber kurz und schmerzlos!« — Wieder das jungenhafte Lächeln — »Doch«, setzte er nach kurzem Sinnen hinzu, »Sie werden im Innern des Schiffes die Richtigkeit meiner Anordnung bestätigt finden.«
Da verabschiedete sich Nord rasch von Gunter und folgte dem Oberingenieur. Er wollte sich selbst Gewißheit verschaffen.
Mit Schwierigkeiten war es verknüpft, auf den Verbindungsgängen im Raumschiff vorzudringen. Wären nicht überall die in jede Lage schwenkbaren Hilfsleitern gewesen, so hätte die starke Schieflage des Schiffes ein Gehen unmöglich gemacht. Jetzt turnten Hannes Nord und der Werkingenieur — letzterer als Führer — einen Schacht abwärts und erreichten nach kurzer Zeit die Lagerstelle des Meteors.
Der Erste Offizier des Schiffs begrüßte den Chef der Erdwerke und erstattete vorschriftsgemäße Meldung. Als Nord kameradschaftlich dankte, wies er auf den mächtigen Nickeleisenbrocken, dessen Gestalt zwar voller zerrissener Unebenheit, doch nahezu kugelförmig war.
»Was sagen Sie zu unserer unerwünschten Fracht?«
Hannes Nord schüttelte nur stumm den Kopf. Seine Rechte ruhte auf dem Meteor, das eine empfindliche Kälte ausströmte. Rasch zog er die Hand zurück. Jetzt erst, beim Anblick dieses gewaltigen, silberglänzenden Erzbrockens von schätzungsweise vier Meter Durchmesser, erkannte er mit aller Klarheit die entsetzliche Lage, in der sich HD-66 befunden haben mußte.
Arbeiter kamen. Einer trug ein Feldtelephon. Von der Kabeltrommel schnurrte die Verbindungsleitung ab. Ein Nachzügler glitt vorsichtig abwärts, einen metallischen Kasten tragend, und setzte ihn behutsam abseits an eine Wand. Nord beobachtete schweigend ihr Tun. Doch nur seine Augen folgten den Handgriffen, seine Gedanken wanderten weit draußen im Weltenraum.
Die Stimme Wulffs, des Oberingenieurs, riß ihn aus seinem Sinnen. Er hatte den Apparat angeschaltet und sprach:
»Hallo! Herr Kommandant Gunter! Hallo — — Hallo!«
— — — —
»Hallo! — — — Ja? — — — Herr Gunter? Wie ist die Verständigung?«
— — — —
»Jawohl, hier auch gut.«
— — — —
»Alles klar! Sämtliche hindernden Bruchstücke sind fortgeräumt. Das Meteor ruht nur noch auf der Außenwand!«
— — — —
»Auch das! Die Schottenwand ist mit dem Helanbrenner erweitert!« — — —
— — — —
»Verstanden! — Die Sprengkapseln baue ich dann erst ein!«
— — — —
»Ich werde die Anweisung weiterleiten und bleibe allein im Nebengelaß zur Beobachtung!«
— — — —
»Jawohl!« — — — Der Hörer klinkte auf die Gabel. Wulff wandte sich um.
»Alle Arbeiter verlassen das Schiff, Befehl vom Kommandanten!« — — Wulff richtete seine Worte an den Ersten Offizier:
»Offiziere und Mannschaften auf Station! — Klar zum Manöver!«
Der »Erste« hob grüßend die Hand zur Mütze, wiederholte den Befehl: »Besatzung auf Station! Klar zum Manöver!«
Wulff fuhr fort:
»Die Telephonverbindung von den Schwimmbrücken zum Kommandostand des Raumschiffs ist gleichfalls fertiggestellt. Herr Kommandant Gunter bittet Sie, Herr Schirmer, um Ausführungsbestätigung seiner Anordnungen von dort!«
»Jawohl, Herr Wulff!« Wieder fuhr die Hand zum Mützenschirm.
Eine Pfeife trillerte, Befehle tönten. Dann sah Hannes Nord, wie sich die Arbeiter die Leitern aufkletternd entfernten. Einige Leute der Mannschaft, die in den Nebenschotten und Gelassen tätig gewesen waren, erschienen, erhielten Anweisungen und eilten auf demselben Wege auf ihren zugewiesenen Posten. Als letzter verabschiedete sich der Erste Offizier, Kapitän Schirmer.
»Herr Schirmer! Ich erwarte Sie nach Behebung der Havarie bei mir zur Gegenzeichnung des Fahrtenbuches!«
»Jawohl, Herr Nord!« Der Offizier grüßte und ging.
Nord und Wulff waren allein. Da hob Hannes Nord den Blick und schaute durch die mächtige Einschlagsröhre des Eisengeschosses aufwärts. Helles Tageslicht blendete hoch oben in Kirchturmhöhe die Augen durch die zackig runde Öffnung in der dem Himmel zugewandten Außenwand. Schotten auf Schotten und Wände waren zerschlagen. Zerfetzte Kabel und Drähte, Materialteile und zersplitterte Fetzen von Rohren baumelten noch an den Rändern.
Nur ein stummes, nachdenkliches Kopfschütteln bewies, wie stark sich Nords Gedanken mit der Katastrophe beschäftigten.
Wie hatte Gunter mit diesem Schiffswrack landen können? Unwillkürlich drängte sich ein Vergleich seiner erregenden Betrachtung auf: ein riesiger Walfisch, dem eine tückische Granate die Nervenstränge des Rückgrats zerrissen hatte, gelähmt und todgeweiht, und doch hat das Leben gesiegt?
Als ob der leitende Ingenieur die Gedanken Nords erraten hatte, tönte plötzlich seine Stimme:
»Ist das nicht schier unfaßbar, daß Kommandant Gunter mit diesem nahezu steuerlosen Schiff noch hat zu uns zurückkehren können?«
Nord zögerte einen Augenblick, dann entgegnete er tief aufatmend:
»Sie haben recht, Herr Wulff. Ich stehe vor der größten navigatorischen Meisterleistung, die je bei den Detatom-Werken vollbracht wurde!«
»Eine Meisterleistung, Herrn Gunters würdig, das steht außer Frage und, sprechen wir es offen aus, das sprichwörtliche G. G.!«
»G. G.? — — Was bedeutet das?« — Nords Augenbrauen runzelten sich.
»Sie kennen die Abkürzung nicht?«
»Nein!«
Wulff fühlte sich unbehaglich bei der Schroffheit der Antwort.
»Verzeihung, Herr Nord! Es lag mir fern, die Tat zu schmälern.«
»Na, und?« Der Leiter der Erdwerke »Detatom« hatte jenen Unterton in der Stimme, der in seinen Mitarbeitern unangenehme Erinnerungen an beträchtliche Aufmunterung wachrief.
»G. G. heißt im Werk »Gunter-Glück«!« Straff tönten die Worte.
»Soooo — —!| Danke! — — — War mir bis heute unbekannt!«
Da war es wieder, das »Gunter-Glück«. Hannes Nord schnitt die Wahrnehmung bitter in die Seele. Der heutige Vormittag hatte ihn zum ersten Male Einblick in eine vom Schicksal genarrte Mannesseele nehmen lassen. Wiederum verblaßte also die persönliche Leistung hinter dem vernunftgemäß Unfaßbaren und wurde zum — Glück — Glück —.
Im letzten Einsatz um die Tat betrogen, vom Glück? Narretei! — — Aberglauben! — — — Dem Starken hilft das Glück! — — Also doch Glück? — — Widerwillig schüttelte er die sich verhaspelnden Gedanken ab.
Da ertönte das Surren des Telephons. Der Ingenieur griff zum Hörer.
»Hier Wulff!«
»Jawohl! Danke!«
Er wandte sich seinem Chef zu, den Hörer langsam niederlegend.
»Herr Nord, Sie werden vom Werk verlangt! Dringende Meldung der Marsstation!«
»Danke, Herr Wulff!« Nord schickte sich an, die Leiter zu erreichen.
»Sie finden den Weg?« Wulffs besorgte Stimme hinter ihm.
»Gewiß, Herr Wulff!«
Draußen fand Hannes Nord zu seiner Überraschung Frank Gunter allein bei der Arbeit, die vorhin noch mehrere Werftmechaniker ausführten.
Helle Kiefernholzstege, heute morgen erst rasch als Notbrücke errichtet, führten zum Lande, zu dem gleißenden Funkeln der gewaltigen Raumschiffbauhallen, zu den dunkelgrünen Walddünen der Nehrung.
Keine Menschenseele weit und breit.
Frank Gunter allein, aufreizend allein, mit seiner Arbeit beschäftigt. Nur ein duralumin-gekapselter Telephonapparat und ein kleiner Metallkasten standen wie verlassen auf dem Steg neben dem riesig aufragenden Raumschiff.
Leitungen liefen in das Schiff.
Nichts sonst!
»Nun, Herr Nord?« Gunter stellte seine Tätigkeit ein. Die Pfiffigkeit eines Buben strahlte aus seinem Gesicht. »Wie fanden Sie unseren Himmelsgast?«
Keine Antwort. Nur dunkel harrendes Beobachten in den Augen Nords. Dann wieder Gunters verbissene Dreistigkeit.
»Hm — — ja! Hab' mir auch vorgenommen, in Zukunft die Annahme solchen Frachtgutes zu verweigern. Schon der Entladung wegen, die sich, wie Bild zeigt, als etwas zu umständlich erweist!« - Er deutete auf seine Arbeit. Eine tiefe, zwei Finger breite kreisrunde Furche, nahezu 5 Zentimeter im Durchmesser, hatte der Helanschneidbrenner aufgerissen.
Nord schwieg. Seine Augenbrauen runzelten sich. Das Unternehmen, das stand jetzt fest, war viel zu gewagt. Schon daß dieser Tollkühne sämtliche Helfer fortgeschickt hatte, allein handelte, bewies allzu deutlich, daß auch er sich über die drohende Gefahr vollständig im klaren war.
»Gunter, lassen Sie's! Wir schleppen HD-66 auf die freie Werft 7! Gehen mit allen technischen Mitteln dort heran, das Meteor aus dem Schiffskörper herauszunehmen. Wenn plötzlich die angeschnittene Wand aufreißt, zermalmt Sie die Eisenmasse, bevor Sie zur Seite springen können. Die paar Stunden Zeitverlust nehme ich auf meine Kappe!«
»Nein!«
»Gunter! Sie spielen wieder einmal mit Ihrem Leben!«
»Mein Schiff startet laut Befehl heute nacht! Ich will's!«
»Gunter!« — — Zwecklos. Das pfeifende Zischen des neu aufheulenden Helanbrenners vernichtet das kameradschaftliche Wort. Frank Gunter arbeitet verbissen, seinen Plan durchzuführen. Weißglühend frißt sich die Rille tiefer und tiefer in den gläsernen Raumschiffkörper.
Zum ersten Male in seinem Leben vermochte sich Hannes Nord, der weltbekannte Leiter der »Detatom-Werke«, nicht gegen einen seiner Untergebenen durchzusetzen. War auch für ihn die Erschütterung nach allem heute Gesehenen und Erlebten zu nachhaltend, beugte er sich unbewußt dem jäh aufgeflammten, stärkeren Willen des Siegers über Tod und Sonne? Er war vom Werk gerufen worden! Wichtiges harrte gewiß dort seiner, denn »außerfahrplanmäßig« rief die Marsstation fast nie an. Dieser Gedanke tauchte nur in die Oberfläche des Bewußtseins. Er aber schaute unentwegt auf Gunters rasch arbeitende, geschickte Hände und verharrte. Wenn jetzt die schon tief ausgeschnittene Platte in der Wandung des Raumschiffes plötzlich unter dem ungeheuren Druck des darauf lagernden Meteors, das, oberflächlich gerechnet, über 200 000 Kilogramm schwer war, zu früh nachgab, dann blieb hier von ihnen beiden, dem Holzsteg, auf dem sie standen, und allen Apparaten verteufelt wenig übrig. In den Haffgrund gequetscht! — — — Gunter war wahnsinnig. Und doch! — — — Bei all seiner Tollkühnheit steckte verbissene Methode darin. Das kreisförmige Stück, das er tiefer und tiefer ausschnitt, war an einer eingeschweißten Öse an die Schiffswand angeseilt, mußte wie eine Sicherheitsklappe für den Arbeitenden wirken, konnte nicht, da Helan zehnmal leichter als Luft ist, gegen den Himmel entwischen und war später wieder leicht in die Öffnung einzupassen und neu zu verschweißen. Rasch, billig und gut, wenn alles klappte, — — das Meteor wie ein folgsames Haustier auf Kommando, und nicht eigenwillig, aus seinem Stall kam. Ja, wenn! Und wenn nicht? Ein Beobachtungsfehler bei der Arbeit? — — — Die Gedanken arbeiteten zielbewußt. Weiter — — — weiter! — — — Was muß sich ereignen, wenn das riesige Raumschiff, um die gewaltige Masse des Meteors plötzlich erleichtert, nicht nur in seine Normallage zurückschwingt, sondern obendrein erheblichen Auftrieb bekommt?
»Gunter!«
»Nanu?«
»Lassen Sie für einen Augenblick die Arbeit ruhn!«
Verblüfft, daß sein Chef noch neben ihm stand — er wähnte ihn unter dem zischenden Geräusch seines Helanbrenners längst auf dem Wege ins Werk — schob Frank Gunter die rubinrote Schutzbrille in die Höhe.
»Herr Nord?«
»Ich bitte um kurze Aufklärung Ihres Arbeitsvorhabens!« Das war wieder die Befehlsstimme des Konstrukteurs des ersten Raumschiffes.
»Bitte! — — — HD-66 ist auf meine Anordnung heute morgen bis zum errechneten Punkte mit Wasser getrimmt. Ferner an Bug und Heck mit dreifachen Trossen gegen jede unvorhergesehene Fährnis fest verankert. Die Rückschwingung in die Normallage muß daher in Anbetracht von Ballast und die Art der Verankerung nach Entfernung der rund 200 Tonnen schweren Eisenmasse des Meteors langsam erfolgen. Eine Gefährdung von Schiff und Mannschaft ist somit ausgeschlossen. Eine Gefährdung der Werftanlagen durch plötzliche Erzeugung von Wasserwellen nach dem eben Gesagten vermieden. Lediglich das Meteor selber wird unter diesen Umständen hier die Notbrücke beim Herausgleiten zertrümmern und eine für die Gesamtanlage wirkungslose kleine Flutwelle erzeugen. Ich bin überzeugt, nach bestem Wissen und Können meinem Werk gedient zu haben. — — Ich habe laut Befehl heute Nacht zu starten!«
Das war Abweisung!
Gunter, der andere, unbeugsame Gunter, der mit verbissener Zähigkeit rasch und selbst die Tat durchführte, wieder von sich nicht sprach, und doch an der gefährlichsten Stelle sie selbst vollenden wollte.
Hannes Nords Zweifel wichen. Er erkannte klar die Zweckmäßigkeit des Vorhabens. Empfand innerlich den Stolz jenes, der da anspruchslos handelte, und doch alles auf eine Karte setzte. Und die kühne Unerschrockenheit war ihm Genugtuung, er ist von gleichem Holz. Nötigte ihm wieder die Hochachtung ab, die erstes Erfordernis zwischen Männern ist, die Kameraden sind.
»Bitte, fahren Sie fort!« Ruhig glänzende Augen fanden das Antlitz des Freundes.
»Oberingenieur Wulff beobachtet als einziger an der Bettstelle das Meteor. Hat den Sprengstoß vorbereitet, der erforderlich ist, das Meteor zum Durchschlagen der angerissenen Außenwand in Bewegung zu setzen. Die elektrische Auslösung erfolgt, um ganz sicher zu gehen, jedes Mißverständnis auszuschließen, von hier aus nachher durch mich über die vorhin gelegten Kabel!«
»Wie weit wollen Sie ausschneiden?«
»Bis auf drei Zentimeter von der Gesamtstärke!«
»Das heißt 47 Zentimeter tief?«
»Jawohl, Herr Nord!«
»Wie weit sind Sie?«
»Im Durchschnitt auf 43!«
»Sie erachten die letzten drei Zentimeter für tragfähig bei 250 Tonnen Gesamtdruck des Meteors von innen.«
»Bei der spezifischen Härte des Helans würden noch 1,5 Zentimeter den Druck ertragen. Da ich aber in der Tiefe mit dem Schneidgerät keine zuverlässige Genauigkeit des Schnitts erreichen kann, gebe ich 1,5 Zentimeter als Sicherheitskoeffizient hinzu!«
Nichts dagegen einzuwenden, dachte Nord. Das war Gunter, der Raumschifftechniker, der aus seiner Schule hervorgegangen war. Alles bis aufs letzte bedacht. Warum hatte er sich nur derartig unberechtigten Bedenken hingeben können? Was hier geschah, hätte selbst er nicht besser erdenken und durchführen können.
Frank Gunter hatte sich wortlos wieder seiner Schneidarbeit zugewandt. Pfeifend zischte die Brennwirkung. Weißglut strahlte an den Angriffsstellen, blendete die ungeschützten Augen Nords.
Ruhe rundum. Keine hundert Meter vom Ende der schmalen weißen Holzstege, die zum Lande führten, zog sich als dunkler Streifen gegen den klarblauen Himmel still und verträumt die grünwaldige, sonnnenüberstrahlte Nehrung. In unregelmäßigen Zwischenräumen klangen matt und windverweht dumpf metallische Geräusche aus den gewaltigen Montagehallen herüber. Dunkles Wasser schimmerte unter den Bohlen der Laufplanken, gluckerte und plätscherte an den Holzpfosten.
Hannes Nord sann, ganz entgegen seiner Eigenart, über diesen auffälligen Widerspruch in Gunters Gehaben, seiner leichtfertigen Sprechweise und dem rücksichtslos zielbewußten Handeln. Dann über das seltsame Geschick, daß dieser geistig so ausschweifende Sonderling im letzten Erfolg stets recht behielt, sann über das befremdende Wort der anmaßenden Handdeuterin: »Der vagabundierende Faust besiegt dennoch alle Widerstände durch die Beharrlichkeit seiner — —«
»Herr Nord wird dringend von der Marsstation verlangt! An alle Abteilungen weitergeben! Herr Nord wird dringend von der Marsstation verlangt!«
Rauh und dröhnend hallten riesige Alarmlautsprecher des Werks »Detatom« die Worte über das schweigsame Haff.
»Donnerwetter!« Nord fuhr auf, straffte sich, und schon im raschen Davonschreiten wandte er sich kurz um.
»Bis nachher, Gunter! Weiter gute Verrichtung!«
Und dann geschah das Unfaßbare.
Die halbe Rückwärtswendung beim Abschiedsgruß entzog auf Sekunden das Blickfeld des schmalen Steges dem Davonhastenden. Er strauchelte über die Unebenheit eines Bohlenstoßes, wollte sich fangen, fiel, verhaspelte sich in den Kabeln, stürzte auf die elektrische Sprengauslösung.
Dumpfer, erschütternder Stoß!
Die RaumSchiffwand riß auf.
Ein gähnender, schwarzer Rachen spie aus der silberglänzenden Wandung in entsetzlicher Schnelle den zermalmenden
Metallblock.
Krachen, splitterndes, ächzendes Holz! — — — Wildbewegte Wassermassen schlugen über dem Trümmerfeld zerschmetterter, wirbelnder Pfosten und Bohlen zusammen, brandeten gegeneinander, Folge des furchtbaren Einschlages des viele Tonnen schweren Meteors, das alles vernichtend durch die vorzeitige Sprengschußlösung aus dem Raumschiff gestürzt war. Langsam und träge, ein riesenhaftes Ungeheuer, wand sich HD-66, von der drückenden Last befreit, drehte sich, hob sich, zerrte an den Ankertrossen.
Die Wasser ebbten ab — — —
Stille über zerfetzten, schwimmenden, schaukelnden Hölzern.
Sonne, Sonne, leise fächelnder Wind über dem hellen Bohlensteg, der zum Lande führte. Jäh abgerissen an der Stelle der Katastrophe ragten kreisförmig, wie anklagende Arme, die zerknickten Restplanken, jammervoll zerschunden, in die Luft. Triefend naß, mit tropfend hängenden Haaren, beugte sich ein verbissen lächelndes Gesicht über das des Geretteten, das eine blutende Kopfwunde entstellte. Frank Gunter war wiederum Herr des Schicksals geblieben, Sieger gegen alle unvorhergesehenen Tücken, hatte Hannes Nord, den Verletzten, der tödlichen Flut entrissen und ihn sicher auf dem Steg geborgen. Das durchnäßte Taschentuch wischte zart über die blutenden Wundränder seines Lehrmeisters, der bewußtlos in seinem Schoß kopfgebettet ruhte.
Werftarbeiter eilten in langen Sprüngen vom Land her zur Unglücksstelle. Aus dem riesigen Leib des Raumschiffes fielen von den Luken Strickleitern. Wenige Menschen hasteten sie entsetzt herab, der Erste Offizier von HD-66 allen voran.
Die Sprengung ohne vorherige Ansage?
Um Gottes willen, ein Unglücksfall!
Rascher, rascher helfen, den vergötterten Kommandanten bergen!
Tot, zerschmettert bei der verrückten, starrsinnigen Arbeit, unter allen Umständen das havarierte Raumschiff bis zur Nacht fahrbereit zu machen.
Ein Hangeln von den Strickleitern, Absprung auf den Steg.
Polternde Schuhe! — — — — Wo — — Wo —?
Da!
Ein Bild des stillsten Friedens, Frank Gunter!
Und wen hielt er wie die Mutter ihr krankes Kind?
Naß wie die Katzen!
»Kommt! — — Drüben, über den intakten Verbindungssteg! Helft mir unseren Nord heimtragen!«
Die erhobene Hand an dem tropfenden Ärmel Gunters wies den Heraneilenden den Weg.
Und dann standen sie, die von Land und aus dem Schiff, neben der Gruppe, faßten zu viert den Bewußtlosen, hoben ihn sacht empor.
Frank Gunter sprang hoch. Ein Guß strömenden Wassers schoß plätschernd aus den Hosenbeinen.
»Schirmer! Sie übernehmen das Kommando! — Ich begleite unseren Chef zum Werk. Schicken Sie mir sofort eine trockene Garnitur in die Werkzentrale, Abteilung Ia!« Das waren die Privatzimmer Nords. »Ich werde von dort veranlassen, daß in kürzester Frist die Spezialarbeiter zur Wiederherstellung der zerstörten elektrischen Steuerleitungen an Bord kommen wie auch zum Neueinschweißen der herausgeschnittenen Wandungsplatte und Schließung der Meteoreinschußöffnung.«
Gunter blickte zum Schiff auf. »Ach, sieh! Da schwebst du ja, mein Lebensretter, fein säuberlich an deiner Hundeleine!«
Ja, da schwebte die herausgeschnittene, vom Explosionsdruck und Meteor herausgepreßte, fast fünf Meter im Durchmesser messende Helanplatte — zehnmal leichter als Luft der Baustoff aller Weltenraumschiffe, das Helan —, zerrte sanft an ihrem Fesselseil wie ein gewaltiger Teller.
Kapitän Schirmer unterbrach ungestüm das lächelnde, kopfnickende Sinnen seines Kommandanten,
»Herr Gunter, wie war das möglich?«
»Ein simpler Unglücksfall, mein lieber Schirmer. Der Auslösungskontakt muß wohl nicht ganz in Ordnung gewesen sein, hat sich geschlossen durch die Geherschütterung auf den federnden Holzbohlen des Steges.«
Ein ungläubiges Beobachten Schirmers. »Tja, ja, muß wohl so gewesen sein.«
Ein harter, befehlender Blick aus Gunters Augen traf seinen Ersten Offizier. — »Muß schon so gewesen sein, Schirmer!«
Hannes Nords Ungeschick war für immer aus den Annalen der »Detatom-Werke« ausgelöscht.
»Und!« — — Frank Gunter blickte sich im Kreise der erregt an seinem Munde hängenden Belegschaft um. »Wie wir so glimpflich davonkamen? Sehr einfach! Die angeseilte Wandungsplatte, die ich ausschnitt, wirkte wie eine Schutzklappe, warf mich zunächst hoch, während unser erzener Himmelsgast unter mir herausplumpste. Ich rutschte dann zwar haltlos ab und fiel hinterher, doch ich entging so dem Zerquetschtwerden im Haffschlamm. Herr Nord, der weiter abstand, muß wohl eine etwas zu heftige Bekanntschaft mit einer der herumwirbelnden Planken gemacht haben. Ist aber nicht schlimm! Nur eine harmlose Kopfwunde und vorübergehende Bewußtlosigkeit! — — — Herz arbeitet ganz normal! — — So, Herr Schirmer, Sie haben alles verstanden?«
»Jawohl, Herr Gunter!«
»Also dann bis nacher! Etwa gegen 14 Uhr bin ich wieder zurück!«
Frank Gunter wandte sich ab, eilte der Gruppe, die, schon dem Lande nahe, den Chef heimtrug, auf dem Stege nach. Arbeiter traten zur Seite, ließen ihm den Weg. Er schritt davon. Der am Körper dicht anklebende, triefende Anzug hinterließ Schritt für Schritt Tropfen auf Tropfen naßdunkle Flecke auf den Holzbohlen. Die Zurückbleibenden schauten ihm achtungsvoll oder kopfschüttelnd schweigend nach.
»Dieses unfaßbare G. G.!« — Schirmer war es, der leise die Stille unterbrach.
Die Menge zerstreute sich, aufgeregt das jüngste Ereignis besprechend, das unerklärlicherweise nicht zwei Tote gekostet hatte. 250 000 Kilogramm stürzen sekundenschnell in einem Riesenblock über zwei Männer; alles rundum zersplittert zu Fetzen — — —
»Wenn es einen Teufel gäbe, er stünde mit ihm im Bunde!«, gröhlte schon weit, vom Wind getrieben, eine Stimme aus der Gruppe der davonschreitenden Werkarbeiter,
Nords Arbeitszimmer. Auf den beiden Schmalseiten des ausladenden Schreibtisches wohlgeordnete Papierstöße. Frei die glasbelegte Mittelplatte. Ein Tiefstrahler gleißte hell über ihr, tauchte die Umgebung in Dämmerlicht.
Ein schmaler, weißer Streifen, Punkte und Striche in schwarzer, sinngebender Folge, durchlief haspelnde, eilige Hände. Frank Gunter las, tausendfach geübt, die chiffrierte Dring-Meldung der Marsstation wie offenen Text.
Hannes Nords Bademantel war seine einzige Bekleidung nach dem reichlich unerwünschten Haffbad. Nackt schimmerte die weiße Haut der zurückgelegten Füße, ein seltsamer Gegensatz zu dem dunkelblauen Teppich unter dem Stuhl.
»U—m—s—t—a—e—n—d—e—n«, Gunters Lippen murmelten rasch die Zeichen zu Worten, »erbetene UW RMT-Ladung mit HD-66 sofort abschicken!«
»UW RMT?«« — — — — Donnerwetter, was soll denn das heißen? Gut! U war dringend, alter Telegramm-Code. W nichts anderes als Doppel-V nach der Detatom-Chiffre, also VV, höchste Geschwindigkeit. Aber RMT — — — RMT — —? Was war denn da drüben los? — — RMT? Zum Kuckuck! Noch keine sechs Tage war es her, daß er den Mars verlassen hatte. Alles ging da in bester Ordnung, und jetzt — — dringend, schnellstens — — RMT? — — — Was hatte die drüben erwischt, daß sie nach RMT schrien? — — Was sollte bloß dies verdammte RMT heißen? — — — — — Himmel, Abendstern und Wolkenbruch! — — — Nord ist zur Zeit außer Gefecht. Verantwortlich bin ich. Ich hab' den Auftrag — — — HD-66 UW!
Die Gestalt schnellte empor, der Bademantel wehte über den nackten Beinen zurück. Den stählernen Schrank, innen helangepanzert, betasteten Gunters Hände über Uneingeweihten kaum sichtbaren Linsen. Zurückspringen! Die Panzertür drehte sich langsam in ihren Angeln, öffnete sich. Ein Gedanke schob sich vor Gunters Wollen. — — Überschreitung der Befehlsgewalt? — — — Vertrauensbruch? Die photoelektrischen Öffnungszellen des Panzerschranks in Nords Allerheiligstem selbstherrlich in Tätigkeit gesetzt? — — — — Niemals!
Nord besinnungslos! Sein Stellvertreter auf Erholungsurlaub! — — — HD 66 — — UW RMT — — UW RMT — — RMT — — RMT — — Was heißt RMT? Der eingeschlossene Detatom-Code allein gibt mir Aufschluß, zu helfen. 'Raus damit! Ich muß! — — Ich übernehme die Verantwortung!
Da lag das nicht allzu starke Buch, dunkelrot gebunden. Die Finger griffen zu. Zogen es heraus. Hastende, bloße Füße auf dem blauen Teppich. Hinsetzen. Im grellen Schein des Tiefstrahlers flatterten die weißen Seiten, die unter der Linken sich rasch umschlugen.
»Qu — — R — —« Die Lippen murmelten. Langsameres Wenden. »Ra —Re ——Rj —— — RM« — — — da weiter — — — »RMT«
»Himmel!« — — — Ein entsetzter Aufschrei.
Frank Gunter sprang hoch. Hastete stürmend in Nords Schlafzimmer. Der Werkarzt saß neben dem Bett des Ohnmächtigen.
»Noch immer?« — — Die gepreßten Worte Gunters.
Ein sanftes Nicken war die einzige Antwort.
»Wie lange noch?« — Die Lippen flüsterten leise nun in unmittelbarer Nähe des Arztes.
Achselzucken — — — »Einige Stunden gewiß noch. Leichte Gehirnerschütterung, doch bei der Konstitution Herrn Nords unbedenklich!«
Ohne Antwort suchte Frank Gunter das Arbeitszimmer wieder auf, die Tür leise hinter sich schließend. Er durchmaß erregt den Raum von Wand zu Wand wie ein Raubtier im Käfig, um erneut die vorgetretene Bahn aufzunehmen. RMT — — — UW RMT.
Es klopfte. »Herein!« Gunter blieb mitten im Zimmer stehen und starrte auf die Tür.
Die Klinke bewegte sich herunter, herauf, herunter. Das verblüffende Bild wiederholte sich ununterbrochen. Ein leises Rütteln, doch der Einlaßheischende trat nicht ein.
»Was soll denn der Blödsinn!« — Frank Gunter stürzte wütend zu, festzustellen, wer da draußen seine unangebrachten Possen trieb.
Ein Ruck, Reißen an der Klinke. Die Tür ging nicht auf, ließ sich bei allem nunmehr wutentbrannten Schütteln nicht öffnen.
Verschlossen? Wer hatte ihn denn eingeschlossen?
Eingeschlossen? Wozu? War jemand in der kurzen Zeit, die er im Nebenraum verweilte, hier eingedrungen?
Eingedrungen? — — — Diebstahl! — — — Die Akten!
Ein entsetzter Blick auf den Schreibtisch. Teufel, nein! Das Codebuch lag friedlich da, mitten auf der hellen Glasplatte.
Wie solch blöde Angstgedanken die Nerven durchdrehen! Das kommt von meiner Selbstherrlichkeit. Wenn jetzt was geschehen wäre? Er wischte sich mit dem weiten Bademantelärmel über Stirn und Haare,
Warum ging die verdammte Tür nicht auf?
Schlüssel steckt überhaupt keiner.
Schlüssel — — — Schlüssel — —?
»Ich Idiot!« Ein befreiendes, herzhaftes Auflachen, Mann und doch großer Junge.
Nord hatte ihm einmal, es war schon lange her, gezeigt, daß bei geöffneter Panzertür des Tresors, der alle wichtigen Dokumente des Werkes Detatom barg, die Türen, die von außen zu seinem Arbeitsraum führten, automatisch verriegelt waren. Das Bild der wuchtigen Gestalt des Chefkonstrukteurs und Leiters der Erdwerke stand klar vor seiner Erinnerung, wie jener, fast mitleidig lächelnd, ihm die ausgeklügelte Spionageabwehr vorführte.
Gunter griff rasch nach dem dunkelroten Code, wenige Schritte zum Tresor, die Rechte schob das Buch an seinen Platz. Er trat zurück. Erst ein wunderliches Kreisen der linken Hand, dann ein Auflegen auf eine bestimmte, von keinem Uneingeweihten erkennbare Stelle des Seitenteils, langsam schwenkte geräuschlos die Panzertür ein, schnappte knackend ins Schloß.
Eine rote Lampe über dem Rahmen der Türe, vor der draußen der unbeabsichtigt Ausgesperrte harrte, erlosch.
Frank Gunter schaute kaum hin.
»Hätte auch früher daran denken können!« — Dann drückte
er die Klinke nieder, öffnete.
Ein Mitglied der Bemannung seines Raumschiffes stand vor ihm und schaute mit erstaunt fragenden Augen zu ihm auf.
»Nun?«
Der Mann nahm Haltung an.
»Überbringe auf Befehl von Herrn Kapitän Schirmer die erbetenen Kleidungsstücke.«
»Danke!«
Der Bote faßte, sich bückend, nach einem an der Wand stehenden kleinen Koffer, zögerte.
»Bringen Sie 'rein, Warnke!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Gunter schritt voraus, gefolgt von seinem Untergebenen, dessen Blicke, heiß begeistert, den Raum durchflogen. Das war also das Allerheiligste, das Arbeitszimmer Nords, das Hirn des »Detatom-Werks-Erde«. Ob wohl je einem einfachen Raumschiffmatrosen solch ein Anblick zuteil würde, er jemals solches Glück hatte, das einmal zu betreten und schauen zu dürfen. Es muß doch sehr geheimnisvoll sein, sonst wäre eben nicht abgeschlossen gewesen.
»Legen Sie, bitte, den Koffer drüben auf den Stuhl!« Rauh zerriß die Stimme den Zauberbann.
»Jawohl, Herr Kommandant!«
»Danke, Warnke!«
Ein militärisches Straffen.
»Ich bitte um Unterschrift des Kontrollscheines!«
»Geben Sie!« — — — Frank Gunter wandte sich zum Tisch, unterzeichnete den blauen Zettel und gab ihn zurück. »Sie können gehen!«
Hacken schlagen. Der überglückliche Kofferträger verließ den Raum. Schlenderte den langen Gang herunter, neugierige Blicke rechts und links werfend, obgleich es nur verschlossene Türen mit unverständlichen Buchstabenbezeichnungen zu sehen gab, aber das war ja gerade so interessant. Er meldete sich bei der Ein- und Ausgangskontrolle an dem ehemaligen Werftbecken des unterirdischen Werks tief unter dem Dünenrücken, den der Volksmund seiner dreiwelligen Form wegen anschaulich das »Kamel« getauft hatte. Der Schein wurde geprüft. Das Schnellboot brachte ihn auf dem Wasserwege durch die sich selbsttätig öffnenden Gatter und Hebepanzer hinaus. Es gab nur diesen einzigen, unbezwingbaren Eintritt in die Verwaltungs- und Konstruktionsräume der »Detatom-Werke, Abteilung Erde«, jenes unterirdisch verborgenen Werks, in dem vor Jahren das erste kleine Raumschiff HD-1 just auf jenem unterirdischen, stillen, gewaltigen Wasserbecken erbaut, und zum ersten Male zum Mars vorgestoßen war.
Frank Gunter hatte sich umgezogen, trug jetzt die graue Sommerhose, saß im Sporthemd vor Nords Arbeitsplatz. Die helle Jacke hing über der Rückenlehne des Stuhls. Sein Kinn ruhte in der Linken. Vor ihm saß Fräulein Wiemann, die Privatsekretärin, sie las rasch und fließend mit einförmiger Stimme das letzte Diktat herunter.
»Ja — — Gut! — — Weiter bitte! — — Anordnung?«
Gunter schaute suchend auf das aufgeschlagene Tagesbefehlsbuch. »Anordnung 8412/39.« Die Rechte schrieb hinter der Zahl in die freie Rubrik mit Kopierstift das Kennwort.
Er wiederholte in Gedanken, noch mit dem Schreiben beschäftigt: »8412/39 an die Werftleitung.« Die Bestätigung der Sekretärin.
»Im Telephonanruf gegen 10.30 vom 8. VIII. habe ich folgende Anordnung getroffen:
HD-66 ist sofort nach Eintreffen vor der Werft an seinem anbefohlenen Ankerplatz unter Einsatz sämtlicher im Werk verfügbarer Kräfte wie folgt instand zu setzen! Alle anderen Arbeiten, mit Ausnahme der Klarmachung von HD-42, sind sofort einzustellen!
1. Wiedereinschweißung der herausgeschnittenen Platte an Steuerbord.
2. Einpassen einer neuen Helanplatte in die Einschlagstelle des Meteors an Backbord.
3. Wiederherstellung der zerstörten Vakuum- und Flutungskammern.
4. Herrichtung der durchschlagenen Zwischen- und Trennwände nur im Rahmen der erforderlichen Stabilisierung des Schiffskörpers. Endgültige Ausbesserung später.
5. Anschließend einstündige Erprobung durch Dipl.-Ing. Herber als verantwortlichen Leiter der E-Arbeiten. Sofortige Berichterstattung an mich nach Abschluß der Versuche.
6. Neuladung sämtlicher Elektronendüsen mit fabrikneuen Anregerpatronen und P-Metall ohne Rücksicht auf Gebrauchszustand der vorgefundenen Materialien.
7. Auffüllung des Bordlagers mit A-Patronen und P-Metall auf Vollbestand.
8. HD-66 muß laut Befehl der Marsstation bis 19.20 Uhr startfähig sein.
Im Auftrage des Leiters der Erdwerke — —«
Frank Gunter blickte vor sich hin, sann kurz nach.
Die Zeitangabe auf Befehl der Marsstation entsprach zwar nur sinngemäß den Tatsachen, verhalf aber zu größerem Ansporn.
Der letzte Satz war Überschreitung der Befehlsgewalt. Im Auftrage? — — Hannes Nord war ohne Besinnung. Das wußten nur er und der Arzt, Keiner sonst! Man hielt Nord für leicht verletzt und würde seine Stellvertretung im Hinblick auf HD-66 als selbstverständlich hinnehmen.
Nein, es gab kein Zaudern! Er mußte die Verantwortung tragen! Weltenfern, auf dem neubesiedelten Planeten Mars, waren Menschenleben in höchster Gefahr. Es hieß handeln, handeln und nochmals handeln, alles daransetzen, so rasch wie möglich Hilfe zu bringen!
Gunter sah zu Fräulein Wiemann hinüber, die, den blonden Kopf gebeugt, den gespitzten Bleistift über ihrem Stenogramm hielt, gewärtig, sofort weiterzuschreiben. Sie schien seine Anwesenheit hier, seine anordnende Tätigkeit als selbstverständlich hinzunehmen.
»Bitte, wollen Sie vorlesen, Fräulein Wiemann!«
Wieder haspelte die Stimme betonungslos die Sätze herunter.
»Danke! — Füllen Sie bitte sofort die Befehlsformulare an Kapitän Schirmer, das Proviantamt und die Werft mit den niedergelegten Texten aus und reichen Sie sie mir zur Unterschrift herein!«
»Jawohl, Herr Gunter!«
Die Sekretärin erhob sich und ging in ihr Zimmer.
Kaum hatte sich die Tür geschlossen, so sprang Frank Gunter auf und eilte an das Krankenbett. Das gleiche Bild wie vorhin. Nord immer noch bewußtlos, neben seinem Bett beobachtend der Arzt.
»Herr Doktor Schumann, darf ich Sie einen Augenblick herüberbitten?« Gedämpft tönten die Worte.
Ein Blick auf den Kranken, der Werkarzt stand auf und folgte der Aufforderung, betrat das Arbeitszimmer, die Tür nur leicht anlehnend, um jedes Geräusch aus dem Nachbarraum wahrnehmen zu können.
»Bitte, nehmen Sie Platz!« Gunter rückte einen Stuhl neben den seinen.
»Danke, Herr Gunter!«
Weiches Scharren der Stuhlbeine auf dem dicken Teppich, Die Männer hatten sich niedergelassen.
Frank Gunter zögerte einen Augenblick, dann faßten seine Augen fest die seines Gegenübers.
»Herr Doktor, Sie waren, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, vor acht Jahren auf dem Mars und hatten hervorragenden Anteil an der Herstellung des Impfstoffs gegen die Marskrankheit, wie wir sie damals nannten.«
»Sehr richtig, Herr Gunter!« Der Arzt ließ seinen Blick nicht von dem Gunters. Sein Gesichtsausdruck verriet Spannung. Die seltsame Eröffnung der Unterredung beunruhigte ihn sichtlich.
»Um es kurz zu machen, die gesamte Kolonie unserer Ansiedler ist erneut von der Seuche befallen worden!«
»Herr Gunter — —!« Ein Aufschrei verzweifelter Ablehnung.
»Doch, Herr Doktor! Kurz vor zehn, als Herr Nord und ich das Werk schon verlassen hatten, ging die Dring-Meldung ein. Das auf dem Mars befindliche Heilmittel deckt bei weitem nicht den Bedarf zur wirksamen Bekämpfung der völlig unerwarteten und unerklärlichen Massenerkrankung. Das sind die nüchternen Tatsachen.«
»Fürchterlich!« Ein Stöhnen. »Ich kann es immer noch nicht fassen!« Die auf den Knien gefalteten Hände rieben verkrampft. Dr. Schumann starrte zu Boden. Die Bilder, die in der Erinnerung des gütigen Arztes, des besten Kenners der furchtbaren Seuche, aufstiegen, mußten, nach dem Ausdruck seiner verstörten Miene, entsetzlich sein.
»Jammervoll! — — — Die Ärmsten — — dort drüben! —Qualvoll hinzusiechen! — — Gunter! — — Frank Gunter! Heftig hob sich der Kopf, die Augen suchten gequält die seines Gegenübers, die Hände faßten urplötzlich zu ihm hinüber, rüttelten die seinen, die Stimme schrie fast: »Gunter, helfen Sie! Helfen Sie, so rasch wie möglich, rasch, sonst ist alles verloren! Gegen die Infektion hilft keine Isolierung, nur RMT! — — — Sonst ist alles verloren, alles vergebens!«
Erschöpft sank der Arzt in sich zusammen, zerwühlte sein Haar. Seine Gedanken hatten sich verfangen nur in dem Sinn helfen, helfen, heilen, sofort eingreifen, ohne etwa zielbewußt sich mit dem »Wie« zu beschäftigen.
»Herr Doktor! Wie groß ist der Vorrat von RMT des Sanitätslagers hier?« — Die harte Stimme Gunters schien aus einer eiskalten, gefühllosen Welt zu kommen.
Da erst zerriß die brutale Wirklichkeit den Nebel des Mitgefühls und Mitleidens um die Not der anderen. Die Erschütterung wich. Der Verstand wurde Herr des folgerechten Denkens.
Der Arzt griff ohne jede Antwort zum Fernsprecher. Rasches Drehen der Wählerscheibe.
»Doktor Schumann! — — — Herr Voß, wieviel RMT-Ampullen sind auf Lager?«
— — — —
»Ja, bitte!«
— — — —
Ein Wenden zu Gunter herüber. »Ich lasse nachsehen!«
Zustimmendes Nicken.
— — — —
»Wie viele?« — — —
»Danke, Herr Voß!«
Der Hörer schlug auf die Gabel, ein sehr ernstes Gesicht wandte sich langsam Frank Gunter zu.
»Rund 5000!«
»Reicht bei weitem nicht!«
»Niemals, sind ja hier nur als Immunisierungsspritzen für Marseinwanderer gedacht.«
»Zusammensetzung?« — — Gunters jetzt fast schneidend herrische Stimme.
»Hauptsächlich ein synthetisches Vitamin höherer Ordnung, mit Schutzimpfstoff ähnlicher Wirkung, verbunden mit einer Alkylaminochinolin-Benzol-Lösung.«
»Hersteller?«
»Die Vereinigten Werke!«
Mit einer wortlosen Rücksichtslosigkeit schob sich Frank Gunter zwischen Arzt und Tisch zu dem darauf ruhenden Fernsprecher. Wieder das Wählerscheibenschnurren.
»Zentrale? — Hier Kommandant Gunter! Vermitteln Sie umgehend ein Blitzgespräch mit den Vereinigten Werken Frankfurt/Main!«
— — — —
»Jawohl, danke!«
Frank Gunter ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen, den Apparat nach sich ziehend.
»Kennen Sie den leitenden Chef-Chemiker der Abteilung, die RMT für uns herstellt, Herr Doktor?«
»Jawohl, Herr Gunter, Doktor Faßbender.«
»Stehen einer raschen Herstellung von RMT unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen?«
»Nein! Bei Umstellung der Fabrikation können in wenigen Stunden die erforderlichen Mengen erzeugt werden.
Wenn — — — —«
Das Schrillen des Fernsprechers zerriß die weiteren Worte.
»Hallo? — — Jawohl! — — Bitte Herrn Doktor Faßbender!«
— — — —
»Wie? Bei einer Konferenz?«
— — — —
»Hören Sie denn nicht? Hier sind die Detatom-Werke, Kahlberg. Ich muß Herrn Doktor Faßbender s o f o r t sprechen. Lassen Sie ihn in drei Teufels Namen umgehend abrufen, oder meinen Sie, daß wir aus Übermut Blitzgespräche mit Ihnen herstellen?«
»Na endlich! — — Dämlicher Trottel!« Die letzten Worte waren bei zugehaltener Sprechmuschel gesprochen. Zu Dr. Schumann gewandt, fortfahrend:
»Kennt Faßbender unsere Geheimzeichen?«
»Ja! Nur er und zwei weitere Herren der Zentral-Versuchsstätten. Wurde damals als geheimes Kennwort vereinbart, um jede Panikstimmung auf der Erde durch aufgebauschte Zeitungsmeldungen zu verhindern, denn Sie wissen ja, daß der Umfang der ersten Seuche durch ungeeignete Rückwanderer bekannt wurde, von einer gewissen, uns feindlich gesonnenen Auslandspresse übel ausgeschlachtet wurde und uns beträchtlich schadete.«
»Ja!« — Ein kurzes Nachsinnen. »Würden Sie, Herr Doktor?« Die Hand zuckte von der Sprechmuschel. »Jawohl, ich spreche noch!«
Wieder dem Werkarzt zugewandt, den Hörer am Ohr, den Sprechtrichter weit nach oben gehalten, um ein Mithören zu verhindern.
»Würden Sie selbst als unser Vertrauensmann mit HD-C nachher hinüberfahren und das Mittel bei den Vereinigten Werken in Empfang nehmen?«
»Sofort, Herr Gunter!«
»Danke!«
— — — —
»Ja« — Der Sprechtrichter schnellte nach unten.
— — — —
»Herr Doktor Faßbender?«
— — — —
»Hier Detatom-Werke, Kahlberg. Kommandant Gunter!« Gunter zögerte kurz, sprach er auch wirklich mit Dr. Faßbender? Dann rasch gefaßt:
»Herr Doktor, Sie kennen die Chiffre für Ihre Impfstofflieferungen an uns?«
— — — —
Oho, jener drüben war genau so vorsichtig, wollte das Kennwort der Bestellung wissen. Ein ratloser, verlegener Blick zu Dr. Schumann.
Dieser hatte, aufmerksam beobachtend, den Zusammenhang zwischen Gunters Gesichtsausdruck und seinem plötzlichen Schweigen erraten, schrieb hastig auf die Rückseite eines wahllos aufgegriffenen Bogens des Aktenstoßes zu seiner Rechten die Buchstaben STZ. Gunter las mit, nickte, lächelnden Dank in den Augen, ihm zu.
»STZ, Herr Doktor Faßbender! Mir war im Augenblick die Chiffre entfallen!«, setzte er, die kleine Verzögerung in der Beantwortung somit leicht entschuldigend, hinzu.
— — — —
»In Ordnung!«
— — — —
»Herr Doktor Faßbender, wir benötigen sofort 200 000 Stück von diesem RMT. Lieferbar bis spätestens 17 Uhr heute nachmittag.«
— — — —
»Herr Doktor F—a—ß—b—e—n—d—e—r!« Die Stimme war wieder von dieser eisigen Schärfe, die frösteln ließ. »Ich brauche Ihnen wohl kaum noch die Gründe dieses so überaus plötzlichen, großen Auftrages klarzulegen. Ich überlasse ferner Ihrer Folgerungsfähigkeit die Ermittlung der Ursachen des kurzen Lieferungstermins!«
— — — —
»Die Dring-Meldung erhielten wir soeben, und unsere hiesigen Bestände reichen bei weitem nicht!«
»Doktor Schumann trifft gegen 13 Uhr bei Ihnen ein!«
— — — —
»Wie?«
— — — —
»Verflucht!« — — Am Hörer knackten die pressenden Finger Gunters, die weißen Zähne nagten an der Unterlippe, dann:
»Nehmen Sie das erstbeste Schnellflugzeug und fliegen hinüber! Kosten spielen nicht die geringste Rolle! Sie wissen ja selbst, was auf dem Spiel steht!«
— — — —
»Gut! — — Ja! — — Doktor Schumann kommt selbst nach Niederrhein, wird Ihnen das Nähere berichten.«
— — — —
»Einverstanden!«
— — — —
»Ich danke Ihnen für Ihre mannhafte Hilfe im Namen jener!«
Der Hörer klinkte hart auf die Gabel.
Erleichtert aufatmend lehnte sich Frank Gunter in seinem Stuhl zurück.
»Haben Sie eine Zigarette bei sich, Doktor?«
Wortlos griff der so Angeredete in seine Tasche, zog eine Schachtel hervor und bot sie geöffnet dar. Gunter griff zu, auch der Arzt entnahm eine und reichte nach weiterem Suchen in seinen Taschen das Feuer.
»Danke, Herr Doktor!« — — Ein tiefer, wohliger Zug, den Kopf weit zurückgelegt. Die zur Rundung vorgewölbten Lippen ließen stoßweise Rauchring auf Rauchring zur Decke steigen. Die schlanke Gestalt schnellte plötzlich vor.
»RMT wird nur im Werk Niederrhein hergestellt. Die Anwesenheit Doktor Faßbenders ist vor Einleitung des Fabrikationsganges unbedingt erforderlich, da er allein über die Rohmaterialien verfügt und die Apparate einstellt, und er sitzt zur Zeit in Frankfurt!«
»Daher Flugzeug?«
»Ja, Sie hörten ja. — — — Der Mann nötigt mir Hochachtung ab«, setzte er, ernst vor sich hinpaffend, hinzu. —
»Nach anfänglicher Ablehnung des Auftrages erfaßte er die uns drohende Gefahr und erklärte sich bereit, alles in seinen Kräften Stehende zu unternehmen, vor allem jetzt sofort telephonisch den Fabrikationsgang der in Frage kommenden Abteilung in Niederrhein zu stoppen und bis zu seinem Eintreffen dort für die Herstellung der angeforderten 200 000 Ampullen frei machen zu lassen.«
»Kann er die Zeit einhalten?« Nur zu berechtigter Einwurf Dr. Schumanns.
»Er will's!«
»Das ist mehr, als ich selbst bei den sehr freundlichen Beziehungen unseres Werks zu den Vereinigten Werken erwarten konnte!«
Gunter war schon wieder vollauf mit der organisatorischen Durchführung der Abholung und Einbringung der drüben auf dem Mars Verderben und Tod bannenden Ampullen beschäftigt, als daß er den Worten Beachtung schenkte.
»Herr Doktor, ich lasse umgehend unser kleines Schnell-Bugsierschiff HD-C startbereit machen. Sie fahren sofort! Sie können Doktor Faßbender unterstützen, auf alle Fälle aber nach der Berichterstattung des wenigen, das wir selbst wissen, allein durch Ihre Anwesenheit beschleunigend auf die Fertigstellung wirken und mich hier im Falle unvorhergesehener Zwischenfälle auf dem laufenden halten. Ich will gleich das Notwendige veranlassen. Augenblick, bitte!«
Wieder griff die Hand zur Wählerscheibe.
»Hier Kommandant Gunter! Herr Kapitän Berger? — — — — Hallo, lieber Berger! Dicke Luft! Befehl von Herrn Nord! Lassen Sie sofort HD-C startbereit machen und fahren Sie auf das Haff. Doktor Schumann trifft in kürzester Frist mit dem Schnellboot bei Ihnen ein. Alle weiteren Erklärungen erhalten Sie von ihm. Ich muß Sie bitten, alles daranzusetzen, den erteilten Auftrag unter Aufbietung aller Kräfte von Mensch und Maschine schnellstens, ich wiederhole s-c-h-n-e-l-l-s-t-e-n-s durchzuführen!«
— — — —
»Danke, Berger! Bis nachher!«
— — — —
Den Hörer noch in der Linken, wandte er sich seinem vermeintlichen Nachbarn zu: »Herr Doktor?« '
Doch dieser stand zu Gunters Überraschung schon an der Türe, den Rücken ihm zugewandt, die Klinke in der Hand.
»Ich muß rasch noch nach Herrn Nord schauen und meinen Assistenzarzt beordern!«
»Wann sind Sie fahrtbereit?«
»In spätestens zehn Minuten!« Des Arztes rasche Entgegnung.
»Gut! Fahrtleiter sind Sie, Doktor! Ich stelle Ihnen beschleunigt das Auftragsformular für die Vereinigten Werke zu, ferner die schriftliche Kommandoanweisung an Kapitän Berger für HD-C. Der Pförtner wird Ihnen die Papiere übergeben!«
»Danke, Gunter!«
Der Arzt verabschiedete sich herzlich grüßend und ging in das anstoßende Zimmer.
Frank Gunter drückte auf den Signalknopf.
Fräulein Wiemann erschien.
»Bitte, Herr Gunter! Die Arbeitsanweisungen und Werkbefehle zur Unterschrift!«
Gunter unterzeichnete sie rasch und reichte sie zurück.
»Sofort den zuständigen Stellen zuleiten!«
»Jawohl, Herr Gunter!«
»Fräulein Wiemann, bringen Sie mir doch bitte das Auftragsbuch für Bestellungen an auswärtige Lieferanten und das Fahrtenbuch«
Die Sekretärin kehrte in ihren Arbeitsraum zurück, um nach wenigen Augenblicken die beiden Bücher Frank Gunter vorzulegen.
»Danke, Fräulein Wiemann! Ich fülle die Formulare selbst aus!«
Ein überraschter Blick traf ihn. Die Sekretärin verließ geräuschlos das Zimmer.
Besser ist besser, dachte Frank Gunter. Wenn drei Mann im Werk von der herannahenden Katastrophe der Marsfkolonie wußten, genügte das vollauf. Die beiden Bücher würde er nachher in den Tresor einschließen. Hannes Nord, den er noch schriftlich vor Antritt der Fahrt von allen Anordnungen in Kenntnis setzen würde, mochte sie nach seinem Ermessen seiner Privatsekretärin wieder anvertrauen oder zurückhalten.
Er legte die Kopierblätter zwischen die Formulare und füllte diese aus. Langsames Herunterreißen längs der Perforation. Noch einmal, ein zweites Buch. Falten der beiden Bogen, zwei Umschläge, die Aufschriften: »Herrn Kapitän Berger, HD-C« und »Vereinigte Werke, Niederrhein, zu Händen Herrn Dr. Faßbender«. So! Jetzt leicht zusammengerollt und hinein in Rohrpostkapsel. Der Tubus verschwand im Mundstück der Rohrpostleitung, der Verschluß klappte zu.
Ein Griff zum Fernsprecher. Nach kurzer Zeit war die Verbindung da.
»Pförtner?« =-
— — — —
»Herr Bergmann?«
»Herr Bergmann! Sie erhalten per RP zwei Briefe, die Sie, bitte, Herrn Doktor Schumann übergeben wollen. Herr Doktor wird in wenigen Minuten bei Ihnen sein und das Werk verlassen.«
— — — —
»Danke sehr!«
Frank Gunter stand auf, nahm die beiden Bücher. Wenige Schritte zum Tresor. Die Panzertür öffnete sich wieder geheimnisvoll durch die kreisende Bewegung der freien Hand. So, daß sie sofort in die Augen fallen mußten, legte er die Formularhefte in ein Fach und schloß den Panzerschrank, kehrte zum Tisch zurück. Auch das wäre erledigt.
Was jetzt? Das beste wohl, rasch den Bericht aufsetzen an Hannes Nord über die getroffenen Anordnungen und seine Absicht, die Marskolonie unter Aufbietung aller Kräfte des ihm anvertrauten Raumschiffes und seiner Besatzung schnellstens zu erreichen, um den Verderben bannenden Impfstoff den dort Leidenden so bald wie möglich zugänglich zu machen.
Es war nicht vorauszusehen, wann Nord aus seiner Betäubung erwachte, noch weniger, wann er, völlig erholt, mit starker Hand die Zügel hier wieder ergreifen konnte. Allzulange konnte der Zustand ja nicht mehr währen, immerhin aber bestand die Möglichkeit, daß eine persönliche Berichterstattung innerhalb der Spanne der verbleibenden Zeit die geistige Aufnahmefähigkeit des Genesenden überschritt und Erinnerungsmängel zweckundienliche Maßregeln verursachten.
»Denn was er schwarz auf weiß besitzt,
Braucht sein Gedächtnis nicht zu plagen«,
dichtete Gunter unbekümmert das Zwiegespräch zwischen Mephisto und dem wißbegierigen Schüler um und ließ sich am Schreibtisch nieder.
Da lag noch der Bogen, den Dr. Schumann eben benutzt hatte. Die erlösende Chiffre STZ stand in großen Buchstaben mitten darauf, hastig niedergeschrieben.
Wohin gehörte das Blatt? Frank Gunter wendete es um. War's was Wichtiges, das da rückseitig bemalt war?
»Funkmeldung, 39/3017. HD-66 startet Dienstag, den 8. August, Mitternacht Erdzeit — — — —«
Ach so, das war ja die Ladungs- und Startanweisung, von der heute morgen Hannes Nord ihm Mitteilung gemacht hatte. Nichts Besonderes also! Überholt überdies durch die jüngsten Ereignisse. Schon wollte Gunter das Formular auf einen Stoß gleicher zu seiner Rechten legen, da verfing sich sein Blick an einem nur zu vertrauten Namen.
»Frigga Holk, zum Mars versetzt, benutzt gleichfalls HD-66 stop Torwaldt.«
Frigga!
Frank Gunter lehnte sich zurück, stützte breit beide Hände gegen die Tischkante, die Fingernägel trommelten auf die Glasplatte. Seine Augen überflogen zum zweiten, dritten Male diesen Nachsatz, den Nord ihm verschwiegen hatte. Ein spöttisches Aufschluchzen:
»Dank dir, alter Freund! Wäre ein wenig zuviel gewesen — — Verfluchte Nerven!«
Er sprang gereizt hoch und durchmaß mit langen Schritten, mühsam seine Erregung meisternd, den Raum.
»Das war Frau Ingeborgs Werk! — — Ich verstehe dich, Helo Torwaldt!«
Gunter blieb stehen, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, und starrte auf ein sattrotes Muster des dunkelblauen Teppichs zu seinen Füßen.
Frigga!
Ein fernes Bild tauchte vor seinen Augen auf. Wenige Wochen war es her, da saß Frank Gunter zusammen mit Dr. Helo Torwaldt und Frau Ingeborg, seiner von allen verehrten Gattin, in einer berauschend schönen Dämmerstunde auf dem Vorbau ihres Hauses, fern auf dem Mars. Seltsam feuerrote, wie Rosen duftende Blumen, die die Erde nicht kannte, schlangen sich um die Brüstung. Das bestrickende, tiefe Blauviolett des Sonnenuntergangs spiegelte in satten Farben auf dem riesigen Wasserkanal, einem der unfaßbar gewaltigen Bauten der vor rund einem Jahrzehntausend jäh ausgelöschten Marsmenschheit. Ein kosmischer Stickstoffeinbruch, dessen Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Schweif eines vagabundierenden, kometenähnlichen Gestirns zu suchen war, hatte Millionen menschengleicher Wesen erstickt und vernichtet. Doch ihre schier für die Ewigkeit errichteten Werke hatten dem zerstörenden Einfluß aller Witterung getrotzt, dienten heute ihren irdischen Erben. Torwaldt erzählte von seinen Plänen, berichtete ungemein fesselnd von neuen Schwierigkeiten, die sich in der Besiedelungstechnik wie auch hier und da als Folge der veränderten Lebensbedingungen den Marskolonisten entgegenstellten. Und Frau Ingeborg flocht hin und wieder einige Sätze ein, die ihre Arbeit als Betreuerin der Siedlerfrauen beleuchteten.
Die Sonne war untergegangen. Rasch machte sich als Folge der dünneren Luft auf dem Mars als auf der Erde eine empfindliche Kälte bemerkbar.
Man schickte sich an, die abendgeheizten Innenräume aufzusuchen. Und während des Gehens schaute Frau Ingeborg zu Frank Gunter auf.
»Sie kommen mir so verändert vor, Gunter! Was bedrückt Sie?«
Gunter schwieg, ließ der Hausfrau mit einer höflichen Geste den Vortritt. Torwaldt folgte und schloß die große Glastüre hinter sich. Sie nahmen um den runden Rauchtisch Platz bis auf den Hausherrn, dessen entschuldigende Worte auf eine noch zu erledigende, unaufschiebbare Arbeit hinwiesen.
»Zigarette?«
»Bitte, herzlich gern, Frau Ingeborg!«
Frank Gunter reichte ihr Feuer und nahm selbst.
Ingeborg nahm die unbeantwortete Frage wieder auf. Sie empfand mit dem sicheren Instinkt der mütterlichen Frau, daß Gunter litt.
»Nun, Gunter? — — — Wollen Sie nicht durch ein offenes Wort zu sich selbst zurückfinden? — — — Sie sind nicht mehr der alte! — — — Was macht Frigga?« — setzte sie mit warmer Anteilnahme und doch ohne jede wahrnehmbare Betonung hinzu.
Sie kannte Gunter seit vielen Jahren, den großen Jungen Gunter und den unerschrockenen, fast tollkühnen Mann. Aus dem seelischen Gleichgewicht — und daß dieses gestört war, hatte sie im Laufe des Nachmittags aus vielerlei an sich Unbedeutendem und doch Aufschlußreichem wahrgenommen — konnte ihn nur ein niederdrückendes Erleben geworfen haben. Da aber gab es nur ein ihr bekanntes Erleben, und das hieß — Frigga Holk.
Ihr Gegenüber schwieg beharrlich. Die Hände drehten die glimmende Zigarette, und seine Augen waren unentwegt auf die rote Glut gerichtet, die langsam unter der Aschenbildung matter und matter wurde.
»Verargen Sie mir den Eingriff in Ihr persönliches Leben nicht, Gunter!« — Die Stimme schwang weich aus dem mütterlichen Gefühl ihres Herzens heraus. Das war kein Drängen, dem anderen ein stilles, wehes Geheimnis neugierig zu entlocken.
Frau Ingeborg streckte, ihrer Regung folgend, über den Tisch hinweg ihre schmale, schlanke Hand vor und legte die gewölbten Finger in leiser Berührung auf Gunters Gelenk. Die Finger rüttelten sanft. Frank Gunters Schweigen gab ihr die Gewißheit, daß ihr Ahnen auf dem richtigen Wege war. Sie kannte Frigga Holk, die seit zwei Jahren Bibliothekarin in dem »Erdwerk Detatom« war und dort Sprache und Schrift der verstorbenen Marsbewohner erlernte, von einem kurzen Aufenthalt her, als sie ihren Jüngsten wegen dringend erforderlicher fachärztlicher Behandlung selbst auf den Heimatplaneten gebracht hatte. Hochbegabt. — — Selbstbewußt. — — Beachtung heischend, — — Aber noch ohne tiefes frauliches Gefühl, lautete das Urteil, das sie sich in der ihr eigenen Art sicher und rasch gebildet hatte.
Noch ruhten ihre Finger auf Gunters Handgelenk. Ihr sinnend lächelnder Blick umfing sein niedergewandtes Antlitz.
»Frigga hat ihr eigenes Ich vor die von Ihnen — — ersehnte Gemeinschaft gestellt?«
Frank Gunters Haupt flog überrascht hoch. Seine Augen blickten sie erstaunt fragend an.
»Woher wissen Sie das, Frau Ingeborg?«
Ingeborg Torwaldt zog sacht ihre Hand zurück.
»Sie sind ein großer Junge, Gunter! — — — Und, bekümmerte Jungen plaudern mit ihren traurigen Augen!«
Ein bitteres, kaum verhülltes Nicken der Zustimmung. Dieser Frau gegenüber war erkünstelte Abwehr Selbstbetrug. Wenn Frigga doch so wäre! Dann raffte er sich zusammen.
»Frau Ingeborg! — Frigga bringt neben ihrer hochgeistigen Betätigung, wie sie sie auffaßt«, — Ablehnung klang aus der Betonung —, »immer weniger Verständnis für meine Art und besonders meine Arbeit auf. Raumschiffkommandant scheint mehr und mehr für sie den Begriff eines besseren Lokomotivführers im Pendelverkehr einzunehmen. «
Gunter blies empört ein Aschenstäubchen von der Tischdecke.
»Hm! — — —« Ingeborg Torwaldt betrachtete lange sinnend den schimmernden Ring an ihrer Rechten.
»Frank Gunter! Es tönt ein altes Menschenlied von Menschenliebe! — — — Wer stärker und tiefer liebt, wird leicht schwach um dieser Liebe willen und verliert sich. Unsere selbstherrliche Frigga Holk benötigt nicht nur den Rahmen, den Verehrung ihr zimmert, sondern das Bild des Meisters ihres Lebens darin! — — Wir Frauen schöpfen so oft aufs neue die Kraft unserer Liebe aus der Arbeit des Mannes, aus seiner restlosen Hingabe an sein Werk, denn Achtung und Liebe sind Zwillingsblüten unserer erfüllten Sehnsucht, die uns von uns selbst erlösen und in unseren Kindern zur schönsten Frucht reifen.«
Frau Ingeborg schaute auf.
»Sie sollten Frigga mehr an Ihrer verantwortlichen und gefahrvollen Tätigkeit für unsere Marsgemeinschaft teilnehmen lassen und nicht alles, na, sagen wir einmal, als Kinderspiel hinstellen! Die Frau will den Mann in seinem Werk sehen und erleben. Berichte Dritter erscheinen ihr sonst unglaubwürdig.«
Schritte nahten, zerrissen die Stimmung. Die Doppeltür sprang auf. Helo Torwaldt betrat frohgelaunt den Raum.
»Verzeih, Inge! Hat etwas länger gedauert, als ich annahm. Unser lieber, alter Forster äußerte da einige technische Bedenken, das neue Pumpwerk Süd IV betreffend!«
»Wie, war er hier?«
»Nein! — — Aber Inge!« — — Ein stillvergnügter Vorwurf. »Sonst hätte ich ihn doch mitgebracht. Er rief an!« — Dann zu Gunter gewandt: »Wie wäre es jetzt mit einem Glase unseres edlen Marsweines zur Stärkung der Geister vor Ihrer Rückfahrt?«
»Ich bin durchaus nicht abgeneigt!«
Blöde Phrase, dachte es in Frank Gunter. Doch genügten die schmalen Worte, sich wieder so in die Gewalt zu bekommen, daß Helo Torwaldt nichts von der Erschütterung verspürte, die Frau Ingeborgs offene Worte in ihm hinterlassen hatten.
