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DER BERICHT EINER REISE NACH DEM MARS DECHIFF-
RIRT, UEBERSETZT UND HERAUSGEGEBEN VON PERCY GREG


Ex Libris

Diese E-Buch-Ausgabe: Roy Glashan's Library, 2025
Version von: 2025-10-22

Bearbeitung: Matthias Kaether und Roy Glashan

Textquelle:
Nachdruck der 1882 erschienenen
deutschen Erstausgabe im Neusatz
Erste Auflage, 2008

Herausgegeben von:
Verlag Dieter von Reeken
(Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers)



Illustration

Titelbild: Dieter von Reeken unter Verwendung eines NASA-Marsfotos.


Diesem Nachdruck liegt die folgende vierbändige Buchausgabe zugrunde:

Jenseits des Zodiakus Der Bericht einer Reise nach dem Mars, dechiffrirt, übersetzt und herausgegeben von Percy Greg. Autorisirte deutsche Ausgabe Englische Romanbibliothek [Bde. 17-20].

Sammlung der besten Novitäten hervorragender englischer Autoren herausgegeben von Paul Jüngling Berlin: Expedition durch Kogge & Fritze (Separat-Conto), 1882. 4 Bände, VI + 235 S., VI + 211 S., VI + 210 S., VI + 204 S. Broschüren (Buchblock ca. 11,0 x 15,5 cm). Druck: Berliner Buchdruckerei-Actien-Gesellschaft. Setzerinnenschule des Lette-Vereins.

Abbildungen auf der Umschlagrückseite: Frontispiz und Titelseite des ersten Bandes; vgl. die Beschreibungen auf S. 12 und 13.


INHALTSVERZEICHNIS

--*--

Vorbemerkungen des Herausgebers

Percy Greg (1836-1889), Sohn des weitaus erfolgreicheren und bedeutenderen Essayisten William Rathbone Greg (1809-1881) war ein britischer Journalist (u.a. für die Zeitungen Manchester Guardian, Standard und Saturday Review) und Schriftsteller, der heute nicht nur außerhalb seines Heimatlandes nahezu vergessen ist.

Zu seinem Werk gehören neben dem hier vorgestellten Roman Across the Zodiac (1880) mehrere weitere Romane, Gedichtbände, Essays und historisch-politische Abhandlungen, wobei seine ersten Schriften noch unter dem Pseudonym »Lionel H. Holdreth« erschienen sind.(1)

(1)Shadows of the Past [als Lionel H. Holdreth]. London, 1856; The Creed of a Secularist [als Lionel H. Holdreth], o. O., 1857 (Gedichte); The Spirit of Inquiry [als Lionel H. Holdreth]. London, 1857; The Devil's Advocate. London: Trübner, 1878 (2 Bände); Errant. A Life Story of Latter-Day Chivalry. London: Sampson Low & Co., 1880; (Roman, 3 Bände); Ivy. Cousin and Bride. New York: Harper & Brothers, o. J. [1881] (Roman); Sanguelac. London: Hurst & Blackett, 1883 (Roman, 3 Bände); Without God. Negative Science and Natural Ethics. London: Hurst & Blackett, 1883; The Verge of Night. London: Hurst & Blackett, 1885. (Roman, 3 Bände); History of the United States from the Foundation of Virginia to the Reconstruction of the Union. London: W. H. Allen & Co., 1887 (2 Bände)


Percy Greg, der stets im literarischen Schatten seines populäreren Vaters stand und auch an diesem gemessen wurde, versuchte offenbar, durch besonders pointierte und extreme Polemik in seinen Werken auf sich aufmerksam zu machen. Dies ist ihm teilweise auch gelungen, doch leidet gerade sein historisch-politisches Hauptwerk, eine Geschichte der damals noch jungen Vereinigten Staaten von Nordamerika (History of the United States, 1887), an seiner britisch-konservativen Voreingenommenheit gegenüber den USA. Dieser polemische Anti-Amerikanismus findet sich auch gleich im ersten Kapitel seines aus heutiger Sicht bedeutendsten Romans Across the Zodiac, erschienen 1880, also noch mehrere Jahre vor seiner Geschichte der USA.

Da ich davon ausgehe, dass der vorliegende Roman gelesen wird, gebe ich hier keine ausführliche Inhaltsbeschreibung, sondern füge nur einige An-merkungen und editorische Hinweise bei:

Jenseits des Zodiakus

Die Hauptperson des Romans schildert in einem durch Zufall aufgefundenen Bericht in der Ich-Form seine Reise zum Mars in einem Luftschiff, das durch eine vom ihm entdeckte Antriebsart, die er »Apergie« nennt, angetrieben wird, und seine Erlebnisse unter und mit den Marsbewohnern.

Interessant sind einige technische Errungenschaften wie z.B. Kopier- und Diktiergeräte mit Umwandlung des gesprochenen Wortes in geschriebenen Text, Telefon und Telefax, Rundfunk und holografische Projektion.

Ausführlich wird die Mars-Sprache erläutert, möglicherweise in Anlehnung an die 1879 von Johann Martin Schleyer begründete Welthilfssprache »Volapük«, eine Vorläuferin der 1887 von Ludwik Zamenhof begründeten einfacheren Welthilfssprache »Esperanto«.

Abgesehen von der Ansiedlung der Handlung auf dem Mars gibt es viele Parallelen zu irdischen »Robinsonaden« oder »Gulliveriaden« und zu »Utopia«. Der Erzähler, der sogar eine Marsianerin heiratet und (verbunden mit einer an Freimaurer-Riten erinnernden Zeremonie) eine gesellschaftliche Rolle übernimmt, zeichnet ein buntes Bild der Marskultur, wobei der Autor Greg offenbar seine Ängste und Erwartungen für die irdische Zukunft erörtert: Kommunismus und Frauenemanzipation sind auf dem Mars längst überwundene »Verirrungen«, die dort in einen (offenbar von Greg favorisierten) »verbesserten« Kapitalismus, also eine Art »soziale Marktwirtschaft«, mündeten, aber mit einem faktischen Sklavendasein der Frauen einschließlich Vielweiberei einhergehen. Abgesehen von diesen Seltsamkeiten kann der Roman aber auch heute noch als lesbar angesehen werden.

Weitere Informationen, Inhaltsangaben und Bewertungen des Romans finden sich bei Abret/Boia(2) und Bloch(3) und Moskowitz.(4)

(2)Abret, Helga/ Boia, Lucian: Das Jahrhundert der Marsianer. Der Planet Mars in der Science Fiction bis zur Landung der VikingSonden 1976 (BIBLIOTHEK DER SCIENCE FICTION LITERATUR, HEYNEBUCH Nr. 06/32). München: Wilhelm Heyne, 1984, S. 7477

(3)Bloch, Robert N.: »Percy Greg«, in: Körber, Joachim (Hrsg.): BIBLIOGRAPHISCHES LEXIKON DER UTOPISCHPHANTASTISCHEN LITERATUR. Meitingen: Corian, 1984ff. (LoseblattSammlung), 57. Erg.Lfg., März 1999, S. 13

(4)Moskowitz, Sam: »Across the Zodiac. A Major Turnig Point in Science Fiction«, in: Greg, Percy: Across the Zodiac. The Story of a Wrecked Record. Reprint of the 1880 ed. published by Trübner, London. Westport, Conn.: Hyperion Press, 1974, S. viixi

Editorische Hinweise

Dem Nachdruck liegt die 1882 in vier Bänden erschienene einzige deutsche Ausgabe(5) zugrunde. Es konnte nicht ermittelt werden, wer den Roman ins Deutsche übersetzt hat; möglicherweise war es Paul Jüngling, der Herausgeber der ENGLISCHEN ROMANBIBLIOTHEK. Neben der zweibändigen britischen Originalausgabe(6) gab es übrigens eine dreibändige englischsprachige Parallelausgabe(7) in Deutschland.

(5) Greg, Percy: Jenseits des Zodiakus. Der Bericht einer Reise nach dem Mars, dechiffrirt, übersetzt und herausgegeben von Percy Greg. Autorisirte deutsche Ausgabe (ENGLISCHE ROMANBIBLIOTHEK. Sammlung der besten Novitäten hervorragender englischer Autoren, herausgegeben von Paul Jüngling) [Bände 1720]. Berlin: Expedition durch Kogge & Fritze (SeparatConto), 1882.

(6)Greg, Percy: Across the Zodiac. The Story of a Wrecked Record, Deciphered, Translated and Edited by Percy Greg. London: Trübner & Co., 1880 (2 Bände)

(7)Greg, Percy: Across the Zodiac. The Story of a Wrecked Record, Deciphered, Translated and Edited by Percy Greg (ASHER'S CONTINENTAL LIBRARY OF FAVORITE MODERN AUTHORS BRITISH AND AMERICAN) [Bände 4345]. Hamburg: Grädener & Richter, 1880


Der Text selbst bleibt einschließlich der Zeichensetzung und Zahlenschreibung und veralteter oder aus heutiger Sicht missverständlicher Schreibweisen im wesentlichen unangetastet. Es heißt daher »Absorb i rung« statt »Absorb i e rung«, »A e ste« statt »Ä ste«, »allmäli g« statt »allmähli c h«, »blo s« statt »blo ß«, »C urve« statt »K urve«, »C r y stall« statt » K r i stall«, »da ß« statt »da s s«, »Ereigni ß« statt »Ereigni s«, »Fitti g e« statt »Fitti c h e«, »kontro l i ren« statt »kontro l l i e ren«, »mitsa m m t« statt »mitsa m t«, »mu ß te« statt »mu s s te«, »O e ffentlichkeit« statt »Ö ffentlichkeit«, »para l e l l« statt »para l l e l«, »T h at« statt »T at«, »t h eils« statt »teils«, »U e bermacht« statt »Ü bermacht«, »W a ge« statt »W a a ge«, »Wer t h« statt »Wert « usw. Die teilweise unterschiedlichen Schreibweisen (»allmälig«, »allmählig«, »Crystall«, »Krystall«) sind möglicherweise darauf zurück zu führen, dass verschiedene Setzerinnen-Schülerinnen des Lette-Vereins einzelne Kapitel parallel übersetzt haben und dabei nach unterschiedlichen Regeln oder Gewohnheiten vorgegangen sind. Die Schreibweise des Namens »Eunané« wechselt oft mit »Eunane«; wegen der ansonsten auch in der britischen Ausgabe vorherrschenden Namensendungen mit »é« (Eiralé, Elfé, Eivé) ist hier durchgängig die Schreibweise mit »é« verwendet worden.

O f f e n s i c h t l i c h e  Drucksatzfehler im Original sind stillschweigend berichtigt worden. Aus technischen Gründen erfolgte die Silbentrennung allerdings nach den seit 1996 geltenden neuen Regeln. Fremdsprachige Zitate und Zeichen, die in der deutschen Erstausgabe statt in Fraktur in Antiqua gesetzt sind, erscheinen hier zur Verdeutlichung in der Schriftart Franklin Gothic Book. Die im Original gesperrt gesetzten Texte werden hier ebenfalls  g e s p e r r t  wiedergegeben.

Ich hoffe, dass dieser Nachdruck dazu beiträgt, Percy Gregs Marsroman vor dem Vergessen zu bewahren. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich bei Herrn Klaus Scheffler, Berlin, der mir für die Herstellung dieses Nachdrucks freundlicherweise die entsprechenden Kopien besorgt und zur Verfügung gestellt hat, und bei Herrn Thorsten Erker, Lüneburg, für das sorgfältige Korrekturlesen.

Lüneburg, im Februar 2008, D i e t e r  v o n  R e e k e n



Illustration

Greg, Percy:
Across the Zodiac. The Story of a Wrecked Record,
Deciphered, Translated and Edited by Percy Greg.
Reprografischer Nachdruck der zweibändigen
britischen Originalausgabe (London: Trübner & Co., 1880)
in einem Band, Westport, Conn.: Hyperion Press, 1974.
Beginn des ersten Kapitels (S. 1, unnummeriert).


Illustration

Greg, Percy:
Jenseits des Zodiakus. Der Bericht einer Reise nach dem Mars
dechiffrirt, übersetzt und herausgegeben von Percy Greg
Autorisirte deutsche Ausgabe. Erster Band. Berlin:
Expedition durch Kogge & Fritze (Separat-Conto), 1882
Frontispiz (S. II, unnummeriert)


Illustration

Greg, Percy:
enseits des Zodiakus. Der Bericht einer Reise nach dem Mars
dechiffrirt, übersetzt und herausgegeben von Percy Greg
Autorisirte deutsche Ausgabe. Erster Band
Berlin: Expedition durch Kogge & Fritze (Separat-Conto), 1882.
Titelseite (S. III, unnummeriert).


Illustration

Greg, Percy:
Jenseits des Zodiakus. Der Bericht einer Reise nach dem Mars
dechiffrirt, übersetzt und herausgegeben von Percy Greg
Autorisirte deutsche Ausgabe. Erster Band. Berlin:
Expedition durch Kogge & Fritze (Separat-Conto), 1882
Beginn des ersten Kapitels (S. 1, unnummeriert).



ERSTER BAND


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Kapitel 1
Der Schiffbruch

Nur ein einziges Mal habe ich auf allen meinen während des langen Zeitraums von dreißig Jahren gelegentlich unternommenen Reisen den Verlust eines wichtigen und nöthigen Gepäckstückes zu beklagen gehabt, und dieser Verlust traf mich nicht etwa unter dem heillos zerfahrenen Wirrwarr englischer Bahninstitutionen, nicht unter der künstlich verfeinerten Mißwirthschaft kontinentaler Eisenbahnverwaltungen, sondern bei oder trotz der absoluten Vollkommenheit des amerikanischen Systems.

Ich sah mich dieserhalb genöthigt, einen nach jenen Gegenden projektirten Ausflug, in denen Cooper einige seiner schönsten LederstrumpfErzählungen sich abspielen läßt, vollständig aufzugeben, so schwer mir auch dies Opfer ward, und schleunigst nach NewYork hinaufzueilen, um den Verlust zu ersetzen.

Dieser Zwischenfall führte mich eines Abends, es war Mitte September des Jahres 1874, an Bord eines Flußdampfers, der zwischen Albany, der Hauptstadt des Staates gleichen Namens und der Metropole die Verbindung unterhielt.

Die Ufer des unteren Hudson sind zwar sicher ebenso sehenswerth, wie die des Rheins selber, indeß selbst in Amerika ist man noch nicht darauf gekommen, sie des Nachts bengalisch zu beleuchten und blieb mir daher als einzige Zerstreuung nur die Unterhaltung mit meinen Reisegefährten übrig. Mit Einem derselben, in welchem ich an seinem vornehmen, zurückhaltenden Benehmen den Engländer erkennen zu müssen glaubte, sprach ich von meiner Reise nach dem Niagara, jenem einen Weltwunder, das zweifellos in seiner Großartigkeit einzig dasteht, sowie von meinem Aufenthalt in Montreal; als ich mich jedoch über das allgemeine, mächtige Anhänglichkeitsgefühl, die unerschütterliche Loyalität und Treue der Canadier für die Englische Krone des Weiteren ausließ, unterbrach mich einer der zuhörenden Herren, ein Yankee, mit den Worten:

»Denke, Fremdling,« sagte er, »denke, könnten unser sein, wenn wir sie wollten.«

»Gewiß,« erwiderte ich ihm, »wenn Sie den Preis nicht scheuen, dann aber dürften Sie dieselben höher taxiren, als sie sich selber schätzen; und Englands Kolonisten stehen in Stolz und Selbstvertrauen selbst Bürgern der Musterrepublik Amerikas in gar Nichts nach.«

»Nun gut,« sagte er, »was rechnen Sie, werden wir zu zahlen haben?«

»Vielleicht nicht mehr, als in Ihren Kräften steht: nur Kalifornien und jeden einzigen Seehafen, den Sie besitzen.«

»Denke, Sie dürften einigermaßen im Rechte sein, Fremdling,« antwortete er und lehnte mit erträglich guter Laune in seinem Stuhl zurück. Um den übrigen Reisegefährten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, darf ich nicht zu bemerken vergessen, daß sie in meiner Erwiderung nichts Böses sahen und gar nichts Anderes, als die verdiente Antwort auf jene Provokation.

»Ich bedaure es,« sagte mein Freund zu mir, »daß Sie ein Beispiel jener unliebsamen Charaktere kennen gelernt haben, wie sie Ihre Landsleute mit leider nur zu gutem Rechte Amerikanern zuzuschreiben pflegen, ich habe mich nie einer derartig unhöflichen Behandlung unter Engländern ausgesetzt gesehen, wenn man dort in mir den Amerikaner erkannt hatte; und dennoch habe ich lange Zeit unter ihnen gelebt!«

Hierauf begann unsere Unterhaltung nach und nach etwas freier und ungezwungener zu werden und bald hatte ich erfahren, daß ich zu einem der bekanntesten Führer irregulärer Kavallerie der einstigen konföderirten Armee sprach, der seine Schwadronen mit so gewandter Hand, so sicherer Umsicht und so großer Keckheit geleitet hatte, wie Reiterschaaren kaum je seit jenen Tagen mehr geführt worden.

Oberst A. (der Leser wird es erfahren, aus welchem Grunde ich weder den richtigen Namen noch auch den wahren Rang angeben darf) sprach mit einer gewissen Bitterkeit des Tones über die Neugierde aller seiner Landsleute, die es fast ganz unmöglich mache, einem Amerikaner ein Geheimniß anzuvertrauen, und herzlich schwer, ein solches wirklich zu bewahren, ohne sich in allerhand Lügen zu verwickeln.

Hier wurden wir von dem Major B. unterbrochen, der auf uns zukam, um sich an unserer Unterhaltung zu betheiligen. Dem Major, dem während des Krieges die Ausführung mancher hochwichtigen Meldung anvertraut gewesen, wobei er eine außerordentliche Geschicklichkeit, Chiffreschriften zu lösen und zu enträthseln, entwickelt hatte, brachte die Konversation auf dieses Thema, und bald hatte sich darüber eine äußerst lebhafte Diskussion erhoben; ich für mein Theil neigte der Poe'schen Lehre zu, daß keine Chiffreschrift geschrieben werden kann, die eine andere, allerdings nothwendigerweise erfahrene Hand nicht auch enträthseln könnte; die anderen Herren aber zeigten offenbar ganz einfache Methoden, den Prozeß, an den die Entzifferer nothwendig gebunden sind, vollständig zu vereiteln.

»Poe's Theorie,« erklärte der Major, »beruht auf der wiederholten, häufigen Wiederkehr gewisser Buchstaben, Silben und einzelner kurzen Worte, nun ist es aber einfach, für jedes dieser kurzen Wörtchen, dieser Redensarten Abkürzungen in den Text einzuführen, und um Nichts schwerer, durch Einschaltung bedeutungsloser Zeichen die Worte so zu trennen, daß alle Mühe des Entzifferers daran scheitern muß, oder aber kann man auch zwei Zeichen nur für einen Buchstaben nehmen und richtet sich die Chiffre derart ein, daß es ohne ganz undenkbare Mühe unmöglich bleiben muß, es zu ergründen, welches Zeichen hier nur für einen einzelnen Buchstaben, hier für eine combinirte Buchstabengruppe steht, und wo einer anfängt und der andere aufhört.«

Nach längeren lebhaften Debatten hierüber schrieb Oberst A. einige Zeilen nieder in einer Chiffreschrift, deren Seltsamkeit mich sofort frappirte und reichte mir das Blatt.

»Ich gebe zu,« nahm ich das Wort, »daß selbst einen kundigeren Chiffreur, als mich, diese Hieroglyphen in Verlegenheit setzen möchten, indeß vermag ich doch schon jetzt einen Anhalt zu entdecken, der mit der Zeit zur sicheren Enträthselung führen müßte, denn mir fallen selbst in dieser so wunderbaren Schrift sofort wohl drei oder vier Zeichen auf, die augenscheinlich Kürzungen sind. Von deutlich ausgesprochenen Formen hinwiederum sehe ich nur sehr wenige und diese sind begreiflicherweise durch unwesentliche Aenderungen nach einem bestimmten Systeme für ganz verschiedene Buchstaben anwendbar gemacht. Mit einem Worte: die Chiffre basirt auf einem allgemeinen Grundsatz, welcher, wenn es auch lange Zeit in Anspruch nehmen dürfte, von Fleiß und Eifer doch endlich einmal gefunden werden müßte.«

»Sie haben in der That,« sagte der Oberst A., »einen Umstand sofort bemerkt, den ich selbst erst nach langen Mühen fand. Ich habe zwar das Manuskript, aus welchem ich das Beispiel hier entnahm, leider nicht ganz entziffern können, indeß habe ich mich doch der Bedeutung aller Schriftzeichen wohl vergewißert und danach ist die Folgerung, die Sie soeben zogen, sicherlich korrekt.«

Hier schwieg der Oberst plötzlich, wie wenn er glaubte, schon zu viel gesagt zu haben, und ließ das Thema fallen.

Wir erreichten NewYork am folgenden Morgen ganz in der Frühe. Ehe wir uns trennten, verabredeten wir, am Nachmittag desselben Tages ein spiritistisches Medium zu besuchen, welches gerade damals in der Metropole seine »Sitzungen hielt«, und von dem mein Freund mir bereits einige mehr oder weniger wunderbare Dinge vorgetragen hatte. Unser Besuch ließ uns indeß sehr unbefriedigt, und als wir das Medium verließen, wandte sich Oberst A. an mich:

»Nun wird vermutlhich dieser Besuch Sie noch weit mehr in Ihrem Unglauben bestärken?«

»Nein,« entgegnete ich, »stets sind mir meine ersten Besuche in solcher Angelegenheit mißglückt; zudem habe ich mir mehr als einmal sagen lassen, daß mein Temperament für einen Erfolg sehr wenig geeignet ist. Trotzdem habe ich in einigen Fällen mit Staunen wunderbare Dinge angesehen, die nach den uns bekannten Gesetzen der Natur vollkommen unerklärlich scheinen; von anderen hinwiederum habe ich gelesen und gehört, sie sind von zuverlässigen Augenzeugen mir bestätigt, und diese letzteren Fälle sind so mysteriös, daß sie an Seltsamkeit meinen eigenen Erfahrungen kaum nachstehen dürften.«

»Wie, was!« erwiderte er. »Und ich hielt Sie nach unserem gestrigen Gespräch für einen verstockten Ungläubigen.«

»Ich glaube,« sagte ich, »an wenig, nur an das, was ich gesehen habe, dies Wenige indeß genügt vollständig, mich der Theorie vom absoluten Betrug abzuwenden. Andererseits haftet den Possenstreichen, die man uns vorspielt, sowie der Gegenwart des Mediums so gar nichts Uebernatürliches und noch weit weniger Reelles an, daß man unwillkürlich an jene Zwerge und Kobolde der alten Sagen denkt, die schändlich, höhnisch, hinterlistig Vergnügen daran fanden, das Menschenvolk zu ›foppen‹, und denen es in ihrem Uebermuth auch ganz egal war, daß sich zuweilen einmal das Blatt gegen sie selbst wendete.«

»Sie glauben an Kobolde?«

»Nein,« versetzte ich, »so wenig wie an Tischrücken und an Klopfgeister; noch weniger als ich an GeisterErscheinungen glaube. Weder von Skeptikern noch von den Gläubigen verlange ich eine befriedigende Erklärung dieser Erscheinungen, doch wenn Sie in mich dringen und mich durchaus zwischen beiden Theorien zu wählen nöthigen, so halte ich dafür, daß Puck der Kobold so glaubwürdig erscheint, wie meinetwegen Satan, Shakespeare's Hexen oder der Unheilsruf des Uhus. Es hieße doch das Uebermaß von Extravaganz und von unlogischer Auffassung, volle Aufklärung über diese Dinge zu verlangen; denn meines Erachtens kennen wir die Sache doch noch viel zu wenig, als daß wir bereits ihren letzten Ursachen nachzuforschen vermöchten; von den allerhand landläufigen Vermuthungen wird aber jene, die nur in all und jedem Humbug, Schwindel und Betrug erblickt, durch tägliche offenkundige Beweise zurückgewiesen und hinfällig; von einer Art von geisterhafter Vermittlung kann aber auch nicht wohl die Rede sein, da doch das Wesen der Phänomene hiermit nicht recht verträglich schiene.«

»Das hört sich,« nahm der Oberst jetzt das Wort, »das hört sich sehr verständig an und sagt im Grunde genommen gar Nichts. Wird aber zwischen Glauben und Nichtglauben je eine haarscharfe Grenze gezogen? Sie sind der einzige Mann von allen, denen ich je begegnet bin, der nicht sofort Alles, was ihm unfaßlich ist, darum sogleich auch in das Fabelland verweist. Glauben Sie mir, Ihre atheistischen Gelehrten dogmatisiren genau so wie die Geistlichen, nicht nur über Dinge, die sie nie gesehen haben, sondern auch über solche, die sie fürchten und die sie nicht sehen wollen. Die Geistlichen aber scheuen sich, theils aus Furcht vor dem Teufel, theils aus Furcht vor dem Fortschritt der Wissenschaft, diesen Fragen ernstlich näher zu treten.«

»Die Männer der Wissenschaft,« erwiderte ich, »haben, wie alle anderen Klassen, auch eine ihnen eigentümliche Vorliebe für gewisse Dinge, ich möchte es ›professionelle Schwäche‹ nennen, die antireligiöse Bigotterie der Materialisten ist gerade so bitter, so gänzlich unvernünftig, als die theologische Bigotterie religiöser Fanatiker und augenblicklich sieht man jene beiden Mächte um den Vorrang streiten. Indeß, wie ich mit meinen Ansichten vor etwa dreihundert Jahren sicher als Ketzer verbrannt worden wäre, so stände mir in fünfzig oder doch in hundert Jahren, könnte ich so lange leben, vielleicht ein ähnliches Schicksal bevor, das mir von Anhängern Darwins, Huxley's u. s. w. bereitet würde, weil ich z. B. noch den ›Aberglauben‹ an das Walten der Vorsehung festhalten würde.«

»Die Intoleranz des Unglaubens,« entgegnete Oberst A., ,,hat mir von jeher schmerzlich weh gethan. Ich selber hatte einmal Gelegenheit eine Thatsache zu erleben, die mir von ungleich höherem Werth, als alle spiritistischen Manifestationen schien, und heute noch befinde ich mich im Besitze eines anscheinend unerschütterlichen Beweises jener Ereignisse. Ich bin vollkommen überzeugt, daß irgendwo auf unserer ErdOberfläche ein Punkt existirt, den ich unglücklicherweise nicht näher definiren kann, wo ich für jenes Erlebniß ganz evidenten Beweis mir verschaffen könnte. Wie dem auch sei, die ersten Personen, denen ich davon erzählte, lachten mich aus, ja, waren fast geneigt, mich für verrückt zu halten, im besten Falle aber für einen frechen Aufschneider von der Sorte phantasiereicher, lügenhafter Matrosen und Reisenden. Ich erzählte es später drei anderen Männern von Rang, Ansehen und Intelligenz, die mich als Soldat und Ehrenmann seit langen Jahren kannten. Das Resultat in einem jeden Falle war ein Duell, welches allerdings diejenigen, die mich der vorsätzlichen, absichtlichen Lüge ziehen, verstummen machte, das aber auch mein Gewissen mit einer schweren Bürde beladen hat, so daß ich es mir seitdem zum Prinzip gemacht habe, von jenen Dingen nie wieder anzufangen, obschon ich weiß, daß sie wahrhaftig und nach meiner Meinung von größerem Interesse, von weitaus höherem Werthe sind, als alle wissenschaftlichen Entdeckungen des letzten Jahrhunderts zusammen genommen. Sieben Jahre sind nun verflossen, seit ich zuletzt davon gesprochen, und Niemanden traf ich seit jener Zeit, den ich der Mittheilung dieses Geheimnisses für würdig gehalten hätte: Sie sind der Erste!«

»Ich interessire mich allerdings,« antwortete ich, »lebhaft für aller Art geheimnißvoll verborgener Erscheinungen und glaube, daß auf dem Felde der Magie, wie unsere Schulgelehrten diese praktische Wissenschaft nennen, ein jeder einzelne Zweig Aufklärung für die anderen bieten muß, deshalb würde ich Sie bitten, falls die Erinnerung Ihnen nicht persönlich schmerzlich ist, mir Ihr Erlebniß mitzutheilen. Sie dürfen sicher darauf rechnen, daß ich es meinerseits nicht wagen werde, Sie mit unhöflicher Kritik zu kränken.«

»Glauben Sie mir,« sagte der Oberst, »mein Wunsch, die Erzählung mitzutheilen ist nicht so lebhaft mehr, als einst; und dann ist sie verknüpft mit dem schmerzlichsten Ereignisse meines Lebens; ferner ist mir auch mit der Zeit jenes natürliche Gefühl der Theilnahme an dem Wohl und dem Fortschreiten der Menschheit, das ich einst empfunden habe, und das uns, wie ich glaube, zu allermeist zur Mittheilsamkeit treibt, total abhanden gekommen. Hinwiederum, scheint mir, besitze ich nicht das Recht, eine so wunderbare Thatsache zu unterdrücken, wenn mir Gelegenheit geboten ist, sie zum Besten vielleicht aller Menschen, einem für solche Dinge empfänglichen Manne zu berichten, um so mehr, als irgendwo in der Welt noch ein Beweis dafür sich finden lassen wird. Wenn Sie morgen nach meiner Wohnung kommen wollen, ich wohne in der —straße Nr. 999, so will ich sehen — indeß vermag ich nicht, es fest zu versprechen, so will ich sehen, ob ich es über mich gewinnen werde, sie Ihnen mitzutheilen und jenen Theil des handgreiflichen Beweises, der mir noch zur Verfügung steht, in Ihre Hände zu legen. Sie werden sich dann selbst überzeugen, daß jenes Beweisstück an und für sich eine eigene hohe Bedeutung hat, im Vergleich mit welcher meine Erfahrungen nur äußerst episodisch und geringfügig sind.«

Ich brachte den Abend in der Familie eines Freundes zu, ebenfalls eines ehemaligen Offiziers der Konföderation, dessen Bekanntschaft gemacht zu haben ich zu einem der erfreulichsten und werthvollsten Resultate meiner amerikanischen Reise rechne. Ich erwähnte dort den Namen des Obersten und mein Freund, das Haupt der Familie, der mit ihm die Virginische Campagne mitgemacht hatte, bezeugte seinen Charakter als höchst achtungswerth und äußerte eine hohe Meinung von seiner Ehrenhaftigkeit und seiner Glaubwürdigkeit; dann aber sprach er mit Bedauern und mit sichtbarem Schmerz von seinen Duellen, besonders von dem einen, welches einen verhängnißvollen Ausgang nahm, und fügte hinzu, daß die Motive zu den Zweikämpfen jedes Mal sogar den Sekundanten unbekannt geblieben waren. ›Ich bin fest überzeugt,‹ sagte er: ›daß ihnen jene eine Ursache die allein das Bewahren des Geheimnisses rechtfertigt, nämlich wenn Ruf und Ehre einer Frau dabei in Frage kommt, nicht zu Grunde liegen konnte.‹ Dann scheint es aber auch unfaßlich, wie Einer seiner Gegner die persönliche Loyalität des Obersten hätte in Frage ziehen können; und ferner wäre es doch gar zu thöricht, wenn solch ein Mann, der Hunderte von Malen das Feuer ganzer Brigaden ausgehalten und die Attacken gegen drei und vierfache Uebermacht geleitet hatte, zum Schwert und zur Pistole greifen wollte, blos um seinen Mannesmuth zu zeigen, als wäre sein Muth nicht längst bewiesen und unbezweifelt geblieben, selbst wenn er die Duelle abgelehnt hätte, — aber was rede ich da, er war ja selbst in einem jeden Falle der Fordernde!«

»So haben wohl die Zweikämpfe ihm Schaden in der Achtung seiner Kameraden gethan. Liegt hier vielleicht der Grund, daß sich der Oberst isolirt und die Gesellschaft seiner einstigen Freunde meidet?«

»Nein,« entgegnete er, »so laut man sie bedauerte und öffentliche Mißbilligung nicht zurückhielt, so hätte doch nichts seine Kameraden dazu bewegen mögen, ihm diesen Schimpf anzuthun; dafür stand sein persönlicher Charakter allzu hoch, dafür waren seine Dienste während des Krieges doch zu glänzende gewesen. Mir selber würde er persönlich stets hochwillkommen sein. Wir wohnen zwar jetzt hier in einer Stadt zusammen, trotzdem gelang es mir nur einige wenige Male ihn auf der Straße zufällig zu treffen, und es fiel mir auf, daß er dann stets mit möglichst kurzen Worten fortzukommen suchte, nicht einmal seine Adresse konnte ich von ihm herausbringen — trotz aller meiner dringenden Einladungen, mich und die Meinen zu besuchen, habe ich ihn nie in meinem Hause gesehen. Mir kommt es immer vor, wie wenn hinter jenen Duellgeschichten etwas steckt, das niemals herauskommen wird, zum Mindesten bis jetzt noch nicht errathen ist. Mir kommt es vor, als ob entweder die Verhältnisse, welche die Gründe zu den Zweikämpfen waren, vielleicht auch die Duelle selber auf seinen Geist, auf sein Gewissen derart eingewirkt haben, daß er seine alten Freunde, die ja zugleich auch die seiner Gegner waren, seitdem zu meiden sucht. Obgleich auch ihn, wie alle Herren aus dem Süden, der Krieg absolut ruinirt hat, weigert er sich entschieden, irgend ein Amt zu übernehmen, in dem er wieder als handelnde Persönlichkeit auf die Bühne des öffentlichen Lebens hinaustreten müßte.«

»Könnte es nicht,« fragte ich weiter, »vielleicht irgend einen Ehrenpunkt geben — irgend einen Gegenstand, beziehentlich dessen er so empfindlich ist, daß er sich verbunden fühlte, das Leben eines Mannes zu nehmen, der ihn in diesem Punkte verletzte? Und heute mag bittere Reue ihm am Herzen nagen und ihm das Leben verbittern.«

Der General schwieg, aber sein Sohn nahm jetzt das Wort:

»Ich habe stets behaupten hören,« sagte er, »daß Oberst A. einer der verträglichsten und umgänglichsten Offiziere der Armee gewesen ist, und dennoch sollen seine Kameraden mehrmals nur mit Mühe und Noth ernstliche Fehden verhütet haben, als Einer von ihnen einer thatsächlichen Behauptung des Obersten entgegentrat, trotzdem er durchaus nicht seine Glaubwürdigkeit, sondern nur die Richtigkeit seiner Beobachtung in Zweifel ziehen wollte.«

Am nächsten Tage besuchte ich also, wie es verabredet war, meinen neugefundenen Freund, aber nur mit einigem Widerstreben begann derselbe schließlich seine Erzählung.

»Während des letzten Krieges, es war im Februar des Jahres 1865, wurde ich mit Depeschen vom General Lee an Kirby Smith, der jenseits des Missisippi's kommandirte, abgesandt. Da es mir unmöglich war, vor der Kapitulation zurückzukehren, so hielt ich es gerathen, um so mehr als ich wußte, daß ich als ganz besonderes Racheopfer von den Unirten auserkoren sei, vor der definitiven Uebergabe zu entweichen. Wäre ich in ihrer Machtsphäre geblieben, so hätte ich wahrscheinlich das Schicksal von Wirz und vieler anderer Opfer des blinden Hasses der Yankees theilen müssen. Man hätte mich gehängt, obgleich man mir keine andere Schuld hätte zur Last legen können, als daß ich für die Existenz jenes Staates, dem ich durch Geburt angehörte und dem ich Treue geschworen, gekämpft und mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Ich floh in Folge dessen mit einigen Kameraden, deren Namen noch allgemein bekannter sind, als der meine, nach Mexiko, wo wir im Heer des Kaisers Maximilian Dienste nahmen, aber ohne uns dadurch etwa zu bloßen Miethssoldaten herabzuwürdigen, denn die entsetzliche Anarchie des Landes unter der Republik war uns sehr wohl bekannt und wir glaubten von der Besitzergreifung des Reiches durch den Kaiser für Mexiko den Beginn eines neuen Lebens und gedeihlichen Aufblühens erwarten zu dürfen, zumal ja der Kaiser selbst sich als ein wahrer Held bewährte, der sich und sein Leben einem heroischen Unternehmen voller Gefahren und Beschwerden opferfreudig hingegeben hatte.

Nach seinem Sturze wäre ich unfehlbar von den Juaristen füsilirt worden, die mich nach allen Richtungen verfolgen ließen. Jedoch zur rechten Zeit gelang es mir, die Küste des stillen Ozeans zu erreichen und an Bord eines englischen Dampfers, dessen Kapitän in großherziger Weise bei meiner Ankunft, ob auch nur erst die halbe Ladung eingenommen war, sofort die Anker lichtete, nach San Francisco zu entkommen. Von dort begab ich mich einige Tage später auf einen nach Brisbane auslaufenden Holländischen Segler, um mich in Queensland niederzulassen.

Die Besatzung des Schiffes war schwach und bestand vorwiegend aus Laskaren und Malayen, mit zwei oder drei Europäern, verzweifelten vaterlandslosen Desperados. Der Kapitän des Fahrzeuges selbst war kaum mit den allerelementarsten Pflichten seines Kommandos vertraut; es durfte uns mithin kaum Wunder nehmen, daß bei dem ersten Sturm, der uns erfaßte, das Schiff vollständig aus seinem Kurs getrieben wurde und der Kapitän vor Schreien gelähmt und dazu noch sinnlos betrunken, mehrere Tage lang unfähig war mit seinem Sextanten die Lage unseres Fahrzeuges zu bestimmen. Eines Nachts wurden wir durch einen furchtbaren Stoß aufgeweckt und um Ihnen die detaillirte Beschreibung eines Schiffbruches zu ersparen, der an und für sich mit meiner Erzählung nichts zu thun hat, will ich Ihnen gleich berichten, daß wir uns bei grauendem Morgen bei einem Korallen Riff befanden, ungefähr eine englische Meile entfernt von einer nicht gar großen Insel, sonst aber fern von jedem festen Lande. Der Sextant war in tausend Stücke gebrochen, ich konnte also leider die Lage des Eilandes nicht berechnen und für die ungefähre Bestimmung derselben hatte ich nur den einen Anhalt, daß wir uns, es war im Monat August, im Bereiche der SüdOst Passatwinde befanden. Wir ruderten an das Land und durchforschten die Insel, entdeckten aber sonst nichts Anziehendes als etwa Kokosnüsse, mit denen wir uns reichlich versahen, und Fische, welche in großer Anzahl in den Wässern umherschwammen und deren Fang sehr leicht und für die ersten Tage auch recht unterhaltlich war. Mit der Zeit wurde dies aber entschieden langweilig, so daß es dem Kapitän, der mittlerweile mit der Ernüchterung auch seinen Muth wiedergefunden hatte, nicht allzu schwer ward, die Leute dazu zu bringen, daß sie auf das Schiff zurückkehrten und den Versuch machten, es entweder wieder flott zu bekommen oder aber aus seinen Planken ein Floß zu bauen, das hoffentlich der Wind auf eine belebtere Wasserstraße treiben würde. Dies mußte nun immerhin einige Zeit in Anspruch nehmen, und ich zog es vor indessen auf dem festen Lande zu kampiren, da mir der Lärm, der Schmutz und der Gestank auf dem Schiffe in diesem Klima unerträglich war.

Es war in der zehnten Stunde am Morgen des fünfundzwanzigsten August des Jahres 1867. Ich befand mich an der Südküste der Insel an einem kleinen wenig bewaldeten Hügel und schaute aus auf eine Art von Waldweg oder Lichtung, wo nur hin und wieder Sträucher oder junge Bäumchen wuchsen, so daß sich mir eine ziemlich weite Aussicht auf den Horizont eröffnete, da gewahrte ich plötzlich, wie ich aufblicke, etwas, das auf den ersten Augenblick einem glänzenden Sterne glich, der viel weiter als die Sonne von der Erde entfernt zu sein schien. Mit erstaunlicher Rapidität nahm es an Größe zu, bis es in wenigen Sekunden nach dem Erscheinen einen ganz bedeutenden Umfang erreicht hatte und einen Augenblick sogar die Sonne durch seinen blendenden Glanz verdunkelte; dann folgte ein fürchterlicher Krach und betäubt, besinnungslos lag ich wohl eine volle Stunde dort am Boden ehe ich wieder zu mir kam. Dann richtete ich mich auf, noch immer etwas verstört, blickte um mich und wurde bald gewahr, daß ein seltsames Ereigniß sich zugetragen haben mußte.

Von allen Seiten fielen mir Spuren einer gewaltigen Verwüstung in die Augen, wie ich sie ähnlich oft gesehen, wenn uns der Feind aus einem Walde, den wir besetzt hielten, vertreiben wollte und nun aufs Gerathewohl das Gehölz mit seinen schwersten Geschützen bombardirte. Hier lagen Bäume umgerissen und zerschmettert, dort hingen die zerbrochenen Aeste nach allen Richtungen hernieder, und ebenso lagen jetzt Steine und Erde und Corallenfelsen wild umher geschleudert durcheinander.

Besonders erinnere ich mich eines mächtigen Metallklumpens, der die Kronen zweier oder dreier Bäume abgerissen hatte und jetzt auf einem derselben festlag, nachdem er dem armen Baume wohl ein Drittel seiner Länge zerschmettert und seine Splitter auf den Boden ringsumher verstreut hatte. Bald wurde es mir klar, daß dieses seltsam grausige Bombardement aus dem Nordosten gekommen sein mußte, in welcher Himmelsgegend zur selben Stunde und am selben Tage die Sonne stand. Ich ging in dieser Richtung vor; je weiter ich vorschritt, desto größer schien die Zerstörung, bis sie am Ende ganz allgemein wurde.

Ueberall lag Baum an Baum geknickt, entwurzelt und durcheinander geschleudert; Felsstücke bedeckten den Boden, zerbrochen, und zu ihrer Hälfte in die Erde eingesenkt; sie mußten hoch empor geschleudert worden sein und zeigten jetzt, von der Wucht des Falles in den Boden eingedrückt, als Oberfläche ihre einstige Kehrseite. Mit einem Wort, die Insel bot ein Bild, als ob sie eine heftige Erschütterung ausgehalten hätte, von einem Erdbeben heimgesucht worden wäre, und dennoch erblickte ich nirgends auch nur eine einzige jener besonderen Eigentümlichkeiten, die ein solches Naturereigniß stets zu begleiten pflegen.

Bald stieß ich auf Stücke von blaßgelb glänzendem Metall, dieselben waren im Allgemeinen nur sehr klein, aber zwei oder drei derselben von ganz erstaunlicher Gestalt und Größe, und augenscheinlich alle von einem Stück ganz gewaltigen Umfangs abgerissen. Endlich erreichte ich einen Fleck, von welchem aus es in Folge der Waldverwüstung möglich ward, einen freien Blick über die See zu gewinnen, nach jener Richtung hin, in welcher unser Schiff gelegen hatte — das Schiff selbst aber war — total verschwunden! Zugleich sah ich, daß der Erdstoß in unserer Bucht das Wasser hoch aufs Land getrieben hatte, und hunderte von Fuß landeinwärts bedeckten todte Fische den vom Salzwasser aufgeweichten Boden. Schließlich erreichte ich, den Spuren immer größer werdender Vernichtung folgend den Punkt, von welchem her scheinbar das Unheil ausgegangen war. Es fehlen mir die Worte, das Bild, das sich an jenem Platze mir bot, zu schildern; die Erde hatte sich gespalten, der Boden war aufgerissen, wie durch eine gigantische Explosion, hier hatte er sich gehoben, dort gesenkt. Der Krater, um ihn so zu nennen, — eigentlich war es kein Krater, sondern eine vollständig von Stein und Fels und Erde angefüllte Höhlung — mochte zwei bis drei hundert Fuß im Umfang haben. Hier fand ich bedeutende Massen derselben metallischen Substanz, an welchen meistens eine Art Cement anhaftete. Ich sah und staunte über diese Scene, dann aber war es meine allernächste Sorge, Spuren unseres Schiffs und meiner Unglücksgefährten aufzusuchen — ich brauchte jedoch nicht lange umherzuschauen, um zu sehen, wie sie ihr Ende gefunden. Hoch aus dem Wasser ragten hier und dort die Corallenriffe, die vorher unter demselben versteckt gewesen; es war ganz klar, das Schiff mußte bei dem Sinken des Wassers (oder bei dem Steigen des Bodens?) auf diese Riffe aufgestoßen, und im selben Augenblick zerschellt worden sein. Auch von seiner Mannschaft war keine Spur zu sehen. Sie war höchst wahrscheinlich von dem Ereignisse betäubt mit ihrem Schiffe in die Tiefe hinabgezogen, und ihre Leichen längst, ehe ich die Bucht erreichte, von den in jenen Wassern sich in Unzahl aufhaltenden Haifischen verschlungen worden. Angst, Schrecken und Rathlosigkeit ergriffen mich und ließen mich nicht zu mir selbst kommen, sie machten mich den ganzen Tag lang unfähig, etwas anzufangen, um meine Zweifel zu lösen, und einigermaßen mir das Wunder zu erklären; auch meine Nachtruhe wurde mir durch schreckliche und durch schwere Träume gestört, ich wachte auf und sann und sann und dachte an Alles, was ich heut gesehen hatte und mochte meinen Augen, meinen Sinnen nicht mehr glauben. Am nächsten Tag ging ich zu dem Krater zurück, mit einigem Handwerkzeug, das am Ufer zurückgeblieben war, um unter den Trümmern, welche ihn füllten, zu graben. Anfangs fand ich nur Wenig, was mir hätte Aufklärung verschaffen können, nur Glas, verschiedene Arten von Metallen und Holz, von denen einige Stücke wie Ueberreste von Möbeltrümmern aussahen, endlich stieß ich aber auf eine werthvolle, zwar beschädigte, doch sonst noch wohlerhaltene Reliquie, die ich mir aufbewahrt und mir mitgenommen habe.«

Bei diesen Worten schob der Oberst ein Zeitungsblatt, welches einen Theil des Tisches bedeckte, bei Seite und zeigte mir einen metallischen Kasten, der allerdings einer jeden Façon entbehrte, augenscheinlich aber einst eine Silberfarbe gehabt hatte und jetzt noch wenig nur verrostet, desto mehr aber beschmutzt war. Der Oberst öffnete ihn, und die enorme Dicke und Solidität, Eigenschaften, welchen der Kasten zweifellos das Entrinnen aus der allgemeinen, soeben beschriebenen Vernichtungsscene verdankte, setzten mich in Staunen. In dem Kasten lag ein weniger beschädigter, jedoch immerhin recht mitgenommener Gegenstand, der einem Buch nicht unähnlich sah; er war sehr dick, und in Deckel von demselben Metall gebunden, aus dem der Kasten bestand. Ich habe dasselbe später untersucht und zweifellos darin eine Metallmischung erkannt, welche vorwiegend Aluminium enthält, deren andere Substanzen jedoch einander so ähnlich sind, daß es unmöglich ist, sie auf einfach chemischem Wege zu scheiden. Ein Freund, dem ich einen kleinen abgebrochenen Theil vorlegte, erklärte es zweifellos für AluminiumBronze, welche indeß eine nicht geringe Beimischung eines anderen unseren Chemikern noch vollständig unbekannten Metalles, dem Silicon verwandt, enthielte, gewißlich aber eines solchen, das der Mischung eine Zähigkeit und Härte verleiht, welche keine unserer metallischen Zusammensetzungen besitzt.