Noch lange plauderten sie zu dritt nach dem Abendessen über das sie alle verbindende, gemeinsame Werk.
Zwei Marsmonde warfen schon ihr bläuliches Zwielicht auf die nachtschlummernden Anlagen, da schied Frank Gunter, ließ sich zu seinem Raumschiff übersetzen und startete um die Mitternachtsstunde zu dem Heimatplaneten Erde.
Drei Wochen waren es her, und doch stand das Bild jenes Abends in jeder Einzelheit vor Gunters Augen, tönten die Worte Frau Ingeborgs in seiner Seele nach. Frigga Holk hatte er inzwischen nur einmal gesehen, just an dem Tage, da sie von ihrem Urlaub zurückkam, und nur wenige Worte mit ihr wechseln können, da er kurz vor Antritt einer Marsfahrt stand.
Gunter musterte immer noch gedankenverloren diese roten Zickzackformen auf dem blauen Teppich in Hannes Nords Arbeitszimmer.
Jetzt sollte Frigga mit ihm zum Mars fahren? Zu gut kannte er Frau Ingeborg, um nicht zu wissen, daß ihr alle umhegender Sinn sich sorgend um ihn bemüht und still den Plan vorbereitet hatte, Frigga Holk ihrer fraulichen Einflußsphäre näherzurücken, und gewiß als nützlich für die endgültige, bibliothekarische Zusammenfassung und Einordnung der an vielerlei Stellen aufgefundenen Marsschriften ihrem Gatten dargelegt hatte. Frauenwege! — — — — Frauenwege! Und liegt nicht in ihrer versteckten Planung soviel Segenbringendes?
Frigga sollte mit ihm zum Mars? Sollte zum ersten Male ein Raumschiff betreten, s e i n Schiff, sein Arbeitsfeld, den Weltenraum? Jetzt, zu dieser Fahrt? — — — — — —
Frank Gunter nahm den Weg über den weichen Teppich wieder auf, von Wand zu Wand und abermals zurück.
Jetzt, zu dieser Fahrt? Es würde die gewagteste aller je unternommenen werden. Es mußte unter Einsatz aller Kräfte des Schiffes jenen drüben auf dem Mars schnellstens Hilfe gebracht werden. Die Bemannung war bis auf das unbedingt erforderliche technische Personal von dieser Jagd auf Leben und Tod beurlaubt. Um Leben und Tod im doppelten Sinne: im Weltenraum für das unter noch nie benutzter Beschleunigung dahinrasende modernste Schiff HD-66 und, auf dem Millionen von Kilometern entfernten Nachbarplanet, um der würgenden Seuche ihre Opfer zu entreißen. Keine Erfahrungsunterlagen waren vorhanden, wie die Elektronendüsen bei einer derartigen Beanspruchung durchhalten würden.
Frigga da mitnehmen? Den Buchstaben des Torwaldtschen Befehls befolgen oder ihr größtmögliche Sicherheit der Überfahrt gewähren?
Wenige Stunden nach seiner Abfahrt startete HD-42, ein Passagierschiff, das zur Überholung auf Werft gelegen hatte und nun laut seiner Anweisung von der Bemannung raumklar gemacht wurde. Die Hälfte des von den »Vereinigten Werken« angeforderten RMT sollte es als einzige Ladung hinüberführen. So war unter allen Umständen Hilfe, wenn auch spätere, gewährleistet, falls sein Plan an technischem Versagen scheiterte.
Ein grimmiger Widerstreit der Gefühle tobte in Gunters Brust. Sie soll einmal erleben, was solche Raumschiffahrt bedeutet, wütete der eine Gedanke, und unterliege ich dem Schicksal, gut, dann sie mit. Kein anderer kann sich jemals mehr ihrer Gunst rühmen. Aus — — — ! Aber beide!
Erbärmlicher Egoist! höhnte das bessere Ich. Machst dir die Eroberung verdammt leicht, und setzt obendrein ein junges, blühendes Menschenleben in brutaler Selbstsucht aufs Spiel. Wirf dich ja nicht in deine Heldenbrust, du verantwortungsloser, enttäuschter Liebhaber! Was hat dir Frau Ingeborg von dem »Meister Ihres Lebens« gesagt? Und du!? — — — — Meisterschaft ist Beherrschung der Erfordernisse, nicht Heraufbeschwörung und Ausnutzung einer Zwangslage. So zufallende Erfolge tragen in sich den Giftkeim späterer, vernichtender Auseinandersetzung mit dem nicht Gemeisterten.
Überlaß es doch Frigga, ob sie mitkommen will oder nicht! Stell ihr doch getrost die Gefahren in dem ihr verständlichen Rahmen dar! Sie mag dann entscheiden, lockte Mephisto.
»Pfui, Teufel! Bin ich denn am Rande meiner Kräfte, die Verantwortung einer Verantwortungsunbewußten zuzuschieben?«
Dunkel ist der Weltenraum. Eine einzige, ewig währende, trostlos schwarze Nacht. Das strahlende Blau, in dem wir den Himmel sehen, währt nur einige tausend Meter über unserem Erdboden. Mit zunehmender Höhe geht es vom Dunkelblau zu Dunkelviolett, Schwarzviolett und Schwarzgrau über, um dann an der äußersten Grenze unserer Atmosphäre in Berührung mit dem Weltenraum einem undurchdringlichen Pechschwarz zu weichen.
Eiskalt und luftleer ist das Weltenall, von tödlicher Eiseskälte, bei 270 Grad unter dem Nullpunkt alles irdische Leben sofort erstickend und vernichtend.
Und hindurch rasen von Planet zu Planet, durch keinen Widerstand gehemmt, vorangepreßt durch die Kraft der Elektronen-Ausstoßrohre, die Raumschiffe der »Detatom-Werke«.
Sie allein bergen, als winzigste Stäubchen, verglichen mit der unvorstellbaren Größe des durcheilten Raumes, Leben, warmpulsendes, menschliches Leben. Doch wehe, versagt des Menschen Technik, und die Naturkräfte werden Herr seiner Hände Werk! Einem entsetzlichen Tod in vielerlei Gestalt ist er rettungslos verfallen.
Hatte nicht gerade in den letzten Tagen der Einschlag des Meteors in HD-66 bewiesen, daß trotz aller Leere des Weltenraums ein unglückliches Zusammenprallen mit einem dieser Reste ehemaliger Sternenkörper verheerende Folgen haben konnte?
Solche Gedanken bewegten Gunter. Gewiß hatte er schon in mehr als hundert Fahrten sein Schiff glücklich von Planet zu Planet geführt, doch auf Kursen, die sorgsam berechnet waren. Jede durch die Konstellation der Gestirne mögliche Gefahr war dabei auf ein Minimum beschränkt. Sorgfältig wurden alle Beobachtungen zusammengetragen, die Fahrtberichte aller Raumschiffe immer aufs neue in einer besonderen Abteilung der »Detatom-Werke, Erde,« gewertet, um größtmögliche Sicherheit zu erreichen. Den Weltenraumfahrern erging es nicht anders als vor wenigen Jahrzehnten ihren Kameraden der Luftfahrt. Auch damals waren hier nur wenige Wagemutige zuerst vorgestoßen in das »Neuland« Luft. Ihre Erfahrungen führten dann später zur Errichtung eines regelmäßigen Flugzeug- oder Luftschiffdienstes, erst von Stadt zu Stadt, dann von Land zu Land und schließlich zur Bezwingung der weiten Ozeane in stundengeregeltem Verkehr.
Doch der Weg, den die würgende Not auf dem Nachbargestirn Mars, Frank Gunter aufzwang, war weitaus gefährlicher; galt es doch, nicht nur die kürzeste Bahn einzuschlagen, sondern obendrein das Letzte aus den E-Rohren herauszuholen, Geschwindigkeiten zu erzielen, die noch nie ein Raumschiff erreicht hatte. Der Mars stand nicht gerade günstig; an die 300 Millionen Kilometer betrug die geradlinige Verbindung, und diese, schnitt die Bahn der Venus. Es galt, alle Erfahrungen und mathematisch-physikalischen Kenntnisse einzusetzen, das Unterfangen ungefährdet durchzuführen. Der Einsatz von Schiff und Bemannung mußte aber gewagt werden; es stand mehr auf dem Spiel als das Leben weniger. Jede gewonnene Stunde entriß der tückisch vernichtenden Krankheit, die die Marskolonisten so jäh befallen hatte, unzählige Opfer.
Kein Zögern mehr quälte Frank Gunter. Der Plan war gefaßt und wurde durchgeführt. Den immerhin einzusetzenden Sicherheitsfaktor für den Fall des Mißlingens bot das Schiff HD-42, das wenig langsamer, aber auf erprobten Bahnen seinen Kurs ziehen würde und die kostbare Ladung sicher ans Ziel brachte.
Doch Frigga?
Zum Teufel! Schluß mit diesem blöden Gefühlskram! Frigga benutzt HD-42 zur Überfahrt. Basta! Aus! Da gehört sie hin! Der Befehl Torwaldts lautete sinngemäß, einen Passagier sicher seinen Aufgaben zuzuführen. Auf den Sinn kam es an, nicht auf die sture, in diesem Falle sogar eigensüchtige Befolgung des Buchstabens. Die Umstände entsprachen nicht mehr denen zur Zeit der Anweisung. Danach hieß es sich richten und nach nichts anderem!
Er, Frank Gunter, war der für alles verantwortliche Raumschiff-Kommandant von HD-66. Sie, Frigga Holk, Bibliothekarin, beide im Dienste der »Detatom-Werke«, und sonst gab es in diesem Falle keine weiteren persönlichen Bindungen oder Überlegungen.
So! Der befreiende Entschluß war gefaßt!
Gunter schritt zum Fernsprecher.
B17!— — — — Ein dreimaliges Drehen der Scheibe.
»Hier Kommandant Gunter! Bitte, Fräulein Holk!«
— — — —
»In ihrem Privatzimmer? — — Danke!«
Ein neues Wählen der Verbindung.
Tüt — Tüt — — — Tüt — Tüt — — — Tüt — Tüt, summte es in der Hörmuschel. Doch niemand meldete sich.
Frank Gunter drückte nach kurzem Warten die Hörergabel mit der Linken nieder. Wo mochte Frigga sein?
Bei der Zentrale anfragen!
Wieder tastete der Zeigefinger in die Lochscheibe und drehte sie.
»Zentrale?«
— — — —
»Kommandant Gunter! Hat Fräulein Holk hinterlassen, wo sie sich aufhält?«
— — — —
»Zur See gegangen? — — Gegen 13 Uhr zurück? — — Danke sehr!«
Das Gespräch war beendet.
Hatte Frigga Holk etwa heute früh schon durch Nord von ihrer Berufung auf den Mars Kenntnis erhalten? So sann Gunter. Ferner Urlaub, ihre persönlichen Angelegenheiten zu ordnen und sich reisefertig zu machen? Daß sie rasch den Mittag des herrlichen Sommersonnentages nutzte, um die strahlende, blaue Ostsee aufzusuchen, zu baden und von den Schönheiten der Mutter Erde Abschied zu nehmen, wäre verständlich.
Wenn auch er eine Stunde ausspannen würde, das gleiche zu tun? Zeit hatte er jetzt! Alles Wichtige war geregelt. Das zwanglose Zusammensein am Strande bot Gelegenheit, eine endgültige Aussprache herbeizuführen. Vielleicht war alles damals, ihre abweisende Haltung, die verletzende Kühle, einer vorübergehenden Mißstimmung entsprungen. Launenhaft war ja die Hochintelligente.
Gut!
Ihr zur See folgen!
Dieser unerträgliche Zustand der Ungewißheit fand auf alle Fälle dann sein Ende; mochte die Entscheidung allen Träumen ein jähes Ende bereiten, oder den Weg zu einer Zukunft glücklicher Gemeinschaft weisen. Er fühlte in sich eine selten starke und reine Kraft, heute sein Geschick meistern zu müssen.
Gunter erhob sich, den Vorsatz auszuführen, ordnete noch rasch die Schriftstücke auf Nords Schreibtisch, während seine Gedanken schon draußen am sonnigen Strande ihr gegenüber weilten und die Worte formten, die seinem Werben bezwingenden Ausdruck verleihen sollten.
R—r—r—r—r—r! Der Summer des Fernsprechers zerriß jäh das vorschwebende Bild.
Ein Griff zum Hörer.
»Gunter!«
— — — —
»Niederrhein? — — Doktor Faßbender? — — Verbinden Sie bitte!«
Eine quälende Unruhe überfiel ihn plötzlich. Sollte ein tückischer Zufall im letzten Augenblick die rasche Hilfeleistung vereiteln? Unvorhergesehene Schwierigkeiten sich der sofortigen Herstellung des Heilmittels entgegengestellt haben?
»Ja! Hier Kommandant Gunter! Herr Doktor Faßbender?
— — — —
»Wie?«
»Das ist ja fabelhaft, Herr Doktor! Sie sind schon in Niederrhein?«
— — — —
»Gewiß! Ist schon unterwegs. Etwa zwischen 12 Uhr 30 und 13 Uhr wird das Schnellschiff dort landen!«
— — — —
»Somit können wir gegen 15 Uhr mit der Abfahrt von dort rechnen?«
— — — —
»Herr Doktor! Die Detatom-Werke sind Ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Wollen Sie bitte den Ausdruck meiner persönlichen Hochachtung für Ihr so überaus tatkräftiges Eingreifen entgegennehmen!«
Als er den Hörer zurückgelegt hatte, fand er seine Dankesworte fade und reichlich abgeleiert in Anbetracht der Tat, die jener für die Zukunft der Marssiedlung der »Detatom-Werke« geleistet hatte. Sein Gefühl lehnte sich gegen solche unverdiente Kälte des Ausdrucks auf, seine Gedanken aber waren längst draußen bei seinem Schiff, arbeiteten an den Anweisungen, die sofort erforderlich waren, den früheren Start in die Wege zu leiten. Dr. Faßbenders willige Unterstützung, selbst der eben noch so starke Wunsch nach der Gegenwart Friggas, der Wille zur Aussprache waren vergessen, ausgelöscht vor dem herrischen Ich des Technikers und Organisators, das jetzt nur eins kannte: Zwei Stunden früher müssen alle Instandsetzungsarbeiten beendet sein.
Unberechenbar, gefühllos, unausgeglichen, selbstsüchtig lauteten die Vorwürfe jener, die bei solch jähem Wechsel seiner Stellungnahme zu den Ereignissen sich verletzt oder gar mißachtet fühlten. Frank Gunter empfand selbst in stillen Stunden quälend die oft ungerechtfertigte Herausforderung seiner Mitmenschen, weniger durch seine impulsive Art als durch den Ton, empfand nur zu deutlich die häufige Stimmungsänderung um ihn herum und tröstete sich schließlich immer wieder mit dem Bewußtsein, die Zuneigung zurückerobert, und die Dinge gemeistert zu haben.
Gewiß! Menschen seines Schlages waren erforderlich, gerade in seinem Beruf, der rasche Entschlußkraft und rücksichtslosen Einsatz erforderte. Doch war nicht seine Unstetigkeit der Ausdruck seelischen Zwiespalts? Narrte ihn darum das Schicksal nur als Glück, versagte den glücklos erkämpften Erfolg?
Fast eine Stunde war vergangen, Gunter erhob sich von Nords Arbeitstisch, schraubte gemächlich seinen Füllhalter zu und ordnete dann in letzter Prüfung die Berichte, die er für den noch immer im Nebenzimmer bewußtlos Daniederliegenden angefertigt hatte. Wenige Schritte zum Tresor. Wieder öffnete sich geheimnisvoll die Tür. Die engbeschriebenen weißen Bogen wurden sichtbar niedergelegt. Der Panzer schloß sich.
Frank Gunter vergewisserte sich, daß der Geheimschrank fest verschlossen war, dann eilte er zum Schreibtisch zurück. Ein Druck auf die Taste. — — — Nords Privatsekretärin betrat den Raum.
»Fräulein Wiemann! Diesen Brief leiten Sie an Fräulein Holk weiter und veranlassen, daß sie ihn sofort erhält, wenn sie wieder im Werk ist. Sie weilt zur Zeit am Strande.«
»Jawohl, Herr Gunter!«
»Ferner!« — — Frank Gunter hob den Kopf und blickte die Sekretärin prüfend an. »Herr Nord ist zur Zeit noch unpäßlich! Sie verstehen mich, Fräulein Wiemann!«
»Ja!«
»Gut! Ich verlasse mich auf Sie, daß Sie als Herrn Nords Privatsekretärin für unbeschränkte Zeit hier Dienst tun werden.«
»Ich verstehe, Herr Gunter!«
»Gut! Sobald Herr Nord erwacht ist und über die nötige Spannkraft verfügt, teilen Sie ihm mit, daß mein ausführlicher Bericht über die letzten Geschehnisse in seinem Tresor ruht. — — Herr Doktor Schumann wird in wenigen Stunden zurück sein und meine Anweisung vorfinden, Sie zu entlasten. — — Sie haben alles verstanden?«
»Jawohl, Herr Gunter!«
»Ich danke Ihnen, Fräulein Wiemann. — — — Ich verlasse jetzt das Werk und bin in dringenden Fällen telephonisch an Bord meines Schiffes zu erreichen. Wenn nichts dazwischenkommt, startet HD-66 noch im Laufe des Spätnachmittags. Leben Sie wohl, Fräulein Wiemann!«
Er reichte ihr kurz die Hand.
»Gute Fahrt, Herr Gunter!«
»Danke sehr! Auf Wiedersehen!«
Die nach kurzem Griff geöffnete Tür schloß sich hinter Frank Gunter, der auf dem langen, hell erleuchteten Gang dem Ausgang zuschritt. An dem großen Werftbecken des unterirdischen Werkes harrte das Schnellboot.
»Los! Zu HD-66!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Gerade hatte das Boot abgelegt, als der Pförtner hastig die Tür seines Verschlags aufriß, nachstürmte.
»Herr Kommandant! — Eben ruft Abteilung D an«, — das war das Proviantmagazin —, »wann HD-66 startet?«
»Gegen 17 Uhr voraussichtlich!«, tönte es zurück. Und nach einer Weile: »Bestellen Sie, daß bis 14 Uhr der gesamte Proviant und Wasser vom Schiff übernommen sein müssen!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
»So geht es nicht, Herr Herber, wenn wir mühsam die einzelnen Kabelenden zusammenflicken! — — Ist viel zu zeitraubend! Reißen Sie den ganzen alten Kram heraus, und ziehen Sie vollständig neue Kabel von Verteilerdose zu Verteilerdose ein!«
»Aber, was kostet das?«, war die vorwurfsvolle Rückfrage des Leiters der E-Abteilung des Werkes.
»Nur Geld, aber keine Zeit, Herber! Überdies technisch zuverlässiger als jede Flickerei! — — — Wir müssen so rasch wie möglich von hier fortkommen!«
Der Ingenieur hatte sein Notizbuch aus der Brusttasche des Arbeitsanzuges genommen, der Bleistift schrieb, während er rechnete.
»Macht 760 Meter Kabel S.K.E.4 —« Die gedehnte Betonung sprach von des Sparsamen beträchtlichen Bedenken.
»In Ordnung! Fahren Sie sofort ins Werk und holen das Zeug! Nehmen Sie vier Mann mit! — — Halt! Geben Sie Ihr Buch!«
Herber, der sich schon zum Gehen anschickte, wandte sich um und reichte seinem Vorgesetzten den Notizblock. Frank Gunter schlug wahllos eine leere Seite auf und kritzelte hastig die schriftliche Bestätigung seines Auftrages nieder.
»So! Hier! — — Für alle Fälle für die Magazinverwaltung! — — Und nun, Tempo!«
In langen Scritten eilte Herber davon. Noch hörte Gunter, wie er einige Namen von Arbeitern rief, und sah den so gesammelten Trupp von fünf Mann rasch dem Gang des Raumschiffs entschwinden, dann kletterte er auf einer Notleiter aufwärts der Stelle zu, wo eine Abteilung des Werkes dabei war, das durch das Meteor verursachte Einschußloch mit Helanplatten unter Anwendung des Elektronenbrenners zu verschweißen.
»Na, wie weit sind Sie, Herr Wulff?« Die Frage galt dem leitenden Oberingenieur.
»Die Außenplatte ist schon vakuumdicht eingeschweißt. Es fehlt nur noch die Plattierung bis zur Erreichung der Wandstärke des Schiffes.«
»Dauert wie lange noch?«
»Ungefähr eine Stunde!«
»Gut, das wäre — —?«, die linke Hand fuhr im Winkel hoch, ein Ruck, der Rockärmel gab die Armbanduhr frei, »rund gerechnet 13 Uhr?«
»Jawohl, Herr Gunter!«
»Und wie weit sind die Arbeiten in den Zwischenschotten?«
»War vor einer Viertelstunde dort und schätze, daß die erforderlichen Versteifungen und Kammerdichtungen etwa 16 Uhr ausgeführt sein werden.«
»Ausgezeichnet! An Steuerbord ist auch schon das Ausfalltor unseres eisernen Himmelsgastes wieder verschlossen worden, wie ich mich überzeugen konnte.« — Frank Gunter strahlte den Chefingenieur der Detatom-Werke so knabenhaft unbekümmert an, als ob niemals knappe vier Stunden ihn und Hannes Nord vor nahezu sicherem Erschlagenwerden durch eben diesen Himmelsgast getrennt hätten.
Dessen Augen verfingen sich, völlig von Gunters Übermut, von seinen Plänen und Berichten abgelenkt, sekundenlang in den herausfordernd lachenden seines Gegenübers.
»Ja! — — — Jawohl! — — Es fehlt nur — «
»Gut, gut, Herr Wulff! Später! — —« Gutmütiger Spott verwirrte noch mehr. »Jetzt zu etwas Wichtigerem! Verzeihung! Ich will nicht vorgreifen! Hier ist Ihre Anwesenheit doch wohl nicht mehr erforderlich?« — Und ohne die Antwort abzuwarten, legte Frank Gunter in beklemmender Selbstverständlichkeit die Hand auf Wulffs Schulter und schob den Verblüfften vor sich her, der nahen Leiter zu.
Völlig aus dem Konzept gebracht, dachte Wulff bei sich.
Nach einigem Klettern erreichten sie den langen geräumigen Seitengang des Raumschiffs, der sich wie ein gleicher an Steuerbord vom Heck bis zum Bug des Raumschiffs zog.
»Hier hinunter, bitte!«, wies Gunter den Weg. Sie schritten nebeneinander.
»Herr Wulff! — Eine peinliche Überraschung!«
»Was gibt's denn jetzt schon wieder?« Man merkte der Stimme des Chefingenieurs die Hast und Aufregung des Tages an, die seinen Nerven etwas zugesetzt hatten.
»Weiß selbst nicht, was los ist«, tönte es gleichmütig zurück. »Eben meldet mir mein Erster Ingenieur, daß sämtliche Heckdüsen nicht mehr ansprechen. Wollen beide mal nachsehen, wenn die nicht damit fertig werden!«
Sie hatten bei den letzten Worten das Ende des Ganges erreicht. Gunter öffnete die Abschlußtür. Ein nicht unbeträchtlicher Maschinenraum tat sich auf, das Leitwerk und die Maschinenaggregate im Heck des Schiffes zur Steuerung und zum Antrieb des gewaltigen Kolosses.
Der Erste Schiffsingenieur, Lorenz, erstattete, wie er seines Kommandanten ansichtig wurde, Meldung.
Frank Gunter hörte aufmerksam zu, stellte einige Fragen, die kurz und sachlich beantwortet wurden.
»Und trotz der angelegten Überspannung zünden die Anregerpatronen nicht die Elektronenemission?« — Eine bordtechnische Ausdrucksform, die keineswegs genau den physikalischen Tatsachen des Betriebsvorganges entsprach.
»Nein, Herr Kommandant!«
»Rätselhaft!« — — Frank Gunter sann einen Augenblick nach. Wie sein Ausruf bewies, vermochte selbst er nicht eine Erklärung für das unverständliche Versagen zu finden. Dann ein kurzer Entschluß. »Kommen Sie!« Er deutete auf Wulff und Lorenz. »Wir wollen versuchsweise Back-Heck sieben ausbauen.« Gemeint war mit dieser knappen Bezeichnung die an Backbordheck — also links hinten — befindliche Antriebsdüse. Die drei Männer verschwanden gebückt durch eine lukenartige Tür, deren je zehn rechts und links aus dem Maschinenraum zu beiden Seiten führten.
Zurück blieben zwei Bordmechaniker, die bisher unter der Leitung von Lorenz die Maschinen überprüft hatten.
»Scheint ja heute verdammt dicke Luft zu wehen!« Die Stimme des einen Mechanikers.
»Ei — — ja, die kann man bald mit's Messer schneiden. Möcht' bloß wissen, welcher Deibel diesmal seinen Zagel in de Türspalt geklemmt hat!«, kam's in urwüchsigem Ostpreußisch zurück.
»Dein Teufel muß wohl auf dem Mars sitzen, denn sonst wäre der gegen alle Gewohnheit hastige Start wohl nicht zu erklären.« — — Nach einem nachdenklichen Zögern: »Hast du schon gehört, daß unser Kommandant den größten Teil unserer Besatzung abgemustert hat und nur mit dem technischen Personal fährt, das unbedingt nötig ist?« Ein lauerndes Beobachten, wie wohl die Wirkung solcher Neuigkeit, die er selbst gerade von dem Zweiten Offizier erfahren hatte, auf seinen Kameraden wirken würde.
»Neii — — Mensch! Was sagste da?«
»Nur w i r fahren! — — — Die Schippers« — so lautete an Bord der Ausdruck für die Nichttechniker — »bleiben sämtlich, mit Ausnahme der Offiziere, zu Hause. Feiner Urlaub!« Wie kleiner Neid klang die letzte Feststellung,
»Aber — — — so was!« Sprachlos staunte der Biedere den Allwissenden an.
»Ist schon so! — Komm, nimm 'n Priem! — — — Die drei da drinnen« — er deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der Frank Gunter, Wulff und Lorenz verschwunden waren, »werden wohl 'ne Zeitlang Beschäftigung haben, bis das Ding ausgebaut ist.«
Die beiden Mechaniker hatten sich jeder ein Maschinenaggregat als Notsitz ausgesucht und schauten nachdenklich vor sich hin.
»Weißt, Mensch!«, begann der Ostpreuße. »Dann herrscht ja mehr als dicke Luft!«
»Hoffentlich geht's gut!«, kam es gedehnt zurück. »Die Sache mit dem Eisenbrocken vorgestern hat mir doch 'was den Appetit an der Marsgondelei verdorben!«
»Dann hau doch auch ab!«, kam es aufgebracht zurück.
»Nee, min Jung! Jetzt grad nicht! Wenn ich auch eben den Kopf mal hängen ließ. Bißchen Ausspannen könnte nicht schaden. Wenn unser Alter aber ein besonderes Ding drehen will, da wird Maxe dabeisein, worauf du dir verlassen kannst!«
»Na, also!«, knurrte der andere aufatmend zurück.
Hannes Nord hatte schon recht, wenn er annahm, daß die Nerven der Raumschiffbesatzung durch die übermäßigen Anforderungen, die die ununterbrochenen Fahrten durch den Weltenraum an sie stellten, überbeansprucht waren.
»Möcht' bloß wissen, was drüben«, gemeint war der Mars, »los ist«, unterbrach die eine Stimme das Schweigen. »Denn das Tollste ist, wir fahren ohne Ladung!«
»Aber wo! — — Ohne Ladung?« Sprachloses Staunen des Ostpreußen.
»Muß wohl so sein, denn bis jetzt ist nichts an Bord, noch sind an Land irgendwelche Vorbereitungen zur Ladungsübergabe getroffen, wie mir Hein Blank eben erzählt, der in der Werft war.«
»Vielleicht is garnuscht mit dem Mars, und eins von unseren Schiffen hat im Raum Havarie gemacht!«, suchte Kadereit, der Ostpreuße, die Lösung.
»Dann könnte ihm doch HD-36, das Passagierschiff, helfen, das übermorgen erst hier erwartet wird«, widerlegte Maxe die Annahme.
»Hast auch wieder recht!«
Das Schnurren des Telephons unterbrach die Unterhaltung der beiden. Kadereit sprang auf und griff zum Hörer.
»Ja! Hier Heckmaschinenraum, Maschinist Kadereit!«, meldete er.
— — — —
»Ja, der Herr Kommandant ist hier.
— — — —
»Wie, bitte? — — — Nuscht verstanden!«
— — — —
»Jawohl, werd's melden! — — Augenblick!«
Er legte den Hörer neben den Apparat und trollte kopfschüttelnd zur Kammer 7, hinter der er seinen Kommandanten wußte, riß die schmale Tür auf und rief:
»Herr Kommandant! — — — — Soll vom Eingangsposten melden, daß der Bibel Karren Volk an Bord will!«
»Wie?«, tönte die unwirsche Stimme Frank Gunters hohl aus dem Raum zurück.
Kadereit wiederholte seine offensichtlich mißverstandene Meldung.
Gunter war viel zu sehr mit der Untersuchung des defekten E-Rohres beschäftigt, als daß er dem unverständlichen Kauderwelsch Kadereits Beachtung schenkte, oder Neigung zeigte, sich selbst des wahren Inhalts der Anfrage zu vergewissern.
»Melden Sie dem Posten, daß meine Instruktionen eindeutig genug sind! Kein Fremder kommt mehr an Bord! Wiederholen Sie!« — klang es scharf und überlaut.
»Keiin Fremder kommt mehr an Bord!« — breit wuchtete die ostpreußische Aussprache Kadereits.
»Gut!«
Kadereit schloß die Tür, griff zum Hörer und meldete zurück, was sein Kommandant ihm aufgetragen.
An der unteren Schiffsluke aber kehrte die Bibliothekarin Holk empört mit dem Schnellboot ins Werk zurück. Sie besaß einen vollgültigen Ausweis des Leiters der Erdwerke, Hannes Nord, der ihr heute morgen in aller Frühe zugegangen war, HD-66 zur Fahrt nach dem Mars zu benutzen. Endlich ging ihr lange gehegter Wunsch, zum Mars versetzt zu werden, in Erfüllung, und ausgerechnet Frank Gunter wies sie so herausfordernd zurück? Pah! Wollte er sich etwa so dafür rächen, daß sie die jüngst noch so herzlichen Beziehungen zwischen ihnen hatte erkalten lassen? In Frigga Holk wühlte die Demütigung. Stolz war sie hinausgefahren, das größte aller Raumschiffe als vollgültiger Passagier zu betreten. Man ließ sie im Zubringerboot über alle Gebühr warten, und dann wurde ihr von einem einfachen Matrosen der Bescheid, daß sie auf Befehl des Kommandanten nicht an Bord gelassen würde. Das höfliche Grinsen dieses abwehrenden Gesellen saß ihr kränkend im Genick, fraß an ihrem noch bei der Ausfahrt so kühn zur Schau gestellten Stolz.
»Tja, Fräulein Holk!«, wollte der Bootsmann sie trösten, als sie wieder in dem unterirdischen Werk angelangt waren. »Der Kommandant Gunter ist nun einmal ein eigenwilliger Herr. Aber der Beste von allen! Fahren Sie halt mit dem Passagierschiff!« Damit lud er ihr Gepäck auf die Kaimauer.
In Frigga Holk tönte nur höhnend nach: »Aber der Beste von allen!«
Kurz vor 5 Uhr nachmittags des ereignisreichen Tages. Frank Gunter saß an seinem Arbeitstisch in der Kommandantenkajüte, trug wieder an Stelle des Zivils die blaue Uniform der Raumschiffreederei. Eben hatte er dem Bordfunker Anweisung gegeben, sich mit HD-C in Verbindung zu setzen, eine radiotelephonische Verständigung mit Dr. Schumann herzustellen, der sich an Bord seines Schnellschiffes nunmehr auf dem Weg von Niederrhein kurz vor Kahlberg befinden mußte, die kostbare Ladung des Heilstoffes mit sich führend.
Es klopfte.
Eintraten der Chefingenieur Wulff und der Leiter der E-Abteilung, Diplom-Ingenieur Herber.
»Melde Ihnen, Herr Kommandant«, tönte die Stimme Wulffs, »daß die Instandsetzungsarbeiten an HD-66 befehlsgemäß ausgeführt und beendet sind!«
»Danke Ihnen, Herr Wulff! Freue mich aufrichtig, daß alles unter Ihrer Leitung so vorzüglich und überaus rasch geklappt hat!«
Wulffs Mienen erhellten sich sichtlich bei solchem Lobe Gunters, das nicht oft aus seinem Munde zu hören war.
»Und Sie, Herr Herber?«, wandte sich Frank Gunter freundlich an den Elektroingenieur.
»Melde, Herr Kommandant, daß die neueingezogenen Leitungen ordnungsgemäß arbeiten. Sämtliche E-Rohre habe ich persönlich überprüft. Sie zünden einwandfrei. Sie alle sind neu geladen und die angeforderten Ersatzpatronen E, A und P in den Kammern verstaut!«
»Danke auch Ihnen, Herr Herber! Sie haben die Einsatzfähigkeit Ihrer Abteilung vorbildlich unter Beweis gestellt!«
Dipl.-Ing. Herber nahm die Anerkennung mit einer leichten Verbeugung entgegen.
»Proviant und Wasser sind auch an Bord. Das Schiff ist somit startfähig«, erklang hell die Stimme Gunters, die fortfuhr: »Darf ich mir erlauben, die Herren zu einer Tasse Kaffee mit kleinem Imbiß einzuladen? — — Sie werden vermutlich genau so wenig wie ich zum Mittagessen gekommen sein. Eine kleine Stärkung kann nicht schaden!«
»Sie haben recht, Herr Kommandant!«, schmunzelte vergnügt Wulff. »Was mich anbetrifft, so nehme ich Ihre liebenswürdige Einladung mit Dank an!«
»Schließe mich gerne den Worten meines Vorredners an!«, bemerkte Herber, etwas steif und doch erfreut durch die Vorstellung, in so nettem Kreise tafeln zu können.
»Also gut dann!« Gunter drückte einen Knopf nieder. Der Steward erschien und nahm den Auftrag für einen däftigen Kaffeeimbiß mit.
Die drei nahmen an einem Rundtisch in einer Ecke des behaglichen Raumes Platz. Die beiden Ingenieure berichteten, nachdem der Steward gedeckt, das lieblich duftende Getränk und eine beachtliche kalte Platte gebracht hatte, noch über Einzelheiten ihrer Arbeit, Wie hie und da plötzlich Schwierigkeiten aufgetreten waren und wie doch alle so gemeistert wurden, daß die Fertigstellungsfrist 5 Uhr nachmittags eingehalten werden konnte. Der frohe, ungezwungene Ton, den Techniker stets gerade nach der Bezwingung plötzlich aufgetauchter Probleme an sich haben, beherrschte die Unterhaltung, die jedoch dem unbekümmerten Zulangen keine Beschränkung auferlegte.
Ein Summen unterbrach den angeregten Wortwechsel. Eine rote Lampe glühte am Schreibtisch flackernd auf.
»Aha! Mein Bordfunker!« — Gunter sprang auf, durchmaß den Raum und setzte sich, während er zum Hörer des Telephons griff.
»Ja! Kommandant Gunter!«
— — — —
»Sie verbinden? — — Danke sehr!« Wulff und Herber erklärend zugewandt: »Ich spreche mit HD-C.«
Eine geraume Weile verstrich.
— — — —
»Hallo! — — Hallo! — — Hier HD-66, Kommandant Gunter.«
»Ah — Herr Doktor Schumann! Wie verlief denn die Fahrt?«
Der Bericht mußte außerordentlich günstig lauten, denn Frank Gunter nickte mehrmals sichtlich zufrieden, den Hörer am Ohr.
»Wo befinden Sie sich jetzt?«
— — — —
»Kurz vor Danzig?«
— — — —
»Sehr gut! Dann kann ich Sie in etwa zwanzig Minuten hier erwarten?«
— — — —
»Ja! — — Ja! — — Sehr gut! Kann ich einmal Kapitän Berger sprechen?«
— — — —
»Dann auf frohes Wiedersehen, mein lieber Doktor! Ich benutze diese Gelegenheit zum Abschiednehmen, denn wir werden heute ja wohl kaum noch die Möglichkeit zu einem persönlichen Zusammensein haben. Alles weitere finden Sie im Werk vor!«
»Nein, ganz gewiß nicht! Also nochmals alles Gute und auf gesundes Wiedersehen!«
— — — —
»Danke, danke, mein lieber Doktor!«
Wenige Sekunden des Wartens verstrichen. Dann hob Gunters Stimme wieder an.
»Hallo, Kapitän Berger! Hat ja alles herrlich geklappt!«
Eine Zeitlang sprach der Kapitän von HD-C.
»Ja! Nun noch etwas, lieber Berger! Mein Zweiter Offizier liegt seit drei Stunden im Werklazarett. Doktor Werner meint, Blinddarmentzündung. Würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bei der etwas außergewöhnlichen Fahrt, die ich vorhabe, zur Seite stünden. Dann könnten Schirmer, Sie und ich uns in den Wachen ablösen. Mein Dritter ist mir noch nicht eingefahren genug.«
— — — —
»Ja! Glänzend, lieber Käpt'n!«
— — — —
»Sie reizt die Aufgabe?«
— — — —
»Um so schöner! Wissen Sie denn auch, um was es geht?«
— — — —
»Herr Doktor Schumann hat Ihnen alles mitgeteilt?«
— — — —
»Dann sind Sie ja vollauf im Bilde und haben meinen Plan erraten?«
— — — —
»Gut, sehr gut! Ich wollte dasselbe vorschlagen, um Zeit zu sparen. Ordnen Sie also an, daß die Hälfte der Ladung von HD-C auf HD-42 umgeladen wird. In der Zwischenzeit packen Sie Ihre Plünnen zusammen und kommen dann mit HD-C zu mir an Bord!«
— — — —
»Ja, gewiß. Wir sparen eine gute Stunde, wenn Ihre Fracht nicht noch ein zweites Mal nach hier umgeladen werden muß!«
— — — —
»Also, bis nachher, Berger!« Frank Gunter drückte die Gabel nieder, wartete kurz, hob den Hörer nochmals auf und wählte: »Gespräch mit HD-C beendet!«
Die Bordfunkstelle schaltete die Radioverbindung ab.
»So, meine Herren!« — Gunter wandte sich seinen Gästen zu und nahm am runden Tisch wieder Platz.
»Auch diese Frage wäre wider Erwarten günstig und rasch erledigt. Wie Sie eben aus meinem Gespräch mit Kapitän Berger entnehmen konnten, ist mein Zweiter Offizier plötzlich erkrankt. Ich war also genötigt, Herrn Berger, als den Leiter unserer R.A.A. (Raumschiffahrts-Auswertungs-Abteilung), um Stellung eines Ersatzmannes zu bitten. Er kam meinem geheimen Wunsch, selbst den Posten zu übernehmen, mit Freude entgegen, da ihn, wie er sich ausdrückt, die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, reize.«
Frank Gunter griff zur Kaffeetasse.
Chefingenieur Wulff nahm die Gelegenheit wahr, die Frage zu stellen, die ihn schon lange sehr beschäftigte.
»Sie haben also eine ganz besondere Fahrt vor?«
»So ist es, Herr Wulff! Wir müssen auf dem kürzesten Wege zum Mars. Der intensive Einsatz aller Kräfte zur Klarmachung meines Schiffs zeigte ja schon deutlich an, daß diese Fahrt außergewöhnlich ist.«
»Darf ich fragen, um was es sich handelt?« Gut bezwungene Neugier klang trotzdem aus den Worten.
»Oh, gewiß, Herr Wulff!« Gunter lächelte harmlos. Er hatte diese Frage lange erwartet und sich eine Ausrede zurechtgelegt, die allen Beteiligten eine zufriedenstellende Erklärung der Vorgänge des Tages bot. »Heute morgen wurde von der Marsstation durchgegeben, daß infolge Überbeanspruchung der Entwässerungspumpen — Sie wissen, daß um diese Jahreszeit auf der nördlichen Marshälfte meist große Eistauüberschwemmungen eintreten — einige Teile derselben zu Bruch gegangen sind. Zwar befinden sich in den dortigen Depots noch für den Augenblick genügend Ersatzteile. Das Hochwasser jedoch hat dieses Mal einen nie erreichten Stand angenommen, und mit einer Abnahme ist vor der Hand nicht zu rechnen. Um nun nicht unsere jahrelange Kolonistenarbeit der Gefahr der Zerstörung durch Überflutung auszusetzen, entschloß sich die Marszentrale, eine hinreichende Menge von Reservepumpen und Ersatzteilen anzufordern. Um ganz sicher zu gehen, übernehme ich die eine Hälfte dieses Materials, und zwar direkt mit und in dem Zubringerschiff HD-C. Dadurch sparen wir eine Stunde Zeit, die sonst die weitere Umladung erfordern würde, und HD-42, das morgen in aller Frühe startet, die andere Hälfte. Eins von den beiden Schiffen ist gewiß früher da, die dringend erforderliche Hilfe zu bringen. Was Doktor Schumann anbetrifft, so hat er an der Fahrt von HD-C nur auf seine Bitte teilgenommen, um seinen Sohn in Essen für einige Stunden aufzusuchen. Unsere Pumpen beziehen wir ja, wie Sie wissen, aus Essen.«
Frank Gunter griff seelenruhig nach einer Zigarette und zündete sie an. Die faustdicke Lüge war ihm so glatt von den Lippen gekommen, die Erklärung klang so selbstverständlich, daß keiner irgendwelhen Zweifel hegen konnte. Nur drei im Werk wußten um den wahren, grausigen Tatbestand. Zwei davon, Berger und er selbst, fuhren in kürzester Zeit, und Dr. Schumann plauderte nicht. Die Kisten, welche den Impfstoff enthielten, waren neutral. Mochte einigen Skeptikern das geringe Gewicht vielleicht auffallen. Die Stauer erfuhren ja viel später, was sie angeblich in HD-42 verladen haben sollten, und nachher pflegen Menschen ihres Schlages sich wenig Kopfzerbrechen zu machen.
»Was ich noch sagen wollte, Herr Wulff, vorhin teilte mir Herr Doktor Neuer mit, daß Herr Nord im tiefen Genesungsschlaf läge. Da Sie der Rangälteste hier sind, übernehmen Sie selbstverständlich für die kurze Zeit die Leitung des Werks!«
»Jawohl, Herr Gunter!«, tönte die erfreute Stimme des recht ehrgeizigen Chefingenieurs.
»Liegen wichtige Arbeiten vor?«
»Nein, Herr Gunter! Der Wochenarbeitsplan liegt fest und kann trotz der durch die heutigen Umstände bedingten Verzögerung eingehalten werden.«
»Um so besser!« Frank Gunter stand auf. »Meine Herren, Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich Sie jetzt bitte, an Land zurückzukehren. Wie die ratzekahl leergefutterten Platten beweisen, war unser aller Appetit nicht von schlechten Eltern!«
»Das kann man wohl behaupten«, lachte Herber.
»Also, auf gesundes Wiedersehen!«
Die Männer schüttelten sich die Hände zum Abschied.
»Gute Fahrt, Herr Kommandant1!«, tönte es zweimal.
»Danke sehr, wird ausgeführt, wie immer!« Frank Gunter schloß die Tür hinter den Davongehenden.
So, auch das hätten wir glücklich hinter uns, dachte Frank Gunter, als er an seinem Arbeitstisch Platz nahm.
Er griff zu einem Bleistift und setzte die Meldung an die Marszentrale über das Erreichte, Nords Unfall und seine Anordnungen in kurzem Telegrammstil auf.
Fertig!
Jetzt chiffrieren. Den größten Teil des Geheimcodes hatte er durch jahrelange Übung im Kopf. Ein paar weniger geläufige, von dem meist üblichen Text abweichende Begriffe schlug er im Chiffrierbuch nach. Der Bleistift wurde nach kurzem Überprüfen des jedem Uneingeweihten unverständlichen Buchstaben- und Zahlentextes zur Seite gelegt. Die frei gewordene Rechte griff zum Fernsprecher.
Scheibenschnurren!
»Hier Kommandant Gunter! Verbinden Sie mich, bitte, mit M.S.!«
Kurzes Verharren, während Gunters Blick noch einmal sich vergewissernd den chiffrierten Text überflog.
Die Bordvermittlungszentrale stellte die geforderte Verbindung zum Land her.
»Hallo, Marsstrahler?«
— — — —
»Hier HD-66, Kommandant Gunter! Bitte, nehmen Sie auf!«
Buchstabe für Buchstabe, Zahl auf Zahl ertönte aus Gunters Munde.
»Schluß! — — Wiederholen Sie, bitte!«
— — — —
Zeichen auf Zeichen auf dem vor ihm liegenden Blatte verfolgend und Bestätigung nickend, nahm Frank Gunter die Rückmeldung entgegen.
»Jawohl, richtig!«
— — — —
»Sie senden heute nacht?«
— — — —
»Danke!«
Jetzt fehlten nur HD-C mit seiner kostbaren Ladung und Kapitän Berger, und dann konnte es wieder hinausgehen in den samtschwarzen Weltenraum, auf dessen Grunde die Sterne wie Diamanten glitzern.
Gunter betrat die Bugzentrale und schritt zu dem niedrigen, aber sehr langgestreckten Beobachtungsfenster.
»Aha! — Da fährt ja eben HD-C in die Halle zu HD-42.« — Er blickte auf die Uhr. ½ 6. In einer halben Stunde konnte er HD-C an Bord einschleusen.
Wieder mußte der Fernsprecher in Tätigkeit treten.
»Hier Kommandant Gunter! Herr Kapitän Schirmer? Schiff zu 18 Uhr startfertig machen!«
— — — —
»Danke sehr!«
Jedes der letztgebauten riesenhaften Raumschiffe führte ein kleines Hilfsschiff mit sich an Bord, welches sowohl den letzten Zubringerdienst versah, ähnlich dem Katapultflugzeugdienst einiger deutscher Nordamerikadampfer, als auch bei schwieriger Landung zu Bugsierzwecken diente, den ungeschlachten Körper des Mutterschiffs leichter zu manövrieren. Schwenkbare Klappen auf der oberen Wölbung der Raumschiffe wiesen, geöffnet, die Einfahrt zum Liegeraum. Schlossen sie sich, so ruhte das Hilfsschiff wohlgeborgen in seinen Lagern. Alle diese Hilfsschiffe, die einen Buchstaben hinter der Bezeichnung HD als Kennzeichen trugen, waren genormt, alle von gleichen Ausmaßen. HD-C allerdings besaß stärkere Düsen und war entsprechend schneller. Somit standen dem Austausch des ursprünglichen Bordhilfsschiffs HD-F gegen HD-C, das die Ladung des Impfstoffs mit sich führte, nicht die geringsten Schwierigkeiten entgegen. Gunters und Bergers gleichzeitig gemachter Vorschlag, diesen Austausch vorzunehmen, ersparte kostbare Zeit, nicht nur hier auf der Erde, sondern auch später auf dem Mars, konnte das Hilfsschiff doch schon vor der Landung des Mutterschiffs dieses verlassen und die krankheitsbedrohten Bezirke mit dem Rettung bringenden Impfstoff versorgen.
Eben hatten sich die Schwenkklappen wie liegende Türen über HD-C geschlossen. Rasche Hände betätigten Riegel und gekrümmte Hebelarme, die das Hilfsschiff fest auf seine Lager preßten.
In der Bugzentrale von HD-66 schrillte eine Glocke. Ein Lautsprecher tönte. »HD-C festgemacht! Außenklappen geschlossen und gesichert!«
»Alles klar zum Manöver!« Die befehlsharte Stimme des Kommandanten Gunter. Ein Blick auf die Uhr.
18.02 Start zur 26. Fahrt Erde—Mars schrieb seine Rechte in das Fahrtenbuch.
»Ankerkabel lösen!« Gunters Worte schallten in ein Mikrophon. Draußen brandeten die Bordlautsprecher hallend wie ein Echo.
»Ankerkabel lösen!«
Werftarbeiter öffneten die Verschlüsse der Trossen von den in das Haff eingelassenen Zementblöcken.
Frank Gunter verfolgte den Vorgang durch die Rundsichtfenster der Bugzentrale. Sein Mund näherte sich einem anderen Mikrophon.
»Ankerkabel einhaspeln!«
Kürzer und kürzer wurden die Cupralberylltrossen, von unsichtbaren Maschinen in das Raumschiffinnere gezogen. Jetzt verschwanden sie vollends.
»Bugtanks 1—10 Wasserballast ablassen!«
Fontänen von glitzerndem Wasser, hellsilbern sprühend in der Nachmittagssonne des strahlenden Augusttages, schossen hernieder, schlugen auf die sommerstille Fläche des Frischen Haffs und wühlten sie auf.
Die Nase des Schiffs hob sich.
»Bugtanks 11 bis 20 — — — — Hecktanks A bis K Wasserballast ablassen!« Alle Befehle wurden in ein Mikrophon gesprochen und durch Lautsprecher nicht nur den ausführenden Stellen vermittelt, sondern waren auch im gesamten Schiff zu vernehmen. Diese Einrichtung warnte alle Bordinsassen, sich auf die ihnen zugewiesenen Plätze zu begeben, zeugte von den eingeleiteten Startmanövern.
Das Ballastwasser aus den im Befehl angeführten Tanks war heruntergeschossen. Auch das Heck war jetzt freigekommen, hatte sich um gut 50 Meter von der Haff-Fläche gelöst. Die Spitze des nun schwebenden Raumschiffes wies etwa 15—20 Grad gegen den Himmel.
Dem Zuschauer vom Lande aus bot sich ein zauberhaftes Bild. Ein riesiger Silbertorpedo hing da in der Luft. Keine Naht, keine Rippe, keine Luke, kein Spalt oder Fenster waren zu erkennen. Helan, der Baustoff der Weltraumschiffe, ein festes Gas, zehnmal so leicht wie Luft und härter als Stahl, ist durchsichtig wie klarstes Glas. Zum Schutz gegen die ultrakurze, dem menschlichen Körper sehr gefährliche Weltenraumstrahlung waren in die 50 Zentimeter starke Außenwandung von 10 zu 10 Zentimeter besonders wirksame, hochglanzpolierte Metallagen eingebaut. Die äußerste derselben, die wie alle anderen das Schiff rundum umschloß, bewirkte das silberne Spiegeln für den Beschauer, befand sie sich doch nur wenige Zentimeter hinter der äußeren Helanschicht.
Da! Ein neuer, riesiger Wasserguß!
Jetzt schnellte das Riesenschiff jäh hoch, den Bug aufgerichtet, der Ostsee zu. Völlig lautlos, angetrieben durch die Elektronendüsen, gewann HD-66 mehr und mehr Fahrt, raste in schräger Bahn zum blaustrahlenden Augusthimmel aufwärts. Die Geschwindigkeit steigerte sich zusehends. Die Umrisse wurden kleiner und kleiner. Nach unfaßbar kurzer Zeit verendete im Blau nur noch ein kleiner, silberner Punkt weit draußen über See, in etwa 4000 Meter Höhe. Sekunden noch! Nichts war mehr zu erkennen von dem eben noch auf dem Haff träge liegenden gewaltigen Koloß.
Ein neues Zeitalter der Menschheit war angebrochen. Sie hatte sich losgelöst von aller Schwere der Erde und beherrschte mit Maschinen, die ihr Geist ersonnen und geschaffen hatte, die Unendlichkeit des Weltenraums. Wer zum ersten Male Zeuge dieses Bildes war, des Starts eines Raumschiffes zum fernen Planeten, der konnte sich eines leichten Schauders nicht erwehren. Andacht hob seine Seele, und Grauen drückte sie zugleich herab. Die Vorstellung, daß in wenigen Stunden ein Werk von Menschenhand wie ein gesteuerter winziger Komet die Nacht des Weltalls durchrasen würde, stellte noch zu hohe Anforderungen an das Fassungsvermögen jahrmillionen Jahre erdgebundenen Menschengeistes.
Daß nach tagelanger Fahrt die Nacht wieder lichtem Tage weichen würde, ein neuer blauer Himmel die Menschen in ihrem glassilbernen Schiff aufnehmen würde, auf einem fernen Planet, der Mutter Erde sehr ähnlich, das alles, obgleich zehn Jahre seit den ersten Anfängen der Besiedlung verflossen waren, war noch viel zu neu und unfaßbar. Die Entdeckung des Weges zum Mars hatte des Menschen Geist genau so revolutionierend vor neue Erkenntnis gestellt wie einst vor rund sechshundert Jahren die Tat Christoph Kolumbus', die Entdeckung des nie geahnten Kontinents Amerika,
Damals zerbrach das Ptolomäische Weltsystem, die Erde sei eine Scheibe, die Kugelgestalt wurde endgültig erkannt und durch die Weltumseglung des mutigen Portugiesen Magalhäes bewiesen. Heute war die Erde aus ihrer Alleinstellung als bewohnbarer Planet im All herausgehoben worden. Ein zweiter Stern im Sonnensystem, nur des Nachts als schimmernde Scheibe wie Millionen andere am dunklen Himmelszelt leuchtend, war von Menschen erobert und in Besitz genommen worden, bot, wie einst die Kolonisierung Amerikas, ungeahnte Aussichten der Weiterentwicklung der Menscheit aus drangvoller Enge.
Von der grünen Nehrung, dem weißleuchtenden Strand und der blauen Ostsee war nichts mehr zu erkennen. Der Himmel war dunkelviolett geworden, fast schwarz. HD-66 befand sich in mehreren zehntausend Meter Höhe über der Erdoberfläche. Die Sonne leuchtete schon grellweiß.
Kommandant Gunter stand mit Kapitän Schirmer im Kommandostand im Bug des Raumschiffes, das mit ungeheurer Geschwindigkeit, leicht geneigt, höher und höher schoß.
Gunter wandte sich Schirmer zu.
»Begeben Sie sich bitte in die Kugelzentrale und erstatten mir Meldung, ob alle Mann auf ihren Stationen sind. Wir sind soweit!«
Kapitän Schirmer verließ den Raum.
Frank Gunters Blicke überflogen prüfend die Vielzahl der Instrumente, er veränderte hier und dort eine Hebelstellung. Zeiger schwankten über mattgrün erleuchteten Skalen. Immer wieder griffen die Hände nach schimmernden Tasten und Schaltern, genau den errechneten Kurs einzuhalten. Jetzt nickte Gunter befriedigt, blickte noch einmal, sich vergewissernd, auf einen mit Kurven, Graden und Zahlen übersäten Bogen. Ja, HD-66 folgte genau der Parabel, die tangential die äußerste Grenze des wirksamen Schwerefeldes der Erde streifte.
Leb wohl, Erde! Hinaus geht's! Wieder einmal hinaus! Und wir können draußen in der Luftleere des Alls dahinschießen, wie wir es wollen! Wie ich es will! Lebt wohl, ihr an die Anziehungskraft gebundenen, schweren Menschen, die ihr kümmerlich, unter Einsatz Tausender von PS mit Flugzeugen dahinpropellert und mit eurem Motorengedröhn die Nerven aufpeitscht! Ich ziehe lautlos wie die Sterne meine Bahn, wie ein Stern. Habe dir, Mutter Sonne, die alles erhaltene und erwärmende Kraft abgelauscht und mir nutzbar gemacht und dir, Weltenall, deine Ströme verflutender, ewig zerstörender und doch immer neu schaffender Energie abgerungen, sie mir in vorwärtstreibende Kraft verwandelt.
Frank Gunters Sinn war gefangen in Helo Torwaldts Ideen, jenes Dr. Helo Torwaldts, der zum ersten Male kraft seiner Erkenntnisse, die Götter ihm als neuem Prometheus verliehen, mit seinem Schiff HD-1 in den Weltenraum zum Mars vorgestoßen war, glücklich heimkehrend, die Erde in einen Taumel Neidhaß gemischter Begeisterung versetzte und doch als einziger den neuen Weg wies. Jetzt wuchs drüben auf dem Mars aus jener Tat neues menschliches Leben, flutete fördernd und beglückend seine Erkenntnis vieler mißgedeuteter physikalischer Zusammenhänge befruchtend auf die Erde zurück.
Jeder umwälzenden Tat geht voraus die phantasiegestaltete, greifbare Ahnung.
— — — —
»Ja!« — — Gunter sprach wie abwesend in den Raum. Das eingeschaltete Mikrophon würde seine Stimme schon weiterleiten. Er trat näher zu der lautsprechenden Telephonkapsel, die eingehende Meldung klarer zu vernehmen.
— — — —
»Danke, Herr Schirmer!«
— — — —
»Ich schalte um!«
Ein seltsames Gefühl wogte in ihm. Fast jedesmal, wenn er von einem Planeten schied, den anderen aufzusuchen, ergriff seine Seele die Größe des Augenblicks. Jeden festen Boden verlassen, nur sein Schiff noch um ihn, und hinaus in das wesenlose, tote All, in Millionen-Kilometer-Ferne neuen festen Grund zu suchen, winzigstes Staubkorn in der unfaßbaren Unendlichkeit, Diener der Schöpfung eines einzelnen begnadeten Menschen.
— — — —
Was war es, daß dieser Abschied ihn mehr bewegte denn je? Hatte doch die Katastrophe, die um ein Haar sein Schiff und aller Insassen Leben gekostet hätte, seine Zuversicht beeinträchtigt?
Er schüttelte das lästige, irgendwie dumpf drückende Gefühl ab.
Ein rascher Schritt zur Schalttafel. Ein Griff! Der Haupthebel war umgelegt. Die Lampen erloschen, alle Zeiger glitten auf den Nullpunkt zurück. Jetzt lag die Leitung des Schiffes für die Fahrt durch den Weltenraum in der Kugelzentrale.
Frank Gunter ging zur Tür, öffnete sie und betrat den Gang.
Eine eigenartig kreisförmige, nach unten gebogene Treppe, dem Kranz eines innen gezahnten Rades ähnlich, nahm ihn auf. Über ihm wölbte sich eine gewaltige Kugel. Er schritt die Treppe hinab bis zu einer über den Stufen schwebenden Leiter. Diese erklomm er. Eine runde Luke öffnete sich selbsttätig über ihm, schloß sich genau so, sobald er den Innenraum der Kugel betreten hatte.
Wieder eine Treppe aufwärts, die genau in den Mittelpunkt der Kugel zu führen schien. Eine Tür. Frank Gunter stand in der Kugelzentrale.
Kapitän Schirmer und der Dritte Offizier standen beobachtend vor zahlreichen Instrumenten und Meßzeigern.
»Alles klar?« Die Stimme Gunters.
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Frank Gunter nahm am Leittisch in der Mitte des Raumes Platz. Von hier aus waren sämtliche Apparaturen, alle Skalen der Zentrale zu überblicken. Vor ihm lag aufgespannt ein Bogen Papier, genau so übersät mit Kurven, Zahlen und Linien, wie jener im Bugkommandoraum.
»Kurs?«
Schirmer nannte jedem Laien unverständliche Zahlen und Gradangaben.
»Geschwindigkeit?«
»Tausend Meter pro Sekunde!« Wieder die Stimme Schirmers.
Über den Kursbogen auf dem Leittisch schoben Gunters Hände ein seltsam geformtes, durchsichtiges Kurvenlineal. Seine Lippen murmelten Zahlen. Dann ein Wenden nach rechts. Die Finger drückten Taste auf Taste einer Rechenmaschine nieder. Ein Hebeldruck. Die Maschine schnurrte mehrere Male. Frank Gunter beugte sich vor, das Ergebnis abzulesen. Er schrieb die so gewonnenen Zahlen nieder, verglich sie, den Bleistift noch in der Rechten, mit den Angaben des Kursbogens.
»Stimmt!« Leise für sich hinmurmelnd, dann die Stimme erhebend: »Fertigmachen!«
Der Dritte Offizier eilte vor ein Mikrophon.
»Fertigmachen zum Raumstart!«
Kapitän Schirmer hatte einen Armsessel, der, fest an den Boden geschraubt, vor der Hauptschalttafel stand, aufgesucht. Der »Dritte« nahm nach der Durchgabe des Kommandos vor einer zweiten, kleineren Schalttafel Platz.
Frank Gunter blickte auf die Uhr. Eine Minute sollte nach Erteilung des Befehls verstreichen, damit jeder an Bord den ihm zugewiesenen Platz aufsuchen konnte. Die Ankündigungskommandos waren schon vorher erfolgt. Diese Minute stellte nur eine letzte Vorsichtsmaßnahme dar zur Vermeidung jeder Gefährdung der Schiffsinsassen.
Noch 40 Sekunden — — — — 30 — — — — 10 —
»Achtung! — Heck E 1 bis 20 — — — — 5000!«
Ein Griff Schirmers. Im gleichen Augenblick hatte man das Empfinden, mit irrer Gewalt gegen die Sitzfläche seines Stuhls gepreßt zu werden. Ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend stellte sich ein, ähnlich jenem, wenn ein Aufzug sehr rasch anfährt.
Gunters Blicke hingen an dem Beschleunigungsanzeiger, der höher und höher kletterte. 13 — — 14. Fühlbar lastete der Druck auf dem gesamten Körper. 15 —. Das Anderthalbfache des irdischen Gewichts wog jetzt jeder der Bordinsassen, oder anders ausgedrückt, jeder trug unsichtbar auf den Schultern eine Last, die dem halben Gewicht seines Körpers gleichkam.
So war es auch verständlich, daß jedermann bei Einleitung dieses Starts aus dem Anziehungsbereich der Erde hinaus in den Weltenraum, seinen Platz eingenommen haben sollte. Denn, wen der plötzliche Andruck überraschte, der konnte unter mißlichen Umständen arg zu Schaden kommen.
»Beschleunigung 15 einhalten!« —
Die Worte Gunters an Kapitän Schirmer.
»Jawohl, Herr Kommandant!«
»Es ist jetzt?« Frank Gunter blickte auf die Uhr. — — — — »18.50! — — — — Um 19.15 ermäßigen Sie auf Beschleunigung 10!«
Ein erstaunter Blick Schirmers traf seinen Kommandanten. Sonst fuhren die Schiffe mit Beschleunigung 6 Meter pro Sekundenquadrat durch den Weltenraum, und jetzt diese Steigerung?
Gunter merkte sehr wohl den Wechsel des Gesichtsausdrucks. Seine Miene wurde sehr ernst.
»Meine Herren! — — — — Ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen, die ich bisher aus guten Gründen unterließ. Ich muß auch jetzt noch um Ihre volle Verschwiegenheit gegenüber jedermann an Bord bitten!« Frank Gunter zögerte einen Augenblick. Ein höflich bestätigendes Nicken der beiden Offiziere gab ihr stummes Einverständnis zu erkennen.
»Wir müssen«, hub Gunter wieder an, »unter Einsatz aller Kräfte schnellstens zum Mars gelangen. Ein heute morgen eingegangener Funkspruch der Marsstation brachte uns die erschütternde Nachricht, daß drüben, völlig unerklärlich, plötzlich und in noch nie dagewesenem Ausmaß die Marskrankheit wieder ausgebrochen ist.«
»Das ist ja entsetzlich!«, fuhr Schirmer erschüttert auf.
»Ja! — — — Ist ein sehr harter Schlag für unsere Werke. Zu allem Unglück — man wähnte, wie Sie wissen, die Krankheit erloschen, zum mindesten aber die Menschen immun dagegen — befindet sich bei weitem nicht genügend Impfstoff zur Bekämpfung der Seuche in den dortigen Sanitätsabteilungen. Das Heilmittel brachte vorhin Kapitän Berger mit HD-C an Bord HD-66. Unsere Pflicht ist es jetzt, alles daranzusetzen, unsere kostbare Ladung je rascher, je besser den mit dem Tode Ringenden zuzuführen!«
Beide Offizier schwiegen betroffen. Die Enthüllung der grauenvollen Tatsache hatte sie zutiefst erschüttert. Jetzt erst ward ihnen die Erklärung für so viele unverständliche Ereignisse des Tages.
»Herr Schirmer!« Gunter erhob sich schwer von seinem Stuhl. »Sie übernehmen jetzt das Kommando!«
Kapitän Schirmer und der Dritte Offizier waren gleichfalls aufgestanden. Während der »Dritte« den Platz Schirmers vor der Hauptschalttafel einnahm, ließ sich letzterer auf dem frei gewordenen Stuhl des Kommandanten vor dem Leittisch nieder. Den trägen, mühsamen Bewegungen der Männer sah man an, wie sehr der Andruck der anderthalbfachen Erdschwere, Folge der gewaltigen Ausstoßkraft der Elektronendüsen des Schiffes, auf ihnen lastete.
Neben Schirmer stehend, die Hände stützend auf den Tisch gepreßt, erklärte Frank Gunter seinem Vertreter den angelegten Kurs.
»Wir kommen zwar dem Anziehungsbereich der Venus sehr nahe!«, schloß er seine Erläuterung. »Doch ist dieser Weg der kürzeste, und wir müssen ihn wählen. Sie haben alles verstanden?«
»Jawohl!«
»22 Uhr werden Kapitän Berger und ich Sie beide ablösen. Schlafen Sie Vorrat!«, setzte er lächelnd hinzu. »Ab morgen abend ist die Station mit allen vier Offizieren besetzt. Die Leitung beim Passieren der Venus übernehme ich. Es ist besser, wenn dann alle Instrumente unter genauester Kontrolle stehen.«
»Ich pflichte Ihnen vollständig bei, Herr Kommandant!«
»Gut, Herr Schirmer! — — — — Soll ich Ihnen eine kleine Erfrischung hinüberschicken?«
»Wir wären Ihnen sehr dankbar! Der Tag war anstrengend!«
»Das war er bei Gott! Aber wir haben's geschafft!«
Berechtigter Stolz klang aus Gunters Stimme.
»Also, bis 22 Uhr dann! Auf Wiedersehen, meine Herren!«
Kommandant Gunter verließ, leicht gebückt unter der Last des Andrucks, mit schweren Schritten die Kugelzentrale.
Das Raumschiff schoß mit von Sekunde zu Sekunde sich steigender, auf der Erde unereichbarer Geschwindigkeit durch das schwarze, luftleere All, einem helleuchtenden Punkt, der Venus, entgegen.
Frank Gunter öffnete, nachdem er etwa ein Drittel der langen Treppe hinabgestiegen war, auf der er vorhin die Kugelzentrale betreten hatte, auf einem Absatz zur Rechten eine Tür. Ein hellerleuchteter Gang, gerundet wie der Zugang zu den Rängen eines Theaters, nur schmaler, tat sich vor ihm auf. Rechts und links befanden sich mit Zahlen oder Buchstaben versehene Türen, die zu den Kabinen der Passagiere oder zu weiteren Schiffsräumen führten. Nach wenigen Schritten drüdte Gunter zur Linken eine Klinke nieder. Die Küche des Raumschiffs tat sich vor ihm auf.
»Chef! Lassen Sie 19.15, nach Aufhören des Andrucks, eine kleine Erfrischung in die Kugelzentrale für zwei Personen reichen!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«, antwortete der Küchenchef, der selbst, wie auch seine weißgekleideten Hilfskräfte, gemäß den Unterweisungen ruhig auf seinem Stuhl saß. Sie alle hatten schon viele Fahrten mitgemacht und wußten, daß dieser lästige Druck nach kurzer Zeit weichen würde und sie sich wieder frei und unbeschwert bewegen könnten.