»Dies ist,« nahm mein Freund wieder das Wort, indem er den Band öffnete, »dies ist ein Manuskript, welches in dem Kasten enthalten war, als ich ihn aus den Trümmern des Kraters holte. Ich hätte Ihnen noch erzählen sollen, daß ich daselbst auch Ueberreste von Menschenfleisch und Menschenknochen vorzufinden meinte, das Alles war indeß derartig zersetzt und so zertrümmert, daß ich mir keinen positiven Schluß daraus ziehen konnte.

Meine nächste Sorge ging dahin, von dieser Insel fortzukommen, die sicherlich von jeder Wasserstraße fernab lag. Ein Boot, welches mich an das Ufer gebracht hatte, — das kleinere der beiden Boote unseres Schiffes — war glücklicherweise ziemlich unversehrt geblieben, denn es lag am anderen Ende der Insel in größerer Entfernung von der Stätte der Katastrophe. Dieses besserte ich aus und brachte auf ihm einen Mast an, dann stellte ich mir mit nicht geringer Schwierigkeit ein Segel aus zusammengehefteten Baumrinden her und begab mich auf die Reise, mir aller der Gefahren die ich laufen mußte und der geringen Aussichten für meine Rettung wohl bewußt; indeß, selbst wenn es mir möglich gewesen wäre, auf jener Insel mein Leben zu fristen, es wäre mir doch ein solches Leben schlimmer als der Tod erschienen. Vorher hatte ich noch eine Anzahl Fische gefangen und geräuchert, die mich für vierzehn Tage ausreichend verproviantirten, sowie ein Fäßchen mit dem während des Sturmes gefallenen und in der einen Höhlung der Insel aufgefangenen, zwar etwas salzigen, doch immer noch recht trinkbaren Wasser angefüllt. Auf diesem so improvisirten Schiffe trat ich ungefähr vierzehn Tage nach jenem mysteriösen Naturereigniß meine Reise an. Am zweiten Abend meiner Fahrt erfaßte mich ein heftiger Sturm, der mich die Segel zu reffen zwang, und mich drei Tage und drei Nächte lang vor sich her trieb — nach welcher Himmelsgegend, weiß ich nicht. Am vierten Morgen hatte sich der Wind gelegt und tiefe Stille und Ruhe folgte dem Sturme. Wozu soll ich beschreiben, was schon so oft von anderen Schiffbrüchigen beschrieben ist, wozu die Leiden alle schildern, die ein Schiffbrüchiger auf offenem Boot und unter dem glühenden Tropenhimmel zu ertragen hat; das größte Leiden ward mir wenigstens erspart, ich brauchte nicht zu dürsten, der Sturm hatte mich mit Wasser mehr als reichlich versehen. Gegen Abend erhob sich eine schwache Brise und trieb mich am nächsten Morgen einem Schiffe entgegen, das mich an Bord nahm. Jedoch weder die Mannschaft noch auch der Kapitän mochten meiner Erzählung den geringsten Glauben schenken. Aber genug davon — statt aller Worte lege ich dieses Manuskript in Ihre Hände und will Ihnen den Schlüssel für die Chiffren geben, den ich herausgefunden habe. Die Sprache ist Latein, mit manchen eingestreuten Worten und Wendungen, die weder lateinisch sind, noch irgend einer anderen mir bekannten Sprache angehören können, mir scheint, die meisten jener Worte sind wissenschaftliche Bezeichnungen für Dinge, welche unserer Welt, zur Zeit, als dieses Manuskript geschrieben wurde, noch unbekannt waren. Ich bitte Sie jedoch, ja, ich stelle es zur Bedingung, daß Sie die Erzählung bei meinen Lebzeiten nicht veröffentlichen und strengste Verschwiegenheit bewahren, wenn Sie das Manuskript erwähnen oder es Jemand im Vertrauen zeigen sollten; nach meinem Tode, von welchem ich Sie in Kenntniß setzen lassen werde, mögen Sie mein Geheimniß veröffentlichen, sowie das Manuskript, doch so diskret, daß man den Eigentümer nicht errathen kann.«

»Ich verspreche es,« sagte ich, »doch möchte ich wohl bitten, Ihnen noch eine einzige Frage stellen zu dürfen. Was hielten und halten Sie für den Grund jenes außerordentlichen Ereignisses, welches Sie erlebt haben? Kurz, in einem Worte, halten Sie es für ein einfaches Naturereigniß, oder meinen Sie, daß die Ursache desselben in diesem Manuskript zu finden sei, daß Sie mir heute anvertrauen?«

»Wozu die Frage?« entgegnete er. »Sie werden sich aus meiner Erzählung Ihre eigene Meinung bilden können; ich denke, ich hätte Ihnen Alles erzählt, was nöthig ist, Ihnen das Verständniß des Manuskriptes zu erleichtern — das Uebrige soll es Ihnen selber sagen.«

»Indeß,« versetzte ich, »ein Augenzeuge empfängt sehr oft von einer Unmasse kleiner, kaum zu sondernder Details, die sich einzeln dem Gedächtniß nicht einprägen können, einen weitaus richtigeren Eindruck, als man als Unbetheiligter trotz aller Kreuz- und Querfragen sich zu verschaffen in der Lage ist. Deshalb möchte ich von Ihnen hören, ehe ich Einsicht in das Manuskript nehme, was Sie von seinem Ursprung halten?«

»Ich kann nur sagen,« antwortete er, »daß die Ansicht, welche die Lektüre dieses Buches mir gegeben, dieselbe ist, die ich mir bereits zuvor gebildet hatte, ja, daß mir diese Erklärung schon in der allerersten Nacht gekommen war; sie schien mir damals zwar höchst unglaubwürdig, doch ist und bleibt sie die einzig faßbare, die einzig mögliche, die ich mir denken kann.«

»Haben Sie niemals,« fragte ich, »diese Erscheinung und das Vorhandensein jener Gegenstände, welche doch, so viel Sie wissen, zuvor sich nicht auf der Insel befanden, in Verbindung mit dem Meteor gebracht?«

»Das habe ich gewiß gethan,« sagte er, »und weil ich es gethan habe, blieb mir auch nur eine Schlußfolgerung auf die Ursache jener Erschütterung frei.« — —

Die Durchsicht und die Entzifferung des Manuskriptes nahm meine Zeit, trotz aller der mir von meinem Freunde an die Hand gegebenen erleichternden Hilfsmittel, während mehrerer Jahre in Anspruch. Wie manche Stelle fand ich bei der Arbeit vor, die ich außer Stande war, korrekt zu übersetzen. Hier war es Unleserlichkeit, dort war es wieder eines jener Worte, dessen Sinn ich mit bestem Willen nicht ergründen konnte und auch sonst noch hatte ich mit mancherlei anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nichts desto weniger, trotz der mir am besten bewußten Tücken und Unvollkommenheiten, sende ich jetzt meine Arbeit in die Welt hinaus, jetzt, wo ich durch den Tod meines tief von mir betrauerten Freundes dazu ermächtigt bin. Der Charakter des Manuskriptes ist äußerst seltsam und die Uebersetzung bot, wie gesagt, sehr große Schwierigkeiten. Dem Stoff, aus dem es geschrieben ist, gleicht Nichts, was je auf Erden zu diesem Zwecke verwendet wurde, und ich möchte denselben eher für ein ganz feines Leinen oder Seidengewebe halten, nur weit geschlossener im Gespinnst, als jene und sicherlich auf keinem irdischen Webestuhl verfertigt; die Buchstaben, um richtiger zu sprechen, die Symbole sind klein, indeß mit außerordentlicher Sorgfalt gezeichnet und scheinbar eher mit einer Art von Schreibstift, jedoch mit uns undenkbar feiner Spitze, niedergeschrieben worden. Zusammenziehungen und Kombinationen sind nicht blos häufig vorkommend, sondern eher durchgehende Regel, so daß es schwer halten möchte, ein einziges Beispiel zu finden, wo auch nur fünf Buchstaben getrennt und einzeln aufeinander folgen, ja ganz unmöglich wäre es, eine Zeile zu entdecken, in welcher nicht mindestens vier oder fünf Zusammenziehungen die Lektüre des Buches erschwerten. Die Blätter, welche nach meiner Meinung die ersten sechs Seiten des Manuskriptes bildeten, fehlen ganz und auch das nächste halbe Dutzend ist so zerfetzt, daß nur hier und da ein Wörtchen leserlich erscheint. — Das Latein des Textes ist Mönchslatein, fast Küchenlatein, mit vielen Worten untermischt, die nicht zu jener Sprache gehören. Im Uebrigen ist es mir trotzdem gelungen, eine verständliche und zusammenhängende Uebersetzung zu liefern, wenn manche Seiten auch unleserlich waren und mir manche Zeichen, besonders solche, die zur Angabe von Zahlen und chemischen Zusammensetzungen dienen, absolut unverständlich blieben.

Nun noch ein Wort! Es ist nicht ganz unmöglich, nein wahrscheinlich, daß einige jener Freunde des Erzählers, für welche offenbar der Bericht geschrieben ist, noch unter den Lebenden wandeln und daß diese Zeilen ihnen zu Gesichte kommen. In diesem Falle dürfte es ihnen vielleicht gelingen, einige noch unklare Probleme zu lösen und uns über mancherlei aus dem irdischen Leben und den persönlichen Verhältnissen des Verfassers aufzuklären, worüber uns das Manuskript, sei es absichtlich, sei es auch darum, daß vielerlei durch das Fehlen so mancher Seite, besonders des Anfanges, uns verloren ging, vollständig ohne Aufschluß läßt.

Ich füge noch hinzu, daß dieser Band nur die Enthüllungen des ersten Theils des Manuskriptes enthält; der Rest, der von den Abenteuern einer zweiten Reise nach einer zweiten unbekannten Welt erzählt, liegt noch in meinen Händen und wird, falls dieser erste Theil mit Wohlwollen und Interesse aufgenommen werden sollte, sei es von mir, sei es, im Fall meines früheren Todes, von meinen Testamentsvollstreckern, seiner Zeit der Oeffentlichkeit übergeben, anderenfalls aber einer nationalen Bibliothek oder auch einem wissenschaftlichen Institute bei meinem Tode vermacht werden.


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Kapitel 2
Die Abfahrt

...... und noch aus mehreren andern, leicht begreiflichen Gründen ist es den Besitzern des Geheimnisses der »Apergie« (*) nie in den Sinn gekommen, es der Art auszunützen, wie ich es that. Ihnen dünkte es höchstens ein seltsames Naturgeheimniß, um so mehr, da das Vorhandensein einer repulsiven Kraft in der atomischen Sphäre schon längst vermuthet, in unseren letzten Tagen selbst bewiesen worden ist und das Vorwiegen derselben in den Gasen für eine charakteristische Eigenschaft dieses Aggregatzustandes im Vergleich zu dem der festen und flüssigen Körper gilt. Bis auf die letzten Zeiten war es nie gelungen, diese Kraft in einigermaßen großer Quantität herzustellen oder zu sammeln, indeß der allgemeine Fortschritt der Wissenschaft hat nun auch diese Schwierigkeit überwunden und als man mir dann dies Geheimniß anvertraute, gewann es in meinen Händen einen praktischen Werth, den es nie zuvor besessen.

(*) »Apergie« wohl von: απω (von) und εργοσ (Werk), wie Energie gebildet? (Anm. des Oberst A.)

Seit meiner frühesten Kindheit habe ich gelernt, daß die Planeten Welten sind, und stets und ständig habe ich von einer Reise zu einem oder mehreren derselben mit Vorliebe geträumt, ja ich glaubte fest an das einstige Gelingen einer solchen Unternehmung und sammelte, da mein Interesse für jene Sache einmal erregt war, einen jeden Wink, welchen uns die Wissenschaft nicht minder als die Fantasie zu bieten vermochte.

Mit Hilfe eines oder zweier, dieses Thema behandelnder Romane, welche seiner Zeit mir zu Gesichte kamen, lebte ich mich in meinen Traum lebendig hinein, und schließlich gab es für mich in meiner Phantasie gar keine Schwierigkeiten mehr, ein jeder Faktor des Problems erschien mir als wirklich und thatsächlich gegeben. Ich war so weit gekommen, daß mir nur noch Eines fehlte, Eines freilich das bis jetzt und wohl auch für lange Zeit der menschlichen Erfindungsgabe spottete. Es war unmöglich eine bewegende Kraft zu finden, welche das Haupterforderniß für die Lösung meines Problems besaß, d.h. eine gleichmäßige oder eine stetig wachsende Bewegung im leeren Raum möglich machte. Das mußte eine repulsive Kraft sein, die durch die absolute Leere des Weltenraumes hindurch zu wirken fähig wäre. Der Mensch, die Thiere, die Fische und die Vögel, sie alle bewegen sich vorwärts durch Repulsion; jedoch das Element des Widerstandes, welches solche Abstoßung ermöglicht, findet sich zwar im Wasser und in der Luft, nicht aber im leeren Raume. Mir fehlte also, wie gesagt, gewissermaßen nur die Repulsion, die etwa so wie die Schwerkraft, nur in gerade umgekehrter Weise, durch unendliche Distanzen wirken könnte. Sobald mir also der Charakter des apergischen Stromes klar ward, leuchtete es mir ein, daß er zu meinem Zweck verwendbar sein müßte. Experimente waren gelungen, wie ich es oben schon erwähnte, jene Kraft in thatsächlich unbegrenzter Menge zu erzeugen und zu sammeln, und ferner war es ausgemacht, daß die Apergie nicht so wie andere Kräfte von einem Zentrum nach allen Richtungen ausstrahlt, sondern, sobald sie im Conductor aufgesammelt und ihm entlang geleitet wird, in gerader Linie wirkt und der Abschwächung durch die Distanz kaum unterworfen ist. Die anderen Hindernisse für die Reise durch den Raum waren im Vergleich zu dieser kleinlich; zuvorderst mußte natürlich für genügenden Luftvorrath gesorgt und ein luftdichtes Schiff gebaut werden. Das hielt nicht allzu schwer, indeß so starke Luftmassen man auch mit sich führen mochte, so würde doch, selbst wenn der Sauerstoff sich nicht erschöpfen sollte, die ausgeathmete Kohlensäure ein Weiterleben bald unmöglich machen. Um dieses giftige Gas zu beseitigen, war es nun unumgänglich nöthig eine gewisse Quantität Kalkwasser mitzuführen und mittelst eines Fächers oder eines ähnlichen Instrumentes die Luft periodisch durch das Gefäß mit dem Kalkwasser zu treiben. Der aufgelöste Kalk verbunden mit den giftigen Gasen würde dann bald durch die Trübung des Wassers die Absorbirung der Kohlensäure und die Bildung von kohlensaurem Kalk anzeigen und die zur Gewinnung von Apergie dienende Elektrizität könnte ebenfalls zur Zersetzung der Kohlensäure und Freimachung des darin gebundenen Sauerstoffes sich benützen lassen.

Nun sollte das Schiff doch nicht nur vorwärts getrieben werden, man mußte es auch steuern können, und zu diesem Behufe war es nöthig, dem Strom der Apergie nach Belieben eine andere Richtung ertheilen zu können. Die Mittel, die mir hierfür zu Gebote standen, beruhten auf zwei der am sichersten nachgewiesenen Eigenthümlichkeiten dieser seltsamen Kraft und zwar auf ihrer gradlinigen Wirkung und ihrer Konduktibilität.

Zu meinem ersten Reiseversuch hatte ich mir den Mars als Ziel ausersehen. Der Mond ist weit weniger interessant, da es notorisch der uns zugekehrten Hemisphäre und wahrscheinlich auch wohl der uns unsichtbaren Hälfte total an Luft und Wasser mangelt, so daß dort ein Leben nach unseren Begriffen, das Vorhandensein eines Thier- oder Pflanzenreiches unmöglich, und darum auch eine Landung auf dem Monde unausführbar ist. Der Mars hingegen hat Wolken, Seen, Luft und Leben ohne Frage! und daher beschloß ich denn die Reise nach diesem Planeten zu unternehmen, um so mehr, als mir die Bedingungen dazu sehr einfach, und ein gutes Resultat der Reise außer Frage schien. So lebhaft ich auch den Wunsch hegen mochte, die uns so unbekannte Venus aufzusuchen, die unseren Augen stets in einer dichten Wolkenhülle sich verbirgt und nur wenn sie der Erde am nächsten ist, einen kurzen Blick auf ihre Oberfläche uns gestattet, blieb ich doch bei meinem Entschlusse, zuvörderst mich nach dem Mars zu begeben.

Dann zog ich es auch vor zum ersten Male nicht gleich die Apergie als Widerstandskraft (gegen die Anziehung der Sonne) zu benutzen, sondern sie zuförderst als Abstoßungskraft gegen die Erde, resp. die Sonne, zu erproben. Hätte ich zur Venus kommen wollen, so mußte ich natürlich mich der Sonne nähern und hätte hier der Apergie mich nur bedienen können zur Lenkung und zur allerdings recht geringen Abschwächung meines durch die furchtbare Anziehungskraft der Sonne zu unmäßiger Schnelligkeit gesteigerten Falles durch den Raum, und da mir diese letztere Aufgabe als die bei weitem schwerere und mit mehr Gefahr verknüpfte erschien, so nahm ich mir vor, dies Wagniß aufzuschieben, bis ich mehr Erfahrung und Gewandtheit in der Handhabung meiner Maschinen und meiner bewegenden Kraft erlangt haben würde.

Dann war es nothwendig, mein Schiff so leicht wie möglich herzustellen und doch zur selben Zeit so groß zu bauen, als es die Rücksicht auf das Gewicht gestattete, vor allen Dingen aber die Wände so dick zu machen, daß dieselben der grimmen Kälte des leeren Raumes keinen Durchgang verstatteten, und dem ungeheuren Druck der eingeschlossenen Luft Widerstand zu leisten vermöchten. Theilweis aus diesen Gründen, theilweis auch wegen seiner elektrischen Leistungsfähigkeit, stellte ich die inneren und die äußeren Wände aus einer Mischung von — — her und füllte den leeren Raum dazwischen mit einer Art von Cement an, welcher das Eindringen von Hitze mehr als eine jede andere Substanz der Natur, mehr als ein jedes anderes Erzeugniß von Menschenhand, abzuhalten vermochte. Die Bestandtheile dieses Materials waren folgende: (*) — —

(*) Die chemische Formel ist unglücklicherweise von allen in unserer Chemie gebrauchten völlig verschieden und geradezu unmöglich zu entziffern.

Kurz, da ich mich einmal zur Reise entschlossen hatte, wollte ich mir die Opposition des Mars zur Erde im Jahre MDCCCXX ... (**) zu Nutze machen und begann ohne Verzug den Bau meines Luftschiffes. Ich baute es, wie gesagt, mit dicken, drei Fuß starken Wänden, deren sechszöllige Außen- und dreizöllige Innenschicht aus jenem dauerhaften Metalloid bestanden. Im Aeußeren glich mein Luftschiff beinahe einem holländischen Ostindienfahrer seligen Angedenkens. Indeß das Deck, sowie der Kiel waren absolut flach, und maßen beide je ein Hundert Fuß in der Länge und fünfzig in der Breite, während die Höhe meines Schiffes zweiundzwanzig Fuß betrug. In der Mitte des Bodens und in der des Daches brachte ich je eine große Krystalllinse an, die mir als Fenster dienen sollten; die untere, um die Sonnenstrahlen in meine Wohnung einzulassen, die obere, um mir die Aussicht nach dem Sterne, auf den ich zusteuerte, zu eröffnen. Um nun aber auch den Blick nach jeder Richtung freizulassen, brachte ich noch weitere vier Fenster aus eben jenem durchsichtigen Crystall in allen Wänden an. Dieses Crystallglas war von einer so vorzüglichen Vollkommenheit, daß es mit dem, was wir gewöhnlich unter Glas verstehen, gar nicht verglichen werden konnte. Ich hatte es so eingerichtet, daß einige Gläser von starker und verschiedener Vergrößerungskraft gleicherweise zu jenen Fensterlinsen paßten und so ein ganz vollkommenes Bild von 100, 1000, ja 5000facher Vergrößerung auf eigens dazu angebrachte Spiegel warfen.

(**) Die letzten Zahlen sind unleserlich; soll höchst wahrscheinlich 1830 heißen.

Auf den Boden befestigte ich Decken und Teppiche aus Kork und Tuch; in einer Ecke brachte ich mein Lager unter, sowie ein Bücherbrett und anderes nöthiges Mobiliar, die Vorräthe für meine Reise und Ballast, um das Gleichgewicht zu wahren; im anderen Ende legte ich mir einen Garten an, den ich, um zu dem Fenster zu gelangen, durch einen Pfad in zwei Theile theilte. Zu diesem Zwecke hatte ich mir Erde, drei Fuß hoch, hier aufgetragen; die Breite eines jeden Beetes, die ich mit Sträuchern und mit Blumen aller Arten reich anpflanzte, nicht ohne die Hoffnung, sie dereinst an anderen Orten zu akklimatisiren, betrug je fünf Fuß. Dann sperrte ich durch ein Drahtgeflecht von oben bis nach unten den Garten von dem andern Theile ab und setzte in denselben verschiedene Gattungen von Vögeln hinein. Im Centrum des Schiffes befand sich die Maschinerie, welche einen großen Flächeninhalt von dreißig Fuß an Breite, zwanzig in der Länge einnahm, wovon hinwiederum den größeren Theil der Generator zur Herstellung der Apergie in Anspruch nahm, und über jenem erst war der Behälter für den gesammelten Vorrath von Apergie angebracht. Von diesem lief direkt durch den Boden eine Leitung herab, derart, daß ich den Strom der repulsiven Kraft gegen die Sonne richten konnte und, da ich nöthigerweise der Anziehungskraft eines jeden Körpers, der mir auf meiner Reise etwaigenfalls begegnen konnte, so gut wie derjenigen der Sonne entgegen wirken mußte, so brachte ich, um gleicher Zeit es später zu ermöglichen, nach einer jeden Richtung in dem Raum hinzusteuern, fünf kleinere Leitungen an und zwar das Eine durch das Dach und die vier Anderen durch die vier Seitenwände meines Luftschiffes. Sie Alle aber standen mit dem Behälter der Materie, dem Apergion, in gleicher Weise in Verbindung, wie der HauptConduktor.

Mein SteuerApparat bestand aus einem Tisch, in welchem drei große Kreise eingeschritten waren und in den mittleren, sowie in den linken waren feingeschliffene Spiegel eingesetzt; der mittlere Kreis, der Metakompaß war durch 360 feine Linien, die von dem Zentrum nach der Peripherie ausgingen, getheilt, von welchen eine jede eine andere, von der nächsten um einen Grad verschiedene Richtung markirte. Der Spiegel war dazu bestimmt, das Bild des Sternes, auf welchen ich hinsteuerte, zu reflektiren. So lange dieser stationär im Zentrum blieb, war alles in Ordnung, sobald er indeß sich eine jener Linien entlang hinbewegte, dann wußte ich, daß mein Fahrzeug nach der entgegengesetzten Richtung hin von seinem richtigen Course abgewichen sein mußte und um es auf den richtigen Weg zurückzubringen, sah ich mich genöthigt die zurücktreibende Kraft in jener Richtung wirken zu lassen, nach welcher sich das Bild des Sternes bewegt hatte, und dazu brachte ich am unteren Theil des Hauptleiters ein Steuerruder an, durch welches ich die Kraft des ersteren nach jeder mir beliebigen Richtung lenken konnte. Das Steuerruder selbst zu kontroliren befand sich eine Vorrichtung im offenen rechten Kreise; der linke Kreis, der Diskometer, war hinwiederum durch 1920 konzentrische Zirkelkreise, die jeder von den nächsten gleiche Entfernung hatten, getheilt; von ihnen hatte der äußerste, der ungefähr zwei Mal so weit vom Centrum, wie von dem äußeren Rande des Spiegels entfernt war, genau die Größe, welche, von der Erde aus betrachtet, die Sonnenscheibe, wenn sie sich uns am größten zeigt, scheinbar besitzt. Nun aber entsprach ein jeder meiner Kreise einem auf die Sekunde reducirten Diameter, so daß mit Hilfe eines Nonius, eines Sekundentheilers, der Sonne Umfang vom Diskometer sich absehen ließ, und ich dadurch meine Entfernung genau berechnen konnte. Weiterhin an der Seite der Maschinerie war ein Zimmer zur Zersetzung der Kohlensäure hergestellt. Dann hatte ich mich selbstverständlich vollauf versorgt mit kondensirten Gemüsen aller Arten, und eingemachtem Fleisch und Milch und Kaffee u. s. .w.; natürlich auch mit Wasser und so reichlich, daß es nach meiner Meinung doppelt die Zeit ausreichen konnte, die meine Reise in Anspruch nehmen sollte. Ein wohl ausgestatteter Handwerkzeugskasten voll Röhren, Draht und anderen Sachen durfte natürlich auch nicht fehlen. Eins der unteren Fenster war gerade so groß gemacht, daß ich durch dasselbe hindurchsteigen konnte, ich mußte es dann nach meinem Eintritt in das Schiff von innen fest und sicher mit meinem Cement verkitten, den ich ja später, wenn ich das Fahrzeug wieder verlassen wollte, mit Leichtigkeit entfernen konnte. Ich brauche wohl nicht erst hinzuzufügen, daß der Bau des Fahrzeugs und der Maschinen viele Monate in Anspruch nahm, bei weitem aber länger noch die Zusammensetzung und schließliche Einrichtung des Ganzen, so daß, als ich zu Ende Juli für die Reise fertig ward, die Opposition des Mars zur Erde, die ich benützen wollte, nicht allzu fern mehr war. Im Lauf von etwa fünfzig Tagen mußte die Erde, welche sich auf ihrer Bahn mit einer Schnelligkeit von an 1100 Meilen per Minute fortbewegt (*), den Planeten Mars überholen und in Folge dessen zwischen ihn und die Sonne treten. Bei meinem Aufbruch von der Erde würde ich nun dieselbe Bewegung theilen und auch 1100 Meilen in derselben Dichtung per Minute machen, aber dennoch bald hinter der Erde zurückbleiben, da die Bahn auf der ich fortgetrieben wurde eine fortwährend sich erweiternde Curve sein mußte. Dieses Zurückbleiben mußte dann durch die Apergie ausgeglichen werden, so gut wie sie mich für die Folgezeit an 40 Millionen Meilen hin nach der Bahn des Mars zu treiben hatte.

(*) Angabe der Distanzen in englischen Meilen und in runden Zahlen.

Und andrerseits mußte ich auch die Bewegung theilen, die jener Ort, von welchem ich aufsteigen wollte, um die Erdachse machte, eine Bewegung, die je nach dem geographischen Breitengrade variirt, daher am größten unter dem Aequator, ganz Null hinwiederum am Pole ist. Das müßte mich natürlich rund um die Erde wirbeln mit einer Schnelligkeit von tausend Meilen in der Stunde; es schien mir also rathsam, mich zuvörderst so schnell, wie möglich aus dieser Strömung zu befreien und dann geradlinig in die Höhe, d. h. in gerader Richtung von der Sonne aus, emporzusteigen.

In Folge dessen hielt ich es geboten, auf einem von der Sonne möglichst fernen Punkt, d. h. unter dem MitternachtsMeridian, von der Erde abzustoßen.

Aus demselben Grunde, aus welchem ich so lange vor dem Eintritt der Marsopposition meinen Aufstieg auszuführen gedachte, beschloß ich auch schon einige Stunden vor Mitternacht, mit Rücksicht auf die Umdrehung der Erde, die Fahrt zu beginnen. Nachdem ich nun von meinen beiden Freunden, die mir bis hierher stets behilflich waren, Abschied genommen hatte, begab ich mich am ersten August, etwa um halb fünf Uhr Nachmittags, in meinen Astronauten.

Nachdem ich das Fenster fest verkittet und alles sorgfältig noch einmal gemustert hatte, was mich wohl eine ganze Stunde beschäftigte, ließ ich den Generator arbeiten, bis das Apergion, der Behälter für die Apergie, gefüllt war, worauf ich den ganzen Strom zuvörderst in den Hauptconduktor leitete, dann wandte ich mich dem unteren, nach Westen und zur Zeit mir zur Rechten gelegenem Fenster zu und konnte gerade noch die Bäume auf dem Hügel meiner Abfahrt erblicken, von denen ich bereits eine halbe Meile entfernt war, obgleich die Höhe, zu der ich gestiegen, nur etwa an zweihundert Fuß betrug. Ich hätte noch betonen sollen, daß ich meine Atmosphäre ganz bedeutend komprimirte und ihren Gehalt an Sauerstoff beinah um 10 Prozent erhöhte, sowie, daß ich die Mittel mit mir führte, im Fall der Noth noch weiteren Sauerstoff in gleicher Menge herzustellen. Ferner befand sich unter meinen Vorräthen ein Instrument, mit welchem ich in wenigen Sekunden auch den geringsten Luftverlust entdecken konnte.

Ich stand nun am Fenster und sah die Erde mit reißender Geschwindigkeit sich von mir hinweg entfernen; erst fünf Minuten war ich unterwegs und konnte kaum noch Bäume, nicht einmal Häuser mit dem bloßen Auge mehr erkennen. Ich hätte jetzt erwartet, das schrille Pfeifen der Luft zu hören, durch die mein Fahrzeug, sie zertheilend, hindurchschoß, aber auch nicht ein Ton davon vermochte durch die dicken Wände zu mir zu dringen. Seltsam erschien das schnelle Aufsteigen der Sonne vom Westen her, seltsamer noch das immer intensiver werdende Schwarz des ganzen Himmelsgewölbes, auf dem ich jetzt schon eine Menge heller Sterne unterscheiden konnte und fast in jedem Augenblicke traten neue, andere aus dem beständig dunkler werdendem Hintergrunde heraus. Dann sah ich wieder nach dem Westen, wo Tageslicht die Landschaft noch erhellte und konnte den Umriß von See und Küste in einem Halbkreis, dessen Radius 500 Meilen überstieg, unterscheiden, woraus ich schloß, daß ich an 35 Meilen von der Seehöhe fern war. Ich brauchte zwanzig Minuten diese Höhe zu erreichen; indeß von jetzt ab mußte meine Schnelligkeit von Augenblick zu Augenblick bedeutend wachsen, gleichwie die Schnelle eines Gegenstandes, der von großer Höhe zur Erde fällt, beständig zunimmt; und ehe noch weitere zehn Minuten verstrichen waren, sah ich mich schon von der absoluten Finsterniß des Weltenraumes umringt, aus welcher hier und da, bald mehr, bald weniger glänzende Punkte von Licht, die Sterne hervortraten. Kurz binnen einer halben Stunde war ich vollständig der Atmosphäre entrückt und in die weite Leere des Raums gelangt. Hier mußte ich meine Eile mäßigen. Ich war bei Tageslicht emporgestiegen, um während der ersten Hundert Meilen meiner Fahrt einen klaren Ueberblick über die Erdoberfläche zu gewinnen. Jedoch nicht nur, um dieses Schauspiel zu genießen, es war auch unumgänglich nöthig, da ich die Richtung meines Laufes nach irdischen Landmarken berechnen mußte, dieselben auch noch erst aus meinem Luftschiffe zu sehen, um dieses ganz genau lenken und irgend einer etwa drohenden Gefahr noch rechtzeitig gewahr werden zu können. Andrerseits schien es sehr wünschenswerth, da ja mein Cours, zum Anfang wenigstens, gewiß in jener Linie lag, welche die Zentren der Erde und der Sonne verband, daß ich meine wirkliche Reise in dem Raum unter dem Mitternachtsmeridian beginnen könnte, d. h. in einer Linie mit jenem Punkte der Erdoberfläche der unmittelbar der Sonne entgegengesetzt liegt. Ich hatte also diese Linie möglichst schnell zu erreichen und nachdem ich sie erreicht, einige Zeit in ihr zu bleiben, und um letzteres zu ermöglichen, mußte ich diese Linie im selben Augenblick erreichen, in dem ich mir einen westlichen Impuls zu geben vermöchte, der ausreichend stark wäre, den östlichen Impuls, der von der Rotation der Erde herrührte, völlig aufzuheben. Ich hatte ausgerechnet, daß während ein in den Hauptconduktor geleiteter Strom eines Theiles der Apergie ausreichen würde mich in einer bestimmten Höhe zu halten, ich binnen einer Stunde ohne Mühe für den östlichen Conduktor eine genügend große Kraftmenge aufsammeln könnte, um mir den nöthigen westlichen Impuls zu ertheilen, daß jedoch im Verlauf dieser Stunde bereits das allmälige Anwachsen der apergischen Kraft mich mindestens 500 Meilen westwärts treiben müßte. Es würde aber in sechs Stunden die Rotation der Erde einen der Oberfläche nahen Gegenstand durch einen Winkel von 90°, d. h. vom Morgen bis zum MitternachtsMeridian fortragen. Je größer nun die Höhe des Gegenstandes ist, um desto weiter wird die Bahn um den Mittelpunkt der Erde und also um so länger jeder Grad, so daß bei der blos ostseitigen Bewegung von höchstens tausend Meilen in der Stunde, ich immer hinter dem entsprechenden Punkte auf der Erde zurückbleiben müßte und den MitternachtsMeridian zu spät erreichen würde, und gar nicht unerheblich verspätet, denn bei einer Höhe von 330

Meilen würde der Astronaut eine Bahn beschreiben, auf welcher 90 Grad 6500 Meilen betrügen.

Auf dieser Bahn würde ich in sieben Stunden an 7000 Meilen ostwärts durch den Impuls der Erde auf den Astronauten fortgerissen und durch die Apergie 500 Meilen nach westwärts zurückgetrieben werden, so daß ich nun die erste Stunde Nachts nach meinem Chronometer genau unter dem Mitternachtsmeridian sein muße oder 6500 Meilen östlich von meinem Ausgangspunkte im Raume, vorausgesetzt natürlich, daß ich den apergischen Strom ostwärts pünktlich um Mitternacht zum Wirken brächte. Um 1 Uhr Nachts würde ich dann auch einen westlichen Impuls von 1000 Meilen in der Stunde bereit haben, und dieser einmal ertheilt, würde fortexistiren, wenn auch die Kraft, die ihn geschaffen, schwände, und er müßte dazu dienen dem entgegengesetzten Rotationsimpuls die Wage zu halten. Trotzdem würde die Bewegung der Erde mit etwa 19 Meilen in der Sekunde immerhin noch mitgemacht werden müssen; ich würde aber schließlich doch mit meinem Fahrzeug auf die Linie gelangen, die in der Stunde der Opposition des Mars zur Erde den Mittelpunkt des ersteren und den des letzteren verbände.

Alles kam, wie ich es berechnet hatte; ich bewerkstelligte den richtigen Halt des Astronauten und leitete einen Strom von der erforderlichen Stärke in den östlichen Conduktor genau um Mitternacht oder zur 24sten Stunde meines Chronometers und fand mich eine Stunde später, soweit ich nach den Sternen schließen konnte, genau da, wo ich sein wollte. Sofort hob ich jetzt den östlichen Strom auf, leitete die ganze Kraft in den nach unten wirkenden Conduktor und konnte bald zu meiner Freude, nachdem ich mir das Steuer ein wenig nur zurecht gerückt hatte, die Sterne stationär im Spiegel des Metakompasses erblicken, woraus ich sah, daß ich dem Einflusse der Erdumdrehung nachgerade entronnen war. Natürlich blieb es unmöglich während der Unsichtbarkeit der Erde die Entfernung, die ich durchmaß, zu berechnen, indeß mochte ich mich wohl nach einigen vier Stunden gewiß nicht weniger, denn 4800 Meilen von der Erde entfernt befinden.

Endlich legte ich mich zum ersten Mal auf meiner Fahrt zur Ruhe nieder, nachdem ich meinen Wecker gestellt hatte, daß er mich nach sechs Stunden wieder wach rief.


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Kapitel 3
Die Reise

Meine ängstliche, gefährliche Lage hatte mich wenig beunruhigt, so lange ich alle Hände voll zu thun hatte mit Steuern und anderen Manipulationen der Maschinerie; so lange noch dies wunderbare neue Schauspiel des Weltenraumes überwältigend auf mich eindrang; jetzt aber, da ich schlafen wollte, packte mich Entsetzten und grause, wilde Träume störten und schreckten meine Ruhe. Zwei oder drei Mal wachte ich auf, eilte an den Metakompaß und ein Mal ward es nöthig, das Steuer anders zu stellen, denn die Sterne, nach welchen ich mich richten mußte, hatten ihre Lage auf dem Spiegel verändert.

Endlich erhob ich mich von meinem Lager und erhellte meine Behausung durch ein glänzendes, taghelles Licht, welches von einer elektrischen Lampe ausgestrahlt wurde. Hierauf machte ich mich an mein Frühstück, das mir, da ich seit mehreren Stunden vor dem Aufsteigen nichts mehr zu mir genommen hatte, ganz vortrefflich mundete. Ich muß gestehen, mich hatte einige Angst beschlichen, daß ich vielleicht den Siedepunkt in dieser ganz enormen Höhe nicht erreichen möchte, hierin hatte ich mich jedoch getäuscht und fand bald, daß dies allein vom Druck der Atmosphäre abhängt, und daß dieser Druck in keiner Weise hier oben, etwa durch die Abwesenheit der Schwerkraft, affiziert wird. Da aber meine Atmosphäre etwas dichter, denn die der Erde war, so war der Siedepunkt hier oben nicht, wie unten 100°, sondern 101° Celsius; die innere mittlere Temperatur des Fahrzeugs war ungefähr 5° Celsius; ganz ohne Zweifel recht erheblich kühl, jedoch mit Hilfe eines warmen Flausrock immerhin erträglich. Mein außerhalb des Fensters angebrachter Thermometer war leider zerbrochen, und so gelang es mir nicht, die Kälte des Raumes zu messen, dieselbe ist aber zweifelsohne bedeutend stärker als man bis jetzt angenommen hat.

Als ich meine Mahlzeit beendet hatte und eine, mit Rücksicht auf die Atmosphäre vorsichtigerweise nur ganz winzige Cigarre rauchte, zeigte mein Chronometer die zehnte Morgenstunde.

Es war kaum überraschend, daß mit der Zeit die Schwerkraft hier so gut wie ganz aufhörte, so daß, als ich den kleinen Finger in eine Schlinge eines ausgespannten Seils einlegte, ich ohne jede Mühe für eine ganze Viertelstunde, ja noch länger, mein eigenes Gewicht zu tragen vermochte; thatsächlich hatte ich in dieser Zeit auch absolut kein Gefühl von Müdigkeit oder Anstrengung meiner Muskeln. Dieser Umstand hatte eine große Unannehmlichkeit im Gefolge: nichts stand mehr fest und was nicht gerade niet- und nagelfest gewesen, ward Alles durch den geringsten Anlaß umgeworfen. Indeß war ich dem Uebel soweit zuvorgekommen, daß ich die wichtigsten Gegenstände schon vorher befestigt hatte, und höchstens mußte ich es mir gefallen lassen, daß mir beim Frühstück der Löffel meinen Eierbecher und die Eier mitsammt der vollen Kaffeetasse umwarf. Das Unglück war nicht gerade zu groß, da mir der größere Theil des Getränkes nicht verloren ging; denn selbst Blei und Eisen, um wieviel mehr nicht Porzellan und gar Flüssigkeiten fielen in dem Astronaut so langsam wie etwa Federn auf der Erde. Immerhin blieb es für mich eine merkwürdige, neue Erfahrung, mich nach jeder Richtung hinlehnen und in beinahe jeder Stellung verharren zu können. —

Ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit abstrakten Berechnungen und da ich wußte, daß ich für einige Zeit von der Erde, die ihre dunkle Seite mir zuwandte, nichts würde sehen können, und daß ich andererseits auch noch nicht in eine Sphäre eingetreten sei, wo neue HimmelsPhänomene zu erwarten wären, so warf ich nur noch einen flüchtigen Blick auf meinen Diskometer, sowie auf den Metakompaß, löschte das elektrische Licht in meinem Schiff und hielt Siesta bis in die 19te Stunde, d. h. nach irdischer Zeit, bis 7 Uhr Nachmittags. Die Erde erschien zu dieser Zeit, wohl weil sie finster war, kaum erheblich größer, als der am Horizonte aufgehende Vollmond. Ich sah sie jetzt, wenn ich aus meinem unteren Fenster schaute, ziemlich aus derjenigen Richtung, aus welcher ein Mondbewohner auf sie blicken müßte, und gleich wie auch der Mondbewohner während der Eklipse rund um die Erde einen durch die Refraktion der Sonnenstrahlen in der irdischen Atmosphäre geschaffenen Hof entdecken dürfte, so sah auch ich die Erde mit einem solchen Hof umgeben, der fast, wenn auch nicht ganz, an Glanz, Helle und Pracht, der bei Sonnenfinsternissen sichtbaren Korona glich. Um dieses Zauberbild zu malen, würde selbst der Pinsel des genialsten Künstlers unzureichend sein; um es mit seiner Schöne, seinem Glanze meinen Lesern in Worten anschaulich zu schildern, müßte ich ein Dichter sein, wie es keinen seit Homer gegeben hat.

Wenn ich auch nicht die Menge jener Sterne, unter welchen ich zu reisen schien, zählte und zählen konnte, so sah ich doch bald, daß, wenn man unten auf der Erde auch sich ihre Anzahl gleich dem Sand am Meere vorstellt, man sich doch keinen rechten Begriff von ihrer wirklich unendlichen Zahl zu machen vermag. Wir sehen von der Erde aus so wenig Sterne, daß wir mit Leichtigkeit besonders hellerglänzende Gestirne zu Sternbildern wie Bär und Orion verbinden können, ich aber vermochte hier nur mit vieler Mühe, sie von der anderen ungeheuren Menge auszusondern. Dabei besaß das Auge keinen instinktiven Sinn für die Entfernung; es war, als ob ein jeder einzige Stern mit einem Steinwurf zu erreichen wäre. Ich brauche wohl schwerlich erst noch zu bemerken, daß, wenn ich einerseits das Fortbewegen meines Fahrzeugs absolut nicht merkte, ich andererseits auch keine Aenderung meiner Stellung zu den Sternen wahrnahm. Doch neu und interessant erschien mir, daß ich nicht nur die Gestirne des nördlichen und südlichen Himmels, die von keinem Punkte der Erde aus gleichzeitig sichtbar sind, sondern die ganze Runde der Himmelskugel aus meinen Fenstern überblicken konnte.

Der erste Tag der Reise ging zu Ende, mein Chronometer zeigte 23,30, d. h. die Mitte der vierundzwanzigsten Stunde des Tages. Ich inspizirte meinen Barykrit und fand, daß ich um etwas ferner von der Erde war als der Mond in seinem weitesten Abstand von der Erde. Es ging daraus noch nicht hervor, daß ich die Mondbahn gekreuzt hatte und wenn ich es gethan, war die Entfernung doch zu groß, als daß mein Kurs ernstlich dadurch beeinflußt werden konnte. Ich richtete das Steuer und legte mich — der zweite Tag der Reise hatte schon begonnen — zur Ruhe nieder.

Als ich mich in der fünften Morgenstunde erhob, fiel mir das Welken vieler Blätter, besonders an den Sträuchern und den großen Pflanzen, auf. Ich war zwar darauf vorbereitet, indessen wäre es mir doch ungelegen gekommen, alle meine Pflanzen hinsterben zu sehen. Was sollte dann die Gase absorbiren, die zu verzehren ich sie eingepflanzt? Ich leitete also aus dem Thermogen (dem Wärmeerzeuger) auf beide Theile meines Gartens einen Strom und hoffte so, die Pflanzen vor den Unbilden der Kälte zu bewahren. Umsonst! Die Blätter welkten und fielen weiter. Dann kam ich auf einen anderen Gedanken; ich stellte einen Apparat aus Kupferdraht her, so zwar, daß ich die Enden der Drähte in unmittelbare Berührung mit den Wurzeln brachte und leitete durch dieses Drahtgeflecht einen schwachen Strom Elektrizität. Besserer Erfolg als ich erwartet hatte lohnte meine Mühen und Dank der neuen Vorrichtung konnte ich die Pflanzen beinahe alle bis zum Ende meiner Reise mir erhalten. —

Es wäre nichts wie Zeitverschwendung gewesen, während der Wochen, welche ich in der Einsamkeit meines künstlichen Planeten verlebte, ein Tagebuch zu führen. Die Monotonie der Reise durch den Raum ist begreiflicherweise noch weit größer als die einer Seereise, wo uns auch nur hin und wieder Schiffe begegnen und der Anblick eines Eilandes ein bemerkenswerthes Ereigniß ist. Dennoch mußte ich stets aufmerksam ausspähen, daß mir nicht doch etwa ein Umstand von Bedeutung entginge, auf jener Fahrt durch Regionen, die selbst das stärkste Teleskop nur unvollständig durchforschen kann! Ich konnte mich also keinenfalls zu einer ernstlichen Beschäftigung niedersetzen, und es wird demnach kaum befremdlich erscheinen, daß meine Reise, die so vollständig ohne Ihresgleichen dasteht, für mich selbst höchst eintönig und langweilig war. Indeß die neuen Bilder, welche sie bot, so interessant und staunenswerth sie an sich sein mochten, waren doch bald gesehen und begriffen und selbst die unheimlich düstere Finsterniß, mit ihren abertausend glitzernden und flimmernden Lichtpunkten, vermochte auf die Dauer kaum ein angenehmeres Schauspiel zu bieten, als es die Aussicht vom Deck eines transatlantischen Dampfers auf die schweren, dunklen Wolken des Himmels auch gewährt, ja innerhalb des Luftschiffes ward mir offenbar noch weit weniger Abwechselung geboten, als Passagieren auf einer Seereise. Rings um mich herum blieb, abgesehen von der Richtung, in welcher noch die Sonne von der Erdscheibe verfinstert wurde, Alles vollständig unverändert, die Leitung der Maschinerie nahm meine Zeit nur hin und wieder für einige Minuten in Anspruch, und nicht einmal Tag und Nacht wechselte hier oben ab, denn die Sonne und die Sterne blieben immer gleichzeitig am Himmel; kurz sollte ich den Lesern schildern, wie ich die Tage und die Stunden zugebracht, ich müßte fürchten, sie noch viel mehr zu langweilen als ich mich damals selbst gelangweilt habe. Daher will ich mich denn auch jeder überflüssigen Schilderung enthalten und nur Momente von besonderer Wichtigkeit erwähnen.