»Danke sehr!« Frank Gunter schloß die nur halb geöffnete Tür und ging schwer den Gang weiter, bei jedem Schritt mit seinem anderthalbfachen Gewicht kämpfend.
Jetzt eine Wendung zur Rechten; er betrat seine Kommandantenkajüte.
Der Raum war nur matt durch die Tischlampe erleuchtet. Am Schreibtisch selbst saß die wuchtige Gestalt Kapitän Bergers, der, sichtlich erfreut, von einem ähnlichen Kurven und Kursbogen wie jenem in der Kugelzentrale aufblickte, als er Frank Gunters ansichtig wurde.
»Willkommen an Bord HD-66, mein lieber Käpt'n!« Die frohe Stimme Gunters.
»Danke, danke, Gunter!«, orgelt vergnügt der tiefe, wohltönende Baß Bergers. »Bin ordentlich froh, mal wieder Schiffsplanken, wenn ich so sagen darf, unter mir zu haben.« Er reichte über den Tisch hinweg Gunter die Hand und schüttelte sie herzhaft.
Eben schickte sich Frank Gunter an, Berger gegenüber am Schreibtisch Platz zu nehmen, als die tiefe Stimme wieder anhub.
»Hallo, Verehrtester! Wollen Sie denn gar nicht Ihren einzigen Passagier begrüßen?« Seine Linke wies auf die im Dämmerlicht verschwimmende Ecke des Raumes. Gunters Blicke tasteten, sichtlich verblüfft, in die gewiesene Richtung. Etwas Helles schimmerte dort in dem großen Ledersessel.
»Guten Abend, Frank! Mich hast du gewiß hier nicht vermutet!«
»Frigga?« — — — — Ein entsetzter Ausruf.
»Hö — — hö — — höhö! Das nenne ich eine gelungene Überraschung!« Kapitän Bergers Hand schlug dröhnend auf die Tischplatte. Sein mächtiger Körper bebte vor gutmütigem Lachen.
Frank Gunter stand starr, die Stuhllehne mit beiden Händen umkrampfend, die Augen auf Frigga Holk gerichtet.
»Frigga! — — — Wie kommst du an Bord?«
»Ganz einfach! Mit HD-C. Herr Kapitän Berger nahm mich auftragsgemäß mit.« Spöttisch dehnte die Stimme das Wort »auftragsgemäß«.
»Was soll das heißen, auftragsgemäß?« — Hast du denn meinen Brief nicht erhalten?«
»Gewiß! Fräulein Wiemann übergab ihn mir heute nachmittag, doch fand ich bei aller Packerei und Unrast noch nicht die Muße, ihn zu öffnen. Ich hab' ihn hier in meiner Handtasche!« Die Frauenhand schimmerte hell, als sie sich zur Unterstreichung der Worte auf die Ledertasche senkte.
Kapitän Berger blickte sichtbar beunruhigt zu dem Kommandanten des Schiffes auf. Seine so schön ausgemalte Überraschung schien da mächtig ins Wasser gefallen zu sein.
Warum war Gunter so aufgebracht?
»Du sagtest eben, ich wiederhole es nochmals, auftragsgemäß?« Gunters Augenbrauen waren zusammengezogen. »Wer gab dir den Auftrag?«
»Wer anders als Herr Nord, der allein verantwortliche Leiter der Erdstation.«
Die Betonung klang so harmlos, und trotzdem war der Hieb zu fühlen.
»Wann war das?« Jetzt wurde Gunters Stimme hart.
»Sag einmal! Bin ich hier als Angeklagte vor einem Gerichtshof oder als vollgültiger Passagier des Raumschiffes HD-66?« Friggas Empfindlichkeit bäumte sich gegen die forschende Art Gunters auf. »Du hast, bei Gott, eine seltsame Art an dir, Herr Kommandant, deine Gäste an Bord zu begrüßen!« Sehr selbstbewußt glitten die Worte in den Raum.
Frank Gunter schritt gebückt zum Schalter. Die Deckenbeleuchtung flammte auf und tauchte den Raum in ein warmes, anheimelndes Licht. Dann wandte er sich Frigga Holk zu und reichte ihr schwerfällig die Hand. Und als er ihr gegenüber am Tisch Platz nahm:
»Es bleibt mir ja jetzt nichts anderes übrig, als dich nolens volens willkommen zu heißen. Du darfst es mir aber nicht verübeln, daß mich deine Anwesenheit in beträchtliches Erstaunen versetzt; hatte ich doch die striktesten Anweisungen gegeben, daß keiner an Bord gelassen werden sollte. Mit der Möglichkeit eines Eintritts in das Schiff über HD-C hatte ich allerdings nicht gerechnet. — — — — Und wenn mich nicht alles täuscht, hat eine gewisse Bibliothekarin Holk unseren braven Käpt'n Berger regelrecht überrumpelt.«
»Überrumpelt — — mich?« Wie polternder Donner klang die tiefe Baßstimme des sich getroffen Fühlenden. »Fräulein Holk wies mir einen ordnungsgemäß ausgestellten Fahrschein für HD-66, gezeichnet von Herrn Nord, gültig für die heutige Fahrt, vor! Da gab's für mich keinen Zweifel!«
»Aber Herr Nord lag doch noch bewußtlos danieder, als wir starteten? Seit heute früh um zehn hatte ich allein die Leitung des Werks in den Händen!«— Frank Gunter schüttelte unwillig den Kopf.
»Der Fahrschein wurde mir heute in aller Frühe, es muß so kurz nach acht gewesen sein, zugestellt.« Frigga Holk saß lässig zurückgelehnt da. Auf alle Fälle hab' ich meinen Willen durchgesetzt, sprach's aus ihren Mienen. Sie öffnete die Handtasche. »Hier hast du ihn, du ungläubiger Thomas! Überzeuge dich selbst, daß Herr Berger völlig unschuldig ist!«
Frank Gunter nahm das herübergereichte Blatt, prüfte es flüchtig. Ja! Da stimmte alles. Und doch stimmte hier irgend etwas nicht, sagten ihm sein Gefühl und die Beobachtung der Haltung Friggas.
»War dir denn nicht bekannt, daß kein Passagier an Bord durfte, daß ich sogar einen Teil der Besatzung zurückgelassen habe?«
»O — — — doooch!«, kam es gedehnt von der schlanken Mädchengestalt wieder. — »Ein eklig unhöflicher Bootsmann hatte mich sogar heute nachmittag, als ich meinem Auftrag folgend an Bord wollte, mit dem Schnellboot wieder nach Hause geschickt!«
»Aha! Hier liegt der Has' im Pfeffer!« — Befreit lachte Gunter auf: »Ein gewisser jemand bestand also im wahrsten Sinne des Wortes auf seinem Schein, um sein hartes Köpfchen wieder einmal durchzusetzen! Sehen Sie, lieber Käpt'n, so wird's gemacht! Sie sind doch überrumpelt worden!«
»Öh — öh, scheint mir jetzt doch auch so!«, brummte der behäbige Baß, nur nicht mehr so siegesgewiß wie vorhin.
Frigga Holk fühlte sich angegriffen.
»Ich weiß nicht, wie du hier zu so merkwürdigen Ausfällen kommst. Ich habe lediglich meinen Auftrag erfüllt. Irgendwelche persönlichen Argumente, wie meinen Kopf durchsetzen, die du eben geruhtest mir vorzuwerfen, spielen überhaupt keine Rolle. Ich sollte dein Schiff benutzen und mußte selbstverständlich die Abweisung deines Bootsmannes für ein Mißverständnis halten. Darum handelte ich so, wie ich es für gut befand. Schließlich ist ja Herr Nord der Chef der Erdstation und nicht der Herr Kommandant Frank Gunter.« Die Worte waren leicht und lässig dahingesproden, aber der zuletzt ausgespielte Trumpf sollte stechen.
»Lassen wir lieber das Thema! Du bist an Bord, und damit basta! — — — — Wir kommen ja doch nie zu einer wahrhaften Übereinstimmung«, setzte Gunter verärgert und unwirsch nach kurzer Pause hinzu.
»Ja! Frank! Wir kommen doch nie zu einer wahrhaften Übereinstimmung!«, tönte es gedehnt zurück.
Da faßten die Augen des Mannes die der vor ihm sitzenden Frau und blieben mit dem Ausdruck nachdenklichen Sinnens auf Sekunden in den ihren haften.
Frigga schüttelte den forschenden Blick ab. Nur jetzt keine Gefühlsduseleien vor Zeugen!
»Hochgestrenger Herr Kommandant! Ist es gestattet, an Bord deines Schiffes zu rauchen? — — — — Mir wird dieser scheußliche Druck in den Gliedern langsam lästig.«
»Aber bitte, selbstverständlich!« Frank Gunter hatte zu sich selbst zurückgefunden. Er griff in die Seitentasche und reichte Frigga Holk vorsichtig eine gefüllte Schachtel hinüber, gegen die verstärkte Anziehung ankämpfend.
»Danke!« Gerade hatte Frigga den Arm mühsam ausgestreckt, auch an ihm hingen ja unsichtbar durch den erhöhten Andruck einige Kilogramm Mehrlast, wollte in die Schachtel langen, da schnellte plötzlich ihre Hand weit über das Ziel hinaus und in die Höhe. Der ganze Körper folgte diesem unfreiwilligen Vorkippen. Mit der Linken fing sie sich gerade noch an der Tischkante, den Schwung aufzufangen. Hatte sie ihre Glieder nicht mehr in der Gewalt? »Was war denn das nun wieder!« Sie brauste auf. Gunters erheitertes Wohlwollen zu ihrem Mißgeschick ärgerte sie.
»Was das war? — — Kapitän Schirmer hat die erhöhte Beschleunigung abgeschaltet. — — — — Muß jetzt genau 19.15 sein. — — Stimmt!«, setzte er nach einem Blick auf die elektrische Uhr hinzu. »Wir sind jetzt aus dem wirksamen Anziehungsfeld der Erde heraus.«
»So was könnte man doch wirklich genau so vorher bekanntgeben wie vorhin den plötzlichen höheren Andruck!« Jetzt erst langte Frigga Holk, zornig den Kopf nach hinten werfend, zu den ihr noch immer dargereichten Zigaretten. »Übrigens, warum passierte dir denn nicht Ähnliches wie mir eben? Du strecktest deinen Arm doch auch aus?« Immer noch lag ein schnippischer Groll in der Betonung.
»Das schon!«, lachte Gunter. »Nur ruhte mein Arm still und schnellte nur ein wenig nach oben. Das wird dir entgangen sein. Du aber befandest dich in verschiedenartiger Bewegung deines ganzen Körpers: Aufrichten, Vorbeugen, Handausstrecken und -anheben. So wurden sämtliche Bewegungsvorgänge von der Anziehungsverminderung gleichzeitig betroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Das ist die sehr einfache Erklärung!«
»Kommt so etwas bei euch öfters vor?« Frigga hatte sich wieder zurückgelehnt und zog nachlässig an der eben am elektrischen Zünder in Glut gesetzten Zigarette.
»Nein! Jetzt hast du Ruhe bis zum Bahnmittelpunkt!«
»Was bedeutet das, Frank?« Aus der Stimme war deutlich zu vernehmen, daß Frigga in raschem Stimmungsumschwung starkes Interesse an dem ihr so vielfach Neuen nahm. Ihr reger Geist sah Aussichten, sich ein Wissen anzueignen, das andere nicht besaßen.
»Nun! — — —Wir fahren jetzt mit einer unwesentlich höheren Beschleunigung, als die Erde sie hat, bis zur Mitte der errechneten Bahn zum Mars!«
Impulsiv unterbrach sie ihn:
»Du mußt mir die gesamten technischen Einzelheiten erklären!« — Als sie Gunters erstaunten Blick wahrnahm: »Ich weiß! — — Du hast mir schon mehrfach Raumschifffahrtunterricht bei verschiedenen Gelegenheiten versucht zu geben, doch bin ich ehrlich genug, einzugestehen, daß das bei mir zu einem Ohr hinein- und meist zum anderen wieder hinausging!« Frank Gunter mußte wohl eine recht enttäuschte Miene aufgesetzt haben.
»Seid nicht bös, ihr Raumfahrer!« Damit wandte sie sich auch liebenswürdig an Kapitän Berger, der inzwischen umständlich ein Zigarrenetui herausgesucht, nach eifriger Prüfung eine der duftenden dunklen Brasil entnommen und in Brand gesteckt hatte. »Aber ihr technischen Männer seid meistens in eure Technik so verliebt und redet einem soviel zwar Gutgemeintes, aber für uns Frauen doch Unverständliches vor, daß wir eurer seltsamen Liebe nur recht wenig Verständnis zollen können. Im übrigen«, setzte sie nach kurzer Weile beobachtenden Schweigens hinzu, »entwickelt ihr ein seltsam eiferndes Talent dabei, auf die augenblickliche Stimmung einer Frau nicht die geringste Rücksicht zu nehmen.«
»Was mich anbetrifft«, brummte, sich gemächlich der Sprecherin zuwendend, der wohlgelaunte Baß Bergers, »möchte ich im Augenblick einmal wirklich so schrecklich selbstsüchtig sein, wie Sie eben uns technische Männer schilderten, und mich hier in meine geliebten Fahrtenkursbogen vertiefen. Gunter wird Ihnen schon den erbetenen Unterricht bereitwilligst allein erteilen!«
Er zwinkerte fröhlich dem Kommandanten und seinem wißbegierigen Gegenüber zu. Frigga Holk lachte belustigt auf. Den kleinen Hieb auf alle Fälle sofort parierend, entgegnete sie rasch:
»Damit würde ja schlagend und überzeugend mein Ausspruch von der seltsamen Männerliebe zur Technik bewiesen sein. Doch tun Sie sich bitte keinen Zwang an!«
»Hö — — hö« Berger brummte, verwundert den Kopf schüttelnd. »Gegen ein solches Wortfeuerwerk kommt ein alter Raumbär nicht an. — — — — Gunter!« Damit wandte er sich dem Kommandanten zu: »Ich nehme Ihren verehrten Gast, Fräulein Holk, tatsächlich beim Wort und tu' mir keinen Zwang an. Können Sie mir die genauen Kursangaben machen, oder soll ich Schirmer anrufen?«
Seine Hand lag schon auf dem Hörer des Fernsprechers, als ob er gesonnen sei, Frank Gunter jeder Antwort zu entheben. Fast schien es so, als ob er weiterem Wortgeplänkel mit Frigga bewußt ausweichen wollte.
»Ich hab' die gesamten für die jetzige Fahrt geltenden Zahlen zwar im Kopf, möchte aber Fräulein Holk damit nicht langweilen. Überdies wird es Ihnen gewiß Freude machen, Schirmer auch mal wieder zu sprechen.«
»Das ganz gewiß, gut also! Ich bin auf alle Fälle entschuldigt?« Wieder ein lustiges Zwinkern der gemütlichen Augen zu Frigga Holk.
»Selbstverständlich, Herr Berger!«
Ein dankbares Nicken, und der stämmige Kapitän nahm den Hörer auf. Um sein Gespräch mit Kapitän Schirmer kümmerten sich die beiden am runden Tisch nicht mehr.
»Also, Frigga!«, hob Frank Gunter an, mit der Genugtuung des Mannes, der die Anteilnahme der geliebten Frau an seiner Arbeit verspürt, und der Begeisterung des erklärungsfreudigen Technikers: »Wenn du irgendeinen Gegenstand in gewisser Höhe über dem Boden losläßt, dann fällt er doch herunter, stets herunter und nie etwa hinauf, noch bleibt er gar in der Luft hängen. Wer bewirkt diese jedem Menschen selbstverständliche Erscheinung?«
»Doch nur die Anziehungskraft der Erde!«
»Richtig! — — — Ja! — — Jeder Kraft hat nun der forschende Menschengeist ein Maß gegeben. Weißt du, wie das Maß der Anziehungskraft heißt?«
»Nein, Frank! Das habe ich zwar beim Abitur, mühsam eingepaukt, gewußt, heute aber längst vergessen.«
»Schadet weiter nichts«, entgegnete Gunter lächelnd. »Wir werden das Vergessene bald aufgefrischt haben. Das Maß lautet Beschleunigung!«
»Beschleunigung ist doch, wenn etwas immer rascher und rascher geht!«
»Sehr richtig!« Aus Gunters Stimme klang herzliche Freude, daß sie so bei der Sache war und immer stärkeren Anteil nahm. »Und tatsächlich fällt ja auch ein Stein zum Beispiel, den man in einen tiefen Brunnenschacht fallen läßt, immer rascher und rascher. Das ist eben die Beschleunigung, und damit ist die Beschleunigung ein direktes Maß für die Erdanziehung.«
»Das habe ich verstanden. Wie groß ist denn nun die Beschleunigung auf der Erde!?«
»Rund zehn Meter pro Sekunde.« — — — — Gunter zögerte einen Augenblick nachsinnend. »Es müßte, physikalisch exakt gesprochen, eigentlich zehn Meter pro Sekundenquadrat lauten, aber lassen wir das Quadrat einmal fort; das verwirrt dich nur. Doch, um jetzt auf unsere Raumschiffahrt zu kommen, stelle dir einmal vor, die Masse der Erde wäre größer, was muß dann auch größer sein Frigga?«
»Ihre Anziehungskraft!« Aus Friggas rascher Antwort war klar zu entnehmen, daß ihr heller Geist den Erläuterungen Gunters ohne Schwierigkeiten folgte.
»Gut, ja! — — — Und da das Maß der Anziehungskraft Beschleunigung heißt, wäre auch die Beschleunigung größer. Ein Stein würde, wie alle Dinge dann, nicht nur mehr wiegen, sondern damit auch rascher fallen.«
»Das sehe ich natürlich ein!«
»Dadurch ist also der direkte Zusammenhang zwischen Anziehungskraft und Beschleunigung eindeutig gegeben.«
»Mir dämmert langsam«, bemerkte Frigga nachdenklich, »was das mit meinem vorherigen Mißgeschick zu tun hat, wenn unsere Fahrtbeschleunigung und die Anziehungskraft dasselbe sind.«
»Es ist genau dasselbe! Auch auf der Erde gibt es Verhältnisse, unter denen du schwerer bist als gewöhnlich. Denk bloß einmal an eine Fahrt im Aufzug! Zieht dieser sehr rasch an, so beschleunigt er sich doch schnell. Zu der Erdanziehungskraft kommt die zusätzliche Anfahrtbeschleunigung hinzu. Du wirst also schwerer, und jeder Mensch fühlt das auch ganz genau; er hat das Empfinden, stärker gegen den Boden des Aufzuges gedrückt zu werden.«
»Das hab' ich oft genug erlebt, mir aber nie Gedanken gemacht, woher das kam!«
»Das tun die wenigsten. Nun stelle dir aber einmal vor, wir würden ohne Beschleunigung fahren und schon so weit von der Erde entfernt sein, daß ihre Anziehungskraft keinen nennenswerten Einfluß mehr hat! Was geschähe dann?«
Frigga zögerte einen Augenblick. Sie wußte nicht, ob sie das aussprechen sollte, was sie aus der Erklärung Gunters folgerte. »Ja — — — — Eigentlich müßten wir dann nichts wiegen!«
»Bravo! — — — Richtig!« Frank Gunter hatte die Worte so begeistert und laut ausgerufen, daß Kapitän Berger von seinem Rechnen auf den Kursbogen lächelnd aufschaute und wohlwollend das Paar kurz musterte, um sich schmunzelnd wieder in seine Arbeit zu vertiefen.
»Tatsächlich!«, fuhr Gunter fort. »Wir wären gewichtslos und könnten frei im Raum schweben. Das wirst du übrigens in drei Tagen, wenn auch sehr kurz, am Fahrtmittelpunkt erleben, denn bis dahin fahren wir mit Beschleunigung zehn Meter.«
»Ja — — aber — — — Frank?« Frigga sann nach. Bedenken plagten sie sichtbar. »Das kann doch gar nicht möglich sein. — — Wir können doch unmöglich dauernd immer rascher und rascher fahren?«
»Doch, Frigga, wir tun es sogar!« Strahlend schaute Gunter sein verblüfftes Gegenüber an.
»Das geht doch gar nicht!« — — — Frigga schüttelte den Kopf. Hier schien ihre Vorstellungskraft zu Ende zu sein. »Nein, das kapiere ich nicht, Frank! Ich bin einmal mit einem Rennwagen mitgefahren. Es ging auch immer schneller, bis der Geschwindigkeitszeiger stand. Schneller ging's nicht mehr. Das konnte ich gut beobachten. Aber immer noch rascher, rascher, rascher, das begreife ich einfach nicht.«
»Du übersiehst, daß auf der Erde der zunehmende Luftwiderstand allerdings ein solches Fahren unmöglich machen würde. Hier im Weltenraum ist aber keine Luft, folglich auch kein Widerstand. Da die Masse unseres Helanschiffs relativ klein ist, ist die aufzunehmende Energie nicht einmal viel größer als die eines Rennwagens auf der Erde.«
»Brr! — — Jetzt geht mir alles durcheinander. Beschleunigung, Masse, Energie. Das ist wieder so richtiger Männerkram!« Frigga griff zu der offen auf dem Tisch stehenden Zigarettenschachtel. »Du gestattest doch. Ich muß das alles erst in Ruhe verdauen!« Dann, als sie die Zigarette an dem neben dem Stuhl angebrachten Zünder in Glut gesetzt und einen tiefen Zug getan hatte:
»Frank! Das will mir einfach nicht in den Kopf. Ich habe jetzt eingesehen, daß wir mit Beschleunigung fahren müssen, um überhaupt Andruck, wie du vorhin einmal sagtest, zu haben. Sonst würden wir alle hier umherschweben wie die Engel. Aus dem Anziehungsbereich der Erde sind wir heraus. Der kann uns kein Gewicht mehr geben. Die Sonne wird kaum auf uns wirken. Unser Schiff als winzigwinziger Stern hat keine nennenswerte Anziehungskraft; so kann nur die Schiffsbeschleunigung uns zum Gewicht verhelfen. — — — — — Was aber kommen da, wenn es immer rascher und rascher geht, für Geschwindigkeiten heraus?«
»Die sind allerdings für irdische Begriffe überaus phantastisch hoch und für einen Laien sowohl unschätzbar als auch unvorstellbar. Was denkst du zum Beispiel, Frigga, mit welcher Geschwindigkeit wir jetzt dahinschießen?«
Frigga zögerte einen Augenblick.
»Na, wenn es tatsächlich immer rascher und rascher geht und ich an meine Rennwagenfahrt zurückdenke, bei der wir zum Schluß mit 250 Kilometer dahinfegten, dann fahren wir jetzt vielleicht mit 1000 oder gar 2000 Kilometer die Stunde. Das ist allerdings dann schon unvorstellbar.«
»Hö — — —!« grunzte plötzlich belustigt die Baßstimme Bergers vom Schreibtisch herüber. »Dann würden wir monatelang bis zum Mars gondeln und nicht wenige Tage, mein verehrtes Fräulein Buchbewahrerin!«
Auch Frank Gunter schaute mit seinem fröhlichsten Bubenlächeln sein Gegenüber an.
Frigga Holk erkannte sehr wohl, daß sie mit ihrer Zahl offensichtlich viel zu niedrig getippt hatte. Die sonst leicht Erregbare zweifelte irgendwie an ihrem Verstand und ihrem reichen Wissen und empfand diesmal keinen Groll gegen den leichten Spott der beiden. Die Raumschiffahrt und ihre Männer begannen langsam ihr eine tiefe Hochachtung abzugewinnen. Das war doch etwas ganz anderes, als sie sich zwischen ihren stillen Büchern vorgestellt hatte. Allein die rein theoretische Beherrschung der Materie, geschweige denn die praktische Ausführung, setzte eine geistige Spannkraft und einen Tatenwillen voraus, den sie niemals geahnt, auch Gunter nicht zugetraut hätte. Sie atmete einmal tief auf, die anstürmenden, neuen Gedanken zu bändigen.
»Wir fahren also bedeutend schneller, als ich annehme?«, begann sie das durch ihr kurzes, nachdenkliches Schweigen unterbrochene Gespräch.
»Ja, allerdings, das tun wir, gottlob!«, brummte frohgemut Berger. — »Doch, ich will Sie Ihrer zwecklosen Raterei entbinden und mir mal von Käpt'n Schirmer die genauen Zahlen durchgeben lassen — — Augenblick, bitte!« Er griff zum Hörer.
»Hallo, hier Berger! — — — Herr Schirmer, was zeigt der Zeitraumkombinator?«
»Ja! — — Danke sehr!« Er legte den Hörer zurück.
»So! — — — — Nun setzen Sie sich einmal erst ganz fest auf Ihren Stuhl, damit Sie mir nicht umfallen! Ich muß nur rasch die Sekundenangabe in die Ihnen geläufigeren Stundenkilometer umrechnen.«
Der Bleistift kritzelte geschwind an den Rand des Bogens einige Zahlen. »So! — — — Sind Sie bereit?«, wandte sich Berger wieder breit Frigga zu.
»Ja! Ich sitze und harre der Dinge, die kommen sollen!«
Ihre Augen lachten unbefangen und heiter.
»Wir fahren jetzt mit rund 113 000 Kilometer die Stunde durch den Weltenraum!«
»Was?!« Ein entsetzter Ausruf. Aus den Augen war alles Lachen verschwunden. Sie blickten entgeistert zu Berger, dann zu Gunter hinüber.
»Wieviel?« Mühsam rang Frigga nach Fassung.
»113 000 Kilometer die Stunde!«
»Das ist ja heller Wahnsinn! — — — Das ist doch unmöglich! 113 000 Kilometer! — — — Frank! Sag mir, daß das nicht wahr ist! Das geht doch gar nicht! — Um des Himmels willen, wenn jetzt was passiert, bei diesem Höllentempo?«
Da lachten die beiden Männer unbekümmert und schallend auf. Für Berger schien das so die richtige kleine Rache gewesen zu sein für die »Überrumpelung« heute nachmittag, und selbst Gunter vermochte im Augenblick der übermütigen Schadenfreude nicht, ein gelindes Gefühl der Genugtuung zu unterdrücken. Da saß sie nun, die Stolze, und Unruhe und Befangenheit vor dem Unfaßbaren sprachen zu deutlich aus ihren Mienen. Hatte sie Angst?
Noch weidete sich Berger, der alte Bär und Haudegen der Weltraumfahrt, an seinem Triumph; in Frank Gunter wallte hegende Wärme auf.
»Nein, Frigga! Keine Furcht!« Seine Stimme, seine warm leuchtenden Augen trugen ihr Zuversicht an. »Laß dich nicht ins Bockshorn jagen von dieser anscheinend irrsinnigen Geschwindigkeit unseres Schiffes!« — Seine Hand streckte sich über den Tisch aus, als ob sie um volles Vertrauen werben wollte. — »Wir fahren ja so langsam, gemessen an der schier unendlichen Entfernung, die wir zu durcheilen haben. Und hier ist uns ja nichts im Wege. Es ist doch nichts, was uns hindern könnte, keine Bäume, keine Sträucher, keine Kurven wie auf der Erde. Alles ist doch luftleer, auf Millionen von Kilometer Entfernung, immer nur geradeaus, geradeaus, und nichts, nichts ist darin enthalten. Verstehst du das?«
»Ja, Frank!« Frigga richtete sich im Stuhl auf. »Jetzt, da du es mir so klar machst, sehe ich ein, daß ich eben recht töricht erschreckte!«
Noch immer lag die ausgestreckte Rechte Gunters werbend auf dem Tisch, und Frigga schob plötzlich, ihrer Regung folgend, ihre Hand hinein. In ihren Augen leuchtete die Freude.
»Weißt du, ich fühl' mich jetzt viel größer und stärker, daß ich solch eine Fahrt in das Weltenall verstehend mitmachen kann.« Sie warf, um die alten Schreckgedanken abzuschütteln, den Kopf nach hinten. »Du bist doch ein guter Kamerad, Frank!« Ein kurzer Druck der Finger; sie zog ihre Hand aus der seinen und lehnte sich, sinnend das Antlitz Gunters umfangend, in ihren Stuhl zurück.
»Hö — — hö! — — Schau — — schau!« Kapitän Berger hatte die letzte Szene mit steigender Neugier beobachtet. »Da scheint mir doch tatsächlich eine neue Raumkapitänin aus dem Ei zu kriechen!«
»Nein, nein, tausendmal nein!« — Frigga Holk lachte hellauf. Sie hatte ihre Selbstsicherheit wiedergefunden. »Diese verflixte Mathematik und Physik in den drei Dimensionen des Raumes wird für immer Männerhandwerk bleiben. Dazu fehlt uns Frauen doch der letzte Einsatz, uns ganz einer bodenfremden Idee hinzugeben!«
»Hö — — hö! — — Da haben wir's wieder!«
»Na, was denn?« Die übermütige Gegenfrage Friggas.
»Bodenfremde Idee! — — Als ob wir keinen Boden unter den Füßen hätten. Ihr Frauensleut' kämpft ja nur mit Worten. Bei den Taten macht ihr gleich schlapp.«
»Au — Au!« — — Frigga war ganz Herrin der Lage — »Da spricht aber ein arger Junggeselle!«
»Bin ich auch! — Möchte trotzdem mal 'ne Frau haben, die so einen vernarrten Raumbären wie mich begreift.«
»Suchen, Herr Kapitän, suchen! Ohne eigenes Zutun läuft einem das ersehnte Glück nicht in den Weg. Und hier im Weltenraum wird euch Vagabunden des Weltalls die ersehnte Lebenskameradin zuallerletzt den Kurs kreuzen!«
»Das gewiß!«, lachte Frank Gunter auf.
»Kann man wissen?«, brummte Berger, sah Frigga noch einmal nachdenklich an und wandte sich umständlich wieder seiner Arbeit zu.
Es klopfte.
»Ja! — — Bitte?« Die Stimme des Kommandanten.
Ein Steward trat ein. An der weißen Jacke schimmerten silbern die Knöpfe mit dem Raumschiffzeichen der Detatom-Reederei.
»Das Essen ist angerichtet, Herr Kommandant!«
»Danke sehr, Karl!«
Der Steward durchschritt den Raum und öffnete eine Tür zum Nebenzimmer und zog sich zurück.
»Darf ich bitten?« Frank Gunter erhob sich mit einer einladenden Geste.
Frigga Holk zögerte.
Gunter bemerkte es.
»Was hast du, Frigga?«
»Ihr seid doch so richtiges Mannsvolk. Einfach so schwupp 'raus aus der Arbeit oder Unterhaltung, heran ans Abendessen! Wo bleibt die vielgepriesene Kultur? Was mich anbelangt, werde ich rasch noch meine Kabine aufsuchen, mich ein bissel nett zu machen. Es dauert nicht lange!«, setzte Frigga freundlich lachend hinzu und verließ leichten Schritts den Raum.
»Dauert nicht lange?«, stöhnte Berger, als die Tür sich geschlossen hatte. »Kenn' ich bei den Frauensleut'! — — — Dauert nicht lange. Auf eine gute Viertelstunde können wir uns getrost gefaßt machen. Und ich hab' so 'n bildschönen Hunger. Herrgott, sieht das lecker aus da drüben!«
»Nichts zu machen, mein lieber Berger!«, entgegnete achselzuckend der Schiffskommandant. »So unrecht hat sie übrigens gar nicht!« Dabei betrachtete Gunter betont nachdenklich seine Hände und wandte sie rasch hin und her. »Für ein Galadiner reicht's wohl doch nicht so ganz!«
Auch Berger hatte impulsiv nachahmend die gleiche Bewegung ausgeführt wie Gunter. Und plötzlich lachten beide wie zwei erwischte Schuljungen auf.
»Dieser kleine Teufel!«, brummte wohlgelaunt Berger. »Eine Lektion für Junggesellen! Kommt davon, wenn man nur Arbeiten, Essen und Schlafen kennt.«
»Bitte, das Rauchen nicht zu vergessen! Letzteres soll eine besonders zarte Reinheit der Männerhand verleihen.«
»Alter Speilzahn!« Ein neuer Blick Bergers auf seine Fingerspitzen, deren verdächtiges Braun den starken Zigarrenraucher verriet. »Also, dann auf! Her mit Bimstein und Zitronenscheiben!«
Das Abendessen war unter fröhlichem Wortgeplänkel beendet. Berger hatte entgegen seiner Art sich munter an Hieb und Gegenhieb beteiligt, dabei aber mehr Hiebe von Frigga einstecken müssen, als er erwidern konnte, zumal Essen für ihn eine kultische Handlung war, der er stets mit Hingabe und Gründlichkeit oblag.
Die Uhr ging auf zehn, als man wieder des Kommandanten Wohnraum aufsuchte, um in den bequemen Sesseln den Kaffee einzunehmen und bei dem duftenden Rauch der Zigarre oder Zigarette die angeregte Unterhaltung fortzusetzen.
»Ja, Frigga«, schloß Frank Gunter seine Erläuterungen, »du siehst, so ein Raumschiff ist ein äußerst kompliziertes Ding, ein technisches Meisterwerk, von Menschengeist geschaffen, wie es auf Erden nichts entfernt Gleiches gibt. Morgen werde ich dir die Einzelheiten der Kugelzentrale zeigen und erklären. Doch für heute müssen wir Schluß machen. Es ist 22 Uhr, Zeit zur Wachenablösung im Kommandoraum. Also, nichts für ungut! Die Pflicht geht vor!«
Er erhob sich. Auch Berger war aufgestanden, doch zögerte er noch. Auf seinem Gesicht stand ein unausgesprochener Gedanke. Eine Wendung.
»Hören Sie mal, Gunter! Sie könnten doch getrost unserem einzigen Passagier noch ein wenig Gesellschaft leisten. Zu tun gibt's oben im Kommandoraum nichts Besonderes. Die Fahrtrichtungskontrolle führe ich auch allein aus.«
»Hm!« — Ein besinnliches Nachdenken Frank Gunters.
»So unrecht haben Sie da nicht!« Dann zu Frigga gewandt: »Wie ist's mit dir? Bist du schon müde oder verspürst du noch Lust zu einer kleinen Plauderei vor dem Schlafengehen?«
»Du weißt doch, ich gehe nie vor zwölf schlafen. Überdies lebe ich in solcher Hochspannung durch die vielerlei neuen Eindrücke des Tages und fühle mich so frisch, daß ich, falls du mir nicht noch Gesellschaft leisten könntest, mir eins deiner Bücher greifen würde, die da im Schrank in bunter Reihe stehen. Etwas Entspannung stärkt den Schlaf.«
»So? — Gut dann! Ich gehe mit Herrn Berger nach oben, kontrolliere die Wachenablösung und bin in etwa zehn Minuten wieder da. Recht so?«
»Ja, Frank! Ich freue mich!«
»Bis gleich also!« — Ein frohes Aufschauen.
»Gute Nacht, Fräulein Holk!« Berger bot die Hand, die Frigga herzhaft ergriff.
»Gute Nacht, Herr Berger!«
An der Tür drehte sich die wuchtige Gestalt noch einmal um und blinzelte frohgemut.
»Gute Nacht zu sagen ist hier im Weltenraum eigentlich schierer Unsinn, denn wir fahren dauernd durch die Nacht des Alls. Aber wir Menschen sind's ja so gewohnt von Mutter Erde her!«
»Also dann, gute Weltraumnacht!«, entgegnete heiter Frigga Holk.
Draußen brummte Berger kopfschüttelnd, als die zwei dem hellerleuchteten Gang der Treppe zuschritten:
»Ist doch einfach nicht zu schlagen, diese köstliche Buchbewahrerin! Findet auf jeden Topp 'n Deckel!«
Das warme Licht der an den runden Tisch gerückten Stehlampe verlieh dem geräumigen Kommandantenraum den Reiz eines stimmungsvollen Herrenzimmers. Schwer die lederbezogenen Klubsessel. Der dunkeleichene, ausladende Schreibtisch verschwamm im Dämmerschatten. Wertvolle Teppiche dämpften den Laut des Wortes. Einige fein empfundene Aquarelle schimmerten fröhlich aus den abgetönten Flächen der Wände.
Hier sah und fühlte man nicht, daß man sich an Bord eines mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das Weltall rasenden Raumschiffes befand. Kein Zittern war zu verspüren, nicht die geringste Bewegung. Kein Schwanken oder Schaukeln. Ruhig, wie in einem Landhause inmitten eines Parks, fernab jeder Straße, empfand Frigga Holk die Stimmung dieses Raumes.
Der Steward hatte den Kaffee abgeräumt, die Aschenbecher ersetzt und durch einen Druck auf einen neben dem Lichtschalter angebrachten Knopf Frischluft zugeführt.
Frigga war allein, überließ sich ganz diesem ungeahnten Erleben in solcher Umgebung. Weit den Kopf zurügelehnt, schmiegte sich ihre schlanke Mädchengestalt dem glatten Leder des Sessels an. Ihre Augen tasteten über die schmalen, zart abgetönten Stufen der Decke.
Das also war die Umgebung, in der Frank Gunter lebte! Sie hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Nackte, zweckgebundene Räume aus irgendwelchen tehnischen Stoffen, nur der Technik dienend, kahl und eng wie in den längst verklungenen Schilderungen von Zwischendeckpassagieren in der Pionierzeit des Amerikaverkehrs. Und jetzt? Keine das Auge verletzenden Streben und Träger, eckige Enge winkliger Gelasse, dumpfer, reiner Zweckmäßigkeit; nein, alles leicht, weit und offen, geformt von einem unbändigen Kulturwillen. Nicht nur dieser Kommandantenraum und das anschließende Eßzimmer, auch ihre Kabine ein vollendet harmonisch gestaltetes Kleinod. Draußen die strahlend erleuchteten elfenbeinweißen Gänge, auf deren weichen, lichtblauen Läufern Auge und Fuß beschwingte Freude empfanden. So sah ein Raumschiff aus, dazu noch ein Frachtraumschiff, wenn auch das neueste?
Warum hatte man sie all das nie sehen lassen? Warum bestand die strikte Anweisung, daß nur die von der Leitung der Marszentrale ausgewählten Siedler ein solches Schiff betreten durften? Zurückgekommen von dort drüben waren in den beiden Jahren, in denen sie in den Erdwerken Schrift und Art der längst verstorbenen Marsbewohner erlernte, nur die sagenhaften Raumschiffe in regelmäßigem Plan, und ihre Besatzung sprach über nichts. War der Wille Helo Torwaldts wirklich so stark? War das Werk, das er ersonnen hatte und ausführte, so umfassend, so die Sinne bannend und erfüllend, daß alle sich bedingungslos einsetzten, ja sogar schwiegen?
»Ka tala mei jo langa! — Ihr Stärkeren sollt alles erben!« tönten unbewußt die Worte des letzten Marsmenschen in Frigga auf. Dr. Helo Torwaldt hatte auf seiner ersten Fahrt zum Mars im panzerbewehrten Kellergeschoß das Tagebuch dieses letzten, seinem unabwendlichen Schicksal gelassen ins Auge sehenden Marsmenschen gefunden. Jahrzehntausende tot! Doch seine seherischen Worte? War sein Gefühl für die Entwicklung des Planetensystems um die lebenspendende Sonne so groß, daß er der Ewigkeit seines Wandelns bewußt war? Die Erfüllung voraussah? »Ihr Stärkeren!« Damit hatte er die Erdmenschen gemeint; das ging unzweifelhaft aus den handgeschriebenen Tagebuchblättern hervor. Des Sehers Worte waren in Erfüllung gegangen. Mehr noch, die ganze Kraft seines Geistes mußte sich auf seine irdischen Erben auf dem Mars übertragen haben. Sonst wäre alles das, was sie in Jahren dunkel getastet, heute zum ersten Male ganz stark empfand, unfaßbar.
Jetzt erst begann Frigga die ihr bisher unverständliche Art »Detatoms«, besonders der Raumfahrer und vor allem Frank Gunters, nachzuempfinden. Zwei Jahre war sie an allem, was außerhalb ihres Kreises lag, vorbeigegangen, hatte nur hier und da Einblicke genommen und das fremde Erleben als nicht zu ihrem Wesen gehörend abgetan. Ihre Bibliothek, die stillen Räume, das Erlernen von Schrift und Sprache der ausgelöschten Marsmenschheit hatten sie voll ausgefüllt.
An einem heißen Sommertag machte sie Frank Gunters Bekanntschaft draußen am glitzernden Strande beim Baden. Sie wäre nicht erwachte Frau gewesen, hätte sie die besondere Art dieses Menschen nicht erkannt. Mal etwas anderes, eine frisch pulsende Abwechslung in ihrem unterirdischen Eremitendasein. Aus dem oberflächlichen Flirt wurde eine Sommerliebe, bis ihre gebundene Art erkannte, daß dieser fast faustische Draufgänger ihr nicht die Erfüllung ihres Lebens bringen konnte. Ihr klarer Verstand ließ nach dieser Erkenntnis die Beziehungen langsam erkalten. Daß Gunter litt, fühlte sie. Doch warum sehenden Auges zwei Menschen unglücklich machen?
Und jetzt?
Nur zu deutlich empfand sie die Veränderung. »Ka tala mei jo langa! — — — Ihr Stärkeren — — —« Waren jene, die alle mithalfen, den Mars für eine immer mehr anwachsende Menschheit urbar zu machen, die ihrem Werk stark und aufopfernd dienten, wahrhaft die Stärkeren? Sie, die Schwächere, die, sich bewußt abschließend, nur einem netten bürgerlichen Ziel zustrebte?
Dieses technische Wunderwerk von Raumschiff, seine gerade auf sie als Frau besonders stark wirkende abgestimmte, stilvolle Innenausstattung, nicht zuletzt die erschütterungsfreie, rasende Fahrt durch das tote, eiskalte, in ewige Nacht gehüllte Weltall, die Erläuterungen Gunters, die sie sehr wohl begriffen und in sich aufgenommen hatte, all diese neuen Eindrücke rangen ihr eine Achtung ab, die vergangenes Erleben und neues Geschehen in ein gänzlich anderes Licht tauchten.
Frigga sann, sann nach über sich und Frank Gunter, den Kopf zurückgelehnt.
Die Zeit verstrich, sie fühlte sie nicht. Ihre Seele war erschüttert worden.
Hatte sie geträumt? Warum brannte da plötzlich ein rotes Licht auf Gunters Schreibtisch?
Ein Blick auf die Uhr. Zwanzig nach zehn schon?
Sie stand rasch auf.
Der Fernsprecher?
Einige Schritte in der Dämmerung des Raumes. Sie griff, über die Tischplatte sich vorbeugend, zum Hörer.
»Holk!«
— — — —
»Ja, Frank?«
— — — —
»Gut, ich warte!«
Sie legte den Hörer zurück und suchte ihren Ledersessel wieder auf.
Seltsam, wie beruhigend die Stimme Frank Gunters klang, bei deren Anrufen sie im »Erdwerk Detatom« in den letzten Monaten immer eine mit Unbehagen gemischte Unruhe empfunden hatte. Woher diese Veränderung?
Eine gute Viertelstunde noch würde es dauern, bis er zurückkäme. Die Aufnahme der Position des Raumschiffes stimme nicht mit den Angaben der Registrierinstrumente überein.
Friggas Gedanken verfingen sich im Technischen dieser Fahrt von Planet zu Planet durch das Weltall. Ihr geistiges Auge sah von einer fernen Warte einen kleinen silbernen Torpedo durch die kaltschwarze Öde schießen. Da leuchtete aus diesem unfaßbar tiefen Schwarz eine gleißend weiß sengende Kugel: die Sonne. Hinten stand, als Stern schon, die Erde, vorn das ferne Sternenziel, der rötlich leuchtende Mars. Und der kleine Torpedo suchte sich schnurgerade seinen Weg. Welche mathematischen Berechnungen gehörten wohl dazu, diesen Weg so anzusetzen, daß das Raumschiff, von der Erde kommend, genau den Mars auf seiner Bahn antraf! Denn keiner der beiden Planeten stand ja still, beide kreisten um die Sonne, beide waren in ständiger Bewegung des Umlaufs. Nachdenklich schüttelte Frigga den Kopf.
Als sie HD-66 betrat, hatte sie nicht die geringste Angst empfunden. Eine gesunde Neugier nur prickelte in ihr. Kein Gefühl der Unsicherheit war aufgekommen, etwa ihr Hunderte von Millionen Kilometer entferntes Reiseziel nicht genau so frisch und munter zu erreichen wie etwa ein Passagier, der sich in Hamburg auf einem der Ozeanriesen einschifft, um nach Amerika zu fahren. Seit nahezu zehn Jahren fuhren die Raumschiffe in fast fahrplanmäßigem Verkehr. Nie war einem derselben etwas zugestoßen. Doch nun, da sie selbst sich auf der Fahrt befand, Franks Erläuterungen schon einen Teil der technischen Schwierigkeiten aufgedeckt hatten, fühlte sie sich immer mehr aus ihrem kleinen Ich herausgelöst und mitten hineingestellt in die große, verantwortungsreiche Aufgabe der Männer.
— — — —
Was war das?
Urplötzlich hatte sie das Empfinden, ganz sachte und gelinde gegen die linke Sesselseite gedrückt zu werden.
Nun nicht mehr.
— — — —
Sekunden verstrichen. Frigga war ganz wache Beobachtung. Hatte sie sich getäuscht? — — — Nein! Jetzt wieder, ganz deutlich fühlbar, dieser sanfte Druck nach links. — — — — Und noch einmal nach kurzem Abstand die gleiche Feststellung.
Was war das?
Daß ihre Wahrnehmung richtig war, daran gab es für sie keinen Zweifel. Doch wo waren die Zusammenhänge zu suchen? Halt! — Was hatte doch vorher Frank Gunter erzählt von seitlichen Elektronenausstoßungen, Richtschüssen, wie er sie nannte, die während der Fahrt durch das All abgegeben würden, wenn irgendwelche Einflüsse das Raumschiff im Kurse versetzt hatten? Das mußten solche Richtschüsse gewesen sein. Die wieder aufgefrischte Schulphysik ins Gedächtnis zurückrufen! Was geschieht, wenn ein gradlinig bewegter Körper von seiner Bahn abweicht? Welche Kraftform äußert sich da? — — Auto — — — Kurve — — —Fliehkraft — ja, Fliehkraft! Ich hab's! Die Positionsangabe stimmte nicht, hatte Frank am Fernsprecher gesagt. Jetzt hatten die da oben in der Kommandozentrale die Fahrtrichtung korrigiert, und zwar seitwärts durch Richtschüsse. Das Raumschiff änderte seine Fahrtrichtung, zog einen gelinden Bogen — — — Kurve — — — — Auto — — — Fliehkraft nach außen, daher der leichte Andruck nach links. Stimmt! Richtig so! Ich hab's erfaßt, begriffen und mir selbst klarmachen können.
Eine helle Freude wogte in Frigga. Wie doch alles so einfach war, wenn man sich nur die Mühe machte, sein Wissen folgerichtig anzuwenden!
Morgen wollte sie noch viel mehr erfahren und in sich aufnehmen. Alle die Apparate und tehnischen Einzelheiten sollte ihr Frank genau erklären. Diese Weltraumfahrt war ein ungemein fesselndes Gebiet. Was sie nicht gleich begriff, würde ihr Frank schon in seiner plastisch darstellenden Art klarmachen. Jetzt will ich alles wissen!
Ich wollte doch die weitgediehene Übersetzung der bisher ungedeuteten Marsschrift To Ranas zu Ende führen?
Gedanken wogten und wallten gegeneinander. Nein, das Leben hier ist fesselnder, so eindringlich an die Tat jedes Augenblicks gebunden! All das Neue erst in mich aufnehmen! Laß die Übersetzung! Später in aller Ruhe! — — — Ruhe? — — Komme ich überhaupt noch einmal zu solcher Ruhe wie im unterirdischen »Detatom«? Werde ich nicht dort drüben auf dem Mars von dem gewaltigen Werk genau so erfaßt werden wie alle anderen, die mit ihm in Berührung stehen? Wird das Getriebe dieser allumfassenden Organisation nicht auch mich überwältigen?
Da erkannte Frigga Holk jäh, warum sie auf der Erde ihre Studien hatte treiben sollen, in aller Abgeschiedenheit, warum sie, die es zu einer gewissen Meisterschaft der Beherrschung der Marsschrift und deren Deutung gebracht hatte, erst jetzt in die schaffende Gemeinschaft derer auf dem fernen Planeten aufgenommen werden sollte.
Ihr heftiger Freiheitsdrang rebellierte gegen eine solche Vorstellung. Nur noch ein Rädchen sein im Getriebe der vielen Tausende, nicht mehr als jeder andere dort? Einfach nur noch seine Pflicht tun, ohne das erhebende Gefühl zu haben, durch eine Besonderheit herausgehoben zu sein aus der Masse, sich absondern zu dürfen mit der Berechtigung individueller Tätigkeit?
Das Raumschiff jagte dem Mars entgegen. Sie war gefangen. Eine angstgemischte Abwehr überkam Frigga. Wie würde sich ihr Schicksal dort drüben gestalten? Würde sie ihr »Ich« wahren können?
Draußen vernahm sie gedämpfte Schritte; die Tür ging auf.
»Na, Frigga? Gelangweilt? — — — Nicht bös sein! Hat ein wenig länger gedauert, als ich voraussehen konnte. Eins der Instrumente muß einen kleinen Knacks wegbekommen haben. Vermutlich durch die Einschlagerschütterung auf der letzten Fahrt. Infolge der Fehlanzeige sind wir geringfügig vom Kurs abgekommen.«
»Und da hast du durch drei Richtschüsse auf Steuerbordseite von je etwa drei Sekunden Dauer dein Schiff wieder richtig eingeschwenkt?«
Sprachlos starrte Frank Gunter, der sich gerade zu setzen anschickte, sein Gegenüber an. Er verharrte einen Augenblick verblüfft in einer seltsamen Haltung, den Kopf vorgebeugt. Dann ließ er sich, die Augen nicht von Frigga lassend, mit einem Ruck in den Sessel fallen.
»Na? Stimmt's, verehrter Herr Kommandant?« Frigga strahlte Gunter frohlockend an.
»Mir ist schon allerhand vorgekommen, aber so etwas noch nicht!« Frank Gunters ratloses Staunen wich nicht aus seinen Mienen.
»Hast halt eine gelehrige Schülerin vor dir!«, lachte Frigga hell auf.
»Das kann man wohl behaupten!« Gunter betrachtete kopfschüttelnd das Mädchen wie ein seltsames Wunder. Dann atmete er einmal tief: »Sag bloß in aller Welt, wie hast du das herausbekommen?«
»Meine Behauptung stimmt also?«
»Haargenau, sogar die Zeit hast du richtig angegeben!«
»Freut mich!« Frigga lächelte spitzbübisch hinüber und schüttelte sich vor Freude.
»Nun aber mal 'raus mit der Sprache! Ich möchte doch wirklich wissen, wie ein Neuling, der zum ersten Male ein Raumschiff benutzt, solche exakten Feststellungen treffen kann!«
Da berichtete Frigga von ihrer Beobachtung, wie sie im Stuhl das Empfinden hatte, leicht zur Seite gedrückt zu werden, wie sich das zweimal wiederholte, erzählte von der Kombination ihrer Wahrnehmung mit Gunters technischen Erläuterungen, seinen Worten von Richtschüssen und schließlich den physikalischen Folgerungen, die sie aus der Begebenheit mit ihrem Wissen gezogen hatte.
Gunter folgte mit gespanntester Aufmerksamkeit ihrem Vortrag. Aus seinen Augen leuchtete nun, da Frigga geendet hatte, der frohe Glanz einer stillen, großen Freude. Das also war die andere Frigga Holk, wie er sie nie erlebt hatte! Und doch hatte er in leiser Sehnsucht eine solche Entwicklung immer gewünscht und erhofft. Was hatte Ingeborg Torwaldt zu ihm gesagt? — »Sie sollten Frigga mehr an Ihrer Arbeit teilnehmen lassen!« Gingen jetzt schon diese Worte in Erfüllung?
Frigga mußte die Veränderung in Gunters Ausdruck bemerkt haben. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht.
»Du sagst ja gar nichts, Frank!«
Noch immer schwieg Gunter, in einem erlösten Schauer befangen. Dann beugte er sich vor, als ob er das ihm so liebe Antlitz noch deutlicher wahrnehmen wollte.
»Frigga, du hast mir eine große Freude bereitet! Komm! — — — Gib mir deine Hand!« Gunter streckte seine Rechte in einer bezwingenden Männlichkeit über den Tisch vor.
Doch Frigga zögerte einzuschlagen.
»Gib nur, Frigga! Alles, was du gesagt hast, ist richtig, richtig beobachtet und richtig ausgelegt. Verargst du es mir, wenn ich mich freue, daß gerade du solche Aufnahmefähigkeit besitzt und solches Interesse an meiner Arbeit nimmst?«
Da schlug Frigga ein, doch deutlich sprach aus ihren Augen, daß eine solche Entwicklung der Dinge ihr Unbehagen bereitete.
Frank Gunter zog nach kurzem Verweilen und einem dankbaren Blick seine Hand zurück, stemmte beide Ellbogen auf die Knie und stützte nachsinnend das Kinn auf die verschränkten Finger. »Schau, Frigga! Ich wollte dich heute morgen am Strand aufsuchen. Es muß einmal Klarheit zwischen uns kommen. Die sich drängende Arbeit machte die Ausführung meines Vorsatzes unmöglich. Nun bist du hier. Gegen meinen Willen. — Schicksal!« — Ein Achselzucken.
»Ich sollte aber dein Schiff zur Überfahrt benutzen!«, begehrte Frigga auf, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Ja, der Befehl Doktor Torwaldts lautete so. Doch inzwischen sind Dinge eingetreten, die die Verhältnisse so grundlegend änderten, daß ich die Verantwortung, dich als Passagier mitzunehmen, nicht übernehmen durfte!«
»Mich nicht mitnehmen durftest?!«
»Nein, Frigga! Dich nicht und auch keinen anderen!«
»Frank, was soll das? — — Was geht hier vor?« Jäh brandete in Frigga Holk die Angst wieder empor, von einer Umgebung, die sie nicht meistern konnte, überwältigt zu werden.
Frank Gunter stand plötzlich auf. Den zweifelnden Blick dieses Mädchengesichts, aus dem schon reifende Frauenart leuchtete, ertrug er nicht. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, nahm er den kurzen Weg von dem Schreibtisch bis zur Wand neben seinem Lederstuhl auf.
»Frank! Du bist nervös!« Noch einmal siegte die um ihre Geltung ringende Frau.
»Ja! Ich bin's in den letzten 48 Stunden geworden!« Unentwegt durchmaß im Dämmerlicht die ragende Gestalt den schmalen Raum, und ihr verflatternder Schatten eilte gespenstig über die Wände.
»Ich hab' dich nicht mitnehmen dürfen, weil diese Fahrt«, er setzte sich jäh auf die Schreibtischkante, griff in die Seitentasche, holte seine Zigaretten hervor, warf die Schachtel urplötzlich mit Widerwillen erfüllt auf die Tischplatte, »weil diese Fahrt — —«
»Frank — —!«
»Es geht um Sein oder Nichtsein von uns allen. Drüben ist die Marskrankheit wieder ausgebrochen. Meine einzige Ladung ist das Heilmittel. — — — Der Kurs meines Schiffes ist der gewagteste, den je ein Raumschiff unternahm. Ich muß den Kameraden helfen! — — — Da gehörtest du nicht hin, Frigga! — — — Es geht um uns alle!«
Die Stimme bebte brüchig vor innerer Erregung.
Frigga Holk starrte erschüttert auf den Mann, der eben noch sein persönliches Erleben in den Vordergrund rücken wollte und wieder bezwungen wurde von diesem ihr unfaßbaren Gemeinschaftssinn, sie in der Stunde der Gefahr nicht einmal an seiner Seite wissen wollte! So groß ist seine Liebe? Ihre verstörten Sinne waren nicht fähig, ein Wort zu formen. Und ehe sie es sich versah, glitt Frank Gunter von seiner Ecke herunter, nahm seinen Platz im Sessel wieder ein und berichtete über den Tisch hinweg in rasender Eile von den Ereignissen der letzten 24 Stunden, erklärte alles, verschwieg nichts.
Eine zerfahrene, suchende Bewegung neben dem Stuhl zur Wand. Irgend etwas mußte er dort gefunden haben. Er lehnte sich zurück in aufatmendem, erlösendem Schweigen.
Frigga war fassungslos. Was sie jetzt vernommen hatte, durchschüttelte sie. Tod und Not dort drüben. Diese furchtbare Seuche. Ja, gewiß, gehört hatte sie vor Jahren davon. Doch diese entsetzliche Wahrheit!
Not und Tod, wenn die Fahrt mißlang! Und in eines Mannes Tatkraft lag die gemeisterte Zukunft? Strahlendes, neuschaffendes Leben oder Untergang?
HD-42 — das Ersatzschiff — bei allem Wagemut noch eingesetzt, auf alle Fälle Hilfe, wenn auch spätere, zu bringen. So also handelte ein Mann?
Es klopfte.
»Herein!«
»Herr Kommandant haben geschellt?«
»Ja, Karl! Lassen Sie starken Kaffee anrichten!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Die Tür schloß sich geräuschlos hinter dem davoneilenden Steward,
Frigga Holk blickte zu Frank Gunter auf.
»Frank! Das ist doch bare Torheit! Du bist am Rande deiner Nervenkraft! Wozu jetzt noch die Peitsche mit starkem Kaffee?«
»Ich weiß, Frigga! Lieb, daß du so um mich besorgt bist! — — — — Aber«, eine müd abwehrende Geste der rechten Hand — »ich muß durchhalten, dieses Mal noch durchhalten. Der Körper schafft's nicht mehr. — — Die letzte Fahrt war zuviel! — — — Die nächsten 24 Stunden komme ich doch nicht zum Schlaf! — — — Ich darf nicht! — — — Erst muß die Venus passiert sein! — — — — Dann droht keine Gefahr mehr. Bis dahin aber gehört der Kommandant eines Schiffes auf die Kommandobrücke!«
»Siehst du denn solche Gefahren?« Friggas beherrschte Stimme strahlte beruhigende Güte aus.
»Nein! Sonst würde ich unverantwortlich handeln. Der Kurs ist gewagt und — — — —«, Gunter zögerte einen Augenblick nachdenklich, »nur jetzt gefährlicher geworden, als ich je annehmen konnte, weil HD-66 nicht so exakt den Instrumenten gehorcht, wie ich voraussetzen mußte. Der Meteoreinschlag scheint irgendwie seine Nachwirkungen zu zeigen.«
»Worauf?« — Frigga wollte um ihr Schicksal wissen.
»Auf zwei äußerst wichtige, überaus empfindliche automatische Kursregulierungsgeräte. Berger versucht zur Zeit, den Fehler zu beheben.«
»Und wenn er ihn nicht beheben kann?«
»Dann können wir nicht mehr blind fliegen, sondern müssen wie die ersten Raumfahrer in zehn Minuten Abstand die Sternpeilung vornehmen, den Kurs ständig unter optischer Überwachung halten.«
»Das heißt, daß alle Navigationsoffiziere auf Wache sein müssen, die ständig neuen Beobachtungen auszuwerten, um danach zu handeln?«
»Sehr richtig, Frigga! — — Ich bin erstaunt, wie rasch du aus meiner Darstellung die Folgerung gezogen hast.«
Irgendwie mußte Frank Gunter dieses Mitgehen Friggas von dem Zwang seiner Vorstellungen erlöst haben. Seine Augen wurden ruhiger, der unstete Glanz wich.
»Du mußt also bald wieder nach oben gehen?«
»Berger ruft an, wenn sein Vorhaben mißlingt.«
Wieder klopfte es. Der Steward erschien und rollte vor sich her ein kleines Tischchen. Seine geschickten Hände setzten Teller und Tassen zurecht.
»Darf ich einschenken, Herr Kommandant?«
»Ja, bitte, Karl!«
Die gefüllte Tasse reichte er Frigga Holk, bediente Frank Gunter, legte Teller vor und hob von dem Serviertisch Gebäck und kleine Erfrischungen, die er handgerecht darbot.
»Danke, Karl!«
»Wünschen Herr Kommandant noch etwas?«
»Nein, Karl! — — Wer hat jetzt Küchenwache?«
»Ich, Herr Kommandant, bis 6 Uhr.«
»Es ist gut, Karl. Es kann sein, daß ich später von der Kugelzentrale anrufe.«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Eine knappe Verbeugung. Der Steward verließ den Raum.
»Trinkst du zum Kaffee etwas?«
»Hast du einen Weinbrand da?«
»Gewiß!« — Frank Gunter langte unter die obere Platte des Rolltischchens, zog eine Flasche hervor, entnahm die Gläser und schenkte ein.
»Bitte, Frigga!« Frigga griff nach der dargereichten Schale.
»Prost, Frank!«
»Prost, du freiwillig-unfreiwilliger Passagier!«
Frigga Holk lachte, als sie das Glas niedersetzte.
»Aus euch Mannsvolk wird man nie schlau. Markiert die Ruhe, wenn dicke Luft ist, überschüttet einen mit Eröffnungen, daß man selber wie durchgedreht ist, und habt euch plötzlich wieder so in der Gewalt, als ob nicht das geringste euch erschüttert hätte.«
»Wie schmeckt dir der Kaffee?« Frank Gunter schlürfte andächtig an dem heißen, stark duftenden Trank.
Frigga schüttelte fassungslos den Kopf.
»Wie schmeckt dir der Kaffee? — — — — Das ist nun die einzige Antwort, die man erhält? Seid doch alle große Kinder, ihr großen Männer. Und, ich möchte fast glauben, daß dieses unbefangene Kindertum euch erst zu den Taten befähigt, die ihr genau so unbefangen vollbringt.«
»Mag sein! — Aber trink mal! Den Kaffee hat meine treue Seele Karl wirklich vorzüglich zusammengebraut!«
Frigga Holk folgte nach einem kurzen, nachdenklichen Aufschauen der Aufforderung.
»Ausgezeichnet! — — Und das an Bord eines Weltraumschiffs. Hochachtung vor der Reederei!«
»Ja, Frigga! — — Jetzt uzen wir uns gegenseitig an, und ganz andere Probleme bewegen uns!«
»Nein, Frank! Mich nicht!« Die gesammelte Abwehr tönte aus den Worten.
»Mich aber!« Gunter setzte die Tasse nieder. »Frigga! — — Ich sagte dir vorhin, daß ich heute früh Klarheit zwischen uns schaffen wollte.«
»Ja, Frank!« — Und, als sich die ranke Mädchengestalt im Sessel aufrichtete: »Ich habe die Klarheit längst gewonnen!«
»So?«
»Vergiß, was war!«
»Das sagst du mir heute?«
»Ja, Frank!«
Frank Gunter biß die Zähne zusammen. Die Muskeln an den Kiefern schwollen steil an. Seine Hände preßten sich, unsichtbar für Frigga Holk, unter dem Tisch. Er straffte sich, blickte sie gerade an.
»Ich kann nicht vergessen, Frigga! Gib mir eine Erklärung!«
»Wir passen nicht zusammen, Frank! Ich hatte dich liebgewonnen als den Mann und Draufgänger. Ich habe aber den Vagabunden in dir erkannt,« — und als sie Gunters herrisches Aufbegehren wahrnahm —, »besser gesagt, den ruhelosen Faust. Du kannst nicht anders, als ständig mit deiner Umgebung und deinem Schicksal zu ringen. Dein Einsatz ist dir Genugtuung. Ich aber benötige mich umwerbende Ruhe. Ich will einmal Mutter werden!« Schwer tönten die Worte Friggas. »Der Vater meiner Kinder soll nicht im Weltenraum hin und her fahren. Er muß bei mir sein, bei meinen Kindern sein. Seine Stetigkeit soll mir täglich neue Kraft geben. Der Gedanke aber, daß meines Mannes Einsatz nicht mir, sondern ausschließlich der Befriedigung seiner Tatkraft gilt, ist für mich unerträglich.« Frigga Holk schwieg. Ihre Brust hob und senkte sich in jäher Folge. Jetzt war es heraus. Gut, daß die Aussprache endlich gekommen! Der Zustand des ewigen Katz-und-Maus-Spielens hatte ein Ende.
Frank Gunters Finger trommelten gegeneinander. Sein Gesicht, in dem es hart arbeitete, war niedergewandt.
»Dann gelten deine Vorwürfe nicht so sehr mir wie meinem Beruf, Frigga?«
»Schon! Du aber bist von deinem Beruf untrennbar. Menschen wie du gehören zu solchem Beruf. Du wirst dich nie in der Enge eines ruhigen Familienlebens wohlfühlen können. Ich andererseits weiß, daß ich auf die Dauer nicht die Kraft aufbringen kann, mit dir und deiner sprunghaften Art zu ringen.«
»Ist deine Liebe so schwach, daß du noch selbst in ihrem Mittelpunkt stehst?«
Frigga zögerte einen Augenblick, dann antwortete sie:
»Ich könnte mir vorstellen, daß ich in einer großen Liebe so aufgehe, daß ich mich aufgebe. Doch in einer anderen Umgebung und einem Manne gegenüber, dessen gefestigtes Wesen mein ganzes Sein mit hingebender Achtung erfüllt. Meine Art erträgt nicht dein ruheloses Suchen und Stürmen, — — — — Mein Entschluß ist nicht von heute. Ich habe in den vergangenen Wochen alles reiflich überlegen können. Meine Worte waren klar und aufrichtig. Eine liebe Erinnerung wird uns den Weg zur Kameradschaft erleichtern!«
Sie stand auf, schritt um den Tisch auf Frank Gunter zu, dessen Kopf noch immer niedergewandt auf den aufgestützten Händen ruhte. Frigga beugte sich über ihn, und ihre Lippen berührten sein Haar. »Gute Nacht, Frank! — — Du mußt jetzt allein mit dir fertig werden!«
Leise Schritte verwehten hinter Frank Gunter, die Tür öffnete sich und fiel sacht ins Schloß.
Doch Gunter verharrte regungslos. Sann, sann über eine zerstörte Hoffnung, sann über die ihm zugeschobene Schuld.
Eine Viertelstunde mochte vergangen sein, da stand er auf, löschte das Licht und suchte mit harten Schritten die Kugelzentrale auf.
Das zweite Frühstück um 10 Uhr morgens vereinte die drei wieder im Eßzimmer des Kommandanten. Berger war unbekümmert wie immer und hieb in die dargereichten Platten ein, daß Friggas Erstaunen über solch gesunden Appetit zusehends wuchs. Frank Gunter war stiller. Sein Gesicht zeigte Abspannung. Die dunkelgeränderten Augen sprachen von einer schlaflosen Nacht. Frigga Holk duftete in morgendlicher Frische, plauderte heiter und erkundigte sich mit lebendiger Anteilnahme nach der nächtlichen Arbeit der Männer.
»Da ist es Ihnen doch gelungen, die beiden Registrierinstrumente in Ordnung zu bringen?« Friggas Frage, während sie gelassen ihre Röstbrotschnitte mit Butter bestrich.
»Ja, Fräulein Holk! So gegen 4 Uhr früh nach Erdzeit, und das ist auch unsere Bordzeit, waren die Dinger soweit.« Berger griff bedächtig zur Kaffeetasse, nahm einen Schluck und hub mit seiner tiefen Baßstimme wieder an: »Der Horizontalregistrator arbeitet in alter Frische. Der Vertikalindikator hat eine geringfügige Mißweisung, deren Skalenprozente in einer Meßkurve aufgenommen sind.«
»Brr — —! Schon wieder dieser Wust von technischen Ausdrücken! Horizontalregistrator, Vertikalindikator, Skalenprozente, Meßkurve — und das auf fast nüchternen Magen!«
Frigga Holk schüttelte sich lachenden Auges in gutgespielter Verzweiflung.