Beim Anfang wie zu Ende meiner Reise mußte ich, geleitet von verschiedenen Erwägungen, die Hauptrichtung der Fahrt verändern. Ich war bisher gerade in die Höhe südwärts von der Erde aufgestiegen und mußte jetzt die letzte Zeit dazu verwenden, allmälig auf den Mars hinabzusteigen und den Prozeß des Aufstiegs von der Erde dabei in umgekehrter Weise ausführen. Ich mußte den Mars während seiner Opposition zur Erde erreichen und während meiner ganzen Fahrt die letztere zwischen mir und der Sonne behalten aus Gründen, welche für den ersten Augenblick vielleicht nicht gleich begreiflich scheinen, da es ja nur in einzelnen Fällen, wie in dem meinen, zutrifft, daß Mars in seiner Opposition der Erde am nächsten ist. Nach den astronomischen Berechnungen sind die beiden Planeten an 40 Millionen Meilen in diesem Augenblick von einander entfernt. Nun aber überholt inzwischen die Erde, die die innere, die kleinere Bahn mit größerer Geschwindigkeit durcheilt, den Mars, indeß der Astronaut, beeinflußt von der Erdumdrehung um die Sonne, (daß er vom Einflusse der Erdbewegung um die eigene Achse sich befreit, habe ich bereits vorher erzählt) auf stetig weiteren Bahnen sich fortbewegt und daher trotz des Vorsprungs über den Mars den letzteren weniger überholte als die Erde und selbst hinter dieser zurück blieb.

Hätte ich die Apergie benützt, mich nur direkt von der Sonne hinweg zu treiben, so würde ich täglich unter dem von der Erde her empfangenen Impulse an 1,600,000 Meilen machen, d. h. in 45 Tagen fast 72 Millionen Meilen in der beiden Planeten gemeinsamen Richtung zurücklegen, so daß ich schließlich in dem kritischen Momente einige 30 Millionen Meilen im Rückstande wäre. Dies sollte nun die apergische Kraft ausgleichen und mich zugleich in rechtem Winkel zu der Kreisbahn d. h. den Radius entlang, von der Sonne hinweg an 40 Millionen treiben. Wenn dieses mir gelang, könnte ich die Marsbahn zur festgesetzten Zeit und am erwünschten Punkte und damit auch den Planeten selbst erreichen.

Schlug es mir aber fehl, so sah ich mich ganz allein dem Einflusse der Sonnenanziehung ausgesetzt, welcher ich zu widerstehen allerdings wohl fähig war, die mir es aber sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen mußte, einen Planeten, welcher sich in aller Eile von mir fortbewegte, noch einzuholen. Und daher war es wünschenswerth, um mir im Falle der Noth einen Zufluchtsort zu sichern, die Erde so lange als möglich zwischen dem Astronauten und der Sonne zu haben. Nach Maßgabe dieser Erwägungen mußte fortan mein Kurs geleitet werden. Nach einer ganz einfachen, auf dem Prinzip des Paralellogramms der Kräfte basirten Berechnung verlieh ich dem apergischen Strome eine Kraft, die einer täglichen Bewegung von nah an 750,000 Meilen gleichkam. Mein Unternehmen konnte jetzt nur noch dann mißglücken, wenn meine Kalkulationen sieh als falsch erwiesen.

Am sechsten Tage erblickte ich eine sogenannte Nebula. Sie lag, so schien es, genau in meinem Kurs, so daß, wie ich vermuthete, ich durch sie hindurchpassiren mußte. In wenigen Stunden veränderte sie derart ihre Lage und Gestalt, daß sie sich unmittelbar über mir befand und bald auch durch die obere Linse sichtbar wurde, indeß nicht mehr das Bild eines Nebels bot, sondern jetzt deutlich eine Anzahl kleiner glänzender Lichtpunkte, die allerdings nicht so hell wie die Sterne strahlten, erkennen ließ. Allmälig kamen sie näher und zeigten sich als Körper von beträchtlicher Größe aber unregelmäßiger Gestalt, und es ward mir klar, daß ich durch einen jener MeteorenRinge passiren mußte, die nach der Meinung der Astronomen in Unzahl im Raume existiren, und welchen man das Fallen von Sternschnuppen im August und im November zuzuschreiben pflegt. In Kurzem zogen alle jene Körper mit reißender Geschwindigkeit vor meinen Augen hin, indeß nur einer kam so nah, daß ich einigermaßen seine wirkliche Größe abschätzen konnte. Es war ein felsartiger Körper, und zeigte auf der Oberfläche Spuren von metallischen Adern, war aber glücklicherweise zu klein, einen störenden Einfluß auf den Astronauten ausüben zu können.

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Es war am neununddreißigsten Morgen meiner Reise; ich mochte, so weit ich es berechnen konnte, noch 1,900,000 Meilen vom Mars entfernt sein, auf dessen Mittelpunkt ich jetzt die ganze Kraft des Stromes aus dem Apergium richtete. Der Durchmesser des Planeten nahm sichtbar zu. Durch das Teleskop betrachtet bot der Mars aber ein ganz verschiedenes Bild von dem, wie es die Erde bietet, oder auch der Mond.

Der Ersteren glich er insoweit, als er unzweifelhaft Luft und Wasser hatte, ungleich der Erde aber bestand der größere Theil der Oberfläche scheinbar aus Land; anstatt vom Wasser umringte Kontinente zu zeigen, ließ er nur von dem Lande umschlossene Binnenseen erblicken. Rund um die eisbedeckten Pole lag ein Wassergürtel, um ihn herum ein breiterer Gürtel Land und weiterhin ein anderer und noch breiterer Wassergürtel, welcher augenscheinlich an einigen Stellen mit dem äquatorialen Meere in Verbindung stand. Südlich vom letzteren liegt der einzige große Ozean des Mars. In der Mitte desselben, etwas nach Süden hin, sah ich ein Land von sonderbarem Aussehen liegen, es war kreisförmig und wie ich beim Hinabsteigen bemerkte, verhältnißmäßig hoch, 4000 Fuß über dem Meeresspiegel. Die Oberfläche war vollständig weiß und schwerlich weniger weiß und glänzend, als eine gleiche Fläche des PolarEisfeldes. Der Planet drehte sich in etwa 24½ Stunde irdischer Zeit um sich selbst und zeigte mir nach und nach alle Theile seiner Oberfläche. Am dritten Tage der Hinabfahrt befand ich mich noch in einer Entfernung von 125,000 Meilen und folglich noch außerhalb der Distanz, in welcher seine Anziehungskraft die Kraft der Sonne überwiegen mußte. Zu meiner großen Überraschung unterschied ich im Laufe dieses Tages zwei kleine Monde, an jeder Seite des Planeten einen. Sie waren offenbar sehr klein und konnten höchstens einen Durchmesser von 10-20 oder 50 Meilen besitzen; daß ich in ihnen die Marsmonde vor mir sah, unterlag gar keinem Zweifel; daß sie mit meinem Astronauten kollidiren würden, war aber, so weit ich es berechnen konnte, kaum wahrscheinlich.

Gegen die zehnte Stunde des letzten Tages meiner Reise fing die Anziehungskraft des Mars an, entschieden die der Sonne zu überwiegen. Ich mußte jetzt die Richtung des apergischen Stromes ändern, zuerst nach links und späterhin nach unten, da die Schwere des Bodens den Astronauten total umdrehte und den Planet somit gerade unter ihn herunter brachte. Ich näherte mich dem Mars natürlich von der Tagesseite. Während dieses ganzen Tages war es mir unmöglich, einen einzigen Augenblick zur Ruhe zu erübrigen. Ich konnte mich sehr leicht in meinen Berechnungen geirrt haben, es konnte ein unvorhergesehener Vorfall sich ereignen, der unverzüglich meine Thätigkeit in Anspruch nehmen würde, um Unglück zu verhüten. Indeß auch die kommenden Stunden boten mir wenig Aussicht zur Erholung, besonders, wenn der Mars bewohnt sein sollte und meine Ankunft dort nicht unbemerkt bliebe. Ich zog es daher vor, an einem Punkt zu landen, wo schon die Sonne unterging, wenn möglich auf der Spitze eines Berges, der nicht zu hoch wäre, damit ich gefahrlos von ihm hinabsteigen könnte, indeß doch hoch genug, um gar zu leichten Zugang Unberufener zu verhindern. Es mußte mir daran gelegen sein, zuförderst einige Ruhe zu finden und dann die Möglichkeit zu sehen, aus meinem Astronauten mit heiler Haut herauszukommen.

In der achtzehnten Stunde jenes Tages war ich nur noch 8000 Meilen vom Mars entfernt, und konnte ihn jetzt ganz genau als Welt erblicken; er hatte jetzt aufgehört für mich ein Stern zu sein, die Wasser erschienen weniger blau als grau, und ganze Erdflächen reflektirten ein Licht, halb gelb und halb orangefarben, woraus ich schloß, daß die Orangefarbe auf dem Mars das vorherrschende Colorit der Vegetation sein müßte, wie grün etwa bei uns auf der Erde.

Je näher ich herniederfuhr, je mehr ward diese Vermuthung zur Gewißheit. — Sogar der Schnee, der um die Pole lag, entbehrte nicht ganz jener gelben Nüancirung; er war zwar weiß, doch nicht von jener absoluten Weiße des Schnees auf Erden, der eher einen bläulichen Anflug hat, vielmehr von jener cremefarbenen Weiße, welche einen gleich geringen gelben Schimmer zeigt.

Endlich erblickte ich an der Küste oder richtiger an zwanzig Meilen von der Küste des größten Sees, südlich von dem Aequator, einen Punkt, welcher mir für meine Landung ausnehmend gut geeignet schien. Es war dies eine lange Gebirgskette von einer ungefähren Durchschnittshöhe bis zu 14,000 Fuß mit etwa zwei oder drei noch weit höheren Gipfeln, die eine wohl fünfzig Meilen breite Ebene von dem Meere trennte. Am Ende dieser langen Bergkette stand isolirt ein Berg, der mir, soviel ich durch das Teleskop erblicken konnte, aus seinem Gipfel Platz genug zur Landung bot und der zu gleicher Zeit, der Höhe des Berges und dem Aussehen nach zu schließen, unbewohnt war. Er machte ganz den Eindruck, als ob es allerdings nur weniger Stunden bedürfte, von ihm ins Thal hinabzusteigen, daß man jedoch wohl einen ganzen Tag sich mühen müßte, ihn empor zu klimmen. Hierhin richtete ich jetzt meinen Kurs, nicht ohne noch von Zeit zu Zeit nach den Symptomen menschlicher Bewohnung auszuschauen. Ich konnte bald den Lauf der Flüsse unterscheiden, die waldbekränzten Höhenzüge sehen, die weiten Thäler und die im Schmucke einer niedrigen, doch um so reicheren Vegetation prangenden Ebenen erblicken, aber noch vermochte ich nicht zu ergründen, ob es auf dem Planeten Häuser und Gebäude, Städte und bestellte Aecker gäbe.

Doch ehe ich meine Neugierde noch befriedigen konnte, sah ich mich auch schon gerade über der Spitze des erwähnten Berges, zwölf Meilen höchstens noch von ihm entfernt und dichter Abendnebel verhüllte bald die neue Welt vor meinen Augen. In einer Viertelstunde stieg ich auf sie nieder und landete ohne jeden Unfall auf dem Berge, wohl eine halbe Stunde nach dem Sonnenuntergange, über dessen genauen Zeitpunkt ich mich jedoch leicht geirrt haben mochte, da ich von demselben, des dichten Nebels wegen, natürlich nichts gewahren konnte.


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Kapitel 4
Eine neue Welt

Ich muß es mir versagen, alle die Gefühle zu beschreiben, welche auf mich einstürmten, als ich das vollständige Gelingen eines beispiellosen, kaum je geahnten Abenteuers vor mir sah. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß Eitelkeit und Selbstzufriedenheit sich kaum mit meiner Freude mischten. Mit Dank im Herzen für des Schicksals Walten gestand ich es mir ein, daß die Idee an sich nicht neu gewesen, daß Andere mir die Mittel dazu an die Hand gegeben, und daß jeder andere muthbeseelte Mann, der mein Geheimniß besessen, so gut wie ich die Fahrt vollführt hätte. Trotzdem erfüllte mich dies Unternehmen, das gewaltigste, das Menschen jemals ausgeführt, mit Stolz und Entzücken. All das, was Columbus einst gefühlt, als er den Fuß auf eine neue Hemisphäre setzte, das mußte ich jetzt zehnfach stark empfinden. Was ich so oft bei mir geträumt, war wahr geworden, ich hatte 40 Millionen Meilen im Weltenraume durcheilt und war auf einer neuen Welt gelandet. Doch der Gefahren, die meiner jetzt noch warteten, konnte ich vor innerem Jubel nicht gedenken, wenn sie mir auch verhältnißmäßig größer scheinen mußten, als alle jene, mit welchen Reisen durch CentralAfrika, durch das Innere Australiens und selbst Polarfahrten verknüpft zu sein pflegen.

Zuerst vermochte ich kaum zu essen und zu trinken, ich mußte aber selbstverständlich Beides thun. Wie leicht konnten nicht einen jeden Augenblick Gefahren mich umringen, die abzuwenden ich aller meiner Körperkräfte und meines ganzen Muthes bedurfte, die meine Nerven, meine Muskeln erquickt und frisch gekräftigt erheischten? Ich zwang mich daher zum Essen und versenkte mich durch Anthypnotismus in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als ich erwachte, war es acht Uhr nach meinem Chronometer, also wohl die fünfte Stunde nach Mitternacht des martialischen Meridians.

Der Schlaf hatte mir Appetit gebracht, ich schickte mich an, mein Frühstück zu bereiten und diese praktische Beschäftigung war sehr wohl angethan meine natürliche Erregung zu dämpfen. Meine erste Sorge war, nachdem ich Alles in Stand gesetzt hatte, um den Astronauten zu verlassen, sobald Tageslicht das Betreten so äußerst unbekannter Gegenden gestatten würde, den Charakter der Atmosphäre, die ich jetzt athmen sollte, zu untersuchen. Ob sie den nöthigen Sauerstoff enthielt? Und wenn so, war sie dicht genug, ein Leben wie das meine zu erhalten? Ich zog den Pflock aus jener röhrenartigen Oeffnung, durch welche ich die ExtraQuantität von Luft, welche der Astronaut enthielt, eingepumpt hatte, und brachte an seine Stelle eine bewegliche Klappe mit einem kleinen Loche derart an, daß es von jetztab möglich ward, den Luftzug nach Belieben zu reguliren. Aus der Schwierigkeit, welche diese einfache Arbeit bot, und dem ungeheuren Druck, mit dem die Luft im Astronauten nach außen drängte, ersah ich, daß die äußere Atmosphäre in der That sehr dünn sein müßte. Ich hatte das geahnt, die Schwere auf dem Mars ist noch nicht halb so groß, wie auf der Erde und folglich mußte auch die Ausdehnung der Atmosphäre auf dem kleineren Planeten geringer sein, als auf dem größeren. Ich war demnach sehr froh, als ich nach Allem schließlich doch einen Druck vorfand, wie er auf Erden in einer Höhe von 16,000 Fuß sich findet. Durch chemische Untersuchung gelang es mir bald, festzustellen, daß auch der Sauerstoff in gleichem Verhältniß vorhanden war, wie man ihn in der reinsten Luft irdischer Hochgebirge vorfindet. Das würde also Athem und Leben wohl gestatten, vorausgesetzt, daß der Uebergang aus der dichten in die dünnere Atmosphäre nicht gar zu plötzlich vor sich ginge. Daher beschloß ich ganz allmälig die Dichtigkeit meiner inneren Atmosphäre bis zu der Dünnigkeit der äußeren herabzumindern, und zu diesem Zwecke schloß ich die Klappe nur unvollständig. Alsbald ward durch ein lautes, schrilles Pfeifen die Stille rings herum gebrochen; die dichte, komprimirte Atmosphäre des Astronauten strömte aus und brachte so starken Zug hervor, daß meine armen Vögel ihre Federn sträubten und in Verzweiflung hin und herflatterten. Der Druckmesser fiel mit erstaunlicher Geschwindigkeit und bald hielt ich das Ausströmen der Luft ein wenig an und machte mich an die Auslösung des Fensters, durch welches ich auf Erden eingestiegen war, und durch welches ich jetzt wieder in eine neue Welt hinaustreten sollte. Ueber ein sehr leichtes FlanellUnterkleid zog ich alsdann ein feines, aber dicht aus Draht gewobenes Panzerhemd, das schon ein kalabrisches Stilet auf seinem mörderischen Wege aufgehalten und schon drei Karabinerkugeln machtlos von sich hatte abprallen lassen. Hierüber trug ich einen grauen Tuchanzug und über dicke, wollene Strümpfe zog ich starke Stiefel an, mich gegen Wind und Wetter, Sonnenschein und Frost zu schützen. Ehe die Dämmerung über meinem Astronauten anbrach, war es gelungen, den atmosphärischen Druck innen und außen anzugleichen. Nur wenige Minuten noch, dann entstieg ich meinem Schiffe und stand jetzt auf dem Gipfel des Berges, dessen Oberfläche ungefähr 200 Meter im Umfang maß. Der Nebel um mich herum schwand sichtlich, aber fünfhundert Fuß tiefer verhüllte er noch die ganze Scenerie. Von drei Seiten schien der Abstieg des jähen Abhangs wegen nicht gut möglich, doch auf der vierten Seite glaubte ich, unschwer einen Pfad nach unten finden zu können. Ich brachte von meinen Vögeln die kleineren und schwächeren in tragbaren Käfigen unter, nahm dann einen starken Kuckuk und

warf ihn von der steilen Höhe herunter. Zuerst fiel er wie ein Stein, doch ehe er noch im Nebel verschwand, sah ich voll Freude, wie er seine Schwingen hob und fähig war, zu fliegen. Als sich nach und nach der Nebel verzog, mußte ich an mein eigenes Hinuntergehen denken, und so ließ ich die größeren Vögel frei, von denen einige mir aber beständig folgten, und nahm die Käfige. Auf dem Rücken trug ich eine Luftbüchse, mit welcher ich, ohne zu laden, sechszehn Schüsse abgeben konnte, in meinem Gurte steckte, in einer Lederscheide wohl verwahrt, mein oft erprobtes, treues Schwert. Die ersten 1000 Fuß fand ich den Weg, wenn auch nicht sehr bequem, doch immerhin passabel; dort aber ward er durch eine gähnende mehrere hundert Fuß tiefe Felsspalte unterbrochen. Dafür eröffnete sich jetzt nach rechts hin ein sicherer und genügend gerader Abstieg. Die Sonne stand schon eine Stunde über dem Horizonte und der Nebel war völlig geschwunden. Bisher hatte ich indeß von animalem Leben kaum eine Spur gefunden — doch ja! ich hatte in einiger Entfernung zwei oder drei beflügelte Insektenschwärme, die keiner Abart glichen, die ich kannte, an mir vorüber schwirren sehen. Die Pflanzenwelt trug eine gelbe Farbe, die Blätter waren aber roth, doch manchmal weiß von jener cremefarbenem Tönung und einige auch mattgrün. Hier ließ ich nacheinander alle meine Vögel frei, die stärkeren und muthigeren flogen aufwärts und entschwanden bald meinen Blicken, die schwächeren aber, die von der dünnen Atmosphäre sichtbar litten, wollten die Käfige nicht verlassen.

Das Bild, welches sich jetzt meinen Augen bot, war neu und überaus auffallend. Der Himmel zeigte nicht die helle, himmelblaue Farbe, wie auf Erden, er wölbte sich mattgrün hoch über meinem Haupte. Er hatte jene grünliche Färbung, welche in den gemäßigteren Zonen der Erde der Untergang der Sonne nicht selten neben die vergoldeten und rosigen Wolken zaubert. Die Dünste, die noch am NordOst- und am SüdOstHorizonte hingen, doch von der steigenden Sonne bereits zerstreut wurden, erschienen weitaus goldiger und tiefer roth, als es die unserem irdischen Zwielicht eigenthümliche Färbung ist, und die Sonne selbst, mit bloßem Auge gesehen, erglänzte deutlich goldfarben, wie etwa bei uns der herbstliche Mond. Die ganze Landschaft, Himmel, Luft und Erde, erschien wie in goldenem Lichte gebadet, und sah wie eine irdische Sommerlandschaft aus, betrachtet durch ein Glas von gesättigt gelber Färbung. Aus alledem zog ich den Schluß, daß die Atmosphäre dieses Planeten die blauen Strahlen absorbirte und daß in Folge dessen das Sonnenlicht so entschieden gelb und orangefarben leuchtete. Dem kleinen Felsplateau, worauf ich stand lagen Ausläufer derselben Gebirgskette gegenüber; das Thal dazwischen war aber bis jetzt meinen Blicken noch entzogen. In weiter Ferne, es mochten mindestens fünf Meilen sein, sah ich eine weiße Bergspitze, deren Höhe ich auf 25,000 Fuß schätzte, und der Gipfel derselben war entschieden zerrissener und spitzer, als es die Gipfel der Berge auf der Erde sind. Und weiter hinter diesem erblickte ich zwei andere Spitzen, die noch beträchtlich höher waren, von denen ich aber natürlich nichts

weiter als die Gipfel sah. Diesseits von dem Centralberge zog sich ein schein

bar ununterbrochener Gebirgszug bis auf etwa drei Meilen zu mir herüber,

dessen Höhe an einigen Stellen wohl 20,000 meist aber nur 3000 Fuß mehr

als meine jetzige Höhe betragen mochte. Ewiger Schnee schien auf den Gip

feln dieses Höhenzuges zu lagern, doch sah man mehrfach gelbe Flächen

zwischen den Schneemassen; anscheinend eine niedrige, moosartige Vegetati

on, die noch inmitten des Schnees ihr Dasein fristen konnte. Den Fuß der

Berge schmückte röthlich und gelbes Laubwerk, und zwischen diesen Wäl

dern und der Schneeregion lagen weite Matten, wenn ich sie so nennen darf,

obgleich ich nichts erblickte, was unserem Gras auf Erden zu entsprechen

schien. Was ich vom Laubwerk schon gesehen hatte, gab mir die Ueberzeu

gung, daß hier die Blätter unseren einigermaßen ähnlich sind und größ

tentheils drei verschiedene Formen zeigen: die einen waren quadratisch, aber

an den Ecken abgerundet, die anderen oval, nach dem Stiele zu spitz verlau

fend und wieder andere schwertförmig, letztere von zwei Zoll bis zu vier Fuß

in der Länge, und alle waren kupferroth oder mattgelb gefärbt. Jedoch kein

einziges war so fein als unser Buchenblatt, kein Blatt war saftig oder fleischig,

nichts ähnelte der Fichtennadel, nichts schien dem Grashalm zu entsprechen.

Mein Pfad wand sich jetzt mit einer Senkung von eins zu acht, beständig

abwärts, sodaß ich dem Gebirge den Rücken zukehren mußte, während nach

vorn hin ein Felsenvorsprung die Aussicht verdeckte. Bald hatte ich diesen

auch erreicht, ich mußte um ihn herum klettern und war jetzt etwa noch

2000 Fuß vom Thal entfernt. Die Vögel waren alle fort geflogen, kein einzi

ger war mir treu geblieben. Doch ehe ich noch bis hierher gekommen war,

sah ich den ersten martialischen Vierfüßler. Es war ein kleines Thierchen,

von sandiggelber Farbe, nicht größer als ein Kaninchen und sprang und

hüpfte nach Weise unseres Känguruhs den steilen Abhang zu meiner Linken

nieder. Und jetzt erblickte mein Auge ein neues Zauberbild. Die weite Ebene,

anscheinend die Fortsetzung eines Thals, welches im Süden jenen Höhenzug

begrenzte, lag frei vor mir und breitete sich nach Nord und Ost unüberseh

bar aus, im Süden lag ein See, dessen Wasser, in dem sonderbaren schon

erwähnten Licht gebadet, so ruhig wie ein Spiegel schien, und aus dem Tha

le, nördlich von den Bergeshöhen, wand sich ein breiter Strom durch die

weite Ebene, bis er am Horizonte sich verlor. Ich sage Ebene, obgleich das

Land vor mir nicht völlig flach sondern bald wellenförmig bald hügelig war;

ich stand aber noch immer so hoch, daß mir dies alles flach und eben er

schien. Bald sah ich auch die Frage gelöst, ob der Planet von Menschen be

wohnt wäre, denn als ich mein Feldglas erhob, sah ich, die Windungen des

Stroms verfolgend, eine Straße, die zugleich auch als Damm zu dienen

schien, da sie erheblich höher als der Strom an dessen Ufern hinlief. Auch die

Ebene selbst mußte angebaut sein, denn hier und dort und überall erschienen

weite Flächen, die Einen gelblich grün, die anderen röthlich und tief roth

gefärbt und alle so rechtwinklig angelegt, daß sie auf Menschenfleiß und

Menschenhände schließen ließen. Indeß noch andere Züge bot das Bild, die jeden Zweifel schwinden ließen. Unmittelbar nach SüdOst hin, an zwanzig Meilen von meinem Standpunkte entfernt, da wo die See tief in das Land einschnitt, erblickte ich eine Anlage, die ohne jede Frage eine Stadt sein mußte. Befestigungen schienen sie nicht einzuringen und ob ich mich auch noch ziemlich weit entfernt befand, gewahrte ich doch schon, daß ihre Straßen breit, ihre Häuser aber niedrig waren und fast keines die Höhe irdischer Kirchen, Moscheen, Staatsgebäude oder Paläste zeigte. Sie waren sehr verschieden in der Farbe, doch alle Farben glänzten metallisch und auf dem Wasser in der Bucht meinte ich untrüglich Schiffe oder Flöße zu erblicken. Mir näher, und in gewissen Zwischenräumen über die ganze Ebene zerstreut, doch dichter um die Stadt herum, sah ich von Mauern umgebene Grundstücke, und in dem Centrum eines jeden war ein Bau, der kaum etwas Anderes als ein Wohnhaus sein konnte, obschon es offenbar nicht höher war, als zwölf bis vierzehn Fuß und über eine größere Fläche sich erstreckte, als in Europa oder selbst in Amerika ein ganzes Häuserquadrat einnimmt. Unten am Fuß des Berges, auf welchem ich stand, sah ich Gestalten sich bewegen und richtete auf sie mein Glas: es waren Thiere, Hausthiere höchst wahrscheinlich; denn sie streiften nicht weit umher und zeigten auch nicht jene ängstliche Wachsamkeit die den von Menschen nicht beschützten Thieren eigen ist. So stieg ich also doch in eine bewohnte Welt hinab, in eine Welt voll von Menschen, welche, so sehr sie auch im Aeußeren verschieden sein mochten, dennoch in ihren Sitten, Ideen, Bedürfnissen, Neigungen und Gefühlen dem Herrn der Erde ähneln mußten. Ja, ich stieg nieder in eine civilisirte Welt, ich kam, es war klar, zu einer Rasse, die unter einer Obrigkeit ihr Dasein führte, das Feld bestellte und sich die Thierwelt dienstbar machte.

Und immer tiefer kam ich herab und fand bei jedem Schritt Dinge, die mein Interesse und meine Neugierde erregten. Ein Baum, der höher als die meisten Stämme auf der Erde war, trug an dem Ende seiner Zweige große dunkelrothe Früchte, die eine Rinde, wie die Granatäpfel, und ungefähr die Größe einer Melone hatten. Ich pflückte eine derselben, die ich mit meiner Hand erreichen konnte, doch war es mir unmöglich die dünne, harte Rinde oder Schale ohne Hilfe eines Messers zu entfernen, und als ich sie geöffnet hatte, entströmte ihr ein rother, schmackhaft süßer Saft, der fast dem aus den Kirschen ausgepreßten Saft glich, nur daß er noch viel dunkler in der Farbe war. Als ich die Frucht genauer untersuchte, fand ich, daß sie durch Häutchen von wesentlich der Art der Rinde, natürlich dünner, eher zäh denn hart, in sechszehn Theile, fast ähnlich unseren Apfelsinen, getheilt war. In jedem einzelnen Segment war auch ein Samenkorn enthalten und in der Mitte waren sie, doch so, daß man sie sehr leicht trennen konnte, zusammengewachsen. Die Samenkerne hatten eine gelbe Farbe und ungefähr die Größe einer Mandel.

Einige andere, kleinere Früchte von gelblich rother Färbung schienen mir noch nicht die rechte Reife erlangt zu haben. So ging ich wohl an eine volle Meile durch diesen Wald, bis ich am Ende, immer abwärts strebend, auf einen Hain mit Bäumen anderer Gattung stieß. Zumeist sah ich hier kleinere Bäume mit langen, und nur verhältnißmäßig schmalen Blättern, deren Früchte, geschützt durch eine gleiche Hülle, bei ihrer reichen goldenen Farbe, unter all' den gelben Blättern nicht leicht sichtbar wurden; sie trugen nur einen einzigen festen Kern in Mandelgröße in sich, um den sich ein schwammiges und wohlschmeckendes Fleisch legte. Jetzt trat ich auch aus diesem Wald heraus und stand vor einem Graben, der ungefähr zweimal so breit, wie tief war. Auf Erden hätte ich ihn schwerlich überspringen können, hier aber fühlte ich mich bei der verminderten Schwerkraft so leicht und kräftig, daß ich einen kurzen Anlauf nahm und zu meiner eigenen größten Ueberraschung fast eine volle Elle noch über den Rand des Grabens hinaussprang. Jetzt stand ich augenscheinlich auf einem angebauten Felde, auf dem rothe, fast einen Fuß hohe Pflanzen wuchsen, und weithin den ganzen Boden mit breiten lorbeerartigen Blättern bedeckten, die auch in der Farbe dem verwelkten Lorbeerblatte ähnelten, indeß ohne den bitteren Geschmack wie jener zu besitzen. Noch weiterhin erblickte ich ein halbes Dutzend Thiere, welche mir zuerst antilopenähnlich erschienen, beim zweiten Blicke aber mich noch mehr an das sagenhafte Einhorn erinnerten. Das Horn war sicherlich acht Zoll lang, gewaltig scharf und fest wie Elfenbein, aber carminroth und cremeweiß gesprenkelt; ihr Fell war sahnenfarben mit dunkelrothen Flecken und ihre Ohren groß und schlaff herabhängend. Die Thiere sahen auf mich zuerst sehr gleichgültig, dann aber schienen sie erschreckt und sprangen fort, wie wenn ihnen in meiner Erscheinung erst nach näherer Prüfung etwas ungewöhntes aufgefallen wäre und sie ganz ebenso erschreckt hätte, wie bei uns auch die zahmsten Hausthiere vor einem ungewohnten Anblick zu scheuen pflegen. Es fiel mir auf, daß alle Weibchen waren und aus ihren abnorm großen Eutern schloß ich dann, daß sie wohl behufs der Milchgewinnung gehalten werden dürften. Da es mir nicht gelang, einen Weg von hier aus durch das Feld zu finden, so ging ich geradezu und gab mir Mühe, möglichst wenig zu zertreten.

Noch eine kurze Spanne Zeit, und unter meine Augen trat der Gegenstand meines höchsten Interesses, von dessen Dasein freilich schon Alles, was ich bis jetzt gesehen hatte, Zeugniß gab. Jawohl, das war, ein Zweifel konnte nicht obwalten, das war ein Mensch! jedoch ein Mensch von weitaus kleinerem und schwächerem Körperbau als die Menschen der Erde. Er schaute vor sich hin, wie wenn in tiefe Träumerei versunken und sah mich erst, als ich ihm schon ganz nahe gekommen war, sodaß ich vollauf Zeit hatte, die Eigentümlichkeiten seiner Figur und Erscheinung zu bemerken. Er war vielleicht acht oder neun Zoll über vier Fuß hoch, und seine Beine schienen im Verhältniß zu der Länge und Breite seines Körpers sehr kurz zu sein, was daher rührte, daß die Brust weit länger und breiter als die der irdischen Menschen war; sonst aber ähnelte er auffallend dem Typus der blonden arischen Rassen, etwa der deutschen oder der Schweden. Sein gelbes Haupt- und Barthaar trug er kurz verschnitten und sein Anzug bestand aus einer Art von Blouse uud kurzen Hosen einem feingewebten scharlachfarbenen Stoffe. Eine Art von Turban schützte sein Haupt gegen die Gluthstrahlen der äquatorialen Sonne, und von dem Turban fiel ein Schleier über Nacken und Stirn herunter. An den bloßen Füßen trug er Sandalen aus einem leicht biegsamen Stoffe, die gerade nur die Zehen bedeckten und um den Knöchel durch einen Riemen festgehalten wurden. Er führte keine Waffe bei sich, nicht einmal einen Stab oder Stock, und ich hatte also keinen Angriff von seiner Seite zu befürchten. Als er meiner ansichtig ward, fuhr er erschreckt zusammen und wandte sich zur Flucht, aber die Stärke und Länge meiner Glieder gab mir in dieser Hinsicht über ihn den Vortheil und in einem Augenblicke hatte ich den Marsbewohner eingeholt, legte meine Hand auf seine Schulter und hielt ihn fest.

Er blickte zu mir auf und betrachtete mich mit ernsthaft forschender Neugierde. Dann zog ich aus meiner Tasche ein Juwel von köstlicher Arbeit, einen Schmetterling aus Perlen, Rubinen und Türkisen auf einem Zweig aus Smaragd, den er jedoch ohne alles Staunen und Interesse ansah. Dann holte ich eine kleine reich verzierte Uhr, ein wahres Kleinod hervor. Auch diese sah er an, ohne daß der äußere Schmuck seine Aufmerksamkeit zu erwecken vermochte, als ich aber die Uhr öffnete, betrachtete er ihren Bau und die Bewegung ihrer Räder mit offenbarem Interesse. Dann legte ich sie in seine Hand und suchte durch Zeichen ihm verständlich zu machen, daß er die Uhr behalten könnte, daß ich indeß als Gegendienst verlangte von ihm nach jenen fernen Häusern hingeführt zu werden, wozu er willig sich bereit fand; ich hörte ihn zwei oder drei Mal einige Worte sagen, »r'moahel« (woher, wo, was?) die ich damals natürlich noch nicht verstand. Ich schüttelte als Antwort meinen Kopf, doch damit er mich nicht etwa für stumm hielte, antwortete ich ihm lateinisch. Der Ton meiner Worte schien ihn aufs Höchste zu überraschen und als ich fortfuhr, in dieser Sprache zu sprechen, — ich that es nur, um ihm zu zeigen, daß ich auch sprechen könnte, — bemerkte ich, daß seine Verwunderung ständig wuchs. Erst schien er sich zu fürchten, dann aber begann er ärgerlich zu werden und auszusehen, als ob er glaubte, ich wollte ihn zum Narren halten. Dann zeigte ich auf den Himmel, ich zeigte auf den Berg, von dem ich niedergestiegen, und auf den Weg, den ich zurückgelegt, mit lauten Worten meine Zeichensprache begleitend. Ich meinte erst, er hätte sie verstanden doch war dem wirklich so, schien sie in ihm ungläubige Entrüstung wachzurufen, auf seinem Antlitz wenigstens vermochte ich nur Verachtung und eine Art von Aerger zu lesen; kurz, ich sah bald die Erfolglosigkeit und den geringen Nutzen meines weiteren Gespräches ein und hielt ihn deshalb ruhig bei seiner Hand fest, ließ mich von ihm führen und schaute mir die Gegend an, durch die wir gingen. Die niederen Bergabhänge vor uns schienen in weite Felder abgetheilt zu sein, ein jedes durfte wohl an hundert Morgen groß sein und war durch einen Graben von dem benachbarten getrennt. Wir selbst verfolgten einen sechs Fuß breiten Pfad, der sich dammartig zwei oder drei Fuß hoch über die Fläche der Felder erhob und aus einer harten, glatten Masse bestand. Ueber jeden Graben führte eine Bohlenbrücke, in deren Mitte sich ein kurzer Pfahl befand, den wir mit Leichtigkeit umgehen konnten, während er einem jeden vierfüßigen Thiere das Passiren unmöglich machen mußte. Feldfrüchte gab es von den mannigfachsten Gattungen und alle standen herrlich, frei von Unkraut. Die meisten zeigten diese oder jene Frucht, oft kürbisrunde Kugeln an geraden Stengeln, oft Büschel oder Trauben einer Art von Nuß, an einem dem Weine ähnlichen, am Boden kriechenden Gewächs und manchmal fleischige Früchte, die in der Größe einer Apfelsine auf einer steifen, fast rohrartigen Staude wuchsen. Ein Feld war unbestellt; es war gegraben, aufgelockert, so sorgfältig, so wie ein wohlgepflegtes Blumenbeet. Hier sah ich eine ganze Reihe Vögel und nahm bald wahr, obgleich ich kaum Zeit und Ruhe hatte, sie genau zu mustern, daß sie im Aussehen von unseren irdischen Vögeln ganz verschieden waren. Fast doppelt so groß als wie unsere Krähen und mit mindestens eben so starken, aber viel längeren Schnäbeln, bewegten sie sich in einer wunderbar geraden über das ganze Feld sich hinziehenden Reihe und bohrten beständig den Schnabel in den Boden, wie wenn sie Maden suchten oder Würmer, ohne sich durch unsere Gegenwart in ihrer Beschäftigung stören zu lassen. Ein noch seltsameres Bild, bot sich mir auf dem nächsten Felde dar. Hier wuchsen kürbisartige Köpfe an geraden rohrartigen Stämmen und zwischen ihnen sah ich ein halb Schock Wesen sich bewegen, die Purpurfrüchte zu pflügen und zu sammeln, dieselben sorgfältig aus der großen Zahl der scharlachfarbenen, noch unreifen Früchte heraussuchend. Anfangs glaubte ich, nach der Beschäftigung und dem Benehmen urtheilend, menschliche Wesen zu erblicken: doch als wir näher kamen, bemerkte ich, daß sie nur halb so groß, wie mein Gefährte, dicht mit Haaren bewachsen und mit einem buschigen Schwanz versehen waren, den sie, um nicht den Boden damit zu berühren, sorgfältig hoch erhoben trugen. An Größe und Gestalt sowie der Bewegungsweise und Gelenkigkeit ihrer Glieder glichen sie sehr unseren Affen, in anderer Hinsicht aber noch weit mehr etwa einem gigantischen Eichhörnchen. Die Stengel der Früchte, die sie pflückten, hielten sie in ihrem Munde und füllten große Säcke mit ihrer Ernte: aus ihrer ganzen Art und Weise, in der sie arbeiteten, ward es mir klar, daß ihre Hand des Daumens entbehrte und deshalb wie des Eichhorns Pfote, einen Gegenstand ganz umfassen mußte, um ihn greifen zu können. Ich zeigte auf sie hin und fragte meinen Begleiter, was das für Wesen wären?

»Ambau,« antwortete er gleichgültig. Die Regelmäßigkeit ihrer Beschäftigung und ihre Furchtlosigkeit zeigte mir, daß diese Wesen, ebenso wie die Vögel, von denen ich gesprochen habe, Hausthiere sein mußten, deren natürlichen Instinkt der Mensch zu jenen Arbeiten sich dienstbar gemacht hatte.

Nach einigen Minuten kam eine regelrechte Straße in Sicht, die ziemlich in rechtwinkliger Richtung zu jener an dem Strom hinlief. Sie bestand aus derselben cementartigen Masse wie der Pfad und war etwa vierzig Schritte breit, in ihrer Mitte aber lief ein um vier Zoll höher aufgedämmter, fast den vierten Theil der ganzen Straße einnehmender Weg für die Fußgänger dahin, und auf den niedrigeren Bahnen zu beiden Seiten desselben sah ich von Zeit zu Zeit leichte Gefährte mit drei Rädern, eins vorn, die beiden größeren hinten, aus einem glänzenden Metalle gefertigt und mit einem Sitz und einem SteuerApparate versehen, mit reißender Geschwindigkeit an uns vorübersausen. Mir fiel dabei unser Velociped ein, gleich sie, wie ich deutlich wahrnahm, nicht durch irgend eine Anstrengung der Fahrenden fortgetrieben wurden, und auch bezüglich ihrer Schnelligkeit unsere Velocipede unendlich übertrafen. Sie fuhren viel schneller als unsere Eilpost, wohl vierzehn, fünfzehn englische Meilen in der Stunde und etwaige Zusammenstöße waren dadurch absolut unmöglich gemacht, daß sich auf jedem der beiden schon beschriebenen Wege nur die in gleicher Richtung fahrenden Wagen bewegten. Vorsichtig überschritten wir die Straße und stießen jetzt auf eine Anzahl kleiner Häuser, die wohl zwanzig Fuß im Geviert messen mochten, jedes inmitten eines von einem Graben umzogenen Gartens stehend und einige von ihnen mit zwei hinteren Seitenflügeln, die etwas niedriger als das eigentliche Haus waren. In der Mitte eines jeden Hauses und wo Seitenflügel waren auch an deren Enden, sah ich zwölf Fuß hohe aus einem durchsichtigen Material gefertigte Thüren, welche in der Höhe von etwa sechs Fuß über dem Boden eine kaum wahrnehmbare Linie theilte, die ich erst wahrnahm, als sich eine dieser unteren Thürhälften öffnete und aus ihr eine meinem Begleiter vollkommen ähnelnde Gestalt heraustrat.

Inzwischen waren wir an einen Weg gelangt, der augenscheinlich zu den größeren Häusern führte und gingen nun auf dem erhöhten Mittelweg dieser Straße weiter, bereits von einem halben Dutzend Menschen aus den umliegenden Gehöften gefolgt, die bald auf einen Ruf meines Begleiters uns dicht umringten und so neue Schaaren Neugieriger heranzogen. Da drehte ich mich um, nahm meine Büchse von meinem Rücken und schwang sie in der Luft, um ihnen deutlich zu machen, daß sie sich nicht zu nahe an mich heranwagen sollten, denn ihre Haltung begann mir, wenn auch nicht gerade feindlich, so doch keineswegs freundlich zu erscheinen. So umlagert und umgeben, zog ich meilenweit meines Weges bis zu den größeren bereits erwähnten Wohnstätten. Den Grund und Boden eines jeden dieser Häuser umringten etwa 8 Fuß hohe, schmutzigfarbene Mauern, die sehr verschieden in der Größe von 6 bis 60 Acker Land umspannten: die Häuser selbst, deren freundliches Aeußere zum Eindruck, den die Mauer machte, sehr günstig kontrastirte, hatten größtentheils eine Höhe von 12 Fuß und maßen im Quadrate 100, ja selbst 400 Fuß. Auf ihren flachen, von kleinen Brustwehren geschützten Dächern erschienen mehr und andere Menschen und alle in der Größe meines ersten Freundes, erstaunt, verwundert und durch meinen Anblick nicht wenig aufgeregt. Verschiedenfach erblickte ich anders angezogene Gruppen von kleineren und schwächeren Gestalten: sie trugen lange Haare und standen auf dem entfernteren Theil des Daches; sobald sie von den Vornanstehenden gesehen wurden, versuchten diese jene hinteren Gestalten durch Handbewegung und durch Drohen zum Rückzug zu ermahnen; kurz ich vermuthete in jenen Wesen die ersten Weiber auf dem Planeten zu erblicken.