»Furchtbar einfach, Fräulein Holk!« Berger brummte wieder wohlgelaunt: »Der Horizontalregistrator zeigt die Abweichung des Raumschiffes in seiner horizontalen Ebene an, also die Abweichung von seiner Fahrtrichtung nach rechts und links, wenn ich so sagen darf. Der Vertikalindikator weist die Abweichungen nach oben und unten.«
»So, jetzt ist mir das schon wesentlich klarer geworden!« Frohgelaunt blickte Frigga Holk den Erklärungfreudigen an.
»Ja!« — Ein tiefes Schnaufen.— »Nun gibt es aber im Weltenraum weder einen Horizont, noch rechts und links oder oben und unten. Die Ausdrücke sind von ähnlichen irdischen Instrumenten entlehnt und beziehen sich auf die gedachten Bahnebenen. Die beiden Instrumente zeigen aber nicht nur diese Abweichung an, die daher rührt, daß unsere Elektronendüsen niemals exakt gleichmäßig arbeiten, sondern korrigieren auch fortlaufend automatisch den Kurs, bemühen sich also, das Raumschiff auf einer Linie oder Kurve zu halten, die unseren Raumstartpunkt von der Erde mit den anzusteuernden Kurspunkten verbindet.«
»Aha! Also das, was man bei Schiffen ein Selbststeuergerät nennt!«
»Sehr richtig, Fräulein Holt! Nur daß ein Schiff in See höchstens nach einer Richtung abweichen kann, während wir in zwei Ebenen fehlsteuern könnten.«
»Leuchtet mir ein!« Frigga setzte ihre Teetasse nieder. »Und da haben Sie also das eine der Instrumente wieder zurechtbekommen und das andere nicht?«
»Doch, das andere auch! Wir können aber mit unserem Bordwerkzeug die Mißweisung nicht kompensieren und haben die pro Grad prozentuale Fehlanzeige in einer Kurve eingetragen, die jetzt als Unterlage der Berechnung und Einstellung des Instruments gilt.«
»Ah! Das ist ja schrecklich einfach! Warum haben Sie das nicht gleich so ausgedrückt?«
»Hö — — hö — — hö —!«, ertönte das tiefe, dröhnende Orgeln Bergers. »Bin nicht gewöhnt, Frauensleut' so was zu erzählen. Red' da einfach, wie wir's an Bord gewöhnt sind!«
»Nimmst du noch etwas?« Frank Gunter, der, bisher schweigend, recht wenig verzehrt hatte, und oft wie abwesend dem Gespräch der zwei gefolgt war, wandte sich, die Aufschnittplatte darreichend, an Frigga.
»Danke, Frank! Das Frühstück war gut und reichlich!«
»Und Sie, Berger?«
»Hm!« Ein prüfendes Gleiten der Augen über die lockenden Köstlichkeiten. — — »Dem Rest des Schinkens könnte ich noch den Garaus machen.«
Ein kurzer Ruck zum Besteck, drei Scheiben rohen Schinkens pendelten unter der Gabel und landeten mit leichtem Aufschlag auf Bergers Teller.
Kapitän Berger wandte sich andächtig seinem selbstgewählten Nachtisch zu.
»Was machst du jetzt, Frank?«
»Wir werden gleich wieder unseren Dienst aufnehmen!«
»Darf ich mitkommen, die Geheimnisse der schon so oft erwähnten Kugelzentrale einmal zu schauen?«
»Gewiß, Frigga! Ich hatte es dir ja gestern versprochen!«
»Natürlich müssen Sie mitkommen!« Die wenigen Stücke des noch auf seinem Teller vorhandenen Schinkens zwischen Messer und Gabel zerteilend, schaute Kapitän Berger kurz auf und vertilgte dann seelenruhig die letzten Bissen.
Fassungslos beobachtete Frigga Holk diesen urgesunden Appetit.
»So!« Der biedere Käpt'n richtete sich mit einem hörbaren Seufzer der Befriedigung auf, wischte sich umständlich mit der geblümten Frühstückserviette den Mund. »Sagen Sie mal, Gunter! Haben Sie so was Ähnliches wie einen Steinhäger in Ihrer fahrbaren Getränkekiste?«
Über Gunters Miene huschte das verbindliche Lächeln des Gastgebers. Er stand auf.
»Können Sie haben!«
Ein paar Schritte zu dem kleinen Rolltisch. »Böse Menschen haben so etwas Hausbar getauft!« Damit schob Frank Gunter den Tisch näher.
»Hö — — hö! Lassen Sie doch die bösen Menschen reden, was sie wollen! Habe die ganze Nacht gearbeitet. Speis und Trank hält Leib und Seele zusammen! — — Nö — — nö — — —! Allein trinke ich nicht!« Die unglaublich friedfertige Ablehnung Bergers. »Ihren Lebensgeistern kann die kleine Anregung auch nicht schaden!«
Frigga beobachtete nur, wie Frank stehend, in müdem Verzicht, ein zweites Glas sich einschenkte.
»So ist's richtig! Prost, mein lieber Gunter, und auf Ihre Gesundheit, Fräulein Holk!«
Ein andächtiger Schluck des allen Lebensfreuden zugetanen
Kapitäns beschloß dessen Rede. Doch Frank Gunter stürzte den klareisigen Inhalt der Schale hinunter, als ob er ein brennendes Feuer löschen wollte.
Die folgenden Stunden brachten Frigga Holk manche Überraschung. Hatte Frank Gunters müdes und verzichtendes Gebaren während des Frühstücks in ihr den Eindruck erweckt, daß die freimütige Aussprache des gestrigen Abends seine selbstsichere Art, seine Seele erschüttert hatte, so überzeugte sie der Kommandant Gunter in seiner Kommandozentrale durch die gelassene und selbstverständliche Beherrschung seiner Umgebung. Kein Wort zuviel, nichts von Unsicherheit. Unverständliche Zahlen durchschwirrten den Raum, der nur für rätselhafte Instrumente erbaut schien. Meldungen kamen von den Wachen. Freundlich und leicht berührte die Hand Gunters den Mützenrand.
»Danke!«
Dann nahm Frank Gunter am Tische Platz, auf dem aufgespannt der weiße Bogen, übersät mit Geraden und Kurven, lag. Er verglich ruhig die Angaben mit den vorgeschriebenen Werten, nickte befriedigt:
»Kapitän Berger! Darf ich Sie bitten, das Kommando zu übernehmen? — — Zeit?« Ein Blick auf die Uhr: »11 Uhr 7.« Kurze Eintragung in das Bordbuch. »Kurs ist richtig!« Er erhob sich und machte seinem Nachfolger Platz.
»So, Frigga! Jetzt werden wir zuerst die optische Zentrale aufsuchen. Darf ich bitten?«
Er öffnete eine Tür zum Nebenraum und schloß sie wieder hinter Frigga.
»Du befindest dich, ich möchte fast sagen, im Auge der Kugelzentrale. Nimm, bitte, Platz!«
Frigga Holk folgte der Aufforderung; auch Gunter setzte sich ihr gegenüber an einen seltsamen Tisch, über dem eine für Frigga unverständliche Apparatur schwebte.
»Ich will dir zunächst den Begriff Kugelzentrale klarmachen. HD-66 hat, wie du weißt, die Form eines Torpedos, sieht in seinen gewaltigen Ausmaßen einem vergrößerten Zeppelin nicht unähnlich. Im Innern des Schiffes befinden sich drei nahezu gleichgroße Kugeln. Hinter dem Bug des Schiffes ist die Kommando- und Wohnkugel mit rund 30 Meter Durchmesser, dahinter zwei Kugeln mit je rund 50 Meter Durchmesser, die Frachtkugeln.«
»Warum diese Kugeln?« Ein rascher lebendiger Einwurf Friggas.
»Augenblick, bitte! Das kommt später. Ich möchte dir zunächst einmal die Größenverhältnisse dieser Kugeln vermitteln. In einer dieser Frachtkugeln kannst du bequem zwei normale 4-Etagen-Häuser der Großstadt aufeinandersetzen und noch in den frei bleibenden Raum rundum eine ganze Reihe Einfamilienhäuser packen.«
Gunter lächelte, als er Friggas verblüfftes Gesicht wahrnahm.
»Vergiß nicht, jede dieser Kugeln hat fünfzig Meter Durchmesser!«
»Das sollte man nicht für möglich halten, wenn man das gewiß gewaltige Schiff in seiner schlanken Schönheit auf dem Haff liegen sieht.«
»Es ist aber so! — — — Doch ich wollte dir von dem Zweck der Kugeln berichten!«
»Halt! Noch eins, Frank! Warum gondelt ihr nun zwischen Mars und Erde hin und her, anstatt euch dem entschieden gewinnbringenderen Geschäft des Betriebes einer irdischen Luftreederei zwischen Europa und Amerika zu widmen? In einem Viertel der Zeit, ja, noch rascher, könntet ihr die Entfernung meistern. Der Energieaufwand aus Atomzertrümmerung, wie du mir gestern sagtest, spielt als Kosten keine Rolle, steht auf alle Fälle in keinem Verhältnis zu dem Verbrauch an Kohle und Öl von Dampfern. — Warum tut ihr das nicht? Einfach — bequem! — Obendrein konkurrenzlos und äußerst einträglich!«
Frank Gunter schaute sie sinnend an.
»Und was geschähe dann — — — —?«
»Was soll schon geschehen?« Friggas Finger fuhren schnippend in die Luft.
»Du kennst Helo Torwaldt nicht!« Nachdenklich schüttelte er sein Haupt, und seine Augen prüften forschend das Antlitz seines Gegenübers. »Was dann geschähe? Ich kann es dir sagen! Ein furchtbares Leid würde ein einzelner der gesamten Menschheit antun. Nichts würde er ihr bieten können für den Raub unzähliger Lebensmöglichkeiten. Er allein wäre für kurze Zeit der gewissenlose Herr aller Verkehrsbedingungen, nur sich selbst aus dem Blut der brotlos Gewordenen bereichernd! Irrsinniger Haß würde ihn treffen und trifft ihn, das Werk zu vernichten. Tausende und aber tausende Schiffe, von Menschengeist ersonnen, mit Menschenschweiß gebaut, wären nur noch wertloses Eisen; doch das wertlose Eisen würden die Gegner in Stahl umschmelzen und mit dem daraus gewonnenen Kriegsgerät den anmaßenden Zerstörer ihrer Lebensbedingungen und seine Werke ausrotten. Das wäre das Ende!«
Frank Gunter verharrte einen Augenblick, da Frigga ihn fassungslos anblickte.
»Torwaldts Erkenntnisse, seine Macht über neuentdeckte Naturkräfte schufen ihm einen Vorsprung vor allen Forschenden der Welt. Er aber nutzte die Möglichkeit, zu herrschen, nicht, sondern suchte neue Wege, sein Wissen, seine Bezwingung der von keinem erkannten Atomkräfte, in eine alle erlösende Tat umzuwandeln. Er wußte, daß Herrschen nur möglich ist in einem organisch gewachsenen Gebilde, nicht aber durch Zwang der Bezwungenen, die sich nicht ebenbürtig fühlen können. Torwaldt besiedelt den Mars, die Menschheit zu erlösen aus der drangvollen Enge, die durch fortschreitende Heilkunde und gestiegenen Raummangel infolge größeren Kinderreichtums auf unserem Planeten hart die Völker bedrängt. Er griff nicht brutal in die Geschäfte irdischen Handelns ein, sondern zog sich zurück auf den fernen Stern, dort unangreifbar sein Werk zu vollenden, fern der Möglichkeit, daß die Tat verleumdet oder durch die Vielfältigkeit persönlicher Sinnesart und eigennütziger Bestrebungen gehemmt werde. Dort ist er wahrhaft königlicher Herrscher, noch über nur einige Zehntausende erster Siedler, die gläubig ihr Schicksal ihm anvertrauten, die glücklich sind, ihm und seinem hohen Werk zu dienen, das dereinst allen, ihnen selbst und ihren Nachfolgern, die von der Erde noch kommen werden, in Millionenzahl — ist die Vorarbeit erst getan — zur Erlösung aus irdischer Enge gereichen wird! — — — Wir alle dienen ihm getreu, denn er allein handelte uneigennützig!«
»Frank! — — — — Wie sprichst du?«,
Gunter fühlte den verstörten Ruf nicht, fuhr unerschüttert fort: »Nach Torwaldts Willen soll dereinst die erlöste Erde teilhaftig werden aller Erkenntnisse. Langsam, Stück auf Stück, will er sein Wissen preisgeben, wie Zug auf Zug die vielfältig zerspaltene Menschheit in einem höheren Gemeinschaftsgefühl sich verständigt und einigt. Einst werden die vergeudeten und sinnlos verschwendeten Rohstoffe der Erde so knapp werden, daß die Menschheit Einkehr halten muß. Was Einsicht nicht nötigt, zwingt Zwang der Not! Erlösung kommt nur von dem Vorausschauenden, der früh schon den neuen Glauben pflanzte, ein anders gestaltetes Leben für die Zukunft zu meistern!«
Frigga Holk lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Ihrer scharfen Beobachtungsgabe entging nun nicht, daß Gunter den Kampf seiner Seele ihr öffnete, ihr unbewußt als Mann die Triebfeder seines Handelns bloßlegte. War das Absicht, oder hatte sie ihn durch ihren Hinweis auf den entschieden gewinnbringenderen Einsatz der Raumschiffe in Verkehr von Kontinent zu Kontinent auf solche Abschweifung geführt?
Frank Gunter schwieg, für kurze Zeit in seinen Gedankengängen befangen, dann fuhr er, den Kopf hebend, gelassen fort:
»Doch ich wollte dir von den Kugeln und ihrem Zweck berichten. Jede dieser drei Kugeln ist in je einem Zapfen rechts und links so gelagert, daß sie sich um ihre Mittelachse drehen kann. Der Zweck dieser technischen Anlage ist folgender: Liegt zum Beispiel das Raumschiff auf dem Wasser des Haffs, so ist sein Schwerpunkt unten, der Erde zugewandt. Im Weltraum aber liegt sein Schwerpuntkt, jetzt augenblicklich, achtern, das heißt hinten; wenn wir den Fahrtmittelpunkt erreicht haben und mit den Bugdüsen abbremsen, lagert er sich nach vorn, je nachdem von wo die — sagen wir einmal — Ausstoßkraft wirkt. Die um je 90 Grad gedrehten Lagen kommen also jetzt schon vor. Du weißt ferner, daß die Raumschiffe häufig auch in einem Winkel von 45 Grad und mehr von der Erdoberfläche aufsteigen und landen. Für Passagiere und Besatzung wäre es unerträglich, wenn der Fußboden in einem solchen Winkel schief stehen würde, sogar Fußboden, Decken und Wände vertauscht würden, je nachdem aus welcher Richtung die Anziehungskraft wirkt. Noch schlimmer aber sähe es um jede Ladung aus. Es gibt wohl keine technischen Mittel, Kisten oder Ballen so fest zu zurren, daß sie nicht bei den vielfachen Verlagerungen des Schwerpunktes durcheinanderpurzeln und dabei beträchtlich Schaden nehmen würden.
Die geniale Lösung Nords befreite uns von all den eben geschilderten Übeln. Die drei Kugeln können sich jederzeit in ihren Lagern dem jeweiligen Schwerpunkt anpassen. Sie drehen sich einfach, ohne daß du es verspürst. Der Fußboden bleibt immer senkrecht unter dir, die Decke über dir. Ebenso kann das Frachtgut unbefestigt in den einzelnen Räumen verstaut werden, ohne daß es irgendwelchen Schaden leiden kann. Der Schwerpunkt der Kugeln bleibt stets der gleiche, also unten, wenn ich mich so ausdrücken darf. Kannst du das verstehen?«
»O gewiß, Frank! Ich bin nur verblüfft, wie einfach die Schwierigkeiten von Herrn Nord gemeistert wurden. Ich hatte mir bisher überhaupt noch keine Gedanken darüber gemacht, daß gestern auf der Erde unser Fußboden sozusagen unten war, dem Bauch des Raumschiffes zu, und jetzt hinten, dem Heck des Schiffes zugewandt!«
»Ja! Nun stelle dir aber einmal die Schwierigkeiten vor, die Helo Torwaldt auf seinen ersten Fahrten zum Mars zu überwinden hatte; denn damals gab es die Nordsche Erfindung des Kugelausgleichs noch nicht.«
»Um Gottes willen, was haben die Ärmsten da durchgemacht!«
»Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß einzelne wichtige Teile in HD-1, wie Instrumente, Schränke, Betten und so fort, jeder für sich drehbar in Gelenken aufgehängt waren; der Betrieb auf diesem kleinen Schiff spielte sich aber im Weltenraum nur auf Leitern ab!«
»Brr! —« Frigga schüttelte sich. »Das wäre nichts für mich gewesen. Da fahre ich schon lieber mit diesem Luxusschiff und hab' den Boden stets unter mir!«
»Zu den Kugeln ist noch zu sagen, daß die Frachtraumkugeln vor Antritt der Fahrt evakuiert, also luftleer gepumpt werden. Das Raumschiff verliert dadurch rund 150 000 kg irdisches Gewicht, für den Fall, daß es nicht beladen ist. Das Ladegut selbst nimmt natürlich einen Luftraum ein, und so ist der Vakuumauftrieb von Menge und Art der Güter abhängig und bei jeder Fahrt verschieden.«
»Das leuchtet mir ein!«, entgegnete Frigga, als Frank Gunter eine Pause in seinem Bericht machte.
Dann fuhr er fort: »Um mit meinen Erläuterungen der Innenkonstruktion der Raumschiffe zu Ende zu kommen: Die Segmente, also der im Querschnitt pilzförmige Raum zwischen den drei Kugeln, enthalten auf der Unterseite des Schiffes Wasserflutungs-Ballastzellen, oben Hochvakuumkammern. Wir sind durch die Art der Konstruktion somit in der Lage, das gesamte Raumschiff mit Ausnahme der Kugel 1 luftleer zu machen. Das gibt uns nicht nur in der Atmosphäre der Erde und des Mars erheblichen Auftrieb, denn nichts, also das Vakuum, wiegt weniger als etwas, in diesem Falle die Lufthülle der Planeten, sondern spart auch im Weltenraum die zu beschleunigende Masse, demnach Kraft. Die Kugel Nr. 1 muß naturgemäß Luft enthalten, da wir, die Besatzung und Passagiere, darin leben. Damit hätte ich dir in den Hauptzügen den konstruktiven Aufbau eines Raumschiffs erklärt!«
»Ich habe auch nahezu alles verstanden«, entgegnete Frigga langsam und bewußt. Doch aus der Art ihrer Sprechweise war zu erkennen, daß ihre eigenen Gedankengänge sie noch beschäftigten. Sie schaute plötzlich auf.
»Frank! Du erzählst das alles viel rascher als gestern!«
Gunter blickte sein Gegenüber unbefangen an.
»Ich glaubte dich so weit vorbereitet, daß ich alle Erläuterungen über Unwesentliches fortlassen durfte!«
»Gewiß! Ich bin auch damit fertig geworden. — Doch — — manchmal beschlich mich das Gefühl, als ob ein Privatdozent spräche und nicht du!«
»Wenn du es wünschst, Frigga, dann lege ich den Ton auf Dozent, nicht auf privat!«
»Dein Entgegenkommen, mich in die Geheimnisse deines Schiffs einzuweihen, beruht also nur auf deinem Pflichtbewußtsein, ein gegebenes Versprechen zu halten?«
»Nur — —? Nein! — — Meine selbstverständliche Pflicht ist es, mein Wort einzulösen. Mein klares Bewußtsein gebietet, die gestern entstandene Kluft nicht noch durch törichte Eigenbrötelei zu erweitern.«
Frigga Holk richtete sich auf, strich nachlässig mit den gespreizten Fingern der Linken die Haare über ihrer Schläfe zurecht.
»Es freut mich, daß du in dieser Form zu den Geschehnissen Stellung nimmst. Unsere Wege müssen und werden sich in der Gemeinschaft des Mars — wie du es ausdrücktest — häufig kreuzen. Ich achte deinen Kameradschaftssinn!«
Ein spöttisches Lächeln huschte über Frank Gunters Gesicht. »Sei unbesorgt, Frigga! Selbst da, wo es kein Vergessen gibt, hält Achtung die Wacht!«
»Soll diese Auslegung meiner Worte eine Demütigung darstellen?« Aus Friggas schmal zusammengezogenen Augen blitzte die Kampfansage.
»Nein, Frigga!l Ein Mann vergißt Liebe nie, die im Kampf ihm noch höhere Achtung abrang. — — — Ich sagte Kampf! — — — Der Kampf beginnt jetzt erst zwischen uns beiden. — — — Aus Rausch soll Liebe werden!«
»Laß das!« Eine jähe, erzürnte Gebärde der Gereizten.
»Ja, Frigga! — — Wir beide müssen erst den Weg zu unserem tiefsten Ich finden. — — — Und jetzt bitte Schluß mit den sogenannten Aussprachen, die nur neuen Streit erzeugen!« Frank Gunter stand rasch auf, machte sich an dem rätselhaften Gerät über dem runden Tisch zu schaffen, zog einen Tubus herunter, führte die einem Fernglas ähnlichen Doppelokulare in die Augenhöhe Frigga Holks, drehte an mehreren Einstellungsschrauben, ein Druck, das Deckenlicht erlosch.
Aus dem undurchdringlichen Dunkel erklang über Frigga eine ruhige, freundliche Stimme.
»Gewöhne dich kurze Zeit an das Dunkel! Adaptieren nennen es die Ärzte!«
In der Finsternis empfand Frigga Holk nur, daß ein neuer Zwang ihr angetan wurde, doch sie schwieg, ihr Aufbegehren meisternd. Ihr Sinn rang noch mit den letzten Worten Gunters.
»So!« — Ein knackendes Geräusch. Irgendwo in der Decke verborgene Leuchtröhren tauchten den Raum in ein tiefrotes Dämmern, welches die Umrisse der Gegenstände gerade noch wahrnehmbar machte.
Frank Gunter tastete sich zu seinem Stuhl und nahm Frigga gegenüber Platz. Das seltsame Gerät schwebte nun zwischen ihnen. Ein zweites Doppelokular richtete er in bequeme Höhe, schob den Kopf näher und blickte hinein. Seine beiden Hände hoben sich, stellten Lenkräder, die Augen an das Instrument gepreßt.
»Schau jetzt bitte einmal!«
Frigga Holk folgte der Aufforderung, beugte den Oberkörper über die Kante des runden Tisches vor.
»Das ist ja der Mond, Frank! — — — Der ist ja riesengroß! — — Halbmond! — — — Nur etwas verschwommen; kannst du nicht schärfer einstellen?«
»Das ist kein Halbmond, Frigga! — — — Das ist unsere Erde!«
»Die Erde?«
»Ja, Frigga! Die Erde als großer Stern mitten im Schwarz des Weltenraums. Ihre eine Hälfte ist von der Sonne beleuchtet. Tag haben die Menschen dort und auf der dunklen Seite Nacht. — — — — Was du als unscharfe Einstellung empfindest, verursachen die Lufthülle und dieWolkenbildung unseres Heimatplaneten!«
»Frank — — — — —!«
Doch Gunter schwieg. Er wußte aus eigenem Erleben, wie der Anblick des gebirggetürmten, flachen, ozeanweiten und an den Polen eisgefrorenen Grundes, den die Menschen Erde nennen, als Stern wirkt.
Nur das tiefe Atmen Friggas pulste vor ihm.
Da hub seine warme, weiche Stimme wieder an.
»Was du da so hell wie einen Spiegel, rechts, fast in der Mitte der erleuchteten Hälfte, blinken siehst, ist ein Stück des Atlantischen Ozeans. Etwas tiefer siehst du wolkenfrei die Pyrenäenhalbinsel und anschließend, selten klar, Nord- und Mittelafrika; selbst die Umrisse Südafrikas heben sich noch hell von den dunklen Wassern der Ozeane ab!«
Das Raumschiff HD-66 schoß mit unfaßbarer Geschwindigkeit unfühlbar durch das Weltenall, dem fernen Mars zu. Menschen sahen ihre Heimat — als Stern.
Minuten vergingen in entrücktem Schweigen.
»Mach bitte Licht, Frank!«
Ein hartes Knacken — gleichzeitig flammten die weißblendenden Lampen auf — zwang die Augen für Sekunden zum Schließen.
Frank Gunter war aufgestanden, schob die gesamte Apparatur in die Höhe wie eine Zugampel.
Er fühlte, wie die Augen Friggas heiß auf seinem Gesicht brannten. Gelassen nahm er wieder Platz, griff in die Tasche und bot Frigga seine Zigaretten dar.
»Ja! — — — — Ja danke dir! — — — Die Entspannung tut wohl!« Ein tiefer Zug, nachdem sie Feuer genommen hatte.
Dann saß Frigga Holk gedankenverloren da, richtete nur einmal ihre Blicke, den Kopf schüttelnd, auf die Fernglasapparatur, schaute dann wieder sinnend und grübelnd vor sich hin, und Frank Gunter beobachtete sie still.
»Frank! Das ist erschütternd! Diese rosa leuchtende Kugel, so groß wie ein Kinderluftballon, ist nun unsere große, weite Erde, und auf diesem jetzt schon so kleinen Scheibchen, da wohnen Millionen und aber Millionen Menschen in Freud und Leid, in Frieden und im Kampf? Zerstören ihresgleichen und ihre Umgebung, meist nur um eines so winzigen Stück Landes willen, das selbst mit dem schärfsten Glas von hier aus nicht mehr zu erkennen ist, führen Kriege, die Millionen des warmpulsenden Lebens kosten, um ein Fleckchen Unsichtbares in der gewaltigen Unendlichkeit des Weltenalls — — —?«
— — — —
»So sieht nun meine Erde aus?« Frigga schwieg. Gunter störte ihr Grübeln mit keinem Wort. Allen, die den Raum zwischen den Sternen durchfuhren, war die Erschütterung bei den ersten Fahrten nicht erspart geblieben. Da lagen noch die weit ausladenden Flächen von See und Land nahe des Startortes unter ihnen, immer kleiner und kleiner zusammenschrumpfend, um endlich ganz in Dunst und Schleier von Wolken zu verschwinden. Stunden vergingen. Das Auge vermochte aus dem rasend dahinschießenden Raumschiff schon die Umrisse der Erdkugel zu erkennen. Und diese Kugel wurde zur Scheibe, und abermals, nun nach Tagen, leuchtete die Erde still und friedlich als Stern, wie alle die Tausende rundum, unterschied sich durch nichts von den gleich aussehenden silbernen und goldenen Glitzerpünktchen am nachtschwarzen Firmament. Nichts hatte der Heimatplanet mehr voraus, er war gleichgemacht seinen Brüdern im All, nur die Sternenkarten wiesen ihn noch als »Erde« aus.
Da hub Frank Gunter, das lastende Schweigen brechend, an:
»Willst du noch mehr sehen, Frigga? — — Unser Ziel, den Mars? — — Die Planeten? Oder das Reizvollste, was es überhaupt zu schauen gibt, die Doppelsonnen und Nebel der Milchstraße?«
»Bitte, laß, Frank! — Mich beschäftigt zu viel!« Dann sah sie plötzlich auf. »Frank, ich beginne unter der Einwirkung dieses Erlebnisses das Werk Helo Torwaldts in aller erdenweiten Abgeschiedenheit zu verstehen!« Ihre Augen hingen fest in den seinen.
Es klopfte.
»Ja, bitte?« Frank Gunter straffte sich.
Der Steward trat ein.
»Herr Kommandant! Das Mittagessen ist angerichtet!«
»Wie? — Das ist doch unmöglich!« Der verblüffte Ausruf Friggas. »Wir sind doch eben erst vom Frühstück gekommen!«
»Verzeihung, Fräulein Holk! Es ist bereits fünf Minuten vor eins!« Die höfliche Entgegnung des noch an der Tür Harrenden.
Gunter lächelte nur und stand auf.
»Die Zeit wird zeitlos im Weltenall, wie du's selbst erfahren hast!«
»Bei Gott, ja!« Frigga Holk erhob sich, tief aufatmend. Sie und Gunter betraten wieder die Kugelzentrale. Der Steward schloß die Tür hinter ihnen.
Das Mittagessen war beendet. Kapitän Berger und Frigga Holk saßen allein in der Kommandokajüte. Gunter hatte den Dienst in der Kugelzentrale angetreten.
Berger schilderte der aufmerksam Zuhörenden mancherlei Erlebnisse früherer Fahrten, berichtete besonders von der Unvollkommenheit der damaligen Schiffe, wie Erfahrung um Erfahrung zusammengetragen werden mußte, jeder Bericht von den Konstrukteuren, besonders aber von Hannes Nord, ausgewertet wurde, bis man zu solch technisch vollendeten Wunderbauten gelangte, wie die letzten Raumschiffe, besonders aber HD-66, sie darstellten.
»Die Kugeln und ihren Zweck hat Ihnen ja schon Gunter erklärt. Ich will jetzt nur noch auf nähere Einzelheiten der sogenannten Kugelzentrale, also des Kommandoraums im Zentrum der Wohnkugel, eingehen«, fuhr er in seinem Bericht fort.
»Sind Sie denn gar nicht müde, Herr Berger?« Die freundliche Frage Friggas. »Sie haben doch seit mehr als 36 Stunden nicht geschlafen?«
»Ich? — — — Müde? — — — Hö — hö — hö!« Ein joviales Brummen Bergers. — »Müdsein kenne ich nicht!« Dabei griff er zu seiner Kaffeetasse, tippte mit der Linken dagegen. »Hier, der hilft immer, je stärker, desto besser!«
»Wenn Sie das Kaffee nennen, ich bezeichne diesen Extrakt als dreifachen Mokka. Einem ausgewachsenen Elefanten würde ein Herzklaps sicher sein!«
»Dann bin ich also mehr als ein ausgewachsener Elefant?« Berger lachte nur vergnügt.
Frigga Holk goß kopfschüttelnd die geleerte Tasse erneut voll. Fuhr dann im Gespräch fort:
»Warum ist übrigens Frank sogleich nach dem Essen in die Kugelzentrale gegangen? Er sagte zwar, der Dienst riefe ihn. Muß denn ein Raumschiffkommandant auch Wachdienst machen?«
»Eigentlich nicht!« Berger kramte in seiner Brusttasche und zog sein Zigarrenetui hervor. Die Auswahl einer der schwarzen Brasil beschäftigte ihn ganz. Dann legte er die gewählte Zigarre auf den Tisch und verstaute umständlich das Etui in der Tasche. — »Sie wissen doch«, fuhr er breit fort, »daß diese Fahrt außergewöhnliche Anforderungen an Mensch und Maschine stellt; da will er halt in unmittelbarer Nähe der Überwachungsinstrumente sein.
Gunters Ruf«, er schnitt die Spitze der Brasil ab und setzte diese in Brand, paffte einige Male laut, sich behäbig zurücklehnend, »Gunters Ruf als ohne Zweifel bester aller Raumschifffommandanten beruht nicht zuletzt auf seiner großen Umsicht und Einsatzbereitschaft. Er hat irgendwie eine Nase für kommende Gefahren und ist d a n n stets auf dem Posten!«
»Warum gerade dann? — — Man sollte doch stets auf dem Posten sein.«
»Nein! — — Hö — hö — hö! — Das kann kein Mensch, stets auf dem Posten sein, tagelang, wochenlang. Aber«, ein tiefer Zug aus der Zigarre, »gerade dann auf dem Posten zu sein, geführt von einem mit Vernunft nicht zu erfassenden Instinkt, wenn tatsächlich eine drohende, für andere nirgends erkennbare Gefahr naht, das ist eben seine Begabung! Macht ihm keiner von uns nach! — — — Dumme nennen so etwas Glück. — — — Hö! — — Gunter ist ja auch mein bester Schüler!«
Frigga mußte lächeln über die wohlgefällige Freude, die das Gesicht Bergers verklärte, der sich dann aber unwillig plötzlich mit seiner Brasil beschäftigte.
»Das Ding hat Beiluft!« Alles Wohlwollen war aus seinen Zügen gewichen, fast zornig stieß er die Worte aus.
»Aha!« Dann pappte der rasch an der Zunge angefeuctete dicke Finger auf den offensichtlich gefundenen Riß im Deck- blatt, noch einmal die Stelle feucht schließend. »Sooo! — — Na, endlich!« Dicke blaue Wolken entfuhren dem Munde, dessen grollende Wölbung sich friedlich geglättet um den braunen Stengel schloß.
Frigga hatte die kurze Szene in erheitertem Beobachten still in sich aufgenommen.
»Frank ist also Ihr Schüler?«
»Tja — — Fräulein Holk! Vor etwa sechs Jahren, ich war damals vier Jahre bei den Detatom-Werken, hatte gerade das erste selbständige Kommando als Raumschifführer auf HD-14, da wurde mir dieser Tunichtgut von Herrn Nord unter meine väterlichen Fittiche geschoben! Hö — hö! — Waren damals noch tolle Zeiten!«
»Warum sagen Sie Tunichtgut?« Gesammelte Wißbegier Friggas formte jäh die Worte.
»War ein verflixter Tunichtgut! Fast in der ganzen Welt herumgestrichen. Afrika galt seine besondere Liebe. Zweimal zwischendurch Studien betrieben und dabei anerkennenswert viel gelernt, aber nur dann, wenn es ihm paßte, kam dieser Vagabund zu uns und dachte sich, so sein eigenmächtiges Leben fortzuführen.« Ein befriedigter Seufzer entfloh mit einer dicken Rauchwolke den Lippen des Biederen. »Da kam er bei mir an den Verkehrten. Hö — — hö! — — Hab' mit dieser schlagfertigen Schnauze so manchen Strauß ausgefochten! — — — Waren noch tolle Zeiten damals! Der Lausejunge wußte alles besser, ging drauf wie der Teufel — — — Hat mir da Dinger gedreht, wenn ich ihm mal gutmütig die Leitung des Schiffes überließ, daß mir noch heute die Haare zu Berge stehen!« Dabei fuhr sich Berger mit gespreizten Fingern der hoch erhobenen Hand über den leuchtenden Vollmond seiner Glatze, der seit undenklichen Zeiten kein Wuchs mehr entsprossen sein konnte.
Wieder reizte der Lachteufel Frigga, und nur mühsam unterdrückte sie vor dieser unnachahmlichen Komik der Gebärde den Heiterkeitsausbruch.
»Tja! — —« Ein paar heftig paffende Züge aus der dunklen Brasil — — »Tja! — — Und dann wurde plötzlich aus dem Tunichtgut mein Erster Offizier und heute der beste Raumschiffkommandant.« Wie ein stiller Verzicht klangen die letzten Worte.
»Und Sie, Kapitän Berger?«
»Mich hat der Lausejunge«, und doch klang zufriedene Genugtuung aus der Stimme, »auf das Altenteil gesetzt.«
»Warum denn das?«
»Na! — — Er behauptete einfach vor Doktor Torwaldt, daß meine Erfahrungen in die Auswertungszentrale gehörten und nicht mehr in den aktiven Dienst!«
»Buh! — — Das war aber hart!«
»Nö — — nöööh! — — So hart war das gar nicht. Der Jung' hat schon recht gehabt!«
»Nanu?«
»Kannt' seinen Lehrmeister besser als der sich selbst. — —
— — Mir liegt die friedliche Mathematik doch mehr als die stürmende Praxis. — — — Bin ihm heut' dankbar dafür!
— — — Hab' da mehr geleistet! — — Den andern kam's wieder zugute! — — — Bleibt doch mein bester Schüler!«
»Und da fahren Sie jetzt mit?«
»Gerade!! — — — Hö — hö!« So wohlgelaunt hatte noch nie der tiefe Baß gebrummt. »Was jetzt Gunter durchführt, hart an dem störenden Planeten Venus vorbei, mit erhöhter Beschleunigung — — die gerade Linie — — die gerade Linie, keine elliptischen Kurven mehr! — — Hö!— — Das ist es, was ich, schon lange errechnet, durchführen wollte! Hö! — — Was nützt mir alle Theorie? — — — Goldne Brücken! — — Die Praxis muß Niete auf Niete in die himmelstürmenden Bogen schlagen, bis sie halten.«
Erstaunt blickte Frigga Holk auf. Schon wieder einer dieser seltsamen Ausbrüche der Detatom-Männer.
Berger hatte ihre Regung gar nicht bemerkt, betupfte abermals fast liebkosend die zu einem noch ansehnlichen Stummel verrauchte Zigarre. »Hö! — Und Gunter hat das gewußt! — — Hat mich einfach an Bord beordert, da es solche Fahrt galt! — — Nord war ja krank. — — Hö — — hö! — — Die schönste Freude für seinen Lehrmeister!«
»Da freue im mich mit, Käpt'n!« In sicherem Instinkt hatte Frigga Holk erkannt, daß ihr gegenüber ein Mensch saß, dessen lang verhüllte Sehnsucht ihrer Erfüllung entgegenging.
»Sollen Sie auch! — — Sollen Sie auch, Fräulein Holk! Die Fahrt gelingt! Und wenn wir zwei, Gunter und ich, vor Doktor Torwaldt treten und berichten, dann beginnt eine neue Zeit der Raumschiffahrt!« Kapitän Berger blickte in seine Kaffeetasse, die leer war. »Übrigens, ist da in der Kanne noch etwas drin?«
»Um Gottes willen, Herr Berger, das wäre die vierte von diesem Elefantenumschmeißer!« Frigga war ganz entsetzt, doch ihr Entsetzen verschaffte Berger eine vergnügte Selbstzufriedenheit ob seiner unerschütterlichen Natur.
»Schenken Sie bitte getrost ein, auch wenn der göttliche Trank nicht mehr ganz warm ist! Kalter Kaffee macht schön!«
»Soo?« Die Vorstellung: Berger und Schönheitskur, wirkte außerordentlich erheiternd. Rasch goß Frigga die Tasse voll und hub aufatmend an: »Sie wollten mir vorhin doch noch die Kugelzentrale erklären. Am allerwenigsten klar ist mir, wie man aus dem Hängelampenfernrohr«, so bezeichnete sie recht treffend das Beobachtungsgerät im optischen Raum, »hinaus und zurück auf die Erde sehen kann!«
»Aha! Ja, richtig! — — — Hö!« — — — Berger setzte sich breit und bequem zurecht. »Also, die Achse, die die Wohnkugel trägt, ist hohl. In ihr laufen nicht nur sämtliche Kabel zu den Elektronendüsenkammern und Maschinenräumen, zu den Steuerflossen, Vakuum- und Flutungspumpen, kurz, zu allen technischen Aggregaten des Schiffs, sondern diese hohle Achse birgt auch in ihrer Mitte je einen langen, vakuumdicht geschlossenen Zylinder, der von der Steuer- und Backbordaußenwand bis zu der optischen Zentrale der Kugel reicht. In diesem Zylinder oder Rohr, wie man auch sagen kann, von rund einem Meter Durchmesser befinden sich Linsen und Prismen sowie die Steuergestänge, die zu den weiteren Prismen und Linsen außerhalb des Schiffskörpers führen. Die letzteren sind in je eine drehbare Halbkugel von gleichfalls einem Meter Durchmesser eingebaut, die, fast möchte ich sagen, wie große Insektenaugen auf die Schiffsaußenwand aufgesetzt sind. Durch Verstellung der Gestänge können wir die — nennen wir sie ruhig weiter so — Insektenaugen so drehen und die darin eingebauten optischen Systeme wenden, daß wir nach allen Richtungen freie Sicht haben, selbstverständlich nur mit dem Steuerbordauge ein Blickgewölbe nach rechts und mit dem Backbordauge eines nach links bestreichen können. Durch geschickte Zusammenschaltung beider Schiffsaugen sieht man sogar gleichzeitig das gesamte Weltall!«
»Teufel, muß das eine kostspielige Apparatur sein!«
»Hö — — hö! Kostspielig ist gar kein Begriff. Das Teuerste, was wir überhaupt an Bord haben! Verschlingt Millionen, denn von der absoluten Genauigkeit der Einstellung hängt unser richtiger Kurs im Weltall ab. Ein Teil des Linsensystems ist gar nicht zum Durchsuchen bestimmt, sondern ausschließlich zu Meßzwecken. Diese Apparatur haben Sie wohl noch gar nicht kennengelernt?«
»Nein! Steht sie auch in der optischen Zentrale? Ist mir gar nicht aufgefallen!«
»Hö! Kann sie auch nicht. Sieht nämlich nicht anders aus als eine große Schalttafel, an der an Stelle der Zeigerinstrumente Lichtschlitze über halbrunde Skalen laufen und die Sterne, die wir zur Navigation benutzen, als leuchtende Punkte in Meßquadraten erscheinen. Außerdem werden aber noch gerade die letzteren Anzeigen vermittels lichtempfindlicher Punktzellen direkt auf Zeigerinstrumente in den Kommandoraum übertragen.«
»Hören Sie bloß auf, Herr Berger! Da schwindelt es einem ja, wenn man beginnt darüber nachzudenken. Welche Unsumme von Erfahrung, optischer und physikalischer Erkenntnisse steckt in dieser von mir so harmlos angesehenen Guckindieweltzentrale!«
»Hö — — hö! — — Guckindieweltzentrale ist nicht schlecht!« Berger griff erheitert schnaufend zur Kaffeetasse, nahm einen Schluck und wollte sich gerade darüber auslassen, wie groß sein Anteil an der Durchbildung besonders dieser kompliziertesten und feinst durchdachten Anlage des Raumschiffs war, da glühte plötzlich die rote Lampe auf Frank Gunters Arbeitstisch auf. Kurz danach ertönte dreimal ein hartes Schnarrzeichen, das Frigga aus aller Be-schaulichkeit der Erzählung und des anheimelnden Raumes verstört zusammenfahren ließ.
»Nanu?«
Mit einer kaum faßlichen Behendigkeit schnellte die wuchtige Gestalt Kapitän Bergers vom Stuhl hoch, stürzte zum Tisch und riß den Hörer an sich.
»Berger!« Die sonst so gemütliche Stimme war unangenehm hart,
— — — —
»Wie — —?«
— — — —
»Ja! — — — —Ja — — — —!«
Der Hörer flog mit einer an Berger ungewöhnlichen Hast auf die Gabel. Er wandte sich rasch um, schon zur Tür schreitend:
»Bitte, Fräulein Holk! — — — Befehl des Kommandanten! Sofort in die Kugelzentrale kommen!«
Die einladende Geste der Linken wurde zu einem herrischen Deuten, während die Rechte schon die Klinke ergriff.
»Um Gottes willen! Was ist los, Herr Berger?« Frigga Holk, die mehr als beunruhigt die Änderung im Gebaren des sonst so friedfertigen Kapitäns beobachtet hatte, wurde aufgebracht.
»Bitte, Fräulein Holk!« Im Rahmen der schon geöffneten Tür stand dräuend die wuchtige Gestalt.
Da sprang sie auf und folgte Berger, der sich noch einmal zurückwandte, das Licht auslöschte und rasch die Tür ins Schloß warf.
Den Weg zur Kugelzentrale kannte sie; bebend eilte sie den kurzen Gang der Treppe zu.
Da surrten plötzlich irgendwo verborgene Alarmgeräte auf. Die Luft des Korridors war von einem einzigen durchdringenden Vibrieren erfüllt, das die Nerven aufpeitschte.
»Alarm!«
Lautsprecher brandeten in das schrillende Zittern, noch einmal:
»Alarm!« — — — — Zum drittenmal:
»Alarm!« Und dann nach einer Weile des schreckhaften Wartens, nur erfüllt von dem unheimlichen Schrillen der das ganze Schiff durchzitternden Summer:
»Alle Mann auf Manöverstation! — — Sicherheitsanzüge bereit halten!«
»Verflucht!«, knurrte hinter der Dahinhastenden die tiefe Stimme Bergers. Sie hatten die Treppe erreicht.
»Los, Tempo!« Mit einem Satz war Kapitän Berger, Frigga überholend, auf den unteren Treppenabsatz gesprungen und nahm die Stufen wie ein Jugendlicher. Frigga Holk vermochte kaum zu folgen. Lähmende Furcht vor dem Ungewissen hemmte ihre Bewegungen.
Berger hatte die Tür zur Kugelzentrale erreicht, stieß sie schwer atmend auf, entschwand dem Blickfeld der Nachfolgenden.
Dann war auch Frigga oben, betrat fiebernd vor Aufregung die Zentrale.
— — — —
Ein grauenerregender Anblick ließ den Fuß am Boden stocken. Die bebende Hand verlor die Klinke. Hart schlug hinter ihr die Tür ins Schloß. »Sie wankte, haltsuchend. An Stelle von Menschen standen unheimliche silberne Gestalten vor den Schalttafeln; an ihren Köpfen gähnten riesige Brillen, hinter denen starre Augen schimmerten. Die Sicherheitsanzüge, chromfoliierter Gummi, verdeckten bauschig die Glieder. Alle hatten sie einen scheußlichen Buckel kurz unterhalb des Genicks, der den Spuk noch unheimlicher machte. Es waren die unter der Hülle befindlichen Sauerstoffgeräte.
Und während Friggas Augen noch wie schutzsuchend an den beiden einzigen menschengleichen Wesen, Gunter und Berger, hingen, schlug überlaut die Stimme des Kommandanten zermalmend in ihre Angst:
»Alle — — Mann — — Si — — cher — — heits — —anzüge — — an — —legen! — — Mund — — klappen — — auf — — lassen!« Irgendwo schallte höhnend aus dem Schiff das Lautsprecherecho.
Berger eilte einem Schrank zu, schloß ihn auf, wählte kurz, riß einen Anzug an sich, das schwere Sauerstoffgerät mit der Rechten haltend, sprang zu Frigga, bückte sich.
»Los! Hineintreten! — — — Rechtes Bein! — — Linkes Bein! — — — Gut!« Ein Ruck, und Frigga Holk stand in den weiten Hosen, achtete nicht ihres verschobenen Rockes.
»Rechter Arm!« Willenlos folgte sie dem neuen Befehl, tastete sich in den Ärmel, ein Zug, ihre Finger fühlten Handschuhe mit weichem Fellfutter, tasteten sich hinein.
»Linker Arm!« Nochmals dasselbe. Dann griffen Bergers Hände nach Gurten, schnallten sie, Rucksackriemen gleich, über ihre Schultern, die Tragbänder des Sauerstoffgeräts. Noch ein Griff. Die Kopfkugel des Anzugs wurde ihr übergestülpt. Eine der silbernen Gestalten war dazugekommen rasche Bewegungen preßten die Klappflügelschrauben im Bogen des Metalleinsatzes auf die Gewindestifte
Durch die große Brille sah sie, wie auch Frank Gunter Hilfe geleistet wurde und Kapitän Berger nun den Schutzanzug überzog.
Vor ihren Lippen war eine kreisrunde Öffnung. Bei allen anderen erblickte sie das gleiche. Eine runde Klappe hing darunter, bei jeder Bewegung schaukelnd. Die Mundklappe, durchzuckte es sie in Gedankenschnelle. Dann war sie unfähig, mehr zu denken. Sie tastete sich zu dem Stuhl an Gunters Kommandotisch und sank erschöpft nieder. Das war zuviel gewesen. Dieses entsetzlich unheimliche Raumschiff! Was war nur geschehen? Da saß sie gefangen in ihrem schweren Anzug, unfähig, noch selbständig zu handeln. Schreien, jetzt schreien können: »Sagt doch, was los ist!! Doch ihre Zunge klebte am trockenen Gaumen.
Gunter und Berger waren nun auch in bucklige, aufbauschende Silbergestalten verwandelt. Nicht einmal nach der äußeren Form konnte sie die einzelnen unterscheiden. Nur das bißchen sichtbarer Mund und die durch die klaren Blickfenster erkennbaren Augen gaben Aufschluß über den menschlichen Inhalt dieser blitzenden und gleißenden Larven.
»Hier Küchenzentrale!« — — Es summte und rumorte im Lautsprecher des Kommandoraumes. — — »Sicherheitsanzug angelegt! — — Besatzung auf Manöverstation!«
Herrgott, das tat wohl! So ruhig und sicher klangen die Worte von der Schallfläche. Da wieder:
»Hier Mannschaftsraum! — — Sicherheitsanzüge angelegt! — — Besatzung auf Manöverstation!«
Und noch einmal:
»Hier Maschinenzentrale!« Dieselben Worte. Waren auch die Stimmen verschieden, die Worte klangen so ruhig und selbstverständlich, daß langsam von Frigga das Grauen wich. So etwas schien hier ja wohl öfter vorzukommen. Die waren alle gewöhnt daran. Das fühlte man doch. Wie auf dem Exerzierplatz klappte alles.
Ein befreiendes Aufatmen. Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Dummheit, sich so ins Bockshorn jagen zu lassen! Warte mal, Frank, wenn ich erst wieder aus diesem verteufelten Silberanzug heraus bin! Soll wohl so eine kleine Revanche für gestern vorstellen? Recht kümmerlich eingefädelt, Herr Kommandant Frank Gunter!
Nur eines brachte in ihre neugefundene Selbstbeherrschung Unruhe. Warum saßen diese ehernen Silbergestalten wie Statuen auf ihren Stühlen vor den Schalttafeln, rührten sich nicht, blickten nur mit aufgehobenem Kopf starr auf die Instrumente, die etwas unförmigen Silberhände auf Hebeln lastend.
War das alles nur Ausdruck der Disziplin? — — — Oder — — —?
»A—a — a — — ch — — tung! — — Zehn — — Se — — kunden! — —« Die eiskalte Stimme Gunters.
»Fest hinsetzen!«, brüllte sie plötzlich die Silbermaske zu ihrer Rechten an. Bergers tiefe Stimme tönte im Raum nach.
Frigga faßte vollständig verstört nach den Stuhllehnen.
»Achtung! — Jetzt!« Das war Gunters schneidendes Kommando.
Die Silbernen warfen Hebel herum, schalteten.
Dann — — — — Frigga Holk glaubte, daß ihr die Knochen aus dem Leibe gerissen würden.
Ha — — a — — lt! Wollte sie rufen. Vergebens! Sie wurde mit solcher Gewalt gegen die Stuhlfläche gepreßt, daß der Atem versagte. Ihr Oberkörper war zusammengekrümmt, die Rippen schmerzten schneidend.
»Vorlegen! — — — Weit vorlegen, Frigga!«, ertönte Gunters feste Stimme, wie die eines Arztes.
Halbohnmächtig wollte sie der Aufforderung nachkommen. Nach drei, vier Versuchen gelang es.
»Frank!« Es wimmerte aus der geduckten Gestalt.
»Ja, Frigga! — — Leg die Arme auf den Tisch!«
Zentnerlasten schienen ihre Glieder zu beschweren. Unter Aufbietung alles Willens gehorchte sie wie in Hypnose.
Ihr wurde wohler. So ließ sich der furchtbare Andruck auf der Brust besser ertragen. Andruck — — Andruck — — huschten die Gedanken. Sie fahren mit vielfacher Beschleunigung! Das Blut pochte in den Schläfen. Das Herz hämmerte rasend. O Gott, hilf!
»Ich kriege keine Luft!«
»Berger!«, hörte Frigga Holk noch. Matt wandte sie den Kopf, der auf die Arme hinuntergefallen war, in die Richtung der Stimme, vermeinte, in wogenden Nebeln eine Gestalt auf sich zutappen zu sehen.
Irgend etwas klapperte an der Seite des Schreibtisches wie Glas. Die Nebel stiegen immer höher. Der Raum fing an zu kreisen.
»Hier! — Trink, Frigga!«
Das war doch Frank Gunters Stimme.
Ihr bleischweres Haupt wurde hochgehoben.
»Trink, Frigga, trink!« Aus Weltenferne tönte die Stimme. Ein kühles Rohr berührte die Lippen, die lechzend einen beißenden Trunk einsogen. Widerliche Bitterkeit würgte die Kehle.
»Frank!« Ein heißes Aufschluchzen.
»Ja, Frigga?«
Immer elender wurde es Frigga. Doch eisern hielt eine Hand ihren Kopf aufrecht; das fühlte sie durch den Anzug hindurch. Die Übelkeit mehrte sich.
Dann — — — — Alles war wie weggeblasen. Alles Elend ausgelöscht. Klar stand die Kommandozentrale vor Friggas wachen Augen. Die zusammengeduckten Silbergestalten hockten auf ihren Stühlen vor den Schalttafeln, beobachteten die Instrumente. Strahlend übergleißte wieder das helle, weiße Deckenlicht den Raum.
Ihr Rücken straffte sich, das Genick wurde wieder fest. Die Hand vor der Stirn lockerte sich. Da erkannte sie, daß es Frank Gunter war, der neben ihr auf einem Schemel saß und sie gestützt hatte.
»Frank — — — —!«
»Kleiner Kollaps, Frigga, sonst nichts!«
»Was ist los, Frank?«
»Dein Herz scheint das stärkste nicht zu sein, Frigga!«
»Der Andruck — — Frank!«
»Ja, Frigga, wir fahren mit Beschleunigung fünfundzwanzig. — — — Deine Aufregung kam wohl dazu!«
»Warum das? — — — Was ist geschehen?«
Schweigen antwortete Frigga Holk. Da rechts die Silbergestalt, das war Kapitän Berger. Sie erkannte den Mund, die Augen, die sich ihr jäh zuwandten, als sie die Frage stellte.
Galt der Blick ihr? — — Nein Gunter!
Kapitän Bergers Hand wies auf ein Instrument, dessen Zeiger unaufhörlich lebhafte Ausschläge vollführte. Frank Gunter schaute jetzt quer durch den Raum nur noch auf dieses Instrument.
»Verdammte Brocken!« Das war Bergers Baß, der hohl aus der unförmigen Maske dröhnte. Seine gesammelte Aufmerksamkeit galt nur noch dem pendelnden Zeiger.
»Tischkontrolle bitte!« Was konnte Gunter für eine irrsinnig eiserne Herrenstimme haben! Frigga schauderte es, und doch empfand sie die dichte Nähe dieses Mannes als wärmende Wohltat.
Einer der Silbernen schaltete.
Zu beiden Seiten des aufgespannten Kurvenblattes flammten, eingelassen in den anscheinend so harmlosen Arbeitstisch des Kommandanten, leuchtende, runde Skalen auf.
Näher rückte Frank Gunter den Stuhl, beugte sich vor, nur noch vertieft in die Beobachtung eines ständig ausschlagenden Zeigers.
Da! — — Der Zeiger schlug fast über das ganze Meßbereich! »He!« Bergers erschreckter Ausruf.
Neben ihr atmete Gunter nur einmal tief auf.
»Schon vorbei!« glaubte sie aus dem Murmeln zu entnehmen.
Frigga starrte auf den Zeiger, der irgendwie das Schicksal des Raumschiffes zu bergen schien.
Der Zeiger pendelte noch einige Male, stand jetzt still.
Immer noch hingen die Augen Frank Gunters nur an diesem Instrument.
Noch eine Zuckung. — — — Noch eine. Die Zeitabstände wurden immer länger ;
Frigga Holk empfand wieder, wie der Andruck quälend sie niederbeugte; zweieinhalbmal mehr wog sie als auf der Erde.
Sie vermochte es nicht nachzurecnen, sie fühlte nur die zermalmende Last in ihrem gesamten Körper. Die Rippen! Was war der Brustkorb so schwer!
Um was ging es hier bloß?
Wie dumm ihre Gedanken vorhin, daß Frank, sich zu rächen, blinden Alarm verursacht hatte! Wie dumm! — — Wie töricht! Närrin schalt sie sich selbst in aufflammendem Zorn.
Wenn die Last doch wiche!
»A— — a— —a— ch— tung! — — — In zehn Sekunden — Beschleunigung zehn!«
Neben ihr laut die Stimme, um das entfernte Mikrophon zu erreichen. Die silbernen Hände der Silbernen vor den Schalttafeln lagen wieder auf den Hebeln.
»Achtung — — — 7 — — 8 — — 9 — — jetzt!«
Weggewischt der Druck! Frigga schnellte förmlich in die Höhe. Wie leicht war alles wieder! Ein Überschwang des Glücks überflutete sie. Die Nachwirkung des Mittels, das ihr Frank Gunter eingeflößt hatte, und die Erlösung von diesem alle Sinne lähmenden Andruck verstärkten das Gefühl, auf die Erde zurückgefunden zu haben.
»Auf Manöverstation bleiben! — — — Anzüge anbehalten!« Wieder Gunters harte Stimme, die den Befehl in das Schiff gab. Ein Fingerdruck: die Mikrophone waren abgeschaltet. Dann wandte er sich, noch immer neben Frigga Holk sitzend, mit spöttischer Schärfe an Berger.
»Da haben wir Ihren reizenden Venuskurs und die berühmte »gerade Linie«! Wäre um ein Haar berüchtigt geworden, verehrter Lehrmeister und Anstifter!«
»Böh — — böh!« Bergers Stimme klang aus der Schutzmaske wie das drohende Brummen eines gereizten Stieres.
»Ja, ja! Verehrtester! Größere Sonnennähe bedingt dichtere Meteorbahnen pro Flächeneinheit. Ist mir soeben klar geworden. Wir haben den stärkeren Meteoreinfang der Venus nicht in Rechnung gesetzt!«
»Öh —!«, war alles, was der durch diese Deutung überraschte Chef der Auswertungszentrale hervorbrachte.
»Das war der erste Segen der verteufelten Erzbrocken auf einer der Einfangspiralen um die Venus. — — — Schätze, daß wir einige liebliche Löcher im Bauch haben. — — — Mit Meteoren machte ich ja jüngst erst holde Bekanntschaft. Unangenehm auf- und eindringlich die Bande! — — — Beabsichtige durchaus nicht, die Gastfreundschaft meines Raumschiffes übermäßig von diesen fahrenden Gesellen in Anspruch nehmen zu lassen! Was meinen Sie, Käpt'n?«
Noch bevor Berger, der sehr rasch die Richtigkeit der zwar herausfordernden, aber ohne alle Zweifel zutreffenden Worte Gunters erkannt hatte, antworten konnte, tönte schon wieder die eiskalte Stimme Gunters:
»Kapitän Schirmer!«
»Jawohl, Herr Kommandant?« Eine der Silbergestalten wandte sich Frank Gunter zu.
»Lassen Sie alle Vakuumkammern auf Durchschlag prüfen!
Desgleichen sämtliche Leitungen! Weitere Untersuchung der Schiffstüchtigkeit gemäß Dienstplan 17!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Dann stand die Silberlarve, die Gunter barg, auf und schritt zu Kapitän Berger.
Frigga Holk hatte genug vernommen und auch verstanden. In einen Schwarm Meteoriten waren sie also geraten. Daher der Alarm. Und die erhöhte Beschleunigung? — — Um rascher aus der Gefahrenzone herauszukommen, erwog sie richtig. Daß Meteore den Raumschiffen äußerst gefährlich werden konnten, wenn sie groß genug waren und unglücklich trafen, das hatte der Unfall auf der letzten Fahrt von HD-66 bewiesen.
Was mochten die beiden Männer jetzt beraten?
Sie standen sich dicht gegenüber. Nur wenig Raum war zwischen den runden Mundöffnungen der Schutzanzüge.
Worte konnte man nicht verstehen, nur ein leises Raunen war hörbar.
Dann wandten beide sich dem Kommandotisch zu, an dem Frigga saß.
»Darf ich dich bitten, den Stuhl zu wechseln? Nimm bitte hier links von mir Platz!«
Frigga erhob sich, folgte der Aufforderung, während Frank Gunter sich an ihrer Stelle niederließ. Rechts von ihm beugte sich die Silbergestalt Kapitän Bergers über die breit aufgespannten Pläne.
»Bitte die Positionsangabe nochmals, Herr Schirmer!«
Dieser überprüfte die Apparatetafel, vor der er stand, und nannte dann mehrfach hintereinander Gradangabe und Zahlen.
Kapitän Berger schrieb sie nieder, während Gunter schon beschäftigt war, auf dem Kursbogen den angegebenen Punkt festzulegen.
Dann deutete Frank Gunter auf das Kurvenblatt.
»So! Hier befindet sich HD-66 im Augenblick!«
»Der Kurs ist sehr gut gehalten!«, brummte Berger.
»Das schon!« Die Bestätigung Gunters. Er hatte einen Meßwinkel aufgegriffen, tastete eine Entfernung auf dem Bogen ab und hob den gespreizten Zirkel hoch.
»Hier die Entfernung bis zur Venus!«
Berger nahm das Instrument und prüfte auf einer Skala den Abstand. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ist doch eigentlich noch recht beträchtlich. — Hm! — — — Kann mir nicht gut vorstellen, daß wir uns schon im wirksamen Anziehungsbereich des Planeten befinden.«
»Möchte das doch annehmen!«, meinte Gunter. »Der Kometensegen vorhin läßt sich so am einfachsten deuten.«
»Sie rechnen noch mit mehr?« Berger schaute dur seine großen Helmgläser Gunter fragend an.
»Ja!« Kurz tönte die Antwort.
Beide schwiegen. Kapitän Berger sann, den Blick auf den Kursbogen geheftet, angestrengt nach, wie der drohenden Gefahr zu entgehen sei. Trotz seiner zweifelnden Frage war er innerlich überzeugt, daß Gunters Annahme zuträfe. Je näher sie der Venus kamen, um so bedrohlicher gestaltete sich die Lage, von den sich mehr und mehr häufenden Meteorschwärmen auf deren Einschußbahn zur Oberfläche des Planeten getroffen zu werden.
Er grübelte. Den Kurs wechseln? Wäre nicht unmöglich. — — Doch der Zeitverlust enorm. Die Geschwindigkeit des Raumschiffs und seine kinetische Energie waren viel zu groß.
Abbremsen und landen? — — Dann bestand immer noch die Kollisionsmöglichkeit mit größeren oder kleineren Meteoren. Also blieb nur eins: Hindurch! Hindurch mit erhöhter Beschleunigung, den gefährlichen Raum in kürzester Zeit zu durchqueren, den Plan durchführen, die ersehnte Hilfe zu bringen!
»Was wollen Sie unternehmen?« Er blickte Gunter an.
»Es gibt nur eine zweckdienliche Lösung: größeres Tempo!«
Frank Gunter dachte also genau wie er.
Kapitän Schirmer trat an den Tisch und meldete:
»Herr Kommandant! Die Vakuumkammern 32, 36 und 41 sind undicht!«
»Also doch drei Löcher!«, entgegnete ruhig Frank Gunter. »Wie groß?«
»Können nicht beträchtlich sein. Ich schätze nach dem Luftstromanzeiger etwa 20-30 Zentimeter jedes einzelne.«
»Dann haben wir beträchtliches Glück gehabt. Der elektrische Feldstörungsanzeiger ließ auf erheblich größere Erzbrocken schließen. Diese sind somit an uns vorbeigegangen. — — Haben Sie sonst nach Plan 17 Unregelmäßigkeiten feststellen können?«
»Nein, Herr Kommandant! Das Schiff ist voll manövrierfähig.«
»Um so besser! Danke Ihnen, Herr Schirmer!«
Frank Gunter wandte sich Frigga zu:
»Du weißt, um was es ging?«
»Ja, Frank! — — — Meteorgefahr!«
»Ja!« Nach einem kurzen Zögern suchten seine Augen die ihren hinter den Schutzbrillen. »Mach dich darauf gefaßt, daß in den nächsten Stunden die Gefahr keineswegs behoben ist! Ähnliche Manöver wie vorhin können sich wiederholen. Du bleibst hier in der Kugelzentrale. Wie du dich bei erhöhtem Andruck zu verhalten hast, weißt du jetzt! — — — Doch kannst du unbesorgt sein. Das Mittel, welches ich dir einflößte, wirkt mehrere Stunden nach!«
»Ich habe keine Angst, Frank!« Frigga Holk unterdrückte mit den eigenen Worten ihr klopfendes Zagen. Sie wollte nicht schwach vor Gunter erscheinen
»Gut, Frigga! Ich bleibe neben dir. Den Kommandotisch muß ich unter Kontrolle halten. — — — Berger!« Eine Wendung zur Rechten. »Wollen Sie, bitte, an Tafel 7 Platz nehmen!«
Gerade wollte sich der so Angeredete erheben, da packte Gunter mit jäher Gebärde seinen Arm, riß ihn auf den Sitz zurück.
»Beschleunigung 25!« Grell tönte das Kommando nervenpeitschend durch die Zentrale.
Berger starrte, auf den Stuhl taumelnd, auf den Zeiger des Magnetometers.
Gunters Rechte trommelte davor die Erklärung.
Jetzt kam der Andruck.
Die Körper sanken in sich zusammen.
Die Magnetometerausschläge zuckten über die weiße Skala. Der Zeiger schien von Fieber gerüttelt.
HD-66 war erneut in einen Schwarm von Meteoriten geraten
15, 20 Sekunden vergingen in entsetzlichem Schweigen.
Die Nadel sank auf den Nullpunkt zurück. Mit der irrsinnigen Geschwindigkeit, in der jetzt das Raumschiff dahinschoß, war die an sich beträchtliche Ausdehnung des Meteorschwarms rasch durchstoßen.
»Bitte, Berger, jetzt an Tafel 7!«
Kapitän Berger erhob sich unter Aufbietung aller Energie und schlurfte in seinem Silberanzug, gebückt durch sein 2½ faches Gewicht, zu der angewiesenen Schalttafel, vor der er schwer auf den Stuhl niederfiel.
Frigga saß zusammengekauert neben Frank Gunter. Ihre Augen hinter den Schutzgläsern verfolgten unablässig sein Tun. Auf dem rechten Seitenteil des Tisches drückte er einen Knopf nieder. Ein Zeiger schwang. Gunter notierte. Noch ein Knopfdrücken. Wieder schnellte ein anderer Zeiger über die weiße Skala. Frank Gunter notierte abermals, rechnete an einer Maschine. Die gleichen Vorgänge wiederholten sich mehrmals. Sie verstand nichts mehr von dem, was hier vorging. Nur eins empfand sie: Von der Entschlußkraft des Mannes an ihrer Seite hing das Geschick des Schiffes ab.
In ihr war alles leer geworden. Eine solch trostlose Öde, fern jedem Bereich eigner Willenshandlung, hatte ihre Seele noch nie durchlebt. Sie wollte diesen einen Zeiger des Instruments, das Gunter Magnetometer genannt hatte, nicht mehr sehen, und doch wurde ihr Blick immer wieder aufs neue hingezogen, hing an dem schwarzen, nun ruhig auf dem Widerlager ruhenden Stahlstift, und sie bebte vor den neuen Ausschlägen, die nur neue Gefahren verhießen.
»Hätte ich doch nur nicht dieses Schiff benutzt!« Das war der Kreis, in dem ihre Gedanken hetzten.
Frigga Holk schaute verstört auf, sich Gewißheit zu verschaffen, wie die anderen Insassen der Kugelzentrale die Dinge hinnahmen.
Sie erblickte nur gebückte Silbergestalten vor den Schalttafeln, die Hände auf die Stuhllehnen gepreßt oder auf Hebeln ruhend. Nichts verriet diese Haltung von den seelischen Vorgängen.