Und bald erschienen zwei oder drei reicher und bunter gekleidete Männer, als ich bisher gesehen hatte, auf der Straße. Ich ging auf dieselben zu und sprach sie an, ich zeigte auf den Himmel, um sie, wenn möglich, durch die Geberden meine Reise ahnen zu lassen; zu gleicher Zeit hielt ich ihnen eine Uhr vor ihre Augen, die etwas größer war, als die bereits verschenkte: ich glaubte, auch jene Männer durch dieses Mittel günstiger zu stimmen. Indeß man kehrte sich an mich und meine Worte wenig und als ich meine Gesten wiederholte, warf einer seinen Kopf in seinen Nacken mit verächtlichem Blicke und ließ in einem stolzen, scharfen Tone einige Worte fallen. Dieselben waren kaum verklungen, als ich die ganze Rotte auf mich losstürzen sah, um mich niederwerfen. Doch darauf war ich lange vorbereitet: ich schlug nach rechts und links mit meiner Büchse, — denn nur im Fall der höchsten Noth war ich entschlossen, Blut zu vergießen — und es gelang mir bald, rund um mich Luft zu schaffen, während ich meinen ersten Gefährten mit der Linken instinktiv fest packte, weil seine Nähe in irgend einer Weise, dachte ich, mich selber schützen könnte. Ein Ruf vom Haupte meiner Widersacher ward von dem Dache eines Nachbarhauses laut erwidert. Ich hörte ein Zischen in der Luft und plötzlich sah ich ein Etwas sich auf mich stürzen und fühlte es meinen linken Arm umschlingen. Das Thier glich auffallend einer Schlange, doch trug der schlanke Hals, der auf verhältnißmäßig breiten Schultern ruhte, einen Kopf, der eher, möchte ich sagen, dem Kopfe eines Vogels als dem einer Schlange glich. Es hatte einen scharfen, spitzen aber kurzen Schnabel und war, was noch die Seltsamkeit der ganzen Erscheinung sehr erhöhte, beflügelt. Ich fühlte instinktiv, daß es mich mit seinem Stachel zwischen Schweif und Schultern stechen wollte, ich fühlte plötzlich ein Beben durch den ganzen Körper fahren, es war, als ob die linke Hand, welche noch frei war, einen heftigen Schlag erhielte, der sie momentan vollständig lähmte, dann packte ich das Ungeheuer bei dem Nacken und schleuderte es mit Aufbietung aller meiner Kräfte gerade in das Antlitz des Führers meiner Widersacher, der alsobald mit einem lautem Schreckensschrei zu Boden stürzte. Zufällig schaute ich nach der Richtung hin, aus welcher dieser gefährliche Feind gekommen war, und plötzlich sah ich ein anderes Ungethüm durch die Lüfte auf mich losschießen. Kein Augenblick war zu verlieren. Ich ließ die Büchse fallen, ließ meinen Führer los und warf ihn nieder, griff nach dem Schwerte und spießte in demselben Augenblick den Drachen, der mir Verderben bringen sollte, auf, durchbohrte ihm den Nacken. Inzwischen hatte sich der Führer meiner Feinde von seinem Schrei erholt und seine Geistesgegenwart wiedergefunden. Ich hörte, wie er laut und lange zu jenem Menschen, der die Drachen losließ, sprach; ich sah den letzteren verschwinden und auch die Gruppe, die mich umringte, sich zerstreuen: ich merkte, daß man hier etwas im Schilde führte und packte aus der Menge zwei und hielt sie fest; ich hatte wohl daran gethan; denn unverzüglich kam auch der Eigenthümer jener Ungeheuer wieder mit einer feldschlangenartigen Waffe. Er zielte auf mich hin, ich sah mich einer unberechenbaren Gefahr ausgesetzt und unwillkürlich hob ich mit beiden Händen die Gefangenen, die ich festhielt, hoch, wie wenn ich sie als Schild benützen wollte. Das schreckte meine Feinde, sie waren für einen Augenblick sichtlich unschlüssig. Glücklicherweise bedrohte ihre neue Waffe ein jedes Leben, das mir nahe war, so gut wie meines, mit dem Tode; das wurde meine Rettung, da deshalb Niemand in der Nähe mich anzugreifen wagte. In diesem kritischen Augenblick trat aus der Gruppe, die einige Ellen von mir entfernt stand, eine offenbar vornehmere Persönlichkeit. Er trug einen langen, smaragdgrünen Rock und Hosen von derselben Farbe und um den Leib einen Gürtel aus rothem Metall. Auf Erden hätte ich ihn für einen frischen und gesunden Herrn in den fünfziger Jahren gehalten; er war zwei Zoll unter fünf Fuß groß, doch immerhin als Mann von mittlerer Größe wohl proportionirt. In seinem Benehmen fiel mir Ruhe und würdevolle Haltung auf und seine Sprache schien Gehorsam zu verlangen. Er sagte einige kurze Worte, wie mir dünkte, in sehr entschiedenem Tone, zu jenem Manne, der immer noch die Waffe gegen mich gerichtet hielt, dann hieß er das Volk durch eine einfache und stolze Handbewegung sich still zu verhalten und zurückzuziehen, schritt auf mich zu und sah mir fest und fragend in die Augen. — Da ich mir selber sagen mußte, daß ich in wenigen Minuten das Opfer meiner Feinde werden dürfte und mir nur dann eine Aussicht zur Rettung übrig blieb, wenn ich mein Leben unter den Schutz eines persönlichen Protektors stellen könnte, so ließ ich mich, als jener Mann furchtlos die Hand auf meinen Arm legte, obgleich ich ihn mit einem einzigen Streiche hätte niederschmettern können, widerstandslos von ihm entwaffnen und ward gutwillig sein Gefangener. Er nahm mich bei der linken Hand und führte mich ruhig durch die unwillige, unzufriedene, jedoch gehorsam vor ihm zurückweichende Menge.

Er führte mich wohl eine halbe Meile weit, bis wir vor die Krystallpforte einer ausnehmend großen Wohnstätte anlangten. Die Pforte und Mauern derselben waren rosenfarben; dann gingen wir durch einen Park, durch einen Obstbaumgarten hin über Rasen und durch Blumenbeete zu der Terrasse, auf welcher das Wohnhaus stand. Es hatte 8 oder 9 Krystallthüren oder Fenster in der Front und in der Mitte eine größere Thür; die that sich auf, sobald wir vor ihr standen, doch ohne sich in ihren Angeln umzudrehen; sie theilte sich und glitt nach rechts und links hin in die Mauern. Wir traten ein, die Thüre schloß sich hinter uns, wie sie sich aufgethan, und wie ich mich jetzt wandte, vermochte ich zu meinem größten Staunen, obgleich ich doch von außen nicht durch die Thür nach innen hatte schauen können, den ganzen Garten wie durch das feinste Glas zu überblicken. Das Zimmer, in welchem ich mich jetzt befand, hatte hellsmaragdgrün glänzende Wände, deren Oberflächen kunstvolle Basreliefs bedeckten; sie war durch goldblätterige, gelbe und cremefarbene Blüthen tragende Schlinggewächse in Felder eingetheilt, von welchen ein jedes Feld, von unten bis nach oben, eine Reihe verschiedener Scenen darstellte. Drei oder vier Thüren waren in den Wänden; sie gingen von dem Boden bis zur Decke hinauf, hatten gleiche Farbe, wie die Wände und schienen aus demselben Material hergestellt, wie jene. Durch eine dieser Thüren gingen wir hinaus und kamen jetzt auf einen der Front des Hauses paralellen Korridor; wir gingen ihn entlang und standen bald vor einer anderen Thür zu unserer Rechten, durch welche ich in ein dem ersten ähnliches, doch kleineres, etwa zwanzig Fuß breites und fünfundzwanzig Fuß langes Gemach von meinem Wirthe eingeführt wurde. Das Fenster, wenn ich es anders so benennen kann, obgleich es einfach eine andere Thür gewesen war, ging auf einen großen Blumengarten hinaus, an dessen Ende wieder andere Gebäude standen. Die Wände aber waren gelb in diesem Zimmer und hatten eben jenen schon erwähnten, edelsteinartigen Glanz.

In zwei Ecken des Zimmers lagen unzählige mit Gold und Silber reichgestickte Kissen, wie Eiderdaunen fein und weich, in jeder Größe und in allen Formen, und Tische, anscheinend aus Metall, in himmelblauer, silberner und goldener Farbe, und luxuriöse Stühle aus Metall in allen Formen, doch meistens lehnstuhlartig, standen in gefälliger Anordnung umher. In der linken Ecke war ein Wandschrein, der, wie mein Wirth mir zeigte, ein Bad und sonstiges Zubehör verbarg. Die Badeinrichtung bestand aus einem fünf Fuß tiefen Cylinder von zwei Fuß Durchmesser mit dünnen Doppelwänden. Zwischen den Wänden befand sich ein Apparat mit kleinen Röhren und wenn man in dem Bade eine Feder drückte, wie mein Beschützer mir es vormachte, drangen unzählige Strahlen parfümirten Wassers von allen Seiten auf den Badenden ein.

Dann führte mich mein Wirth zu jenen Kissen, lud mich zum Niedersitzen ein und setzte sich zu mir. Er sah mir noch einmal mit Festigkeit und Ernst in mein Gesicht, doch ohne daß sein Blick Zudringlichkeit und Neugierde, noch weniger aber Drohungen verrieth. Es war, als ob er den Charakter und die Gedanken seines Gastes lesen wollte und seine Forschung schien ihn zu befriedigen. Er streckte seine linke Hand aus und ergriff die Meinige; er nahm und legte sie an sein Herz, ließ meine Hand dann los, um jetzt die Seine an meine Brust zu legen. Er sprach zu mir: ich konnte seine Worte nicht verstehen, doch schien der Ton ein fragender zu sein, und, wenn er fragte, dünkte mir die Frage, woher ich käme, die einzige, natürliche zu sein. Ich suchte also wiederum, mich ihm durch Zeigen auf den Himmel verständlich zu machen. Jedoch ich wußte nicht, ob er verstand, ob er mir glaubte oder zweifelte; da fiel mir ein, mein Abenteuer durch eine Zeichnung ihm zu erklären; denn daß die Zeichenkunst hier auf dem Mars in nicht geringer Blüthe stehen mußte, das hatten mir die Basreliefs gezeigt. Ich malte also einen Globus nieder, welcher die Erde repräsentiren sollte, entwarf ihre Laufbahn um die Sonne und zeichnete nicht zu fern davon einen Halbmond nieder, nicht ohne ihm den Weg desselben um die Erde anzugeben. Mein Wirth verstand mich offenbar erst dann genau, als ich die Form der Erde ihm auch in einem solchen Halbmond malte, wie ihn die Erde dem Mars zumeist zu zeigen pflegt. Und schließlich schien mein Beschützer mich wirklich zu verstehen, nachdem ich ihm verschiedene Episoden von Anfang bis zu Ende meiner Reise vorgezeichnet hatte; ob er mir aber Glauben schenkte, konnte ich nicht ersehen. Er gab mir zu verstehen, auf meinem Platze zu bleiben, indeß er selbst aufstand und aus dem Zimmer sich entfernte. In wenigen Minuten kehrte er zurück, gefolgt von einem jener kuriosen rieseneichhornartigen Thiere, die ich schon vorher in den Feldern bei der Arbeit sah. Trotzdem sie, wie ich damals recht vermuthet hatte, an ihren Pfoten oder Händen einen Daumen nicht besaßen, hatte man die Thiere dennoch zum Tragen abgerichtet. Von jedem Handgelenk des Thieres hing eine kleine Kette nieder, und an den Ketten war ein Tragebrett befestigt, auf welchem Früchte und kleine Laibe von verschiedenartigen Speisen aufgeschichtet waren. Mein Wirth nahm eines, schnitt es mit einem silbernen Messer auf, griff dann zu einer Frucht, kostete beides und schob die Speisen mir zum Essen zu; das aufwartende Geschöpf stellte das Brett auf einen Tisch, machte die Ketten los und zog sich dann zurück.

Die Gerichte, die mir vorgesetzt waren, hatten in der That einen köstlichen Geschmack. Mein Gastgeber zeigte mir, wie man geschickt die hartschaligen Früchte öffnen müsse, um zu dem wunderbar schmackhaften Safte zu gelangen, und als ich meine Mahlzeit jetzt beendet hatte, pfiff er und alsobald erschien der seltsame Bediente wieder, um abzuräumen und die Reste fortzutragen. Sein Herr sprach zu ihm einige Worte, deutlich und klar, die er noch einmal wiederholte, es war, als ob er ihm einen Befehl ertheilte. Das Thierchen nickte mit dem Kopfe, es zeigte offenbar damit, den Sinn der Worte aufgefaßt zu haben, dann ging es fort und kehrte wieder mit einer Art von Feder oder Bleistift, in einem Wort, mit Material zum Schreiben, sowie mit einem silberartigen, seltsam geformten Kasten. Es war, als ob ein Mundstück in dasselbe eingefügt gewesen wäre; dann hörte ich meinen Wirth deutlich artikulirte Laute in dasselbe sprechen. Es waren zwölf verschiedene Laute, die wie ich späterhin erfuhr, die zwölf Vokale der Sprache des Marsplaneten waren; bald fuhr er fort, in jenes Instrument hineinzusprechen, er sagte wohl an vierzig ganz verschiedene Laute her und endlich zog er aus der Rückseite des Kastens einen Streifen aus einem Stoffe, der wie ein Goldblatt aussah, vor. Auf diesem Streifen standen, geschrieben in hochrother Schrift, ebensoviel gebogene, gewundene und eckige Schriftzeichen, auf die mein Wirth der Reihe nach, indem er jene schon einmal gesprochenen Laute wiederholte, hinzeigte. Ich verstand, daß jene Zeichen die Laute, die er in das Instrument gesprochen hatte, vorstellen sollten. Als mir dies klar geworden war, nahm ich aus meiner Tasche einen Bleistift und setzte unter ein jedes Zeichen den in dem Römischen Alphabet ihm entsprechenden Buchstaben; wo aber in dem Römischen Alphabet derselbe fehlte, suchte ich ihn mir aus einigen anderen Arischen Sprachen zu ersetzen.

Mein Freund sah sichtlich mit Interesse auf meine Arbeit hin und nickte wie zum Beifall mit dem Kopfe. So hatte ich denn vor meinen Augen das Alphabet der Marsbewohner; kein eigenmächtiges und willkürliches, sondern ein Alphabet, in dem die Lettern das unmittelbare Product der ausgesprochenen Laute selbst waren. Der Laut ward aufgefangen von der kunstvollen Maschine und von der Luftschwingung gezeichnet, ja selbst die Stimme, der Accent, die Laune und das Geschlecht des Sprechenden ward durch den Phonographen deutlich angegeben. Das Instrument schrieb eine andere Handschrift, so zu sagen, wenn Esmo, dies ist der Name meines Wirthes, gesprochen hatte, als wenn ich selber sprach.

Nach dieser Beschäftigung erhob er sich, ging auf das Fenster zu, öffnete es und führte mich in den inneren Garten, der, wie ich es vermuthet hatte, eine Art von CentralHof war, um welchen das Haus erbaut worden.

Der Bau des Hauses war derartig, daß durch die Galerie, von welcher ich bereits gesprochen habe, dasselbe in einen Vordertheil und einen Hintertheil getrennt wurde. Die Zimmer in dem ersten Theile hatten alle jene Aussicht des Saales, den ich erst betreten hatte, die anderen aber gingen nach dem Peristyl oder den inneren Garten hinaus und hinter jenen erst lag eine Reihe von Gemächern, welche für den Aufenthalt der Damen und der Kinder des Hauses eingerichtet waren. — An beiden Seiten des mit dem durchsichtigen Material der beiden Fenster gedeckten Hofes befanden sich die Vorratskammern, sowie die Räumlichkeiten für die zum Dienst für Haus und Feld gehaltenen Thiere. Durch breite und bequeme Wege ward der Hof in vier verschiedene Gärten eingetheilt, in deren Mitte sich Springbrunnen, sowie Bassins befanden, gefüllt mit wunderbar gestalteten, in bunten, zauberischen Farben schillernden Fischen. In den mit einer Art von dichtem, smaragd- und gold- und purpurfarbenem Rasen angepflanzten Gärten prangten zahllos kreis, stern- und halbmondförmige Beete mit großen und mit kleinen, vielfarbigen, wunderbaren, doch meistens wie Gold und Silber glänzenden Blumen und Gewächsen. Und jede Ecke eines Gartens zierten Silberpfeiler, um welche Schlinggewächse mit Blättern und mit Blüthen voller Pracht und seltener Schönheit sich hochrankten, um sich gleichsam zu einem Bogen über uns zu wölben. Und in dem Mittelpunkt des Hofes, da, wo die vier Hauptpfade der Gärten einander kreuzten, lagen auf fein gewobenen Teppichen kostbare reiche Kissen und auf den Kissen, zur Ruhe zurückgelehnt, verschiedene Frauen, die sich beim Eintritt des Hauptes der Familie in den Garten schnell erhoben. Die eine Dame, aus deren Wesen ich die Herrin, deren Aehnlichkeit mit einigen jüngeren Frauen, ich die Mutter der Familie zu erkennen glaubte, trug auf dem Kopfe eine Art von leichter goldener Haube, von welcher aus ein rother Schleier sowohl zur Zierde als zum Schutze gegen die heißen Sonnenstrahlen herabfiel und Kopf und Hals und halb den Busen noch verhüllte, jedoch das Antlitz theilweis frei ließ. Die Kleidung der Damen war mit einigem Unterschied der Farben, so ziemlich gleichartig. Die Unterkleider, die sie trugen, mußten sehr dünn, sehr fein und wenige gewesen sein; sichtbar von ihnen waren nur die Aermel, die offenbar aus einem unendlich zarten Stoffe waren, dem allerfeinsten Pariser Ziegenleder nicht unähnlich, doch tausendfältig feiner und dünner noch als jenes. Hierüber trugen sie ein Kleid fast ohne Schnitt, welches sich jedoch dicht und fest an den Körper anschmiegte und den Wuchs der Trägerin getreu verrieth. Das fast bis auf den Fuß hinwallende, durch einen Gürtel in der Taille aufgeschürzte, durch breite Bänder und kostbare Spangen an den Schultern festgehaltene Kleid ließ Hals und Schulter und halb den Busen unbedeckt. Trotzdem erschien die Kleidung mit Hilfe des den Kopf entweder ganz verhüllenden oder in zwei dichten Mousselinwolken vom Haupte niederfallenden Schleiers stets züchtig, und züchtiger und weit dezenter, als Ballausschnitte europäischer Franen und Jungfrauen. Die bloßen Füße trugen kostbare Sandalen mit einer reich gestickten Sammethülle für die Zehen und ihre Knöchel schmückten Spangen aus schwerem Silber.

Die älteste Dame trug eine mattgrüne Robe aus einem feinen, scheinbar seidenartigen Gewebe, die jüngeren gingen gelb und trugen auf dem Kopfe einen Silberschmuck. Sie waren ganz in ihren dichten Schleier eingehüllt, der nur die Augen frei ließ, um zu sehen. Die Aermel ihrer Kleidung gingen bis zum Handgelenk hinunter und endeten in feinen Handschuhen aus demselben Stoffe. Zwei junge Mädchen waren mit weißer Gaze angethan und weiße Gazeschleier wallten, von einem leichten Silberkrönchen festgehalten, zu beiden Seiten ihres Köpfchens nieder, ihr Arm war bloß bis fast hinauf zur Schulter, ihr heiteres, frohes Antlitz, ihr langes, aufgelöstes, mit Silberspangen und Silberbändern zusammengehaltenes Haar war völlig unbedeckt.

»Ein Mädchen,« sagt der Martiale, »mag ihre Reize auszustellen suchen, die Schönheit einer Frau gehört dem Manne nur allein.« Das eine jener jungen Mädchen, der Töchter meines Wirthes, hatte selten reiches, wunderbares, volles, seidenweiches, sichtlich vom Vater ererbtes braunes Haar, das aber in einigen Flechten, anders, ich möchte beinahe sagen, goldig roth erglänzte. Das tiefe, veilchenblaue Auge umschatteten so dichte Wimpern, daß wenn das Mädchen ihre Augenlider schloß, die Wimpern einen großen, breiten, schwarzen Bogen auf ihre beiden Wangen zauberten. Die anderen Mädchen hatten, wie ihre Mutter sowie die jüngeren Frauen, das lichte Haar, welches in der Jugend flachsen, und blaßröthlich in späteren Jahren wird, sowie die blauen und grauen ihrer Rasse eigenthümlichen Augen. Mein Wirth sprach zu der ersten Dame der Gesellschaft ein kurzes Wort und stellte mich mit einer höflich vornehmen Bewegung seiner Hand derselben vor, worauf die Dame kurz sich gegen mich verbeugte, die Hand erhob und sie aufs Herz hinlegte. Die anderen Damen aber nickten leicht mit ihrem Kopfe und setzten sich, sobald Esmo unter ihnen Platz genommen und mich zum Sitzen aufgefordert hatte, nieder. Ein junges Mädchen hatte mir ein Kissen auf einen Wink des Hausherrn arrangirt, und zwar zur linken Hand desselben. Ich hatte bald bemerkt, daß man die linke Hand hier vorzugsweise für eine jede Verrichtung, ganz wie bei uns die Rechte braucht und daher zog ich denn den Schluß, daß jener Platz, welchen man mir einräumte, der Ehrenplatz des Hauses war.

Drei oder vier Kinder von auffallender Schönheit und blühender Gesundheit, graziös und lieblich und heiter, wie nur das frohste Kindchen auf der Erde, sah ich in einem anderen Theile des Gartens spielen. Ihre Stimmen waren weich und zart und ihr Benehmen auffallend verständig zu einander; doch unter ihnen war ein anderes kleines Unglückswesen, es lahmte etwas und sein Gesicht ließ auf Krankheit und auf einen bösen Charakter schließen. Es war zum Gegensatze in seinem Benehmen hastig und laut und unartig, kurz, schien der kranke und verzogene Liebling einer Mutter zu sein, welche durch Güte und durch Nachgiebigkeit die Bitterkeit des Schicksals ihres Kindes mildern möchte. Ich beobachtete die kleine Gruppe eine kurze Weile und sah das kleine Wesen wiederholt in all die Wuth und in den Zorn eines verhätschelten Nesthäkchens ausbrechen, es riß den anderen Kleinen das Spielzeug weg und biß und kniff und schlug so heftig um sich, daß sie der böse Eigensinn zu hellen Thränen ärgerte und sie aus seiner Nähe trieb, aber trotzdem sah ich die Kinder nie mit gleicher Münze wiederzahlen, sondern sogar aus der Ferne noch auf jenes Unglückswesen Acht geben.

Vor Sonnenuntergang erschien ein junger Mann, er näherte sich mit ehrerbietiger Verbeugung meinem Wirthe und stand vor ihm mit Schweigen, bis er zum Reden aufgefordert wurde. Nach kurzer Ansprache drehte er sich zu zweien jener eichhornartigen »ambau« heißenden Thiere, die ihm folgten, um. Dieselben legten mir zu Füßen zwei große, goldgeflochtene Körbe voll vieler kleiner Gegenstände, die ich im Astronaut zurückgelassen hatte, all meine Kleider, und die Geschenke, die ich auszutheilen dachte, die Bücher, Bilder, Zeichnungen, kurz Alles, was nicht gerade zum Astronauten und zur Ausrüstung desselben gehörte, ward mir im besten Zustand übereicht, und nicht etwa um sich jene Sachen anzueignen, hatte man sie herbeigeschafft; sie wurden mir gebracht und überliefert, ganz so, wie man auf der Erde das Gepäck eines unerwartet erscheinenden Freundes auch abholen würde. Von den zu diesem Zwecke mitgebrachten Schmucksachen und Geschmeiden reichte ich einige, die werthvollsten, meinem Wirthe zum Geschenke hin. Er nahm das kleinste, vom geringsten Werthe an und lehnte alles Weitere ab, er that, wie ich versuchte, ihn zu nöthigen, als ob er nicht verstände, und ebenso benahm sich der Ueberbringer. Dann legte ich in die Hand des Hausherrn einen offenen Juwelenkasten, voll kostbarer Kleinodien, und suchte durch Zeichensprache die Erlaubniß zu erhalten, den Damen einige anzubieten. Die älteren thaten wie der Hausherr und nahmen freundlichst den einen oder den anderen geschmackvollen Schmuck an, allerdings nicht von der Schönheit und der Kostbarkeit derjenigen Kleinodien, die sie selber im Haar, am Kleide und im Gürtel trugen. Die jungen Mädchen aber, die, wie ich schon erzählte, weißgekleidet waren, hielten sich, bis daß ich selbst zur Wahl sie nöthigte, schüchtern im Hintergrunde auf und suchten erst auf Zureden der Frau des Hauses sich einige kleine Gold- oder Silberketten und Armbänder in meinem Kasten aus, mit welchen die kleinen Mädchen, dankbar für die geringe Aufmerksamkeit, sich sogleich schmückten. Wie werthlos aber selbst das Allerwerthvollste von meinen Schätzen ihnen dünken mußte, deß ward ich erst in späterer Zeit mir voll bewußt. Als die Abenddämmerung herabzusinken begann, hörten plötzlich die Fontainen auf zu springen, ich sah den schon erwähnten jungen Mann auf eine Art von Feder drücken, und alsobald schlossen sich die über einem jeden Springbrunnen für volle Freiheit seines Wasserstrahls vorhandenen Oeffnungen, ich sah ihn an einem kleinen Griffe drehen, und strahlende Helle erfüllte plötzlich den Garten, sie leuchtete bis in die nahen Zimmer hinein und verbreitete eine behagliche Wärme über den ganzen inneren Raum des Hauses. Dann wurden uns einige Gerichte servirt, die wir auf unseren Kissen sitzend zu uns nahmen und nach der allgemeinen Mahlzeit, sobald die Damen sich zurückgezogen hatten, geleitete mich mein Wirth in mein Zimmer zurück und wünschte mir eine gute Nacht.

Meine Bücher und Skizzen, sowie das Portefeuille mit den volkstümlichen Bildern, die ich, um hier das Leben auf der Erde anschaulicher zu schildern, mitgenommen hatte, die Kleider, und was immer mir gehörte, das Alles fand ich bei meinem Eintritt in das Zimmer in Fächer und auf Ständern sorgfältig hingelegt. Die Arbeit war von den Ambau unter Leitung Kevimâ's, des jungen Mannes, der meine Sachen vorhin in seines Vaters Haus geschafft hatte, ausgeführt worden. Die Bilder in dem Portefeuille gaben mir so manchmal, ehe ich noch in ihrer Sprache sprechen konnte, Gelegenheit, mit der Familie meines Wirthes zu verkehren. Wie oft erschienen nicht die Kinder und schlichen sich, doch nie aufdringlich oder ungezogen, in meine Stube ein, um meine Bilder, die ich ihnen gern zeigte, anzusehen. Ja selbst die Damen, besonders aber wohl das junge Mädchen mit den Veilchenaugen verschmähten nicht, mir näher zu kommen um anzuschauen, was ich zeigen konnte.

Sie half mir manch ein Mal, wenn sie auch nie bis in mein Zimmer kam und nie zuerst das Wort an mich richtete, meine gebrochenen Worte ihren kleinen, kaum wenige Jahre als sie selber jüngeren Pflegebefohlenen verständlich zu machen. Ich muß gestehen, ich fand aufrichtiges Vergnügen an der Gesellschaft meiner kleinen Freunde und war selbstverständlich niemals böse, wenn sie die ältere Schwester mit sich brachten, um meinen Schilderungen von einer anderen Welt, von anderen Sitten und Gebräuchen, von einem anderen Menschenstamm zu lauschen. Sichtlich am liebsten aber und am meisten von allen Gliedern der Familie lauschte die kleine Dame mit den Veilchenaugen, der, wie es schien, die Pflege der Kleinen ganz besonders anvertraut worden war. Ich fühlte, daß sie mit Vergnügen all die Erzählungen von meinen Abenteuern zu Wasser und zu Lande, in der Luft und in dem Raume hörte, sie lauschte still, wenn bei der Abendunterhaltung mich ihr Vater und der Bruder zum Sprechen in ihrer Sprache, die ich mit Eifer und mit Fleiß studirte, freundlich ermunterten und fand so doppelt Gelegenheit von alledem zu hören, was sie interessirte, ja interessiren mußte, wenn man bedenkt, wie wunderbar nicht meine Mär klingen, um wie viel tausendfältig wunderbarer nicht noch mein eigenes Hiersein scheinen mußte. Was sie jedoch verstand von meinen Worten, vermag ich nicht zu sagen. Von allen Damen aber nahm direkten Theil an meinen Gesprächen mit den Kindern nur die Mutter, und selten nur ward schüchtern eine Frage von ihnen aus und dann stets durch den Hausherrn, mir gestellt. Die Mädchen waren trotz ihrer Freiheit in der Theorie, doch noch weit reservirter, als die Eltern; von ihnen allen aber war Eveena mit den dunklen Locken die Stillste und die Schüchternste. Mit der Zeit erfuhr ich, daß selbst der so beschränkte Verkehr mit den Damen des Hauses schon etwas völlig Ungewohntes war und auch in diesem Hause nur ausnahmsweise gestattet wurde.


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Kapitel 5
Sprache, Gesetze und Sitten

Obgleich ich mich stets mit großer Güte mit Freundlichkeit behandelt fühlen mußte, ward es mir doch bald zur Gewißheit, daß ich, fürs Erste wenigstens, nichts mehr, denn ein Gefangener war und wenn auch täglich mich mein Wirth und auch sein Sohn aufforderten, ein wenig mich im äußeren Garten zu ergehen, ich merkte bald, daß man mich dort nicht völlig allein lassen mochte. Einmal ward Kevimâ hinweggerufen: ich wollte die Gelegenheit benutzen, bis an die Eingangspforte hinabzusteigen. Das hatte aber das jüngste Kindchen meines Wirths bei seinem Spiel gesehen; es lief mir nach und holte mich schon ein, eh' ich den Fuß noch auf die Feder setzen konnte, die mir die Pforte öffnen sollte: es faßte mich bei meiner Hand und sah mich an, so ernst und tief, daß ich den Blick unschwer verstehen konnte und ruhig wieder nach dem Haus umkehrte.

Hier aber suchte ich mich, den ganzen Tag lang, mit dem Erlernen der Sprache dieses Landes zu beschäftigen. Dies Studium war weit leichter und einfacher, als es auf den ersten Blick erscheinen dürfte; denn, wie mir bald ersichtlich ward, hatte diese Sprache sich nicht, wie alle unsere irdischen Sprachen, mit der Zeit gebildet, sie war gebildet worden. Man hatte sie so einfach, wie nur möglich, konstruirt und eine jede unnöthige Erschwerniß sorgfältig gemieden. Die Sprache kannte keine Ausnahmen, so wenig wie Unregelmäßigkeiten und höchstens einige ganz unumgänglich nöthige Unterscheidungen, und die Worte selbst waren so geformt, daß eine ganze Reihe anderer durch die Erlernung einiger weniger zu errathen war. Das Verbum hatte sechs Zeiten, welche durch Anhängen eines Konsonanten an die Wurzel gebildet wurden, sowie ganz wie bei uns, die sechs Personen, den Plural und den Singular, das männliche, das weibliche, doch kein sächliches Geschlecht, z. B.


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Die obigen Endungen sind die drei Fürwörter, im Plural und im Singular, des männlichen, sowie des weiblichen Geschlechts. Sie sind ein jedes, von einem der zwölf Vokale repräsentirt, welche das Alphabet des Mars enthält. Sobald indeß ein Nominativ dem Verbum unmittelbar folgt, wird dieser pronominelle Zusatz, wenn anders nicht der Wohlklang ihn erheischt, gewöhnlich fortgelassen, der Art, daß man z. B. sagt, »ein Mann schlägt«! »dak klaftas «; in der Vergangenheit: »dakny klaftas«; das »y« wird nicht ausgestoßen, da ohne diesen Zusatz das Verbum unaussprechbar wäre. Sowie die Vergangenheit, wie wir gesehen, durch den Affix des »n« gebildet wurde, wird das Futurum durch ein eingeschaltenes »m« hergestellt, so daß die Formen also lauten: »avnâ« — ich bin gewesen — »avmâ«: ich werde sein.

Der Imperativ in seiner ersten Person zeigt einen festen Willen an: »avsâ« — ich will und werde sein! und dem entsprechend »avso«, je nach dem Tone, wie man spricht, »Sei« oder »du sollst sein«, d. h., ob du es selber möchtest oder nicht. »R« dient zur Bildung des Conditionalis und »Ren« zur Herstellung desselben in der Vergangenheit, so daß: »avrâ« — ich würde sein; »avrenâ« ich würde gewesen sein — bedeutet.

Um nun das Passiv aus dem Aktiv herzustellen, setzt man das Fürwort einfach in den Accusativus, z. B. »dâcâ«, ich schlage; dagegen »dâcal«, (mich schlagen), ich werde geschlagen.

Der Infinitivus heißt »avi« »avyta«, seiend; »avnyta«, gewesen seiend; »avmita« im Begriff zu sein, sein werdend. Diese werden wie Substantive deklinirt, von welchen letzteren sechs Formen existiren; die männlichen auf »â« und »o« und »y«, die weiblichen auf »a« und »oo« und »e«.

Die Plurale derselben werden genau gebildet, wie die pronominellen Anhängsel des Verbums. Das Wurzelwort ohne Beugung wird nur allein dann gebraucht, wenn es ohne irgend eine Verbindung mit einem Verbum steht, da wo in jeder irdischen Sprache der Nominativ auch angewendet werden würde. So hatte mir mein Führer die eichhornartigen, affenähnlichen Thiere »ambau«, (sing.: ambâ) genannt; jedoch das Wort wird richtig deklinirt wie folgt:


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Nach dem so eben gegebenen Beispiele werden auch die fünf andern Formen deklinirt; die Adjektive werden in derselben Weise wie Substantive behandelt; es fehlt ihnen aber zum Unterschied von unseren Sprachen jede Steigerung. Zur Bildung des Comparativs wird vor das Adjektiv ein »ca«, für die des Superlativs ein »cla« gesetzt. Adverbe und Praepositionen enden stets auf »t« und »d«.

Jede Form des Substantiv's hat in der Regel ihre besondere Beziehung zu dem Verbum aus derselben Wurzel. So sind von »dâc«, schlagen, abgeleitet: »dâcâ«, Waffe, auch Hammer; »dâco«, Streich (den man einem Anderen giebt); »dâca«, Ambos; »dâcoo«, Schlag (den man von einem Anderen empfängt) u. s. w.; »dâce«, ein Ding welches man schlägt, letzteres weiblich; die übrige und sechste Form, die männliche, würde analog »dâcy« heißen; sie hat indeß in dieser Zusammensetzung keine rechte Bedeutung, weil auf dem Mars nur die weiblichen Wesen Schläge empfangen, und ist deshalb auch ganz ungebräuchlich. Einzelne Buchstaben werden dazu gebraucht, durch Kombinationen mit den Wurzeln, denselben ganz verschiedene Meinungen zu geben. So bedeutet z. B. ein »n«, »die Bewegung nach«, »das Verbleiben an einer Stelle«, dem lateinischen »in« nicht unähnlich, während »m« dem lateinischen »ab« oder »ex« entsprechend, wie jenes »die Bewegung von« angiebt. »R« drückt die Ungewißheit aus, so daß seine Einfügung einen einfachen Aussagesatz in eine Frage und das Relativ in ein Fragewort verwandelt; »g« gleich den griechischen »?« und »??t?« die Verneinung und den Gegensatz; »ca« ist wie schon erwähnt, intensiv und wird zum Beispiel, um aus dem Worte »afi«, athmen; das stärkere »cafi«, herzustellen, angewandt; »cr«, an sich selbst ein Ausruf des Abscheus, bezeichnet in Zusammensetzungen Verachtung und Zerstörung; »crâky«, der Haß; »crâvi«, der Mord. »L« zeigt zum größten Theile Passivität, das Dulden an, z. B. »mepi«, herrschen; »mepil«, beherrscht werden; »melpi«, sich selbst beherrschen; »lempi«, gehorchen. Endlich kann auch noch die Bedeutung des Wurzelwortes durch Veränderung des Stammconsonanten modificirt werden, z. B. »avi«, existiren, »âvi«, sein, und »afi«, leben, »âfi«, athmen.

Ich möchte noch hinzufügen, ehe ich dieses Thema verlasse, daß das martialische Zahlensystem nicht, wie das Unsere auf dezimaler, sondern auf duodezimaler Basis beruht. Die Zahlen schreibt man auf eine in viele kleine Quadrate eingetheilte Fläche; der Werth derselben, das heißt, ob er so und soviele Einheiten, Dutzende, Zwölfdutzende betragen soll, hängt von dem Quadrate ab, in welchem die betreffende Zahl steht, so daß eine Zahl, die unserer »Eins« entspricht, im vierten Quadrate links den Werth 1728 repräsentiren, zur dritten Stelle rechts ¹/ bedeuten würde.

In weniger denn in vierzehn Tagen gelang es mir, mir eine oberflächliche Kenntniß der Sprache anzueignen; ich war im Stande, ohne allzugroße Mühen, die wunderbare Schrift, von der ich schon gesprochen habe, zu entziffern und nach dem Verlaufe eines Monats, eine Zeiteintheilung, die hier bedeutungslos erschien, konnte ich, wenn auch nicht fließend sprechen, so doch mich allgemein verständlich unterhalten. Nur Dank der Mühe und Unterstützung, die mir in reichem Maße von meinem Wirth und seinem Sohn für meine Studien zu Theil ward, war es mir möglich, so schnelle Fortschritte zu machen. Doch bald entdeckte ich, daß mir noch eine andere, glücklicherweise nicht so unumgänglich nothwendige Aufgabe zu überwältigen übrig blieb. Man hatte nämlich auf dem Mars zwei Arten zu schreiben, von welcher ich die eine, gewissermaßen nur eine mechanische Wiedergabe des ausgesprochenen Lautes in von ihm selbst hervorgebrachten, sichtbaren Zeichen, bereits besprochen habe. Die andere Schrift ward mit der Hand, mit einer Art von feinem Bleistift aus chemischem Stoffe auf eine präparirte gewebte oder auch metallische Oberfläche geschrieben. Die Zusammenziehungen und die Abkürzungen in dieser Schrift sind so sehr zahlreich, daß das Erlernen und die Kenntniß der einigen 40 oder 50 Buchstaben des Alphabets nur erst ein unbedeutend kleiner Schritt zur Kunst des Lesens selber ist.

In keinem Lande auf der Erde, höchstens in China, ist diese Aufgabe nur halb so schwer, wie auf dem Marsplaneten, indeß wenn erst einmal die Schwierigkeiten überwunden sind, erscheint die Kenntniß wohl der Mühe werth. Ein jeder Marsbewohner kann mit Hilfe dieser glatten, leicht lesbaren Kurzschrift, das Wort, so schnell wie er es sprechen kann, auch niederschreiben; die Schrift vermag er aber weit leichter durchzulesen, als selbst das beste und gewandteste Auge den allerbesten Druck auf Erden überfliegen kann. Von beiden Schriften aber sind Kopien sehr leicht und doch vollkommen abzuziehen. Das auf das Goldblatt — »tafroo« — niedergeschriebene Original legt man hierzu auf eine Art von Leinenblatt, das weicher als Papier ist, nieder, — die sogenannte difra, — dieselbe wird getränkt in einer chemischen Zusammensetzung und giebt, nachdem ein elektrischer Strom durch ersteres geleitet ist, den genauen Abdruck des Originals wieder, ein Prozeß, den man so oft, wie denkbar, wiederholen kann. Um diese Art der Vervielfältigung zu erleichtern, besteht ein jedes Buch nur aus einem einzigen Blatte von 4 bis 8 Zoll in der Breite und jeden Grades beliebiger oder nöthiger Länge.

Die Schrift ist größtentheils sehr klein und nur durch Vergrößerungsgläser lesbar. An beiden Enden eines jeden Blattes ist eine Rolle angebracht und um die untere, die sich am Schluß des Drucks befindet, wird, wenn das Buch nicht in Benutzung ist, das ganze Werk gewunden; sobald man es indeß zu lesen wünscht, setzt man die beiden Rollen in ein Gestelle ein, welche dann ein Uhrwerk so bewegt, daß dem Auge des Lesers stets eine Fläche von 4 Zoll Länge geboten wird. Diese Bewegung kann ganz nach Wunsch des Lesers schnell oder langsam vor sich gehen, und durch den Druck auf eine Feder vollständig angehalten werden.

So gingen Tage und Stunden hin, die ich mit Fleiß dem Studium widmete, so daß ich bald bei unseren allabendlichen Reunions im Garten meinem Wirthe auf seine Fragen Bescheid und Auskunft geben konnte; er wollte Alles wissen, von all' den Eigenthümlichkeiten unserer Erde hören; von der Geologie, der Geographie, dem Thierreich und dem Pflanzenreich, dem Menschenleben, den Gesetzen, Sitten und Gebräuchen; für Alles zeigte er lebhaft Interesse. Und endlich, — es mochten unterdessen fünfzig Tage ins Land gezogen sein — ergriff er, da er sah, daß ich so weit jetzt in der Sprache vorgeschritten wäre, um ein ernstliches Mißverständniß nicht mehr fürchten zu brauchen, die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, mir die Gründe für die unfreundliche Aufnahme von seiten seines Volkes zu erklären.

»Eure Größe, Euer Aussehen,« sagte er, »hat sie erschreckt; denn Ihr müßt wissen, daß hier auf unserem Planeten nicht so, wie ich aus Euren Reden lerne und vernehme, verschiedenartige Völkerstämme wie auf der Erde leben, die sich kaum kennen, anders sprechen und sich verschieden kleiden; hier auf dem Mars lebt nur ein einziges Geschlecht, wir Alle sprechen nur die eine Sprache und gleichen uns so ziemlich Alle in Gestalt und Größe. Auf Eurer Erde hätte man Euch wohl für einen Fremdling aus fernen, unbekannten Zonen halten können; bei uns unterlag es keinem Zweifel, daß Ihr kein Zugehöriger unserer Rasse waret, was Ihr sonst aber für ein Wesen sein solltet, konnte Niemand errathen. Wir kennen keine Riesen und selbst von allen den Skeletten, die wir in den Museen aufbewahren, ist keines mehr denn eine Hand breit größer, als ich selber, und kann in Folge dessen mit Eurer Größe nicht verglichen werden. Und dann sind Eure Glieder länger und Eure Brust ist schmaler im Verhältniß zu dem ganzen Körper; es mag das seinen Grund darin haben, daß Eure Atmosphäre weit dichter als die unsere ist und wir in Folge dessen weitere Lungen haben müssen. Dann aber waret Ihr nicht taub und thatet doch, als ob Ihr unsere Sprache nicht verstündet und eine andere Sprache sprächet. Von einem solchen Wesen hat man auf unserem Planeten noch nie etwas gehört, gesehen oder geahnt. Ihr konntet also füglich nicht zu uns gehören, und das, was Ihr mit Eurer Zeichensprache zu sagen versuchtet, ward wohl verstanden, indeß als freche Lüge und Unmöglichkeit behandelt. Ja, Eure Frechheit schien so groß, daß es durchaus nicht Wunder nehmen konnte, wenn man Euch bei Eurer Körperkraft und Eurer Größe für ein böses, schlimmes Wesen hielt. Der Pöbel, der Euch erst angriff, mag nur beängstigt und erschreckt gewesen sein; doch späterhin erregte Euer Anblick auch die Wißbegierde. Man hätte Euch sehr gerne auf dem Secirtische gesehen. Nur Eurem Panzerhemd habt Ihr es zu verdanken, daß Euch der Drachen nicht gelähmt und späterhin, als ich zu Eurer Rettung einschritt, gelang es Euch, nur dadurch Eurem Schicksal zu entrinnen, daß Ihr zur rechten Zeit zwei Menschen unseres Stammes packtet und sie festhieltet. Die Waffe, die mein Nachbar auf Euch richtete, hätte Euch in zehnmal weiterer Entfernung sicher vernichtet; denn wißt, daß unsere Waffen weitaus mörderischer wirken, als alle Waffen auf der Erde, von welchen Ihr mir berichtet habt. Aus seiner Feldschlange wäre eine winzige Kugel auf Euch abgeschossen worden, sie wäre in Eurer Nähe dann geplatzt und hätte Euch und jedes Leben in Eurer Nähe unfehlbar dem Erstickungstode preisgegeben. Jedoch man scheute sich, das Leben dieser beiden Menschen zu gefährden, da unsere Gesetze in dieser Beziehung sehr streng sind; auf Euch aber dürfte erklärlicherweise der Schutz dieser Gesetze sich kaum erstrecken, da Ihr doch nicht für einen Menschen gelten konntet.«

Er erklärte die Gründe für das Benehmen seiner Landsleute mit so vollkommener Ruhe, daß ich mich, um es offen zu gestehen, dadurch fast beleidigt fühlte und ihm sarkastisch antwortete:

»Wenn denn das Tödten eines jeden Fremdlings, dessen Auskunft über seine eigene Person Euch unwahrscheinlich dünkt, so selbstverständlich hier erscheint, vermag ich nimmer zu begreifen, warum Ihr dann dazwischentratet und immer noch bis jetzt mich mit Höflichkeit behandelt habt?«

»Ich handele nicht stets,« antwortete er »nach den Motiven, welche meine Mitmenschen leiten, doch kann ich Euch nicht auseinandersetzen, aus welchen Gründen und worin ich ihre Meinung nicht zu theilen pflege. Ich halte es für wichtiger, Euch mitzutheilen, warum ich Euch bisher gewissermaßen in Gefangenschaft gehalten habe. So lange Ihr in meinem Hause seid, dürften meine Nachbarn schwerlich wagen, Euer Leben zu gefährden: wenn Ihr jedoch allein und außerhalb meiner Mauern gesehen werden würdet, möchte man höchstwahrscheinlich wieder, vielleicht mit besserem Erfolg, als das erste Mal, die beiden Euch bekannten Waffen gegen Euch gebrauchen. Ich bitte Euch daher, so lange noch die Frage nicht rechtsgültig entschieden ist, ob Ihr ein Mensch seid und als solcher den Schutz des Gesetzes genießt, Euch nicht allein herauszuwagen und glaubet mir, daß ich nur zu Eurem eigenen Besten Euch zurückzuhalten trachte, nicht aber,« fügte er lachend hinzu, »um Euch bei der ersten besten Gelegenheit selbst auf den Secirtisch legen zu können.«

»Erklärte denn nicht meine Erzählung Alles völlig? Und warum hat man mir nicht geglaubt? Ich konnte nicht zum Mars gehören! Nun wohl, so war ich doch ein Wesen von Fleisch und Bein. Ich mußte also von einem anderen Planeten kommen; denn in dem Raume hätte ich doch wohl schwerlich meine Heimat haben können!« —

»Wir streiten nicht lange über Unmöglichkeiten,« entgegnete mein Freund, »weit eher glauben wir an Lug und Trug, als wie an Wunder, und unter einem Wunder verstehen wir eine Verletzung, eine Störung der Naturgesetze.«

»Ein hervorragender irdischer Skeptiker,« nahm ich das Wort, »sagt ungefähr dasselbe. Indeß kann doch nur das als ein Wunder betrachtet werden, was eine Störung nicht nur der bekannten, sondern sämmtlicher Naturgesetze involvirt, und so lange man nicht alle diese kennt, wie kann man da wissen, was ein Wunder ist? Dem Mann, der zuerst das Eisen vom Magneten angezogen sah — ich setze es voraus, daß Ihr Magnet und Eisen, wie wir auf unserer Erde, kennt — schien dies wahrscheinlich eine gleich große Verletzung der Gesetze von der Schwerkraft, als Euch die Reise durch den Raum, die ich mit Hilfe einer dem Magnet verwandten Kraft ausgeführt habe.«

»Unsere Philosophen,« antwortete er mir, »schmeicheln sich, alle Kräfte und Gesetze der Natur ganz ausnahmslos zu kennen, der Geist des Menschen aber ist der Täuschung unterworfen!«

»Wenn Ihr den eigenen Sinnen nicht mehr traut,« sagte ich, »so möget Ihr auch an Euerem eigenen Dasein zweifeln, an Allem zweifeln, was Ihr seht. Laßt mich Euren Gedankengang ein wenig nur verfolgen; Ihr wißt, daß ich zum Mars niemals gehören kann, von einer anderen Welt kann ich, meint Ihr, unmöglich gekommen sein. Dann könnte ich doch einfach nirgendswoher erschienen sein und folglich wär' ich, trotzdem ich da war, doch nicht da gewesen und ob ich also gleich nicht da gewesen bin, habt Ihr mich doch seziren wollen, habt Ihr auf mich, — wie unlogisch das ist — auf eine Erscheinung, ein Gespenst, ein Nichts nach Eurer Meinung, dennoch schießen wollen. Ich dächte doch, daß eine Thatsache einen genügenden, vollständigen Widerleg für jeden Zweifel an der Möglichkeit derselben enthält.«

»Ich könnte manche Thatsachen beschwören,« erwiderte er, »die hier in dieser Welt für unmöglich gelten und von meinen Nachbarn für Betrug und Täuschung gehalten werden würden.«

»So müssen Sie,« entgegnete ich empört, »so müssen Sie den Schluß, aus Thatsachen gezogen, den Thatsachen selber vorziehen und müssen den Folgerungen der Logik mehr denn Ihren Sinnen glauben, obgleich doch gerade aus diesem Grunde die Folgerungen doppelt unhaltbar erscheinen müssen; denn erstens hat man sie gezogen nach Thatsachen, die von den Sinnen wahrgenommen wurden und zweitens ist ein Fehler in der Logik doch keine absolute Unmöglichkeit.«

»Das hütet Euch, draußen laut zu sagen,« lächelte er, »die Wissenschaft ist hier unfehlbar, man darf sie niemals laut anzweifeln. Wer eine unglaubwürdige Geschichte, z. B. solche, wie die Eure beständig wiederholen, als wahr erzählen wollte, würde hier bei uns sehr bald ein Opfer der Erbitterung des Volkes werden, im anderen Falle aber dürfte ihn ein noch schlimmeres Geschick bedrohen, er würde ohne Erbarmen Zeit seines Lebens in ein Irrenhaus gesperrt.«

»In diesem Falle habe ich vermuthlich wenig Aussicht, je einmal unter den Schutz Eurer Gesetze zu treten, da jeder mich sofort für wesenlos erklären dürfte. Ein wesenloses Wesen, ein Unding, eine Nichtigkeit kann aber kaum auf den Schutz durch die Gesetze Anspruch machen.«

»Es kann auch davon nicht die Rede sein,« antwortete er, »sogleich endgültig zu entscheiden, was Ihr seid und wie man Euch behandeln muß. Die Frage wird voraussichtlich weit länger, als wir beide leben werden, unsere Gerichtshöfe beschäftigen. Aus diesen Gründen bin ich darum eingekommen und habe den Behörden den Vorschlag unterbreitet, in der Zwischenzeit, bis man sich nach langem Hin und Widerstreiten zu einer von den beiden Ansichten entschließen wird, Euch als Mensch mit allen Menschenrechten zu behandeln.«

»Und wer hat denn,« fragte ich, »die Gewalt, dies Interimsgesetz zu sanktioniren?«

»In erster Instanz habe ich mich mit meinem Anliegen an den Astyntâ (Präsident), den Vorgesetzten unseres Kreises, gewandt, doch da er, wie ich vorher vermuthet hatte, in dieser Angelegenheit sich für inkompetent erklärte, ging ich bis zu dem Gouverneur unserer Provinz, dem ›Mepta‹. Auch dieser ward von meinem Gesuche so bestürzt, daß eine halbe Stunde Sinnens vollauf genügte, ihm zu der Ueberzeugung zu verhelfen, daß seine Macht in diesem Falle auch nicht ausreichte. Man trug in Folge dessen, dem ›Zamptâ‹, dem Regenten dieses Reiches, die Sache telegraphisch vor. Kaum hatte er davon gehört, als er zurückantwortete, daß, da die Angelegenheit nicht nur das Reich, sondern den ganzen Planeten interessire, man sie nicht ihm, sondern dem ›Camptâ‹, unserem Großherrn vorzulegen habe. Nun trifft es sich nicht ungünstig für Euch, daß jener Herr mit unseren Philosophen, die ihn durch diese oder jene neue Lehre in seiner Selbstherrschaft beschränken möchten, auf nicht zu gutem Fuße steht; und außerdem sagt man ihm einen starken Hang für alles Wunderbare und Geheimnißvolle nach, so daß ich anzunehmen wage, daß Euch von seiner Seite keine Gefahr droht, wenigstens nicht, bis er Euch gesehen hat.«

»Wie ist das möglich,« sagte ich, »daß selbst Euer Monarch einem solchen Hange nachgeben kann? Wie kommt es dann, daß er nicht in dem Irrenhause ist, mit welchem Ihr doch mich bedroht habt?«

»Mir möchten wohl unzählige Unannehmlichkeiten daraus erwachsen, wollte ich laut wiederholen, was ich Euch gesagt habe,« nahm mein Wirth das Wort, »ja, der ›Camptâ‹ selber möchte es kaum wagen, sich öffentlich als Hetzer zu bekennen und die Unfehlbarkeit der Wissenschaft zu bezweifeln.«

Er schwieg; ich sann und überlegte eine Weile. Dann fuhr ich fort.