Nur Kapitän Berger war emsiger tätig. Seine Arme hingen in Lederschlingen, die von der Decke herabreichten. Die Tafel 7 mußte wohl die optische Beobachtung darstellen, denn Berger preßte gerade die Augen gegen zwei Okulare, bediente rechts und links mit beiden Händen eine Anzahl von Stellrädern.
Noch rechnete Gunter, da wandte sich Berger um. Hohl tönte die Stimme aus dem Schutzhelm:
»Kursversetzung!«
»Ja, bitte?« Die ruhige Entgegnung Gunters.
»41 Minuten 10 Sekunden in der EM-Ebene sonnenwärts!«
»Ja, stimmt!« Nach kurzer Pause hob sich sein Kopf.
»Aa — chtung! Backbord — E-Rohre...!«
»Backbord — E-Rohre!«, echote es von einer der Schalttafeln.
»Auf 24,81«
»Auf 24,81« Die Befehlswiederholung.
Das Raumschiff sollte aus der Kursversetzung, die das ungleichmäßige Arbeiten der Elektronenausstoßrohre infolge der Überbeanspruchung verursacht hatte, wieder in die richtige Bahn gebracht werden.
An Friggas Ohren waren die Worte nur vorbeigehuscht. Ihre Augen hingen heiß an dem Magnetometer, dessen immer stärker werdende Ausschläge neue Gefahr verrieten.
Da — — — —
Sie krampft sich in Gunters Arm.
Ein furchtbarer Stoß erschütterte das Schiff.
Das Licht flackerte — — — — erlosch — — — —flackerte noch einmal müde auf.
Die Kugelzentrale versank in undurchdringliche Nacht.
»Mundklappen schließen!« Ein peitschender Befehl Gunters aus dem Dunkel.
»Frank!«, wollte sie rufen
Zu spät!
Etwas tastete um ihren Kopf. Ein harter Schlag vor ihren Lippen. Die Mundklappen hatte Gunter der Unerfahrenen zugedrückt. Irgendwo zischte es an ihrem Rücken. Seltsam belebende Luft umströmte sie.
Das Sauerstoffgerät?
Warum — — —? Warum habe ich dieses Schiff benutzt?
Eisern hielt sie Frank Gunters Arm, den sie unter dem dicken Silberanzug ertastete, umkrampft. Ihr Kopf taumelte in dem nicht mehr erträglichen Andruck, fiel dann haltlos auf den umklammerten Schutz zu ihrer Rechten. Kopfhelm und Mundklappe drückten auf ihre Wange.
Gleich! — Alles war jetzt zu Ende!
Frank — — — Frank! — —
Mache doch Licht!
— — — —
Frigga empfand nur noch, wie der Arm, den sie willenlos zerrte, sich gewaltsam aus ihren umkrampfenden Händen frei machte. Der Kopfhelm schlug dumpf auf den Tisch.
Mach doch Licht — — — Frank!
— — — —
Was ahnte sie von dem Sinnen des Mannes, dessen Linke sie nun erneut stützte, während die Rechte nach den Schaltern tastete um das erlösende Licht! Was ahnte sie von den Gedanken des Mannes, der das meistern mußte, sollten nicht alle untergehen mit dem schwer havarierten Raumschiff! Was wußte sie, da keine mündliche Verständigung mehr möglich war, da sie alle der Silberpanzer schalldämpfend umschloß!
Ein Schimmer flutete in ihre Augen.
— — — —
Frank Gunter hatte die Notbeleuchtung eingeschaltet.
— — — —
Was nun geschah — — von dem wußte keiner der Betroffenen sich später irgendwelche Rechenschaft zu geben.
Ein alle Sinne zermalmender Stoß durchtobte den Kommandoraum. Herausgeschleudert aus den Sitzen, flogen einige der silbernen Gestalten parabelförmig vorwärts, teils gegen die Decke, teils gegen die Schaltwände, prallten zurück, wieder zurückgeworfen, um endlich in kaum faßbarer Trägheit in den Umgrenzungsflächen wie aufgeblasene Kinderballons hin und her zu schweben, frei jeder Anziehung.
Die gegen Weltraumkälte versilberten und wattierten Gummischutzanzüge hatten die Nichtangeschnallten vor tödlichen Verletzungen bewahrt. Betäubt durch die vielfachen Stöße waren sie wie Billardbälle nur noch Spielzeuge der ihnen eigenen kinetischen Energie, bis diese erlahmte.
HD-66 war, von einem gewaltigen Meteor getroffen, zertrümmert worden. Die Heckdüsen, die dem Raumschiff Antrieb gaben, waren vernichtet. Irgendein kümmerlicher Rest des stolzen, größten Schiffes der Detatom-Werke schoß mit der ihm durch viele Stunden aufgepreßten Kraft nur noch mit unfaßbarer Geschwindigkeit durch den Weltenraum. Doch wo keine Anziehung oder durch Beschleunigung hervorgerufene Schwerkraft ist, gibt es auch kein Oben und Unten mehr. Alles war schwerelos! Selbst die noch auf den Sitzen Angeschnallten hatten jeden Orientierungssinn verloren, wie ein Schwimmer, dem das Wasser der wogenden See die im Ohr befindlichen Gleichgewichtsorgane betäubt.
Schwerelosigkeit! — — — — Entsetzlicher Zustand für den Menschen, der gewohnt ist, nur oben und unten zu kennen. Schwerelosigkeit! — — — Wie ein rasendes Karussell umfängt sie deine Sinne. Tödliche Übelkeit, schlimmer als harmlose Seekrankheit, vernichtet jeglichen Willen. Gleichgültigkeit, Sterben — — —!
Das Rumpfstück von HD-66, beraubt seines Hecks, barg noch die gesamte Besatzung. Die Spitze eines Torpedos in übergroßen Ausmaßen, abgerissen von einem riesengroßen Erzbroden, raste ziellos in Eiseskälte der Weltraumnacht, warm pulsendes menschliches Leben umschließend.
Doch wer war noch fähig, zu handeln? Trunken von Gleichgewichtsstörungen und schwerelos schwebten jedes Halts beraubte Menschen durch den Kommandoraum.
Die Versuche Kapitän Bergers und Frank Gunters, der Erfahrensten von allen, an die richtigen Schalttafeln zu gelangen, scheiterten immer aufs neue an eigener Schwäche und — — — mangels Halts in der Umgebung. Kapitän Schirmer mußte verletzt und ohnmächtig sein. Gerade er, der just vor den so heiß angestrebten Schaltern stand, schwebte schlackernd in den Haltebändern des Stuhles in seltsam verrenkter Lage.
Weiß glänzte das Licht von der Decke, beschien erbarmungslos das trostlose Bild menschlicher Unzulänglichkeit vor den nicht gemeisterten Kräften des Weltalls.
Immer wieder suchte Gunter, von Decke zu Boden, von den Wänden sich abstoßend, zur Schalttafel IV zu gelangen. Schon glaubte er, die gleißende Haltestange in die tastenden Finger zu schließen, da glitt abermals träge sein Körper an dem Ziel vorbei.
Übelkeit, wie nie empfunden, würgte elend im Halse. Seine gesamte gesammelte Energie hatte sich in letzte Verzweiflung verdichtet auf diesen einen so höhnisch ruhig lockenden Hebel, von dessen Betätigung ihrer aller Schicksal abhing.
Kurze Spanne Zeit! — — — Wille durchhalten! — — — Die vernichtende Übelkeit. — — — Dann war alles aus — — — aus! Rote Nebel zogen vor seinen Augen, trübten das Gesichtsfeld. Das Herz hämmerte zum Zerspringen. Du mußt — — — du — — — mußt — — — du — — — mußt, sonst schießt in wenigen Sekunden ein großer silberner Körper mit einer todgeweihten Menschenlast in irrsinniger Geschwindigkeit durch das Weltenall, um schließlich nach ewigen Zeiten an einem fernen Stern zu zerschellen oder als winziger Mond ein Satellitendasein zu führen, tot, ausgelöscht aus dem Buche des Lebens.
Sekunden vergingen in qualvollem Tasten. Jede zu heftige Bewegung brachte Gunters Körper in die unmöglichsten Lagen. Längst schwebte Kapitän Berger hinter ihm in der rechten Ecke. Seine ausgelöschten Sinne hatten schon Frieden mit der ewigen Ruhe geschlossen.
Wahnsinn überkam Frank Gunter.
Du bist der einzige noch, der hier handeln kann. Gütiges Schicksal, laß mich nur dort hinten die silberne Stange erreichen!
Ein neuer letzter Versuch. Schon zogen die roten Schleier in immer dichteren Abständen vor den Augen, zuckten die Flammen — — —
Da! — — — Halt!
Ein letztes Aufbäumen, Zusammenraffen — — —
Wo ist der Hebel?
Ein Körper taumelte auf Gunters Arme, drohte die vor Schwäche zitternden Hände von der Schutzstange zu reißen.
Ein kurzer, leichter Ruck, instinktmäßig nur noch. Die Last wich
Der Hebel!
Jetzt!!
Die Finger der Rechten hatten durch die Händschuhe den Griff ertastet, spannten sich herum, rissen daran, schoben, zerrten.
— — — —
Ein leichter Stoß durchfuhr das Schiff.
Wie einem geheimnisvollen Zauberstab folgend, senkten sich die schwebenden Körper langsam dem Boden des Kommandoraumes zu. Frank Gunter, der bisher fast waagerecht vor der Schalttafel geschwebt hatte, fühlte, wie seine Beine niedersanken. Den Oberkörper hielt die Linke, die Rechte umspannte den todbannenden Hebel. Noch ein Schalterdruck. Die Anziehungskraft stieg. Die Füße fanden auf dem Boden Grund, der Körper straffte sich. Er stand wieder.
Ein Zeiger kletterte über eine Skala. Beschleunigung 2 wies er jetzt. Noch ein Schaltdruck. Beschleunigung 3!
Die Übelkeit wich langsam
Frank Gunter hatte die Bugdüsen als Bremse eingeschaltet. Sie spien jetzt ihre Elektronen gegen die Fahrtrichtung des Schiffes.
Ein heißer, dankerfüllter Strom überflutete seine Sinne. Der Rest des schwer zerstörten Schiffskörpers gehorchte noch den Hebeln und Schaltern!
Noch eine Schalterbewegung. Tastend glitten die Hände über die Tafel, prüften, korrigierten, betätigten neue Kontakte. Jetzt zeigte sich, was tausendfache Übung vollbringen kann. Der schwer geschädigte und noch halb betäubte menschliche Körper handelte mechanisch richtig.
Der dumpfe Druck löste sich aus Gunters Stirn. Die roten Flämmchen vor den Augen erloschen. Der Atem ging freier.
Beschleunigung 4!
Frank Gunter sank auf einen Stuhl. Seine Hände tasteten zu dem Kopfhelm, bewegten eine Schraube an der Außenwandung, ein Druck — — — — eine weiße Tablette schob sich, innen von einem Hebel geführt, vor seinen Mund. Die Lippen faßten zu. Er verschluckte sie. Jetzt einige Minuten warten, dann trat die Wirkung des belebenden Medikaments ein, das, aus einem kleinen Automaten gespendet, in jedem Schutzhelm vorhanden war.
Seine Blicke schweiften nun zum ersten Male bewußt beobachtend durch den Raum.
Es sah bös genug aus.
Wenn auch an den technischen Einrichtungsgegenständen sich nichts geändert hatte, die Menschen hingen, waren sie festgeschnallt, in den unwahrscheinlichsten Lagen auf den Sitzen oder in den Gurten; die übrigen lagen verstreut als gekrümmte Silberballen auf dem Fußboden, der wieder Boden geworden war.
Das Mittel wirkte. Die alte Kraft kehrte zurück
Ein Blick auf den Druck- und Sauerstoffanzeiger an der Schalttafel, sich nochmals vergewissernd. Ja, der Kommandoraum schloß noch luftdicht! Also bestand keine Gefahr, die Mundklappe zu öffnen. Eine Hebelbewegung. Die Klappe seines Helms fiel herab.
Einige Schritte zu dem kleinen Wandschränkchen, das das Apothekenzeichen trug. Die Tür flog auf. Gottlob! Sämtliche Behälter standen heil an ihren Plätzen!
Er entnahm ein Glas, füllte es mit Wasser und setzte einige Tropfen einer kristallklaren Flüssigkeit zu. Dann ergriff er eine kleine Spritze, mit seltsam gekrümmtem metallischem Röhrchen an der Spitze, und saugte die Mischung in den Glaszylinder.
Gedanken schossen Frank Gunter bei dieser Tätigkeit durch die aufgeregten Sinne.
Wenn jetzt noch einmal ein Meteor uns trifft? — — —
»Welchen Kurs mag HD-66 nach der Katastrophe haben?
— — — Wohin fahren wir? — — — Der Sonne zu?
— — — — Ein furchtbarer Schreck ließ ihn erschauern!
— — — Ist noch zu weit! — — Doch die Venus? — — —
Die Düsen bremsen schon die Fahrt!
Allein konnte er doch nichts unternehmen. Erst mußte er eine Hilfe haben. Da war Berger der nächste, der in Frage kam. Es hieß rasch handeln!
Gunter beugte sich zu dem vor ihm Liegenden hinab, schaute durch die Gläser. Ja! — — — Es war Berger. Fahl und matt leuchtete das ihm zugewandte Gesicht. Er öffnete die Mundklappe. Dann kniete er nieder, hockte sich auf den Boden und bettete mit der freien Linken den Helm auf seinen Oberschenkel, so daß der Kopf des Bewußtlosen hoch lag. Und nun führte er vorsichtig, wie in vielen medizinischen Kursen der Detatom-Werke geübt, das gebogene Nickelröhrchen der Kehlkopfspritze zwischen den leicht geöffneten Zähnen des Ohnmädchtigen über die Zunge hinab in den Schlund.
Der Kolben preßte die Flüssigkeit aus dem Glaszylinder. Sacht zog er die Spritze zurück.
Jetzt hieß es warten, bis das Mittel seine belebende Schuldigkeit tat.
Die Gedanken. Die Gedanken — — —!
Mit vernichtender Wut stürmten sie abermals auf den tatenlos Harrenden ein. Was war überhaupt noch von HD-66 nach der Zerstörung seines Hecks durch einen gewaltigen Meteor übriggeblieben? Daß dieses Heck und seine bis zur Katastrophe wirkende Antriebskraft nicht mehr vorhanden waren, hatte die plötzlich eingetretene Schwerelosigkeit bewiesen.
Was raste da überhaupt noch als Trümmer eines zerrissenen Raumschiffes durch das Weltenall — — und wohin? — — — Nur noch der Bug?
Nur noch der Bug und seine Wohnkugel?
Unfaßbar solche Vorstellung — —!
Und doch — — —?
Der Luftdruckanzeiger der Kommandozentrale?
Er deutete auf keine Beschädigung!
Das Ansprechen der Bugdüsen als Bremskraft?
Auch diese noch wirksam!
Also wirklich allein diese kümmerliche Zigarrenspitze voller Antriebsenergie, die noch Rettung bot für die Eingeschlossenen?
»Öh — — ach!«
»Berger!«
»Aääh!«
»Ber — — ger!«
Rütteln — — zerren — — stützen — — den Kopf hoch! —
»Ber — — ger!«
»Ja!«
Die entsetzliche Einsamkeit des Alleinseins, jetzt erst mit aller Klarheit empfunden, da einer in seinen Armen wieder Herr seiner Sinne wurde, entschwand. Einer, ein Kamerad, konnte mithelfen.
»Ber — ger!«
»Bis jetzt ist jeder Versuch erfolglos geblieben!«
»Setzen Sie die letzten Energiereserven des großen Marsstrahlers ein! — — Wir müssen die Verbindung zu HD-66 aufnehmen!«
»Ja, Herr Doktor Torwaldt!«
Der Leiter der Marsfunkstation verließ das Amtszimmer desjenigen, der einst unter Einsatz seiner selbst und seines unerschütterlichen Glaubens den Weltenraum erobert hatte.
Helo Torwaldts Hände sanken müde auf die Tischplatte. Sollte alles vergebens sein? Alle Arbeit, die vertrauensvoller Aufbau geschaffen hatte, durch ein unfaßbares Geschick zerstört werden? Tausende rangen schon mit dieser Seuche.
Er hatte ihnen eine starke, gesunde Zukunft auf dem Brudergestirn der Erde, dem Mars, verheißen, und nun?
Gläubige Siedler hatten sich ihm anvertraut, rückhaltslos ihr Schicksal in seine Hände gelegt. Der Tod lauerte vor den Türen aller! Diese tückische Marskrankheit! — — Sie war doch schon gebannt! Und jetzt wieder?
Frank Gunter! — — HD-66! — — Antworte doch!
Das RMT! — — Schaff es heran! Bann Tod und Teufel!
Stille! — — Nur entsetzliche Stille, die die Nerven peinigte.
— — — —
Rrrr — — — der Summer zerriß aufrüttelnd das Warten.
Ein Griff zum Fernsprecher. »Torwaldt!«
— — — —
»Wie?«
— — — —
»HD-42 antwortet?«
— — — —
»Ja, hatte bereits die Erdstation mitgeteilt. Ja, zwölf Stunden später als HD-66 gestartet. Wie lautet die Standortsmeldung von HD-42?« Torwaldt hatte einen Block ergriffen und notierte Zahlen.
»Ja! — — Verstanden! — — — Danke sehr, Zeimer! — — Teilen Sie HD-42 mit, den Zentralhafen anzusteuern! Ferner das Hilfsschiff HD-F so früh wie möglich mit einem Drittel der Impfstoffmenge auszuschleusen und den Nordhafen Atlanta unter Ansetzung aller Energie anzufliegen!«
»Ja!« Den Hörer auf die Gabel.
Helo Torwaldt rechnete. Zahlen auf Zahlen häuften sich auf dem Papier. Die Rechenmaschine schnurrte ihr Rädersingen in den nachtstillen Raum.
Jetzt hob Torwaldt den schönen, blonden Kopf, blickte auf das große Chronometer an der Wand.
Fast ein Uhr morgens.
Gegen 11 Uhr früh war HD-42 mit seiner rettenden Ladung zu erwarten.
Wieder griff die Rechte zum Fernsprecher. Die Wählerscheibe drehte sich mehrere Male. Kurzes Warten.
»Torwaldt!«
— — — —
»Hallo, Diebler! HD-42 ist gegen 11 Uhr früh zu erwarten!«
Dem Sprecher an dem jenseitigen Ende der Leitung mußte wohl ein Ausruf der Erlösung entschlüpft sein, Torwaldt nickte froh zustimmend und fuhr ruhig fort:
»Veranlassen Sie, daß alle M-Boote« — das waren die auf dem Mars an Stelle von Flugzeugen verwandten Helanschiffe — — »der Nordsiedlung bis 8 Uhr früh in Atlanta sind, zur Übernahme des Impfstoffes!«
— — — —
»Gut. Ja. — — Die M-Boote der Zentral- und Südsiedlung sammeln sich bis 10 Uhr im Zentralflughafen!«
— — — —
»Jawohl! — — Sie können jetzt ausspannen, Diebler!«
Eine starke wohltuende Wärme pulste in der Stimme Torwaldts.
— — — —
»Gute Nacht, Diebler! Erholen Sie sich gut von den Strapazen der letzten Tage! Ab morgen mittag haben Sie, wie alle alten Kameraden, beschränkte Freiwache. Den Dienstplan gebe ich noch bekannt!«
— — — —
»Danke sehr! Gute Nacht!«
Der Hörer ruhte wieder auf der Gabel. Helo Torwaldt lehnte sich zurück und sann nach. — Was hatten jene in den letzten sechs Tagen geleistet, jene ersten Pioniere, die er eben im Gespräch mit dem Leiter des Marsflugwesens alte Kameraden genannt hatte! Vor acht, neun und zehn Jahren hatten sie, wagemutig und einsatzbereit, mit ihm das große Werk vorbereiten helfen. Dann kam der erste Ausbruch der großen, damals noch unbekannten Seuche, die viele hinweg raffte. Erst dem Genie Dr. Schumanns, des derzeitigen Leiters des Sanitätswesens auf dem Mars, war es gelungen, das RMT zu schaffen und die tückische Krankheit zu bannen. Die Überlebenden waren immun geworden. Dennoch hatte Torwaldt nach schwerem Ringen, als vor sechs Tagen die Marskrankheit erneut und mit anderen Symptomen ausbrach, angeordnet, daß als erste mit dem noch auf dem Mars vorhandenen Impfstoff alle jene behandelt wurden, die seinerzeit den Anfall überwunden hatten. Es gab keine andere Überlegung. Nur so war es möglich, ein gesundes Stammpersonal unter allen Umständen arbeitsfähig zu erhalten, das Gemeinwesen vor der schlimmsten Katastrophe zu bewahren. Und die wenigen hatten schuften müssen, Tag und Nacht in übermenschlicher Anstrengung, sich nur die notwendigste Ruhe gönnend: M-Boot-Führer, Arzt, Krankenpfleger, Essenträger, Techniker und Arbeiter zugleich.
Der Wille hatte gesiegt.
In wenigen Stunden kam HD-42. Noch vor der Krise — die Marskrankheit trat am 8. Tag in das entscheidende Stadium — konnte das rettende Mittel zur Verwendung kommen, konnten die Widerstandsfähigen gerettet werden.
Hunderte aber würden in wenigen Tagen unter frisch aufgeworfenen Hügeln zu früh dem ewigen Kreislauf zurückgegeben sein.
Helo Torwaldt schauderte es. Trug er Schuld, schwere Schuld an ihrem Schicksal durch Leichtfertigkeit?
Nein — — nein! — Alles bäumte sich in ihm auf!
Tausendmal hatten alle Ärzte der Marssiedlung übereinstimmend geäußert, daß die Krankheit erloschen sei, die übliche Schutzimpfung jede erforderliche, vorbeugende Sicherheit gewähre. Und doch! Er allein trug die Verantwortung!
Hätte ich doch die Sanitätsdepots voll RMT gestapelt!
Zu spät — — — zu spät! Das Schicksal hatte einen Lauf genommen, den kein rechnender Geist voraussehen konnte.
Und doch! Das mahnende Pochen ließ sich nicht mit kalten Rechtfertigungen beschwichtigen.
Torwaldt überlief ein Frösteln. Die Überanspannung der letzten Tage meldete sich. Dunkel gerändert starrten die weitgeöffneten Augen zur Decke.
»Ich werde — — ich muß es gutmachen! Ich habe die Verantwortung übernommen. Ihr Glaube soll nie wieder enttäuscht werden!«
Die Gestalt straffte sich.
Vor Tagen schon hatte er Anweisung gegeben, was im Augenblick des Eintreffens von RMT zu geschehen habe, alles auf das letzte organisiert. Sämtliche Verkehrsmittel waren zum Einsatz vorbereitet! Alle Ärzte, Schwestern, Krankenpfleger und jeder, der mit der Handhabung des Impfstoffs vertraut war, auf seinen Posten gestellt, daß in der denkbar kürzesten Zeit allen so schmerzvoll Leidenden Hilfe gebracht werden konnte!
Es hieß noch mehr tun! Den Willen zum Widerstand stählen, die Seelen aufrichten!
Das willst du jetzt, da deine eigene Kraft am Rande des Zusammenbruchs steht?
Ich muß! — — Ich will!
Ein Griff zu den Signalknöpfen rechts an der Schreibtischseite.
Ein Licht flammte auf.
Wann würde wohl Forster erscheinen?
Müde, tausendmal müder als er selbst, mußte der gute Alte sein. Sechs Tage, sechs Nächte ungewöhnlicher Dienst in vielerlei Form, in seinen Jahren?
Alles blieb still.
Da stand Helo Torwaldt auf. Durchmaß den Raum, betrat den Gang. Rechts war die Tür zum Aufzug.
Einen Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke, Funkleiter Zeimer anzurufen.
Nein! — — — Der hatte vollauf zu tun mit der drahtlosen Peilsendung für HD-42. Und — — — Forster kannte besser das Rundfunknetz als Zeimer.
Der Aufzug hob sich, kletterte Stockwerk auf Stockwerk, hielt.
Die Tür fiel ins Schloß.
Das da drüben war Forsters Zimmer.
Was die Beine doch schwer sind und zittern! Sechs Tage — sechs Nächte! Wie lange hast du eigentlich nicht geschlafen, Helo?
Lasch drückte Torwaldt die Klinke nieder. Der Senderaum, im vorletzten Stockwerk des Marshochhauses, das just er und Forster als erste Menschen auf dem fernen Planeten bei ihrem ersten Flug entdeckt und durchstöbert hatten, lag vor seinen Augen.
Wo ist denn Forster?
Drüben strahlte eine Schreibtischlampe. Torwaldts Schritte folgten der Richtung.
Ein graues Haupt schimmerte im Halbdunkel. Gebettet auf die Arme, atmete es stille, friedliche Ruhe.
Die Signallampe brannte hell. Jetzt, Torwaldt schreckte entsetzt zusammen, rasselte der Summer, den seine Gesprächsanmeldung in Tätigkeit gesetzt hatte.
Helo Torwaldt schaltete die Apparatur ab.
Herrgott, die Nerven! Dieses bißchen unerwartete Surren in dem dämmerstillen Raum brachte sie schon in Aufruhr.
Dann beugte er sich nieder, legte sanft die Hand an die Stirn des von nicht mehr bezwingbarer Müdigkeit Übermannten.
»Forster!« Ein leises, bebendes Rütteln.
— — — —
»Forster!« — — Die Stimme wurde lauter.
— — — —
»Ah — — ja! — — Wat es denn los?« Forster war Rheinländer auch auf dem Mars geblieben, wie sein alle erheiternder Tonfall bewies.
»Dooktor!? — — Wat es los?«
Das Haupt hatte sich voll aufgerichtet, die schlaftrunkenen Augen starrten Helo Torwaldt verwundert an.
»Müd', Forster? Etwas eingenickt?«
»E nä! Ich han nur wat nachjedacht!«
»Gut, Forster!« — — Torwaldt bezwang ein Lächeln. Bei aller Müdigkeit, die selbst bleischwer auf ihm lastete, hatte des biederen Alten Halsstarrigleit, ja nicht anzuerkennen, daß er das Opfer der sechs Tage geworden war, seine Stimmung mit einem Schlage geändert,
Lachen von einem verschwendungssüchtigen Gott den Menschen geschenktes Lachen, man sollte dich zur Königin allen Erlebens erheben!
»Forster!« — Noch ruhte die Hand auf dem Scheitel des Alten, dessen Blicke langsam zurückfanden in die Umgebung. Der Wechsel des Gesichtsausdrucks war noch so fern der Wirklichkeit, in der Torwaldts Geist lebte, voll so maßlos verschlafener Unfreiwilligkeit, daß Helo Torwaldt, urplötzlich losgelöst von der drückenden Last der letzten Tage, in ein befreiendes Gelächter ausbrach.
Nerven, Nervenentlastung, das göttliche Lachen.
— — — —
»Wat könne Se he lache?« Polternde Empörung drohte aus den Worten des Alten. »Wat es denn eijentlich loss? Sin mer denn all verrückt jeworde? Wo ist HD-66?«
Wie rasch hatten die Sinne Forsters die Anknüpfung an die drohende Not gefunden!
»HD-42 hat sich gemeldet! Ist heute früh hier!«, lautete die beruhigende und doch so frohe Entgegnung Torwaldts, der ein freierer Mensch geworden war. »Forster, ich muß sprechen. Schalten Sie den gesamten Rundfunk zusammen!«
»Wo ist denn Gunter mit HD-66?«
Ein abwehrendes Achselzucken.
»Nicht fragen, Forster! Los! — — Rundfunk! — — HD-42 bringt die Rettung!«
»Und Gunter mit HD-66? — — — Unserm besten Schiff?«
Hörte denn das nie auf? Kaum war ein Bann gebrochen, bot die rettende Entfaltung, stürmte ein anderer schon wieder mit seinen Gedanken auf die gewonnene Entwicklung ein, suchte sie zu hemmen.
Die Minuten der neu gewonnenen Kraft ausnützen, abschütteln alles andere Denken!
»Forster! — — Ich muß sprechen! — Schalten Sie die Sender zusammen! — Auf, Forster! — Verstehen Sie doch, Forster!« — Ein leidenschaftliches Rütteln. »HD-42 kommt zuerst an! — — In wenigen Stunden schon! — — Bringt die Rettung! — — Noch weiß es ja keiner. Niemand weiß es! — — Ich muß es ihnen sagen! — — Sie sollen es doch alle wissen! — — — Alle sollen es hören! — Wieder gesund werden! — — Wieder glauben!«
»Ja, ja, ich bin ja alls dabei!«
Der Alte hatte sich erhoben, eilte mit hastenden Schritten, alt und doch so jung, der großen Schalttafel zu.
Licht flammte auf.
Erschöpft sank Helo Torwaldt auf die Kante des Schreibtisches.
Sammeln! Die Gedanken zusammenballen! O Gott, diese sechs Tage!
Torwaldt schloß für Sekunden die Augen. — — Nachdenken! — —
Die Worte finden!
Im großen Raum knackten irgendwo Hebel. Forster schaltete — sprach — — schaltete — — sprach — — schaltete das Rundfunknetz zusammen.
»Achtung — Achtung!«
— — — —
»Achtung — — Achtung!« Noch einmal. »In wenigen Minuten spricht Doktor Torwaldt über alle Sender!«
Forster schaltete das Mikrophon ab und wandte sich um:
»Et ist alles fädig (fertig), Doktor!«
Torwaldt lächelte:
»Danke, mein lieber Forster!«
Noch blieb er auf der Tischkante sitzen, sich zu sammeln, allen Willen zusammenzuraffen. Gläubige Hoffnung, frohes, lachendes Leben mußte vor den Dahinsiechenden auferstehen. Daß alle, alle hören würden, das wußte er; wußten jene doch, daß die Entscheidung nahte.
Ein kurzes Straffen! Mit harten Schritten trat der Herr des Mars zum Mikrophon.
Und dann tönten die Worte, Worte, wie er selbst sie noch nie gefunden, nur der Eingebung folgend, getragen von dem Bewußtsein, daß alles, alles nun gut werden müsse. Er berichtete von der dicht bevorstehenden Ankunft von HD-42, von den umfassenden Maßnahmen, die getroffen waren, schilderte die rasche Wirkung des Medikaments und malte in leuchtenden Farben das neu erblühende Leben der Marssiedlungen. Ein Glaubensrausch überkam ihn selbst, riß ihn empor zu ungeahnten Steigerungen der Rede, bis er erlöst mit zuversichtlichem Frohsinn in der Stimme schloß.
»So werden alle wieder in wenigen Wochen im Vollbesitz ihrer Kräfte der Arbeit nachgehen können, alle wieder unsere Marsgemeinschaft weiter fördern können zum Segen unserer Kinder, unserer Zukunft, der wir alle dienen. Ich grüße die Genesenden!«
Eine Hebelwendung! — — — Das Mikrophon war abgeschaltet.
Torwaldt wandte sich um.
Da saß der alte Forster, das graue Haupt gestützt, mit beiden Händen sein Gesicht zu verbergen. Doch Helo Torwaldt sah, wie Träne auf Träne unter den Fingern herniedersickerte.
»Forster, guter, alter Forster!«
Ein stummes, inständiges Schütteln des Kopfes,
Mit wenigen Schritten stand Torwaldt an seiner Seite.
»Aber, Forster! Auf die alten Tage noch weinen?« Leicht zauste liebkosend die Hand den grauen Haarschopf.
»E ja! — — Doktor!« Der Kopf hob sich, und tränenfeuchte, doch glücklich glänzende Augen schauten zu ihm auf.
»Doktor!« Der Alte griff mit beiden noch so feuchten Händen die seines Herrn — »Doktor, ich schäm' mich nich! Se han uns ja alle dat Lewe wieder jejewe. Ich wein' doch nur vor Freud', Doktor! — — Und die andern da draußen, die jlauben jetzt wieder. Jetzt sind se all schon jesund. Die werden auch weinen, wie ich, vor Jlück, Doktor, vor Jlück, — — — Doktor! — — — Wie han Se nur jesproche!«
Da wußte Helo Torwaldt, daß er als Mensch seine Schuld abgetragen hatte, indem er aus gläubigem Herzen neuen Glauben gepflanzt hatte.
»Forster!«
»E ja, Doktor?«
»Wir müssen mehr tun!« Ernst, doch voller Güte klang die Stimme.
»E ja, Doktor!«
»Von jetzt an geben Sie gute, nicht zu schwere, klassische Musik über die Sender! Können Sie noch die wenigen Stunden durchhalten?«
»E ja, Doktor! Jetzt kann ich et wieder!«
»Schalten Sie die Querverbindungen zu meinem Arbeitszimmer ein! Ich selbst werde in kurzen Zwischenräumen Bericht über die Landung von HD-42 durchgeben. Zeimer soll den direkten Fernsprechverkehr mit HD-42 herstellen. Die Stunden des Wartens müssen rascher vergehen! Wir werden sie alle retten! Alle retten — —!« Fanatisch klangen seine Worte, deren Sinn ihm sein Glaube eingab, während die Vernunft, daran zweifelnd, den Willen noch mehr antrieb.
»Ja, Doktor!
Schon eilte der Alte zum Schallplattenarchiv, wählte unter den schwarzen Scheiben, die die Erde gesandt hatte, als Dokumente ihres Kulturschaffens dem fernen Planeten Mars sich zu vererben.
Die Auswahl war in guten Händen; das wußte Helo Torwaldt, Keiner liebte so deutsche Hausmusik, die Trios, Quartette und die großen Klänge unvergänglicher Symphonien, wie der alte Werkmeister Forster.
Torwaldt stand schon an der Tür, da erklangen die ersten Töne eines Streichquartetts von Haydn.
Ein dankbares Nicken dem Alten zu, der froh lächelnd umständlich mit einem großen geblümten Taschentuch die Spuren seiner Erschütterung aus dem lieben Gesicht wischte.
Die Hand winkte noch einmal, und Helo Torwaldt verließ den Senderaum.
* * *
»Gelingt es nicht, unter geschicktester Ausnutzung der noch arbeitsfähigen Elektronendüsen tangential an das Schwerefeld der Venus heranzukommen und in mehrfachen, immer enger werdenden Spiralen zu landen, so ist unser Schicksal besiegelt!«
Schwer tönten die Worte Frank Gunters im Kommandoraum nach. Um den Arbeitstisch saßen die Kapitäne Berger und Schirmer, neben dem Kommandanten Frigga Holk, vor den Schalttafeln, diensttuend, die weiteren Offiziere. Nicht nur der körperliche Verfall hatte aller Züge gezeichnet, auch die seelische Not spiegelte sich in dem aus dem Schutzhelm schimmernden Antlitz der Menschen. Was bringen die nächsten Stunden? Tod — — oder — — doch noch das Leben?
Über eine Stunde war nach dem furchtbaren Zusammenstoß mit dem riesigen Meteor vergangen. Gunter und Berger war es gelungen, alle Insassen der Kugelzentrale der verderblichen, lähmenden Ohnmacht zu entreißen. Im Mannschaftsraum, der Maschinenzentrale und Küche hantierte das Sanitätspersonal, auch die letzten wieder arbeitsfähig zu machen.
»Ich glaube doch noch —«, ertönte, die lastende Stille brechend, die tiefe Stimme Bergers, der nach langem Betrachten des Kursbogens den behelmten Kopf hob. Alle waren noch in die Schutzanzüge gekleidet, nur die Mundklappen waren geöffnet. »Ich glaube doch noch, daß wir bei Ausnutzung der letzten Energien der Düsen das Schiff so abbremsen können, daß wir glatt zu landen vermögen.«
»Das kann ich nicht verantworten!« War die rasche, aber harte Entgegnung Frank Gunters.
»Sie sehen zu schwarz, Gunter!« Bergers Stimme wurde brüchig. Überhastet laut polterten vor Aufregung zitternd die Worte: »HD-66 trägt die modernsten und zuverlässigsten Elektronendüsen! Wir können ihnen die Überbeanspruchung glatt zumuten!«
»Den Menschen aber nicht den vielfachen Andruck auf längere Zeit! — — Sie würden 800 Pfund wiegen, Berger!«
Der Angeredete zuckte empört die Schultern. Gunter fuhr unbeirrt fort.
»Nein, so geht es nicht! Wir sind alle zu sehr mitgenommen. Im Falle einer erneut eintretenden Krise irgendwelcher Art würden unsere Nerven endgültig versagen. Damit wäre unser Schicksal, von der physiologischen Seite aus gesehen, noch rascher besiegelt. — — — Und«, Nachdruck lag in der Stimme, »was die technische Seite Ihres Vorschlages anbelangt, Berger, werde ich mich nie entschließen, alles auf eine Karte zu setzen, das heißt, die E-Rohre derart zu mißbrauchen! — — Brennen dann noch einige Anreger durch Überbeanspruchung durch — — — dann adieu, schöne Welt! — — Wir zerschellen irgendwo auf der Venus!« Frank Gunter lehnte sich schroff zurück und betrachtete sein Gegenüber.
Frigga Holk überlief ein heftiges Frösteln. Ihr Körper zitterte. Gunter gewahrte es und legte besänftigend die Linke auf ihren Arm; seine Augen suchten die ihren. Der ruhige, ernste, doch so selbstsichere Blick gab ihr Kraft. Seit sie diesen Mann in seiner Umgebung mit entschlußfester Tatkraft erlebt hatte, waren die Bilder des sommerlichen Liebesspiels am sonnenüberglühten Strande bei Kahlberg verblichen, hatten jenem erschütternden Erleben im Raumschiff Platz gemacht, und in dessen Mitte stand ein Mann: Frank Gunter.
Berger hatte sich wieder dem Kursbogen zugewandt. Seine Hände zeichneten Kurven und Linien. Die Rechenmaschine schnurrte mehrmals.
Der Raum barst schier von verhaltener Nervosität.
»Bitte die Positionsangabe!«, tönten rauh seine Worte in das lastende Schweigen um den Tisch.
Der Dritte Offizier beobachtete und nannte nach kurzer Zeit mehrere Zahlen.
»Danke!«
Wieder rechnete und zeichnete Kapitän Berger. Dann hob sich sein Kopf. Ein seltsam unsteter Blick traf Frank Gunter, der fast abwesend hinüberschaute, mit ganz anderen Gedankten beschäftigt.
»Was haben Sie ermittelt?« Gunter fand zu seiner Umgebung zurück.
»Das gleiche wie vorhin!« Die Stimme wurde lauter. »Die restlichen Seitendüsen sind nicht mehr stark genug, das Schiff in den von Ihnen angesetzten Tangentialkurs zu bringen. Die Anziehungskraft der Venus wird stärker und stärker, kompensiert nahezu die Richtwirkung!«
»Ich habe nichts anderes erwartet!«
»Dann geben Sie endlich den Befehl, die Bugdüsen mit äußerster Kraft arbeiten zu lassen! — — Unsere Geschwindigkeit ist noch viel zu hoch! — — — Wir stürzen doch ab!« Berger, der sonst so ruhige, hatte sich nicht mehr in der Gewalt, brüllte plötzlich vor Wut.
»Nein!«
»Sie sind verrückt, Gunter!« Ein harter Schlag sauste auf die Tischplatte. Berger schrie bebend vor Erregung. »Wenn Sie nicht mehr fähig sind, das Schiff zu führen, dann treten Sie ab — —!! — — Ich denke gar nicht daran, Ihrer blödsinnigen Halsstarrigkeit unser Leben zu opfern! — — Schirmer! — — Ich übernehme das Kommando über HD-66. Achtung, die B-Düsen — —«
»Halt!«
Wie ein pfeifender Peitschenhieb knallte das Wort grell durch den Kommandoraum. Frank Gunter war nicht einmal aufgestanden. Er saß nur etwas weiter als bisher vorgebeugt und starrte voll verhaltenen Zorns auf Berger, dessen Nerven offensichtlich den Ereignissen nicht mehr gewachsen waren. Doch ihm entging nicht, daß die unbotmäßige Aufforderung des sonst so Biederen seine Spuren hinterlassen hatte. Die Leute waren von den furchtbaren Ereignissen seelisch und körperlich zu sehr mitgenommen. Allzu Primitives war erwacht: Nur noch das Leben retten!
Sekunden waren nach dem schneidenden Halt des Kommandanten vergangen, und noch schwieg dieser. Doch seine Augen musterten jeden einzelnen, sich Gewißheit zu verschaffen, und mancher hatte dem Blick nicht standgehalten.
Da erhob sich Frank Gunter schwer — die doppelte Anziehungskraft lastete auf allen — das havarierte Schiff abzubremsen.
»Herr Kapitän Berger!« Er trat um den Tisch herum auf den Angeredeten zu; seine Hand fiel hart auf dessen Schulter. »Es gibt noch ein Mittel, HD-66 zu retten!« Mit keiner Silbe, keiner Geste erwähnte er die Aufforderung zur Meuterei. Das »Herr Kapitän« sagte alles.
»Das wäre?« Man hörte Bergers Stimme nun, da der andere bezwingend vor ihm stand, die ehrliche Bestürzung ob seiner Handlungsweise an.
»Ich lasse mich mit HD-C ausschleusen!«
»Gunter — — —!«
»Ja, Berger!«
»Das ist Wahnwitz, Gunter!« Berger flüsterte heiser. Der tollkühne Gedanke verschlug ihm die Stimme.
»Nein, Berger! — — — Das ist kein Wahnwitz. Das ist die einzige Möglichkeit unserer Rettung! — — — Denken Sie doch einmal ruhig nach!« Gelassen rüttelte die Hand an der Schulter seines Lehrmeisters.
Dieser neigte nur träge den Kopf mit dem Schutzhelm. Er war besiegt.
Gunter fuhr fort: »Was wir im Luftraum der Erde vermögen: mit unserem Hilfsschiff dem Mutterschiff Bugsierdienst zu leisten, muß auch im Weltenall möglich sein!«
»Das hat doch noch niemand versucht! — — Das ist unmöglich! — — — Das geht nicht! — Sie setzen nutzlos Ihr Leben aufs Spiel, Gunter!« Jetzt warb ehrliche Sorge aus den abgerissenen Sätzen.
»Warum soll das nicht gehen, Berger?!«
»Die kosmische Strahlung, Gunter! Denken Sie doch an die Strahlung! — — HD-C ist lange nicht genug gepanzert dagegen! Sie würden wie von einer riesigen Röntgenröhre langsam getötet!«
»Die Panzerung von HD-C und mein Schutzanzug müssen genügend Abwehrkraft besitzen!«
Berger wollte hinausschreien: Sie opfern sich für uns alle! Doch er schwieg. Dieser schier wahnwitzige Vorschlag hatte dennoch Methode, bot sichere Rettung für alle, bis auf einen...
Seine Gedanken arbeiteten.
Da reckte er sich auf:
»Sie haben recht, Gunter! Doch nicht Sie, sondern ich werde HD-C leiten! — — — Ich bin alt genug, um mit dem Leben abschließen zu können. Sie noch nicht!« Sein Blick streifte Frigga.
»Nein, Berger! Hier bin ich Kommandant! — — Kapitän Schirmer!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
»Die Bugdüsen B 1—10 und 11—20 auf Beschleunigung 10! — — — — Die Steuerbordseitendüsen SS 30—36 laufen mit Vollkraft weiter!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Schirmer hob die Hände zu den Schaltern, führte den Befehl aus.
Ein leichter Ruck ging durch das Schiff. Der Andruck wich. Man glaubte, wieder in irdischen Verhältnissen zu leben, leicht und unbeschwert.
»Jetzt heißt es rasch handeln! Unter dem erhöhten Andruck wäre die Mannschaft nicht fähig gewesen, die Ausschleusungsvorbereitungen zu bewältigen!«, setzte Gunter, seinen Befehl erläuternd, hinzu: »Das Kommando übernimmt Kapitän Berger!« Laut schallte die Stimme. »Schirmer, Sie begeben sich in den Mannschaftsraum, nehmen sechs Leute mit, machen HD-C startbereit! Ich komme nach!«
»Jawohl, Herr Kommandant!«
Kapitän Schirmer verließ den Raum.
Berger war aufgestanden. Nun schritt er, immer noch wie unschlüssig oder von einem schlechten Gewissen geplagt, auf seinen ehemaligen Schüler zu. Seine Gestalt schien noch mächtiger in dem weitbauschigen Silberanzug. Hinter Frank Gunter, der mit der Küche telephonierte, dort eiserne Portion für 10 Tage, Wasser und Getränke anforderte, blieb er stehen.
»Jawohl! — — Richtig! — — — Aber, sofort in HD-C durch Karl verstauen lassen! — — — Ja! — — — Gut! — Danke!«
Da wandte sich Gunter um, den Hörer einhängend und schaute in Bergers feuchtschimmernde Augen.
»Frank!« Noch niemals hatte der Biedere ihn so angeredet. »Frank Gunter! Lassen Sie mich das Unternehmen durchführen! — — Ich bin allein auf dieser Welt!« Fast wie eine Entschuldigung klang es. »Nach mir fragt keiner mehr!«
»Nach mir auch nicht!« Barsch kam die Antwort zurück.
»Doch!« Beide Hände des älteren Kameraden hatten die Arme des jüngeren ergriffen und zerrten an ihnen: »Da drüben — —!« Der Kopf lehnte sich seitwärts, auf Frigga Holk deutend, die allein noch, vor sich hingrübelnd, an dem großen Arbeitstisch saß.
Eine Glutwelle überzog Gunters Gesicht. Woher wußte jener um seine geheimste Angst — Frigga allein lassen zu müssen?
»Nein, Berger!« Ein hartes Straffen des Körpers, daß Berger die Hände von den Armen sinken ließ. »Die Verantwortung für meinen eigenen Plan, den Sie selbst vorhin wahnwitzig hießen, muß ich allein übernehmen!« Ein tiefes Aufatmen. »Überdies fehlt Ihnen jede Praxis beim Manövrieren der Hilfsschiffe im Bugsierdienst großer Raumschiffe. Dagegen besitzen Sie Erfahrung genug praktischer und theoretischer Art, den noch steuerfähigen Rest meines noch vor kurzem so stolzen Schiffes nach Ihrem Plan auf der Venus landen zu lassen — — — falls mein Vorhaben mißlingt. Nur die kosmische Strahlung könnte es — — — allerdings mißlingen lassen!« Gunter schwieg sehr nachdenklich.
Berger hob langsam die Schultern. Fast verzweifelt sanken sie wieder herab. Er fühlte, daß er der Einsatzbereitschaft des Jüngeren eigene Kraft nicht mehr entgegenstellen konnte.
Und doch nahm er noch einmal einen Anlauf, dem Menschen, der erst in der letzten Viertelstunde wieder bewiesen hatte, wie hoch er über den Dingen stand, nicht mit einem Wimperzucken ihn das aufbegehrende Versagen fühlen ließ, das Leben und damit dem Werke, dem sie alle dienten, die Arbeitskraft zu erhalten.
»Gunter!« Der tiefe Baß war ein einziges werbendes Vertrauen, die Schuld zu sühnen: »Gunter!« Wieder lagen beide Hände auf den Armen des Jüngeren. »Bedenken Sie doch! Selbst wenn die Reflexionsschichten von HD-C und des Schutzanzugs ausreichen, die Ultrastrahlung zu dämpfen, Sie so lange am Leben zu lassen, bis Sie Ihr Vorhaben durchgeführt haben, ein entsetzlicher Tod ist Ihnen später gewiß!« — — Berger grauste es, weiter zu sprechen.
»Mag sein, Berger!« Eiskalt, gefühllos sprang die Antwort auf Berger.
»Ja — — ja!«, der Baß dröhnte verzweifelt. »Wir haben doch keine praktische Erfahrung! — — — Denken Sie doch daran! — — — — Unsere Anzüge sollen doch nur Schutz gegen Vakuum und Weltenraumkälte bieten, bei Verletzung der Kugelzentrale durch kleine Meteoreinschläge, nie aber im Weltenraum benutzt werden!«
»Ich kann nur meine Pflicht erfüllen, Berger! Sonst nichts! Ich habe den Kurs angesetzt! — — Ich muß auch seine verheerenden Folgen mit letzter Kraft aufhalten! — — Ich kann nicht anders!«
Gunter riß sich los, drehte sich jäh im Davonschreiten noch einmal um: »Ich könnte später nicht mehr leben, als Feigling. Sie gehören hierher, Berger. Ich dahin, wohin mich mein Gewissen treibt, an Bord HD-C!«
Frank Gunter wandte sich dem Telephonapparat zu.
»Hallo! — — Hier Kommandant Gunter! Bitte Herrn Lorenz!«
— — — —
»Herr Lorenz! — — Bei Ihnen alles wieder erholt?«
— — — —
»Gut, freut mich! Hören Sie mal, Lorenz! Wir haben doch den tragbaren 4-kW-Hilfssender im Ersatzteillager?«
— — — —
»Ja? — — In Ordnung! Prüfen Sie sofort das Gerät auf seine Sendefähigkeit und lassen Sie das Ding umgehend an Bord HD-C bringen und im Schrank 3 in den Sicherungsfedern aufhängen! Wenn etwas nicht klappen sollte, rufen Sie mich gleich hier an!«
— — — —
»Gut! Danke! Machen Sie ferner die Bordstation betriebsfertig für Welle HD-C! In den nächsten Stunden gibt's Arbeit für Sie. Ich lasse HD-C ausschleusen zum Bugsierdienst unseres nicht mehr voll manövrierfähigen Schiffs. Sie halten die drahtlose Kommandoverbindung aufrecht, Schaltung auf Mikrophon und Lautsprecher-Kugelzentrale! Im übrigen gilt Dienstplan B!«
— — — —
»Wie?«
— — — —
»Doch — — doch!« Jener mußte wohl erschreckte Einwendungen gemacht haben. »Sie haben alles verstanden?«
— — — —
»Ja! Danke sehr, Herr Lorenz!« Gunter legte den Hörer auf die Gabel zurück und wandte sich Kapitän Berger zu.
»So, mein lieber Käpt'n!« Froher Mut klang aus seiner Stimme. »Jetzt rasch noch zum Fahrtenbogen!« Er schritt zum Tisch, ließ sich auf seinen Stuhl nieder, und als Berger neben ihm stand und auf die Tischplatte gestützt seinen Darlegungen folgte, erläuterte er ihm nochmals eingehend sein Vorhaben, legte in großen Zügen den Kurs fest, den das schwer havarierte Raumschiff einschlagen sollte, um doch noch auf der Venus glatt zu landen.
»So, das wäre alles!« Gunter lehnte sich zurück. »In spätestens achtundvierzig Stunden haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Doch unternehmen Sie auf der Venus nichts vor genauester Prüfung der Atmosphäre! Falls wir, was sehr wahrscheinlich ist, auseinanderkommen sollten, senden Sie Richtpeilung!«
Frank Gunter griff in die Schublade, nahm das Fahrtenbuch heraus, trug in raschen Zügen, doch verzerrt durch die schützenden Handschuhe, seine Anordnungen ein. Der Schluß lautete: »Kapitän Berger übernimmt 18 Uhr 55 das Kommando über HD-66. Frank Gunter.«
»So! Bitte, zeichnen Sie gegen!«
Schwerfällig faßte Berger nach dem dargereichten Halter, zögerte. — — — Noch immer konnte er sich nicht damit abfinden, daß der jüngere ging und er hierbleiben sollte.
»Los, Berger! Die Zeit drängt!«
Schon hatte Gunter den Stuhl zurückgeschoben, da unterschrieb Berger.
Frank Gunter erhob sich. Zwei Silbergestalten, bewehrt mit dem massigen Kopfhelm, standen sich in der Kugelzentrale gegenüber. Vor den Schalttafeln saßen zwei weitere. Und eine weitere Silbergestalt hockte immer noch an der Seite des Schreibtischs — — — Frigga Holk
Die Frau war in der Tat der Männer untergegangen, empfand, daß ihr seelisches Versagen sie ausgeschlossen hatte von der Gemeinschaft jener, in der nur das Herrenrecht, der Einsatz für die Gemeinschaft, galt. Und irrsinnige Angst überkam sie um das Schicksal desjenigen, der da freiwillig ging. Ihr »Ich« war zum »Wir« geworden.
Da wandte sich Gunter ihr zu.
»Auf Wiedersehen, Frigga!«
Schwer hob sich der beheimte Kopf. Der Körper folgte. Frigga Holk stand hoch aufgerichtet. Ihre Hand ergriff jäh die seine.
»Leb wohl, Frank — — —!« Sein Fingerdruck schmerzte trotz der schützenden Handschuhe, und noch einmal klang es leise: »Leb wohl — — — Frank!«
Ein feuchtes Augenpaar schimmerte unter der Schutzbrille und fand doch die Augen des Mannes, der sie frei und groß anzublicken vermochte.
»Auf Wiedersehen, Frigga!«
Gunter wandte sich rasch ab, begab sich zu den beiden an der Schalttafel.
»Also, bis nachher, meine Herren!« Die Hand fuhr grüßend zum Helm. Ein Umwenden:
»Berger, machen Sie Ihre Sache gut!«
Ein Handschlag des bis ins tiefste Erschütterten bekräftigte das stumme Versprechen.
Kommandant Frank Gunter verließ die Kommandozentrale.
Das Hilfsschiff HD-C lag gebettet in seinen Lagern. Nur die Seitenklauen waren gelöst. Eben hatte Frank Gunter durch die Doppelschleuse die kleine Halle betreten. Die Innenheizung des Schutzanzugs arbeitete.
Noch waren die Spreiztore geschlossen, die, in kurzer Zeit geöffnet, dem kleinen Schiff den Weg in den Weltenraum freigeben würden.
Vom seitlichen Luk hing eine Strickleiter herunter. Nur so konnte Gunter an die Eingangstür gelangen, denn das Hilfsschiff im Rücken des großen Raumschifftorsos stand ja für irdische Begriffe senkrecht auf der Spitze, bedingt durch die vom Bug des Mutterschiffs ausgehende Bremswirkung.
Schwerfällig kletterte die Silbergestalt aufwärts; ein auf der Brust festgeschnallter Rundstrahler erhellte den Weg.
Das Emporhangeln in dem unförmigen Schutzanzug verursachte Anstrengung, Sprosse auf Sprosse an der pendelnden Strickleiter.
Die Luke war erreicht.
Gunter tastete nach den inneren Haltegriffen, faßte einen, trat gebückt auf den Lukenrand, schob die Beine nach innen, ließ sich nieder und saß.
Einen Augenblick verschnaufen! — — —
Die Turnerei war nach den vorausgegangenen Ereignissen zu kraftraubend gewesen. Er lehnte sich, die Arme ausstreckend, entspannt nach hinten. — So ließ sich leichter Atem holen.
— — — —
Der an der Brust festgeschnallte Scheinwerfer strahlte schräg nach oben, und unwillkürlich folgten die Augen dem Lichtbündel.
»Sind denn die Kerle blödsinnig geworden?« Ein entsetzter Ausruf Gunters.
Er sah mit schreckgeweiteten Augen, wie die großen Außenklappen sich langsam öffneten.
Im gleichen Augenblick schwoll der Gummianzug an, blähte sich auf.
Ein rasend rasches Vorschnellen des Körpers. Der ballongeweitete Schutzanzug klemmte schon an dem Lukenrand. Ein Ruck! — Noch ein Zerren! — — — Wieder Zerren und Schieben. Ich muß doch hinein! Ein letztes Winden — — —
Er war hindurchgeschlüpft, hielt sich krampfhaft an den Griffen im Innern des Schiffs, die Füße suchten Halt.
Jetzt konnte er stehen!
Da war die runde Lukentür
— — — —
Zuwerfen!
— — — —
Die silberne Tür drehte sich, fiel in den gestuften Verschlußrahmen. Die Hände ergriffen die Knebel, schraubten in maßloser Hast.
Noch einmal — — noch einmal — — — —!
Die Eintrittsluke war vakuumdicht verschlossen.
Wer hatte denn da wieder die Nerven verloren, die Spreizklappen, die die kleine Halle durch Druckluftzufuhr vor der Luftleere des Weltenraums schützte, vorzeitig zu öffnen.
Na, wartet mal! Ich werd' mir den Verantwortlichen schon kaufen!
So ein verdammter Blödsinn!
Ausdrücklich habe ich befohlen, erst 10 Minuten nach meinem Verlassen der Doppelschleusen die Außentore aufzumachen. Wartet mal, bis ich zurückkomme!
Gunter war tatsächlich durch die unverständliche Handlungsweise eines seiner Untergebenen in eine überaus gefahrvolle Lage geraten. Sein Leben hatte im wahrsten Sinne des Wortes an einigen Millimetern gehangen. Dadurch, daß alle Luft aus HD-C und der Lagerhalle sofort in das Weltenall entwich, völliges Vakuum eintrat, mußte sich der Silbergummianzug wie ein Ballon aufblähen; weitete doch der Innendruck der Atemluft die elastische Hülle.
Gerade noch hatte die Öffnung der Luke ausgereicht, sich durchzuzwängen.
Frank Gunter überlief es eiskalt.
— — — —
Ein kleiner Riß — — —! Platzen — — —!
— — — —
Aus ...!
— — — —
Dank euch, bei »Detatom«, daß ihr so solide gearbeitet habt!
Er schüttelte schwer atmend die zermalmenden Gedanken ab.
Weiter!
— — — —
Es hieß handeln!
Jede Minute war kostbar!
Dort stand der Kommandostuhl.
Dorthin! — — — Hinsetzen!
Die Hände schalteten mehrmals. Lampen glühten auf. Der aufgeblähte Schutzanzug schwoll langsam unter der Wirkung des Luftdruckregulators in HD-C ab. Gunter tastete genickwärts nach einer Außenwölbung des Helms. Die Finger ergriffen eine gummibewehrte Litze, zogen sie lang und stöpselten den Stecker in die Dose des Schaltbretts unter ihm. Ein Summen ertönte aus den Kopfhörern im Schutzhelm. .
Tiefrote Rubinscheiben aus starkem Bleiglas schützten die Augen.
Wieder wollte er einen Hebel wenden. Vergebens!
Er rüttelte, zerrte. — — — Wie festbetoniert gab der Schalter nicht im geringsten nach.
Kalter Schrecken überrieselte Gunter.
Hilf Himmel! — — — Was ist jetzt?
Feuchte Perlen bildeten sich auf seiner Stirn. Die tagelange Überanstrengung der Nerven zerrte an seinem Willen. Lähmende Angst fraß an seiner Widerstandskraft.
Herrgott, wenn das schon so anfing, daß ein Schalter, der Schalter, den er unbedingt betätigen mußte, sich festgefressen hatte, wie sollte das Unternehmen denn enden?
Und plötzlich überfiel ihn elende Verzweiflung. Matt fiel die Hand von dem schicksalhaften Hebel. Der Kopf torkelte schwerbehelmt nach unten, schlackerte, von vergeblichen Anstrengungen gehoben, haltlos hin und her.
Eine entsetztzliche Müdigkeit überkam Frank Gunter.
Er riß sich zusammen, kämpfte mit letzter Kraft dagegen an, tastete noch einmal zu jenem schimmernden schwarzen Schalter, den er wenden mußte — mußte!
Das — — — war — — zuviel!
Wie Blei lag es auf seinen Augenlidern. Sein Kopf war voller Blei, das stehend schmerzte.
Aus! — — —
Der Hebel rührte sich nicht!
Schlafen! — — — Jetzt schlafen! — — — Endlich Ruhe haben!
Es war — ja al — les — — vergebens. Nur schla — — — fen!
Die körperliche Anstrengung, die Strickleiter aufwärts zu klettern, die zu frühe Öffnung der Außenklappen und ihre Folgen, der Einsatz letzter Kraft, die Lukentür zu verschließen, den Sitz zu erreichen, hatten den Willensstarken nach den Tagen gewaltiger Überbeanspruchung der Nerven und Erschütterung der Seele zermürbt.
Schlafen! — — Schla — — — fen!
— — — —
Nein, nein, nicht schlafen! Du darfst doch nicht schlafen, Frank! — — Denk an die Kameraden! Sie sind alle verloren! Du auch!
— — — —
Die Lider fielen ihm zu! Nur einen Augenblick ausruhen, — Ich will ja gar nicht schlafen! — — Will ja nicht schlafen, nur etwas ausruhen, nachdenken! Die Brust hob sich. Der Atem ging tiefer und tiefer.
»Warum geht der Hebel nicht?«, murmelten die Lippen schläfrig.
Ich will doch nicht schlafen!
In einer Halbwelt von Schein und Sein träumte schon Frank Gunter sekundenlang. Immer tiefer ging der Atem. Das Schicksal des Raumschiffwracks war besiegelt!
— — — —
Nein, ich schlafe ja gar nicht! Ich bin doch wach!
— — — —
»Ja? Wer spricht denn mit mir?«
— — — —
»Frigga!!? — — Wo bist denn du?«
— — — —
»Das ist doch nicht Friggas Stimme? «
— — — —
»Wer spricht denn da so tief?«
— — — —
»Ja —a-a — — — —?«
— — — —
Langsam hob sich der behelmte Kopf. Nichts war von den irren Augen zu sehen, und trotzdem betasteten sie irr ihre Umgebung.
Wo bin ich denn?
Das ist doch das Schaltpult von HD-C?
In rasender Schnelle überstürzten sich die Gedanken, fanden Stück auf Stück zurück in die Wirklichkeit. Hatte er doch geschlafen? Da sprach Berger mit ihm?
»Ja? — — Berger?«
— — — —
»Was los ist?«
— — — —
»Sie sind in großer Besorgnis?«
— — — —
Im Schutzhelm dröhnte überlaut die erregte Stimme Kapitän Bergers, riß die letzte Müdigkeit, überwunden durch den kurzen Dämmerschlaf, wie flatternde Fetzen auseinander.
»Ich soll zurückkommen? — — Die kosmische Ultrastrahlung?«
— — — —
»Nein, Berger. Der — — —!«
Da wußte es Frank Gunter wieder, der Schalter!
Seine Hand schnellte nach unten.
— — — —
Der Schalter bewegte sich, ließ sich spielend leicht umlegen.
»Berger! Ich hatte eben Schwierigkeiten mit dem E-Rohr-Anregerschalter! Der Apparat muß blockiert gewesen sein.
— — — Jetzt hab' ich ihn wieder in meiner Gewalt!«
— — — —
»Wie?«
— — — —
»HD-C ungenügend angeheizt? — — — — Kälte hat den Ölschalter gefrieren lassen?«
Frank Gunter schloß für eine Sekunde glücklich erlöst die Augen. Jener hatte recht! Er selbst hatte an diese Möglichkeit nicht gedacht. Hatte auch Kapitän Schirmer vor seinem Eintritt die elektrische Heizung an Bord HD-C angeschaltet, so war die Zeit nicht ausreichend gewesen, den empfindlichen Schalter von der Fettstarre zu lösen. Dazu kam noch der Einbruch der Weltenraumkälte bis zu dem Augenblick, da die Lukentür verschlossen war. Jetzt hatte die starke Heizung dicht um das Schaltpult das Auftauen bewerkstelligt.
Und während Gunter mit neuerkämpfter Ruhe die Anordnungen für die nächsten Manöver in das Helmmikrophon sprach, schämte sich seine Mannesseele ob des nunmehr klar erkannten Zusammenbruchs und seines Versagens.
»Gut, Berger! — — Schalten Sie langsam auf Beschleunigung 1 und geben Sie mir in etwa zwei Minuten Bescheid!«
— — — —
»Jawohl!«
Das drahtlose Gespräch war beendet.
— — — —
Was waren das nur für unangenehme Knistergeräusche in der Übertragung? Die Verbindung war doch sonst auf diese kurze Entfernung einwandfrei.
Hell gleißte das elektrische Licht in HD-C. Doch nur dunkelrot sah Gunter alles durch seine Schutzbrille.
— — — —
Woher rührte das Knistern?
Da!
Ein entsetzter Blick nach abwärts!
Das Gummikabel aus seinem Helm! — Da unten! — — Risse und Sprünge — — —?
Auch das noch!
Ein angstvolles Vortasten, leichteste Berührung der dicken Silberfinger. Kleine Stücke sprangen in der Knickstelle aus der Gummiwandung, gaben die inneren Adern dem Blick preis.
Die Kälte hatte auch hier ihr vernichtendes Werk getan.
Ersatz — — Ein einziges heißes Aufbegehren!
— — — —
Von dieser Leitung hing alle zukünftige Verständigung ab.
— — — —
Unmöglich! Da unten links war das Fach, doch in dieser Lage des Schiffs unerreichbar.
— — — —
Durchhalten! — — Keine unnötige, hastige Bewegung! Noch reichte der unbeschädigte Rest der Isolation, den Sprechstrom zu leiten.
Immer geringer wurde die Anziehungskraft.
Berger schaltete in der Kugelzentrale des Mutterschiffs langsam auf Beschleunigung 1. Darin konnten Menschen noch ohne Gleichgewichtsstörung leben. Jedoch nur das fast kraftlose Dahinschießen des großen Raumschiffwracks setzte das kleine Hilfsschiff HD-C in die Lage, seine gesammelte Elektronenausschußenergie zur Änderung des Kurses wirkungsvoll anzusetzen.
Da dröhnten wieder die Kopfhörer!
»Hallo, Gunter!«
»Ja, Berger!« — — Wieder dieses niederträchtige Knistern. »Bitte, sprechen Sie leiser, Berger! Ich verstehe auch so ganz gut!«
— — — —
»Sie empfinden Störungen in der Verbindung?«
— — — —
»Nein, ich nicht!« Was brauchte jener um die neue Not zu wissen? — — — Jetzt, da er leiser sprach, war die Verständigung besser.
»Ich lege jetzt ab! Halte Sie über jedes Manöver auf dem laufenden! Bleiben Sie am Tischmikrophon!«
Dann ein rascher Griff Gunters zu dem Schaltpult.
Im gleichen Augenblick saß Frank Gunter, der eben noch, wenn auch fast gewichtslos, in den Haltegurten hing, senkrecht auf seinem Sessel.
HD-C hob sich, angetrieben von den unteren E-Rohren. Der Schwerpunkt lag jetzt unten.
Ein schauerliches Bild in der ewigen Nacht des Weltenraums. Aus den geöffneten Silberplatten im Rücken des halbzerstörten Riesenschiffs löste sich strahlend, im grellen Sonnenlicht gleißend, das kleine Hilfsschiff.
Frank Gunter schloß für Sekunden die Augen.
Durch die Backbordschlitze überschüttete blendende Helle das Schiffsinnere, schmerzte, trotz der schützenden Rubingläser. Die Kraft der Sonne, durch keine Lufthülle gemindert, war ungeheuer.
Die Linke schirmte die Strahlen ab. Wieder schaltete die Rechte.
»HD-C ist frei von HD-66! Ich lege nach steuerbord über!«
— — — —
Nichts antwortete Frank Gunter. Und doch hatte er das Empfinden, als ob ein entsetztes Atmen in den Kopfhörern vernehmbar sei. War wohl nur die Folge der nicht einwandfreien elektrischen Übertragung.
Neues Betätigen von Hebeln.
HD-C senkte sich in schwarze Nacht!
Wie der leuchtende Vollmond im Schatten der Erde zur Mondfinsternis wird, wenn die größere Kugel zwischen ihn und die Strahlen der Sonne tritt, so war das kleine Hilfsschiff HD-C plötzlich eingefangen in den Schatten seines Mutterschiffs.