»Ich habe wohl kaum ein Recht,« begann ich, »mich über diese Ideen zu verwundern und um so weniger, als sie doch schließlich nur die logische Entwicklung und die Folgen jener sind, welche auch bei uns, bei unseren aufgeklärtesten Nationen von Tag zu Tag mehr um sich greifen. Ich sehe schon voraus, daß es in einem späteren Jahrhundert auch auf der Erde für unsere Nachkommen gefährlich sein wird, den Glauben an einen Schöpfer und ein ewiges Leben zu bekennen, diesen ›Aberglauben‹, welchen ich persönlich jeder Offenbarung unserer Wissenschaft unendlich vorziehe.«

»Ist Euch Euer Leben, Eure Freiheit lieb,« unterbrach mich mein Wirth, »so sprechet nie von solchen Dingen, niemals von solchem Glauben, höchstens dürftet Ihr zu mir, zu meiner Familie, zu einigen verschwiegenen Vertrauten davon sprechen. Das ist ein Glaube, den man bei uns vor länger als 12,000 Jahren einst bekannte, und der noch weit früher, vor 20,000 Jahren Staatsreligion war. Seit einigen Jahrhunderten indeß ist man zu der Ueberzeugung gekommen, daß solch ein Glaube dem Fortschritt unserer Rasse, den Sitten und der Aufklärung, dem Handel und dem Wandel und dem ganzen Leben hinderlich und schädlich sei. Seitdem hat man ihn nicht nur abgeschworen, sondern haßt ihn jetzt eben so heiß, wie man die Wissenschaft verehrt.«

»Wenn jener Glaube,« sagte ich, »so allgemein verachtet und mißbilligt wird, wie kann man dann Gefahr darin erblicken, wenn Dieser oder Jener davon spricht?« —

»Unsere Philosophen,« versetzte er, »behaupten, daß manche schwache Gemüther, insbesondere Weiberherzen, für solchen Glauben so empfänglich sind, daß kein Vernunftsgrund sie von dem einmal gefaßten Wahne abzubringen vermag; vielleicht argwöhnen sie, daß heimlich noch manch Einer an eine Schöpfung und einen Welterschaffer und Erhalter, an ein allwissendes, ein ewiges Wesen und an ein Leben nach dem Tode glaubt, ob auch schon viele, lange, Hunderte von Jahren verstrichen sind, seitdem das letzte Opfer jener Irrlehre zur Zeit der Herrschaft des vierhundertsten Vorgängers unseres jetzigen Camptâ's als unheilbar dem strengsten Irrenhause überliefert ward.«

Mein Wirth sprach sichtlich mit Ironie und mit Zurückhaltung von allen jenen Dingen, ich fühlte, daß er ungern bei dem Thema blieb und suchte daher, unser Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken. Ich bat ihn also, mir Auskunft über die politische Organisation des Planeten zu ertheilen, worauf er mir freundlichst die ganze politische Geschichte der letzten Jahrtausende enthüllte.

»Wenn ich Euch,« so fuhr er fort, »eine Schilderung der Staatsumwälzungen und Umwandlungen bis auf die heutigen Tage geben soll, werde ich kaum umhin können einer Sekte oder Partei zu erwähnen, die zeitweise in offener Fehde zu der Mehrheit stand. Ich bitte Euch zuvörderst also, nicht mehr mich auszufragen, als ich sagen kann und das, was ich Euch sage, Niemand zu wiederholen.«

Natürlich gab ich mein Versprechen. Dann trug mein Wirth mir die Geschichte des Marsplaneten vor, wie folgt. —

»Wir datiren unsere neuere Geschichte von der Vereinigung aller Rassen und Nationen zu einem einzigen Staate, ein Ereigniß, das sich vor 13,218 Jahren zutrug. Zu jener Zeit besaß die Mehrheit der Bewohner des Planeten kaum anderes Eigenthum als ihre Kleider und ihr Handwerkzeug. Das ganze Land befand sich in den Händen von weniger als etwa 400,000 Grundbesitzern, und höchstens dreimal größer war die Anzahl jener, welche bewegliches Vermögen besaßen. Die Macht im Staate, den Vorrang in der Gesellschaft genossen die Besitzenden und die ihnen anverwandten und verschwägerten Personen, für die vom Staate stets derart gesorgt ward, daß sie zur Händearbeit für ihr täglich Brod nie Zuflucht nehmen brauchten. Doch unter letzteren erhoben sich Parteien aus diesem oder jenem mehr oder minder wichtigem Grunde, und die Parteien schlugen aufeinander aufs Erbittertste. Um ihrer Sache Anhang zu verschaffen und in ihren momentanen Händeln obzusiegen, gewährte bald die eine, bald die andere Partei den unteren Ständen, welche Ihr das Proletariat benennen würdet, politische Bedeutung und standen ihnen gewissen Einfluß zu, ohne zu bedenken, daß sie nur Feinde in ihr Lager zogen, da ihre neuen mittellosen Freunde sie sehr erklärlich ihres Reichthums wegen bitterer hassen mußten, als sie sich selber haßten in der Blindheit ihrer Parteileidenschaft. Ja, in dem Jahre 3278 ertheilte man gar das allgemeine Stimmrecht; ein jeder Mann und eine jede Frau im Volke über zwölf Jahre (*), hatten fortan im Reiche ein gleiches Recht und eine gleiche Stimme.

(*) Das Martialische Jahr hat 687 Tage; 8 Jahre auf dem Mars entsprechen 15 auf der Erde.

Etwa zur selben Zeit ging auch die Aenderung in der religiösen Ansicht unseres Volkes vor sich. Wer noch bisher an ein einstiges besseres Leben, an eine einstige Vergeltung glaubte, besann sich eines Besseren und suchte aus dem derzeitigen Leben so viel zu machen, als er konnte. Volksführer standen auf; meist Leute aus den höheren Klassen, die ihr Vermögen durchgebracht oder auch niemals solches besessen hatten. Sie predigten die Abschaffung des Privatbesitzes, zuerst des Grundbesitzes, dann des Kapitals und schürten bitteren Haß und heißen Kampf durch lange Jahre, bis daß der Streit ein blutiges Ende nahm und zu der Niederlage des Besitzes führte. Hierauf, im Jahr 3412, ward der allgemeine Communismus proklamirt. Niemand mehr besaß jetzt zum ausschließlichen Gebrauch auch nur die kleinste Scholle Land, und ausnahmsweise nur ward einigen wenigen Anhängern der alten Sitten gestattet, im eigenen Haus zu wohnen, im Schooße ihrer eigenen Familie zu verbleiben. Das einzige Eigenthum, welches ein Jeder hatte, war die Nahrung und die ihm zugewiesene Kleidung. Natürlich dürfte es, so dachte die Majorität, wenn jeder zur Arbeit angehalten würde, an Kleidung und an Nahrung niemals fehlen, noch weniger aber an der Arbeit, da jetzt der gute Geist des Volkes, so gut wie einst Gewinn und Noth, zu Unternehmungen antreiben würde. Die erste sichtbare Folge jenes Communismus war das vollständige Verschwinden eines jeden Luxus in Essen, Trinken, Kleidung, Mobiliar. Das, was nicht in so großen Mengen zu erzeugen war, um jedem seinen Theil daran zu sichern, war überhaupt gar nicht berechtigt, hervorgebracht zu werden. Zunächst entstanden hierauf Streitigkeiten, um die Vertheilung der Arbeit, ein bitterer Streit, den nur ein strenger Despotismus zügeln konnte. Und wehe dem, der es verstand, des Volkes Leidenschaft im Zaum zu halten, er wurde, ehe seine kurze Amtszeit abgelaufen war, gestürzt, ununterschiedlich hingemordet. Ein Jeder klagte über die ihm zugefallene Arbeit und Niemand wollte mehr die schwere und geringe liefern, so daß man schließlich darauf kam, da sie doch auch gefertigt werden mußte, die Leute wechselweis bald bei der leichten, bald bei der schweren Arbeit anzustellen, wodurch der allgemeine Wohlstand natürlich arg geschädigt wurde, da manche zu kunstreicherer Beschäftigung sehr geschickte Hand für rohe, schwere Arbeit angewendet wurde. Dann überlegte man, daß man durch Trägheit seine Lage nicht verschlechtern könnte, da die bewilligte Ration ja sicher war und daß doch von der Arbeit eines einzigen Mannes der allgemeine Wohlstand auch nicht abhing. Man wurde also faul, so viel die Mißgunst und der Neid des Nachbars es gestatten wollte, so daß am Ende die StaatsEinkünfte von Jahr zu Jahr geringer wurden und ernstliche Besorgniß die Gemüther beunruhigte, wie man auf die Dauer den Hunger so vieler Magen stillen sollte. Es ging so weit, daß man die Eltern die eine Familie von vielen Kindern hatten, für öffentliche Feinde anzusehen sich gewöhnte.

Die unbegrenzte Freiheit und völlige Ungebundenheit der Weiber, die gleiche Bürgerrechte wie die Männer hatten, war nur die nöthige und unumgängliche Folge des communistischen Prinzips und diente selbstverständlich noch dazu, die Lage ganz bedenklich zu verschlimmern. Es wurden allerdings Versuche, der Vermehrung einigermaßen durch Gesetze Einhalt zu gebieten, angestellt, indessen hatte diese Einrichtung so unerträglich ekele Untersuchungen im Gefolge, daß sich der Geist des Menschen gegen sie auflehnte. So kam es, daß alle besseren Elemente der Gesellschaft, ein jeder Mann von Herz und Geist, der jenem allgemeinen Blutbade entronnen war und viele, viele Frauen sich immer inniger und fester an die bereits erwähnte kleine Zahl der Anhänger der alten Sitte anzuschließen trachteten. Man schaarte sich um sie in großer Menge und folgte ihnen, als sie zum Wanderstabe griffen, und wanderte mit ihnen aus in unbewohnte, unwirthbare, unfruchtbare Länder des Planeten. Dort wurde jetzt ein Staat auf alter Basis wiederaufgerichtet; ein Staat, in welchem das Eigenthum geschützt und die Familienbande wieder heilig galten. Trotz aller Unbilden des Klimas und der geringen Ertragsfähigkeit des Bodens ward ihre Lage bald so glänzend, daß sie den Neid und Haß der Communisten auf sich zogen. Ein Jeder konnte wieder für sich selber frei und ungehindert und unabhängig von den lästigen und störenden Beaufsichtigungen, wie sie die neidischen Prinzipien des Communismus mit sich bringen, für sich und für die Seinen schaffen. Zudem befanden sich in diesem neuen Staate zumeist nur fähige, strebsame Elemente, die ihre Thätigkeit und ihren Geist zum Wohl des Ganzen und zur Besserung ihrer eigenen Lage anzuwenden suchten, so daß die Kunst und die Wissenschaften, die von den Communisten als überflüssig und der Arbeit feind verpönt gewesen waren, gedeihlich auszublühen anfingen. Im Schutze einer durch ihre Aeltesten gewählten Obrigkeit, welche sie sich, sei es aus Klugheit und aus Vorsicht, sei es aus lebhaftem Reactionsgefühle selber gaben, erhob die Industrie ihr Haupt, der Ackerbau fing an einträglicher zu werden, ein jeder Tag sah neue Verbesserungen und Erfindungen in einem jeden Fache. Natürlich stand die WaffenIndustrie zur Selbstvertheidigung nicht hintenan. Die Waffen, welche man hier erfand und herstellte, waren weit wirksamer und mörderischer, als man sie unter der alten Herrschaft je gekannt, und sicherlich so kunstvoll und gediegen, daß es nicht zu befürchten stand, die Communisten möchten fähig sein, bei ihrer jahrhundertlangen Anarchie und dem vollständigen Verfall des Staates in dieser Kunst mit ihnen gleichen Schritt zu halten. Und schließlich, als die Sezessionisten von den Communisten angegriffen wurden, war der Erfolg der ersteren vorauszusehen; Ingrimm und Rache beseelte sie so furchtbar gegen ihre Gegner, daß die Sezessionisten nach ihrem endlichen, vollständigen Siege ein wildes Vergnügen darin fanden, bis auf die Spuren alles zu vertilgen, was gegen sie als Feind im Feld gestanden hatte. Es war ein mörderischer Kampf auf Tod und Leben, in welchem auf keiner Seite Pardon gegeben ward; es war ein Kampf der Dummheit und der Anarchie gegen Gesetzlichkeit und Wissenschaft. Ein Geist, den wohl der alte Glauben, daß Leben mit dem Tode nicht zu Ende sei, eingab, war in die Reihen der Kämpfer hüben und drüben gefahren; ein Jeder mochte gern sein Leben opfern, um seiner Sache zu dem Siege zu ver

helfen. Noch einige glänzende Erfolge und die Commune ward gezwungen, demüthig einen Frieden nachzusuchen und einen großen Theil der schönsten und der reichsten ihrer Länder auszuliefern. Sie selber fanden jetzt in ihrem Zustande verworrenen Elends Zeit, darüber nachzudenken und zu überlegen, wie jämmerlich die eigene Lage zur Lage ihrer Gegner kontrastire, der Gegner, welche ihnen durch schonungslose Härte auch selbst die Aussicht auf eine einstige Rache und auf bessere Zeiten geraubt hatten. Derselbe Neid, welcher sie, wenn sie sich einigermaßen mächtiger fühlten, zum Kriege und zum Plündern angestachelt hätte, derselbe Neid ließ sie jetzt demüthig den Wohlstand ihrer Feinde aus der Ferne still bewundern, bis sie am Ende, von innerem Krieg, von inneren Zwistigkeiten aufgerieben aus freien Stücken sich der Herrschaft ihrer Feinde unterwarfen und sie in ihrem Staate als Unterthanen und Genossen aufzunehmen baten. So wurde dann im neununddreißigsten Jahrhundert die Ruhe und Ordnung endlich wiederhergestellt. Indeß, wie ich bereits erwähnte, die sogenannte Religion blieb doch verschwunden; sie hatte anerkanntermaßen, für die Oeffentlichkeit wenigstens, aufgehört Einfluß auf die Ideen Einzelner, sowie des Ganzen auszuüben. Der neue Friede und die neue Ordnung ließ alle Welt nach Wohlstand, Geld und Gut, sowie persönlicher Behaglichkeit ihr Streben richten. Als Ende aller Dinge sahen sie den Tod vor Augen; es war demnach der Wunsch natürlich, das kurze Leben möglichst angenehm zu machen und es so lange wie möglich zu erhalten. — Da ja die Trennung früher oder später sicher war, so gewöhnte man sich, selbst in der Liebe eine Quelle von Kummer und Besorgniß, statt die des Glücks zu erblicken, so daß mit der Zeit der einzige Sporn zum Leben ein möglichst langes Leben und Genießen selber ward. Die von der Logik ausgesprochene Gleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter diente dazu, da man zweien Individuen mit gleichen Rechten nur ihres Geschlechtes wegen doch für ihr Zusammenleben nicht verschiedene Vorschriften geben konnte, die Bande der Familie aufzulösen. Der Staat that, was er thun konnte und schrieb den Eltern die Verpflegung ihrer Kinder vor, im anderen Falle aber, wenn die Elternliebe erloschen wäre, ihnen einen Pflichtantheil auszuzahlen, mit welchem dann die Kinder dem Staate zur Pflege und Erziehung übergeben wurden. Ja, mit der Zeit ward es zur festen Sitte und Gewohnheit, die Kinder alle in öffentlichen Kindererziehungsanstalten zu ernähren und sie der Pflege der Beamten dieser Institute anzuvertrauen. Was anfangs noch als Selbstigkeit verschrieen und getadelt wurde, ward bald wie eine Pflicht betrachtet, da ja, argumentirte man, die Kinder dort bei der ungetheilten Pflege weit besser als im eigenen Hause aufgehoben seien. Es zwingt uns kein Gesetz, die Kinder wegzugeben, indeß nur äußerst selten wird ein Hausherr es zugeben, daß seine Frau ein Lieblingskind im Haus zurückbehält, um es zum Erben aufzuziehen, da er der Mißbilligung der öffentlichen Meinung und der Gerichte sicher ist. Trotzdem giebt es noch einige wenige Familien, wie die meine, welche grundsätzlich ihre Kinder daheim behält und sie daheim großzieht, obgleich es allgemein uns laut verargt wird, von den Gebräuchen Anderer zum Schaden unserer Kinder, wie sie meinen, abzuweichen, um so viel mehr, da sie im Stillen argwöhnen, wir möchten auch noch auf ganz anderem Gebiete mit ihren Neigungen nicht hamoniren, da, wo wir allerdings nicht offen unser Handeln von unseren Ansichten leiten lassen noch auch unsere Ansichten frei bekennen dürfen.«

Jetzt fragte ich meinen Wirth, ob denn nicht mindestens die Geburt und die Verwandtschaft der Kinder eingetragen würden, um sie z. B. für den Fall einer Erbschaft zu erkennen.

»Nein,« entgegnete er, »Erbschaften des Sohnes vom Vater sind sehr selten und die Erblassungen in der Familie nicht beliebt; zwar mag wohl manche junge Mutter ihrem ersten Kinde, ehe sie es fortgiebt, ein unauslöschliches Merkmal aufdrücken, indeß sind derartige Wiedererkennungen doch sehr selten. Die Mutterliebe gilt bei uns nur als ein thierischer Instinkt, der eine Trennung von zehn Jahren schwerlich überlebt; die Vaterliebe aber, der selbst die höheren Thiere unzugänglich sind, wird öffentlich als Blödsinn ausgeschrieen. Die Knaben werden in den Instituten bis in ihr zwölftes Jahr erzogen, die älteren beiden Jahrgänge genießen für ihre höhere Erziehung besondere Schule. Die Mädchen läßt man aber gewöhnlich nur bis in ihr zehntes Jahr darin, um sie im Lauf des folgenden fast ausnahmslos zu verheirathen.

Anfangs erhielten beide Geschlechter mit Rücksicht auf ihre theoretische Gleichberechtigung dieselbe Schulung und hatten gleiche Prüfungen zu bestehen. Doch bald lehrte die Erfahrung, daß dieser Umstand ernstliche Uebelstände im Gefolge hatte: denn viele Mädchen, und ganz besonders diejenigen, welche sich durch Fleiß und Lernen ausgezeichnet hatten, fand man als Weiber reizlos und als Mütter ganz unmöglich; die meisten anderen aber hatten an der Ueberbürdung ihres Geistes ihr ganzes Leben lang zu tragen. Es war ein harter Strauß, den unsere Advokaten für die Gleichberechtigung ausfechten mußten, indeß die Folgen waren gar zu offenbar und völlig unerträglich. Als endlich der Höhepunkt des Uebelstandes erreicht, die Hälfte der Mädchen jeder Generation für das Leben untauglich oder krank geworden, während die andere Hälfte jenem Schicksal nur durch Schwerfälligkeit und angeborene Trägheit entgehen konnte, mußten die Gleichberechtigungsstreber sich von einer unhaltbaren Position zur anderen treiben lassen, bis sie am Ende gar vorschlugen die männliche Erziehung bis zum Niveau weiblicher Kapazität herabzumindern. Das war ihr letzter Punkt, dann wurden sie hoffnungslos und aussichtslos geschlagen. So mächtig und gewaltig war die Reaktion, daß man jetzt seit 250 Generationen in der Erziehungsfrage unserer Mädchen stets gleicher Ansicht blieb und nie die Anforderungen an den Geist derselben höher und über ihre Kräfte hochzuschrauben suchte. Um ihres eigenen Wohles und um des der zukünftigen Geschlechter wegen, erziehen wir unsere Töchter so, daß wir jetzt hoffen dürfen, in ihnen einst liebevolle Gattinnen und Mütter gesunder Kinder zu erblicken. Gewiß giebt es auch heut noch eine Anzahl Frauen, die auf ihr stets noch gültiges Recht der Gleichheit pochen und in der Welt so frei und ungebunden wie die Männer leben. Wir sind gewohnt, dieselben garnicht wie Weiber zu behandeln und schauen auf sie wie auf eine Art Hanswurst in Unterröcken hin; ein Mann der solches Weib zur Gattin nimmt ist sicherlich zu dumm und träge, sein eigen Brod sich zu verdienen. Fast alle unsere Frauen haben die Einsicht mit der Zeit gewonnen, ob sie gebildet oder weniger gebildet sind, daß jene Unabhängigkeit, die sie im harten Kampfe mit dem Leben sich erringen könnten, weit weniger weiblich und ersprießlich für sie ist, denn das mit Ruhe und Sorglosigkeit verknüpfte Leben als Weib und Gattin und als Dienerin des anderen stärkeren Geschlechts. Sie geben also gern das Vorrecht des Gesetzes auf und stellen sich als Untergebene unter unseren Schutz.«

»So gelten Eure Heirathen,« fragte ich, »also auf Lebenszeit?«

»Gesetzlich nicht!« versetzte er, »von einem Institut der Ehe, wie unsere Vorfahren es hatten, ist uns gar Nichts bekannt. Die Jungfrauen, welche in den Heirathsjahren sind, verkaufen sich gewissermaßen demjenigen, der am meisten bietet, und pflegen stets persönlich den Handel abzuschließen, für welchen langjähriger Gebrauch, sowie Gewohnheit gewisse feste Formen aufgestellt hat. Ein sicherer Unterhalt wird ihnen zugesagt, wofür sie ihrerseits ein festes Versprechen geben müssen und einen Vertrag, den sie erst in zwei oder drei Jahren lösen können, abschließen; das Weib, das zehn und zwölf Jahre bei dem Gatten ausgeharrt, darf ihn, mit Anspruch auf eine lebenslange Unterstützung, die je nach dem Willen ihres Mannes, je nach der eigenen Persönlichkeit, bald größer und bald kleiner ist, verlassen. So kommt es, daß die reichsten Männer auch stets die schönsten und die feinsten Weiber, soviel sie halten wollen, haben.«

»Dann können also,« sagte ich, »die Weiber sich zu jeder Stunde trennen, indeß die Männer nicht das Recht, sie fortzuschicken, haben; das sieht nicht sehr nach Gleichberechtigung aus.«

»In Wirklichkeit,« erwiderte er, »begehren die Männer so wenig wie die Weiber eine Trennung; sie haben sich an ihre treuen Dienerinnen längst gewöhnt und jenen könnte die Befreiung nur einen andern Herrn und Meister und eine schlimmere Lage bringen. Daher ziehen sie dem unabhängigen, dem einsamen und freudelosen Leben, das Leben in der Knechtschaft vor.«

»Und was wird aus den jungen Leuten,« fragte ich, »die ohne Mittel, ohne Eltern und Beschützer in die Welt eintreten?«

»Wir sind,« fuhr er fort, »nach unserer Jugend eine träge Rasse und ziehen es in späterem Alter vor, statt unsere Felder selber zu bewirtschaften und unsere Fabriken selbst zu leiten, uns irgend einem Studium hinzugeben, das unsere Phantasie anregt und uns in angenehmer Weise über unsere Zeit hinwegbringt. Ihr möchtet allerdings, soviel ich aus Euren Reden schließen kann, die Studien, welche wir betreiben, für thöricht und einfältig halten. Jedoch wir lieben es einmal, den Dingen der Natur womöglich auf den Grund zu kommen; das scheinbar selbst Unwichtigste vermag demnach unser Interesse zu erregen. Ein ganzes halbes Leben setzen wir uns hin, um die Gewohnheiten einer einzigen Classe von Insekten zu ergründen, die Lebensweise einer einzigen Fischart zu studiren. Wer aber einen praktischeren Sinn von der Natur empfangen hat, richtet sein Augenmerk auf Vervollkommnung der Maschinen und sucht sie noch weit automatischer zu machen, als sie schon sind. Dabei wird dann die wahre Arbeit fast einzig von den jungen Leuten verrichtet, welche ihrerseits von den Maschinen und durch die abgerichteten Thiere derart unterstützt werden, daß ihre achtstündige tägliche Arbeitszeit ihre Kräfte kaum viel in Anspruch nimmt. Wir lieben es, wie gesagt, so bald wie möglich die Verwaltung unseres Besitzes und unserer Geschäfte auf jüngere Schultern zu legen. Ein Mann von mäßigen Mitteln sucht, ehe er sein dreißigstes Jahr erreicht hat, gewöhnlich schon einen Beistand, die reichern Leute aber zwei, vier, oft zehn Gehülfen. Nun sind die Eltern auf dem Mars nicht gerade fruchtbar; in unseren öffentlichen Anstalten dagegen ist die Sterblichkeit sehr groß; sie wird vom Volke unserer Ueberkultur mit weniger oder mehr Recht zugeschrieben, sowie die höchstorganisirten Pflanzen, meinen sie, die höheren Thiere ja auch verhältnißmäßig unfruchtbar und in der Jugend wenig lebensfähig sind. Die Kinder haben keine Lebenskraft in unseren Instituten; es fehlt den Kleinen das Auge der Liebe und die Pflege einer Mutter, die ihnen Muth zum Weiterleben giebt. —

Es ist erwiesen, daß seit Ausbreitung der Polygamie auf sieben weibliche Geburten nur höchstens sechs andere männliche Geburten kommen und daß der Tod in unseren Instituten von 144 Kindern männlichen Geschlechts durchschnittlich 29 vom ersten bis zum zehnten Lebensjahre fortrafft; die Mädchen zeigen sich weit lebensfähiger; von ihnen sterben in derselben Zeit und bei derselben Anzahl kaum mehr als zehn. Jetzt treten zu den Todesfällen unserer Knaben noch alle jene Opfer hinzu, welche die Strenge der letzten beiden Studienjahre fordert, so daß diese Schilderung es Euch erklärlich machen wird, wie unsere jungen Männer beim Eintritt in das Leben unschwer Anstellung und Beschäftigung finden.

Zumeist wird ihnen die Verwaltung des Besitzes Anderer anvertraut, worauf sie nach kürzerer oder längerer Probezeit, um sie an der Erhaltung und der Vergrößerung des Besitzes zu interessiren, von ihren Arbeitgebern adoptirt zu werden pflegen; denn unsere Erfahrungen mit dem Communismus haben es uns offenbar gezeigt, daß nur unmittelbares Selbstinteresse und sichtbar eigener Nutzen ein Sporn zur Arbeit und zur Mühe ist. Um aber dem etwaigen Wunsch der jungen Leute vorzubeugen, den Antritt ihrer einstigen Erbschaft zu beschleunigen, sorgen wir, sie möglichst fern von uns zu halten und ihnen nie den Zugang zu unseren Familien zu gestatten. Die anderen jungen Männer, die solche feste Stellung in der Gesellschaft nicht erlangen können, finden Beschäftigung im Dienst des Staates. Auch diese erhalten, um ihren Eifer anzuspornen einen Antheil an dem Erträgniß jenes Landes, auf dem sie arbeiten und nach Verlauf von zehn Jahren einen Theil desselben als eigenen unbestrittenen Besitz, so daß in unserem Staate die soziale Frage, welche vor Zeiten zu dem Aufstand der Communisten führte, völlig gelöst ist. Wir haben zwar noch arme Leute und solche, die nur von ihrer Händearbeit leben müssen, doch das sind Leute, die ihr Vermögen schon vergeudet haben oder aber andere, welchen in nicht zu weiter Ferne noch ihr Vermögen winkt. Die ganze Bevölkerung unseres Planeten wird nicht 200 Millionen Seelen übersteigen und ist seit langen Zeiten kaum erheblich angewachsen; das Areal des angebauten Landes indeß mag sicher zehn Millionen Quadratmeilen zählen, und eine jede halbe Meile im Quadrat, hier wenigstens auf unserem Kontinent, reicht hin, sofern sie gut bebaut und gut bestellt wird, auch selbst dem größten Haushalt das Leben, Comfort und Luxus zu gestatten; zehnjährige Arbeit muß Jedem hier bei uns eine angemessene, sorgenfreie Zukunft sichern, indeß der Mann, der strebsam, ehrgeizig und thätig ist, es ohne jede Frage, wenn anders er das Geld so vieler Mühen werth hält, zu großem Wohlstand und zum Reichthum bringen muß.« —

»So muß ja,« nahm ich jetzt das Wort, »so muß der Mars ein materielles Paradies erscheinen. Ihr habt das Alles schon erreicht, was unsere vorgeschrittensten Volksökonomen als die Vollkommenheit im höchsten Grade preisen. Ihr habt eine ziemlich stationäre Bevölkerungsmasse, der Boden liefert beinahe mehr als den Bedarf, totale Armuth ist Euch unbekannt und der Besitz im großen Ganzen gleichmäßig vertheilt. Ihr kennt die Angst, die Sorge, den Kummer, der am Herzen naget, nicht, mit welchem wir dort unten auf der Erde für unser Fortkommen und für dasjenige unserer Kinder in die Zukunft blicken müssen. Das ist das große Uebel des Lebens unten auf der Erde, das ist der Schimpf der sozialen Ordnung auf unserem Planeten. Zudem habt Ihr die Lehren unserer größten Philosophen ausgeführt, bei Euch gilt absolute Gleichheit vor dem Gesetze; ein Jeder tritt mit gleichen Chancen in das Leben, ein Jeder muß sich Bahn durchs Leben mit seinen Fähigkeiten brechen. Ihr seid so weit gegangen, daß volle Freiheit, volle Gleichheit selbst den verschiedenen Geschlechtern gesetzlich gilt. Und sind die Resultate denn nun auch zufriedenstellend?« —

»Ja,« antworte mein Wirth, »zum wenigstens erstrebt man keine Neuerungen noch auch erhofft man eine Besserung der Lage aus großen sozialen und politischen Reformen. Die Erfahrungen, welche wir mit dem Communismus gemacht haben sind so entsetzlich bittere gewesen, daß seitdem eine jede Agitation auf diesem Felde, jede Tendenz für demokratische Institutionen, ein jeder Anlauf, um die Leidenschaft des Volkes zu wecken im höchsten Grade als revolutionär verpönt ist. Trotzdem will ich damit durchaus nicht gesagt haben, daß wir nun völlig glücklich leben, möchte aber auch das Gegentheil davon noch nicht behaupten. Ganz ohne Zweifel haben wir ja physisch, wenn ich Eure Beschreibung des Lebens auf der Erde recht verstanden habe, gewaltige Vortheile vor Euch voraus. Krankheit und Altersschwäche haben wir gebannt aus unserem Leben, ja unsere Wissenschaft giebt sich der Hoffnung hin, auch einst den Tod zu bannen; indeß trotz fast zweitausendjähriger Versuche ist ihr dies Kunststück doch noch nicht gelungen, so daß uns diese Hoffnung eine trügerische scheint.«

»Was meint Ihr denn damit,« forschte ich, »wenn Ihr erzählt, daß Ihr versteht, Altersschwäche und Krankheit zu bannen?« —

»Wir haben die Chemie des Lebens,« versetzte er, »vollständig ausgelernt und haben Mittel und Arzeneien erfunden, die Erhärtung unserer Knochen und das Erschlaffen unserer Muskeln, beides physische Symptome hohen Alters, zu verhüten. Nicht mehr wie einst, bleicht unser Haar im Alter, und fallen unsere Zähne aus, so erscheinen neue, sie natürlich zu ersetzen, und unser Augenlicht verliert im Tod erst seine Klarheit. Es sagte einst ein hochberühmter Arzt, der vor fünftausend Jahren lebte, ein Uhrwerk sei nicht hergestellt, um ewig auszuhalten und wollte damit zu verstehen geben, daß auch der Menschenkörper sich mit der Zeit so gut, wie Rad und Riemen der Maschine abnützen müsse. Zu seinen Zeiten mag das wahr gewesen sein, heut ist es anders; das Uhrwerk geht und geht, dann fängt es an, bald langsam und bald regellos zu gehen, am Ende stockt es ganz und steht, doch Niemand kann trotz aller Mühen einen Grund entdecken, denn unser Körper, der Körper dessen, der mit 50 Jahren (*) stirbt, ist noch so wohlerhalten, wie mit 25 Jahren und höheres Alter ist nur wenigen beschieden.«

(*) Entspricht einer Zeit von 93 und 47 Jahren auf der Erde und einem Alter von 80 und von 40 Jahren bei uns. Anm. d. Erz.

»Das klingt sehr seltsam,« sagte ich, »wenn sich kein fremder Körper, die Maschinerie zu stören, einschleicht und letztere sich von selbst nicht abnützt, so bleibt ein Stillestand des Uhrwerks unerklärlich.«

»Hat nicht dereinst,« fragte er, »Jemand von Eurer Rasse Euch dies Geheimniß so erklären wollen und behauptet, der Menschenkörper gleiche keinem Uhrwerk; ein Etwas wohne in ihm, das nicht mit Mikroskop noch auch mit dem Sezirmesser sich untersuchen lasse, und ihm verdanke er das Leben!«

»So sagt man allerdings, indeß dann ist die Seele nicht, der Körper ist in siebenzig oder achtzig Erdenjahren abgenützt —«

»Je nun,« versetzte er, »im Falle wirklich der Mensch ein solches Doppelwesen ist, wäre vermuthlich der Verbrauch des Körpers nöthig, um nach Vollendung ihres Dienstes in dem Fleische, die Seele aus demselben zu befreien.«

Ich konnte hierauf keine Antwort finden, er selber aber mochte dieses Thema nicht verfolgen. Wir schwiegen, bis ich ihm eine andere Frage stellte.

»Wenn bei Euch,« so fuhr ich fort, »Berufung an das Gefühl und an die Leidenschaft des Volkes nicht gestattet ist, so sagt mir, welchem Dinge fiel denn beinahe ich zum Opfer? Was ist der Terrorismus, der es nur mit Gefahr verknüpft erscheinen läßt, etwas im Gegensatz zu Euren althergebrachten Ansichten zu glauben oder nicht zu glauben.«

»Es gilt für ausgemacht,« erwiderte er, »daß nur Verrücktheit oder Bosheit an einer Wahrheit zu rütteln wagen kann, von welcher die erdrückende Majorität durchdrungen ist. Durch arithmetische Berechnung vollends ist es fest bewiesen, daß, wenn zwölf Menschen anders wie zwölftausend Menschen (*) denken, die zwölf sich stets im Irrthume befinden, und wenn trotzdem die zwölfe die irrige Meinung nicht aufgeben wollen, so muß man sie nöthigerweise für Schelme oder Irre halten und sie darnach behandeln. Ist es wünschenswerth, die Angelegenheit gesetzlich zu entscheiden, so wird dieselbe einem aus allen Direktoren unserer wissenschaftlichen Institute zusammengesetzten Rathe vorgetragen und die Entscheidung jener Männer gilt für unfehlbar und unwiderruflich, besonders aber, wenn des Volkes Ansicht mit ihrem Urtheil übereinstimmt. Mir dünkt, daß diese unsere moderne Theorie, wenn ein MajoritätsVotum überhaupt gewissen Werth besitzt, zum mindesten so vernünftig und so gesund wie jene demokratische Staatspolitik ist, welche vor der Commune bei uns die Oberhand hatte und sie bei Euch auf Eurer Erde von Tag zu Tag mehr zu gewinnen scheint.«

(*) Das Zahlensystem beruht auf duodezimaler Basis.

»Und wie ist,« fragte ich, »Eure politische Konstitution? Ist die Gewalt Eurer Herrscher unbeschränkt? Wenn nicht, wie ist sie denn beschränkt, da Ihr nicht Volksabstimmung noch öffentliche Debatten kennt?«

»In Theorie,« so fuhr er fort, »sind unsere Herrscher unumschränkt; jedoch in Praxi ist ihre Macht durch Herkommen und aus Klugheit und weil ihnen jeder Grund zur Willkür fehlt, begrenzt. Die Gewalt eines jeden Fürsten über alle seine Untergebenen ist absolut, indeß wird stets ein jeder Rechtsfall den Gerichten zur Entscheidung übertragen. Vom Institute der Geschworenen sind wir seit langen Zeiten abgekommen, da es uns klar geworden ist, daß es weitaus gescheidter wäre, einen Fall durch das Loos zu entscheiden, als ihn zum Urtheil einer Jury zu unterbreiten; der Urtheilsspruch des Looses wäre durchschnittlich in sechs von zwölf Fällen richtig, doch der der Jury kaum drei Mal. Die Richter streiten sich bei uns nicht laut herum, um ihrer Meinung Anhang zu verschaffen, sie hören ruhig und mit Aufmerksamkeit den Kläger, den Verklagten, die Zeugen und die Vertheidiger an; dann wird von einem Sekretär des Gerichts ein Auszug des Falles abgefaßt, welchen ein jeder Richter um ihn noch einmal wiederholt zu überlegen, nach Hause nimmt. Ein Jeder schreibt sein eigenes Urtheil nieder und eines jeden Richters Urtheil wird von dem Sekretär laut vorgelesen, doch so, daß Niemand den Verfasser des Erkenntnisses errathen kann. Ergiebt sich eine Mehrheit von fünf zu zwei, so ist der Fall entschieden, im anderen Falle wird er vor ein höheres Tribunal mit einer doppelt großen Anzahl von Richtern gebracht. Kann man auch hier nicht zur Entscheidung kommen, so wird der Verklagte zeitweilig entlassen, und liegt ein Rechtsstreit vor, so wird ein Vergleich zwangsweise herbeigeführt. —

Es ist einem jeden Machthaber auf unserem Planeten ganz unmöglich, sich über unsere Fundamentalgesetze hinwegzusetzen, er würde anderen Falls so großes Aergerniß damit erregen, daß seine Macht in seinen eigenen Händen nicht mehr sicher wäre; denn gilt es auch bei uns für ein Verbrechen, wofern man nicht im Dienst des Souveräns und seiner zwölf Regenten steht, die furchtbaren Zerstörungswaffen zu besitzen, die unsere letzten Kriege zeitigten, so kann sich doch ein Jeder solche oder ähnliche so leicht verschaffen oder selbst herstellen, daß es kein Herrscher wagen möchte, einen Unterthan durch Willkür oder Grausamkeit zum Rache- und Verzweiflungsakt zu treiben, so wenig wie er Gewaltsamkeiten von Seiten seiner Untergebenen gutheißen oder dulden würde, da ihn der Haß des Volkes unfehlbar treffen müßte, wenn er auch an den Vergewaltigungen keinen Theil gehabt hätte. Und endlich liegt Mißgunst und grundloses Uebelwollen so wenig in unserem Charakter, daß selbst, wenn unsere Sitten minder dazu angethan wären, den Streit des Unterthanen mit dem Herrscher zu verhüten, trotzdem ein solcher unwahrscheinlich wäre. —

Der Herrscher hat bei uns das Recht und übt es aus, diejenigen auf der Stelle aus seiner nächsten und unmittelbaren Umgebung zu entfernen, denen er nicht mehr persönlich wohlzuwollen vermag, er schickt sie fort, ehe noch der Anblick jener Unbequemen seinen Unwillen und seinen Haß regen kann. Dann aber haben wir in der Annahme, daß nur die Sucht nach Macht und nach Vermögen die Menschen zu Gewaltsamkeiten drängt, den Herrschern auf dem Mars so ungeheure Einkünfte gesichert, daß sie sich jeden Luxus, jeden Glanz gestatten können und ihnen Nichts zu wünschen übrig bleibt. Und ihre Herrschaft ist so autokratisch, daß sie unmöglich größere Gewalt verlangen könnten. Weit weniger kostet es uns im schlimmsten Falle zwölf oder noch mehr Gouverneure zu bereichern, als wie uns eine Volksregierung mit ihren unausbleiblichen ParteiKonflikten, und der Mißwirthschaft und Konfusion derselben kosten würde.« —

»Ein geistreicher Schriftsteller unserer Erde hat vor nicht langer Zeit geäußert, es wäre unschwer, die Ersten alle mit Reichthum und mit Luxus zu befriedigen, doch ganz unmöglich hielte es, den ganzen Anhang, ja auch nur sämmtliche Familienglieder einigermaßen zufrieden zu stellen.«

»Ihr müßt bedenken,« versetzte mein Freund, »daß wir mit einigen Ausnahmen, sowie in meinem Falle, hier Nichts, was Ihr Familie nennen würdet, haben. Den Damen aus dem Hause eines Fürsten wird innerhalb der Mauern des Palastes ein jeder Wunsch erfüllt, doch dürfen sie aus dem Palaste nicht heraus. So wenig aber kümmert man sich um seine besten, seine nächsten Freunde hier bei uns, daß man sich schwerlich ihretwillen den Haß der Menge oder Einzelner auf sich laden möchte. Die Würdenträger, die sich um die Person des Herrschers befinden, sind so wenige, daß wir auch ihnen ihre Stellen so werthvoll machen können, daß sie sie nicht mit Leichtsinn auf das Spiel setzen. Dagegen ist jedwedes Versäumniß sicher, von höherer Autorität bestraft zu werden; den Fürsten aber muß aus den erwähnten Gründen die Tyrannei gefährlich dünken; ihr einziges, eigenes Interesse müssen sie erblicken in der Beförderung des allgemeinen Wohlstandes und hierzu dürfen sie die eigene dem Volke nicht versagen.«


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Kapitel 6
Ein offizieller Besuch

Wir waren bis zu diesem Punkte in unserer Unterhaltung gekommen, als wir durch den Eintritt eines » ambâ « unterbrochen wurden. Derselbe machte einige Zeichen, die sofort von meinem Wirth verstanden wurden.

»Der Zamptâ,« sagte er, »ist da, mich zu besuchen, er kommt vermuthlich Eurethalben, vielleicht mit einer Botschaft seines Suzeräns. Ihr braucht gar keine Angst zu haben,« fügte er hinzu, »im schlimmsten Falle verweigert man Euch gesetzlichen Schutz, aber unter meinem Dache seid Ihr ja immer sicher, und kommt es zum Aeußersten, so werdet Ihr mit meiner Hilfe Euren Rückzug bewerkstelligen, um wieder nach Eurem eignen Planeten zurückzukehren, vorausgesetzt natürlich,« fügte er lachend hinzu, »daß Ihr in der That ein wirkliches Wesen aus einer anderen Welt seid.« —

Der Regent des Reiches erwartete uns in der Halle, in dem Eintrittszimmer. Ich verneigte mich tief vor ihm und blieb dann stehen. Hierauf tauschten mein Wirth und sein Gast ihre Grüße aus und wir setzten uns. Mir fielen dabei die geringen Ceremonien auf, die auf beiden Seiten beobachtet wurden, obgleich doch der autokratische Vertreter des absoluten Souveräns zu einem seiner Unterthanen sprach.