Frank Gunter schob die Rubingläser hoch.
Ultrastrahlung! — — Deine Augen, Frank!
Ich kann sonst nichts sehen!
Ein großartiges Bild bot HD-66. Eine riesige, schimmernde Gloriole, und die Konturen des Bugs vielfarbig strahlend in der tiefschwarzen Undurchdringlichkeit der ewigen Weltenraumnacht, so gleißten zur Linken die Umrisse seines Schiffs HD-66.
Gunters Seele war gefangen von dem schauerlich-schönen Anblick. Kein Nordlicht konnte solche Kontraste je erzeugen wie diese sprühenden Farben auf sattschwarzem Untergrund. Und er als erster Mensch durfte das erleben im Weltenraum!
Gewaltsam riß er sich los! — — Wo sind die Schalter?
Vier Scheinwerfer spießten ihre engwinkligen Strahlen in die gähnende Nacht.
Jetzt hieß es, alle Erfahrungen, alle Praxis ausnutzen, HD-C an die Seite des dahinschießenden Bugs von HD-66 zu pressen, den Kurs zu ändern, den verheerenden direkten Absturz in die rettungversprechende Landungsspirale umzuwandeln.
»Hallo, Berger!«
— — — —
»Ja!«
— — — —
»Achten Sie genau auf meine Worte!«
— — — —
»Ich beschleunige jetzt vor, wende hart backbord in die Trossenmulde!«
Die Hände schalteten.
HD-C löste sich weiter von HD-66, zog einen Bogen, stand jetzt kurz hinter der Bugspitze seines Mutterschiffs, senkrecht zu dessen Kurs.
— — — —
»Achtung!«
— — — —
Frank Gunter schaute verbissen voraus durch die Sehschlitze. Vier Scheinwerfer wiesen genau auf die Mulde im großen Raumschiffkörper, in die er die Spitze von HD-C stoßen lassen wollte.
Ein rascher Schalterdruck!
Rumm! Ein leichter Stoß.
»Geschafft, Berger!« Ein Jubelruf.
Genau hatte Gunter mit der Spitze seines kleinen Schiffs die Ankertrossenmulde in der Wandung von HD-66 getroffen, die einzige nach innen gewölbte Stelle, von der er, nicht abgleitend, das gefährliche Werk vollenden konnte.
»Gebe volle Heckdüsen!«
Mit unbändiger Freude griffen Gunters Hände zu den Schaltern. Alle Not war vergessen. Die Tat, vor der er selbst, der ungeheueren Schwierigkeiten wegen, keinem anderen, nur sich selbst eingestanden, die größte Angst hatte, war im ersten Ansturm vollbracht.
Er fühlte den Andruck. Die Heckdüsen HD-C spien lautlos ihre Elektronen. Jetzt war HD-66 gerettet!
»Berger!«
— — — —
Keine Antwort.
— — — —
»Berger!«
An Gunters aufgepeitschten Nerven riß die Unerklärlichkeit des Vorgangs mit niederschmetternder Wucht.
Eben war doch noch die Verbindung da!
Warum meldete sich HD-66 nicht?
— — — —
»HD-66! — — HD-C ruft HD-66!«
— — — —
Stille...! Nichts war unter dem schützenden Helm zu vernehmen. Das eigene Blut sang ein seltsam verstörtes Lied in den Ohren.
Und wieder, mit letzter Kraft, beherrscht, tönte zermürbend langsam die Stimme in das Mikrophon.
»H—D—66!— — —H— — —D—66! — — — H— — — D — — —C— — —ruft— — —H— — — D— — —66!«
— — — —
Nichts!
Der behelmte Kopf neigte sich. Die Augen glitten unter den Schutzfenstern verzweifelt über das Schaltpult.
Die Zeiger der Sendeanlage standen ruhig auf den markierten Strichen.
Der Sender arbeitete.
Wo lag der Fehler? — — — Herrgott wo?
Hier doch nicht! — — —
Warum antwortet Berger nicht mehr?
Der Kopf hob sich. Der Blick fraß sich durch die Sehschlitze nach vorn, sah silbergleißend angestrahlt durch die vier Scheinwerfer die Außenwandung des Mutterschiffs vor sich.
Dort waren doch die anderen! — — Warum antworteten sie nicht?
Erneut griffen die Hände plötzlich zu den Schaltern. Die Augen hatten eine geringfügige Schiefstellung von HD-C in der Trossenmulde erkannt. Noch ein Hebelschieben.
HD-C stand wieder senkrecht gegen das Mutterschiff, schob es unter Vollauf seiner Elektronendüsen aus dem gefährlichen Kurs.
Als Gunter die Rechte von dem Schaltpult zurückzog, berührte er unfreiwillig die Verbindungslitze zu seinem Helm.
Ein unerträgliches Dröhnen der Kopfhörer war die Folge. Abgerissene Worte hämmerten, die Sinne betäubend, in die Ohren.
»Kärr — — in — — dung — — Käärr — — stellen — — Käärr — —«
— — — —
Aus!
Ein verstört überhasteter Griff nach dem Stecker. Raus damit! Um Gottes willen! — — — Das war ja unerträglich. Der Kopf schmerzte stehend, die Ohren dröhnten.
Sekunden vergingen, bis Gunters aufgewühlte Nerven zur Ruhe kamen. — — — Die Gedanken hetzten.
Die Verbindungslitze war defekt; das war jetzt klar. Überdies schien Lorenz die größte Verstärkung eingeschaltet zu haben.
Gunters Gedanken arbeiteten fieberhaft.
Was tun?
Dauerte dieser Zustand noch länger an, dann mußten die in HD-66 annehmen, daß Bergers Prophezeiung von der tödlichen Wirkung der Ultrastrahlung rascher Wirklichkeit geworden war, als jeder annehmen konnte. Dann aber würde Berger handeln, seinen Plan durchführen, HD-66 unter Einsatz der letzten Kraftreserven zu retten, und dann — —?
Dann war HD-66 verloren!
Er, Gunter, wußte allein, daß die Neukonstruktionen des Typs »M« der E-Rohre, die zum ersten Male in HD-66 eingebaut waren, einen Fehler besaßen. Im normalen Betrieb waren sie unerreicht, ließen sich mit einer Schnelligkeit regeln und aussteuern, die die älteren E-Rohre weit in den Schatten stellte. Aber — — sie waren überzüchtet, versagten bei längerer, gewaltsamer Überbeanspruchung, Weder Wulff noch Lorenz hatten vorgestern die Ursache des Nichtansprechens erkannt, als sie zu dritt Backheck 7 ausbauten. Er selbst hatte leichthin das Versagen auf die Erschütterung des Meteoreinschlags zurückgeführt, und jene hatten die Erklärung gutgläubig hingenommen. Die Marsfahrt durfte er trotzdem antreten, denn solche Beanspruchung wie bei der Erdlandung mit dem defekten Schiff würde niemals wieder an die Rohre gestellt werden.
Und jetzt?
Abermals waren gegen jede nunmehr zehnjährige Erfahrung Umstände eingetreten, die aller Voraussicht spotteten.
Ich muß die Verständigung mit HD-66 herstellen!
— — — —
Ein kurzes Besinnen!
— — — —
Ein Ruck!
— — — —
Die Mundklappe flog nach unten.
Kalte frische Luft des Sauerstoffgeräts, das in HD-C automatisch arbeitete, strömte in den Kopfhelm, umflutete die Wangen, kühlte die Stirn. Begierig sog die Lunge das belebende Gasgemisch.
Jetzt konnte er sprechen.
Die Hände schnellten zu den Schaltern: drehen, wenden, einstellen!
Da sprach die tiefe Stimme Bergers, der dicht am Mikrophon der Kugelzentrale stehen mußte.
Und was Frank Gunter jetzt vernahm, bestätigte seine schlimmsten Ahnungen.
Wer hat nicht schon in übermütiger Stunde den noch übermütigeren Wunsch geäußert, die eigene Grabrede einmal anzuhören, um endlich zu erfahren, welch prachtvoller Kerl man eigentlich sei!
Für Gunter war dieser Wunsch zur überraschenden Tatsache geworden. Er traute seinen Ohren kaum. Der gute, biedere Berger hielt ihn wirklich für tot. Ehrlicher Schmerz tönte aus der erschütterten Stimme, die ihm wehmütige Abschiedsworte widmete.
Bei aller Gefährlichkeit der Lage, in der sie alle schwebten, überwältigte Gunter das Groteske der Situation.
Da befanden sich die anderen, kaum dreißig Meter von ihm, nur getrennt durch die Raumschiffswandungen, und doch verbunden durch die wiederhergestellte drahtlose Verbindung, und betrauerten sein furchtbares Los, und der davon Betroffene saß quietschvergnügt in einem großen Lehnsessel und lauschte andächtig seinem Nekrolog.
Nein! Er mußte dieser unmöglichen Szene ein Ende bereiten. So ging das nicht weiter! War ja alles wunderbar, was der biedere Käpt'n da sagte, traf nur, Gott sei Dank, nicht zu.
Auch das noch! — — — Berger hatte sich an Frigga gewandt. Nein! — — Jetzt war's zuviel!
»Hallo, Berger!«
Ein vielstimmiger Entsetzensruf antwortete aus dem Lautsprecher.
»Hallo, Berger!« Wieder die frische Jungenstimme Frank Gunters.
— — — —
Pause! — — — Dann verstört lallend:
»G— —g — — u — — n — — ter —?«, tönte es zurück.
Unbekümmert fuhr Gunter fort:
»Berger! Geben Sie doch, bitte, einmal die neuen Positionsangaben durch! — — — Übrigens, Ihre Rede eben war nicht schlecht. Wußte gar nicht, daß Sie auch in dieser Hinsicht so begabt sind!«
Zur Erheiterung Gunters schnaufte Berger einige Male erleichtert und doch entrüstet auf, bis die tiefe Stimme empört knurrte:
»Zum Teufel, was war los? Warum antworteten Sie denn nicht?«
»Was los war? Die Kabelverbindung zum Helm war defekt. — — — Spreche jetzt mit offener Mundklappe ins Schaltpultmikrophon.«
— — — —
»Hab' selbst Angst ausgestanden!«
— — — —
»Nein, das Gummikabel hat Frostschaden!«
— — — —
»Gut, geben Sie durch! — — Wie? — — — — Danke, danke, mein lieber Berger!«
Frank Gunter lächelte spitzbübisch vergnügt. Jener drüben hatte in burschikosestem Ton seinen Glückwunsch zur Wiederauferstehung ausgesprochen, wohl um die eigene Beschämung ob des peinlichen Hereinfalls auf diese Weise abzuschütteln.
Kurze Zeit verstrich.
Da meldete sich Berger wieder, gab zur sichtlichen Befriedigung Gunters einige Zahlen durch, die bestätigten, daß die Bugsiertätigkeit von HD-C gut wirkte, um den vorbestimmten Kurs zu erreichen.
Stunden waren vergangen, ausgefüllt mit fortlaufender Berichtdurchgabe über die Position von HD-66. Frank Gunter hatte angestrengt arbeiten müssen, sein gesamtes Wissen und Können eingesetzt, die vielerlei erforderlichen Korrektionen der Lage seines kleinen Schiffs durchzuführen.
Die Venus war größer und größer geworden. Stand nicht mehr voraus, sondern steuerbord ab, doch jetzt schon in der Größe des Vollmonds. Die Geschwindigkeit des nunmehr tangential an das wirksame Schwerefeld des Planeten heranschießenden Raumschiffwracks hatte sich zwar durch die fortgesetzt tätigen Bremsdüsen vermindert, war jedoch noch viel zu hoch, um etwa eine baldige Landung durchführen zu können.
Nur der direkten Einsturzgefahr war HD-66 enthoben. Die Hauptschwierigkeiten standen noch bevor, in immer enger werdenden Spiralen festen Grund glatt zu erreichen, ohne daß beim Aufsetzen die letzte Wucht alles zerschmetterte.
Stunden, maßlos lange, quälende Stunden würden noch vergehen, bis das fast manövrierunfähige Wrack von HD-66 in die Atmosphäre der Venus eintauchen würde. Dann erst konnte die Greifklaue von HD-C mit einer der überaus zähen Cupralberylltrossen des Mutterschiffs verbunden und die volle Bugsierfähigkeit ausgenutzt werden. Erst jene Atmosphäre bot Schutz gegen die vernichtende Weltenraumkälte, die selbst das elastische Metallseil sofort in sprödes Glas verwandelt hätte.
Ein Anruf riß Gunter aus seinen Sinnen und seinen Überlegungen, wie wohl am zweckdienlichsten gerade die letzten, schwierigsten Manöver durchzuführen seien.
»Ja, Berger?«
Der Lautsprecher gab hallend die Meldung in das Innere des unter Vollkraft schiebenden Hilfsschiffs.
»Gut! Prüfen Sie noch einmal auf das genaueste nach, ob der jetzt erreichte Bahnpunkt mit dem von mir aufgestellten übereinstimmt!«
— — — —
— — — —
Minuten verstrichen. Da meldete sich Berger wieder. Gunter nickte.
»Somit ist die Abweichung unwesentlich!«
— — — —
»Ja!«
— — — —
»Dann lege ich in zehn Minuten ab! Schalten Sie die Bremsbeschleunigung stufenmäßig, wie verabredet, ein und geben Sie jeden Befehl durch, damit ich HD-C in unmittelbarer Nachbarschaft halten kann!«
— — — —
»Danke!«
Kaum waren die letzten Worte verhallt, löste Frank Gunter hastig die Traggurte, schwang sich von seinem Kommandosessel, kletterte und turnte an Leitern und Spanten zu jenem Schrank, der die Lebensmittel, fest verstaut, barg.
Ein nie so quälend empfundener Durst peinigte ihn seit Stunden. Die 10 Minuten hieß es rasch ausnutzen! Selbst wenn HD-C, nun ohne Beaufsichtigung der Instrumente, etwas vom Kurs wich, war das jetzt belanglos.
Der Schrank war erreicht.
Gunter preßte die Beine an den Steg, hatte die Hände frei, die Tür zu öffnen und Klemmbügel von der gummiumhüllten Packung zu lösen.
Da — —! Die zwei Thermosflaschen. Hier — — —! Schokolade und Keksschachteln.
Das genügte, auch aufkommenden Hunger zu stillen.
Die Augen glitten über die Fächer hinter der geöffneten Schranktür.
Dort lag, was er suchte, ein kleiner Leinensack, der sonst zum Transport der A-Patronen diente. Zupacken!
Hinein mit der Thermosflasche und dem Mundvorrat! Umhängen!
Die Klemmbügel über den Rest der Ladung im Schrank pressen, Tür schließen, zurückhangeln zu dem Sitz vor dem Schaltpult — alles war das Werk weniger Minuten.
Gunters Herz klopfte, als er den Sessel erreicht und sich erneut festgeschnallt hatte.
Ich glaube, ich werde alt! Dieser geringfügige Kraftaufwand und schon Herzklopfen?! Störten die Gedanken das Werk der Finger, die fieberhaft emsig die Kapsel der Thermosflasche aufschraubten, den Trinkbecher zwischen Sitz und Anzug einklemmten, jetzt den Korken lösten?
Frank Gunter lehnte sich weit zurück, lag in dem Kommandosessel und goß — es gab keine andere Möglichkeit — vorsichtig den Inhalt der Flasche durch die Mundöffnung des Schutzhelms. Dahinter lechzten angepreßt die weitgeöffneten Lippen, um keinen Tropfen entgehen zu lassen.
Oh — — wie schön!
Das war gekühltes Wasser mit Zitronensaft!
Wie das wohltat!
Schluck auf Schluck rann aus dem ausgetrockneten Mund in die feuchtigkeitsdürstende Kehle.
Langsam, Schluck auf Schluck, bis Gunter die Thermosflasche absetzte, wohlig schnaufend den in der Linken gehaltenen Korken aufpreßte und die Flasche hinter seinem Rücken griffbereit für später verstaute.
Jetzt das Drehen des Kommandosessels zum Schaltpult hin.
Sooo! — — Nun kann das Ankündigungskommando kommen. Ich bin bereit. Herrgott, wie so ein Schluck Wasser erfrischt!
Und mit den neuerweckten Sinnen dachte Gunter an Frigga.
Seine Gedanken umkreisten das Problem, das die letzten 24 Stunden gestaltet hatten. Noch einmal zogen Friggas harte Worte ihm durch den Sinn, verebbten in einer Vergangenheit, die maßlos weit zurückzuliegen schien. Zuviel war in diesen Stunden an aufrüttelndem Geschehen auf sie eingestürmt, zu stark hatten sie beide gemeinsam, Seite an Seite, eine Katastrophe durchlebt wie nie Menschen zuvor, Waren auch nur wenige Worte gefallen, Gunter wußte nun aus der ruhigen Stärke, die erfüllte Pflicht dem Selbstvertrauen verleiht, daß er Friggas Achtung erworben hatte.
Er schreckte auf. Der Lautsprecher schallte.
»Ja, Berger?«
— — — —
»In Ordnung! Ich lege ab!«
Die Hände griffen zu den Schaltern. Langsam löste sich die Spitze des kleinen Schiffs aus der Mulde im Körper des großen, zog, in weiten Bogen rückwärts fahrend, schräg vor den Bug von HD-66.
Einige Kilometer mochte jetzt schon die Entfernung betragen. Frank Gunter hatte die rubinrote Schutzbrille angelegt. Die Sonnenstrahlen, denen er jetzt nach dem Auftauchen aus dem Schatten des Mutterschiffs ausgesetzt war, drangen mit blendender Glut durch die Steuerbordsehschlitze, spiegelten sich vielfach, das Schiffsinnere in ein Meer von beißendem Licht hüllend. So stark war die Blendung trotz der rotdämpfenden Schutzbrille, daß Frank Gunter nichts von HD-66 erkennen konnte.
Wieder tasteten die Hände nach Hebeln. Ein leises Surren. Die Deckklappen vor den Steuerbordschlitzen schlossen sich, das elektrische Licht verlosch. Dunkel umfing Gunter. Nur das Schaltpult schimmerte im Mattgrün der Soffittenlampen.
Wo war HD-66?
Der Blick schweifte ungeblendet nach vorn durch die Backbordschlitze.
Da! — — — Die silberstrahlende Torpedospitze auf tiefschwarzem Grund war der lebenbergende Rest seines stolzen Schiffs.
Gunter schwebte, von der Anlage seines Hilfsschiffs HD-C aus betrachtet, rückwärts fahrend vor HD-66 durch den Weltenraum. Bald würden die Heckdüsen mit voller Kraft die Elektronen ausspeien, dann lag er, festgepreßt durch die wirksame Bremsbeschleunigung, in seinem Stuhl. Wäre er, nach irdischen Begriffen, vorwärts fahrend dem Mutterschiff gefolgt, so hätte er, in den Traggurten hängend, wohl niemals den stundenlang bevorstehenden erhöhten Andruck ertragen.
»Hallo, Berger!«
Die drahtlose Verständigung war einwandfrei.
»Bitte, geben Sie die Kommandos durch!«
»Beschleunigung zwei!«, hallte der Lautsprecher als Antwort.
»Beschleunigung zwei!«, sprach Gunter die Befehlswiederholung in das Mikrophon.
Kommando folgte auf Kommando, und bei jeder Zahlenangabe schoben die Hände Gunters Hebel in neue Stellungen. Immer schwerer lastete der Andruck auf allen Gliedern, die bisher stundenlang sich einer himmlisch losgelösten Freiheit unter geringer Beschleunigung erfreut hatten.
Frank Gunter schaltete nun wieder ununterbrochen in kurzen Abständen, um bei der zunehmenden Bremswirkung den Kurs zu wahren.
»Zwanzig!«
»Zwanzig!«, tönte es von Gunter in das Mikrophon.
»Wird beibehalten!«
»Danke, Berger!«
Nach einer Weile.
»Berger! Ist die Backbordoptik auf HD-C eingestellt?«
»Jawohl, Gunter!«, hallte der Lautsprecher, »HD-C ist deutlich erkennbar.«
»Die Steuerbordoptik ist auf Leitung des Tangentialkurses zur Venus eingerichtet?«
»Ja! Auch der Kombinator darauf einreguliert.«
»Gut! Wer bedient die Beobachtung von HD-C?«
»Kapitän Schirmer!«
»Befehlen Sie, daß die geringste Abweichung von HD-C mir sofort übermittelt wird!«
»Habe ich bereits veranlaßt!«
Gunter fuhr blind, den Rücken der Fahrtrichtung zugewandt. Ständig mußte sein Kurs jetzt aus der optischen Zentrale des Mutterschiffs überwacht und jede Änderung sofort zwecks Korrektion drahtlos gemeldet werden, sonst hätten sich die beiden Schiffe sehr bald in der ewigen Weite des Weltenraumes verloren.
Minuten vergingen.
Wieder tönten Zahlenangaben aus dem Lautsprecher, die Frank Gunter durch Betätigung einiger Hebel beantwortete,
Ruhe.
— — — —
»Berger! Was macht meine Besatzung? — — — Alles wohlauf?«
— — — —
»Auch von dem Schreck erholt und seelisch wieder gefaßter?«
Da sprach der Lautsprecher im tiefen Baß Bergers von Dingen, gegen die sich Gunters männliche Art wehrte, sie aus dem Munde des Kameraden zu vernehmen, die dennoch beglückten.
Sein Beispiel habe die letzten Verzagenden aus niederschmetternder Verzweiflung herausgerissen und mit tatkräftiger Zuversicht erfüllt.
»Schon gut, Berger! — — — Wie geht es unserem Passagier?« Den Namen »Frigga« vermochte Gunter vor dem Freunde nicht auszusprechen.
— — — —
Er erfuhr, daß Frigga Holk in der Zeit, da HD-66 mit Beschleunigung eins gefahren war, darauf bestanden hatte, den Sanitätern zugesellt zu werden, um dort, wo es erforderlich war, Verbände denen anzulegen, die im Augenblick der Katastrophe Verletzungen erlitten hatten. Jetzt säße sie an ihrem alten Platz, links am Kommandotisch, völlig ruhig, trotz des gewaltigen Andrucks.
Frank Gunters Herz schlug höher. Das also war seine Frigga, losgelöst von einer nur das intelligente Ich züchtenden Umgebung, hineingestellt in die kämpfende Gemeinschaft! Ich werde leben! Ich werde sie erringen!
Der Lautsprecher hallte aufs neue.
— — — —
»Wie?« Gunters Frage erzwang die Wiederholung der Worte.
»Nein, Berger, bleiben Sie am Mikrophon! — — — Der Andruck ist zu groß! — — — Richten Sie Fräulein Holk meinen Dank aus! Ihre Hilfsbereitschaft war sehr tapfer!« — — Nach kurzem Schweigen: »Grüßen Sie bitte, Berger!«
— — — —
Zwei Helanschiffe schossen durch das schwarze Weltenall, um unter Einsatz aller menschlichen Kräfte und der letzten verbliebenen Energien der E-Rohre, den rettenden Planeten Venus zu erreichen.
* * *
Am Hauptkanal des Mars ragte das gewaltige Hochhaus empor, und angeschmiegt zu Füßen des Giganten, inmitten eines blütenduftenden Gartens, duckte sich rosenberankt das Heim Helo Torwaldts.
Nachmittag war es, am Tage der Ankunft des rettungbringenden Schiffes auf dem Mars. Die Stunden nach der Landung hatte Torwaldt, frei von jeder Aufgabe, zu kurzem Schlaf genutzt.
Kommandant Rohde, Führer des Raumschiffs HD-42, war Gast Dr. Torwaldts in einer ungewohnten Junggesellenwirtschaft. Vor sechs Tagen hatte Frau Ingeborg das Haus verlassen, um in härtester Not als Pflegerin mitzuhelfen.
Die Kinder tobten in glücklicher Freiheit mit denen der Marssiedler der Zentralstation im Heimgarten, behütet von Forsters Schwester, die vor vielen Jahren mutig dem Bruder auf den fernen Planeten gefolgt war.
Helo Torwaldt lauschte gespannt dem Bericht Rohdes, oftmals unterbrochen durch die telephonische Sammelmeldung über den Fortgang der Hilfsaktion und die Wirkung der Heilimpfungen. Alles verlief planmäßig und rasch.
Der Kommandant erzählte, wie er etwa eine Stunde vor dem Erdstart von HD-42 plötzlich noch zu Herrn Nord befohlen worden sei und dieser ihm, wenn auch noch matt durch die Folgen des Unfalls, besorgt von den Plänen Gunters Mitteilung gemacht hätte. Der Einfachheit halber wäre er vorlesend dem hinterlassenen Bericht Gunters gefolgt, der über alle Einzelheiten Auskunft gab.
Rohde schwieg und griff zur Teetasse.
»Zum Teil war mir das aus dem Funktelegramm Gunters bekannt«, setzte Torwaldt das Gespräch fort. »Jetzt aber rundet sich erst das gesamte Geschehen dieses ereignisreichen achten August zu einem umfassenden Bild!«
»Ich darf meinem Bericht noch hinzufügen«, entgegnete Rohde, »daß Herr Nord ehrlich begeistert war über die Tatkraft und Organisationsfähigkeit, mit der Kommandant Gunter während seiner Ohnmacht die Zügel ergriffen hatte. Er betonte ausdrücklich, daß er kaum so rasch und zwecksicher gehandelt hätte wie dieser — das waren seine eigenen Worte — umsichtige Draufgänger! Nur der eingeschlagene Kurs war ihm zu gewagt!«
»Das gleiche habe ich gedacht!« — — Torwaldt schwieg nachdenklich, hob dann den Kopf und schaute sein Gegenüber sinnend an. Die Fingerspitzen trommelten leise gegeneinander.
»Rohde! Ich bin mir völlig klar darüber, daß Gunter mein Lebenswerk gerettet hat. Ein gütiges Schicksal gebe es, daß ich diese Rettung nicht mit dem Preis seines Lebens und seiner Besatzung erkauft habe!«
»Ich gebe Frank Gunter nicht auf!« Hoffnungsfroh tönte es zurück. »Wie oft schon haben unsere Raumschiffe beträchtliche Verspätungen erlitten, meist als Folge von kleinsten Meteoreinschlägen in die Optik! Das ist nun einmal die einzige wirklich verwundbare Stelle unserer Schiffe!«
»Und, wenn größere Meteore, wie schon bei der Erdfahrt von HD-66, nun den direkten, überaus gewagten Kurs gekreuzt hätten? — — — Sie wissen selbst, daß diese Wochen, im Vergleich zu allen früheren Jahren, ein geradezu enormes Maximum von Meteorbeobachtung aufweisen. Ich kann die niederschmetternde Vorstellung nicht loswerden, daß HD-66 schwere Havarie erlitten hat. — — — Ein Unglück kommt selten allein!«
Beide Männer schwiegen betroffen und gefangen von ihren Gedanken. Rohdes Zuversicht bäumte sich dagegen auf, das Schiff des Kameraden für verloren zu halten.
»Doktor Torwaldt! Haben Sie Suchanweisung an den großen Marsstrahler erteilt?«
»Seit nach Ihrer Landung die Sender von der Peilstrahlung frei gemacht werden konnten, sitzt Zeimer oben im Hochhaus und sucht. Ich selbst habe heute nacht noch den Kurs aufgestellt und berechnet, den HD-66 als einzig möglichen gemäß seiner Funkdurchgabe eingeschlagen haben kann. Auf diesem Kurs sucht Zeimer.«
»Und?«
»Bis jetzt erfolglos!«
»Die Sendeanlage von HD-66 kann defekt sein!« Eiferte Rohde in seiner Beharrlichkeit, seinen geliebten Herrn aus den trüben Gedanken zu reißen.
Dieser schaute dankbar auf.
»Glauben Sie das selbst, Rohde, in Anbetracht der vielfachen Reserven unserer Schiffe?«
»Es wäre doch möglich!«
»Vielleicht sehe ich zu schwarz, Rohde. Die letzten Tage haben arg an meiner Kraft gezehrt.«
Ein Griff zum Fernsprecher. Die Wählerscheibe schnurrte.
»Torwaldt! — — Bitte, Herrn Zeimer!«
Kurze Zeit verstrich.
»Herr Zeimer, was gibt es Neues?«
— — — —
»Wie? — — Was erzählt er?«
— — — —
»Soll sofort zu mir kommen!«
Torwaldt warf erregt den Hörer auf die Gabel, beugte sich zu Rohde vor.
»Da scheint ja auf seltsame Art Licht in das Dunkel unserer Betrachtungen zu kommen. Ihr Funkmeister, den ich zur Unterstützung Zeimers, wie Sie wissen, in die Zentrale beordert habe, hat dort oben recht merkwürdige Dinge berichtet!«
»Mein Funkmeister — — — Voß?« Ein ungläubiges Aufhorchen.
»Ja! — — Wir werden ja gleich Näheres erfahren!«
»Das ist doch unfaßbar! Mir als Kommandanten sind nach Dienstvorschrift alle eingegangenen Funksprüche sofort zu melden!«
»Weiß der Kuckuck, was Voß veranlaßte, zu schweigen, und nun oben bei Zeimer zu plaudern! Auf alle Fälle weiß er etwas! Zeimer wollte im gleichen Augenblick mich verständigen, als mein Anruf ankam.«
»Na, warte mal, Freundchen!«, brummte Kommandant Rohde.
Torwaldt lächelte erheitert: »Stauchen Sie Voß nachher zusammen! Erst will ich wissen — — — Herein!«
Die Tür ging auf. Im Rahmen stand die schlanke Gestalt des Funkmeisters.
»Bitte, Herr Voß!« Die einladende Geste. »Nehmen Sie Platz!«
Als der Angeredete saß, fuhr Helo Torwaldt fort:
»Da berichtet mir eben Funkleiter Zeimer von einer Wahrnehmung, die Sie während der letzten Fahrt gemacht haben wollen.«
Voß zögerte ein wenig; die Hände hielten die Mütze, an deren Rand die Finger spielten, dann hob er den Kopf.
»Ja! Sehen Sie, Herr Doktor, die Sache war so. Es war am 11. August, kurz vor Mitternacht Erdzeit. Ich war in die Bordstation gekommen, um die Wachenablösung um 24 Uhr zu kontrollieren. Es war erst zehn vor. Da schaltete ich, nur um ihn rasch mal zu überprüfen, den großen Empfänger an. An dem kleinen hörte die Wache. Es war ja nichts Besonderes zu erwarten. Das Gerät lief nach kurzer Zeit ordnungsgemäß. Ich drehte an dem Stellrad des Peilrahmens, und im gleichen Augenblick hörte ich eine Stimme!«
»Wie?« Torwaldt fuhr überrascht hoch. Auch Kommandant Rohde konnte seine Erregung kaum meistern.
»Ja, Herr Doktor, eine Stimme, die ein paar abgerissene Worte schrie!«
»Mensch! Zum Donnerwetter, warum haben Sie mir das nicht gleich gemeldet?« Wütend haute Rohde mit der Hand auf den Tisch.
»Herr Kommandant! Ich habe bis 4 Uhr morgens vor dem Empfänger gesessen, habe gepeilt und gepeilt. Es hat sich nichts mehr gemeldet! — — Da wurde mir die ganze Sache unheimlich. So einfach eine Stimme mitten im Weltenraum zu hören, die einmal nur unverständliche Worte spricht und nie wieder ertönt. Es war mir wirklich unheimlich zumute, und nachher sagte ich mir: Du hast dich getäuscht, Otto Voß, da hat überhaupt keiner gesprochen. Es kann ja keiner im Weltenraum sprechen, und der liebe Gott spricht doch nicht mit dir! Darum habe ich keine Meldung erstattet, Herr Kommandant!«
»Hm?« Torwald schaute den Funkmeister nachdenklich an. »Sie erzählten aber diese Begebenheit Herrn Funkleiter Zeimer?«
»Ja, Herr Doktor! Als ich dort erfuhr, daß alle in großer Sorge um das Schicksal von HD-66 seien, fragte ich Herrn Zeimer um Rat. Es wäre ja nicht ausgeschlossen, daß ich tatsächlich die Stimme gehört habe, und ich wollte wenigstens wissen, was Herr Zeimer dazu meinte!«
»Mysteriöse Geschichte!«, knurrte Rohde.
»Kann man wohl sagen!«, bestätigte kopfschüttelnd Helo Torwaldt, sann eine Weile nach und fragte plötzlich den Funkmeister: »Was haben Sie denn da gehört?«
»Tja, Herr Doktor Torwaldt, das klang, als ob einer mehrfach schrie!«
»Na, was denn?«
Ösen, ösen oder esen. Alles ging viel zu fix. Bevor ich richtig zu mir kam, war nichts mehr zu hören!«
»Hm — — — hm! — — — Und Sie glauben wirklich, diese seltsamen Worte tatsächlich gehört zu haben?« Torwaldt bestand eindringlich auf einer exakten Beantwortung seiner Frage.
»Herr Doktor, wenn Sie's wissen wollen: ja! Ich wollte mich nur nicht vor Herrn Kommandant Rohde blamieren, weil doch nachher nichts mehr zu hören war!«
»So — — soso!« Torwaldt richtete sich auf. Er hatte volles Verständnis für die Handlungsweise des Mannes. Aber, da gab es noch etwas, was ihm Gewißheit verschaffen konnte über die von allen verwirrenden Gefühlen losgelöste, exakte Beobachtung des Funkmeisters.
»Voß! Haben Sie sich denn wenigstens die Stellung des Peilrahmens gemerkt, bei welcher Sie die Stimme hörten?«
»Selbstverständlich, Herr Doktor!« Voß griff rasch in die Brusttasche und zog sein dickes Notizbuch heraus, blätterte. »Hier, Herr Doktor, die Zahl ist es!«
»Das war zehn Minuten vor vierundzwanzig Uhr am Elften!«
»Nein, sieben Minuten vor, Herr Doktor!«
»Gut, daß diese Zahlenangaben exakt sind!« Dann zum Kommandanten Rohde sich wendend: »Rohde, lassen Sie von Ihrem Ersten die Position errechnen, auf welcher sich HD-42 zu der angegebenen Zeit befand! Wir werden dann in meinem Arbeitszimmer versuchen, herauszubekommen, um was es sich bei der Wahrnehmung Vossens gehandelt haben kann!«
Und während Kommandant Rohde sich mit seinem Schiff verbinden ließ, notierte Helo Torwaldt die Zahlen, die von ausschlaggebender Bedeutung werden konnten, das Schicksal von HD-66 aufzuhellen.
»Es ist gut, Voß! Sie können gehen!«
Eine geraume Weile schon saßen die beiden Männer in Torwaldts Arbeitszimmer. Ein großer Kurvenbogen lag aufgespannt vor ihnen. Helo Torwaldt wies mit der Zirkelspitze auf das Ende einer eingezeichneten Linie.
»Südöstlich Venus?« Ein zweifelndes Kopfschütteln. »Gänzlich unerklärlich! Gesetzt den Fall, es handelt sich tatsächlich um einen Ruf von HD-66, den Voß da vernommen hat, so bleibt es dennoch rätselhaft, wie das Schiff zu dieser Position abseits, aber restlos abseits seines Kurses gekommen sein soll!«
Rohde antwortete nicht, starrte nur verbissen auf den markierten Punkt.
Wieder begann Torwaldt: »Was ist Ihre Meinung, Rohde?«
Dieser bewegte nur rasch abweisend die Hand, als ob er in schwierigen Gedankengängen nicht gestört werden wollte.
Helo Torwaldt lehnte sich zurück, betrachtete müde und geduldig den neben ihm Sitzenden, dessen Gesichtsausdruck verriet, daß er ein schweres Problem durcharbeitete.
Minuten verstrichen! Da hob Rohde langsam an, immer noch befangen in seinen Gedankengängen:
»Das gibt eine ganz üble Rechnerei!«
»Nun?« Die Frage Torwaldts.
»Voß kann tatsächlich recht haben!«
»Und wie?«
»Gesetzt den Fall, daß HD-66 irgendwo auf seinem Kurs, der hart die Venus streifen sollte, zwischen Erde und Venus schwere Havarie gemacht hat, dann wird Gunter versucht haben, auf dem Planeten zu landen. Da die Geschwindigkeit seines Schiffes aber schon viel zu hoch war, um eine direkte Landung durchzuführen, war er genötigt, zu dem alten Prinzip der Tangentialspiralabbremsung Zuflucht zu nehmen!«
»Auf der Venus zu landen?« Ein entsetzter Ausruf Torwaldts.
»Was sonst?« Rohde hatte dem verstörten Einwurf überhaupt keine Beachtung geschenkt. Die Sinne des rechnenden Raumschiffkapitäns, dessen Blick auf den Boden gerichtet war, waren zu sehr beschäftigt mit der kurstechnischen Durcharbeitung seiner Mutmaßung, die lange Erfahrung ihm aufdrängte. Er fuhr rascher fort:
»Das ist tatsächlich eine Möglichkeit, die angeblich gehörten Worte meines Funkmeisters mit gesundem Menschenverstand in Einklang zu bringen. Und« — Rohde grübelte angestrengt — »je mehr ich das Problem von allen Seiten beleuchte, desto wahrscheinlicher wird es, daß Voß keiner Halluzination zum Opfer gefallen ist. Ein glücklicher Zufall hat uns vielleicht eine Handhabe gegeben. Es heißt jetzt, sie nutzen!« Rohde sprach hastig weiter, deutete mehr, als Torwaldts müde Sinne zuerkennen wollten.
Helo Torwaldt schwieg. Und doch! Rohdes Theorie hatte viel für sich. Der angepeilte Punkt, südöstlich Venus, gemäß den Weltenraumkoordinaten der »Detatom - Werke«, fügte sich nach solchen Voraussetzungen gut, allzugut in das Bild eines von einer Katastrophe schwer beschädigten, rettungsuchenden Raumschiffs, das eine Notlandung vorzunehmen sich anschickte.
Wieder hob Rohde an:
»Wir müssen alles daransetzen, auch, wenn die Fährte sich als unrichtig erweisen sollte. Hier hilft nur die Wahrscheinlichkeitsrechnung! Drei Ansätze sind bekannt: die Startzeit von HD-66, der Standort meines Schiffs im Augenblick der Wahrnehmung der Worte und die Peilrahmenrichtung, die Voß angab!«
Nach mehrstündigem, angestrengtem Rechnen, Formeln über Formeln, die die ausgeklügelten Rechenmaschinen der »Detatom-Werke« erleichternd lösen halfen, war auf einem neuen Bogen ein Kurs von HD-66 entstanden, der für die zwei Wissenden eine grausige Katastrophe widerspiegelte.
»Ich kann das einfach nicht fassen!« Helo Torwaldt lehnte sich erschöpft zurück. Zu aller Überanspannung der letzten sechs Tage gesellte sich nun noch die fast hundertprozentige zermürbende Gewißheit, daß sein stolzestes Schiff irgendwo auf dem tückischen Planeten Venus zertrümmert den Untergang gefunden hatte; sonst wäre ja längst ein drahtloser Notruf angekommen.
Doch Kommandant Rohdes durch keine Müdigkeit belasteter Glauben wehrte sich mit aller Frische einer vorantreibenden Tatkraft gegen eine solche Auslegung.
»Nein! Doktor Torwaldt! Unsere Bordfunkanlagen sind einem auch nur halbschweren Aufprallen auf unbekanntem Boden nicht gewachsen. Das wissen Sie doch selbst! — — — Mit einer derartigen Möglichkeit konnte kein Konstrukteur rechnen. HD-66 kann nicht mehr senden! — — Wir sind uns doch jetzt völlig klar darüber, daß die gehörten Worte aus einem Gespräch zwischen dem bugsierenden HD-C und seinem Mutterschiff stammen. Selbst wenn HD-C noch glatt gelandet ist, langt seine Sendeleistung niemals aus, bis zum Mars durchzudringen. Gunter und seine Mannschaft leben! — — — Wir müssen helfen!«
»Rohde!« Verzweifelt zuckten die Schultern.
»Doktor Torwaldt! Geben Sie mir den Auftrag!«
»Rohde!« Ein letztes Aufstemmen auf die Stuhllehne.
»Sie bleiben hier! Ich benötige jeden Mann, der gesund ist, um unsere Siedler zu retten!«
Stumm verbeugte sich Kommandant Rohde, stand auf, reichte erschüttert seinem Herrn die Hand. Zwei Augenpaare trafen sich klar und brennend.
Rohde ging, schloß leise die Tür, durchquerte den blumenüberrankten Vorbau und schritt grübelnd die breiten Treppen hinab, die niederführten zu dem großen Kanal.
Zwei Monde spiegelten silberne Bahnen auf nachttrunkene Stille. Das Schnellboot erwartete ihn. Noch vier züögernde Stufen.
Torwaldt hatte ihm endgültig den Verzicht abgerungen.
Nichts galten wenige! Selbst die Tapfersten! Alles nur die große Gemeinschaft, der sie dienten! Später — — —!
Kommandant Rohde meldete sich kurze Zeit darauf im Zentralhafen und übernahm den Dienst, der ihm zugewiesen wurde, um den mit der Seuche ringenden Marssiedlern beizustehen.
* * *
Regen, Regen, unendliche Bäche von Regen strömten seit Stunden hernieder. Der rinnenden Fluten rieselnde Schleier verzerrten den Blick durch die Sehschlitze.
Verzweifelt war Frank Gunter. Vernichtend wirkte die nasse Undurchdringlichkeit auf die tagelang bis zum äußersten angespannte Willenskraft. Gab es denn keinen Ausweg, keine Möglichkeit, endlich einmal etwas zu sehen, ein Stückchen Land wenigstens oder selbst Wasser ausmachen zu können, die Landung herbeizuführen?
Seit vierundzwanzig Stunden dieses Herumtappen. Vierundzwanzig Stunden? Es müssen noch viel mehr gewesen sein! Waren es weniger? Die Armbanduhr war unerreichbar unter dem Schutzanzug, und drüben die elektrische Borduhr stand schon, als er HD-C betrat.
HD-66 anfragen? Nein, nein! Es war gut so. Gunter fürchtete eine exakte Feststellung, deren Erkenntnis über das tatsächliche Zeitmaß seine Sinne nur mehr verwirren würde.
Ein greller Blitz ließ ihn zusammenfahren, blendete die erschreckten Augen.
Dunkel wieder, trübes, undurchsichtiges Regennaß.
Wie auf der Erde! Der einzige, noch erlösende Gedanke. Es ist nur ein schweres Gewitter. Sonst? Wenn das der Dauerzustand auf der Venus war, dann — ade, schönes Leben! Kein rettungbringendes Raumschiff würde jemals sie in solcher Sintflut finden können.
In jeder vorausberechenbaren Einzelheit war sein Landungsplan nahezu erfüllt. Mit dem Einschießen der beiden Schiffe in die oberste Atmosphäre des fremden Planeten hatte HD-C mit seiner Kielgreifklaue aus einer der Trossenmulden im Rücken des Mutterschiffs das lange Cupralberyllseil übernommen, um das fast manövrierunfähige Wrack zu leiten. Die Geschwindigkeit war kleiner und kleiner geworden in dem letzten Auslaufen der Landungsspirale, und jetzt sollte alle Mühe am Ende umsonst gewesen sein, sollten dieser vernichtende Regen, diese Wolkenwände, die jede Orientierung unmöglich machten, die glatte Landung vereiteln? Die letzte Fahrtenergie, die der Rumpf von HD-66, gehalten an der langen Trosse, durch HD-C besaß, war noch groß genug, ihn irgendwo zerschellen zu lassen.
Gab es hier Berge, hohe, steil aufragende Gebirge, wie auf der Erde?
Frank Gunter schauderte es. Er war machtlos, völlig machtlos.
Wenn ich doch sehen könnte, Herrgott, nur sehen, sehen!
Regen, Regen, Regen rann über die wolkenverqualmten Sehschlitze.
Und der Regen war ein noch tödlicherer Feind in anderer Hinsicht. — — Die Instrumente wissen es. Die Kieldüsen von HD-C liefen jetzt schon unter Vollkraft, um HD-66 nicht mehr zu — leiten, nein zu tragen!
Gunter hatte längst den Grund dieser bitteren und harten Tatsache erkannt, die sehr wohl geeignet war, die letzte Hoffnung auf endgültiges Gelingen zu zerstören.
Der wie von einem gewaltigen Schlächterbeil durch das Meteor zerschnittene Leib von HD-66 bot offenen Eintritt den Regenfluten. Die stundenlang aus den Wolken strömenden Wassermassen waren in die bloßgelegten Schotten und Kammern des Raumschiffwracks eingedrungen. Tausende und aber tausende Liter fanden ungehemmten Eintritt in eine Fläche von fast fünfzig Meter Durchmesser.
Rieselnde, strömende Bäche ergossen sich in die offene Wunde, beschwerten das Wrack mehr und mehr. Kein Helanauftrieb half da. Menschen, Maschinen, Instrumente und jetzt noch die nach Tonnen zählenden Wassermassen wogen mehr, erzwangen den Absturz, jetzt aufs neue den Absturz, den gesammelte Energie und alle Kenntnis glücklich vermieden glaubten.
Hatten sich denn die Götter verschworen, ihn und seine Kameraden zu vernichten? Ging alles schief bei dieser Fahrt, die doch nur der Rettung anderer gegolten hatte?
Gunters Hände bebten. Zu vernichtend war die Vorstellung, die das aufgepeitschte Hirn mit niederschmetternder Klarheit aufriß.
Hunger und Durst quälten. Unmöglich, die Todfeinde menschlichen Handelns auf die Dauer zu besänftigen. Längst war der Vorrat des kleinen Leinensacks verbraucht.
Pflichtvergessen, in dieser Lage, die sich jeden Augenblick zur Krise auswachsen konnte, das Kommandopult zu verlassen, die wenigen Meter zu dem alle Sättigung versprechenden Schrank zu durcheilen.
»Berger!«
Der Helm schnellte rasch zum Mikrophon, die satanische Lockung zu unterdrücken.
— — — —
»Berger!« Noch einmal.
— — — —
»Ja, Gunter!« Schallte es aus dem Lautsprecher.
»Was weist die Ultraschallotung?«
»Ich lote ununterbrochen!« Zerfahren und brüchig klang die sonst so lebensfrohe Stimme.
»Und?«
»Die Meßergebnisse schwanken ständig zwischen siebentausend Meter und viertausend!«
Auch das noch! Zerklüftete Gebirge unter sich mit dreitausend Meter Spitzenhöhe.
»Berger! Laufen die Kielrohre mit Vollkraft?«
»Ja, Gunter! Doch drei sind bereits ausgefallen!«
»Berger! Lassen Sie auf halbe Leistung zurückschalten! Noch trägt HD-C. Ich gebe mehr Auftrieb! Sie benötigen die letzten Reserven zur Landung!«
»Jawohl, Gunter!«
O Gott! klang die Stimme Bergers matt und entsagend.
Gunters Hände fuhren zum Schaltpult. Zeiger kletterten weit über die roten Striche.
E-Rohre, ihr alten, vielerprobten E-Rohre von HD-C, haltet jetzt noch durch! Nur über diesem teuflischen Gebirge haltet noch durch, helft mir das Schiffswrack retten!
»Berger! Die Echolotung bitte!«
— — — —
Nach einer Weile: »Dreitausendachthundert!«
»Weiter! Geben Sie fortlaufend durch!« Kaum bezwungene Erregung zitterte aus Gunters Stimme.
»Dreitausendachthundert!«
— — — —
Und in Minutenabständen:
»Dreitausendachthundertfünfzig!«
— — — —
»Dreitausendsiebenhundert!«
Ein erlöstes Aufatmen. HD-C trug tatsächlich den kümmerlichen Rest seines Mutterschiffs. Die Unterschiede der Meßergebnisse wiesen nur darauf hin, daß das todbringende Gebirge überquert war, einige Hügelketten noch unter ihnen lagen, offenes Wasser oder eine Ebene zu erwarten war.
»Dreitausendsiebenhundert!«
Und wieder, wieder schallte in kurzen Abständen die gleiche Zahl.
Flaches Land! Herrgott, flaches Land unter uns. Wir können landen! HD-C hält dich, HD-66!
»Berger!«
»Ja, Gunter!«
»Berger! Geben Sie jetzt Vollkraft Bug-E-Rohre! Ich setze zur Landung an!«
Regen, Regen, nichts als strömender Regen, und doch wies er Menschen, Technik den Weg, in aller Undurchdringbarkeit einer tückischen Atmosphäre festen Boden rettungbringend zu erreichen.
Die gegen den Kurs nun elektronenspeienden Bugrohre von HD-66 sollten die letzte Fahrtgeschwindigkeit abbremsen. Dann konnte Frank Gunter den starken Auftrieb von HD-C und die jetzt rasch eingeschaltete noch stärkere E-Rohr-Bremswirkung wirksam ansetzen, um das unter ihm am langen Cupralberyllseil hängende Mutterschiffswrack glatt auf der angepeilten Fläche landen zu lassen.
Die Hände glitten über das Schaltpult. Zeiger sanken langsam unter die roten Striche, senkten sich weiter.
»Peilung, bitte!«
— — — —
»Dreitausend!«, tönte es kurz darauf zurück aus dem Lautsprecher.
Minuten verstrichen in bangem Zagen. Nur keine neuen Berge, nur keine Berge!
»Peilung, bitte!«
— — — —
»Zweitausendfünfhundert!«
Und wieder tropfte die Zeit aus dem Becher der Unendlichkeit wie draußen der Regen, zerrte an den Nerven.
»Peilung, bitte!«
— — — —
Lange währte es, bis Antwort kam, dann Bergers jetzt wieder kräftigere und gefaßtere Stimme:
»Letzte Lotung zwölfhundert Meter!«
»Gut! Danke!«
Wieder tasteten die Hände über Schalter und Hebel. Mehr Auftrieb! Das Absinken verlief zu rasch! Erneut klommen die Zeiger der Kiel-E-Rohre bis hart an den roten Strich.
Als Frank Gunter den Blick nach vorn wandte, glaubte er, daß die Wolkenwand lichter geworden sei, der Regen nachließ.
»Peilung, bitte!«
— — — —
»Eintausendneunzig Meter!« Der ruhige und jetzt gesammelte Baß Bergers. Die Landung gelang!
»Berger!«
»Ja, Gunter?«
»Wenn in den nächsten Minuten — — — «
Da gellte jäh der Lautsprecher auf:
»Hindernis voraus! — — — Gunter!« Ein Schrei: »Greifklaue öffnen! — — — Trossen lösen — —! Trossen lösen!« Todesangst peitschte die Stimme.
»Lösen — — — — Lösen!«
Ein einziger, überhasteter Griff zu den Hebeln. Die Trossen fielen! Jetzt stürzte HD-66.
»Berger!«
— — — —
»Berger!«
Schalten, rascher schalten, um auch HD-C niederzuzwingen in die Nähe der anderen ...
— — — —
»Ber — — — ger — —!«
Kärrr! — — Splittern! — — Kreischen von ehernem Material, das Steine streift.
Ein furchtbarer Stoß!!!
Gunter schnellte in den Traggurten vor, daß schneidend die Bänder die Brust preßten. Der schwer behelmte Kopf schlackerte schmerzend im Genick. Die Stirn traf hart auf Metall.
Nacht!
HD-C schoß nach dem Anprall jäh in die Höhe. Stieg, stieg, befreit von aller Fessel, die sein Herr ihm auferlegt hatte, nur noch dem Helanauftrieb gehorchend, rascher und rascher einer lichteren Sphäre entgegen.
Frank Gunters Sinne waren ausgelöscht.
Beißendes Licht schmerzte rötlich auf den geschlossenen Augendeckeln.
»Berger! — Ha — — lo —!« Die Stimme klang matt und traumversponnen, leise und abgerissen.
»Berger!« Ein wimmerndes Stöhnen; der Körper suchte, sich zurechtzutasten, aufzurichten.
»Was ist los, Berger?«
Gunters Denken war noch im letzten Erinnern befangen. Der Kommandant glaubte, die Landemanöver von HD-66 durchzuführen.
»Ha — — lo! — — Ber — — ger!«
Keine Antwort.
— — — —
Da öffnete der noch halb Betäubte die Lider, und das jäh einfallende Licht schuf erschrecktes Erwachen.
»Wo bin ich?«
Ein stumpfes Irren der Augen.
Die Sonne auf einem tiefvioletten Himmel gleißte durch die Sehschlitze.
Das Schaltpult?
HD-C?
Langsam fanden die Sinne in die rauhe Wirklichkeit, und Gunter fühlte dumpf, daß alles verloren war. Er befand sich in vielen zehntausend Metern Höhe in der Atmosphäre der Venus. Und HD-66, das Schiff, das er retten wollte? Irgendwo unten, zerschellt an den Bergen, an denen auch HD-C um ein Haar gescheitert wäre!
Gunters Gedächtnis arbeitete schneller und schneller, sich überhastend, setzte Bild auf Bild der vielen Geschehnisse der letzten Stunden zusammen, und immer wieder endete die zermürbende Vorstellung in der Katastrophe, die nun doch noch eingetreten war, von der er allein verschont geblieben war.
Verschont?
Wie die Augen schmerzten und der Kopf, das wunde Genick!
Erst dieses sengende Licht abblenden! Die Hand glitt langsam zu den Hebeln. Würde nach dem furchtbaren Anprall, den er in allen Gliedern stechend fühlte, überhaupt auch nur ein Apparat noch betriebsfähig sein?
Die Hand zögerte verhalten. Die Vorstellung war zu grausig, das Schiff nicht mehr auf den rettenden Boden hinabzwingen zu können, wenn die elektrische Einrichtung zerstört war!! Rettenden Boden? Wer würde ihn denn retten, — — — wer denn?
Keiner wußte doch um die Katastrophe, um seinen Aufenthaltsort auf dem großen Planeten, der Erde gleich.
Retten, retten?
Ich will erst Boden unter mir haben! Ich will nicht hier schweben, elend verschweben in meinem gläsernen Sarg! — — — Ich will hinunter! — — — Ich will hier nicht verdursten und verhungern! — — — — Ich will hinunter!
»Hinunter!«, schrie auf einmal die Stimme des Mannes, der bis dahin nie Furcht gekannt hatte.
Sinnlos faßten beide Hände zu den Hebeln, fuhren entsetzt zur Seite, den schrecklahmen Körper auf dem Schaltpult zu stützen. Die Blicke zerrten durch die Gläser des Schutzhelms, dicht darübergebeugt, an den Instrumenten.
Alle Zeiger standen, höhnisch bleckend, auf Null.
Minuten verstrichen in einem tränenlosen Dösen. Unentwegt strichen die Augen stier über die Schalter.
Umsonst! HD-C war durch den Anprall zum steuerlosen Wrack geschlagen.
— — — —
So will ich wenigstens noch einmal essen und trinken, trinken, ja trinken! Ha — — — ha — —!|
Er schnallte sich träg und energielos ab, tappte wie ein wundgeschossener Bär taumelnd zu dem Schrank.
Wie war doch vor vielen Stunden alles noch so anders, so schön, als ich zum letzten Male zu diesem Schrank hangelte, tropften ätzend die Gedanken in die hoffnungslose Seele.
Die Tür schlug langsam zur Seite.
Frank Gunter sank in die Knie. Mit wilder verzweifelter Hast gruben sich plötzlich die Finger in den Gummischutzsack, zerrten die erstbeste Flasche heraus, rissen ein Stück Gummischlauch, das im nächsten Fach lag, an sich, stopften das eine Ende durch die offene Klappe des Schutzhelms in den Mund, das andere in den Hals der rasch geöffneten Thermosflasche.
Die Lippen saugten verdurstend.
Heißer Kaffee!
Ah!
Schluck auf Schluck, gierig, würgte der zuckende Schlund hinab.
Wenn die Sonne nur nicht so stechend blenden würde!
Frank Gunter schloß die Augenlider. Trank und trank, bis die Flasche geleert war. Die gepeinigten Nerven hatten aus der Qual der letzten achtundvierzig Stunden alle Kraftverluste in Durst gewandelt.
Er streckte sich lang auf den Rücken. Die Helmwölbung dem stehenden Licht zugewandt, fanden die Augen Schatten. In der Erfrischung des Kaffees wollte er denken — da übermannte den todmüden Körper der Schlaf.
Als Frank Gunter erwachte, war dunkle Nacht um ihn. Der Kopf schmerzte, und die Glieder fühlten durch das Fellfutter des Schutzanzuges die einzelnen Latten des Rostes, auf dem er lag. Ruhig waren die Sinne, von jener Ruhe, die totenähnlicher Schlaf verleiht.
Er rührte sich nicht, blieb liegen, wie er lag, im Dunkeln, und überdachte seine Lage. HD-66 war nicht mehr. Und mit dem zerschellten Schiff war auch seine Lebenshoffnung zerstört.
Frigga!
Was hatte es für Zweck, jetzt noch Rettungspläne zu schmieden, sich aus dem gläsernen Sarg, der ihn umgab, zu befreien? Alles war ja so sinnlos geworden, so leer. Das anvertraute Raumschiff zuschanden gefahren, der Kameraden Leben vernichtet und — — — das der heißgeliebten Frau.
War seine Liebe zu Frigga groß gewesen, so hatte die Gemeinschaft der Fahrt in den vielen Geschehen sie übermächtig werden lassen. Die Wandlung, die Frigga und auch er nach der offenen Aussprache durchgemacht hatten, wies eine glückselige Zukunft an der Seite jener Selbstbewußten, die einer fraulichen Reife entgegenging, um eine stolze und mutige Kameradin zu werden, anders als damals am Strande.
Aus! Sie lebte nicht mehr!
Was sollte er noch auf diesem verteufelten Planeten der Meteore und des rieselnden Regens?
Müde schlossen sich die Augenlider, bezwungen von einer verzweifelten Lethargie, die Gunter nie gekannt hatte.
Und wenn doch noch Berger HD-66 hatte retten können? Hoffendes Zagen widersprach zögernd dem nüchternen Verstand. Unmöglich! Das Unglück traf viel zu rasch!
Nichts ist unmöglich! Die Landung kann dennoch gelungen sein! Nur du in HD-C, das einige hundert Meter höher schwebte, trafst auf den Berg. Jene waren vielleicht schon kurz über Land, in einem Tal, tuckten mit jedem Herzschlag die Gedanken.
Viertelstunde auf Viertelstunde verging. Nacht war draußen und Nacht in der Seele Gunters, der seelisch erschöpft auf dem Lattenrost ruhte, nur der wispernden Stimme seiner Sinne lauschte.
Und wenn ich mit dem Fallschirm abspringe, vielleicht finde ich sie.
Du gläubiger Tor! Wo soviel Regen ist, da ist Wasser, viel, sehr viel Wasser, Meere wie auf der Erde. Lande doch mitten im Atlantik, du Narr! Höhnte die Vernunft.
Ich kann aber auch auf Land treffen, pochte die Hoffnung.
Und dann Tausende von Kilometern abseits der Unglücksstelle? Geh dann doch zu Fuß, du Phantast, gewiß noch in der verkehrten Richtung, ohne Nahrung und — ohne Luft!
Hatte die Venus überhaupt atembare Luft? Die Gedanken verfingen sich in einem Wust von zermürbenden Vostellungen.
Es ist ja alles so gleichgültig! Ob ich hier verhungere oder verdurste oder irgendwo da unten einem ungewissen Schicksal entgegentaumele, ist ja gleichgültig. Die Chance ist, nach irdischen Verhältnissen gerechnet, eins zu fünf, daß ich auf Land treffe. Dann aber lieber ehrlich ertrinken, wie so mancher Seemann, als hier elend und tatenlos verrecken.
Grauer Morgen dämmerte durch die Sehschlitze. Frank Gunter erhob sich und tastete mit den Händen zu dem Schrank. Im obersten Fach lagen Stablampen.
Tupfen der Finger.
Das war einer der runden Behälter.
Der Daumen suchte den Druknopf unter dem Scheinwerfer. Licht!
Der helle Strahl spießte einen leuchtenden Kreis auf die Bordwandung, glitt über das Schaltpult, den Kommandostuhl, suchte, von der Hand willenlos bewegt, das Schiffsinnere ab. Die Augen folgten mechanisch dem Lichtbündel.
Und wieder glitt der Strahl über die Instrumente des Kommandopults. Frank Gunter schritt näher, beleuchtete die Hebel und Zeiger, die einst sein Leben darstellten,
Tot!
Er ging um das halbkreisförmige Schaltpult herum, setzte sich in den gepolsterten Stuhl, um vor dem letzten Entscheid Sammlung zu finden.
Das Lichtbündel tauchte in der fiebernden Hand abwärts.
Da! Ein greller Aufschrei!
War das noch möglich?
Im Lichtfleck gleißte der Hauptautomat unter der Schaltfläche. Der Strahl sog sich fest, mit den gebannt starrenden Augen auf etwas Unfaßbares gerichtet.
Die Linke schnellte plötzlich mit verzweifelt seliger Hast zu diesem Schalter.
Peng! Ein metallisches Knacken.
Strahlendes Licht durchflutete das Schiffsinnere.
Die Zeiger, die Zeiger kletterten wieder in die Höhe. Eine jauchzende Gebärde. Die Stablampe flog zu Boden. Die Hände schalteten, schalteten in trunkener Seligkeit. HD-C lebte noch!
Rasch war dem kurzen Morgendämmern in dieser Höhe die glühende Sonne gefolgt.
Gunter wendete in weitem Bogen sein kleines gehorsames Schiff, um Ausblick zu gewinnen, im Schatten des eigenen Schiffskörpers.
HD-C gehorchte.
Da erst überkam ihn ganz die jubelnde, klingende Freude:
Du mein liebes, liebes Schiff hast doch durchgehalten, ich aber nicht.
Der Hauptautomat, die von Hannes Nord so fein erdachte Schutzsicherung gegen heftigen Stoß, war beim Aufprall in Tätigkeit getreten. Der müde und zerschlagene Mensch hatte im wirbelnden Chaos der Gedanken an diesen unter normalen Verhältnissen fast nie in Tätigkeit tretenden Apparat nicht gedacht.
Herrgott! Schalten zu können, wieder schalten zu können! Und das Schiff folgte jedem Hebelwenden wie ein fügsames Pferd dem Schenkeldruck seines Reiters.
Tiefer und tiefer schoß HD-C. Oh, diese Freude! Jetzt kam die erste Wolkendecke. Der silberne Leib durchstieß sie in rascher Fahrt. Eine zweite Nebelschicht folgte. Schon wollte Gunter die Geschwindigkeit herabsetzen.
Da!
Tief unten erblickte das sehnsüchtige Auge Land, in weiten Bögen eine Küste. Brandende Flut, winzig klein von hier oben, als Ausläufer eines gewaltigen Meeres, schlug unaufhörlich gegen weiße Kreidefelsen.
Das Schiff glitt hinab, strich jetzt kaum hundert Meter über dem Boden.
Merkwürdiges Land.
Frank Gunter war im Schauen befangen.
Was war das für ein seltsamer Planet?
Palmenähnliche Bäume, eher riesenhaften Farnen gleichend, standen in Gruppen auf erhöhten Stellen. Grün wuchernde Sümpfe schillerten tückisch.
»O Gott, wenn ich hier mit dem Fallschirm gelandet wäre!«
Weite, unermeßlich weite Sumpfseen, bedeckt mit bizarren Gewächsen und Bäumen, die von hier oben aussahen, als hätte man riesige Zahnstocher gesät. Pinselartige Quasten von gefiederten Blättern wiegten sich hoch oben verloren auf den Spitzen.
In der Ferne schien eine Hochsteppe, weniger bewaldet, anzusteigen.
Grünkram gab es hier genug zu essen, wenn die Not groß wurde. Aber landen? Brrr!
Scheußlich! Das sah alles so urweltlich, so angefangen, halbfertig aus. Frank Gunter dachte unwillkürlich an die Phantasiebilder der Kreidezeit auf Erden zurück, die in dem Vortragssaal des Geologischen Instituts die Wände schmückten damals, als er studierte.
HD-C glitt die Meeresküste entlang. Senkte sich tiefer. Große delphinartige Fische tummelten sich in riesigen Scharen in der wogenden Flut.
Noch tiefer! Pfui Teufel, wie sahen diese Biester aus! Stur glotzende Augen, so groß wie Bratpfannen und vorn an dem torpedoförmigen Leib ein langgespitzter, ekelhaft freßsüchtig ausschauender Vogelschnabel, dicht besetzt mit weiß schimmernden Raubtierzähnen.
Das war ja eine reizende Welt! Verwunschen, widerlich in all ihren Gestalten.
Nur eine vor dem rechnenden Menschengeist aufkommende Gewißheit wirkte tröstlich. Wo soviel grünende Vegetation und mit Tieren dicht besiedeltes Wasser war, mußte auch für den Menschen atembare Luft vorhanden sein. Das bot Rettung, wenn über kurz oder lang der Sauerstoffvorrat des Schiffes verbraucht war.
HD-C tauchte in das quirlende Meer. Die Flutungskammern nahmen Ballast auf.
Ventile schließen!
So! Jetzt war das Helanschiff, nach irdischen Begriffen gemessen, unwesentlich leichter als die Atmosphäre.
Wenn doch nur dieser vertrackte Höhenmesser noch intakt wäre! Anscheinend hatte das empfindliche Gerät den Todesstoß bekommen, als das Vakuum bei der Ausschleusung aus HD-66 eingetreten war.
Also versuchen, wie dicht die Venusatmosphäre ist!
Die Hände schalteten. Alle Antriebsenergie war jetzt aufgehoben.
HD-C stieg etwas, wurde von den rollenden Wogen hin- und hergeworfen.
A — — — hem!
Zu schwer! Das spezifische Gewicht der Venusluft war demnach geringfügig kleiner als das der irdischen.
Ventile auf! Ballastwasser abpressen! Die Pumpen summten.
Halt!
Hebel knackten metallisch.
HD-C stieg, hob sich langsam aus dem Ozean, schwebte.
Gut so! Jetzt konnte Gunter die E-Rohre schonen, benötigte sie nicht mehr, um gewaltsam das leichte Helanschiff mit Elektronenkraft hinunterzupressen.
Der eingenommene Ballast wirkte beschwerend.
Ein Stoß traf das kleine Bugsierschiff, warf es herum. Frank Gunter fühlte in der Übelkeit des revoltierenden Magens ein niederträchtiges Steigen und Stürzen, wie in einem verrückt gewordenen Aufzug.
Regen rasselte über die Sehschlitze. Grelle Blitze zerrissen die graue Wasserdämmerung des Vormittags. Des rollenden Donners Dröhnen zitterte in den Wänden.
Höher mit HD-C! Heraus aus diesem Orkan!
Sonnenlicht schimmerte wieder durch die Sehschlitze. Wirbelnde Wolken wogten verwehend dort unten.
Ein liebliches Gestirn dieser Planet.
In nahezu zehntausend Meter Höhe, nach seiner Schätzung, war Gunter um eine Lehre reicher.
Diese Venus war reichlich jung und ungebärdig, wechselte ihre Wetterlaunen mit einer Wildheit und katzzenartigen Angriffsschnelle, die die gute, alte Mutter Erde nicht einmal im rasendsten Monsun der Tropen sich anmaßte.
Kaum war eine Viertelstunde vergangen, da strahlte wieder die Sonne über sumpfwucherndem, grünnassem, tropfenglitzerndem Land. Nur das Meer tobte noch aufgerührt, und in ihm die scharfzahnigen Vogelschnabeltiere in verrückter Ungelenkigkeit einer unverständlichen, ewigen Beutehast.