»Esmo dent Ecasfen,« sagte der Regent. »Wollet mir die Person zeigen, die Ihr, wie Ihr behauptet, vor Gewaltthätigkeiten unseres Volkes gerettet und an dem 431. Tage dieses Jahres in Euer Haus aufgenommen habt.«

»Dieses ist die Person, Regent!« versetzte er und zeigte auf mich hin.

Jetzt fragte mich der Fürst nach meinem Namen, den ich ihm nannte, und er fuhr dann fort:

»Der Camptâ hat mich abgesandt, die Wahrheit bezüglich Eurer Größe selbst zu untersuchen, da uns ein solcher Ausnahmefall noch niemals zu Gesicht oder zu Ohren gekommen ist. Wollet mir also jetzt erlauben, den Umfang Eures Leibes und Eure Höhe abzumessen.«

Ich verneigte mich zustimmend, und er stellte fest, daß ich fast einen Fuß größer und um zehn stärker in der Taille war, als er selbst. Er notirte dies und fuhr dann fort —

»Die Zeichen, die Ihr jenen Menschen machtet, welchen Ihr zuerst begegnet seid, hat man so ausgelegt, als ob Ihr hättet sagen wollen, Ihr wäret vom Himmel in einem Luftschiffe, das heute noch auf jenem Berge dort, dem Asnyca, sich befände, herabgestiegen.«

»Nicht vom Himmel,« antwortete ich. »Der Himmel ist ja kein festes Gewölbe. Ich komme vielmehr von einer Welt, die der Sonne näher liegt, als der Mars, habe vierzig Tage lang den Raum durchfahren und landete dann auf diesem Planeten in dem von Euch erwähnten Luftschiff.«

»Ich bin beauftragt,« sagte er, »dies Fahrzeug in Augenschein zu nehmen, die Maschinerie und die Instrumente zu untersuchen, und meinem Suzerän Bericht darüber abzustatten. Ihr werdet ohne Zweifel bereit sein, mich morgen, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, dorthin zu begleiten. Ihr selbst dürft Euch von Eurem Wirth oder auch einem Gliede seiner Familie begleiten lassen, ich werde in meinem Gefolge einige Beamte meines Hauses haben. Inzwischen soll ich Euch verkündigen, daß, bis mein Bericht erstattet und in Erwägung gezogen sein wird, Ihr den vollen Schutz der Gesetze genießen sollt. Ihr habt bis dahin keinerlei Belästigung, wie die frühere, zu befürchten. Indeß rathe ich Euch an, die Erklärung für Euer Dasein, wie Ihr sie mir, und an Esmo, wie ich hörte, noch eingehender gabet, gegen Niemand sonst zu wiederholen, bis daß man Euch die Entscheidung des Camptâ eröffnet haben wird.«

Ich verbeugte mich zum Zeichen des Einverständnisses, und der Regent verließ uns.

»Was bedeutete,« fragte ich meinen Wirth, als wir uns in mein Zimmer zurückbegaben, »was bedeutete der Titel, mit welchem Euch der Zamptâ anredete?«

»Wenn man zu Würdenträgern von hohem Range spricht,« antwortete er, » gebietet es die Sitte, sie nur mit ihrem Titel anzureden, es müßten denn mehrere vom selben Range zugegen sein, in welchem Falle man sie mit ihrem Namen, unter Hinzufügung des Titels anredet. Am Hof des Souveräns z. B. hieße unser Regent Endo Zamptâ. Aber Männer von höherer sozialer Stellung die kein Amt bekleiden, nennt man bei ihrem Namen unter Hinzufügung des Namens ihres Wohnorts, und da ›asfe‹ Stadt oder Wohnung bedeutet, so ist mein Beiname in Folge dessen ›Ecasfen‹.

Es thut mir sehr leid,« fuhr er fort, »daß weder ich noch mein Sohn Euch morgen wird geleiten können. Alle die älteren Glieder der Familie sind morgen leider anderweitig in Anspruch genommen. Indessen möchte ich Euch nicht gern allein mit Fremden lassen. Doch abgesehen von dieser Erwägung hätte ich Euch auch ohnedem gebeten, mir einen etwas seltsamen Gefallen zu erweisen. Eveena, meine Tochter, welche wie alle unsere Frauen eine andere Erziehung genossen hat, als man sie in den Staatsanstalten zu jetzigen Zeiten zu empfangen pflegt, hat von dem ersten Augenblick lebhaftestes Interesse für Eure Mittheilungen aus einer anderen Welt empfunden. Sie möchte nun gern das Luftschiff sehen, und darum hatte ich ihr versprochen, sie mit uns zu nehmen, wenn wir das Fahrzeug besuchen würden. Aber nach dem Bericht, den morgen der Zamptâ abstatten wird, könnt Ihr jeden Augenblick zum Camptâ befohlen werden, und es ist fraglich, ob Ihr überhaupt von dort zu uns zurückkehren werdet. Ich bitte Euch also, falls Ihr Euch an der immerhin seltsamen Bitte nicht stoßet, Eveena morgen unter Euren Schutz zu nehmen.«

»Ist es denn aber auch,« fragte ich, »für eine junge Dame statthaft, einen Fremden auf solch einer Excursion zu begleiten?«

»Es ist sehr ungewöhnlich,« entgegnete mein Wirth, »indeß müßt Ihr berücksichtigen, daß man Familienbande hier in der Regel nicht kennt. Vater oder Bruder können ein junges Mädchen nicht begleiten, denn beide sind ihr fremd und unbekannt, so daß ein Mann, der öffentlich mit einem jungen Mädchen ausgeht, in der Regel wohl ihr Gatte ist. Nun wird aber nach unseren Sitten solch' ein Verhältniß sehr streng aufgefaßt, so daß es der Regent in Gegenwart Eveena's schwerlich wagen wird, Euch in unliebsame und gefährliche Gespräche zu verwickeln, und ganz besonders unterlassen wird, Euch über mich und die Meinen auszufragen.«

»Aus Euren Worten schließe ich jedoch,« sagte ich, »daß der Regent und die Begleiter des Regenten auf Gedanken kommen möchten, die Euch sowie der jungen Dame nicht angenehm erscheinen dürften.«

»Ich kann Euch kaum verstehen,« erwiderte er. »Das Einzige, was sie glauben könnten, und was sie sicher glauben werden, ist, Ihr wäret mit dem Mädchen verlobt oder verheirathet. Da nun jene Herren das Mädchen nie in ihrem Leben wiedersehen werden und falls dies doch geschähe, sie nicht wiedererkennen würden, — sie wissen ja doch nur, daß sie zu meinem Haushalte gehört und werden kaum sie anzusprechen wagen — so kann ich nicht verstehen, inwiefern solch eine Vermuthung meiner Tochter schaden könnte. Wenn ich sie einmal aus dem Hause gebe, werde ich sie nur einem Manne von meinen Sitten und Anschauungen anvertrauen; und uns erscheint die allzustrenge Abschließung junger Mädchen übertrieben.«

»Ich kann Euch nur aufrichtig danken,« sagte ich, »daß Ihr mir eine liebenswürdigere, angenehmere Begleitung zu meiner Fahrt in Aussicht stellt, als es der Würdenträger ist, der über meine Existenz Berichterstattung abzulegen hat.«

»Ich werde Euch kein besonderes Versprechen abnehmen,« fuhr er fort, »sondern glaube Euch darin vertrauen zu können, daß Ihr nicht etwa durch zu offenherzige Beantwortung etwaiger Fragen mehr als unvermeidlich von dem verrathen werdet, was aus meinem Familienleben den Leuten draußen rätselhaft erscheint. Doch von diesen Dingen werden wir nach dem morgenden Tage wohl eingehender reden können; jetzt folget mir ins Peristyl, es ist eben Zeit zum Abendessen.«

Eveena's Wissensdurst hatte in keiner Weise ihre alte Schüchternheit zu überwältigen vermocht. Sie mochte nach meiner Schätzung wohl im zehnten Jahre ihres Lebens stehen, ein Alter, welches auf dem Mars so ziemlich dem siebzehnten Jahre unserer jungen Damen im NordWesten Europa's entsprechen würde. Ob ich auch kaum ein halbes Dutzend Mal sie angeredet und sicher kein Dutzend Worte aus ihrem Munde als Erwiderung vernommen hatte, zog es mich dennoch zu dem Mädchen hin, denn mich fesselte nicht nur ihre Liebenswürdigkeit, ihre Schönheit, ihre süße Stimme, sondern besonders auch die Sanftmuth, die aus ihrem ganzen Wesen sprach, die milde Ruhe, mit welcher sie den Frieden unter ihren kleinen Schutzbefohlenen erhielt, und die unwandelbare Geduld, die sie dem kleinen verzogenen Krüppel gegenüber bewährte. Heute Abend war derselbe geradezu schrecklich; er peinigte seine Spielgefährten unaufhörlich, bis endlich die Geduld derselben erschöpft war, und als sie nun den Störenfried allein ließen, da erhob er ein lautes, mächtiges Gezeter, das, noch verstärkt durch die Dünne der martialischen Atmosphäre, Aller Ohren entsetzlich marterte. Auf einen Wink der Mutter stand Eveena mitten in der Unterhaltung, für die sie lebhaftes Interesse zeigte, auf, um Ruhe und Friede wieder herzustellen. Schon lange hatte das im Wesen und im Aeußeren den Uebrigen so ganz verschiedene Kind meine lebhafteste Neugier erweckt, doch hatte ich noch keine Gelegenheit gefunden, mich danach zu erkundigen, ohne unbescheiden zu scheinen. Heute aber nahm ich jene Unterbrechung wahr, um einige Worte über die Nachsicht und die Freundlichkeit Eveena's und der anderen Kleinen dem eigensinnigen Bruder gegenüber fallen zu lassen.

»Es ist gar nicht ihr Bruder,« erklärte Zulve, die Herrin des Hauses. »Schwerlich würdet Ihr in einer Familie, gleich der Unsrigen, ein Kind mit so reizbarem Wesen und egoistischem Charakter finden, nirgends aber eines, das die Natur so sehr an Körper und an Geist vernachlässigt hat.«

»In der That,« sagte ich, indeß ohne den Sinn der Worte recht verstanden zu haben.

»Gewiß nicht,« entgegnete mein Wirth. »Die Regel ist, sofort und schmerzlos alle Kinder umzubringen, welchen bei der Geburt ein Körperfehler oder eine Körperschwäche anhaftet, durch die sie dem Staate eine Bürde sein und zur Verschlechterung der Rasse beitragen würden. Indeß habe ich gerade hierin ganz abweichende Grundsätze; meines Erachtens soll der Mensch nicht danach trachten, weiser zu sein, als die Natur. Nur für ein schweres Verbrechen dürfte einem Menschen das Leben abgesprochen werden. Es jedoch künstlich über die Gebühr verlängern zu wollen, das widerspricht eben so sehr den offen zu Tage liegenden Zwecken oder dem ›Laufe‹ der Natur, wie unsere Philosophen sagen würden, als es Jemandem unberechtigterweise zu nehmen. Es giebt übrigens noch mehrere Männer, welche meine Meinung theilen. Wir suchen stets, sobald wir von einem solchen Falle hören, dies grausame Schicksal von den Kindern abzuwenden, und darin hilft uns einigermaßen das Gesetz, das, um der übereilten Tödtung so mancher immerhin noch lebensfähiger, vielleicht dereinst recht kräftiger Kinder, vorzubeugen, den Aerzten dann erst die Befugniß ertheilt, das Todesurtheil auszufertigen, wenn ihre Entscheidung von einem oder mehreren Vertrauensmännern, zu welchen unter anderen auch ich gehöre, gutgeheißen wird.

Bei solcher Gelegenheit gelang es mir, das Leben einiger Kinder zu retten, obschon sie offenbar für den Aufenthalt in unseren Staatsanstalten nicht ausreichend lebensfähig waren. Ich suchte dieselben in mehreren, meist kinderlosen Familien unterzubringen und nahm dieses Eine in mein eigen Haus auf, wo nun sein Zusammenleben mit anderen Kindern von ruhigerem Temperament und liebenswürdigerem Wesen ein wesentlicher Faktor für seine Erziehung werden wird.«

»Und findet sich,« fragte ich, »solch eine Störrigkeit und Selbstsucht allgemein bei diesen Krüppeln?«

»Ich glaube nicht,« antwortete Esmo, »daß dieses Kind viel schlimmer ist, als die meisten meiner Nachbarskinder. Das, was Ihr an ihm Selbstsucht nennt, ist nur das ihm natürlich überkommene Erbe von Voreltern, die seit Jahrtausenden gewohnt sind, nur für sich selbst zu sorgen und an sich selbst zu denken. Ich meinte, ich hätte Euch bereits erklärt, auf welchem Wege und durch welche Umstände das, was voreinst bei uns als Familienliebe existirte, auf unserem Planeten erstickt und ausgelöscht worden ist und wie mit dem Verschwinden der Familienbande auch jedes schwächere Gefühl der Rücksicht für die Nebenmenschen bald hinwelkte.«

»Ihr sagtet mir etwas der Art,« nahm ich das Wort, »indeß vermochte ich den Gedanken eines so unbeschreiblich selbstischen Lebens nur unvollkommen zu fassen, und selbst jetzt kann ich noch nicht verstehen, wie sich aus so gesinnten Gliedern eine menschliche Gesellschaft bildet und zusammenhält. Auf Erden würden wir erwarten, daß sie sich blutig bekämpften, in Stücke zerrissen und in die tiefste Barbarei verfielen, denn meiner Ansicht nach wäre die Gesellschaft, welche sich aus Menschen von dem Charakter jenes Kindes und dem Verstand, der Erfahrung, der Willenskraft des reiferen Alters zusammensetzt, kaum weniger gefährlich, als eine Rotte wilder Thiere.«

»Wir haben solche Thiere,« sagte Esmo, »die in den wilden Ländern einsam und ungesellig hausen, jedoch der Mensch, zum Mindesten der civilisirte Mensch, läßt sich weit weniger vom Instinkte, als von der Rücksichtnahme auf seinen eigenen Vortheil leiten, und das Interesse eines jeden Individuums an der Erhaltung der sozialen Ordnung ist doch wohl klar und augenscheinlich genug. Unterricht, Erfahrung, und das Leben lehren unsere Kinder die absolute Nothwendigkeit des sozialen Zusammenwirkens und daher hat der Egoismus nicht vermocht, den Aufbau unserer Gesellschaft als solcher zu zerstören, wenn es ihm auch gelungen ist, alle wahren Lebensfreuden zu beseitigen und unmöglich zu machen.«

»Erstreckt sich die Euthanasia,« fragte ich, »nur auf die Säuglinge oder auch auf Erwachsene? Kann ihnen auch das Leben abgesprochen werden, wenn es aus irgend welchem Grunde zu einem freudelosen, hoffnungslosen Dasein sich verwandelt?«

»Nur im Falle des Wahnsinns!« entgegnete er, »wenn die Doktoren einig sind, daß ein Irrsinniger unheilbar sei, und ihr Verdikt vom Rathe der Vertrauensmänner gutgeheißen wird, wird der Patient ruhig und schmerzlos vom Leben zum Tode gebracht. Es wäre logisch, denselben Grundsatz bei jeder unheilbaren Krankheit zu befolgen und ich vermuthe, nein, ich weiß es in der That, daß er auch in der That oft befolgt wird, wenn man des Kranken überdrüssig und der Patient zu schwach und leidend ist, sich weder selbst beschützen noch die Hülfe der Gesetze anrufen zu können. Jedoch hat man der allgemeinen Anwendung dieses Gesetzes, auf Grund des Schreckens, welchen es verbreiten würde, bis jetzt noch erfolgreichen Widerstand geleistet, denn man würde ja in steter Angst und Furcht leben, wenn es in Anderer Hand gegeben wäre, abzuurtheilen, ob ihm sein eigenes Leben werthlos geworden sei, und darum sind auch solche Fälle, von denen ich Euch sprach, nur selten. Ein Fall von hoffnungslosem körperlichen Leiden, der nicht auch baldigst mit dem Tode endet, ereignet sich übrigens auf dem ganzen Planeten kaum dreimal während eines Jahres, denn wir kennen Mittel, jene wenigen Krankheiten, die wir trotz aller Fortschritte der Jahrtausende noch nicht gänzlich auszurotten vermochten, wenigstens in ihrem Anfang radikal zu heilen. Im schlimmsten Falle aber verfehlen unsere Anästhetika niemals, das Gefühl des Schmerzes zu zerstören ohne irgend welchen Nachtheil für den Geist und den Verstand. Natürlich darf ein Jeder, der seines Lebens überdrüssig, demselben ein Ende machen und auch die Hülfe Anderer dazu in Anspruch nehmen. Aber seltsamerweise hängen meine Landsleute ungemein zähe an ihrem Leben. Trotzdem sie sich rühmen, über alle thierischen Instinkte völlig erhaben zu sein, ist der Trieb, ihr eigenes Leben möglichst lange zu erhalten, dennoch bei ihnen übermächtig und gewaltig. Das Leben des größten Theiles meiner Mitmenschen wäre mir persönlich unerträglich, denn es ist ein Leben ohne sittliche Pflicht, ohne jedes Interesse und ohne alle höheren Ziele, ein Leben ohne Nächstenliebe und ohne alle Leiden und Freuden der Familie. Trotzdem, ob auch die Frage, ob unser Leben überhaupt des Lebens werth ist, schon lange verneinend entschieden ist, ist doch bei uns der Selbstmord, welcher die natürliche Folge jener Ueberzeugung sein müßte, ganz außerordentlich selten.«

»Das scheint mir den Beweis zu liefern, daß selber auf dem Mars die Logik nicht allmächtig ist, was aber ist dann, wenn Alterschwäche und Krankheit nur Ausnahmen sind, was ist dann hier die gewöhnliche Todesursache?«

»Ablauf der Zeit,« erwiderte Esmo ironisch lächelnd, »das ist die eine HauptKrankheit, die unsere Aerzte allgemein anerkennen.«

»Und die Natur derselben?«

»Das könnte ich Euch so wenig wie die Aerzte sagen. Das Leben schwindet, wie das Licht der Lampe, wenn die den elektrischen Strom erzeugenden Elemente verbraucht sind, und doch kann alle Wissenschaft beim Erlöschen des Lebens weder irgend einen Verbrauch entdecken, der nicht vollauf ersetzt wäre, noch eine Unterbrechung der elektrischen Kette.«

»Was sind dann aber die Symptome?«

»Ich möchte sagen, die Erschöpfung der Willenskraft, des ersten und hauptsächlichsten Elementes der Persönlichkeit. Der Kranke fängt an, sich um gar nichts mehr zu kümmern, zur Arbeit hat er keine Lust, das Lesen macht ihm zu viel Mühe, ja selber das Befehlen, Sprechen, Fragen, Antworten, das Wiedererkennen alter Freunde wird ihm bald zu viel, und endlich hat er nicht einmal die Energie, sich anzukleiden, auszukleiden, sich niederzulegen oder zu erheben. Dann darf der Kranke sterben, denn würde er noch länger künstlich am Leben erhalten werden, so würde er selbst die Kraft verlieren, zu essen und zu trinken und zu athmen. Und während dieser ganzen Zeit lebt der Mensch doch! Ich habe einmal selbst ein solches Leben verlängert, ich möchte fast sagen, neu erweckt, mit Hilfe eines Reizmittels, das so das ganze Wesen jenes Sterbenden erschütterte und aufregte, daß er noch einmal lebhafter dachte und fühlte, als er es je seit jenen Zeiten gethan, da er jünger war, als seine Urenkelkinder zu jener Zeit es waren. Es ist sehr weise eingerichtet, daß jene Wenigen, welche, wie ich, es wissen, wie lange das Leben im Fleische erhalten werden kann, trotz oder vielmehr wegen dieser ihrer Kenntniß, auch gegen jeden Wunsch, das Leben ewig im Fleische zu erhalten, völlig gefeit sind.«


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Kapitel 7
Beschützerpflichten

Am nächsten Morgen unmittelbar nach dem Frühstück lud mich mein Wirth ein, ihm nach der Pforte des Gartens zu folgen, wo bereits einer jener elektrischen Wagen stand, deren ich wohl schon aus der Ferne ansichtig geworden war, aber bisher noch nicht Gelegenheit gehabt hatte, aus der Nähe zu betrachten. Er ruhte auf drei Rädern, von denen die beiden hinteren bedeutend größer als das Vordere waren, welches nur zum Steuern und zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts diente.

Das Material war jenes silberartige Metall, aus welchem hier auf dem Mars fast alle Geräthe, ja sogar die Schiffe hergestellt werden. Die Speichen, Stangen und Querstücke des Wagens bestanden alle aus hohlen Cylindern, so daß, zumal das Metall selbst ungemein leicht war, der ganze Wagen ein äußerst geringes Gewicht hatte. Oberhalb der Räder befand sich der Sitz mit Rück- und Seitenlehnen, genügend groß, um zwei Personen bequem Platz zu gewähren, und auf einem federnden Gestelle ruhend. Der Steuerapparat bestand aus einer Art von Ruder, das an dem Vorderrad befestigt war und dessen Handhabe zu einer für den Lenker bequemen Höhe heraufreichte.

Die bewegende elektrische Kraft und die Maschinerie befand sich in einem Kasten unter dem Sitze, welcher letztere eigentlich nichts weiter als die obere Wand und Decke dieses größten und wichtigsten Theiles des Gefährtes war. Durch eine weitere Vorrichtung ließ sich über dem Fahrenden ein Zeltdach derartig aufspannen, daß nur die Vorderseite offen blieb. Dies Zeltdach bestand hier aus einer Art von feinem Seidenstoffe und war innen wie außen mit bunten Federn in Mustern von wunderbarer Schönheit verbrämt. Mein Wirth forderte mich auf, mit ihm den Wagen zu besteigen und fuhr eine kleine Strecke lang, um mir zu zeigen, wie man steuern müsse, und wie sich das Gefährt, nur durch den Druck auf eine Feder, verlangsamen oder ganz anhalten ließe und gab mir dann auch Anweisung, wie man es über holperigen Boden und auf steilen Gebirgswegen auf- und abwärts leiten könnte. Als wir von dieser Probefahrt zurückkehrten, war schon der Regent in seinem Wagen vor der Pforte und in einiger Entfernung dahinter zwei andere Gefährte mit den Herren seines Gefolges. Auch Eveena erschien, sobald wir dieser kleinen Gruppe uns genähert hatten. Sie war von Kopf bis zu Fuß in einen weiten, weißen, schwanendaunartigen Pelzmantel eingehüllt, der in der Taille durch einen engen Silbergürtel mit einem Schlosse aus einem hellen grünlichen Juwel zusammengehalten wurde, und ein Schleier aus einem weißen atlasartigen Stoffe bedeckte Kopf und Gesicht und wallte bis halb auf den Busen hinab. Ihre rechte Hand trug einen Handschuh und wurde durch den weiten Mantelärmel ganz verhüllt; die Linke, die der umgelegte Mantelärmel frei ließ, war unbehandschuht. Sie reichte mir ihre bloße Hand, damit ich sie nach dem Sitz zu meiner Linken geleitete — ein Brauch der Konvenienz und Höflichkeit, und auf Esmo's Bitte begann jetzt der Regent, der uns voran fuhr, die Fahrt mit mäßiger Geschwindigkeit, nicht mehr als etwa stündlich zehn Meilen. Ich sah, daß auf den Dächern aller Häuser sich die Bewohner in hellen Haufen drängten, um unseren Zug zu schauen, und da meine schöne Begleiterin so dicht verschleiert war, wollte ich den Leuten durch das Aufziehen des Verdecks unseres Wagens ihr Vergnügen nicht verderben. Als ich wahrnahm, daß die junge Dame etwas im rechten Aermel versteckt hielt, erlaubte ich mir, sie zu fragen, was sie dort trüge.

»Verzeihung,« sagte sie, »wenn unser Aufbruch nicht so eilig erfolgt wäre, so hätte ich Euch vorher erst gebeten, mir zu gestatten, meine Lieblings esvè mitzunehmen.«

Sie schlug den Mantelärmel zurück und zeigte mir einen weißen Vogel in der Größe einer Brieftaube, jedoch mit einem größeren und stärkeren Schnabel als dem unserer Tauben. Sein Schweif und seine Fittige waren ebenso, wie die Federn am Kopf und Halse, goldig und grün betupft, und um den Hals trug es ein Silberkettchen, von welchem eine kleine Tafel mit einer Art von Bleistift herniederhing. Da sie, soweit ich aus ihrem Blick und Wesen errathen konnte, eine Antwort meinerseits erwartete, erwiderte ich:

»Es freut mich ungemein, daß Ihr mir so Gelegenheit verschafft, ein anderes jener wundersam zahmen, gelehrigen Thierchen kennen zu lernen. Wir haben allerdings auf unserer Erde auch Vögel, die einen Brief von einem fremden Ort heimwärts, doch eben auch nur heimwärts, tragen würden.«

»Nein,« meinte sie, »diese Vögel gehen nach allen Orten hin, vorausgesetzt natürlich, daß sie schon einmal dort gewesen sind, sowie den Namen jenes Ortes kennen; wenn hier mein Liebling, um mich zu suchen, losgelassen wäre, nachdem wir längst schon fortgefahren wären, er hätte mich zweifellos auf Hunderte von Meilen wieder aufgefunden.«

»Hat man noch mehr so wundersam kluge Thiere außer den tyree, den ambau und diesen eigenartigen Briefträgern?«

»Ach ja,« entgegnete sie, »fast alle unsere Hausthiere sind zu beinahe jeder Arbeit abgerichtet, die nur in ihren Kräften steht. Die tyree sahet Ihr ja schon bei ihrer Arbeit, wie sie die Würmer und Insekten und die Eier derselben auf ihrem Arbeitsfelde aufpickten, und auch die ›ambau‹ habt Ihr schon gesehen, wie sie Früchte pflückten. Ist Euch noch nicht ein anderes großes Thier — ich möchte es einen Vogel nennen — aufgefallen, jedoch ein Vogel, der nicht fliegen kann, und der anstatt mit Federn mit struppigem Haar bewachsen ist? Es ist so groß, wie ich, sein Schnabel scharf und stark, sein Hals halb so lang wie sein ganzer Körper; von diesen carveè genügen vier vollauf, ein Feld, so groß wie unser Garten, d. h. gewiß ein hundert und sechzig Morgen in einigen Tagen von jedem Unkraute zu säubern. Und ferner sind auch diese Thiere abgerichtet, Früchte und Pflanzen herbeizutragen; natürlich sind auch hierbei manche klüger, als die Anderen. Die Klügsten aber kennen jede Pflanze in dem Garten bei ihrem Namen; wir können ihnen Weisung geben, an fünf und sechs verschiedene Arten auf einmal zu holen, und selten nur vergessen oder verwechseln sie dieselben. Das Einhorn, wie Ihr es nennt, kommt regelmäßig jeden Abend, sich melken zu lassen, und wenn man es dem Thier vorher sagt, kommt es zu diesem Zwecke zu jeder gewünschten Stunde nach irgend welchem Orte, nach dem man es bestellt. Vor der Erfindung der elektrischen Wagen gab es sehr viele Lastthiere, die auf Geheiß den Menschen sicher nach einem jeden Orte trugen oder fuhren, und höchstens auf ihnen unbekannten Straßen gelenkt zu werden brauchten. Das einzige Thier, das wir zu diesem Zweck jetzt noch halten ist der caldecta, ein Vogel, der ungefähr sechs Fuß vom Kopfe bis zum Schwanze mißt, und dessen Flügelspannweite wohl dreimal so groß ist. Sie können sehr hoch fliegen und tragen ihren Reiter nach sonst unzugänglichen Orten, indeß sind sie nur noch wenig im Gebrauche und werden vorzugsweise nur von Jägern noch gehalten, da ihr Gebrauch mit einiger Gefahr verbunden ist und sie andererseits den Reiter kaum über viertausend Fuß hoch tragen können; bis dahin aber kann man jetzt auf bessere und bequemere Weise kommen. Einst freilich spannte man die Thiere vor Ballons, als man es noch nicht erfunden hatte, dieselben durch Elektrizität zu treiben und zu lenken. Das war der letzte Fortschritt auf dem Gebiete der Verkehrsmittel in unserer Welt, und wenn ich recht berichtet bin, ward diese Erfindung zu Zeiten meines Großvaters gemacht.«

»Und habt Ihr keine Thiere,« fragte ich weiter, »die auch das Land bestellen?«

»Nein,« erwiderte sie, »außer den jätenden Vögeln, von welchen ich Euch eben sprach, gar keine. Ist jedoch einmal das Land, welches wir umpflügen wollen, für unsere elektrischen Pflüge zu klein, so verwenden wir wohl auch jene Thiere einmal zu dieser Arbeit.«

»Ich sähe gern einmal, wie diese elektrischen Pflüge arbeiten.«

»Wir werden zweifellos auf unserem Wege an mehr als einem vorbeikommen.«

Bei diesen ihren Worten erreichten wir die Landstraße, über die ich schon bei meiner Ankunft hinweggegangen war, und verfolgten jetzt eine kurze Strecke diesen Weg; ich konnte deutlich sehen, daß er zu der bereits von mir erwähnten Seestadt führen mußte. Dann kamen wir an eine Oeffnung in dem mittleren Fußweg, so schmal, daß wir gerade nur hindurchpassiren konnten, und ich drehte mich bei dieser Gelegenheit um und sah die beiden anderen Wagen in einiger Entfernung folgen. Bald fuhren wir nun den Berg hinan, auf einem schmalen Pfade, den ich bei meinem Herunterkommen nicht bemerkt hatte, und zu beiden Seiten dieses Weges lagen Felder, von welchen einige gerade zur Bestellung unter dem Pfluge waren; hier konnte ich also die von meiner Begleiterin erwähnten Maschinen arbeiten sehen. Sie waren offenbar nach demselben Prinzipe wie die Wagen erbaut, doch größer und mit breiteren, schwereren Rädern; sie rissen den Boden auf, zermalmten ihn mit einem Dutzend scharfer dreieckiger Pflugscharen in einer Breite von zwei Ellen, drangen achtzehn Zoll tief in ihn ein und kamen fünfzig Ellen in der Minute vorwärts. Eveena erklärte mir, daß diese Felder gemeinhin zweihundert bis sechshundert Ellen im Quadrate hätten. Zuerst sah ich jetzt die Maschine in der einen Richtung über das Feld ziehen, dann fing sie das Werk von Neuem an, indem sie zu der ersten Arbeit in rechten Winkeln pflügte. Hinten befestigt folgte dem Pfluge eine Art von Egge, um größere Klumpen Erde in kleine Stücke zu zerschlagen, sowie den Boden zu ebnen und zu glätten. Der Boden ward in der That so ausgezeichnet durchgearbeitet, so fein, wie bei uns nur die feinste Gartenerde. War die Maschine an das Ende ihrer Bahn gekommen, so mußte der Pflug von Menschenhänden umgewendet werden, das aber war auch die einzige Verrichtung, wozu die Menschenkraft hierbei erforderlich war. Auf einem anderen bereits doppelt gepflügten Felde war eine Säemaschine in Thätigkeit. Die großen Samenkörner wurden einzeln mittels eines einem vergrößerten InsektenOvipositor (Eierleger) nicht unähnlichen Instrumentes, welches sich in regelmäßigen Intervallen Löcher in den Boden bohrte, in letzteren hineingelegt. Eveena fügte erläuternd hinzu, daß, wenn die Saatkörner klein und winzig wären, ein ununterbrochener Strom derselben in eine kleine Furche sich ergöße, die ein zu der Maschine zugehöriges Instrument vorher im Boden zöge, indeß ein anderer noch weiter rückwärts angebrachter Arm die Furche hinterher schlöße und den Boden glättete.

In Antwort auf eine andere Frage, die ich ihr stellte, fuhr sie fort:

»Es giebt wohl an einige Hundert verschiedene Arten Thiere mit Wolle und mit Haaren, die zweimal im Jahre, gleich nach den Regenzeiten abgeschoren werden; sie liefern uns die Fibern, welche in die meisten Stoffe, die wir zur Kleidung und sonst im Haushalt benutzen, verwoben werden; die Thiere stellen sich mit solchem Gleichmuth und so geschickt bei unseren Scheermaschinen an, daß sie nur selten, ja fast nie dabei beschädigt werden.«

»Nicht einmal,« fragte ich, »bei unerfahrener Handhabung der Maschinen?«

»Handhabung?« sagte sie, »Niemand außer den Thieren selbst hat etwas mit den Maschinen zu thun. Man sendet einzig und allein das Thier hinein und nicht einmal dies. Das Thier geht ganz aus freien Stücken hinein, wenn es ein anderes schon geschorenes herauskommen sieht.«

»Und habt Ihr keine Pflanzenfibern,« fragte ich, »die Ihr zum weben brauchen könntet?«

»O ja!« erwiderte sie, »mehrere, das Ueberkleid zum Beispiel, das ich gewöhnlich im Hause trage, ist aus solch einer Pflanzenfaser verfertigt, welche sich in der Frucht des AlgyroBaums vorfindet; und außerdem giebt es noch drei oder vier verschiedene Pflanzenarten die uns ein gleich feines und weiches Material liefern.«

»Und Euer Mantel?« forschte ich, »ist der nicht aus dem Felle eines Thieres hergestellt?«

»Ja,« antwortete sie, »und zwar ist es ein sehr wunderbares Thier, das den Stoff zu meinem Mantel geliefert hat; es lebt nur hoch im Norden oder tief im Süden, nur in den arktischen Zonen. Dorthin sind jetzt überhaupt fast alle unsere wilden Thiere, mit Ausnahme von einigen kleineren, die sich vom Fange schädlicher Insekten nähren, längst verdrängt. Jenes Thier nun mag die Größe unseres Einhorns haben, und ist vierfüßig ebenso wie dieses, sonst aber einem Vogel weitaus ähnlicher, mit langem dünnem Halse und einem Kopfe, der wieder nicht nach einem Vogelkopfe aussieht; die lange hörnerne Schnauze ist mit zwei Reihen Zähnen ausgestattet, so daß sie wie ein Mittelding zwischen Maul und Schnabel aussieht. Die hinteren Extremitäten sind indessen offenbare Vogelbeine, die unteren Glieder aber wieder fleischiger als sonst bei Vögeln und ganz bedeckt mit feinen Flaumfedern. Bei den vorderen Gliedmaßen nun, pflegt mein Vater stets zu sagen, hätte es den Anschein, als ob die Natur zwischen Füßen und Flügeln geschwankt hätte. Unter einem zusammen geschrumpften Häutchen trägt es in seinen Vordergliedern einige lange, scharfe, federlose Stacheln, die es so furchtbar als Waffe zu benutzen weiß, daß kaum ein anderes Thier den Muth hat, es anzugreifen. Am Fuße hat die Therne vier Klauen, die ihr zum Fang von Fischen oder jener kleinen elektrischen Drachen dienen; besonders aber jagt es gern nach den letzteren, mit denen Ihr ja schon Bekanntschaft machtet. Aus diesen Länderstrichen kommt all unser Pelzwerk und da uns diese Thiere deshalb von sehr großem Nutzen sind, ist es verboten, jährlich mehr als eine ganz bestimmte Anzahl zu erlegen, und in Folge dessen stellt sich der Preis für dieses Rauchwerk so hoch, daß es zu unseren kostbarsten Luxusgegenständen zählt.«

Inzwischen waren wir fast auf dem Gipfel unseres Berges angekommen, und es mochten bis zur Spitze etwa noch fünfhundert Fuß sein, aber es war jetzt unmöglich, mit unseren Wagen noch weiter fortzukommen. Der Regent sowie sein Begleiter stiegen deshalb aus, dann hielt ich selber, sprang aus dem Wagen und reichte Eveena meine Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, sie schien aber von dieser Aufmerksamkeit sichtlich überrascht. Zuerst blieb unser Weg bequem, dann aber ward er bald steil und beschwerlich, selbst für mich, um wie viel mehr nicht noch für eine Dame, die so, wie ich beschrieben habe, angekleidet und schwerlich stärker als ein Kind von gleicher Größe auf der Erde war. Daß es ihr auch in der That nicht leicht ward, ging schon daraus hervor, daß sie die beiden Aermel ihres Mantels umschlug und ihren Lieblingsvogel in Freiheit setzte, der sich aber beständig in ihrer Nähe hielt. Trotzdem schien sie Unterstützung von meiner Seite nicht zu erwarten. Indeß bald ward mir ihre Lage so ängstlich und gefährlich — denn sie stolperte und glitt jeden Augenblick aus, — daß ich, als sie von Neuem fiel, auf die Gefahr hin, aufdringlich zu scheinen, sie aufhob und ihr meinen Arm bot, mit der Bitte, mir zu gestatten, sie für den heutigen Tag führen zu dürfen, und aus ihrem Wesen und dem Ton ihrer Stimme konnte ich entnehmen, daß, wenn ihr diese Aufmerksamkeit auch befremdlich schiene, sie sich doch keineswegs dadurch beleidigt fühlte. Die Anderen aber, welche uns folgten, blickten mit nicht geringem Staunen nach uns hin und sprachen unter sich in Worten, die ich nicht verstand, doch deren Ton mir nicht gerade schmeichelhaft für mich zu sein schien. Der Regent, der uns einige Schritte voranging, drehte sich von Zeit zu Zeit um, mir einige triviale Fragen vorzulegen. Endlich erreichten wir die Bergesspitze, hier ließ ich die Hand meiner Begleiterin los, trat einige Schritte vor und zeigte dem Regenten den äußeren Bau des Luftschiffes. Ich stand natürlich Eveena ziemlich nahe, so daß sie meine Worte hören konnte, ja ich versuchte, mich zu gleicher Zeit an sie, wie an den hohen Würdenträger, dem ich heut Rechenschaft ablegen sollte, mit meinen Auseinandersetzungen zu wenden. Doch seit dem Augenblicke, da wir uns thatsächlich in der Gesellschaft des Regenten befanden, war es, als ob Eveena ein jedes Interesse an der Unterhaltung verloren hätte, und als nun unsere Begleiter herankamen, um jetzt den Eingang des Schiffes zu erreichen, auf den ich hindeutete, reichte ich dem Mädchen wieder meine Hand mit den Worten: »Ich fürchte, es würde Euch schwer werden, ohne meine Hülfe durch das Fenster in das Luftschiff einzusteigen.« Doch der Regent hatte einige leichte Stangen aus Metall mitgebracht die ich bisher, da sie von einem seiner Begleiter getragen wurden, nicht bemerkt hatte, und er ließ dieselben jetzt zusammenfügen und eine richtige Leiter von gerade ausreichender Länge daraus herstellen. Dann bat er mich, zuerst die Leiter hinaufzusteigen um selbst das Band und Siegel, welches das Fenster festhielt, zu entfernen; so streng beobachtet man auf dem Mars die Gesetze über das Eigenthum, daß selbst hier der Regent das Symbol des Privatbesitzes, das mein Schiff beschützte, nicht verletzen mochte. Ich that es also selber, dann öffnete ich das Fenster und sprang hinein. Er selbst und seine Begleiter folgten. Doch blieb er auf dem breiten inneren Rand des Fensters stehen, der, da das Crystall nur halb so dick war wie die Wände zum Sitzen und zum Stehen hinreichend Platz gewährte, und schaute sich erst von dort den ganzen inneren Bau an, dann sprang auch er herab, gefolgt von allen seinen Begleitern. Eveena hatte sich indeß zurückgezogen, und nur mit Mühe gelang es mir sie zu überreden, mit meiner Hülfe einzusteigen und auf dem innern Vorsprung so lange zu warten, bis ich nachgekommen wäre, um sie von dort herabzuheben. Inzwischen war der Regent an die Maschinerie herangetreten, die er mit Aufmerksamkeit und anscheinend mit größerem Sachverständniß als ich ihm zugetraut hätte, untersuchte.

Sobald wir beide unten waren, erklärte ich den Zweck sowie die Art und Weise der Bewegung eines jedes Theiles meines Apparates, verschwieg jedoch absichtlich die Natur und die Herstellungsweise der apergischen Kraft. An diese Kraft aber wollten sie durchaus nicht glauben. Da dies nun der kritische Punkt war, um welchen sich meine ganze Geschichte drehte, von dem es natürlich abhing, ob meine Erzählung Wahrheit oder Lüge war, so beschloß ich, meinem erlauchten Begleiter noch vor dem Ende seiner heutigen Inspection handgreifliche Beweise von dem Vorhandensein dieser Kraft zu geben. Mittlerweile hörte ich schweigend seine Aeußerungen des Zweifels an und folgte ihm durch den innern Bau des Schiffes, indem ich bald ihm, bald Eveena die Benützung des einen oder des anderen Instrumentes erklärte, wobei meine schöne Begleiterin mit demselben schnellen Verständniß meinen Worten zu folgen schien, wie der Großwürdenträger des Reiches und die Herren des Gefolges. Die Letzteren standen stets ein wenig abseits, doch nahe genug meine Worte noch zu vernehmen; und im Bewußtsein ihrer untergeordneten Stellung erlaubten sie sich fast keine Frage, und wenn sie wirklich einmal fragten, geschah es in so leisem Tone, daß ich den Sinn der Frage nicht verstand. Der Eindruck, welchen die Erklärung meiner Instrumente auf den Regenten machte, war, soviel ich aus dem Ausdruck seiner Züge und aus kurzen hingeworfenen Bemerkungen entnehmen konnte, ein äußerst ungünstiger. Das waren ja nach seiner Meinung meistens plumpe Vorrichtungen, um Resultate zu erzielen, welche die Wissenschaft und der Erfindungsgeist seiner Landsleute längst schon und auf weit vollkommenere Weise erreicht hatten, und nur für die Beschaffenheit meiner geheimnißvollen Triebkraft empfand er ein allerdings sehr lebhaftes Interesse. Er konnte es sich nicht zusammenreimen, wie man bei solch mangelhaften Kenntnissen, bei solcher halbbarbarischen Unwissenheit aus ein Geheimniß von so enormer Wichtigkeit, wie das des repulsiven Stromes kommen könnte, das auf dem Mars noch nicht entdeckt, ja dessen Vorhandensein, wie ich aus seinen Bemerkungen entnahm, von den Gelehrten des Mars noch nicht einmal geahnt worden war. Nachdem er seine Inspektion beendet hatte, bat er um die Erlaubniß, einige der Gegenstände, die ich dort zurückgelassen hatte, mit fortnehmen zu dürfen; es waren größtentheils verwelkte Pflanzen und einige Bücher mit technischen, mathematischen und ornamentalen Zeichnungen; ich hatte sie damals selbst nicht mitnehmen können und späterhin mußten sie von dem Sohne meines Wirthes vergessen oder übersehen worden sein. Diese Gegenstände bat ich ihn dem Camptâ vorzulegen und fügte ihnen einige andere kleinere Sehenswürdigkeiten bei. Dann zog ich ihn mit mir zurück zu der Maschinerie. Er selbst rief einen der Begleiter zu sich heran, befahl ihm jene Sachen, die ich ihm gegeben hatte, nach seinem Wagen fortzutragen und hieß die Anderen, ihm dabei behilflich zu sein, so daß ich jetzt mit ihm und Eveena allein in dem Astronauten zurückblieb. Theilweise aus Muthwillen, theilweise beseelt von dem ernsten Wunsche, dem Regenten eine thatsächliche Probe von dem Vorhandensein jener Kraft zu geben, deren Dasein er bezweifelte, und die doch so eng mit meiner vielbestrittenen Existenz verknüpft erschien, lockerte ich, um endlich einmal die volle Wahrheit meiner Worte zu beweisen, den einen Conductor, brachte ihn mit der Maschinerie in Verbindung, richtete ihn auf den Würdenträger und sandte einen äußerst schwachen apergischen Strom durch denselben hindurch, dem freilich eine Wirkung folgte, auf die ich keineswegs gefaßt war; denn Seine Hoheit ward auf beträchtliche Entfernung fortgeschleudert und zu Boden geworfen. Als ich mich nun umdrehte, um den Strom zu unterbrechen, noch ehe ich dem Zamptâ zu Hilfe eilte, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß noch ein anderer, und in meinen Augen wenigstens ernsthafterer Unfall, als mir die augenblicklich allerdings auch nicht angenehme Lage des Regenten dünkte, die Folge meines Experimentes war. Es mußte mir entgangen sein, daß zufällig der eine Leitungsdraht, dessen eines Ende auf den Boden niederhing, noch mit dem Apergion in Verbindung stand, und den für den Regenten bestimmten Strom auf Kosten meiner Schutzbefohlenen abgeschwächt hatte. Sie hatte denselben wohl, von mir unbemerkt, spielend in die Hand genommen und wurde nun, als der Strom durch ihn hindurch ging, so unschädlich und schwach derselbe auch war, dennoch derart erschüttert, daß sie in momentane Ohnmacht fiel; doch hatte sie sich bereits erholt, ehe ich ihr noch zu Hilfe eilen konnte, und auch ihr hoher Leidensgefährte war mittlerweile wieder zu sich gekommen. Erstaunt und ärgerlich, war es ihm halbwegs klar geworden, was sich ereignet haben mußte. Eveena aber fing an, bei mir nach Art erschreckter Kinder sich zu entschuldigen, und hörte kaum auf meine eigene Bitte um Verzeihung. Ich suchte also, bevor ich noch den hohen Würdenträger, dem ich so klaren Beweis vom Dasein der repulsiven Kraft gegeben hatte, gebührend um Verzeihung bitten konnte, das junge Mädchen in die freie Luft hinauszubringen und aus der Nähe jenes Apparats zu schaffen, den sie sichtlich mit Angst und Bangen betrachtete; ich sagte daher einige kurze Worte zu dem Regenten und nahm Eveena, hob sie auf und brachte sie hinaus. Dann ging ich wieder in das Schiff zurück, um jetzt dem Zamptâ hilfreiche Hand zum Aussteigen zu leisten, nachdem ich Eveena draußen auf einen Stein ganz in der Nähe der Leiter niedergesetzt hatte, mit der Bitte, sich von dort bis zu meiner Rückkehr, die wie ich ihr versprach, schleunigst erfolgen sollte, nicht fortbegeben zu wollen. Indeß vermochte ich mein Versprechen nicht zu halten; denn die hohe Persönlichkeit innerhalb des Luftschiffes hatte in der Zwischenzeit seinen Schrecken und die respektwidrige Behandlung seiner hohen Persönlichkeit in etwas verwunden und ersuchte mich, einige weitere Experimente, doch nicht an ihm selbst, anstellen zu wollen. Er beobachtete dieselben — sie mochten wohl eine halbe Stunde lang währen — mit gespannter Aufmerksamkeit und sprach, ich muß es zugestehen, mit ziemlichem Gleichmuth, aber trotzdem konnte ich in seinen Augen deutlich lesen, daß ich auf seine Gunst und Fürsprache bei der Berichterstattung vor dem Camptâ nicht zu hoffen hatte. Jetzt aber brauchte er, um auf das Fenster zu gelangen, meine Hilfe, die ich ihm willig, mit möglichster Ergebenheit anbot.