Irgendwo hieß es hier Schutz suchen im Rücken, am Rand eines Berges.
Schutz! HD-C fest verankern!
Senden — —! Senden!
Hilfe herbeiholen!
Der Abend dämmerte, als Frank Gunter einen Platz ausgemacht hatte, der für sein Vorhaben geeignet war.
Ein Gebirge schob sich in vorspringender Nase in das Meer. Terrassenförmig fiel die Höhe in fast senkrechten Stufen ab zu den brandenden Wogen. Auf der letzten der Stufen, etwa 50 Meter über der rollenden See, befand sich eine kleine horizontale Fläche von nahezu hundert mal hundert Meter, ausgebreitet vor der wieder steil emporragenden Gebirgswand. Mitten durch die saftig grünende Flur, einer kleinen, aber schier unzugänglichen Alm nicht unähnlich, floß ein Bach, der einer weiten Höhle entsprang, um dann herniederzuschießen über Felsen und Schründe in den Ozean. Hier war hinreichend Schutz gegen alle Unbill des jugendlich-stürmischen Planeten.
Dicht angeschmiegt an die überhangende Felswand in der Nähe der Höhle, konnte HD-C nicht einmal von einem von oben herabstürzenden Felsblock getroffen werden. Die augenscheinliche Tatsache der verstreuten weißen Kalkbrocken weiter zur Mitte der »Alm« hin wies darauf, daß ein derartiger Gesteinssegen von Zeit zu Zeit zu erwarten war.
Aber auch den nun schon mehrfach beobachteten jähen Gewitterorkanen konnte das gut verankerte Schiff hier ungefährdet Trotz bieten.
HD-C schickte sich. zur Landung an. Die Trosse mit dem Anker fiel. Eine zweite Trosse polterte aus der achternen Mulde. Die langfingrigen Schürfspreizen der Anker schnitten in den Boden, vergruben sich tiefer und tiefer. Die Trossenwinden sangen ihr helles Lied, zogen das silberne Schiff näher und näher dem Venusboden.
Jetzt ruhte HD-C dicht an den Grund gepreßt. Unten schäumte das plätschernde Wasser.
Wasser?
Ist das überhaupt Wasser? Wasser wie auf der Erde? Vielleicht bestand dieser verrückte Planet aus ganz anderen Elementen und Baustoffen als die Erde, und teuflischesGift war vielleicht diese chemische Flüssigkeit, die wie Wasser lockte?
Gunter schnallte sich, in solchen Gedanken grübelnd, ab, schritt zu dem Schrank, den er mehrfach schon geöffnet. Zu dem eisernen Bestand der Bugsierschiffe gehörte auch ein großes Paket Streichhölzer.
Aha! — — — Hier!
Gab es hier sauerstoffhaltige Atemluft, wie die Vegetation versprach, dann mußte das Streichholz brennen, schön hell und ruhig brennen, wie auf der Erde.
Mundklappe schließen. Tack! Ein metallisches Klappen! Im gleichen Augenblick zischte die Druckluft des Sauerstoffgeräts im Schutzhelm. So!
Nun kam der entscheidende Schritt. Das Streichholzpaket unter die Achsel geklemmt! Die silbernen Hände schalteten. Die Borderzeugeranlage war abgestellt. Wenn jetzt die Außentür geöffnet würde, mußte nach kurzer Zeit der Atmosphärenausgleich eintreten, und dann?
Brrr! Verdammte Vorstellung! Wenn das Experiment nicht klappte. Wie ventilierte man das eingetretene Giftgas wieder hinaus?
Notfalls mit einer der Flutungspumpen. Würde allerdings eine üble Arbeiterei kosten.
Der Versuch mußte gewagt werden. Alles sprach ja für ein Gelingen. Ja, auf der Erde! Aber auf der Venus? — höhnte die Zaghaftigkeit.
Frank Gunter unterdrückte die lästigen, zwiespaltsäenden Stimmen. Die silberne Gestalt im Schutzanzug schritt zur runden Eintrittsluke.
Die Finger drehten die Knebel, warfen die Verschlüsse aus den Preßgabeln.
So, jetzt!
Die Luke ließ sich nicht öffnen!
Verflucht noch eins! Ein ingrimmiges Zerren. Umsonst!
Gunter wußte jetzt um den Grund dieser Erscheinung. Der geringfügige Überdruck im Innern seines Schiffes wirkte auf die in äußerster Präzision konisch eingeschliffene runde Lukentür mit beträchtlicher Gewalt, hinderte das Öffnen.
So ging's nicht!
Die Hände ergriffen ein Handrad in der Mitte der Luke, öffneten das Ausgleichsventil.
Zischen, das Frank Gunter trotz des schalldämpfenden Schutzhelms deutlich vernehmen konnte.
Warten!
Jetzt ein neuer Versuch.
Die Lukentür drehte sich leicht und langsam in ihren Angeln.
Gunter beugte sich vor und schaute hinaus, blickte zum erstenmal nicht durch Sehschlitze, nein, direkt in das Venusland.
Verrücktes Gras und strauchartige Gewächse, die sich da wenige Meter unter ihm breitmachten. Alles so matschig, naßstenglig, rotbraun, nur an den Spitzen grün mit ein paar weißen Punkten, die wohl Blüten darstellen sollten. Nichts, aber nichts, das Ähnlichkeit mit irdischen Pflanzen aufwies.
Doch! Da rechts am Bach diese grünroten Bleistifte mit Etagenzottelkrausen — das sah fast wie Schachtelhalm aus.
Er trat zurück. Der Schutzanzug hatte sich etwas aufgebläht, wenig, doch tastbar.
Das Streichholz jetzt schon anzünden?
Nein! Noch etwas warten, um jede Fehlbeobachtung, die der restliche Sauerstoffinhalt von HD-C ergeben konnte, auszuschließen.
So, jetzt!
Die Rechte griff zu dem unter der linken Achsel eingeklemmten Paket. Die Finger zerrissen die Papierhülle, entnahmen eine Schachtel, den Rest auf ein seitliches Bord schiebend.
Tapsig und ungelenk tasteten die Silberspitzen der Handschuhe zu den kleinen Stäbchen, entnahmen eins, schoben es an die braune Reibfläche.
Pitsch!
Z — — sch — — sch!
Das Streichholz brannte in heller, freundlicher Glut.
Freudestrahlend führte Gunter das brennende Holz vorsichtig hinaus aus der Luke.
Noch heller flammte das Feuer.
Hier war Sauerstoff, scheinbar mehr sogar als auf der Erde, wie der rasche Verbrennungsvorgang bewies. Oder war im Schiffsinnern die Luft schon stark mit Kohlensäure geschwängert?
Ein Schlackern der Hand.
Das brennende Licht verzischte im Naß der Pflanzen.
Herrgott, Herrgott, wie schön! Ich kann endlich einmal aussteigen, die Beine bewegen, gehen, laufen, ohne diesen das Fleisch erhitzenden Silberanzug.
Ich kann da unten baden! Die heißen Glieder von der kühlenden Flut überrieseln lassen.
Ein seliger Griff zur Mundklappe.
Auf!
Atmen!
Betäubt schloß Frank Gunter die Augen.
War das eine köstliche Luft, geschwängert von einer würzigen Frische, und so lebenswarm und mild!
Die Hände tasteten zum Halskragen der Helmauflage. Schrauben öffnen!
Nach kurzer Zeit stand Gunter in der knappen blauen Uniform da, vorsichtig das lebenrettende Gerät sicher im Fach zu verstauen.
Die Hängeleiter!
Heraus damit!
Ein Absprung! Menschenschuhe zertraten die Venusgräser.
Das Wasser! — — Das Wasser!
Der selige Rausch hatte Frank Gunter alle noch möglichen Gefahren vergessen lassen. Er kniete nieder, kostete den sprudelnden Bach mit heißen, gespreizten Händen, daß aufspritzend die kühle, schnelle Flut die Ärmel benetzte.
Und wenige Minuten später schimmerte im Blutrot der untergehenden Sonne ein nackter, braungoldener Männerleib, nässesprühend in dem aufbrausenden Gischt der heranstürmenden Wassermassen, lang hingestreckt im Bett des Baches. Die Wange, die Brust schmiegten sich an die runden, geglätteten Steine. Der Kopf tauchte in die über ihm zusammenschlagende Flut. Der weit geöffnete Mund ließ freudetrunken das köstliche Naß hineingurgeln, sprühte es mit vollem Atem lebensselig heraus, daß schimmernd die Perlenwolke zerstäubte, und trank Wasser — — — Wasser, wie auf der Erde!
Im letzten Licht raffte Gunter die Kleider auf. Warf, übermütig lachend, Stück auf Stück durch das offene Lukenrund, nackt und toll wie ein ungebärdiger Junge.
Socken und das leichte Unterhemd trafen das Ziel nicht, glitten ab, fielen zurück in das nun verdämmernde Grasgestrüpp, um, aufs neue aufgehoben, von der daseinsseligen Faust, ihren Luftweg anzutreten, bis alles im Schiffsleib geborgen war.
Dann folgte Gunter, die Strickleiter rasch und unbeschwert hinaufhangelnd.
Halt!
Zurück noch einmal. Hatten die Anker auch wirklich gefaßt?
Es wurde Nacht!
Er prüfte.
Doch! — — Das hielt!
Im schlimmsten Fall konnte ein Orkan höchstens das Schiff vor die Höhle treiben Das würde er schon merken. So fest war der Schlaf nicht!
Nochmals hinauf mit den nackten Sohlen. Ein übermütiger Schwung durch die Luke; dann zog er die Strickleiter nach und verschloß die runde Eingangstür.
Besser ist besser! Weiß der Kuckuck, wie kalt es hier nachts werden konnte! Doch das Außenluftventil weit öffnen!
Eins war gut hier auf diesem Planeten, belebend und stärkend, mit unzähmbarer Kraft erfüllend: die Luft!
Die sollte hereinströmen!
Abtrocknen! Die letzten nicht verdunsteten Tropfen abwischen!
Herrgott! Hab' ich einen Hunger!
Das Unterzeug aus dem verworrenen Haufen von hineingeschleuderten Kleidungsstücken heraussuchen, überstreifen.
Es war ja so warm! Mehr braucht man hier nicht!
Hunger! Wie hatte das Bad hungrig gemacht!
Ein paar Schritte zu dem Schrank, hinkauern, setzen!
Heraus mit dem Vorratssack!
Und Frank Gunter aß, futterte, kaute mit vollen Backen, stopfte wahllos Butterbrote, Keks, harte Eier zwischen die lachenden Zähne, gleichgültig, was die Hände ergriffen.
Weiter kramten die Finger, unersättlich.
Zigaretten? — — Nee! Brauch' ich jetzt nicht!
Eine Flasche Weinbrand! Nett! Karl— — — treue Seele! Wie hast du — — —
Karl?
HD-66?
Frigga — — —?
— — — —
Aller Rausch verflog! Dumpf schmetterte die Verantwortung in, die neuerwachte Lebenskraft.
Die anderen!?
— — — —
Frank Gunter! — — Was hast du getan?
— — — —
Da stierte Gunter fassungslos vor sich hin.
Ich lebe, esse! — — — Und — sie?
Wenn ihr noch irgendwo lebt auf diesem verfluchten Planeten, ich helfe euch! Glaubt an mich!
Morgen — — morgen werde ich senden! Hilfe herbeirufen! Ich allein kann euch doch nicht finden! Senden! — — Senden, — — zum Mars! Die haben das beste Empfangsgerät. — Senden!
Gunter erhob sich schwer. Der Vorratssack plumpste auf seine nackten Füße.
Ich kann euch doch nicht fin — — den!
Vernichtend prallten die Gedanken aufeinander.
Er tappte zu dem eingebauten Kojenbett, wollte zurück zu der Morsetaste.
Ich will doch noch senden!
Umsonst!
Die überstarke Müdigkeit, Folge der hastigen Sättigung nach dem kräftegebenden und kräftezehrenden Bad, zwang das nun aufs neue überbeanspruchte Hirn zum Verzicht auf alles Wollen.
Kameraden! — — — — — Mor — — gen!
Die Hände erfaßten den Kojenrand. Der Körper fiel auf die Matratze. Schon traumverloren tasteten die Finger nach dem Zudeck, die nachgezogenen Beine unterschlüpfen zu lassen.
Was bin ich müde!
Der erschlaffte Körper erzwang rücksichtslos gegen den stärksten Willen das Recht der Natur!
Essen, trinken — — — schlafen!
Gegen Morgen war Frank Gunter recht rauh durch den Sturz aus der Koje erwacht. Eine sehr starke Bö hatte das Schiff getroffen und einen Anker aus dem Grund gerissen.
In der ersten Dämmerung nahm Gunter die Arbeit auf, mit den an Bord befindlichen Hilfsmitteln ein sicheres Ankerfeld zu schaffen, das allen Stürmen gewachsen wäre. Die Sonne stand schon hoch, als er die Tätigkeit einstellte und befriedigt sein Werk betrachtete.
Vier Ösen ragten aus dem Boden in weitem Viereck. An jeder derselben war nun eine Ankertrosse befestigt. HD-C lag fest gepreßt an das von großen Steinen gesäuberte Erdreich. Kein Orkan konnte dem Schiff jetzt noch etwas anhaben.
Es war verteufelt schwül hier auf diesem Planeten. Gunter badete abermals, um den verschwitzten Körper zu säubern. Dann kletterte er hinein in das nun in vollem Sonnenlicht silbern gleißende Helanschiff. Im Innern war es angenehm kühl. Er überprüfte gewissenhaft die drei Schutzsäcke voller Lebensmittel. Das Essen reichte bei sparsamer Rationierung für vierzehn Tage. Die Getränke nicht. Doch das fiel jetzt nicht mehr ins Gewicht. Das Venuswasser war trinkbar, hinterließ keinerlei Beschwerden.
Als Gunter das Frühstück beendet hatte, entnahm er dem Sicherungsgestell den kleinen Bordsextanten und turnte, vorsichtig das kostbare Gerät schützend, die Strickleiter abwärts.
Solange die Sonne so hell schien, galt es, Beobachtungen zu tätigen, die für die Auffindung des Platzes seitens des rettenden Raumschiffs notwendig und ausschlaggebend waren. Eher konnte er nicht senden. Zunächst die Bestimmung des nahen Sonnenzenits, des Mittagspunktes, die Feststellung des dann gemessenen Winkels gegen den Wasserwaagenhorizont und die Tageslänge. Wie sich jetzt herausstellte, lag der gewählte Platz außerordentlich günstig; schien doch die in das Meer weit vorspringende Nase des Gebirgsabfalls nach europäischen Begriffen fast genau nach Süden in den Ozean vorzustoßen, so daß der Beobachtung nach Osten und Westen kein Blickfeldhindernis entgegenstand.
Die Sonne stieg, und alle zwei Minuten visierte Frank Gunter die Höhe an, die wieder aufgezogene Armbanduhr als Zeitmesser gebrauchend. Zwar zeigte die Uhr eine gänzlich verkehrte Stunde. Doch das war gleichgültig; galt es doch nur, den Kulminationspunkt innerhalb der Zweiminutenintervalle festzulegen.
Die Rechte schrieb ständig wachsende Winkelgrade in das Notizbuch. Stunden verstrichen. — — — Da packte Gunter sein Gerät zusammen. Die Sonnenbahnbeobachtungen waren sehr aufschlußreich gewesen. Des Scherzes halber, und um die dem Menschen nun einmal in Fleisch und Blut übergegangenen Zeitbegriffe einhalten zu können, stellte er seine Uhr nachträglich so, daß dem Mittagspunkt die zwölfte Stunde gleichkam.
Übereinstimmen würde der Tageslauf mit der irdischen Uhr niemals, denn die Eigenumdrehung der Venus war todsicher eine andere als die der Mutter Erde. Jedoch ließ sich durch ständig neue Mittagsbeobachtungen eine vergleichende Zeittabelle aufstellen, die allen Anforderungen entsprach.
Gunter hangelte vorsichtig, den Sextanten im Arm, die Leiter aufwärts, blickte noch einmal zu dem wolkenlos klaren Himmel, und plötzlich durchfuhr ihn der Gedanke:
Seltsam! Heute hat es ja weder Regen noch Gewitter gegeben? Still und friedlich ist dieser Planet plötzlich geworden. Merkwürdig! — — Sollte ich am Rande der Tropen gelandet sein, und die Venus hätte ähnliche Witterungswechsel wie in gleicher Breite die Erde?
Afrikanische Erinnerungen wallten auf. In wenigen Tagen ebbte die Regenzeit dort ab, machte für die Dauer eines halben Jahres der Trockenzeit Platz mit ewig strahlender Sonne.
Wenn das hier zutreffen würde? — — Wolkenloser Himmel, Tag und Nacht?
— — — —
Alle Rettungsmöglichkeiten waren dann in beglückendere Nähe gerückt! Himmel, bleib klar, daß ich heute nacht den Polarstern, Erde und Mars anvisieren kann!
Nach Tisch hatte sich Gunter lang in die Koje gestreckt. Die anstrengende Erdarbeit des Vormittags, die folgende geistige Tätigkeit der exakten Sonnenbeobachtung, das kräftezehrende Rechnen zwangen den durch die vielen Ereignisse gesundheitlich schwer angegriffenen Körper, auszuspannen. Nur ein geregelter Lebenslauf und viel Ruhe konnten dem physisch und psychisch zerrütteten und bedrängten Organismus Erstarkung bringen. Das wußte Frank Gunter nun klar von sich selbst, da er mit der Nervenentspannung den Verfall spürte.
Doch unruhig war der Schlaf, immer bedrängt von aufwallenden Gespenstern, die die Seele folterten. Es gab kein erlöstes Ausspannen. Der grauen Sorge dräuende Gestalt schob sich in die Traumbilder.
Die anderen!
— — — — —
Schweißgebadet schreckte er jäh hoch!
»Ja — — — — —?«
Der Lautsprecher hatte deutlich seinen Namen gerufen.
Ein Satz zum Schaltpult!
Die Finger tasteten über die Hebel.
»Hallo — — hallo — — HD-66!«
— — — — —
Nichts! Kein Rauschen und Summen.
Tot starrte das Lautsprecherrund in die sehnenden Augen. Da glitt der Blick des traumgenarrten Mannes über die Zeiger.
Nichts deutete auf die hochfrequenzstrahlende Energie.
Die Zeiger klebten an der Nullmarke, rührten sich nicht.
Herrgott!
Schalten — — prüfen — — schalten!
Versuch über Versuch, den Kontrollinstrumenten eine Lebensregung zu entlocken — —!
Die Zeit jagte unter den gewissenhaft Taste auf Taste drückenden, hebelwendenden Fingern dahin. Umsonst!
Da erkannte Frank Gunter mit tränenverschleierten Augen, daß das Schicksal ihn blutig getrogen hatte.
Der Bordsender von HD-C war bei dem furchtbaren Anprall zum Teufel gegangen!
Wenn jetzt noch — — —?
Die sich überstürzenden Gedanken wagten nicht, die vernichtende Folgerung aus der niederschmetternden Tatsache zu ziehen.
Wenn jetzt noch der transportable 4-kW-Sender gleichzeitig den Todesstoß erhalten hatte — — —?
Dann — — —?
— — — — —
War jede Rettung durch fremde Hilfe unmöglich!
Aus! Auf diesem Planeten, so groß wie die Erde, ein kleines Schiff finden?
Auf der Venus konnte er irgendwo Gräserfresser werden, wie einst die Urvorfahren der Menschheit, konnte rückwärts den Gang der Entwicklung antreten, vegetieren, bis der Tod ihn erlöste.
Ein wundes Stöhnen entrang sich der Brust Gunters. Er brachte den Mut nicht mehr auf, den kurzen Weg bis zu jenem Schrank zu durchmessen, in dem, von Federspiralen getragen, das letzte Hoffnungskleinod hing.
D e r — — Sender!
Die Zeit verstrich! — — Warum habe ich nicht gestern, heute früh schon den Sender in Tätigkeit gesetzt, um die Kameraden zu suchen? Und die Erkenntnis der Zügellosigkeit seines Handelns zur Rettung seines Lebens nötigte ihm Scham ab.
Nein, du hast richtig gehandelt, Frank Gunter! Pulste der Wille. Du hast HD-C an sicherem Ort verankert, nach besten Kräften alle Vorbereitungen durchgeführt, die Lage auf dem fremden Planeten zu bestimmen, den Rettern Anhaltspunkte zu liefern zur umfassenden Suchaktion.
Einer muß erst fest auf den Beinen stehen, um anderen — lebten sie überhaupt noch? — Hilfe zu leisten.
Geh jetzt, Frank Gunter! Geh!
Sei nicht feige!
Der tragbare Sender, elastisch aufgehängt, ist größeren Anforderungen gewachsen als die fest eingebaute Senderanlage deines Schiffes!
Da erhob sich Gunter.
Die Aussichtslosigkeit, im Verzicht zu beharren, die lockende Klarlegung des technisch urteilenden Verstandes zwangen den zermürbten Körper noch einmal, willensgepreßt, zum Angriff.
Ich will wissen, wie es um mich steht!
Wenige Schritte. Das Schloß der Schranktür sprang unter den zum Letzten entschlossenen Fingern auf.
Da hing der schimmernde Leichtmetallkasten. In der Mitte der Betriebsschalter. — — — Dreh ihn!
In wenigen Sekunden weißt du alles, wenn der gelbe Zeiger über die schwarzen Striche klettert.
Dreh doch!
Langsam hob sich die vorstellungsgelähmte Hand. Dann ein raubvogeljähes Vorschnellen.
Rack — —!
Der Gleitbügel sprang knackend in die Kontaktfeder.
Warten! Licht glimmte.
Noch ein Hebelwenden.
Da — — da — — da — —!
Der gelbe Zeiger — — — — stieg — — — — stieg — — — — stieg!
Ich lebe — —!
Ich kann senden — — —!
Erschüttert sank Frank Gunter in die Knie, schluchzte vor Freude, während die Hände selig die kalten Metallwände des Senders streichelten.
Minuten verstrichen im Knien. Der seelische Krampf wich erlöster Entspannung.
Gunter stand auf. Der Handrücken wischte das letzte Naß von den Wimpern. Er schritt zu den Kleidern und suchte in der Rocktasche das Taschentuch.
Ein trompetentonähnliches Schneuzen der Nase.
Verflucht! — Bin ich schlapp geworden.
Wenn der Kopf nur nicht so schmerzen würde!
Kam das von dem Fall heute nacht? — — Oder — — vielleicht von der sengenden Morgensonne, die den ungeschützten nackten Rücken während der Arbeit getroffen hatte? — — Oder? — — Sollte doch die Ultrastrahlung — — —? Die Anzeichen ihrer zerstörenden Wirkung?
Frank Gunter schauderte es!
Dort war das Fach. Die Bordapotheke!
Er suchte ein Röhrchen. Erst den stechenden Schmerz betäuben, dann weiterhandeln!
Zwei weiße Tabletten schüttete er in die offene Hand; der Kopf lehnte sich in das Genick. Die Handfläche fuhr vor den Mund.
Hinunter damit! So!
Jetzt die Wurfantenne hervorsuchen!
Die Finger machten die schimmernde Litze klar, schleuderten mit wuchtigem Schwung aus der geöffneten Luke die pfirsichgroße Isolierkugel. Glitzernd schoß die daran befestigte, fein gesponnene Metallschnur hinterher, sich rasch von der surrenden Trommel abwickelnd, und fiel auf den nassen Venusboden.
Gunter spannte das ausgeworfene Ende straff, und im Schiffsinnern so, daß es kein Metall berührte, drückte den Klemmenstecker in die Antennenbuchse des Senders
Jetzt noch die Erdung!
Er schraubte ein dünnes Kabel an die Haspel der nächsten
Ankertrossenwinde, verband es mit dem Sender.
So! — — Fertig!
Erleichtert stellte er fest, daß die Kopfschmerzen schwanden!
Ruhe! Gunter! Mehr Ruhe!
— — — — —
Ja! — — Gewiß bist du mutterseelenallein!
— — — — —
Reiß dich zusammen! Du hast Pflichten!
Du darfst dich nicht von den Umständen unterkriegen lassen!
Der halbgebrochene Wille ballte sich unter der Drohung eines tiefverwurzelten Gewissens zusammen.
Los! — — — — Senden!
Die anderen!
— — — — —
Die Morsetaste tackte unentwegt ihr zerhacktes Lied. Hellsingend gab der Kontrollautsprecher das ständig wechselnde Hi — — üüh — — hi — üüh — hi der sinngebenden Zeichen.
Hi — — hi — — hi — — üüh!
Kurz — kurz — kurz — — lang!
Immer wieder aufs neue den Buchstaben V langsam getastet, und schneller hinterher: HD-C sucht HD-66!
Umschalten auf Empfang!
Lauschen!
Kärrr — — kirr — — kerr — — kerr — — —!
Fernes Gewitter, sonst nichts — — — !
Als Stunden vergangen waren, gab Gunter das Suchen auf, zog entmutigt die Hilfsantenne ein.
Zu Tode erschöpft, wankte er zu seiner Koje. Draußen prasselte, neu einsetzend, dieser verteufelte Regen hernieder.
Blitze zerschnitten grell die Dämmerung, warfen wie aufflammende Scheinwerfer die blendende Lichtflut durch die geöffnete Luke.
Wassertropfen klatschten sturmverweht auf den Lukenrand.
— — — — —
Laß sie doch!
Orkanböen pfiffen um das kleine Schiff.
Tschi — — üh!
Das heulte, schrie draußen, orgelte vom tiefsten Baß zum ohrenzerreißenden Diskant.
HD-C schwankte.
Hielten die Anker?
Und wenn sie nicht hielten — —?
Zerreißt doch, ihr Trossen! Geht zum Teufel!
Was brauch' ich euch noch?
B— — j — i i i— —üüh!
Was soll ich denn jetzt noch allein hier?
U— u — uuh — b — j — —i — — — i — h — — ss!
HD-C schlingerte, knirschte mit dem regentriefenden Helanleib auf den scharfen Steinen, zerrte an den Cupralberryseilen, den tiefvergrabenen Ankern.
Frank Gunter erfaßte nur die maßlose Tobsucht der Elemente als lächerliche Willkür vor dem eigenen Schicksal.
HD-66 war nicht mehr! — — Längst wäre sonst Antwort gekommen.
Versuchte ein tröstender Gedanke sich emporzuwinden, die unerbittlich strenge Vernunft wies ihn zurück.
Sein Schiff war vernichtet und mit ihm das Leben der Kameraden. HD-66 besaß so viel Hilfsmittel, daß es sich, selbst wenn der Hauptsender zu Bruch gegangen wäre, hätte verständlich machen können.
Es gab keine Hoffnung mehr.
Das Schicksal möge euch einen raschen Tod geschenkt haben, Kameraden, und dir — Frigga!
Stundenlang hatte Gunter gelegen. Die gehetzte Seele flüchtete sich verzweifelt vor den jagenden Gewissensbissen. Kein lindernder Schlaf senkte das Tuch des Vergessens über den gemarterten Körper.
Dann stand er auf.
Dunkel war es draußen. Längst war der Orkan vorüber, so rasch verebbt, wie er gekommen war.
Gunter nahm den Sextanten, steckte eine Taschenlampe zu sich und verließ, vorsichtig die Hängeleiter hinabsteigend, sein Schiff.
Sternenklar war die Nacht.
Der gestirnte Himmel wies kaum eine Veränderung gegenüber dem Bild, das der Beschauer aus der nördlichen Breite der Erde kennt.
Ich bin also nicht in den Tropen, registrierten die Gedanken die Feststellung.
Dort, das war der Polarstern.
Doch alle Sterne an leuchtendem Glanz übertraf einer? Die Erde.
Von dort kam ich — — — — kamen wir!
An die Arbeit, Frank Gunter! Verlier dich nicht wieder — — —!
Der einsame Mensch riß sich zusammen.
Er legte die Taschenlampe in eine Gesteinsmulde der hinter ihm aufragenden Gebirgswand, richtete den hellen Strahl so, daß er nicht blendend die Messungen störte.
Dann hob er den Sextanten.
Visierte, schrieb die gefundenen Winkel in sein Notizbuch, notierte die Zeit dazu, die die Armbanduhr wies.
Die für seinen Aufenthaltsort auf der Venus ausschlaggebenden Winkelangaben waren bald ermittelt.
Nach zwei Stunden wollte er die Serienmessung wiederholen.
Vorsichtig stellte er das für ihn jetzt so kostbare Instrument auf einen flachen Stein, suchte sich selbst einen Sitz auf dem benachbarten.
Morgen würde er die große Strahlantenne ziehen, morgen nacht zur günstigen Zeit senden. Der große Empfänger auf dem Mars war empfindlich genug, die geringe Energie seines 4-kW-Senders auf der Detatomwelle aufzufangen.
Jene werden verteufelt zu rechnen haben, meine in irdischen Stundenabständen vom Zenit der Sonne gewonnenen Sternpositionen auszuwerten, zuckte ein Gedanke.
Wenn schon! — — Sie haben Mittel genug!
Die ausgefuchsten Rechenmaschinen und die fabelhaften Sternkarten mußten zum Erfolg verhelfen. Auf den Kopf gefallen war die »Astronomische Abteilung« des Mars bei Gott nicht.
Kommt mein Funkspruch an, so werden sie mich auch finden!
Gunter fror. Die sternenklare Nacht war kalt.
Er kletterte in sein Schiff, schritt zum Vorratsschrank.
Aha! Da ist der Weinbrand!
Der Korkenzieher des Taschenmessers öffnete die Flasche. Er setzte sie an den Mund und trank.
Teufel! — — Das tat gut!
Noch einen kräftigen Schluck.
Wie das Zeug so schön wärmte! Die Welt sah plötzlich verheißungsvoller aus.
Irgendwo waren doch da Zigaretten gewesen?
Die Hände kramten und steckten die gefundene Schachtel in die Rocktasche.
Dann nahm er eine Wolldecke von der zweiten Koje und kletterte wieder aus der Luke hinab auf den tauperlenden Venusboden.
Erst einmal die Taschenlampe im Gestein abschalten!
So!
Nur die gleißenden Sterne erhellten den Platz.
Als Gunter auf seinem Felsbrocken saß, kramte er die Zigaretten heraus. Die Zeit verstrich so rascher.
Das Feuerzeug sprang auf. Die helle Flamme blendete die Augen.
Die Zigarette glimmte.
Gunter lehnte sich, den Rücken gegen die Felswand schmiegend, weit zurück.
Zum ersten Male seit vielen Tagen kam Ruhe über ihn. Die Ruhe, die über die Menschen zieht, die alle schönen Hoffnungen zu Grabe getragen haben. Es gab keine lockende. Zukunft mehr. Es gab nur eins noch: Hier alles daranzusetzen, die Hilfe herbeizuholen — — — und später? — — Sein Leben, seine Arbeitskraft einzusetzen für die Gemeinschaft, der er die Rettung verdankte.
Er würde weiter seine Raumschiffe führen; das wußte er. Die jetzt gesammelten Erfahrungen waren so umfassend, so weltenfern reicher als alle je für möglich gehaltenen Erkenntnisse. Sie zu nutzen, bedeutete frohe Pflichterfüllung.
Gunter sann. Warf den Rest der Zigarette fort.
Doch wieder zogen die Gedanken zurück, und das Leid quälte die Seele.
»Teuer erkauft! — — — Teuer erkauft!«, raunte das Gewissen.
Ein tiefes Atemholen! Die hetzenden Furien zwang der geballte Wille vergeblich, das Feld zu räumen.
Du hast jetzt nur eine Verpflichtung vor dir selbst: durchzustehen — das gesammelte Erfahrungsgut zur Abwendung ähnlicher Katastrophen auszunutzen! Hörst du, Gunter?
Da schlugen die Fäuste des gepeinigten Mannes vor die Augen, wollten die Lider fest verschließen, um den Tränen keinen Ausweg zu lassen.
Umsonst!
Unter den Fingern perlten die heißen Zähren jäh heraus. Schluchzen erschütterte die zuckende Brust.
»Frigga! — Meine Frigga — —!«
Die Ellenbogen stemmten sich auf die Knie. Die Hände wühlten das nasse Gesicht. Die Zähne gruben sich in die Daumenballen.
Gunter weinte krampfgerüttelt.
Was nutzte alle herrische Vernunft, wenn das Gefühl mit der letzten Entsagung todwund sich nur dem Schmerz überläßt um den unwiederbringlichen Verlust!
Die Zeit verstrich. Die Sterne wanderten über den nachtblauen Himmel.
Ein tiefes Aufatmen des einsamen Menschen, todallein auf dem fremden Planeten. Weiter! Das Leben geht auch ohne dich seinen Weg!
Schalte dich wieder ein oder verrecke als unwerter Waschlappen!
Die Kälte straffte die Sinne.
Frank Gunter griff zu der Wolldecke und hüllte sich fröstelnd ein.
Wie lange noch?
Die Linke winkelte im Bogen hoch. Die Leuchtzeiger der Armbanduhr wiesen die Zeit.
Noch eine Stunde!
Gelöste Entspannung folgte langsam der schmerzwunden Hingabe an den letzten Verzicht.
Noch eine Stunde!
Frank Gunter saß, den Rücken angeschmiegt an die aufragenden Felsen, die wohltuend die tagsüber aufgenommene Sonnenglut wärmend abstrahlten wie die Bacsteinhäuser seiner nordischen Heimat in kühlen Mittsommernächten.
Die Sterne! Die Sterne! Genau wie auf der Erde. Ab und zu sprühten leuchtende Punkte auf, zogen einen hellen Strich durch das nachtdunkle Firmament, bis sie verloschen.
Meteore! — — Sternschnuppen!
Deren gab's hier wahrlich genug. Viel, viel mehr als auf der Erde. Vorhin schon hatten die gleißenden Schnuppen die Beobachtung gestört.
Auch diese Tatsache wollte er morgen nacht der Marsstation mitteilen, um das rettende Schiff nicht der gleichen Gefahr auszusetzen, die HD-66 vernichtet hatte. Vorsichtig mußte der Kurs von der sonnenabgewandten Nachtseite der Venus gewagt werden. Die paar kleinen sprühenden Blindgänger am Nachthimmel waren nicht ungefährlich, viel gefährlicher aber jene Brocken außerhalb der Venussphäre, die, nur schwach durch die Anziehungskraft des Planeten von ihrer Bahn abgelenkt, weiter mit ungehemmter Geschwindigkeit der Sonne zustürzten.
Frank Gunter durchdachte den Fahrtenkurs, den jene am zweckdienlichsten einzuschlagen hatten.
Da! — — Wieder!
Vorhin schon glaubte er, diesen unheimlichen Ton vernommen zu haben.
Jetzt klang er näher. Das war keine Täuschung.
U— u — ää — — a — — ah!
Pfui Teufel! Welch widerlicher Schrei!
Kaltes Frösteln überlief den Rücken.
Unten aus der Ebene trug der leise Nachtwind den Schall.
Gunter saß und lauschte angestrengt.
Da wieder.
Uää — — ek —ek— — ek!
Dann ein irrsinnig die Nerven peitschendes Schrillen, ein grausiges Hilferufen, Todesschreie.
I— — ti — titi — — eeh!
Aus!
Nichts mehr zu vernehmen! — — Stille.
Das waren tierische Laute!
Brr! Wurde ja immer schöner hier.
Sollten die Biester im Wasser so geschrien haben?
Kaum anzunehmen!
Was sonst? — — Er hatte den ganzen gestrigen Tag nichts von Lebewesen auf dem Land erkannt.
Also doch die Freßschnabelbestien im Ozean, und dann so brüllen?
Widerlicher Planet!
Morgen, wenn die Antenne gezogen, würde er die Gegend bis ins letzte durchforschen. Vorsicht ist besser, um sich vor allen Überraschungen zu schützen!
Die Zeit war um!
Frank Gunter streifte die Decke ab, stand auf, knipste die Stablampe an und nahm aufs neue die erforderlichen Sternmessungen vor.
Dann raffte er alles zusammen und kletterte in sein Schiff.
Die Hände haspelten die Strickleiter ein und verschlossen fest die Luke. Diese markerschütternden Schreie hatten viel zu denken gegeben.
Als Gunter von langem, traumlosem Schlaf erwachte — zwei Tabletten eines starken Barbitursäurepräparats hatte er dem Nachttrunk beigegeben —, schien hell die Sonne durch die Sehschlitze.
Der Kopf war noch etwas benommen, doch der Körper frisch, die Nerven ruhig.
In einer der Thermosflaschen war noch starker Kaffee!
Er erhob sich, zog sich an und frühstückte langsam und gelassen.
Jetzt hieß es, die Antenne spannen, die heute nacht ihre Wellen zum Mars senden sollte.
Er öffnete die Luke. Ein Blick hinaus.
Die stille, sonnige Witterung war seinem Vorhaben günstig.
Dort oben der vorspringende Fels bot einen willkommenen, frei in die Luft ragenden Stützpunkt zur Abspannung der Hochfrequenzleiter. Zu Fuß war allerdings, selbst bei bester Klettertechnik, da nicht hinaufzugelangen. Doch er besaß ja sein Schiff, das ihn hinauftragen konnte.
In einer Viertelstunde hatte Gunter Drähte, den breiten Antennengurt, die metallschimmernde große Spreize und Werkzeug klargemacht.
Jetzt hieß es, die Winden betätigen, um die aufgewickelten Trossen abzulassen.
Frank Gunter schaltete.
Motoren summten!
HD-C hob sich langsam höher und höher, fest verbunden mit dem Boden an den vier leise abschnurrenden Ankerseilen.
Der Helanleib knirschte scheuernd an dem Hindernis, das der überragende Fels ihm entgegenstellte.
Halt!
Rasches Hebelwenden. Die Motoren verstummten. Genau in der Höhe der Felsnase, dicht vor der Lukentür, kam das Schiff zu stehen.
Rasch! Rasch! Wenn wieder ein so verteufelt anstürmender Orkan heranfegen sollte, kann die Lage brenzlig werden!
Die Hände griffen zu dem Material,
Gunter schwang sich hinaus.
Da war der halbmeterhohe, gestufte Helanisolator.
Die Stahlspitze am unteren Ende hinein in den weichen Boden!
Mit aller Wucht warf sich Gunter darauf, trat dann mit dem Absatz mehrmals zu, um so tief wie möglich den Metallspieß in den kalksteinigen Grund zu rammen.
Der Isolator stand fest, wie ein Rütteln mit den Händen erwies,
So! Jetzt rasch die Abspannungen!
Vier Pflöcke schlug der Hammer in den Boden.
Die Hände schlangen vier Metallseile herum, zogen sie mit Spannern stramm.
Das hielt!
Hinein in das Schiff!
Er raffte die Metallspreize und das Ende eines breitbandigen Gurts an sich.
Wieder hinaus!
In die obere Öffnung des Helanisolators ließ sich leicht der Gewindefuß der Metallspreize einschrauben.
— — — —
Aufklappen!
Der Senderdipol stand, war sicher aufmontiert. Jetzt rasch die Zuführungen des gut isolierten Bandes, in der Technik einer Lecherbrücke ähnlich, an den Kontaktschrauben des Dipolstrahlers befestigen!
Auch das hielt!
Hinunter mit HD-C!
Da drüben die tiefschwarzen Wolken verhießen eine üble Abwechslung des windstillen Sonnenglastes.
Wieder summten die Motoren, um die Ankertrossen einzuhaspeln.
Vorsicht! — — Langsam! — — Hebel schieben!
Durh die geöffnete Luke schlängelte sich das Band des Antennenzuleiters, hastig von den Händen Gunters geführt, daß ja nicht der kratzende Fels das kostbare Stück beschädige.
Frei!
Zurück zum Schaltpult!
Winde auf Winde verstummte rasch hintereinander. Sicher geführt lag HD-C, aufs neue angepreßt, auf dem schützenden Grund. Von der Höhe baumelte die Antennenzuführung, endete etwa anderthalb Meter über dem Boden.
Bii — — jj — — ß!
Es war höchste Zeit!
Die ersten Böen trafen das Schiff. Aus strahlendem Tag war fast pechschwarze Nacht geworden.
Da —! Der Regen!
Huii! Das peitschte!
Ächzend wand sich HD-C am Boden, der vollen Wucht des Orkans preisgegeben.
Frank Gunter schnellte mit taumelndem Sprung in die Koje, krampfte sich, langausgestreckt, mit den Händen fest an den Bettrand, die einzige Möglichkeit, diese schlagharten Stöße zu ertragen.
Wenn bloß die Anker halten — und meine Antenne!
Diesen Planeten durfte man getrost zukunftsgeängstigten Seelen als Hölle verschreiben. Solche Medikamente zur Erzwingung einer gläubigen Demut hatten noch nicht einmal die an Ausschweifung wahrhaft nicht geringträchtigen Hirne mittelalterlicher Torturerfinder ersonnen.
Sss-ii-ck— —k ä ä r r!
Blitzgrelles Aufflammen und Donner folgten fast zu gleicher Zeit.
Noch einmal! — — Noch einmal!
Eine unerschöpfliche Sintflut prasselte hernieder.
Klick — — käärr! Blitz und Donner.
Wenn bloß die Erdanker halten — meine Antenne nicht getroffen wird — —!
U — i — tt!
Ein Fanal von grüngelbem Licht schlug als Flamme vor die Luke. Das Schiff schien zu zerbersten vor dem nachtrümmernden Donner.
Gunter preßte betäubt die Hände vor Augen und Ohren.
Vorbei!
In der Ferne weiter und weiter tobte diese unirdische Raserei ungezähmter Elemente.
Wenige Minuten später strahlte wieder helles, freundliches Sonnenlicht gleißend durch den Lukenrand, als ob nicht im geringsten dieses teuflische Attentat auf die Widerstandsfähigkeit irdischer Nerven verübt worden sei.
Gunter erhob sich. Straffte den Körper im Sitzen und glättete mit den Fingern die zerwühlten Haare.
Ein tiefes Atemholen.
Du Satansplanet!
Wenn ich nicht um die physikalischen Gesetze deiner Tobsucht wüßte, könntest du mich verzweifelt in die Knie zwingen.
Dennoch! Der Schreck genügt mir einstweilen!
Vor deiner Zügellosigkeit werde ich mich in Zukunft besser vorsehen!
Er kletterte aus der regennassen Luke, sprang zu Boden.
Da baumelte der Antennengurt von der Felsenkante herunter!
Aufnehmen — — prüfen! —
Nichts! — — Blanke Litzenenden schimmerten ihm im hellen Sonnenlicht entgegen.
Den rettenden Dipol hatte die vernichtende elektrische Entladung nicht getroffen. Sonst sähe das hier anders aus.
Der schäumende, aus der noch undurchforschten Felshöhle quellende Bach schien als besserer Blitzableiter gedient zu haben.
Dennoch — — senden! So rasch wie möglich! Blitzen konnte man keine Wege vorschreiben. Er wickelte das Ende des Bandes zusammen und verstaute es steinbeschwert in einer der höher gelegenen Felsmulden.
Frank Gunter schritt zu den Ankern.
Na! — Na? Der Boden war gelockert, wies zahlreiche, naßverschwommene Risse auf an jeder der vier Trossenösen.
Nach kurzem Nachdenken ein befreiendes Aufatmen!
Besser konnte es ja gar nicht kommen!
Durch die aufklaffenden Spalten hatte der tropische Wolkenbruch gründlichere Arbeit geleistet, als Menschenhand sie je zu vollbringen vermochte.
Die Spreizanker waren jetzt festgeschwemmt im gestern noch lockeren Erdreich der zugeschaufelten Gruben.
Gunter aber wollte sich gegen alle Fährnisse sichern. Sammelte schwere Steine, rollte jene verstreuten Kalkfelsen heran, die gerade noch der wankende Körper bezwang.
So, Frau Venus, tob weiter!
Die Mittagsstunde gab Frank Gunter gerade noch Gelegenheit, seine Sonnenvisierungen durchzuführen.
Wieder verfinsterte sich bald darauf der Himmel. Langsam zogen bleigraue Wolken heran, verdichteten sich zu einer nirgends unterbrochenen Decke.
Dann regnete es, regnete, goß in Strömen!
Warm dampfte die bindfadengleiche Sintflut über den Pflanzen, ließ den Bach zu tosender Höhe anschwellen.
Aufmerksam beobachtete Gunter aus der Luke die Geschehnisse. Aus dem weißen Gischt des Wassers wurde kreidiger Schlamm, der bald den Pflanzenwuchs umströmte.
Noch war kein Anlaß, HD-C von dem quirlenden Grund zu lockern. Mochten die kalkigen Fluten aufschäumend an dem silbernen Helanleib nagen.
Dunkler wurde es. Die Nacht kündigte sich an. Der sturzbachgleiche Regen ebbte ab.
Stunden vergingen.
Verhangen war der nächtliche Himmel, und nieselnd plätscherte eintönig, windlos dieser Venusregen.
Der Bach wurde ruhiger, wie das lauschende Ohr wahrnahm. Da verschloß Gunter die Luke von HD-C.
Heute war es unmöglich, zu senden! Die feuchtigkeitsbedingten Antennenverluste waren viel zu groß!
Wieder folgte eine Nacht festen Schlafes.
Als Gunter morgens erwachte, fühlte er die alte Kraft zurückkehren. Der Körper war frischer und elastischer als in den Tagen zuvor.
Abermals tätigte er Mittagsmessungen mit dem Sextanten. Jetzt hatte er schon reiches Material, welches die Auffindung seines Aufenthaltsorts auf der Venus gewährleisten mußte.
Als er das optische Gerät in sein Schiff zurückgetragen hatte, beschloß er, seinen Ankerplatz einmal näher anzuschauen. In einem Fach des Schaltpults lag wohlverwahrt das Fernglas. Er nahm es heraus, hing den schmalen Tragriemen über, griff dann zu einer der Taschenlampen und verließ das Schiff.
So! — Ein Absprung zum Venusgrund, der recht patschig geworden war. — Erst will ich einmal die Höhle da etwas genauer ansehen!
Der Scheinwerfer der Stablampe flammte auf, als Gunter, von einer Seite des Baches auf die andere springend, den Eingang betrat.
Hm! Eine richtige Karsthöhle, wie auf Erden in Kalksteingebieten.
Vorsichtig schritt Gunter weiter. Links neben ihm gurgelte der Bach.
Die Füße stolperten über Steine. Der Lampenschein erhellte nur als weißer Fleck den Weg.
Da blieb Gunter stehen und leuchtete die Höhlenwände ab.
Hm — — —! Dahinten war schon alles zu Ende. Aus einem breiten Spalt im Gestein schoß schäumend der Bach. Das Licht tastete die Wölbung ab. Tropfsteingebilde hingen hernieder und wuchsen aus dem Boden entgegen.
Die Feststellung genügte. Gunter machte kehrt und strebte dem Ausgang zu. Von hier aus drohte keine Gefahr. Kühl aber war es hier drinnen. Das konnte man sich merken für den Fall, daß es einmal heißer in diesem Venusklima wurde.
Draußen, im hellen Sonnenlicht, schaltete er die Stablampe ab und steckte sie in die Gesäßtasche.
So! Jetzt einmal den Absturz seiner Alm zur Linken untersuchen! Der Grund neigte sich etwas. Felsen lagen verstreut.
Vorsichtig! Das verdammt lockere Kalkgestein konnte zu leicht nachgeben.
»Hallo!« Ein Ruf des Erstaunens entfuhr Gunter,
Was war denn das?
Er hatte eine vorstehende Klippe umschritten.
Da setzte sich ja seine Alm in der Breite einer Landstraße fort, eingekerbt als lang sich hinziehende Stufe, den Gebirgsabbruch umwindend.
Das hatte er bei der Landung nicht wahrgenommen.
Wollen doch einmal sehen, wo hier die Welt zu Ende ist! Und Gunter schritt rüstig fürbaß, soweit es die die Füße umstrickenden Stengelpflanzen und die Kalkbrocken zuließen.
Als eine halbe Stunde verstrichen war, gab er das anstrengende Rennen auf. Den rechten Fuß hatte er sich in der widerwärtigen Unebenheit der mit Geröll und Steinen übersäten schmalen Gebirgsterrasse verknackst.
Er hockte auf einem Felsenbrocken nieder und massierte das leicht schmerzende Gelenk.
Doch der Weg hatte gelohnt; das sah er jetzt. Der letzte umschrittene Bogen gab den Blick frei auf das tief unter ihm liegende Land.
Eine weit geschwungene Ebene breitete sich da aus.
Hier war ja Gelegenheit genug, den Fernstecher zu nutzen, um einmal festzustellen, ob dieses verteufelte, jetzt noch in allen Gliedern stefende »Uh — — äh« von angriffslüsternen Landtieren stammte.
— — — —
Er setzte das Glas vor die Augen.
Verrückte Welt da unten!
Da gab es eine Menge sogar recht großer Bäume. Oben trugen sie alle so eine Mischung aus Palmen- oder Farnwedeln, und der Stamm war glitschig, nackt, wie mit Fischschuppen bedeckt. Dazwischen standen wieder diese langen Zahnstocher, mit den Pinselquasten hoch wippend. Und weiter verstreut tannenartige Riesen. Nur, daß an Stelle der regelmäßigen Zweige quirlende Würste in Unzahl aus den spitz wie Seglermasten zulaufenden Stämmen wie Korkenzieher herausstanden. Blätter fehlten.
Das Auge suchte! Von Tieren keine Spur!
Dort drüben in den Sümpfen? — — Auch nichts zu entdecken.
Zum Teufel! — — Wer schrie denn nachts so?
Schlief etwa das Packzeug in der Sonnenglut des Nachmittags und wurde erst abends munter?
Fische im Wasser schreien doch nicht!
Die Sache fing an, unheimlich zu werden.
Gunter wurde die vertrackten Bilder nicht los, die er aus wissenschaftlichen Büchern als Riesensaurier kannte.
In diese verwunschene Gegend paßten solche Urweltviecher entzückend hinein. Nur ihm paßte die Vorstellung nicht, daß plötzlich solch eine acht, zehn oder gar fünfzehn Meter große Echse ihr zähnestarrendes Fletschengebiß auf ihn richten könnte.
Diese stickigheiße, nasse Luft, diese irrenhausreifen, bequasteten, klebrigen Telegraphenstangen, die sich als Bäume da unten breitmachten, konnten einem den gesunden Verstand verwirren.
Noch einmal nachsuchen!
Gunter legte sich lang nieder, stützte die Ellenbogen auf.
So! Das Glas zitterte nicht mehr in den Händen.
Gewissenhaft suchte er jede Lichtung, jeden dem Blick erreichbaren Saum der Widerwillen erzeugenden Wälder ab, wie ein Jäger.
Nichts! — — Keine Tiere!
Erleichtert atmete er auf, als er vorsichtig humpelnd den Heimweg antrat.
Und dennoch:
Irgend etwas stimmte hier nicht. Soviel Grün und keine Tiere?
»Das kann man wirklich Glück nennen!«
Frank Gunter zog rasch den Rock aus und schüttelte die ersten dicken Regentropfen von dem blauen Tuch, hing dann die Uniformjacke ausgebreitet über die Lehne des Kommandostuhls seines Schiffs.
Gerade noch rechtzeitig war er durch die schützende Schiffsluke gewischt.
»Ha!« — Helle Freude strahlte aus seinem wieder frischen Gesicht.
Draußen prasselte schon erneut die hageldicke Sintflut.
Er ließ sich auf den Rand seiner Koje fallen, zog das leichtgeschwollene Bein hoch.
Verflixt! Die Stablampe drückte in der Gesäßtasche!
Gunter richtete sich auf, griff mit der Rechten rückwärts und warf den metallenen Störenfried erbost auf die weiche Decke des oberen Bettes. So! Er löste den Schnürsenkel, streifte den nassen Schuh ab. Die Socke flog herunter.
Die Hände untersuchten!
Pah! Nicht der Rede wert! Bissel heiß!
Ein paar Stunden Ruhe bis zum Abendessen, dann würde die geringfügige Schwellung zurückgegangen sein.
Wie der Sturm pfiff!
Verrückt, verrückt, dieser Planet!
Der Regen!
Daß diese blöden Bäume keine richtigen Blätter hatten, ist mir jetzt völlig klar.
Die Blätter möchte ich einmal kennenlernen, die die ununterbrohenen Schrapnelladungen von derartig schmetternden Orkangüssen aushalten, ohne zu zerfasern.
Aha! Eine rasche Naturerkenntnis dämmerte auf:
Daher die fingrigen Pinselquasten! Den elastischen Stengelruten konnte selbst solch ein Regen nichts anhaben!
Verrückter Planet!
Hatte wirklich vor Millionen Jahren die ältere Erde genau so ausgesehen?
Fast alles sprach dafür, was an sauber geborgenen Versteinerungen in den großen Museen der Heimat aufgestapelt war.
Planeten sind Kinder der Sonne! Die äußeren uralt, die inneren noch so jung?
Frank Gunter lehnte sich zurück, streckte vorsichtig den kranken Fuß auf die Decke, sank auf das Kopfkissen.
In solche Umgebung bin ich geraten? Man sollte die Naturforscher der Erde? — — — —!
— — — —
Die Gedanken verfingen sich in stark gezeichneten Wunschbildern. Das wäre eine tolle Aufgabe! Ein Raumschiff, vollgepackt mit Gelehrten, von der Erde vorsichtig herzuführen. Alles untersuchen zu lassen, Tiere zu erjagen. Den gesamten Werdungsprozeß aufzuhellen. Einmal an Hand positiver Tatsachen festzustellen, wie die Entwicklung zum Menschen verlief.
Die Gedanken quirlten, ballten sich zusammen, nahmen bis ins letzte ausgeklügelte Formen an, beschäftigten sich bereits rechnend mit der Organisation einer solchen Expedition — — —
Da glitt der Schlitten des zukunftmeisternden Traums sanft in den Schlaf.
Der menschliche Organismus war weder der fremdartigen Venusluft noch den zersetzenden, ständig wechselnden Einflüssen gewachsen. Die ewig schwüle Hitze, die unberechenbar jähen Wetterwechsel, grelle Sonne, Wolken, Stürme, Orkane, Regen — — — Reeegen, Blitze, Donner — aus — — und wieder lachender Himmel — — —! Das zernagte unmerklich die Gesundheit!
Frank Gunter schlief, träumte plötzlich mit offenen Augen und war wach.
Senden, senden! — — Senden!
Was hast du da eben für dummes Zeug dir zusammengereimt!
Ist gar nicht so dumm! Wie hießen doch bloß diese Urweltbäume? Auf der Erde hatten die Rekonstruktionen der Versteinerungen prachtvolle Bezeichnungen erhalten.
Heraus mit den Geologiekenntnissen! Wie lauteten doch die Namen?
Aha! Weiß schon. Schuppenbäume, Zykadeen und — — Araukarien — — richtig!
Die Bilder paßten vortrefflich zu dem jüngst Gesehenen.
Da soll es keine Tiere geben?
Werden wir später einmal gründlich feststellen. Einstweilen hab' ich Hunger, und — — — — dann bewahre mich der Himmel vor weiterem Regen, damit ich senden kann!
Gunter richtete sich auf, betastete den Knöchel!
Kühl! — — Schön! — — — Schwellung zurückgegangen!
In Ordnung!
Die Hände streiften die Socke über, schnürten den Schuh vorsichtig zu.
Gunter trat hart auf, stampfte.
Der Fuß trug ohne Schwäche.
Jetzt aber zu dem Eßschrank!
— — — —
Magen, knurr doch nicht so, blödes Raubtier! Kriegst ja gleich etwas!
Mehr Haltung!
Gunter wollte wieder Herrenmensch sein. Nicht aus dem Sack futtern!
Sauber baute er auf dem schmalen Tisch vor der Koje einen Teil der Herrlichkeiten auf.
So! Nun iß und trink, Herr Gastgeber vor dir selbst!
Er setzte sich lächelnd auf die Bettkante als Stuhl und benahm sich, als ob er im feinsten Restaurant der Erde speiste.
Haltung! Wie viele Menschen rutschten haltungslos ab. Hab' es in den afrikanischen Kolonien erlebt!
I c h will nicht! — — Die Erschütterungen der letzten Tage kriegen mich nicht unter!
Lau war die Nacht geworden. Der Himmel hatte sich aufgeklärt und versprach, heiter zu bleiben.
Frank Gunter saß im strahlenden Schein der Bordbeleuchtung gebeugt an dem kleinen Tisch, der mit Notizbuchblättern belegt war.
Zum vierten Male hatte er den Text entworfen, den er senden wollte. Bei jeder neuen Niederschrift, die alte nach Kräften gekürzt, alles nicht durchaus Wichtige fortgelassen, noch klarer und prägnanter die Sätze aufgebaut.
Abermals überlas er langsam jedes Wort, jede Zahl, wie ein Inquisitor prüfend.
Gut! Das war klar und gab alle erforderlichen Anhaltspunkte.
Was zeigt die Uhr? Zwanzig vor elf? Dann ist es also schon nach elf Uhr Venuszeit?
Er stand auf, nachdem er das engbeschriebene Blatt eingesteckt hatte, trat zu dem Schrank, löste vorsichtig die Haltefedern von dem Sendegehäuse und setzte den Apparat auf den Werkzeugtisch. Dann schraubte er die Rückwand ab und untersuchte peinlich genau den festen Sitz der Röhren, die Verbindungen, Anschlüsse und Schrauben, die sich bei dem Aufprall etwa gelockert haben konnten.
Alles in Ordnung. Den Metalldeckel spannten die Finger wieder fest, hakten die Traggurte in die Halteösen. Er drehte sich um.
Ein Kniebeugen. Die Arme fuhren durch die Gurte, zogen sie auf die Schulter. Gunter straffte sich. Der Sender hing auf seinem Rücken. Jetzt hieß es, behutsam mit dem Kasten durch die Luke klettern.
Halt! Ich habe die Stablampe vergessen. Ein paar Schritte zur Koje. Die Lampe war in der Tasche verstaut. Zurück zur Luke!
Gunter schob erst das eine, dann das andere Bein über den Lukenrand, hielt sich mit den Händen, bis die Füße die Sprossen der draußen hängenden Strickleiter ertastet hatten; dann zwängte er sich langsam und vorsichtig mit der Last auf dem Rücken durch die runde Oeffnung.
Es gelang, ohne mit dem kostbaren Sender irgendwo anzuecken.
Die Leiter hinunterhangeln! Er stand auf festem Boden.
Das Licht der Lampe flammte auf. Dort war der flache Felsen, den er für sein Vorhaben gewählt hatte. Er setzte behutsam den Sender darauf, prüfte durch sanftes Hin- und Herschieben den sicheren Stand.
Er zog das Antennenband aus der höher gelegenen Mulde und wickelte es ab.
Gut reichte die Länge, wie voraus berechnet, zu den Anschlußstutzen am Gehäusedeckel.
Die Schrauben preßten die Metallösen.
So! Das war fertig! Jezt noch die Kopfhörer!
Die Rechte griff zu einer Klappe an der Seite des Sendegehäuses, öffnete sie und holte die Hörer heraus und stülpte sie über.
Die Morsetaste herausklappen!
Das Licht der Stablampe besser richten, daß der Schein günstig das kleine Blatt mit dem Sendetext traf!
Der entscheidende Augenblick kam, und Gunter fühlte, daß er sich gewaltsam zusammenreißen mußte.
Gebt doch Ruhe, ihr dummen Nerven!
Einschalten!
Der Hebel flog knackend herum.
Die Zeiger stiegen! — — Die Hände bestätigten Kontakte.
Ein tiefes Aufatmen! — — — Schicksal, sei mir günstig!
Ab!
Dann knatterte schon die Morsetaste ihr einförmiges Lied in die sternenklare Venusnacht.
Es war immer das gleiche Anrufssignal an die große Marsstation. Einförmig der gleiche tackende Rhythmus, den jetzt die elektrische Welle von dem Dipol abgestrahlt in den Weltenraum hinaustrug.
Mechanisch hämmerte der Mittelfinger der Rechten.
Schreckhafte Gedanken durchzuckten das Hirn. Wenn — — — —?
Herrgott, wenn doch endlich einmal diese verteufelten »Wenn« aufhörten!
Eine Viertelstunde hieß es jetzt senden; so stand es im Funkdienstplan der »Detatomwerke«.
Frank Gunter winkelte den linken Arm hoch.
Noch zwei Minuten!
— — — —
Wie lang die wurden? Der Zeiger schien zu stehen.
Jetzt!
Umschalten auf Empfang!
Einige Hebel flogen in andere Stellungen.
— — — —
Hören!
Nichts! — — — Das brodelte, knatterte ein wenig.
Gottlob! Wenigstens kein Gewitter in der Nähe.
Mit angestrengten Sinnen lauschte der einsame Mensch.
Nichts!
Die vorgeschriebenen fünf Minuten vergingen in bangem Zagen. Und mit jeder Minute, die vertropfte, steigerte sich eine peinigende Unruhe.
Die Frist war abgelaufen...
Noch einmal senden!
Nicht mehr so hoffnungssicher hämmerte wieder der Finger auf die Morsetaste.
Die »Wenn« wuchsen und wuchsen in der gemarterten Vorstellung langsam ins Riesenhafte.
Eine Viertelstunde! — — Wie lang ist eine Viertelstunde — —!
Tack — — ta — ta — — tack — — tack — tack! Das einzige Geräusch in der märchenhaft stillen Nacht, wie im Hochsommer auf der Erde.
Auf — — der — — Erde!
Gunter hatte die Kopfhörer hochgeschoben und lauschte in die tiefblaue Stille.
Die Sendezeit verstrich endlos langsam.
Endlich vorbei!
Wieder umschalten auf Empfang!
Kopfhörer herunterschieben!
Krr — — krr — — —. Leise atmosphärische Störungen.
Sonst nichts!
Krr — — krr — — krr.
— — — —
Die Augen richteten sich starr, verzweifelt flehend auf einen rötlichen Stern dort oben, den Mars.
»Hört ihr mich denn nicht?«
Krrr - kärr — krr...
Da! Ein frenetischer Jubelschrei, heiß und rauh im Ende erstickt von einer freudetrunken aufschluchzenden Kehle.
Die sprachen sogar, eine Menschenstimme sprach. Das war Funkleiter Zeimer.
Ein Mensch spricht zu mir! Sie haben mich gehört! Die Stimme!
»Hallo, hallo! Hier Marsstrahler! — — Wer sendet auf der Venus?«
— — — —
»Hallo, hallo! — — — Hier Marsstrahler! — — Wer sendet auf der Venus?«
Fünf Minuten, rasend tolle fünf Minuten sprach die Stimme die gleichen beseligenden Worte, immer wieder Worte, ruhige schöne Worte, Menschenworte.
Gunter konnte sich nicht satt hören. Schluchzend hob sich die Brust, zuckend gepreßt von einem nicht zu bändigenden Gefühl des Glücks.
Daß die dort oben sogar telephonierten, statt zu morsen? Das bewies, daß der Empfang vorzüglich war. — — Herrgott! Besaß der Marsstrahler heute eine ungeheure Kraft!
Dennoch dämpfte Gunter nicht im geringsten die donnernde Lautstärke, die in den Ohren schmerzte.
Das war zu gewaltig! Den Rausch kostete er mit jeder Fiber aus.
Sie haben mich gehört! — Jetzt bin ich gerettet!
Plötzlich verstummte jäh die Stimme, brandete wieder auf:
»Bitte sen — — den! — — Wir — — hö — ren!«
Da erwachte Gunter aus dem Taumel.
Rasch umschalten!
Beherrschen! — — Ruhiger morsen!
Die Zeichen flogen hinaus in den Aether.
Alle Angaben, alle Meßergebnisse, die er in den Tagen und Nächten gewonnen hatte, notierten jene jetzt drüben auf dem Mars. Dann würden sie kommen, ihn zu holen. Zum Schluß teilte Gunter mit, daß die Landung HD-66 vernichtet hatte, er allein mit HD-C heil den festen Grund erreicht habe. Er warnte dringend vor überstürzten Handlungen. Berichtete von der Meteorgefahr, dem höllischen Regenklima der Venus. Er selbst habe Nahrungsmittel und Wasser genug, um ruhig abzuwarten.
»Ich schalte um! — — Bestätigen Sie den Empfang!« hackte die Morsetaste.
Fertig!
Herum mit den Hebeln!
Warten! — — Die Ohren lauschten angespannt!
Da brandete wieder die Stimme auf. Gunter schaltete leiser. Es hieß jetzt aufpassen.
Ja, ja, murmelte er nach jedem ganz langsam gesprochenen Wort und den zweimal wiederholten Zahlenangaben, nickte bestätigend mit dem Kopf. Die Augen verfolgten gespannt die Zeilen auf dem angehobenen Notizbuchblatt.
Ja — — ja! — — Stimmt!
Wie das auf den ersten Anhieb klappte! Kein Fehler, kein — — — —
Zum Teufel, was war das?
Voller Entsetzen riß Gunter die Kopfhörer herunter.
»Ek — — eek — — — eek«
Ein widerlich nasses Schnalzen in dichtester Nähe.
In rasender Angst vor dem Ungewissen aus der Finsternis, sprang er auf, faßte die Stablampe, leuchtete in der Richtung der entsetzlichen Töne.
Da!
Er wollte schreien in Todesnot. Die Kehle war zugeschnürt vor Grauen.
»Eek — — eek — — eeek!« — — —
Dieser Kopf! — — D i e Zähne! — —
Grell traf der blendende Strahl die Augen eines riesenhaften aufgerichteten Ungeheuers.
Gunter sank in die Knie, raffte sich auf.
Stolperte — —! Fing sich.
Warf die Lampe weg.
Mit den Händen hangelte er in irrsinniger Hast die Strickleiter empor, schnellte sich bäuchlings in sein Schiff. Den Füßen war gar keine Zeit gegeben, die Bewegungen des rasenden Körpers kletternd zu stützen.
Der angstgepeitschte Leib rollte sich auf den Schiffsrosten zur Seite aus der Lukenrichtung.
Ein furchtbarer Stoß traf das Schiff.
Durch die offene Tür drangen Schreie von vernichtender
Bestialität.
Der zu Tode Gehetzte preßte, langhingestreckt, die Hände auf die Ohren! — —
Nicht hören.
»U-u-u ah-i-i-i-eek, eek, eek — — eeek!«
HD-C taumelte hin und her, von wütender Gewalt getroffen. Schoß plötzlich achtern hoch, daß Gunter zur Spitze des Schiffs geschleudert wurde.
»Ää ä—äh—i i i i— — — eek, eek!«
Poltern und Krachen!
Felsen schienen den Abhang hinabzustürzen.
Gunter klammerte sich schweißgebadet an die Roststangen. Das Herz hämmerte zum Zerspringen. Die Lungen keuchten.
Luft! — — —Luft!
Aus! — — Alles aus!
Minuten verstrichen in entsetzensgelähmtem Lauschen.
Noch mehr solcher Schreie? — — Ich ertrag's nicht!
Ruhe!
Satanisch peinigende Ruhe!
Wo ist die Bestie?
Lauert sie draußen auf mich?
Schräg in die Höhe stand das Schiff. Die Hecktrossen mußten zerrissen sein. Am Bug hatten sie gehalten.
Da kroch Gunter, an allen Gliedern zerschlagen, mit blutenden Händen aus seiner Ecke, kletterte an den Rosten aufwärts zur Lukentür, warf sie zu und verschraubte in wilder Hast mit schmerzenden Händen die Knebel.
Die grauenzerrütteten Nerven ließen den Körper taumeln. Er fiel auf den Rand der Leiter, klammerte sich mit der Rechten an.
Diese Bestie! — — Diese riesenhafte Bestie!
Entsetzlich!
Er schlug den freien Arm vor die heißstarrenden Augen, als ob er das Bild nicht mehr sehen wollte.
So etwas lebt? — — Hat früher auch auf der Erde gelebt? — — Die Drachensagen! Schüttelfrost rüttelte den Körper.
Was war das eisig kalt hier! Wenn das Schiff nur nicht so geneigt stehen würde!
Das waren über dreißig Grad. Er konnte sich kaum bewegen, ohne Gefahr zu laufen, abermals in die Bugspitze abzurutschen.
Jetzt erst fühlte er mit aller Klarheit den Schmerz in den zerschundenen Handflächen. Das blutete ja recht nett!
Pfui Teufel, diese Bestie! — — Was ist das kalt hier drinnen! In Wahrheit zeigte das Thermometer fünfundzwanzig Grad. Der erschöpfte Körper fror.
Gunter versuchte, mit der Linken die Stütze des Schaltpults zu erreichen. Es gelang. Er ließ die Rechte von der Leiter los, stemmte sich an den Sprossen des Fußbodenrostes aufwärts, hielt sich jetzt an der Lehne des Kommandostuhls.
Es hieß, die Heckrückenrohre einschalten, um das Schiff an den Boden zu pressen.
Er wandte den zugehörigen Hebel.
Zum Teufel! Wieder war der Hauptautomat durch den furchtbaren Stoß des Riesenviehs ausgefallen.
Den Schalter umlegen!
So! Das Schiff senkte sich langsam, knirschte auf dem Grund.
Frank Gunter verringerte nur geringfügig die Elektronenemission der E-Rohre, um HD-C am Boden zu halten.
Dann schritt er auf dem nun wieder ebenen Fußboden zum Waschbecken, um die Hände zu reinigen.
Das brannte auf der wunden Haut! Zum Kuckuk!
Aus dem Apothekenfach nahm er desinfizierendes Verbandzeug, umwickelte die aufgerissenen Handflächen und betupfte die freien Finger mit Jodlösung.
Er schnatterte vor Frost, und jede Bewegung war unsicher im Zittern des Körpers.
Gut, daß der Weinbrandvorrat kaum angebrochen war! Das Zeug würde wärmen.
Er schloß das Apothekenfach, nachdem alles wieder gut verstaut war, und öffnete die Tür zum Vorratsschrank.
Da war die Flasche! Heraus mit dem Kork — —
Kluck — — kluck — — kluck!
Ah! Das tat gut! Wie brennende Glut durchströmte die Wirkung des Alkohols den frierenden Leib.
Noch einen kräftigen Schluck!
Das reichte einstweilen!
Ganz benommen stellte Gunter die Flasche zurück und suchte den Kommandostuhl auf, ließ sich schwer auf den Sitz niederfallen.
Ich glaube, das war etwas zuviel von dem lieblichen Stoff. Ich hab' einen sitzen.
Gunter mußte plötzlich lachen. Er wußte nicht, warum. Es war so schön mollig-warm. Es war überhaupt viel schöner jetzt, und wieder lachte Gunter leise vor sich hin. Die Lippen summten ein Lied; der Kopf wiegte im Takt hin und her.
»Wenn das so weiter geht — — —!«
Unsinn! So ein Quatsch.
Doch die tückische Melodie war nicht loszuwerden. Ein Zittern überlief den Körper. Da sang Gunter mit rauher Stimme und fand, daß er noch nie so gut gesungen hatte.
Das Singen verstummte allmählich, verebbte in leisem Brummen.
Gunter döste, die Augen stumpf auf das Schaltpult gerichtet. In kurzen Abständen rüttelte der Nervenschock an dem zerschundenen Körper.
Er empfand Durst auf etwas Heißes, auf wärmenden Kaffee.
Der elektrische Kocher stand irgendwo in einem Fach, und gemahlener Kaffee befand sich auch noch unter den Vorräten.
Er erhob sich schlotternd und wieder frierend, um sein Vorhaben auszuführen.
Das Warten verkürzte die hastig gerauchte Zigarette. Sie beruhigte zugleich.
Das Wasser kochte.
Hinein mit dem duftenden Pulver! — Umrühren!
Was heißt hier Sieb!
Das trübe Getränk floß in die Tasse, und Gunter trank schlürfend.
Es war heiß, heiß, und wärmte, daß das Zittern nachließ. Oh! — — Schön heiß!
Mit der vierten Tasse war der Kocher bis auf einen schwammigen Satz geleert und Gunters Durst gestillt.
Er fühlte sich wohler und frischer.
Was zeigte die Uhr? Kaum zwei Uhr morgens? Dann hieß es, noch über drei Stunden Nachtwache schieben. Gegen fünf ging erst die Sonne auf. Auf keinen Fall durfte er das heckwärts von seiner Verankerung gerissene Schiff ohne Beobachtung lassen.
Einer von den jäh aufkommenden Orkanen war sehr wohl in der Lage, HD-C völlig loszureißen und mit sich zu führen. Ob er dann seinen Ankerplaß wiederfand, war eine große Frage. Dieser Platz mußte aber unter allen Umständen innegehalten werden. Hier, in dieser Gegend, würden die Retter ihn suchen.
Um sich die Zeit zu vertreiben, untersuchte Gunter seine verwundeten Hände.
Oh! Das heilte ja schon recht schön.
Ganz herunter mit dem Verband! Luft wirkt trocknend und schneller schließend!
Dann griff er abermals zu den Zigaretten und lehnte sich weit zurück Blauer Rauch stieg zur gläsernen Decke des Helanschiffs.
Dieses verdammte Biest!
Jetzt, da keine Tätigkeit die Gedanken ablenkte, setzte mit voller Wucht die Erinnerung an das grausige Erlebnis wieder ein.
Wie bin ich überhaupt noch rechtzeitig durch die Schiffsluke gekommen?!
Wenn die Riesenbestie nicht ihr bereits appetitschmatzendes Angriffsgekecker vorzeitig losgelassen hätte — — —?
Brr — — pfui Teufel!
Gunter zitterte und wußte, daß diese Nervenzerreißprobe nicht so bald überwunden sein würde.
Er lenkte sich gewaltsam ab.
Wann würden jene wohl zu erwarten sein?
Bei Tageslicht mußten die Heckanker neu eingegraben werden. Würde verteufelt viel Schweiß kosten, mit den wunden Handflächen zu arbeiten.
Der einzige Zugang, die schmale Terrassenstufe, die er gestern ausgekundschaftet hatte, war am zweckmäßigsten mit einer Sprengladung zu zerstören. A-Patronen waren noch genug an Bord.
Fliegen kann so ein zehnfacher Elefant mit allen Teufelskünsten selbst auf der Venus nicht. Dann war er sicher vor weiteren Überraschungen.
Ja, und wenn jene dann kamen — —?
Um's Himmels willen! Wenn das Biest den kleinen Sender mit seinen Tempelsäulenbeinen auch nur leicht gestreift hatte?
Wie kann ich dann das suchende Raumschiff bei strömendem Regen entdecken. Wann weiß ich überhaupt, daß sie kommen, wenn der Sender in Trümmer gegangen ist?
Du Biest! Du entsetzliches Riesenbiest! Im letzten Augenblick noch die Rettung vereitelt? Frank Gunter knirschte in ohnmächtiger Wut schnatternd mit den Zähnen.
Alle nur möglichen Pläne erwogen die hetzenden Gedanken, verfingen sich.
Gunter wollte für einen Augenblick die Augen schließen, um besser nachdenken zu können. Da übermannte den im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode gehetzten Körper der Schlaf.
Gunter glaubte sich ganz wach... Er hörte wieder die grauenerregenden Töne. Dann schnellte das Riesenmaul, viel rascher als in Wirklichkeit, auf ihn zu. Er stürzte zur Leiter. Doch die Füße waren plötzlich festgenagelt am Boden. Nur schlurfend schlotterte der angstgemarterte Körper in bleischweren Schritten, klebrigen Leim an den Sohlen, vorwärts. Der Grund senkte sich, platzte in Quaderpfeiler auf. Vorwärts zur Leiter!
Das höhnisch bleckende Geifermaul schnupperte schon dicht an seinen Ohren, blies seinen stinkigen Odem in sein Gesicht. Die Leiter! Die kaum mehr bewegungsfähigen Füße stampften auf die Sprossen. Die zerbrachen wie Glas. Die Hände zerrten nach oben! Die Leiterseile wurden immer länger, wie Gummi. Das Vieh lachte höhnisch hinter ihm und schnob, mit den Beinen wollüstig stampfend, daß die Erde erzitterte. Schubste ihn dann in den Rücken. Da war plötzlich die Luke ganz nahe. Er ließ sich hineinfallen, schwebte aber taumelnd in der Luft, als ob er fliegen könnte. Die Hände erfaßten einen Griff, wollten die zu Stangen gelähmten Beine nachziehen. Da biß das Vieh mit dolchspießenden Zähnen zu, direkt in einen Beinknöchel, zerrte den Körper mit wilder Gewalt nach draußen. — Er krampfte sich fest. Beide Hände wanden sich in Schmerzen der hunderttausend stechenden glühheißen Nadeln. Nicht loslassen! Das Bein freibekommen! Mit dem anderen treten! Treten, vor das Maul treten! Die Zähne austreten! — Das Vieh zerrte nur stärker! Die Hände wurden von den Griffen gerissen.
»Halt — — halt!« Rasend gellende Todesschreie.
Wild fuchtelnd erwachte Gunter, schweißgebadet.
Das Herz hämmerte in jagenden Schlägen.
Der Atem röchelte vor Entsetzen.
Er wollte aufstehen.
Die Beine waren fest umklammert.
Da erkannte Gunter, daß sich die Füße in den abgestreiften Haltegurten verwickelt und verfangen hatten. Der Knöchel des vertretenen Gelenks schmerzte heiß.
Das Taschentuch wischte die nassen Perlen von der Stirn. Nettes Taschentuch! War reichlich dunkelweiß geworden.
Du Biest! Du entsetzlich teuflisches Urbiest!
Oh! Frank Gunter! Den Traum wirst du dein Leben lang nicht los!
Das Herz klopfte immer noch rasend.
Wieviel Uhr war es?
Halb vier erst?
Der Körper bebte.
Ich darf nicht noch einmal einschlafen!
HD-C ohne Aufsicht? Das kann mein Untergang werden.
Als der blaßrote Morgen nahte, brühte Gunter, ruhiger geworden, abermals starken Kaffee und aß etwas.
Mit der aufgehenden Sonne öffnete er vorsichtig die Luke und schaute hinaus.
Ein vernichtender Anblick traf ihn. Da lag ein zusammengequetschtes Metalletwas. Sein Sender! Die Hoffnung, noch einmal mit dem Mars in Verbindung treten zu können,war zertrampelt von den Beinen dieses Viehs. Es hieß also jetzt nur noch, auf die Findigkeit und Ausdauer der Kameraden vertrauen, ob sie ihn fanden. Bitterkeit erfüllte Gunters Seele. Ging denn dieses Mal alles schief? Wo war sein Glück geblieben? Unglück auf Unglück prasselte in jäher Folge hernieder. Wollte das Schicksal ihn so hart prüfen?
Gewaltsam schüttelte er die trüben, an dem Selbsterhaltungswillen nagenden Gedanken ab.
Angst schob sich in das Bewußtsein: Wo ist das Vieh geblieben? Nichts war von dem riesenhaften Saurier zu erspähen.
Gunter gab allerlei Töne von sich, um das vielleicht in der Nachbarschaft lauernde Tier aus seinem Versteck zu locken.
Nichts rührte sich.
Viertelstunde auf Viertelstunde verstrich. Da kletterte er, behutsam nach allen Seiten sichernd, hinaus, schlüpfte unter dem Kiel des Schiffs vorsichtig durch, um auch zur anderen Seite Ausblick zu gewinnen.
Von dem Riesensaurier war auf seiner Alm nichts mehr vorhanden. Wo war die Bestie hingekommen? Den selben Weg zurückgetrottet?
Gunter suchte nach Spuren. Auf dem steinigen Grund war wenig zu entdecken. Zwar wüst zertrampelte Pflanzen, sonst nichts. Aber hier am Bachrand, an der sandigen Stelle?
Götter, steht mir bei! War so etwas möglich? Vier mächtige Krallen waren deutlich erkennbar eingedrückt, an die fünfzig Zentimeter jede einzelne. Wie mochte der Fuß dazu ausgesehen haben?
Brrr! Frank Gunter schüttelte sich. Das übertraf alle seine Vorstellungen. Teufelsbiest!
Als er seine Alm weiter absuchte, entdeckte er am Abhang zum Meer, daß von der Kante ein beträchtliches Stück abgebrochen war. Schneeweiß leuchteten dort die Kalkfelsen. War das Vieh etwa da hinuntergestürzt?
Was stank hier bloß so übel?
Er ging dem Geruch nach, prallte plötzlich angewidert zurück. An einem der Anker hingen ein großer Klumpen ekelhaften Fleisches und Stücke einer hornbuckligen, wie mit Warzen besetzten, braungrünen Haut!
Der Zusammenhang dämmerte.
Wie konnten die Ereignisse sich abgespielt haben? Schräg von der Spitze des Schiffs hatte der Riesensaurier angegriffen, sich mit gewaltiger Wucht, geblendet von dem Lichtstrahl der Stablampe, gegen HD-C geworfen, als die Beute in der Luke verschwand. Der Stoß mußte aber weiter achtern getroffen haben. Beide Heckanker waren solchem Anprall nicht gewachsen, rissen sofort aus dem Boden. Daher das plötzliche Emporschnellen des Schiffshecks, die Ursachen seines Abrutschens auf den Lattenrosten.
Das wütende Tier war, weiterstürzend, von einem der nun hoch in der Luft baumelnden spitzen Ankerspreizen wie von einem Angelhaken erwischt worden.
Der Schmerz hatte die Riesenbestie zur Raserei getrieben. Zerren! Ein Ruck, eine geringfügige Fleischwunde für solchen Koloß. Da gähnte unter ihm der nächtliche Abgrund.
Zu spät. Das lockere Gestein war solcher Belastung nicht gewachsen, brach von der Kante.
Das donnernde Rollen von Felsstücken hatte Gunter noch gehört. Irgendwo unten im Meer lagen jetzt Tonnen von Fleisch, die gewiß längst von den ewig freßgierigen Vogelschnabelfischen, den Ichthyosauriern der Venus, in verdaubare Stücke gerissen worden waren.
Gunter wollte Gewißheit haben, ob diese Annahme zutraf. Er holte aus seinem Schiff das Fernglas, ging zum Rande der Alm, schob sich lang auf dem Bauch vorsichtig an den Felsabbruch heran, und spähte nach unten.
Da! Etwa dreißig Meter unter ihm, an der spitz vorstehenden Gesteinsnase, da hingen mächtige Haut- und Fleischfetzen. Schwarzgetränkt war der helle Kalk von vielem Blut.
So hat's dich doch erwischt! Du Satansbiest du! Ich wünsche euch guten Appetit, euch Herren Ichthyosauriern, da unten im Ozean!
Besser ihr d e n, als d e r mich!
Erleichtert kroch Gunter zurück, stand dann auf. Er war frei! Von dieser Gefahr war er frei! — — Tief atmete die Brust.
Im Laufe des Vormittags noch sprengte er mit einer A-Patrone den Zugangsweg zu seinem Landeplatz. Die E-Rohr-Anregerpatronen waren, beraubt ihres »elektrischen Siebes«, wie der Fachausdruck in den »Detatom-Werken« lautete, ein furchtbarer Explosivstoff. Die tiefe Kluft in dem leichten Kalkgestein zeugte von der gewaltigen Kraft. Die Kluft vermochte selbst ein Riesensaurier nicht zu übersteigen.
Weit größere Mühe verursachte Gunter die Wegschaffung des stinkigen Fleischklumpens in der Größe einer Heringstonne. Mit seinen noch zum Teil wunden Händen da anzufassen, wäre glatter Selbstmord durch Leichengiftinfektion. In diesem heißen Venusklima verweste alles rasch.
Mit Hilfe des noch an Bord befindlichen kleinen Baumankers gelang es, bei zugebundener Nase, das Aas von der Spreize zu zerren und in den Bach zu stoßen. Die schäumende Flut schob es langsam vor sich her, bis der widerliche Brocken den Abgrund hinunterstürzte.
Doch nur einen der Anker vermochte Gunter noch in der neuaufgeworfenen Grube zu versenken, in den Grund zu rammen und mit großen Steinen zu belasten. Die andere Spreize klemmte er unter einen Felsen.
Dann versagten seine Kräfte. Die blutenden, dick geschwollenen Hände waren nicht mehr fähig, zuzupacken.
Er kletterte, nachdem alles Werkzeug geborgen war, in sein Schiff und stellte die E-Rohre ab, die bis dahin HD-C am Boden gehalten hatten. Geringfügig hob sich der Schiffsleib, bis die Trossen sich strammten. Einige Umdrehungen der Winden. Fest angeschmiegt an den Grund ruhte aufs neue das silberglänzende Helanschiff.
Die Hände hieß es jetzt waschen, gründlich desinfizieren. Er löste den Verband. Hackfleisch sieht so ähnlich aus, dachte Gunter und biß im grimmigen Schmerz die Zähne zusammen, als die ätzende Lösung die Wunde benetzte.
Der frische Verband kühlte.
Ein Mittagessen zuzubereiten, dazu verspürte Gunter keine Freude.
Lieber einige Schluck Kaffee, ein paar Keks und Schokolade. Alles schmeckte widerlich süß, wie der Geruch der Jodoformgaze um die wehen Hände.
Draußen prasselte schon wieder der Regen. Blitze zerrissen die Dämmerung. Ein wütender Windstoß traf das kleine Schiff, daß es am Boden knirschte. Frank Gunter beobachtete angestrengt, die Finger an den Schaltern.
Noch ein heulend zischender Orkanwirbel! HD-C hielt an den neueingesenkten Ankern. Das beruhigte.
Gut, daß die Nacht gestern und der Vormittag wenigstens klar waren! Ich hätte sonst weder senden noch arbeiten können, dachte er.
Gunter schritt ermattet zur Koje. Das Unwetter ebbte ab.
Schlafen, nur schlafen! Die letzten zwölf Stunden vergessen!
Alles vergessen. — — Endlich Ruhe finden!
Das Riesenvieh vergessen! — Das losgerissene Schiff vergessen!
Wie lang geht das noch so weiter?
»Das darf — — das kann nicht so weitergehen! — — Ich — halte — es — nicht — — mehr — aus!«
Frank Gunter schrie. Warf sich auf das Bett, die Arme vor das Gesicht pressend. Der Wille zerriß! — — Die Nerven versagten.
Wieviel Stunden oder Tage vergangen waren, wußte Gunter nicht, als er aus dem krisenhaften Tiefschlaf erwachte.
Die Armbanduhr tickte. Draußen lockte durch die halboffene Luke der Sonnenschein. Das elektrische Licht strahlte hell aus den unerschöpflichen E-Patronen.
Der Körper war matt und schlaff wie nach schwerer Krankheit, Wille kostete es, die weichen Knie durchzudrücken. Schritt auf Schritt zu dem Waschbecken zu gelangen. Waschen!
Die heißen Schläfen erfrischen!
Gunter löste die Verbände und beugte sich vor.
Unbewußt hob sich der Kopf vor dem Spiegel.
Starr blickten die Augen ein anderes Augenpaar an, das aus einem wildfremden Gesicht ihm entgegenschaute.
Weiß die Schläfen, ergraut die Haare. Bleich und eingefallen die Wangen.
Gunter! Das bist du! — — — Hier ist sonst keiner im Schiff!
— — — —
Das Spiegelbild war nicht wegzuwischen.
— — — —
D a s b i s t d u, Gunter! Schau dich an und gewöhne dich an den neuen Anblick!
Der Körper zitterte.
— — — —
So weit ist es mit mir gekommen? — — — Doch — —! Wem brauche ich noch zu gefallen?
Da überkam Frank Gunter die große Gelassenheit. Er beugte sich tiefer.
Das kühle Naß sprudelte aus dem Hahn. Die abgeheilten Hände, schorfig und rauh, rieben das Antlitz, die Schläfen, das Genick, ließen die grauen Haarsträhnen wassertropfend durch die Finger gleiten.
Ein Griff zum Handtuch. — Abtrocknen!
Wenn ich nur die Wäsche wechseln könnte! Sie klebt mir am Leib.
Ich muß schwer krank gewesen sein. — — Fieber —? Ich kenne das von den Tropen! — — Ob die anderen inzwischen schon hier waren?
— — — —
Gunter hing das feuchte Handtuch an den Haken.
Nein! Seine Platin-Iridium-Armbanduhr lief dreimal vierundzwanzig Stunden; sie lief noch. Er konnte sich genau erinnern, daß er sie nach der Nacht der Verständigung mit der Marsstation und dem teuflichen Angriff der Riesenechse aufgezogen hatte.
Zweiundvierzigmal die geriffelte Krone drehen war erforderlich, um das abgelaufene Werk voll aufzuziehen.
Eins, zwei, drei, vier — — — achtunddreißig, neununddreißig.
»Hm!«
Fast drei Tage und Nächte war ich bewußtlos?
— — — —
Sie werden kommen!
— — — —
Und wenn nicht? — — — — Wenn sie dich nicht finden?
— — — —
Dann wage ich es! Fahre mit HD-C unter sparsamster Anwendung der noch vorhandenen Energiepatronen zur Erde. HD-1 war kaum größer als mein HD-C, und Torwaldt gelang der Vorstoß zum Mars. Hier bleibe ich nicht! Ich halt' es hier nicht mehr aus!
Zehn Tage setze ich mir von heute an Frist!
Die überstandene Nervenkrise verlieh Gunter die Kraft zum letzten verzweifelten Entschluß.
So, — oder — so!
Waren die nächsten Tage oder Nächte klar, dann saß Frank Gunter auf einem der Kalkfelsen, der freie Aussicht bot, harrend vor seinem Schiff, suchte den Himmel mit dem Fernglas ab, fiebernd vor Hoffnung. Regnete es in tropischen Himmelsbächen, hatte der feuchtheiße Planet sich in sein Wolkenkleid gehüllt, schlief Gunter oder schrieb in das aufgefundene Schiffsjournal seine Erlebnisse und Erfahrungen, um das tötende Warten auszulöschen.
Der Schlaf war unstet, zerhackt von aufpeitschenden Träumen, die alle Ereignisse, furchtbar verzerrt, neu aufleben ließen, ständig bedroht von entsetzlicher Erinnerung und lähmender Angstvorstellung, daß das rettende Raumschiff dicht über ihm schwebe und — — weiterfahre.
Wieder brach ein neuer Tag an. Der neunte nun, den der Entschluß ihm vorgeschrieben, als Termin vor dem letzten, dem zehnten.
Die Nahrungsmittel waren, trotz aller Sparsamkeit, zu wenigen Schachteln und Konservenbüchsen zusammengeschrumpft. Wasser hatte Gunter mit den leeren Thermosflaschen aus dem Bach geschöpft und die Waschwassertanks neu gefüllt.
Der Tag verlief ruhig, der erste seit vielen, da die Sonne, nur unterbrochen durch ein kurzes Mittagsgewitter, beständig vom klaren Himmel herableuchtete.
Abends aß Gunter und suchte wieder seinen Beobachtungsplatz auf.
An das seinerzeit nervenpeitschende »U — — ääh« tief unten im Tal hatte er sich gewöhnt. Es mußte eine ganze Menge dieser Bestien in der Niederung existieren. Die vielerlei Geräusche und Schreie sprachen dafür, daß sich diese lieblichen Venusbewohner recht häufig gegenseitig ans Leder gingen.
Die Sterne funkelten silbern aus dem dunkelsamtenen Firmament.
Morgen nacht fahre ich!
Er durchdachte ruhig und gefaßt seinen Plan, das Kinn in die Hände gestützt.
— — — —
Oh! — — — Ist das eine wundervolle Sternschnuppe!
Gunter starrte gebannt auf das wunderbar schöne, hellstrahlende Naturschauspiel.
Der Glanz verlosch n i c h t?
— — — —
Gunter riß bebend das Glas an die Augen.
Was war das?
— — — —
Das ist kein Meteorlicht! — — — Das ist ein vieltausendkerziger Scheinwerfer!
»Sie kom — m — — —!« Der inbrünstige Jubelschrei erstickte in der würgenden Kehle.
Wie ein Wahnsinniger stolperte Gunter zum Schiff, enterte die Strickleiter empor, zog sie ein, warf die Lukentür zu, verschraubte die Knebel.
»Sie sind da — —! Sie sind da!«
Das Herz schlug irr. Der Atem röchelte in wilder Erregung. Rasch, rasch! — — Die Betätigungshebel der Haltetrossen-Greifklauen umlegen. Eins, zwei, drei, vier!
Sie sind da!
HD-C hob sich, losgelöst von den Ankern, Gunter saß im Kommandostuhl. Die Winden summten, die Cupralberrylseile einzuhaspeln.
Los! — — Ab!
Auftrieb! Die Schalter schnellten unter den jagenden Händen. Das Schiff wenden!
Da! Jetzt gleißte im Blickfeld der Sehschlitze der Scheinwerferstrahl wie eine silberne Riesenbrause vom Himmel herab.
Wie weit noch? Zehn — — zwanzig Kilometer?
HD-C schoß mit äußerster Fahrt voraus.
Immer heller, immer breiter wurde das Lichtbündel.
Dunkel herrschte im Schiff. Die Bordbeleuchtung war abgeschaltet. Gunters Augen saugten sich fest an dem ständig näher rückenden, scharf gegen die Nacht abgesetzten Lichtpfeiler.
Abbremsen! Stopp!
Auslaufen lassen!
Blendende Helle schlug durch die Sehschlitze in das Schiffsinnere.
HD-C stand bewegungslos im Scheinwerferkegel des rettungbringenden Raumschiffs.
Jetzt sahen jene! — — — Jetzt sahen sie das kleine, silberne Helanschiff unter sich.
Alles daransetzen, im Lichtkreis zu bleiben!
Die Hände schalteten.
Mit höchster Anspannung verfolgten die Augen die geringfügigste Versetzung von HD-C.
Da! — — — — Verlosch das Licht!
Frank Gunter rüttelte das Entsetzen.
Sie haben nicht aufgepaßt?
— — — —
Sie haben dich nicht gesehen?
— — — —
Licht wieder aus dem Riesenscheinwerfer.
— — — —
Dunkel!
— — — —
Licht!
— — — —
Was soll das? — — Zeichen? — — — Fieberhaft paßte Gunter auf!
Sie morsen?
E— — J — — N — Sie morsen! Benutzen den Scheinwerfer als Signalgeber!
S — C— H — L — E — U — S — E — N
Dunkel.
Jäh schnellten Gunters Hände zu den matterleuchteten Hebeln des Schaltpults.
HD-C hob sich, zog langsam voran, setzte an zur Kurve einer steilansteigenden Spirale.
Vorsicht! — — Abstand wahren!
Nichts war zu erkennen. Nacht! Nur die Sterne schimmerten.
Da! Schräg unten gleißte wieder ruhig das Lichtbündel, zeichnete einen grellweißen Fleck auf den Venusboden.
Und plötzlich schoß, diesmal gegen den Himmel, ein neues breites Lichtfanal, strahlte so stark, daß ein Teil der Rückenwandung eines gewaltigen Raumschiffs aufblitzte. Das konnte nur HD-65, das Schwesterschiff, sein.
Gestutzten Flügeln gleich stachen die geöffneten Klapptore hellumsäumt aus dem silbernen Leib in die Dunkelheit.
HD-C zog den Bogen enger. Stand bewegungslos über dem lichtsprühenden Viereck der Bugsierschiffhalle, senkte sich tiefer und tiefer, bis es im Körper des Mutterschiffs verschwand.
— — — —
Frank Gunter fühlte an der leichten Erschütterung, daß die Klapptore sich über HD-C schlossen, die Spannbügel sein Schiff in die Spanten der Aufnahmehalle drückten.
Gerettet!
— — — —
Licht an! Alle Schalter auf Null!
— — — —
Wenn ich jetzt die Lukentür öffne, stehen Menschen vor mir. — — Menschen!
Und was kann ich ihnen sagen?
Mit der Erlösung aus grauenvoller Qual, mit der Erlösung aus nervenzerreibendem, immerwachem Harren, Tage und Nächte lang, mit der Erkenntnis: Du bist geborgen! — — — Du bist wirklich geborgen, verlosch ein Lebensinhalt.
Grau und sehnsuchtslos wurde die Gegenwart. Zu zehrend hatte die Hoffnung alle Sinne und Kräfte aufgesogen, als daß der jäh in die rasend rasche Erfüllung gestellte Mann das Glück begreifen konnte.
Die Gegenwart war ein langer Strich.
Frank Gunter schnallte sich langsam von seinem Sitz los.
In den vergangenen Minuten war draußen von Menschenhänden das Werk vollbracht, HD-C gegen alle Fährnisse zu sichern. Er kannte zu gut jeden Handgriff, der erforderlich ist, Hilfsschiffe im Rücken der Raumschiffe zu befestigen.
Die Finger schraubten an den Knebeln der Luke.
Jetzt bist du allein!
Die draußen sind dir ganz fremd!
Gunter fühlte sich, gerettet, entsetzlicher allein als je auf der Venus.
Ich bin ein anderer Mensch geworden!
Ich will nicht sprechen — —! Sie verstehen mich nicht!
Die Finger schraubten. Die Luke war frei!
Langsam öffnete er die Tür, beugte sich vor.
— — — —
»Gunter!« Eine warme, weiche Stimme entbot den Willkommensgruß.
Erschüttert starrten sich zwei Männer an. Gunter in das nie erwartete Antlitz Dr. Helo Torwaldts und Torwaldt in die vom Schicksal erschreckend gezeichneten Züge seines tatkräftigsten Mitarbeiters.
Sekunden vergingen zeitlos.
Torwaldt faßte sich zuerst. Hell und froh strahlten wieder seine Augen. Beide Hände streckten sich dem immer noch im Lukenrund Harrenden entgegen.
»Kommodore Frank Gunter! Wollen Sie nicht aussteigen?«
Das Wort Kommodore schlug mit betäubender Wucht in Gunters Denken. In den Satzungen der »Detatom-Raumschiffreederei« stand ein Absatz, der für große Verdienste Schiffskommandanten den Ehrentitel Kommodore verhieß. Noch war keiner würdig dafür befunden worden.
Er als erster? Wofür? Er konnte alles nicht begreifen. Doch sein Gesicht zeigte eine schmale Freude, als er den herangeschobenen Tritt hinabstieg.
Da faßten die Hände Torwaldts die seinen, drückten sie fest und männlich.
»Ich sage Ihnen Dank, Gunter! Aus tiefstem Herzen kommenden Dank für die übermenschliche Leistung, die Sie vollbrachten! Der Ehrentitel, den ich Ihnen soeben verliehen habe, sei nur das äußere Zeichen meiner nicht abtragbaren Dankesschuld. — — — Kommen Sie, Gunter! Festlicher Empfang harrt Ihrer! Freuen Sie sich doch, Gunter!«
Er schob seinen neuen, immer noch fassungslos dreinblickenden Kommodore, die Rechte kameradschaftlich auf dessen Schulter gelegt, dem nahen Ausgang aus der Halle zu.
»Sie sind hier?«, waren die ersten Worte, die Gunter herausbrachte.
»Glaubten Sie etwa, ich würde meinen Getreuesten in aller Not allein lassen?«, Helo Torwaldt lachte glücklich und stolz auf: »Das war wohl jetzt meine Pflicht, daß ich mich für Sie einsetzte!«
Die Mannschaft, die bisher im Hintergrund verharrte, drängte sich hinzu, fünf Leute, die HD-C eingeschleust und verankert hatten, alle mit strahlenden Gesichtern, dem ersten Kommodore der »Detatom-Werke« ihren Glückwunsch darzubringen.
Frank Gunter begriff überhaupt nichts mehr. Diese Freude um seine Person, und die Kameraden waren tot! Verstand denn keiner hier seine tiefe Niedergeschlagenheit, daß der Kommandant gerettet, die Besatzung den Untergang gefunden hatte? Dafür Kommodore werden?
Er schüttelte die Hände, dankte mit starrem Lächeln..
»Weiter, Gunter!« Torwaldt schlug lachend auf seine Schulter. »Kommen Sie! Der festliche Empfang harret Ihrer!«
Sie verließen die Halle.
Festlicher Empfang? — — Festlicher Empfang? Kopfschüttelnd schritt Frank Gunter vor seinem Chef. Die Menschen hatten sich doch sehr verändert.
»Halt, Kommodore Gunter!« Die frohe Stimme Torwaldts hinter ihm. Gunter wandte sich um.
»Die Tür zur Rechten, bitte! — — Nein, nein! — — — Sie zuerst!«, als Frank Gunter seinem Chef den Vortritt lassen wollte.
Er drückte die Klinke nieder; die Tür schwenkte langsam auf.
»Hallo, Gunter!« Ein tiefer, nur zu gut bekannter Baß, der vor Freude zitterte.
Frank Gunter taumelte. Hielt sich am Türrahmen.
Narrt mich ein toller Spuk?
Dann stürzte er willenlos zu dem Bett und warf sich an die Brust seines alten Lehrmeisters.
Die anderen lebten!
»Mein Arm!« Ein weher Aufschrei.
Da erst erkannte Gunter die schneeweiße Umhüllung einer schweren Gipsbandage, richtete sich halb auf.
»Berger! — — — Frigga?!« Die Stimme versagte.
Der Kranke nickte ihm aufmunternd zu, griff mit der gesunden Linken in das ergraute Haar seines Lieblings, zauste darin, um die eigene Erschütterung zu verbergen.
Die Augen ließen nicht voneinander.
Die Hand schüttelte den grauen Schopf.
»Schauen Sie sich doch einmal um, Gunter!«
Jäh folgte, emporschnellend, der Kopf der Aufforderung.
»Meine Mannschaft1«
Helo Torwaldt hatte noch nie in seinem tatenreichen Leben von Männerlippen solch einen ergreifenden Schrei der Erlösung gehört.
Schon war Gunter bei seinen Leuten. Ein veränderter Mensch. Gestrafft die Haltung, der Gang, das Gesicht unter den ergrauten Haaren war jugendlich umgewandelt in neuer Lebenskraft. »Schirmer! — — Lorenz! — — — — Kadereit!« Name folgte auf Name. Jedem schüttelte, nein riß Gunter fast die Hand aus den Gelenken.
Sprechen konnte er kein Wort, nur die Namen.
So manches Auge schimmerte feucht. Auch jene sprachen nicht! — Wie sah ihr Kommandant aus?
»Jetzt ist meine schöne Rede restlos ins Wasser gefallen!« Berger brummte, tief verzweifelt, aus seinem Bett.
»Dafür haben Sie vor einigen Tagen so herrliche Worte der Nachrede gefunden!« Gunter stand hoch aufgerichtet, wandte rückwärts den Kopf. Der lachende Spott, seine Eigenart, sprühte wieder aus den blitzenden Augen zu dem braven Käpt'n hinüber.
»Ziehen Sie sich erst mal ein neues Jackett an! Das Ihre ist verdammt verschlissen für einen Kommodore!«
Erbost knurrend wälzte sich Berger im Krankenbett, den Gipsverband hochhaltend, seinem Tunichtgut den breiten Rücken zuwendend. So! Der hatte die Quittung! Ausgerechnet daran erinnern!
Übermütiges Lachen! Stimmenwirrwarr! Längst hatte sich die angetretene Mannschaft aus der Reihe gelöst, umstand ihren Kommandanten, der sie alle gerettet hatte.
Sie fragten, fragten! Nur Berger knurrte in seinem Bett, schielte mit einem Auge unter den fast verschlossenen Wimpern nach dem neugebackenen Kommodore.
Verdient hat es der Bengel!
Ist ja mein Schüler! — — Ist ja mein Schüler!
Die Tür schloß sich hinter dem großen Mannschaftsraum, in dem, einem gemeinsamen Plane folgend, man Berger vorübergehend gebettet hatte, und, ihren Kommandanten erwartend, Offiziere und Mannschaften von HD-66 angetreten waren, den neuen Kommodore zu überraschen und ihm Glück zu wünschen.
»Sie haben mir ja gründlich die Regie verkorkst. Der festliche Empfang — — —«
»Wo ist Frigga?« Gunter krallte sich mit beiden Händen in die Schultern Torwaldts.
»Sie sollen sich nicht so erregen, Gunter!«
»Wo ist Frigga?« Die Frage sprang aus einem zerrissenen Gesicht Helo Torwaldt an.
»Gunter! Ich kannte diesen entsetzlichen Planeten.« Schweigen. »Er zerreißt die Nerven, weit über alle Begriffe menschlicher Vorstellung.« Schweigen. »Sie fühlen selbst, wie Sie gezeichnet sind. — — Ihr Antlitz sagt mir alles. Fassen Sie sich, Kommodore Gunter!«
»Tot?«
— — — —
»Gunter!« Da schlang Torwaldt in liebevoll keuscher Gebärde, die nur erschütterten Kameraden eigen ist, die Rechte um die Schultern des Jüngeren, preßte und rüttelte sanft.
»Sie lebt!«
»Verletzt?«
»Komm, Frank!« Gunter vernahm nicht, daß der Eroberer des Weltenraums zu seinem ersten Kommodore »Du« sagte.
Stufen ging es abwärts. »Hier!«
Torwaldt drückte die Klinke der Tür, schob Gunter, dennoch ihn vorsichtig zurückhaltend, vorwärts.
Matt erleuchtet war der Raum.
Der Arzt erhob sich, ergriff Gunters Rechte in freudiger Ergriffenheit, den Zeigefinger der Linken vor die Lippen legend, trat zur Seite, den Blick auf das Krankenbett freigebend.
»Frigga!«
Gunter biß die Zähne zusammen. Die Kranke bewegte sich, die Lippen murmelten unverständliche Worte. Den Kopf, kaum das Gesicht freilassend, verhüllte ein weißer Verband. Der rechte Arm und die Schulter waren dick bandagiert.
Gunters Brust hob sich schwer. Starr, in grimmem Schmerz betrachtete der selbst vom Schicksal Gezeichnete das bleiche, eingefallene Antlitz der geliebten Frau. Frigga, meine Frigga!
Der weiße Kittel des Arztes schob sich in das Bild. Gunter hob den Kopf. Aus den Augen dieses Mannes wollte er die Gewißheit ablesen, und die Augen strahlten zuversichtlich, das Haupt nickte ihm beschwichtigend zu. Er legte die Hände auf Gunters Schultern.
Da verstand Gunter und ging hinaus.
Helo Torwaldt wartete im Gang, ergriff Gunters Arm, als die Tür des Krankenzimmers sich leise schloß.
»Was ist mit Frigga?«
»Komm, Frank!«
In der Kommandantenkajüte von HD-65 saßen Dr. Torwaldt und Kommodore Frank Gunter. Gunter, das ergraute Haupt auf die Hand gestützt, folgte stumm dem Bericht Torwaldts.
»Frank, ich wiederhole nochmals die Diagnose Doktor Dillenburgs. Du weißt selbst, daß er der erfahrenste Arzt der Marssiedlung ist. Ich nahm ihn mit, da ich nach dem jähen Abbruch der Funkverbindung Unheil ahnte. — —
Doch das sagte ich dir ja schon! — — — Der Zustand Frigga Holks ist in keiner Form besorgniserregend. Gehirnerschütterung, Hautverletzungen und — allerdings komplizierter Bruch des Schlüsselbeins!«
»Doktor Tor — — —«
»Frank!« Ein vorwurfsvoll liebes Lachen unterbrach den angefangenen Satz.
»Helo?«
»Ja!«
Ein stummer, harter Handschlag besiegelte endgültig die Freundschaft zweier Männer.
Spät nach Mitternacht war es, als Helo Torwaldt und Frank Gunter aus der Kugelzentrale von HD-65 zurückkamen. Der Start von dem unheilschwangeren Planeten Venus war glatt verlaufen. Gunter hatte darauf bestanden, den angesetzten Kurs zur Erde auf das genaueste zu überprüfen, und in Übereinstimmung mit Kommandant Tiedemann, dem Führer des Schwesterschiffs, Abänderungen getroffen, die er für erforderlich hielt, um jede Gefährdung auszuschließen.
In der Kommandantenkajüte, für diese Fahrt Torwaldts Aufenthaltsraum, saßen sich die beiden Männer gegenüber nach einem warmen Imbiß, den die Vorsorglichkeit des Arztes zusammengestellt hatte, um mit gehaltvollen, doch leichten Speisen den Appetit des Entkräfteten anzuregen. Gunter hatte um etwas Herbes, Saures und Erfrischendes gebeten. Ein sonnenklarer Mosel leuchtete in den Gläsern.
Torwaldt fuhr in seinem Bericht fort:
»Dennoch mußten fast dreihundert meiner Siedler ihr Leben lassen. Die übrigen sind aus jeder Gefahr!« Seine Miene war umschattet.
Dann folgten in kurzen Zügen die Wiedergabe der Geschehnisse auf dem Mars, die Wahrnehmung von Funkmeister Voß, Kommandant Rohdes Erklärung dazu, die Weigerung Torwaldts, eine sofortige Rettung einzuleiten, und seine Begründung, die Darstellung alles Hoffens und Harrens bis zu der Stunde, da Zeimer den Funkspruch von der Venus auffing.
»Ich persönlich war überzeugt, daß, wenn du mit HD-C glimpflich davongekommen warst, auch das Wrack von HD-66 die Katastrophe überstanden hatte, nur aus irgendeinem Grunde nicht senden konnte. Meine Zuversicht hat mich nicht getrogen! Ich konnte mich unbedenklich von aller Arbeit frei machen. Meine Siedler waren gerettet. Doktor Dillenburgs Anwesenheit nicht mehr so dringend dort erforderlich wie vielleicht auf der Venus. Wir starteten, nachdem in unermüdlicher Tag- und Nachtarbeit der Riesenscheinwerfer des Flughafens Atlanta in HD-65 eingebaut war.«
Torwaldt schwieg einen Augenblick, griff zum Glase, trank nachdenklich.
»Ich habe bis heute etwas verschwiegen. Ich hätte es nicht tun sollen!« Er setzte das Glas zurück. »Auf der vierten Fahrt zum Mars mit HD-1, die Venus stand sehr günstig, beschlossen Forster, mein damaliger Begleiter, und ich, auch diesem Planeten einmal einen Besuch abzustatten. Wir entgingen mit knapper Mühe und Not dem Schiffbruch. Doch was wir dort sahen an Vegetation und Tieren, genügte uns beiden.«
Rasch lenkte Torwaldt von dem Thema ab, als er wahrnahm, wie Gunter zusammenfuhr.
»Ich habe damals Forster das Versprechen abgenommen, nie über dieses Erlebnis zu reden. Er hat es gehalten. Ich selbst wollte verhüten, daß einmal geweckte Neugier auf der Erde uns zwingen könnte, eine Expedition zu dem urweltlichen Gestirn auszurüsten. Ich bestand in aller Folge nur unerbittlich darauf, daß alle Raumschiffe die als sicher erkannten Bahnen zogen und nicht die vertrackte gerade Linie »Bergers.
Wie oft habe ich geschwankt, Berger in mein Geheimnis einzuweihen, damit er von seiner mathematisch zwar richtigen, weltraumkurstechnisch aber selbstmörderischen Idee abließe. Ich wähnte meinen und Nords Einfluß groß genug. — — —
Doch mit des Geschickes Mächten — — Na! Du kennst ja selbst die schulaufsatzzersplissene Weisheit unserer Klassiker.
So geschah das Unglück, an dem ich ein gerüttelt Maß Schuld trage.«
Gunter saß entspannt in seinem Ledersessel und lauschte den Bekenntnissen Torwaldts. Jetzt wurde ihm manches klar.
»Ich komme zum Schluß! — Es hat ein verteufeltes Stück Arbeit gekostet, an Hand deiner Meßergebnisse den Landeort auf dem Planeten annähernd genau zu umgrenzen. Genügte aber! Den Rest sollte der Riesenscheinwerfer bewerkstelligen, aus zweitausend Meter Höhe. Du würdest schon aufpassen. — — Prost, Kommodore!«
Torwaldts Augen leuchteten übermütig und glücklich zugleich.
»Zum Wohl, Helo!« Gunter gewann in der gewohnten Umgebung langsam die alte Kraft wieder.
»Und nun zum Bericht Bergers! Die Einzelheiten soll er dir morgen selbst erzählen. Ich will ihm die Freude nicht verderben.
Als Berger die Worte schrie »Lösen, lösen!', die Voß verstümmelt auffing, stürzte das wasserbeladene Wrack von HD-66 ab. Kurz danach folgte ein Aufprall, der manche Verwirrung anrichtete, doch ohne schwere Folgen blieb.
Stundenlang tappte Berger im Dunkeln. Wir wissen heute, daß er im weiten Delta einer kalkschlammreichen Strommündung kurz vor der jäh aufragenden Felswand des vom Fluß durchstoßenen Urgebirges im wahrsten Sinne des Wortes in die — — — Kreide geriet.
Der Kreideschlick muß von mächtiger Tiefenausdehnung gewesen sein, denn nur so erklärt sich die völlig havarielose Landung, wenn ich so sagen darf, doch das Zeug war überaus zäh. Vier mal vierundzwanzig Stunden hat Berger durch Umfluten der Wasserballasttanks versucht, HD-66 an die Oberfläche zu bugsieren. Vergebens!
Da entschloß er sich zum Letzten und sprengte mit den siebfreien A-Patronen den Bug des Schiffsrestes. Es gelang, ohne die Wohnkugel zu gefährden. Der Explosionsdruck machte den leichten Helankörper frei und trieb ihn nach oben. Das trostlose Wrack setzte er in der ruhigen Bucht auf den Strand und verankerte es.
Als HD-65 gerade den Mars verlassen hatte, empfingen wir bereits die ersten Funksignale.
Wir fuhren sehr vorsichtig zur Venus und landeten erst nach acht Tagen, um die Schiffbrüchigen aufzunehmen.
Die Geschichte deiner eigenen Rettung kennst du ja besser als ich selbst. Der Scheinwerfer sollte dir in der ersten klaren Nacht den Weg weisen und tat es ja auch.
Übrigens«, fügte Torwaldt hinzu, »wäre Berger nur wenige Stunden früher aus dem Kreideschlick aufgetaucht, so hättet ihr euch drahtlos gefunden und allen, besonders dir, wäre viel Leid erspart geblieben!«
Gunter schaute nachdenklich vor sich hin, hob dann sein Glas gegen Torwaldt, der den stummen Zutrunk ernst erwiderte. Dann fuhr er fort.
»Ich habe dir vorhin schon kurz berichtet, wie es zu dem Unfall Bergers und Fräulein Holks kam. Ich will dennoch die Einzelheiten noch einmal im Zuge der gesamten Geschehnisse wiederholen.
Berger hatte außer dem ständigen Beobachter auf dem Rücken des Schiffswrads an der Seitenluke Doppelposten aufgestellt. Die Leute waren mit Teledyngewehren ausgerüstet. Er traute dem Frieden auf diesem Planeten ebensowenig wie du, nachdem schon in der ersten Nacht bestialische Schreie vernommen worden waren. Eine Untersuchung der näheren Umgebung am nächsten Tag ergab Fußspuren von gigantischem Ausmaß. Berger tat das Vernünftigste, was er tun konnte, er klärte die Mannschaft über Riesensaurier, deren Skelette man auf der Erde gefunden hatte, auf und gab seiner Ansicht Ausdruck, daß ähnliche haushohe Kolosse, nach den Spuren zu urteilen, hier als gigantische Lebewesen zu erwarten seien. Damit war den Leuten der Schreck einer plötzlichen Überraschung genommen. Sie waren auf alles vorbereitet.
Tatsächlich suchte etwa zwanzig Stunden vor unserer Landung ein neugieriges Riesenreptil am hellen lichten Vormittag den Ankerplatz von HD-66 auf, offenbar angezogen durch den Geruch des Menschen, eine besonders leckere Beute witternd.
Der Angriff kam nach übereinstimmender Aussage außerordentlich rasch und unerwartet.
Der tödlichen Strahlensendung aus den Teledyngewehren des wachsamen Doppelpostens war aber selbst ein Riesensaurier nicht gewachsen. Etwa achtzig Meter vor dem Schiffsrest brach die Bestie lautlos zusammen.
Du kannst dir die Aufregung vorstellen, die Mannschaft und Offiziere nach der Meldung ergriff.
Alle wollten sehen! Fräulein Holk eilte in ihre Kabine, um den Amateurfilmapparat zu holen. Sie und Berger verließen auf der Strickleiter die Luke, um Nahaufnahmen zu tätigen.
Da geschah das Unglück!
Sei es, daß die Bestie doch nicht den Todesstoß erhalten hatte, nur gelähmt war — irdische Saurier besaßen nach Ansicht unserer Gelehrten, wie du gewiß weißt, ihre motorische Hirnzentrale im Rückenmark, nicht im Schädel, — sei es, daß der letzte Krampf das Vieh rüttelte, kurz, der über acht Meter lange, hornbucklige Riesenschwanz peitschte plötzlich den Boden, zuckte! — — Entsetzensschreie aus dem Schiff machten Berger, der, wie er selbst aussagte, ganz gefangen war in dem Wunsch, mit Fräulein Holk alles im Film festzuhalten, auf die rasende Gefahr aufmerksam. Er streckte impulsiv die Rechte vor, um Fräulein Holk zurückzureißen. — — — Da traf beide, gottlob gerade nur, noch die äußerste Schwanzspitze der verendenden Riesenbestie.
Bergers schützender Arm war zerschmettert. Er hatte einen Teil der Wucht abgefangen. Trotzdem reichte die letzte Kraft aus, Fräulein Holk so stark zu verletzen. Man trug die sofort Bewußtlose ins Schiff.
Als ich am nächsten Tage ankam, war nur noch das gewaltige Skelett des Sauriers vorhanden. In der Nacht hatten ähnliche Bestien ganze Arbeit geleistet. Meiner Meinung nach handelte es sich um einen Tyrannosaurus rex, mit ähnlichen Urtypen der Erde verglichen. Achtzehn Meter maß die Riesenechse vom Kopf bis zum Schwanz. Die Mannschaft Bergers berichtet, daß nachts keiner habe ein Auge schließen können. Die Schreie der um die Beute kämpfenden anderen Saurier seien so infernalisch gewesen, daß selbst die Tapfersten das Grauen nicht unterdrücken konnten.«
Frank Gunter stellte noch einige Fragen, die Torwaldt bereitwilligst beantwortete. Dann erhob er sich.
»Ich gehe noch einmal in die Kugelzentrale zu Tiedemann!«
»Willst du nicht lieber schlafen, Frank?«
»Nein, Helo! Ich kann doch keine Ruhe finden, und Tiedemann wird sich freuen, Unterstützung zu haben, bis wir aus aller Gefahr heraus sind!«
Die Freunde verabschiedeten sich mit einem frohen Handschlag.
Es war Anfang September, als Kommodore Gunter das unterirdische Werk bei Kahlberg verließ. Tagelang hatten Torwaldt, Nord und er zusammengesessen, Berger häufig hinzugezogen, das heißt, ihn an seinem Krankenbett aufgesucht, um die inzwischen fertiggestellten Berichte durchzuarbeiten.
Auf Torwaldts Geheiß war bald nach der Landung eine Art Seeamt unter seinem Vorsitz zusammengetreten, das die Havarie von HD-66 bis ins letzte klären sollte. Alle, selbst die scheinbar unbedeutendsten Aussagen der Mannschaft, waren zu Protokoll genommen worden, besondere Aufmerksamkeit technischen Dingen gewidmet.
Das Ergebnis wies zum ersten Male klar auf vielerlei verbesserungsbedürftige Unvollkommenheiten in der Konstruktion der Raumschiffe hin. Torwaldt äußerte Gedanken über eine Umorganisation der »Erdwerke Detatom«
Doch schließlich hatte Frank Gunter dem Drängen Dr. Schumanns weichen müssen. Der Arzt fürchtete für die Gesundheit des sich viel zu hart in die Arbeit stürzenden Kommodore das Schlimmste, wenn nicht endliche Nervenentspannung eintrat. Er hatte ihm einen stillen Ort auf Sizilien empfohlen. Sonne, See, Baden, Schwimmen und viel Früchte, vor allen Dingen Ruhe, um den zerrütteten und nur noch von eisernem Willen zusammengehaltenen Organismus neue Kräfte finden zu lassen.
Ungern, fast gezwungen, entschloß sich Gunter, der lieber in der Nähe Friggas geblieben wäre. Doch auch in diesem Punkte siegte Dr. Schumann.
»Ich stehe für die baldige und völlige Genesung Fräulein Holks ein. Sie erhalten täglich von mir Bericht, damit nicht Angst vor dem Ungewissen Ihre Kur beeinträchtigt. Weder von der bereits überwundenen Gehirnerschütterung noch von der Fraktur des Sclüsselbeins droht irgendwelche Gefahr. Die Apathie des fortgesetzten Dämmerschlafs muß erst gebrochen sein. Ich führe die an sich nicht beunruhigende Erscheinung auf eine schwere seelische Erschütterung zurück, die ohne irgendwelche Eingriffe langsam abklingen muß. Fräulein Holk duldet in ihren wachen Stunden nur die Krankenschwester um sich, selbst mich nicht. Irgendwie aber stehen Geschehnisse, verzeihen Sie, bitte, wenn ich daran rühre, die Sie betreffen, Kommodore, im Mittelpunkt ihrer wirren Traumworte!«
Der Arzt hatte klar und offen gesprochen.
Wochen der Entspannung, getragen und verschönt durch ein warmpulsendes Gefühl des Glaubens an eine glückliche Zukunft waren in der fast noch sommerlich blühenden, sonnigen Landschaft am blauen Mittelmeer vergangen.
Täglich waren von Dr. Schumann die Briefe gekommen, die von der fortschreitenden Besserung Friggas berichteten. Gunter war jeder Sorge enthoben, nur seiner Erholung lebend. Rascher, als er selbst gedacht, kehrte die alte Kraft wieder. Er freute sich schon auf die Arbeit, ersehnte das Wiedersehen mit Frigga, und diese Gedanken verliehen ihm lebensfrohen Auftrieb.
Helo Torwaldt hatte zwei lange und eingehende Briefe dem Freund im Süden geschrieben, um in ihm auch die letzten Zweifel, die sein Gewissen noch peinigten, auszulöschen. Er war freigesprochen von jeder auf dem Verantwortungsgefühl lastenden Vorstellung einer Fehlhandlung.
Braun und frohgelaunt kam Gunter eines Vormittags gegen Ende der vierten Woche seines Aufenthalts in dem kleinen Ort am tiefblauen Meer vom Baden zurück. Als er die Gartentür öffnete, stürzte mit südländischer Lebhaftigkeit, entzückend temperamentvoll gestikulierend, seine Hauswirtin ihm entgegen.
»Tre lettere, padrone Gunter!« Und schwang triumphierend, als ob es sich um ein weltumstürzendes Ereignis handelte, drei Briefe in der hochgestreckten Rechten.
Frank Gunter dankte belustigt mit einer bewußt übertriebenen, ritterlichen Verbeugung, ließ sich unter dem niederprasselnden Wortschwall, von dem er kaum die Hälfte verstand, die drei, Briefe einzeln in die Hand legen.
Dann suchte er, freundlich winkend, sein kühles Zimmer auf.
Friggas Schrift!
Den Umschlag riß hart die Männerhand auf. Die hastenden Finger entfalteten den Bogen.
Was waren die Schriftzüge noch verschwommen und marklos! Weh wurde es Gunter ums Herz.
Nur wenige Worte, sichtlich mit Anstrengung geschrieben.
Gunter schüttelte fassungslose Freude.
Lesen! Noch und noch lesen die drei Zeilen:
»Wann kommt der gesunde
Kommodore zu seiner
Frigga?«
Ein Jubelsprung! Wie ein toller, ausgelassener Junge, den Brief schwenkend, stürzte Gunter auf den Stuhl am Fenster, breitete wieder den Bogen aus, las, las die wenigen Worte, als ob es sich um ein dickleibiges Manuskript handelte. Seine Lippen murmelten unaufhörlich, kosend, törichtes Zeug.
»Frigga! Dumme, liebe, kleine, große, liebe, gesunde Frigga!«
Was ist die Welt doch schön! Die bunten Blumen da draußen, das wogende Meer, der strahlende Sonnenschein.
— — — —
Was schreibt Helo? »
Liebevoll, noch einmal einen Blick auf die Zeilen werfend, steckte Gunter nach langem Sinnen den Bogen in die Brusttasche und entfaltete den zweiten Brief.
»Lieber Frank!«
Der Ausdruck der eben noch losgelöst freudigen Züge wurde gespannt in überraschter Aufmerksamkeit. Die Seite jäh wenden.
»Ich habe Hannes Nord recht geben müssen. Es ist mir nach vielem ernsthaftem Meinungsaustausch klargeworden, daß es sich nicht um einen müden Verzicht seinerseits handelt, sondern daß die neuen Aufgaben, die er sich gestellt hat, bereits heute völlig sein Denken und Trachten ausfüllen.
Ich habe jetzt den Eindruck, daß Hannes die letzten Jahre nicht zufrieden war mit sich und seiner Arbeit. Die Einspannung in die große Organisation hat ihn seiner ursprünglichen Art entfremdet. Er will, frei von Selbstvorwürfen, sich nur noch der reinen Forschung und Weiterentwicklung, besonders der E-Rohre, und der Vervollkommnung der einzelnen technischen Bestandteile unserer Raumschiffe widmen. Du weißt selbst, Frank, daß die Verhandlung viele, bisher als geringfügig betrachtete, Mängel in ein Licht gerückt hat, dessen Schatten ernsthafte Besorgnisse wachrufen.
So habe ich mich entschlossen, seiner Bitte zu willfahren. In Kürze entsteht die »Forschungsabteilung Detatom«, deren Chef mit unbeschränkten Vollmachten Hannes Nord ist. Die Aufwandskosten der Versuchs- und Planungsstätte sind verschwindend gering gegenüber dem Gewinn der jetzt schon greifbaren Erfolge. Unsere Produktion des synthetischen Radiums, besonders aber die neuaufgenommene Herstellung der Transuranelemente in beliebigen Mengen, sichert uns, in dem einmal gewonnenen Vorsprung der Beherrschung des Atomzerfalls und -aufbaus auf lange Zeit die materielle Grundlage zu restloser Durchführung Nords und meiner Pläne, besonders der Marsbesiedlung.
Ich schreibe Dir das, um Dir einen Überblick, den Du bald vertiefen sollst, zu geben.
Auf Vorschlag von Hannes Nord frage ich Dich, Frank, ob Du bereit bist, in dem neuen Plan, den ich ausgearbeitet habe, die Stellung des Leiters der Erdwerke »Detatom« zu übernehmen, um die gesamte vielseitige Organisation durchzuführen.
Ich stimme freudig Deinem »Ja« zu!
Dein
Helo.«
Gunter saß wie betäubt. War das faßbar? Er für immer an dem Schreibtisch Nords, den er vor wenigen Wochen, um die furchtbare Not auf dem Mars abzuwenden, flüchtig aufsuchte?
Traum?
Draußen schien gleißend die Mittagssonne. Die Brandung rauschte.
Es ist Wahrheit, Frank Gunter! Da steht Helos Unterschrift.
Gunter blickte versonnen, den schicksalhaften Brief im Schoß, verfolgte unbewußt mit den Augen das Spiel zweier Schmetterlinge. »Ja, Helo! — — Ich will! — — An Nords Seite werde ich die Arbeit zwingen!«
Frigga, was wirst du dazu sagen? Kannst du überhaupt noch etwas sagen? Du selig-lieber Mund? Ich küsse ihn dir zu, wenn du wagst, noch einmal aufzubegehren. Frigga, meine liebe Frigga!
Den dritten Brief. Heraus damit aus der Tasche! Dr. Schumann. Was schreibt der da?
»Sie altes Ekel verdienen ja gar nicht die Frau, die jetzt schon, und nur für Sie, wieder lacht. Das ist mein letzter ärztlicher Bericht.
Ihr getreuer
Erich Schumann.«
Wie Frank Gunter seine Koffer gepackt hatte, wußte er später nicht mehr. Nur, daß sämtliche Anzüge vor Falten untragbar waren, berichtete nach dem Aufbügeln in tief vorwurfsvollem Ton die angetraute Ehehälfte des Pförtners Bergmann, die mit mütterlicher Hingabe sich so manches Junggesellen im unterirdischen Werk »Detatom« annahm.
Auch wie er den Zug erreichte, das Flugzeug gerade noch erwischte, waren und blieben blasse Erinnerungen. Einzig und allein kam er sich undankbar vor gegenüber den einen tieftraurigen, ungeheuchelten Kummer und wehmütigen Verlust ob der plötzlichen Abreise verratenden braunen Augen seiner sonst so lebhaften sizilianischen Gastwirtin.
Ich mach's wieder gut! Ich komme zurück zu euch am tiefblauen Meer! Aber nicht allein!
Gunter nahm von Berlin aus den Schlafwagen des Nachtzuges gen Osten. HD-C wäre ja rascher gewesen, aber es tat gut, im Klimawechsel sich kurz noch einmal aufs Ohr zu legen. — — Was kann ich wieder gut schlafen! — — Mein Funkspruch hat sie rechtzeitig erreicht! — — Morgen schon gibt's viel Arbeit und — — — dummes Herz, sei doch still!
Knut Harsten empfing ihn auf dem Elbinger Bahnhof. Verschmitzt und verschwiegen trug er des Kommodore Gepäck.
Am mauerumsäumten Hafen der alten Hansestadt wartete das Schnellboot.
Als Gunter die Steinstufen hinabschritt, begrüßte den Überraschten ein doppelter Anruf des Willkomms:
»Hallo, Frank!« Helo Torwaldts Stimme.
»Na, endlich!« Die Freude Nords.
Sie schüttelten sich froh die Hände. Und wieder Torwaldt:
»Du siehst gut aus, Frank! Hast dich fabelhaft erholt!«
Die Koffer waren verstaut. Harsten legte ab. Und während der Fahrt fanden die drei Männer zur letzten Klarheit. Kameraden, die im gegenseitigen Vertrauen die Zukunft meistern wollten.
Zu rasch verging die knappe Stunde bis zum unterirdischen Werk.
Das zweite Frühstück vereinigte sie noch und Kapitän Berger, der an Stelle der weißen Bandage ein schwarzes, über dem Genick verknüpftes Tuch trug, um den heilenden Arm zu schonen.
Dann machte Gunter sich frei. An der Tür noch mußte er sich wehren gegen die anzüglichen Spöttereien der Zurückbleibenden. Was tat's schon! Das Ziel stand lockend vor den glücklichen Augen.
Hoch über der See an der Steildüne, die der Volksmund »Das Nordkap« getauft hatte, lag, eingerahmt von großen, alten Kiefern des dichten Nehrungswaldes, das Sanatorium der »Detatom-Werke«.
Dr. Schumann empfing Frank Gunter in seinem Arbeitszimmer. Der gute Arzt begrüßte ihn sichtlich bewegt.
»Meine allerherzlichsten Glückwünsche, mein lieber Gunter, erstens zu Ihrer Genesung, die, wie ich Sie so strahlend vor mir sehe, vollkommen ist, und zweitens zu der neuen ehrenvollen Beförderung, Herr Leiter der Erdwerke!«
»Sie wissen schon?« Lachend schlug Gunter in die dargereichte Rechte ein.
»Ja! Gestern war Herr Doktor Torwaldt hier, Fräulein Holk einen Besuch abzustatten.«
»Richtig! Er sagte es mir! Hab's nur in dem vielerlei Neuen, was ich erfuhr, vergessen. — — — Wie geht's Fräulein Holk?«
»Von Tag zu Tag besser! Doch kommen Sie! Ich sehe, wie Sie darauf brennen, Ihren mächtigen Strauß roter Rosen loszuwerden. — — — Wie herrlich die Blumen duften! — — Gäb' was drum, wenn ich auch noch einmal so jung sein könnte, rote Rosen verschenken zu dürfen!«
Er öffnete, verschmitzt lächelnd, die Tür.
Die beiden schritten den lichtdurchfluteten Gang entlang.
»Lassen Sie sich nichts anmerken, Gunter! Fräulein Holk sieht noch recht blaß und matt aus. Sie liegt allein auf der Sonnenterrasse. — — — So, hier bitte! — — Ich komme später, mal nach euch schauen. — — Bis nachher!«
Rasch entfernte sich, noch einmal freundlich winkend, der gütige Arzt.
Gunters Herz klopfte, als er die Türklinke niederdrückte.
Weit blaute vor ihm die Ostsee.
»Frank?«
Er wandte den Kopf. Wenige Schritte zu dem Vorbau. Lang hingestreckt auf dem Liegestuhl ruhte die schlanke Mädchengestalt. Wie elend sah sie noch aus! Gunter mußte sich gewaltsam zusammenreißen.
Stumm, fast andächtig, legte er die Rosen in den Schoß der Genesenden, beugte sich über die Augen, die so selig ihm entgegenstrahlten, immer dichter.
Da hob Frigga den gesunden Arm, schlang ihn voll inniger Hingabe um seinen Hals.
Die Lippen zweier Menschenkinder, die das Leben geläutert hatte, fanden sich in heißer Liebe.
Langsam löste Frigga den Arm, strich zart mit den Fingern durch Gunters Haar. Glücklich-feucht schimmerten die Augen.
»Mein grauer Kommodore!«
Gunter vermochte nicht zu reden. Auf der Kante des Liegestuhls sitzend, das Haupt angelehnt, überließ er sich ganz der unendlich weichen Zärtlichkeit der Frauenhand.
»Frank! — — Ich bin so stolz auf dich!«
Da hob Gunter den Kopf, schaute die Liebste mit einem unsagbar zuversichtlichen und dankbaren Blick an.
»So willst du doch deinen Vagabunden von heut an für alle Zeiten?«
Das Wort, das einst so schmerzte, war zum Kosenamen geworden.
»Ja, mein lieber, lieber Vagabund, der du ja gar nicht mehr bist, auf Gedeih und Verderb! Ob du wieder hinausfahren willst in den Weltenraum, oder hier auf der Erde bleibst, ich gehöre zu dir!«
»Ich habe heute früh zugesagt. Wir bleiben!«
Frigga zauste die grauen Haare, zog den Kopf näher.
»Solch ein großer, lieber Junge wird Leiter der Erdwerke?«
Sie lachte, unendlich glücklich, unter den stürmischen Küssen des liebsten Mannes.
»Aufhören, Frank! Ich bin noch Patient!«
Im nächsten Frühjahr machte Frank Gunter sein heimliches Wort wahr, zog abermals hinab in den sonnigen Süden, zu den wiedersehensfrohen, sizilianischen Gastgebern.
Das Abendrot des ersten Tages sah zwei jauchzende Menschenkinder übermütig im blauen Meer, voll strahlendem Lebensglück ihre junge Ehe und den nur kurzen Urlaub auszukosten.
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