Wer vermöchte meinen Schrecken zu beschreiben, als ich ins Freie gekommen, Eveena nicht mehr auf ihrem Platz erblickte. Ich rief und rief und konnte keine Antwort hören; dann rief ich noch einmal, mir war es jetzt, als ob ich ihre Stimme hörte, ich wußte aber nicht, woher sie kam; ich rannte auf dem ganzen Plateau des Bergs umher, sie zu suchen. Umsonst! Ich konnte sie nicht finden. Da sah ich plötzlich am Rande eines Felsvorsprunges ihren Vogel flattern und hörte ihn voller Angst und Schrecken kreischen. Jetzt rief mich der Regent mit lauter, befehlender Stimme, aber ich gab ihm selbstverständlich weder Antwort noch kam ich seinem Rufe nach, sondern eilte an den Unglücksort, blickte über den Vorsprung in die gähnende Tiefe hinab und sah erschreckt, was geschehen war. Dicht unter dem Felsvorsprung befand sich eine mit seltsam gebildeten und wunderfarbigen Blumen bedeckte etwa vier Fuß lange und nur zehn Zoll breite Fläche; die Blumen hatten eine cylindrische Glockenform und waren bläulich, lila, manche beinahe himmelblau gefärbt, kurz die ganze schmale Erdbank war ein zauberisches Blumenbeet, und hier sah ich jetzt Eveena sich an den Felsen über ihrem Kopfe klammern. Sie schien vor Angst halb ohnmächtig zu sein; der Schleier und der Kopfputz war herabgefallen und ihre Züge drückten Furcht und Entsetzen aus. Mir ward es augenblicklich klar, daß sie dorthin auf einem schmalen, wohl einige Hundert Fuß langen Bergpfad gekommen sein mußte, der sich von oben bis ziemlich an die Erdbank hinabschlängelte, auf welcher jetzt das Mädchen stand. Der Weg war dicht auf beiden Seiten mit Sträuchern und Bäumen bewachsen, so daß die schwindelnde Tiefe zu der einen Seite verdeckt wurde, und er in Folge dessen auch einem furchtsamen Mädchen gefahrlos dünken mußte. Indeß jener Pfad endete einige Schritte vor der Erdbank, und um von ihm bis zu den Blumen zu gelangen, mußte man auf einem über den Riß gefallenen Baum, dessen Aeste und Blätter dem Auge noch immer den tiefen Abgrund verbargen, hinüberpassiren. Beim Hinübergehen hatte Eveena den Baum so aus seiner alten Lage verrückt, daß er nicht mehr als Brücke über jene Kluft zu benutzen war. Ich hätte also, um zu ihr zu gelangen, die Kluft überspringen müssen und hätte dies vielleicht auch gekonnt, jedoch vermochte ich natürlich nicht, auf diese Weise den Weg, mit ihrer Last beladen, zurückzukehren. Es blieb mir also nur der einzige Ausweg übrig, das Mädchen mit den Händen, direkt von da, wo ich stand, emporzuheben, ein Unternehmen, das aus dem Grunde sehr gefährlich war, weil auf jenem Felsvorsprunge, unter welchem Eveena selber stand, Nichts vorhanden war, woran ich mich festhalten konnte. Da näherte sich mir zur rechten Zeit der Zamptâ und wollte sehen, was hier vorgefallen war.

»Haltet mich fest,« sagte ich, »oder setzt Euch auf mich, mit Eurem Gewicht mich zu halten, während ich mich hinüberlege!«

Der Mann blickte mich erstaunt an; ihn schreckte nicht die gefährliche Lage eines Anderen. Er war verwundert über mein Begehren und erwiderte mir, ohne die geringste Absicht, mir beizustehen: »Ihr seid toll! — Weit eher wird es Euch gelingen, Euer eigenes Leben zu verlieren, als ihr das ihrige zu retten!«

»Was gilt es mir, mein eigen Leben zu verlieren!« rief ich außer mir, »wie könnte ich ohne sie wieder vor ihren Vater treten. Legt, sag' ich Euch noch einmal, legt Eure ganze Schwere auf mich. Ich werde mich hinüberbeugen und laßt die Zeit nicht unnütz verstreichen!«

»Was!« fuhr er fort, »Ihr seid zweimal so schwer, wie ich; wenn Ihr hinabgezogen werdet, würde ich das gleiche Schicksal haben. Meint Ihr, ich möchte mich in eine solche Gefahr begeben, nur um ein Mädchen vor den Folgen ihres Leichtsinns zu retten?«

»Wenn Ihr nicht wollt,« schrie ich jetzt in zorniger Wuth, »dann werde ich Euch in den Abgrund schleudern, daß sich Euer elender Leichnam dort unten an den Felsen zerschmettert, Ihr feige Memme!«

Selbst diese Drohung konnte ihn noch nicht bestimmen, mir Folge zu leisten. Da sah ich einen letzten Hoffnungsstrahl in dem ängstlich um meine Schultern flatternden Vogel; ich haschte nach ihm, nahm das Täfelchen an seinem Halse, schrieb einige Worte auf dasselbe und rief dem klugen Thiere zu »Nach Hause!« und unverzüglich theilte es blitzschnell die Lüfte. —

»Wollt Ihr mir jetzt nicht helfen,« fuhr ich fort, »so ist das Euer Tod, und gebt Ihr vor, mir helfen zu wollen, und thut nicht, was in Euren Kräften steht, dann wird Euch Esmo für unser beider Leben verantwortlich machen; das ist die Bitte, welche ich durch den Vogel an Esmo abgesandt habe.«

In der höchsten Verzweiflung war ich auf den Gedanken gekommen, das Gewicht des Namens meines Wirthes geltend zu machen und den geheimnißvollen Schrecken mir zu Nutze zu machen, mit dem derselbe, wie ich aus seinen Andeutungen entnommen hatte, von seinen Volksgenossen betrachtet wurde. Aber so schwach mir selbst auch mein letzter Halt erschien, verfehlte er doch nicht seinen Zweck, denn der Zamptâ ward sichtlich verlegen, und ich sah, ich konnte von seiner Seite jetzt wenigstens auf eine passive Unterstützung rechnen. Ich faßte ihn also an seinen Arm, zog ihn mit mir nieder, indem ich ihm zuraunte, daß, zöge er nicht mit allen seinen Kräften rückwärts und stürzte ich hinab, er sicher von mir mit hinabgerissen würde, und dann beugte ich mich weit über den Felsvorsprung hinüber, so weit, daß ich ohne seine Hilfe unfehlbar ein Kind des Todes gewesen wäre. Es war die allerhöchste Zeit; ich sah es dem Mädchen an, an ihren schlotternden Gliedern, an den geschlossenen Augen, daß hier kein Augenblick mehr zu verlieren war.

»Gebt mir die Hand,« rief ich verzweiflungsvoll, als ich bemerkte, wie sie sich nur noch kraftlos an den Schlingpflanzen hielt, die in den Rissen des Felsens wuchsen und herniederhingen.

Doch selber dazu war sie schon zu schwach und hätte sie sich losgelassen und sich nicht auch zugleich fest an mich angeklammert, so wäre der Ausgang sicherlich verhängnißvoll geworden. Ich beugte mich noch weiter über; ich wollte sie anpacken und dann hochziehen; indeß schien es kaum möglich, besonders wenn sie sich in ohnmächtiger Verzweiflung an jenen Pflanzen festklammerte, sie mit meinem einem Arme emporzuziehen. Ich sah mich darum jetzt genöthigt, wenn ich nicht jede Hoffnung, sie zu retten, aufgeben wollte, mich ganz auf den furchterzwungenen Gehorsam des Regenten zu verlassen.

»Werft Euch auf mich!« schrie ich, »sitzt fest, wenn Euer Leben Euch lieb ist.«

Dann streckte ich beide Hände aus; ich fühlte des Mannes ganze Schwere auf mir liegen, und griff mit beiden Händen fest und kräftig zu, aber selbst jetzt noch hätte sich mein Rettungsversuch als aussichts- und hoffnungslos erwiesen, wäre nicht das junge Mädchen leichter, als ihre Schwestern auf der Erde, ja leichter als die meisten der martialischen Mädchen gewesen, und auch so noch mußte ich alle meine Kräfte aufbieten, um sie emporzuheben. Mein rauher fester Griff schien sie zum Glück zu sich selbst zu bringen; mir war, als ob sie ihre Augen öffnete und sich einigermaßen ihrer Lage bewußt würde.

»Laßt los,« rief ich in scharfem und befehlendem Ton; ich war so aufgeregt, daß mir dieser Ton von selbst und unwillkürlich kam. Sie mochte sich zwar dessen nicht bewußt sein, was sie that, indeß befolgte sie beim Klang der herrischen Männerstimme, gewohnt trotz aller Gleichheitstheorien an unweigerlichen Gehorsam, instinktiv meine Weisung, und ließ in demselben Augenblick, da ich an Allem zu verzweifeln anfing, die Pflanzen los, an denen sie sich festhielt. Nun noch ein einziger Ruck mit Aufbietung meiner ganzen Kraft, dann hatte ich sie glücklich auf den Fels geschwungen, sah sie vor mir, sah sie gerettet, und fiel dann, meiner Sinne nicht mehr mächtig, selbst zu Boden.

Der ganze Vorgang, den ich so langathmig erzählen mußte, um meinen Lesern ein halbwegs anschauliches Bild davon zu geben, spielte sich in der Wirklichkeit in wenigen Augenblicken ab, doch waren dies so erschütternde Augenblicke, daß ich sie nie, so lange ich denken kann, vergessen werde. Ich hatte eine That ausgeführt, die unten auf der Erde selbst mit Riesenkräften unausführbar gewesen wäre, und selbst hier, trotz der geringeren Schwerkraft und trotzdem Eveena so leicht, ja leichter, als bei uns ein Mädchen mit zwölf Jahren war, hatte ich doch alle meine seit langen Jahren in Feld und Wald, auf Jagdzügen und im Kriege gestählten Kräfte aufs äußerste anspannen müssen. Als ich nun wieder zu mir kam und versuchte, Eveena zum Bewußtsein zurückzurufen, bemerkte ich, daß mein unfreiwilliger Beistand verschwunden war.

Es währte eine volle Stunde, ehe Eveena sich soweit erholt hatte, daß ich daran denken konnte, sie von dem Ort des Unglücks fortzubringen, und vielleicht hatte ich auch selbst keine besondere Eile, wieder zu meinen anderen Begleitern zurückzukehren. Ich hatte nicht mehr gethan, als was unter gleichen Umständen auf Erden selbst der Verworfenste nicht unterlassen hätte. Es wäre mir unmöglich anzunehmen, daß Einer meiner Mitmenschen sich auch nur einen Augenblick hätte bedenken können, ein seiner Pflege und seinem Schutze anvertrautes Wesen, wie Eveena, entweder zu erretten oder selbst mit ihr zu sterben. Indeß der tausendjährige Unglaube, der gar nichts Höheres, als die physischen Naturkräfte anerkennt, hat auf dem Mars den Menschen so gewaltig umgemodelt, daß er in seinem Fühlen und Denken uns anderen Menschen, die wir auf der Erde vierzig Millionen Meilen näher der Sonne wohnen, völlig unähnlich geworden ist. Sogar Eveena, die doch in einem eigenen Heim, umringt von Liebe und Familienglück erzogen war, stand so sehr unter dem Einfluß der Anschauungen ihrer Welt, daß ihr meine That nicht weniger außerordentlich erschien, als dem Zamptâ. Der Edelmuth, die Hochherzigkeit meiner Handlung erschien ihr so groß, daß ich in ihren Augen ein Heros und ein Halbgott war. So dankbar war der Blick in ihren Augen, so süß der Ton ihrer Stimme, daß er trotz ihrer mädchenhaften Schüchternheit auch älteren als mir hätte gefährlich werden können. Endlich nach Verlauf einer Stunde drängte ich, so schwer es mir ward, die Erholungspause abzubrechen, zum Aufbruch; indeß vergaß ich nicht, noch ehe wir die Spitze dieses Berges verließen, das Fenster meines Luftschiffes wieder zu verschließen. Es wunderte mich nicht, daß trotz der Ruhestunde Eveena ihre Kräfte noch nicht so weit wiedergefunden hatte, um ohne Hilfe bis zu dem Platze zu gehen, wo unsere Wagen standen, doch unlieb war es mir gewiß auch nicht, daß ich sie bis dahin in meinen Armen tragen durfte. Bevor wir aber noch unseren Rückweg antraten, hatte ich trotz ihrer ernsten Bitten ihren Schleier und Kopfputz geordnet; ich hätte allerdings unter anderen Verhältnissen es kaum gewagt, mich der Gefahr auszusetzen, die damit für die Ruhe meines Herzens verbunden war. Aber wenn sie mit mir unverhüllt zu den Anderen zurückgekehrt wäre, so hätte dies Bemerkungen verursacht, denen gegenüber selbst ihres Vaters kühler Gleichmuth nicht hätte ruhig bleiben können.

Wir erreichten in Sicherheit und ziemlich unbemerkt, da wir den Verschlag unseres Wagens aufgezogen hatten, ihres Vaters Haus, in welchem augenblicklich sich nur ihre kleinere Schwester befand, da alle älteren Glieder der Familie von ihrem Ausfluge, den sie in einer privaten Angelegenheit hatten unternehmen müssen, noch nicht zurückgekehrt waren. Ich übergab der Kleinen Eveena und suchte nach dem Vogel, um ihm das Täfelchen, das seinen Zweck so gut erfüllt hatte, abzunehmen. Das Thierchen war binnen einer halben Stunde, nachdem ich es abgesandt hatte, zu Hause angekommen und hatte die kleine Zulve nicht wenig erschreckt, obgleich ihr der Sinn meiner Worte, den aber Esmo im Fall eines Unglücks sicherlich verstanden hätte, völlig dunkel geblieben war.


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ENDE DES ERSTEN BANDES.


ZWEITER BAND


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Kapitel 8
Ein Glaube und sein Gründer

Schon vor dem Thor vernahm bei Rückkehr der Familie mein Wirth die Kunde des Vorgefallenen. Er suchte daher zuerst seine Tochter auf und begab sich nach einem Zwiegespräch mit derselben zu mir. Erregter als ich es dem sonst so ruhigen und gelassenen Manne zugetraut hätte, trat er mit bleichen, zusammengepreßten Lippen in mein Zimmer, legte seine Hand auf meine Schulter und drückte seinen innigen Dank mehr in seinen Blicken und dem Ton seiner Sprache als in seinen kurzen abgebrochenen Worten aus. Nach einigen Minuten gelang es ihm indessen, seine Ruhe wiederzufinden, und dann bat er mich, ihm den ganzen Vorfall noch einmal zu erzählen. Er lauschte meinen Worten, ohne auch nur im geringsten von des Regenten Niederträchtigkeit überrascht zu erscheinen, ja sichtlich vermochte er nicht einmal den Unwillen zu fassen, mit welchem sein Betragen mich erfüllte. Als ich meinen Bericht beendet hatte, nahm er das Wort:

»Ihr habt,« sagte er, »Euch einen Feind und zwar einen mächtigen, gefährlichen Feind gemacht, auf der anderen Seite aber Freunde mit Eurer Handlung gewonnen, gegen deren Hilfe und Unterstützung der Zorn selbst eines Gewaltigeren, denn eines Zamptâ, ohnmächtig wäre. Er that allerdings nur das, was ein Jeder bei uns ohne Zweifel gethan hätte. Was Ihr für Eveena gethan habt, hätte selbst von den Unseren höchstens ein Bräutigam für seine erste Braut am Hochzeitstag selber vollführt, und ob ich Euch auch tausendfachen Dank schulde, ich würde Eveena nicht erlaubt haben, Euch zu begleiten, hätte ich eine Ahnung davon gehabt, wie warm Ihr für sie empfindet.«

»Ich denke,« erwiderte ich ein wenig gereizt, »ich kann Euch fest versichern, daß ich kein einziges Wort gesprochen, das ich nicht auch in Eurer Gegenwart ihr gesagt hätte. Ich verstehe zu wenig Eure Ideen, um beurtheilen zu können, ob Eure Worte für mich den harten Vorwurf enthalten, den sie bei uns auf der Erde ausdrücken würden. Als Ihr Eure Tochter meinem Schutz anvertrautet, dachte ich ihrer nicht anders, als ein jeder Mann eines jungen und hübschen Mädchens zu denken gewohnt ist, das er kaum gesehen und niemals näher kennen gelernt hat. Mich aber der zufälligen Umstände zu bedienen, um einen tieferen Eindruck auf ihr Gemüth hervorzubringen, das wäre in meinen Augen ein unverzeihlicher Vertrauensbruch.«

»Ihr mißversteht mich vollkommen,« entgegnete er. »Es ist nicht unmöglich, daß auf Eveena Eure Handlung einen Eindruck gemacht, welcher sich nie verwischen wird, darum würde ich, hätte ich etwas davon vorher geahnt, dem Allem vorzubeugen gesucht haben. Wenn solch ein Gefühl in ihr erwacht ist, so habt Ihr es, wiederhole ich Euch, um Euch zu beruhigen, durch Eure Thaten erweckt, nicht etwa durch Worte. Ich gestehe, daß es mich keineswegs Wunder genommen hat, da ich Euren Charakter einigermaßen kennen gelernt habe, daß Ihr mit Aufopferung Eures eigenen Lebens meine Tochter erretten wolltet. Indeß geht aus den Worten, welche Ihr dem Regenten zuriefet, hervor, daß Ihr nicht nur Leben um Leben zu wagen gewillt waret. Ihr sagtet, ihr würdet ohne sie nicht wieder heimkehren können, kurz Ihr sprachet wie man bei uns kaum von seiner ersten Braut spricht.«

»Ich sprach und ich fühlte,« erwiderte ich, »wie ein jeder Mann meines Geschlechtes und meines Ranges auf Erden gesprochen und gefühlt haben würde. Was ich um Eveena sagte und that, ich hätte dasselbe für eine Jede, wäre sie gleich unliebenswürdig und häßlich gewesen, dennoch gethan. Wäre es möglich, daß Jemand der nicht ganz durch Feigheit entmannt ist, vor einen Vater hintreten und sagen könnte: ›Ihr hattet Eure Tochter meinem Schutze übergeben, und durch meine Schuld oder Nachlässigkeit hat sie ihr Leben verloren.‹ «

»Nicht so, nicht so,« antwortete Esmo, »es war Eveena's Schuld, Eveena's Schuld allein. Hätte das Mädchen Eure Weisung befolgt und wäre da geblieben, wo Ihr ihr zu bleiben befahlet, nicht ihr, nicht Euer Leben wäre je gefährdet worden!«

»In jedem Falle,« fuhr ich fort, »hätte es nach unserem irdischen Gefühl von Pflicht und Ehre mir leichter werden müssen, mich in den Abgrund hinabzustürzen, als der Welt und Euch wieder vor die Augen zu treten, wenn meine Schutzbefohlene in solcher Weise, gleichgültig durch wessen Schuld, vor meinen Augen und im Bereich meiner Hand ihr Ende gefunden hätte.«

Esmo's Augen flammten bei meinen Worten auf, seine Wangen rötheten sich und er war tiefer und leidenschaftlicher erregt, als einer seiner gleichgültigen Rasse auch bei dem aufregendsten Ereigniß zu sein pflegt.

»Von einer Sache habt Ihr mich mit Euren Worten überzeugt« sagte er. »Ich wollte Euch einen Vorschlag machen, durch den ich Euch zu ehren gedachte, aber nehmet Ihr ihn an, so wird das jetzt nur zu meiner eigenen Ehre gereichen. Ich habe zur Zeit, als ich Euch die auf unserem Planeten herrschende Lebensanschauung schilderte, durchblicken lassen, daß ich dieselbe nicht billige, und daß auch andere ebenso wie ich gesinnt sind. Seit langen Jahren hat sich nämlich innerhalb unseres Gemeinwesens eine andere Gemeinschaft mit anderen ihr eigentümlichen Gesetzen und Ideen gebildet. Man argwöhnt, ja man weiß dies im Volke, doch unsere Macht und unsere Lehren waren und sind stets dem Volke ein Geheimniß geblieben und Niemandem kann es nachgewiesen werden, daß er als Mitglied diesem Bunde angehört. Wie Eure Lehre auf der Erde gipfelt unsere Lehre in dem Glauben an ein allmächtiges, vollkommenes Wesen und an ein ewiges Leben unserer Seele. Hieraus ergiebt sich, daß wir das Leben nothwendigerweise anders auffassen, als es die Menge thut, unter welcher wir leben. Nach dem, was heute sich ereignet hat, kann ich es Euch versprechen, daß Ihr in unserem Orden unverzüglich und mit Freuden aufgenommen werdet. Man wird Euch preisen, Eure That bewundern, wenn man vermuthlich auch persönlich seine Meinung nicht so durch die That bewähren würde, wie Ihr es heute gethan habt. Selbst unter dem Einflusse einer wahren Neigung hätte kaum der Bravste aller Braven unserer Welt so muthig der Gefahr ins Auge zu schauen vermocht. Man hätte es vielleicht gewagt, dem hohen Herrn zu trotzen, aber in dem Bewußtsein, daß man unter dem Schutze einer höheren Macht steht, als die Seine ist, und davon habt Ihr nichts gewußt.«

»Wart Ihr vielleicht gar heute zu einer Versammlung dieses Geheimbunds?«

»Ja,« erwiderte er, »wir alle, meine ganze Familie gehört dem Orden an.«

»Wozu braucht Ihr aber so streng Euer Geheimniß zu wahren, wenn Ihr selbst mächtiger seid, als Eure Herrscher?« forschte ich.

»Die Gründe werdet Ihr selbst einsehen, wenn Ihr die Natur unserer Macht kennen lernen werdet. Wir sind nur Hunderte unter Millionen und können nicht in offenem Kampfe unseren anders denkenden Mitmenschen entgegentreten. Uns bietet Sicherheit nur der Schrecken, den wir dem Volke einzuflößen verstehen, und das Geheimnisvolle unseres Bundes und die langjährige Erfahrung, daß noch kein Sterblicher, der sich gegen ihn in irgend einer Art vergangen, der gerechten Strafe je entronnen ist. Wenn man uns und das Wesen des ›Sternes‹ kennte, man würde uns zu Tode jagen und vernichten. Seid Ihr geneigt, mein Anerbieten anzunehmen, das Euch am besten vor allen Anfeindungen, wie Ihr sie schon erfuhret, schützen wird, so möchte ich die näheren Erklärungen, die ich vor Eurer Aufnahme Euch noch zu machen habe, in der Gegenwart meiner Familie abgeben.

Der erste Schritt, die vorläufige Unterweisung in unserem Glauben und in den leichteren Mysterien ist eine feierliche Epoche in dem Leben unserer Kinder. Bis dahin bleibt ihnen das Geheimniß verschwiegen, das ihnen erst in etwas reiferen Jahren offenbart wird. Eveena sollte in den nächsten zwölf Tagen als Novize aufgenommen werden, aber ich kann bei meiner hohen Stellung in dem Orden Aufnahme für Euch Beide, auch ohne die gehörige Probezeit erwirken. Ich hoffe, es wird dem Mädchen die Feierlichkeit der ersten Einweihung noch erhöhen, wenn sie die große Lehre ihres Lebens in Gegenwart desjenigen empfängt, dem sie es dankt, daß sie noch lebt und in den Bund zu treten vermag, zu welchem ihre Vorfahren seit seiner Gründung stets gezählt haben.«

Wir gingen in das Peristyl, in welchem wie gewöhnlich die Damen versammelt waren. Die Kinder aber waren fortgeschickt und von den jungen Mädchen nur Eveena zugegen. Die Nachwirkung des Schreckens und der Aufregung ließ sie noch immer matt und blaß aussehen, und sie lag ausgestreckt auf ihren Kissen, mit ihrem Köpfchen auf dem Schoß der Mutter ruhend. Als wir uns ihnen näherten, erhoben sich die Damen, um mich mit warmem Gruße zu empfangen. Eveena selbst stand nur mit Mühe auf und stammelte die Grußesworte, die mir die Uebrigen mit tiefempfundener Wärme aussprachen. Für den Augenblick vergaß ich die Zurückhaltung, welche die Unkenntniß der Sitten hier zu Lande mir bisher geboten hatte. Als mir das Mädchen ihre Hand zum Gruße, dem Beispiele der Damen folgend, halb schüchtern und halb widerstrebend auf die Schulter legte, ergriff ich ihre Hand, ermuthigt durch die neue Art des Grußes, der mir zeigte, daß ich mich fortan nicht mehr als Fremder im Hause zu betrachten hätte, und führte sie an meine Lippen. Ich sah wie tiefe Röthe sich über des Mädchens Wangen breitete, doch Niemand schien uns zu beachten. Und auch der Vater setzte sich nicht so, wie er sonst zu sitzen pflegte, daß er mich gewissermaßen von den Frauen trennte, sondern ließ, wie mir schien, absichtlich das Kissen in Eveena's Nähe frei, auf dem ich dann zu ihren Füßen Platz nahm. Sie wollte ihre Lage ändern und sich, wie es die anderen Damen thaten ein wenig aufrichten, doch ihre Mutter zog sie sanft in ihre alte Lage nieder.

»Eveena,« nahm mein Wirth das Wort, »Ich habe unserem Freunde mitgetheilt, daß wir, wie Du es weißt, einem Bunde angehören, dessen Prinzipien von denen unserer Mitmenschen auf diesem Planeten völlig verschieden, nahe den Grundsätzen verwandt sind, welche heute unseren Freund zu Deinem Heil geleitet haben. Nun, soviel weißt Du bereits, und was Dir ohnehin in den nächsten Tagen offenbart worden wäre, das sollst Du und er jetzt zu gleicher Zeit erfahren.«

»Bevor Du hierauf weiter eingehst,« unterbrach Zulve schüchtern ihren Gatten, denn es gilt nicht für schicklich, daß eine Dame ihren Herrn und Gatten in seiner Rede unterbricht, »bevor Du weiter hierauf eingehst, erlaube mir auch meinerseits, wie Du gewiß bereits gethan hast, unserem Gaste zu versichern, daß wir — nicht als Vergeltung, nur zur Erinnerung an seine edle That — ihm Alles, was er von uns fordern könnte, und wäre es das Theuerste, was wir besitzen, mit Stolz und Freude gewähren würden.«

Zwar war die Zeit und auch wohl der Ort nicht recht passend, den Wunsch, zu welchem ihre Worte mich ermuthigten, zu äußern, aber ich fürchtete, daß ich vielleicht nie wieder so wie heute mit den Damen des Hauses zusammen sein würde, und so sprach ich denn, wie mir der Augenblick es eingab, mit einer Art Todesverachtung, wie ein Artillerist die Mine entzündet, welche ihm entweder den Lorbeer der Belagerungskrone oder die Vernichtung bringen wird —

»Ihr und mein Wirth besitzt allerdings einen Schatz, nach dessen Besitz ich mich sehne, aber es ist in der That das kostbarste, was Ihr besitzet und es als Belohnung zu erbitten, wäre verwegen, selbst wenn ich nicht mein Leben, das ich heute für Eveena wagte, Esmo zu danken hätte, und selbst wenn ich das, wovor nur der elendeste Feigling zurückgeschreckt wäre, aus freiem Antriebe gethan hätte. Und indem ich es erbitte, fühle ich, daß ich dadurch mich jedes Anspruches auf Dankbarkeit, den ich nach Eurer übertriebenen Meinung von meiner That besitze, verlustig mache.«

»Wir machen nicht unnütze Worte,« sagte Esmo, »und sagen nie, was wir nicht meinen; ich wiederhole Euch, wir haben Nichts, was wir nicht gerne zur Erinnerung an den heutigen Tag Euch, dem Erretter unseres Kindes, geben würden.«

»Gesetzt, ich fände,« sprach ich weiter, »ich fände meines Nächsten Börse, welche die Hälfte seines Vermögens enthielte, ich gäbe sie ihm zurück und er verspräche mir zum Lohne jede Bitte zu gewähren, so würde ich doch schwerlich die Börse mitsammt dem Gelde zurückerbitten dürfen. Ihr aber habt nur einen Schatz, den ich begehre, das ist der, den ich mit Gottes Hilfe Euch erhalten habe. Soll ich um eine Gabe bitten, so kann ich nur um Eveena bitten.«

Ich sah aus dem leicht verlegenen Ausdruck ihrer Mienen, daß sowohl Zulve als ihr Gatte erst gegen das Ende den Sinn meiner Worte auffaßten, meinte aber wahrzunehmen, daß Eveena mich früher als ihre Eltern verstand. Jedenfalls folgte meinen Worten tiefes Schweigen — war es nur Erstaunen oder Ungeneigtheit meine Bitte zu gewähren? Dann aber beugte sich Zulve über ihre Tochter und blickte ihr sanft in das halb abgekehrte Antlitz, und Esmo nahm das Wort:

»Was Ihr erbitten würdet, versprach ich Euch zu geben, und was Ihr erbatet, gewähre ich Euch soweit es in meinen Kräften steht, die Bitte zu erfüllen, indem ich Eveena erlaube, frei für sich selbst zu antworten. Ihr werdet spätestens in wenigen Tagen ein Glied unseres Bundes sein; denn nur in eines Solchen Hand kann ich das Schicksal meines Kindes mit Zuversicht und Ruhe legen. Sie aber, frei nach unseren Gesetzen, mag frei von ihres Vaters Willen, dem sie nach unseren eigenen tausendjährigen Satzungen unterworfen ist, nach dem eigenen Willen wählen.«

Bei diesen Worten blickte Zulve auf, in deren Schoß Eveena schüchtern ihr Antlitz barg.

»Wenn meine Tochter,« sagte sie, »nicht für sich selber sprechen will, muß ich für sie sprechen und das vom Vater Euch gegebene Wort in meinem Namen, im Namen meines Kindes selbst einlösen. Jetzt aber hört, was Euch mein Gatte sagen wird, denn nichts kann das Verlöbniß einer Tochter des Sternes feierlicher gestalten, als ihre Zulassung zu der Weisheit des Ordens, dessen Vorrechte ihr Erbtheil sind.«

»Zu jener Zeit,« begann Esmo, »da unsere martialische Wissenschaft entschieden Oberhand gewonnen hatte und einem Jeden die Anerkennung ihrer eigenen Methode als der einzig wahren aufzwang, hatten solche Männer, die noch an der alten Ueberzeugung festhielten, obgleich sie von der Logik unserer Wissenschaften nicht gutgeheißen wurde, die schwersten Anfechtungen zu erleiden. Sie wurden an sich selber irre; sie fragten sich, ob die Wissenschaft nicht vielleicht doch im Rechte wäre, sie fingen an zu zweifeln, ob das, was nach den Untersuchungen der Wissenschaft ein haltloses Nichts war, auch wirklich Anspruch auf Wahrheit und Glaubwürdigkeit machen dürfte. Da lebte damals, zum Glück für diese Männer, zum Glück für ihre Nachkommen, ein Mann, der zu den größten, tiefsten Denkern zählt, die unsere Rasse je hervorgebracht hat. Er ward der Gründer unseres Ordens; und folgendes war seine Lehre:

›Die Schlüsse und Methoden der Wissenschaft stehen über jeden Zweifel hoch erhaben, aber ihre Glaubwürdigkeit hängt nicht vom Inhalt und Gegenstande ab, sondern von ihrem Charakter und nicht von dem Verhältnisse derselben zur äußeren Natur, sondern von ihrer Conformität zu den Gesetzen des Denkens. Und ihre Anhänger sind zweifellos im Rechte, wenn sie behaupten, daß Alles, was sich ihrer Prüfung nicht unterziehen könnte, nicht Wissenschaft und darum auch nicht Wahrheit sei. Im Unrecht aber sind sie, wenn sie erklären, daß die Ideen, für welche sie auf den Gebieten, auf welche man bisher die wissenschaftliche Methode anzuwenden pflegte, noch keinerlei Begründung fanden, auch darum unwissenschaftlich seien, und schließlich durch die Untersuchungen der Wissenschaft völlig aus der Welt geschafft werden würden. Ich meine, daß das Dasein eines Schöpfers und Regierers unseres Weltalls logisch aus den Grundprinzipien unseres Denkens gefolgert werden kann, und daß dieser Schluß durch zahlreiche Thatsachen von überwältigender Bedeutung bestätigt wird. Das Vorhandensein eines Etwas im Menschen, das nicht blos körperlich ist, eines Vermögens, das auch über den Bereich der ihm zu Gebote stehenden körperlichen Organe und Instrumente hinaus wirken kann, ist allerdings noch nicht bewiesen, vielleicht weil jene Thatsachen, die zwar das Dasein dieses Etwas nicht direct beweisen, aber doch deutlich auf dasselbe hinweisen, noch nie einer streng wissenschaftlichen Analyse unterworfen worden sind.

›Von solchen Thatsachen giebt es indessen abertausende, die bis jetzt noch ungeprüft und unbeachtet für die Beweisführung verloren gehen, aber zu einer methodischen Untersuchung wohl geeignet sind, und unzählige Berichte und Ueberlieferungen von werthlosen Sagen bis hinauf zu streng historischen Quellenurkunden bewahren uns die Beweise von der Wirksamkeit übersinnlicher Kräfte. Zu allen Zeiten, unter allen Völkern haben die Lebenden behauptet, daß sie zeitweise Erscheinungen der Todten sahen und sogar ihre Stimmen vernahmen. Selbst die Gelehrten müssen es zugeben, daß es Menschen giebt, die durch ihren Willen das Empfinden, Denken und Handeln eines Anderen auch ohne materiellen Kontakt, ja auf weite Entfernungen hin, zu beeinflussen und zu beherrschen vermögen. Erzählungen aus alten Zeiten, doch manche auch aus unseren heutigen Tagen melden uns Wunder durch das Wollen des Menschen vollbracht, die allen bekannten Gesetzen der Natur Hohn sprechen. Alle diese Thatsachen weisen auf die eine Schlußfolgerung hin, und sie ergänzen und bekräftigen einander. Die Männer der Wissenschaft verlachen sie natürlich, weil jene Thatsachen in manchen Fällen nicht ausreichend beglaubigt sind und in anderen die Wirkung dieser geheimnißvollen Kraft unzuverlässig und abhängig von Bedingungen ist, die wir nur erst theilweise kennen, während andererseits unsere materielle Wissenschaft das Vorhandensein einer unmateriellen Kraft überhaupt als unmöglich leugnet. Aber diese Kraft wird sich völlig ergründen und ihre wesentliche Beschaffenheit sich feststellen lassen. Mit derartigen Forschungen werden sich zwar vorerst nur einige wenige Berufene und auch diese um ihrer Sicherheit willen nur im Geheimen beschäftigen dürfen, aber einst, hoffe ich, wird sich auf ihnen eine ebenso vollkommene Gewißheit betreffs der höheren Seite des Menschen gründen, wie die Wissenschaft sie hinsichtlich der rein physischen Seite des Menschen bereits erlangt hat.‹ —

Dies waren die Anschauungen und Bestrebungen dieses Mannes und auf Grund derselben gründete er eine geheime Gesellschaft, die bis auf den heutigen Tag in unerschütterter Festigkeit und stets wachsender Stärke besteht. Sie hat diese Thatsachen experimentell festgestellt, sie gesammelt und geordnet, sie hat sie untersucht, erforscht, studirt, und mit der Zeit ist es uns gelungen, auch für unser Gebiet ein ähnlich sicheres Wissen wie das der empirischen Wissenschaft zu erringen. Alles was die tiefste Kenntniß der Natur den Menschen eingeben konnte, um selbst ihre Schwächen zur Kräftigung ihrer stärkeren Seiten zu verwenden und dann beide seinem Werke dienstbar zu machen, das ist im vollen Maße von unserem Gründer und von seinen Jüngern gethan worden. Der solidarische Charakter unseres Bundes, die Riten und die Rangabstufungen des Ordens sind stets ein Gegenstand des tiefsten Interesses für alle unsere Mitglieder gewesen, haben sie mit einem unzerreißbaren Bande zusammengehalten und umschlungen, und ihnen eine unendlich viel größere Macht und Stärke verliehen, als ihre geringe Zahl ohne diese Organisation besitzen könnte.

Der Gründer hinterließ uns kein Sittengesetz, verpflichtete uns auf keine seiner eigenen ethischen LieblingsIdeen und zwang uns nicht zum Glauben an irgend einen seiner durch die Resultate unserer späteren Forschungen sämmtlich bestätigten Schlüsse, zu denen er durch seine geheimnisvollen Studien gekommen war. Was er uns vorschrieb, zielte nur allein auf den Zusammenhang und das Erstarken unseres Ordens ab. Nur die Anerkennung zweier Grundlehren forderte und fordert noch heute unser Orden von seinen Gliedern, und die Festhaltung dieser macht uns schon das ursprüngliche Ordensgesetz zur Bedingung. Wir sollen unter den Brüdern die innigste und aufrichtigste Liebe pflegen und durch die Schließung der engsten persönlichen Bande diese Zusammengehörigkeit fördern, andererseits aber den Orden gegen alle Angriffe durch unablässigen Widerstand und blutige Bestrafung seiner Verfolger vertheidigen. Die wenigen Gesetze, die unser Gründer vorschrieb, sind uns in kurzen, treffenden und oft selbst paradoxen Lehren überliefert; z. B. lautet das Gesetz der Vergeltung oder Verteidigung: ›Gavart dax Zweltâ, gavart gedex Zinta‹ — ›Niemals laß den Bruder schlagen, niemals laß den Orden schonen.‹ Und ein anderes Maxim sagt, um uns die Macht, die in der Einigkeit liegt, einzuschärfen: ›Wer eines Bruders Hand küßt, mag dem Camptâ einen Fußtritt geben.‹ Zu gleicher Zeit zeigt diese Formel uns den hohen Werth ceremonieller Höflichkeit, die wir in Folge dessen auch in dem Schoße der Familie weit mehr pflegen als unsere Mitmenschen, die selbst bei den feierlichsten Gelegenheiten alles umständliche Ceremoniell hassen. Wir scheuen uns, die Schwächen Anderer zu verletzen; höfliche Artigkeit, freimüthige Abbitte für unbeabsichtigtes Unrecht gilt unter uns als Ehrenpflicht. Entstehen dennoch Streitigkeiten, so suchen die Oberen unseres Ordens sie zu schlichten und ruhen nicht eher, als bis die völlige, aufrichtige Versöhnung der Streitenden herbeigeführt worden ist. Neid, die schlimmste Quelle jedes Uebelwollens, kann aber unter uns nie aufkommen, denn Rang und hohe Stellung wird innerhalb des Ordens stets nur dem Würdigsten verliehen, auch findet, mit einer Ausnahme, keine Vererbung dieser Würden statt, und ein Mißbrauch der Gewalt zum eigenen Nutzen der Gewaltinhaber ist noch nie vorgekommen. Auch der Reichthum Einzelner kann nicht zum Neid stacheln, da wir keinen Bruder in Armuth verfallen lassen dürfen. Wir unterstützen sie in jeder Weise und suchen sie aufrecht zu erhalten; wir geben ihnen Arbeit und Empfehlung und retten sie stets vor dem Aeußersten. Abfall vom Orden und Verrath wird aber schwer geahndet, und falls es je vorkommen sollte, mit dem sofortigen Tod bestraft, der den Abtrünnigen so geheimnisvoll erreicht, daß Niemand je erfährt, wer das Urtheil fällte, und wer es vollstreckte.«

»So kennt Ihr,« fragte ich, »weder Apostaten noch Verräther?«

»Nein,« sagte er. »Wer je das Leben unter uns genossen, wird nie wieder das selbstsüchtige, liebeleere, materielle Leben unserer Mitmenschen erträglich finden, und dann ist unser Glaube ja so klar, einfach und leicht verständlich, daß Niemand seine Wahrheit bezweifeln oder leugnen könnte.«

Hier schwieg er still und ich bat ihn noch wegen des einen Punktes um nähere Auskunft.

»Wie ist es möglich,« fragte ich, »daß Eure Rache nicht doch einmal Spuren des Strafvollstreckers hinterläßt?«

»Weil,« fuhr er fort, »die Mittel unserer Rache keine körperlichen sind und die Wirkungen derselben sich in einer unseren Mitmenschen und offenbar auch auf Eurer Erde unbekannten Weise zeigen. Man findet beispielsweise den Verräther todt, ohne Zeichen irgend einer Verletzung, so daß der Arzt auf Herzschlag diagnosirt. Oder einen Feind, der unversöhnlich die Kinder des Sterns verfolgt, mag eine innere Macht dazu treiben, sich selbst von einem Felsen in die Tiefe des Abgrunds zu stürzen; es mag ihn eine lange Reihe furchtbarer Unglücksfälle heimsuchen, die an sich alle ganz natürlich scheinen, aber durch ihre übernatürliche Häufung und durch ihre wunderbare Angemessenheit für die Schuld des Schuldigen auf einen tieferen Ursprung hinweisen. Wäre es möglich je den Rächer auszufinden, man würde ihn vernichten, — könnte man den Antheil unseres Bundes ahnen und beweisen, so würde man alles zur Vernichtung unseres Ordens aufbieten. Indeß, obgleich sie sehen, vermögen unsere Mitmenschen doch nicht zu glauben. Es ist nicht möglich, sagen sie, daß Jemand an Geist und Körper, Ruf und Vermögen geschädigt werde durch den bloßen Willen seiner Feinde, ohne Anwendung körperlicher Mittel, die sichtbare Spuren hinterließen. Zu gleicher Zeit berichten ihnen freilich Ueberlieferungen, authentische Erzählungen, daß noch ein Jeder, der uns Unrecht that, dies Unrecht furchtbar büßen mußte. Und überdies wird unserem Opfer ein deutlich sichtbares Symbol bei seinem Tode aufgedrückt — über dem Herz des Missethäters, der sein Verbrechen mit dem Leben zahlen mußte, erscheint das Bild eines blutrothen Sternes; dies ist der einzige Fall, in welchem eines unserer heiligen Symbole profanen Augen sich enthüllt.«

»Und hat man niemals,« fragte ich, »im Laufe der Jahrtausende Euch streng bewacht, Euch nachgespürt, hat niemals ein Spion Zugang zu Euren Sitzungen gefunden und Eure Verhandlungen gehört, gesehen und verrathen?«

»Unsere Sitzungen,« erwiderte er, »werden dort abgehalten, wohin kein menschliches Ohr noch Auge dringen kann, denn wir treffen uns nur in Räumen, die in unnahbarer Tiefe unter den Häusern unserer Ordensbrüder liegen, und Niemand darf die scharf bewachte Schwelle ohne Erkennungswort und ohne Bundeszeichen überschreiten. Und wenn trotzdem einmal ein Unberufener eindränge, so würde er sich durch die Unkenntniß unserer einfachsten Mysterien sofort verrathen. Er würde nichts erfahren und auch niemals seine Erlebnisse irgend einem Lebenden wiederzuerzählen vermögen.«

Bei diesen Worten öffnete Esmo die Thür seines Privatzimmers und lenkte unsere Augen auf ein in die Wand gesenktes Bild, das gewöhnlich hinter einem Vorhang verborgen war. Es stellte eine in ein grünes Gewand gekleidete, soldatische Persönlichkeit dar, mit einer goldenen Schärpe und einem Smaragdsymbol gleich dem Kreuze eines europäischen Ritterordens über ihrer rechten Schulter, mit dem ausdrucksvollsten Antlitz, das ich je gesehen, und das einmal erblickt nie wieder vergessen werden konnte. Sein langes, weißes Haar fiel ihm bis auf die Schultern nieder, sein langer, weißer Bart wallte hinab bis an den Gürtel und beides waren Zeichen eines Alters, wie es sich auf dem Mars in der äußeren Erscheinung des Menschen seit drei- oder viertausend Jahren nicht mehr ausgeprägt hat. Seine Haltung, wenn auch der Körper noch aufrecht und stattlich war, zeigte dennoch sichtbare Spuren jener Beschwerden des hohen Alters, die man jetzt schon seit langen Zeiten zu beseitigen verstanden hatte. Das Antlitz allein trug keine Merkzeichen hohen Alters; es war noch voll und frisch und ohne Falten, ruhig in ungebrochener Macht des Geistes und absoluter Beherrschung aller Leidenschaften, heiter in freundlicher, leutseliger Gebieterwürde, voll von hehrer und erhabener Sanftmuth. Die Lippen waren fest geschlossen, nicht wie mit Zwang, sondern in absichtsloser Ruhe; die Züge waren scharf und deutlich ausgeprägt, vollkommen regelmäßig. Die Brauen breit und buschig, doch seltsam glatt und gerade. Sein Haupt zeigte kein einziges Merkmal, aus welchem sich ein Phrenologe Rath hätte suchen können und sein Gesicht sprach keine Sprache, die ein Physiognom verstanden hätte. Dem Blick der tiefen, dunklen Augen schien es unmöglich zu entrinnen, sie waren so, wie wenn sie noch lebten, fest auf den Beschauer gerichtet und schauten ihm tief in das Innerste seiner Seele. Dieser Blick des Bildes war zu ruhig und zu stolz, um ihn forschend oder fragend zu nennen, und dennoch sah er Dir ins Auge, als ob er Deine geheimsten Gedanken läse; es war wie wenn der Meister Dich mit magnetischer Gewalt gefesselt hielte und Deinen Willen über den Abgrund von Myriaden von Jahren hinüber gefangen nähme, Dein innerstes Denken und Empfinden erforschte und durch die Macht seines Geistes, wie er einst vor undenklichen Zeiten der Ahnen Geist beherrschte, auch den Deinen. — — — — — — — — — — — — — — — — —


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Kapitel 9
Sitten und Gebräuche

Am nächsten Morgen bat mich Esmo, ihn nach der schon erwähnten Hafenstadt zu begleiten, und so hatte ich im Laufe dieses Tages Gelegenheit, Manches von dem Thun und Treiben der Menschen auf dem Mars kennen zu lernen, das mir bisher noch unbekannt geblieben war, und erst heute ward mir der volle Umfang des enormen Vorsprungs in materieller Civilisation klar, den dieselben über uns gewonnen, zu gleicher Zeit begriff ich aber auch erst ganz die furchtbare Tiefe moralischer Verkommenheit, welche denselben begleitete. Ich lernte Viel aus eigener, selbstständiger Beobachtung, auf Anderes lenkte mein Wirth meine Aufmerksamkeit und suchte mir das, was ich sah, eingehender zu erklären. Wir gingen an einem Hause, das gerade noch im Bau begriffen war, vorbei, und hier lernte ich, wie jene Wunder der Baukunst, die mich durch ihre Schönheit und Vollkommenheit fast geblendet hatten, hergestellt wurden. Das Material, welches zu allen Bauten verwandt wird, ist eine dicke, flüssige Masse, welche, wenn der Grund zu dem Bau in einer Tiefe von zwei oder drei Fuß ausgegraben und der Boden hartgeschlagen ist, über denselben hin ausgegossen wird.

Ist nun der Boden hart genug geworden um weiter darauf bauen zu können, so errichtet man Metallgerüste aus dünnen Doppelplatten, gewissermaßen Rahmen, in die man die flüssige Masse bei einer Temperatur von 80 ° C. hineinfüllt, und nach Erstarrung derselben zu den inneren und äußeren Wänden des Hauses wieder entfernt.

Das Hartwerden des Materials wird theils durch plötzliche Abkühlung, theils durch Anwendung von Electrizität unter großem hydraulischem Druck erzielt. Das flache Dach wird in derselben Weise hergestellt und ist, wenn sich die Masse ausgetrocknet hat, so hart wie Granit. Die Dächer aller größeren Gebäude aber, bei welchen eine gerade Decke den Zusammensturz aus eigener Schwere befürchten lassen müßte, sind stets in Kuppeln und Gewölbeform errichtet. Ob es auch einem Jeden freisteht sein Haus in einer jeden ihm beliebigen Form, kreisrund, achteckig oder wie er will, zu bauen, so sieht man doch selten andere als rechteckige Privatgebäude. Der juwelengleiche schon erwähnte Glanz der Mauern wird, wie mir Esmo zu erklären suchte, ohne daß ich jedoch die Einzelheiten des Verfahrens zu verstehen vermochte, durch die gleichzeitige Wirkung der Kälte, des Drucks und der Electrizität erzeugt. Dabei verrichten die Maschinen fast alle Arbeit: sie mischen und bereiten die Materie und schaffen sie an Ort und Stelle, sie stellen die Metallgestelle auf und räumen sie nach dem Gebrauche fort, so daß der Mensch fast nur den Bauplan zu entwerfen braucht. Das durchsichtige Material der Fenster, das ich bereits beschrieben habe, stellt man in besonderen Fabriken auf einem anderen Wege her; dort wird es gleich gehärtet, geschnitten, durch Maschinen nach dem Bauplatz gebracht und in den Bau selbst eingesetzt. Auf Wunsch des Käufers kann es je nach Belieben gefärbt werden, doch wird das klare, farblose Crystall gemeinhin vorgezogen.

Der Aufbau eines solchen großen Hauses erfordert höchstens die vier- bis achttägige Arbeit von sechs bis achtzehn Arbeitern; dabei arbeitet man aber ununterbrochen Tag und Nacht, und zwar des Nachts beim Schein einer von der Höhe einer Stange mit Tageshelle leuchtenden elecktrischen Lampe.

Der etwa 24 Stunden 40 Minuten nach unserer irdischen Zeit dauernde Tag auf dem Mars ist seltsam eingetheilt. Die Zeit von je einer Stunde vor und nach Sonnenaufgang und Sonnenuntergang heißen Morgen und Abend »zydau«; zwei gleich lange Perioden um Mittag und Mitternacht unterscheidet man als erste und zweite Nacht, erste und zweite Mittags »zyda«. Nun bleiben noch vier je dreistündige Intervalle, welche man Schlaf- und Wachzyda, VorSonnenaufgangs- und NachSonnenuntergangszyda benennt. Das ist die volksthümliche Eintheilung des Tages, doch zum Behufe wissenschaftlicher Berechnungen ist der eine Stunde vor Sonnenaufgang beginnende Tag in 12 »antoi« genannte gleiche Perioden getheilt, welche ihrerseits wieder in Unterabtheilungen von 10 Minuten, 50 Sekunden und noch kleinere zerfallen.

Zur Erleichterung der Eintheilung größerer Zeitabschnitte fehlt den Marsbewohnern ein Anhalt, wie ihn auf Erden der Mond giebt, denn die Umdrehungen der MarsTrabanten sind zu geschwind, um ihr 668? Tag langes Sonnenjahr nach ihnen in kürzere Perioden zu theilen. Es wird in Folge dessen das Jahr einfach in Winter und Sommer, beide mit den Aequinoctien beginnend, getheilt.

Das Klima ist in der nördlichen Hemisphäre verhältnißmäßig gleichförmig, während der Sommer des Südens heißer, sein Winter dagegen kälter ist. Stürme zur See sind nur selten und stets von kurzer Dauer und schwach, so daß auf dem Mars auch schon damals Meerfahrten gefahrlos und bequem waren, als man noch nicht die Schiffe erfunden hatte, denen kein Wind und kein Wetter etwas anhaben kann.

Während des größeren Theiles des Jahres darf man sicher auf einen klaren, wolkenlosen Himmel rechnen; die Nächte allerdings sind stets kalt und wer in dieselben hinausmuß, thut wohl, sich warm anzukleiden.

Außerhalb der Stadt, derselben fern genug, um sie gegen die unangenehmen Dünste zu schützen, waren die Fabriken belegen; es waren chemische Fabriken, Spinnereien und Anlagen, in welchen die auf dem Mars so vielfach gebrauchten Metalle gewonnen und verarbeitet wurden. Das bedeutendste jener Metalle — Zorinta — wird aus einer zähen Thonerde gewonnen und ist weit leichter als Zinn, hat den Glanz und die Farbe des Silbers und den Vorzug niemals zu rosten. Auch hier sah ich selbst in den größten Fabriken nur wenige Arbeiter, da die so vollkommenen Maschinen fast die ganze Arbeit selbstthätig verrichten. —

Die Straßen der Stadt waren derart angelegt, daß sie selbst den schönsten und neuesten amerikanischen Städten als Muster hätten dienen können. Der Fahrdamm war mit jener Flüssigkeit, die wie ich bereits beschrieben, beim Trocknen härter als Granit wird, übergossen und zu beiden Seiten desselben liefen Reihen prächtiger Bäume hin. Zwischen diesen und den Häusern war ein Weg zum ausschließlichen Gebrauch der leichten Wagen reservirt, und die Häuser, ungleich denen auf dem Lande, hatten zwei, drei und manche vier Stockwerke. Privatgebäude waren indeß wie auf dem Lande um einen inneren Garten erbaut, bei dem höheren Werthe des Bodens natürlich von kleinerem Umfange, und betrieb der Besitzer ein Geschäft, so hatte das Haus im untersten Stocke nach der Straße hinausgehende Fenster. Jedoch fiel mir auf, daß ich Nichts, was einem Schaufenster glich, gewahrte. Ich trat in Begleitung meines Wirthes in einige Läden, er sprach seinen Wunsch aus, und sofort ward der Artikel gebracht, im anderen Falle, was aber selten geschah, unverzüglich gesagt, daß man jenen Artikel nicht führe. Der Handelsstand zählt auf dem Mars nur wenige Vertreter; ein oder zwei Häuser besorgen in einer großen Provinz einen ganzen Geschäftszweig, so daß z. B. in einem oder zwei Lagern alle unverarbeiteten Metalle, in einem anderen alle bearbeiteten Metallwaaren, in noch einem anderen Geschäfte alle Federn, alles Pelzwerk gekauft und gehandelt wird. Der Kaufmann betreibt nur Kommissionsgeschäfte; er empfängt die Waaren vom Staate, dem Fabrikanten oder dem Landwirth und rechnet monatlich mit denselben ab, indem er für sich und seine Arbeit nur den 24sten Theil der Einnahme zurückbehält.

Das Münzsystem ist auf dem Mars, wie so viele andere Institutionen, rein künstlich und streng logisch. Da ein jedes Erzeugniß der Manufaktur stetig sinkende, ein jeder Artikel indessen, der durch Minenarbeit gewonnen oder allein von der Natur gegeben wird, stetig steigende Tendenz zeigt, so hieße es, argumentirt man, im Laufe der Zeit den Gläubiger oder auch Schuldner schädigen, wenn man von jenen Artikeln einen als Werthmesser benützte. Ein Ding allein sei von einem stets gleichen innerlichen Werthe, und steige und falle wirklich einmal auch dieser, so steige und falle er doch nur in einem stets gleich bleibenden Verhältniß zu dem Werthe aller anderen Erzeugnisse. Dies sei der Grund und Boden, ein Maßstab, der sich auf dem schwach bevölkerten Mars vielleicht besser zu jenem Zwecke eignen dürfte, als auf unserem übervölkerten Planeten.

Ein Staltâ, d. h. eine Fläche von etwa fünfzig Meter im Geviert, gilt als Einheit des Werthes, die zum Zwecke des Umlaufes durch ein mit dem Stempel der Regierung versehenes Dokument, das man zu jeder Zeit für ebensoviel Land eintauschen kann, repräsentirt wird. Dieses zur Einlösung bestimmte Land befindet sich unter dem Aequator und wird vom Besitzer, dem Staate, um den Boden in guter Kultur zu erhalten, verpachtet. Für den Werth eines »Staltâ« sowie den dritten, vierten und zwölften Theil desselben werden solche Noten vom Staate ausgegeben: kleinere Werthe aber durch viereckige Gold- und Silbermünzen repräsentirt.

Vor einem der größten der im Sechseck erbauten und mit verschiedenen kleineren, ebenfalls sechseckigen Gebäuden umgebenen öffentlichen Paläste hielten wir an und traten in denselben ein. Hier fanden wir uns vor einer großen Anzahl von Instrumenten, die jenen schon besprochenen Sprachschreibern glichen, indeß durch einen elektrischen Draht den Ton in die Ferne trugen und am Ende, statt den Ton bildlich darzustellen, diesen selber wiederholten. Durch einen derselben sprach Esmo, nachdem er einige Worte mit einem Beamten gewechselt hatte. Ich sah wie er, während er seinen Mund um hineinzusprechen an die Oeffnung legte, eine andere Röhre ergriff und sie an sein Ohr legte, um durch sie die Antwort auf seine eigene Frage zu empfangen.

Während dieser Zeit machte ich die Bekanntschaft eines Beamten, eines anscheinend noch jungen Mannes, den es offenbar freute, den vielbesprochenen Fremdling von Angesicht zu sehen. Diesem Umstande mochte ich wahrscheinlich die sonst unter Seinesgleichen wenig übliche Höflichkeit verdanken. Dies wäre, erklärte er mir, die auf dem Mars gebräuchliche Methode sich über weite Entfernungen hinweg zu unterhalten, und wer weder Zeit noch Lust habe, sich in die öffentlichen Sprechanstalten zu begeben, dem könnte ein Draht bis in sein eigenes Haus geleitet werden; ja, beinahe ein jedes Haus, das auf Reichthum und Vornehmheit Anspruch mache, besitze einen solchen.

Dann führte mich mein junger Freund in den nächstbelegenen Raum und zeigte mir eine unendliche Menge von kastenähnlichen Instrumenten. Ein jedes derselben hatte eine Spalte, in welcher ein etwa vier Zoll langes und zwei Zoll breites Blatt sich befand; diese wurden in einemfort ausgeworfen, von den Beamten gesammelt und sortirt und sofort in ein anderes dem ähnliches Instrument hineingelegt. Mein Begleiter erklärte mir diesen Vorgang folgendermaßen: Ein Jeder, der einen Privatdraht nach seinem Hause besitzt, kann dort von seinem eigenen Pult aus einen Brief auf einen dieser Papierstreifen schreiben. Der Verfasser legt das Original einfach in das eigene Privatinstrument und sofort reproducirt sich sein Schreiben in der nächsten Centralanstalt mit allen Eigenthümlichkeiten der Handschrift. Hier aber wird die Copie auf dieselbe Weise nach der dem Adressaten nächstbelegenen Anstalt und von dort an den Adressaten selber befördert.

Auf meinen Einwurf, daß diese Verkehrsmethode sich kaum für vertrauliche Mittheilungen eigne, erwiderte der Beamte:

»Meint Ihr, wir hätten Zeit, neugierig zu sein, wenn wir Hunderte dieser Papiere in einer Stunde sortiren?«

Ich erfuhr aus seinem Munde, daß vor einigen Tausend Jahren eine Post auf dem Mars die Beförderung der Briefe mit wunderbarer Präzision und Pünktlichkeit besorgte, indessen gäbe sie sich heute nur noch mit Packetversendungen ab.

Als Esmo sein Geschäft besorgt hatte, gingen wir auf meine Bitten nach dem Hafen mit seinem fünfzig Fuß tiefen und von gewaltigen, zwanzig Fuß dicken Mauern umschlossenen Dock, um dessen drei Seiten eine Straße dicht an des Wassers Rand hinlief, — eine lange, ununterbrochene Reihe von Speichern, Schuppen und Lagerräumen. Die innere Seite war für Passagierschiffe reservirt, die alle, selbst die größten von ihnen, einlaufen und so nahe an den Rand kommen konnten, daß die Passagiere fast ohne Benützung eines Uebergangsbrettes an das Land zu treten vermochten. Das Aussehen eines Schiffs auf dem Mars ist wesentlich anders, wie das irdischer Schiffe. Ohne Mast, ohne Takelwerk, erbaut aus dem schon oft erwähnten Metall Zorinta, ist ihre Bauart gänzlich verschieden, je nachdem sie für Transport oder Passagierfahrten bestimmt sind. Die Handelsschiffe erinnern in ihrer Gestalt an unsere amerikanischen Klipper, indeß haben sie einen flachen und breiten Kiel und gemeinhin eine Tiefe von fünfzehn bis zwanzig Schuh, zudem nach Weise Malayischer Schiffe zu beiden Seiten nach auswärts strebende, stark befestigte, mächtige Balken, die ein Umschlagen des Fahrzeugs beinah zur Unmöglichkeit machen. Passagierschiffe sind hingegen in der Gestalt eines Fisches gebaut, aber hinten und vorn von gleicher Form, und werden von höchstens sechs Mann, die einander von vier zu vier Stunden ablösen, bedient, während bei kürzeren Reisen selbst schon die Hälfte dieser Mannschaft genügt.

Es mag mir gestattet sein, an diesem Ort noch zu bemerken, daß das System der Abfuhr hier bei Weitem vorzüglicher, als alles bisher auf der Erde in der Art Erdachte ist. Auch nicht das kleinste Partikel Unrath darf hier im Wasser verfaulen und dasselbe verderben. Dabei ist der ganze Prozeß äußerst einfach; auf dem Lande wie in Städten wird der Unrath täglich hinweggeschafft, um seiner natürlichen Bestimmung, der Düngung des Bodens zu dienen. Es wollte meinen hiesigen Freunden durchaus nicht in den Sinn, wie es möglich sei, das, was am rechten Orte eine Wohlthat sei, dahin fortzuwerfen, wie man es auf Erden gewohnt ist, wo es den Menschen zur Plage und zum Fluch wird.

Als wir von unserem Ausfluge zurückkehrten, theilte mir Esmo mit, er hätte sich soeben mit dem Camptâ in Verbindung gesetzt, der ihm den Wunsch ausgesprochen habe, mich in kürzester Frist an seinem Hofe zu sehen.

»Dies zwingt uns zu möglichster Eile,« fuhr er fort, »obgleich mir persönlich ein kurzer Aufschub der Reise angenehmer gewesen wäre. Der Sitz der Regierung liegt in gerader Linie etwa sechstausend Meilen von hier entfernt, und Ihr werdet demnach auf Eurer Fahrt Gelegenheit finden, unseren Planeten eingehender kennen zu lernen. Eine lange Reise zu Lande auf den Euch immerhin ungewohnten elektrischen Wagen halte ich für weniger rathsam. Zwar möchte der Camptâ auch gern Euer Luftschiff betrachten, indessen scheint es gerathener, es ruhig dort, wo es steht, stehen zu lassen. Kevimâ und ich werden Euch auf dem ersten Theil Eurer Reise begleiten, und auf dem ersten Halt werden wir bei einem Freund übernachten, damit Ihr dort als Bruder in unserem Orden Aufnahme findet.«

»Und,« fragte ich, »auf welchen Empfang darf ich mich für das Endziel meiner Reise gefaßt machen?«

»Ich denke,« erwiderte er, »Ihr werdet Euch eher durch das Wohlwollen des Camptâ, als durch Feindseligkeiten seiner Umgebung in Verlegenheit gesetzt fühlen. Er ist ein eigenartiger Mann, dem sehr verschieden von allen seinen Unterthanen ein Hang nach Abenteuern inne wohnt, selbst wenn dieselben mit Gefahren verknüpft sind. Da ihn aber seine hohe Stellung hindert, dieser Neigung zu folgen, so liebt er es, mindestens die Abenteuer Anderer zu hören. Ferner weiß er auch das, was Ihr Muth nennt und das auf unserem Planeten nicht häufig zu finden ist, lebhaft zu schätzen, und ich glaube annehmen zu dürfen, daß Eure Fahrt durch den Raum ihm von Euch und Eurem Muth eine hohe Meinung gegeben hat. Nur eine Warnung muß ich Euch mit auf den Weg geben. Obgleich es unter uns nicht gebräuchlich ist, Einander reich zu beschenken, wir müssten es denn mit der Aussicht auf ein reichliches Gegengeschenk thun, so gilt es trotzdem als Beleidigung, ein Gnadengeschenk aus der Hand unseres unermeßlich reichen Fürsten abzuschlagen. Was Euch also unser Großherr schenken sollte — und sicher wird er Euch durch reiche Geschenke an sich zu fesseln suchen, nehmt Alles mit Dank an und laßt niemals durchblicken, daß Ihr etwa seiner Geschenke nicht achtet.«

»Ich möchte wohl,« nahm ich das Wort, »noch lange um mehr Erfahrungen zu sammeln in Eurer Welt hier verbleiben; doch könnte ich niemals zur Erde zurückkehren, so wäre der Zweck meiner ganzen Reise verfehlt.«

»Darin habt Ihr Recht,« erwiderte er, »und deshalb bin ich dafür, daß Euer Luftschiff stets zur Abfahrt bereit stehe, denn, um überhaupt fortzukommen, werdet Ihr vielleicht einst gezwungen sein, plötzlich und unvermuthet unsere Welt zu verlassen. Indessen würdet Ihr nicht weise handeln, wenn Ihr den Fürsten ahnen ließet, daß solches Eure Absicht ist. Sagt ihm unumwunden, was Ihr in unserer Welt erforschen möchtet, denn er wird es nie sich denken können, daß Ihr die Eure unserer Welt vorzieht, niemals aber sprechet von der Hoffnung Eurer einstigen Rückkehr, und seid Ihr etwa gezwungen, diese Hoffnung einzugestehen, so laßt sie so unbestimmt wie möglich erscheinen.«

Hier hielt Esmo vor dem Thorweg einer mäßig großen Wohnstätte. Wir befanden uns sichtlich auf einem anderen Wege, wie bei der Herfahrt und mochten ungefähr zwei Meilen von Ecasfe entfernt sein. Esmo stieg vom Wagen, trat ein und kehrte bald in Begleitung eines anderen Herrn zurück. Derselbe trug ein grau und silberfarbenes Gewand und eine weiße Schärpe um die Schultern, offenbar ein Abzeichen seines Amtes und Ranges. Dieser Beamte bestieg seinen eigenen Wagen und begleitete uns auf unserem Heimwege.


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Kapitel 10
Weib und Ehe

Im Laufe einiger weniger Minuten waren wir daheim angelangt. Mein Wirth bat uns, den fremden Herrn und mich, in der Empfangshalle zu warten und kehrte ungefähr eine halbe Stunde später, begleitet von allen Gliedern der Familie, dorthin zurück. Instinktiv schaute ich mich unter den tief verschleierten Damen nach Eveena um und bemerkte, daß sie den üblichen leichten Schleier gegen einen dichteren vertauscht und abweichend von der bei Jungfrauen üblichen Tracht, Handschuhe und Aermel trug. Unser Besuch stand an einem Tisch, auf welchem Schreibutensilien lagen, sowie ein theilweise bereits beschriebenes Blatt, auf welchem ungewöhnlich große Buchstaben in hochrother Farbe standen, mit mehrfachen Lücken dazwischen, von welchen ich ihn den größten Theil ausfüllen sah. Dann führte Esmo seine Tochter an den Tisch und winkte mir zu, ihm dahin zu folgen. Die Anderen standen hinter uns und jetzt legte der Beamte das Dokument in die Hände Eveena's. Sie las es durch, machte ein Zeichen der Zustimmung, und legte das Dokument auf den Tisch zurück; dann beugte sie ihr Haupt und hob ihre linke Hand an die Lippen. Jetzt kam die Reihe an mich, aber da ich der Schreibschrift noch zu unkundig war, so ersuchte ich den Beamten, es vorzulesen, was er dann auch that:

»Zwischen Eveena, Tochter Esmo's dent Ecasfen und — — — (*) reclamomortâ (dem angeblichen Erzreisenden) ist folgender Vertrag geschlossen: Eveena verpflichtet sich mit ...... zwei Jahre in Ehe zusammenzuleben und verzichtet während dieser Zeit auf die Freiheit, das Haus zu verlassen, oder irgendwen ohne ihres Gatten Erlaubniß darin zu empfangen. Hiergegen verpflichtet er sich: erstens sie zu erhalten, und sie geziemend zu kleiden bis zu einem Kostenaufwand von jährlich fünf Staltau; zweitens, ein jedes Kind zu versorgen, das sie während seines Zusammenlebens mit ihr oder binnen zweimal zwölf Dutzend Tagen nach ihrer Trennung gebären wird. Sollte er sie irgendwann gehen heißen und sie verlassen, oder sollte sie nach Verlauf von acht Jahren den Vertrag zu lösen gewillt sein, so verpflichtet er sich, ihr eine jährliche Rente von fünfzehn Staltau auszusetzen. Und niemals soll während der Zeit ihrer Ehe ein gegenseitiges Vergehen, es sei denn Körperverletzung und beabsichtigter oder vollführter Mord, vor die öffentlichen Gerichte gebracht werden.«

(*) Hier und hier allein, findet sich dieser Name völlig ausgeschrieben, aber sein erster Theil ist verwischt und es kann Alius (Ali), Julius (Jules), Elias oder ähnlich gelesen werden.

Dies ist die Form des auf dem Mars üblichen Ehevertrages. Zu langen Auseinandersetzungen war dies hier weder Zeit noch Ort; ich deutete also einfach meine Einwilligung an und dann schrieben wir, Eveena und ich, unseren Namen in die freigelassenen Stellen des Dokumentes ein. Jetzt fragte mich der Beamte, ob ich die zu meiner Seite stehende Dame als Eveena, die Tochter Esmo's anerkennte, und dabei fiel mir ein, obgleich ich in meinem Falle der Identität ziemlich sicher war, wie leicht eine martialische Eheschließung unter solchen Verhältnissen zu unangenehmen und enttäuschenden Verwechslungen führen könnte, da ich tathsächlich aus der Zahl der schweigenden, tiefverschleierten Damen der Familie meine Braut nur an ihrer nervösen Erregtheit und an ihrer Kleidung zu erkennen vermochte. Endlich drückte der Beamte dem Dokumente seinen eigenen Stempel auf, hob es empor und zeigte, daß durch einen mir unverständlich gebliebenen Prozeß der Vertrag in drei Exemplaren unterzeichnet und ausgefüllt war, von welchen er selbst Eines an sich nahm und die beiden anderen uns überreichte. Hierauf zogen sich die Damen zurück, Esmo blieb allein mit dem Beamten, seinem Sohne und mir in der Halle, und es erschienen zwei Ambau, um uns Erfrischungen zu reichen. Der Beamte kostete eine jede der Speisen, sichtlich nur aus Höflichkeit und ich nahm die Gelegenheit wahr, einige Erkundigungen betreffs der Küche auf dem Mars einzuziehen, worauf ich erfuhr, daß nur die allereinfachsten Speisen im eigenen Hause zubereitet, alle übrigen aber von professionellen Köchen, die zweimal täglich einen jeden Haushalt in ihrer Nähe versorgen, hergerichtet werden. Diese Köche halten zu gleicher Zeit Läden, in welchen die unverheiratheten Männer ihre Mahlzeiten einnehmen. Die Hausfrauen selber geben sich höchstens mit dem Einmachen von Früchten, mit dem Rösten des Korns und der Zubereitung der Gartengemüse ab, welche einen wesentlichen Bestandtheil jeder Mahlzeit bilden. Die Frauen sind also nur mit sehr wenigen häuslichen Arbeiten belastet, von denen wieder der größere Theil von jenen abgerichteten Thieren unter ihrer Aufsicht verrichtet wird. Diese Thierchen bilden ein Dienstpersonal, mit dem es sich zweifellos unendlich besser, als mit unserem Dienstbotenvolk auf Erden auskommen läßt, selbst wenn sie gar keinen andern Vorzug hätten als den, daß ihnen die Sprache fehlt und sie deswegen nicht unverschämt, neugierig und klatschsüchtig sein können.

Als sich der Beamte zurückgezogen hatte, sagte ich sofort meinem Wirthe:

»Ich hielt es für gut, weder Fragen noch Einwürfe bei Unterzeichnung des von Euch sanktionirten Vertrages zu erheben, indeß dürftet Ihr selber doch wissen, daß mir hier auf dem Mars wenigstens die Mittel zur Erfüllung der pekuniären Bedingungen des Vertrages vollständig fehlen und ich meine Frau weder erhalten noch ihr ein Nadelgeld gewähren kann.«

Dieser letzte Ausdruck erweckte nach meiner Erläuterung desselben nicht geringe Heiterkeit, dann aber gab Esmo mir folgende Antwort:

»Wenn nöthig, wäre es Euch ein Leichtes, binnen einem halbem Jahre Euch auf eigene Füße zu stellen. Ihr brauchtet nur ein Buch über Eure Abenteuer zu schreiben, mit Schilderungen jener Welt, aus der Ihr gekommen seid, um Euch in kürzester Zeit ein nicht zu kleines Vermögen zu erwerben, das Ihr dann leicht und bald verdoppeln könntet, wenn Ihr Euch entschlösset, in jeder großen Stadt des Planeten Vorlesungen zu halten. Ihr würdet zweifellos immer vor ausverkauften Sälen sprechen, da einen Jeden schon die Neugierde, Euch einmal mit eigenen Augen zu sehen, zum Besuch der Vorlesung veranlassen würde. Ihr könntet eine bedeutende Summe erhalten, wenn Ihr Einem das ausschließliche Recht ertheiltet, Euere Bildnisse herzustellen und zu verkaufen. Und würdet Ihr Euch bereit finden lassen das Geheimniß Eurer neuen motorischen Kraft, die Euch zu uns geführt hat, zu verkaufen, so stände es nur in Eurem Belieben, jeden, selbst den höchsten Preis, darauf zu setzen. Wenn nun auch jene Bedingungen des Ehekontraktes nicht höher sind, als die, welche Eveena bei jeder anderen standesgemäßen Verbindung geboten worden wären, so mußte ich dennoch, da Ihr Euch gänzlich auf meine Bestimmungen verließet, dafür sorgen, daß Ihr durch diesen Vertrag in keiner Weise geschädigt würdet.« Bei diesen Worten händigte er mir einen Schein ein, der im Aussehen dem Ehekontrakte nicht unähnlich war, und fügte die Worte hinzu, daß dies Dokument ihn selber verpflichte, mir ein der im Kontrakte Eveena ausgesetzten Summe gleiches Jahreseinkommen zu zahlen.

Ich sah mich also genöthigt, die gebotene Mitgift anzunehmen, trotzdem ich wußte, daß diese Sitte hier auf dem Mars ebenso ungewöhnlich war, als sie bei uns auf der Erde selbstverständlich erscheint.

Nach Erledigung dieser immerhin peinlichen Angelegenheit fuhr ich fort:

»Euer Ehekontrakt scheint mir denn doch das schwächere Geschlecht mehr zu begünstigen, als es strenggenommen Eure theoretische Gleichheit vor dem Gesetze erlaubte. Es ist dies ja nur recht und billig, aber schwerlich möchte es sich mit Eurer Theorie vereinbaren lassen, nach welcher Bräutigam und Braut, Gatte und Gattin als gleichberechtigte Glieder in eine freiwillige Genossenschaft treten und darin freiwillig weiter leben.«

»Wie so?« fragte er verwundert.

»Steht nicht,« sagte ich, »der Frau allein nach Verlauf von zwei Jahren das Scheidungsrecht zu, wogegen der Gatte nur gegen bedeutendes Bußgeld die Trennung erwirken kann?«

»Ganz richtig,« erwiderte er, »aber Ihr dürft nicht vergessen, wie ungleich die Lage der Beiden thatsächlich ist. Bedenket, was das Weib hingeben muß durch den Abschluß der Ehe. Hat sie im Laufe der Zeit zwei, drei, vier Kinder geboren, so ist selbstverständlich ihr Werth in den Augen eines anderen Freiers beträchtlich gesunken.

Ihr möget zwar sagen, daß dies in der That dem Gesetze zuwider auf die natürliche Ungleichheit hinauslaufe, indeß diese Ungleichheit ist einmal da und erfolglos sind alle Versuche, sie beseitigen zu wollen. Schaut Euch die praktischen Folgen eines jeden Vertrages an, und Ihr werdet sehen, daß er unter dem Scheine, beide von Natur ungleiche Parteien als Gleichberechtigte zu behandeln, den schwächeren Theil stets zum Sklaven des Stärkeren macht.«

»Wenigstens,« antwortete ich, »sind beide Theile insofern gleichgestellt, als es Beiden freisteht, sich so zu verhalten, daß der Andere froh und zufrieden ist, in die Trennung zu willigen!«

»Das dürfte dort allerdings der Fall sein, wo die Gesetze die Monogamie vorschreiben, so daß der Eine vom Anderen gleichmäßig abhängt, und dadurch eine Art künstlicher Gleichheit geschaffen wird. Unser Gesetz kann doch aber gleichberechtigten Personen, deren verschiedenes Geschlecht es nicht kennen oder nicht in Betracht ziehen darf, weder die Bedingungen für den Abschluß einer Gemeinschaft noch die Zahl der Gesellschafter und Genossen vorschreiben. Es ist eben nur ein Vertrag, der aus freien Stücken geschlossen wird, und weil dem so ist, besteht der Mann stets darauf, eine gesetzliche Einmischung in seine Hausangelegenheiten unmöglich zu machen, wie denn auch die Erfahrung gelehrt hat, daß früher, als jene Klausel noch nicht allgemein angenommen war, eine gesetzliche Einmischung in solche persönliche Verhältnisse stets mehr Unheil als Gutes stiftete. Wie die größere physische Kraft des einen Theiles die vor dem Gesetze giltige Gleichheit zu der Ungleichheit der Praxis herabdrückt, so raubt auch die Freiheit, die nothwendige logische Folge dieser Gleichheit, dem Weibe ihren einzigen natürlichen Schutz — das Bedürfniß des Mannes nach Pflege und Liebe vom Weibe.«

»In unserer Welt,« erwiderte ich, »sind selber Sklaven gegen Grausamkeit ihrer Herren gesichert, und der Eigentümer kann ihnen ihr Leben nicht übermäßig schwer machen, ohne zugleich sein eigenes Leben zu gefährden.«

»Aus diesem Grunde,« fuhr jetzt mein Wirth fort, »ist auch in unseren Verträgen die Endklausel aufgenommen, die bei Körperverletzung und vorsätzlichem Morde oder Mordversuch die Hilfe der Gerichte anzurufen erlaubt.«

»Und kommt dies,« fragte ich, »häufig vor?«

»Fast nie,« erwiderte er, »und zwar aus dem einfachen Grunde, weil unser Gesetz versuchten und vollführten Mord mit gleicher Strafe belegt hat. Das Weib, welches vom Manne auf einem solchen Vorhaben ertappt wird, ist ihm auf Gnade und Ungnade verfallen, da sie, um nur der Todesstrafe zu entgehen, alle Grausamkeiten, die er ihr zuzufügen für gut findet, geduldig und ohne Klagen ertragen muß.«

»Dann aber bleibt sie in seinem Hause,« sagte ich, »und er schwebt in steter Gefahr um sein Leben, was mit der Zeit die Nerven selbst des stärksten Mannes aufreiben muß.«

»Unsere Aerzte,« fuhr er erläuternd fort, »sind geschickter in der Bereitung von Gegengiften als unsere Frauen in der Mischung von Giften. Ich glaube, daß nur wenige Vergiftungsversuche erfolgreich sind und daß viele Frauen unschuldigerweise auf den bloßen Verdacht hin schwer gelitten haben.«

»Und welches,« fragte ich, »ist die gesetzliche Definition des Ausdrucks ›Körperverletzung‹?«

»Darunter wird eine Mißhandlung verstanden, von welcher nach vierundzwanzig Tagen noch ernstliche Spuren sich zeigen, wie die Zerstörung eines Gliedes, ganzer oder theilweiser Verlust eines Sinnes. Ich habe oft,« fuhr er bitter fort, »mit Unwillen unserer Gesetze und ihrer vielgerühmten Logik und Güte gedacht, die meine Töchter zwingen, eine jede Mißhandlung von Seiten des Gatten ruhig zu ertragen, so lange diese es nicht so weit treiben, sie grausam zu verstümmeln. Dies ist ein Hauptgrund dafür, daß wir unsere Töchter nie einem Anderem verloben, als einem Bruder unseres Ordens, für den sie im schlimmsten Fall immer noch Schwestern verbleiben. Hätten alle unsere Frauen Beschützer und Eltern, wie sie es leider nicht haben, dann hätte uns unmöglich das Trugbild der Gleichheit zu jener logischen Vollkommenheit und praktischen Monstrosität in den Ehegesetzen geführt.«

»So haben also Eure Frauen trotz aller Gleichheit ein schwereres Leben, ein traurigeres Los, als die Frauen in unserer Welt, die doch nach Gesetz und Sitte die Untergebenen ihrer Gatten sind.«

»Ja, in der That,« versetzte er, »das sprechen auch mit Bitterkeit und Schärfe und ohne allzu große Uebertreibung unsere Sprichwörter aus. Unsere Schulbücher lehren, daß Wirkung und Rückwirkung gleich und entgegengesetzt sind, und diese Phrase giebt dem Sprichwort Bedeutung: ›Pelmavè dakâl dakè‹ — sie ist gleich wie das Geschlagene dem Schlagenden, gleich wie das Eisen des Ambos dem Eisen des Hammers, nämlich die Gleichheit der Frau gegenüber dem Mann. ›Bitterer das Lächeln mit zwölf als die Thräne mit zehn‹, sagt ein anderes Wort, mit Beziehung auf das gewöhnliche Alter der Eheschließung. Ein anderer Spruch heißt: ›Thleen delkint treen lalfe zevleen‹, das heißt, ›zwischen Wolk' und Nebel träumt sie von den Sternen‹.«

»Was hat dies zu bedeuten?« fragte ich.

»Ihr übersetztet einst für uns eine Hymne: ›Zwischen Höll' und Fegefeuer, von dem Himmel noch ein Traum‹. Nun, dieser Gedanke entspricht jenem unsern martialischen Sprichwort. Hört noch ein anderes: ›Zwischen der Strenge der Schule und dem Elend der Ehe die Träume der Braut‹. Und weiter: ›Das Kind verlangt nach den Sternen, nach der Ehe das Mädchen, nach dem Grabe die Frau!‹ «

»Und haltet Ihr dies nicht für übertrieben?«

»Ich halte dafür, daß bei uns das Weib weniger noch als der Mann zum Selbstmorde neigt. Aber ich will Euch noch einen letzten Spruch anführen; es ist ein zweischneidiger Spruch und lautet wie folgt: ›Thor ist, der auf Weiberthränen achtet, der auf Weiberrede hört; Thörin ist, die gegen Manneskraft und Willen sich empört.‹ «

Hier unterbrach uns Zulve, sie kam an die Thür und machte ihrem Gatten ein Zeichen; er wartete höflich einige Minuten, um sich zu überzeugen, ob ich meine Wißbegierde befriedigt hätte, dann führte er mich, nachdem sich Kevimâ auffallend ceremoniell von mir verabschiedet hatte, bis vor die Thür eines neben dem meinen gelegenen Zimmers. Hier blieb er selbst stehen und ließ mich allein durch die sich öffnende Thür eintreten. Es war ein Raum, den ich bisher noch niemals betreten hatte, von etwa derselben Größe wie mein eigenes Zimmer, jedoch in anderer Farbentönung dekorirt und mit demselben durch eine von mir vorher niemals bemerkte Thür verbunden. Dort befand sich Eveena mit ihrer Mutter und Schwester, die beiden Letzteren wie gewöhnlich gekleidet, während Eveena statt des jungfräulichen Weiß die hellgelbe Kleidung einer jungen Frau trug und tief verschleiert war. Mutter und Schwester küßten sie, sichtlich mit tiefer Erregung, doch ohne Thränen und Klagen, unter welchen bei den Nomadenvölkern Asiens wie bei den kultivirtesten Nationen Europas die Verwandten und besonders diejenigen Angehörigen, die Himmel und Erde in Bewegung gesetzt haben, dies Ziel zu erreichen, eine Schwester oder Tochter aus dem Hause geben zu müssen meinen. Dann blieb ich allein mit Eveena zurück; halb saß sie, halb lag sie auf den Kissen in der einen Ecke des Zimmers. Unwillkürlich fühlte ich all die Verlegenheit dessen, der zum ersten Male sich der Gefährtin seines Lebens allein gegenüber befindet; ja, ich hatte Grund, diese Verlegenheit stärker zu fühlen, als irgend Einer in meiner Lage dort unten auf Erden, da meine Braut mir eigentlich vollständig fremd war, und ich nur das eine Mal auf dem Ausfluge nach meinem Astronauten Gelegenheit gehabt hatte, sie ein wenig kennen zu lernen.

Indeß ein einziger Blick auf die kleine, zarte, halb in den Kissen verborgene Gestalt belehrte mich, wie viel peinlicher noch diese Lage für meine Braut sein mußte. Ich mußte beruhigende Worte finden, ich mußte zu ihr sprechen, und zögernd bat ich sie endlich, ihren dichten Schleier entfernen zu wollen.

»Nein,« lispelte sie und erhob sich; »Ihr selbst müßt ihn heben.«

Sie zog den Handschuh von ihrer Linken, kam langsam und schüchtern auf mich zu und legte denselben in meine Rechte. Ich verstand diese sinnreiche Zeremonie und gehorchte derselben, und zum ersten Male in meinem Leben berührten meine Lippen die Brauen meines jugendlichen Weibes. Jetzt erst, als ich in ihr Auge zu blicken vermochte, sah ich ganz und deutlich, wie ängstlich und scheu, wie erregt und erschreckt sie gewesen. Welches muß nicht der Zustand einer Braut auf dem Mars sein, die sogleich nach VertragsUnterzeichnung den Händen eines wildfremden Mannes überliefert wird! Ich konnte mir dies einigermaßen aus der Erregung Eveena's vergegenwärtigen, die immerhin besser als ihre Schwester daran war und mich vorher doch ein wenig schon kannte. Ich hoffte, durch möglichst zur Schau getragene Ruhe meinerseits sie selbst zu beruhigen, ich ergriff sanft ihre Hand, führte sie klopfenden Herzens zu ihrem Sitze zurück und setzte mich selber, doch ihr nicht zu nahe, zu einem Zwiegespräch nieder. Als bester, geeignetster Anknüpfungspunkt erschien mir unser Abenteuer von gestern, und so fragte ich sie denn, was sie bewogen hätte, sich in eine so gefährliche Lage zu begeben.

»Seid mir nicht böse,« bat sie in entschuldigendem Tone, »ich liebe die Blumen so sehr, die Blumen und mein Vogel waren stets meine einzige Freude. Was sollen wir Frauen wohl auch anderes thun? Seltene Blumen aufziehen und neue Arten gewinnen, ist fast die einzige Beschäftigung, die uns noch einige Anregung gewährt. Ich hatte die Blume, welche dort auf dem Abhang wuchs, bis dahin noch nie gesehen, und ich glaube, sie wächst überhaupt nur auf wenigen Bergen unter der Region des ewigen Schnees; daher wollte ich sie gern nach Hause mitnehmen und in unseren Garten verpflanzen. Ich hoffte, sie mit der Zeit in eine so prächtige Blume verwandeln zu können, wie jene herrliche ›leenoo‹, die Ihr gestern auf meinem Blumenbeete so sehr bewundertet.«

»Ah,« sagte ich, »diese zwei Blumen sind doch ganz verschieden an Gestalt und Farbe, und wenn ich auch kein gelehrter Botaniker bin, möchte ich doch behaupten, daß sie gewiß nicht zu derselben Familie gehören.«

»Nein,« sagte sie, »aber mit Pflege und richtigem Gebrauche unseres elektrischen Apparates gelang es mir in diesem Jahre eine ähnlich staunenswerthe Verwandlung zu bewirken. Ich werde Euch auf meinem Beete eine kleine weiße, kegelförmige Blume von durchaus nicht auffallender Schönheit zeigen, und aus ihr ist es mir geglückt, im Verlauf von zwei Jahren eine andere napfähnliche, gelbe, fast dreimal so große Blüthe zu ziehen, ganz einer von meiner Schwägerin gezeichneten Blume ähnelnd, welche sie einstmals im Traume gesehen. Ja, es gelingt uns sehr oft, eine Farbe, Größe und Gestalt zu gewinnen, die an die ursprüngliche Blüthe auch nicht im Geringsten erinnert, und man hat mir erzählt, daß es klugen und geschickten Landwirthen schon oftmals geglückt ist, selbst eine Frucht oder gar ein Thier, wie es ihrem Ideale entspricht, sich zu ziehen.«

»Auch einige unserer Züchter auf Erden haben es so weit gebracht, sich gewisse Arten zu ziehen, wie sie ihrem Ideale entsprechen, indeß bedarf es, um einen Erfolg zu erreichen, vieler Generationen, und man muß lange unter den Thieren suchen und wählen, die in der rechten Richtung variiren; und dann noch erzielt man kaum eine wesentliche Aenderung.«

Sie schien meine Worte kaum zu verstehen, aber dennoch antwortete sie:

»Auch bei uns würde die gewonnene Pflanze der ursprünglichen ähnlich bleiben, wenn wir nicht von Anfang an ihr Wachsthum mittelst elektrischer Gestelle überwachten, doch, wenn Ihr erlaubt, will ich Euch morgen selber meine eigenen Erfolge auf meinem Blumenbeet zeigen, und nachher werdet Ihr Gelegenheit finden, selbst zu sehen, um wie viel größere Erfolge ein Landwirth mit Zeit und stärkerer Elektrizität zu erzielen vermag.«

»Auf jeden Fall,« sagte ich, »hättet Ihr Eure Blume ohne Gefahr erhalten, wenn ich den Zweck gewußt, um den Ihr so viel auf das Spiel setztet, und sollte ich noch drei Tage länger hier bei Euch verweilen, verspreche ich Euch, für Euer Experiment eine ganze Menge davon zu holen.«

»Ihr wollt doch nicht etwa noch einmal zu Eurem Luftschiff zurückkehren?« fragte sie mit einer Miene des höchsten Erschreckens.

»Ich wollte es eigentlich nicht,« erwiderte ich, »denn, wie ich glaube, steht es vollkommen sicher unter dem Schutze Eures Vaters und den strengen Gesetzen des Landes. Indeß, sollte meine Zeit es mir gestatten, so will ich die Blume holen, welcher ich, wie Ihr mir erzählt, so zu großem Danke verpflichtet bin.«

»Ihr seid sehr freundlich,« sagte Eveena voll Ernst, »indeß ersuche ich Euch, nicht noch einmal Euch in Gefahr zu begeben; ich müßte entsetzlich leiden, wüßte ich, daß Ihr um solche Kleinigkeit von Neuem Euer Leben gefährdetet!«

»Für mich liegt keine große Gefahr in dem Wagniß, und Kleinigkeit scheint es mir auch nicht, Euch einen Wunsch zu erfüllen. Es kommt mir jedoch so vor, als ob Euch das Fahrzeug, welches mich zu Euch gebracht, besonderen Schrecken einflößt, und das ist,« fügte ich lächelnd hinzu, »doch, nicht gerade hübsch von meiner jungen, kaum vor einer Stunde mir angetrauten Braut!«

»Das nicht! Nein, nein!« klagte sie ängstlich. »Doch das Schiff, das Euch zu uns geführt, mag Euch eines Tages uns wieder entführen.«

»Ich will Euch nicht wehe thun, wenn ich Euch sage, daß dies allerdings meine Hoffnung ist. In jedem Falle aber soll es nicht eher geschehen, als bis Ihr selbst damit einverstanden sein werdet.«

Sie schwieg und erwiderte nichts, es war, als ob sie nicht wagte, Etwas, das ihr noch auf dem Herzen lag, auszusprechen. Deshalb versuchte ich, ihr mit einigen schmeichelnden Worten Muth einzuflößen und endlich fand sie Worte, und gestand mir zu meiner größten Ueberraschung mit bebender Stimme ihr Anliegen.

»Ich kenne zwar,« sagte sie, »Eure Denkweise nicht, noch Eure Sitten und Gebräuche, aber ich weiß, daß sie anders sind, als die unseren, und ich fühle, daß sie Euch nachsichtiger und liebenswürdiger gegen die Frauen machen, als es hier zu Lande Gewohnheit ist. Ich hoffe daher, Ihr werdet nicht böse sein, wenn ich es wage, eine größere Bitte, als in meinem Rechte steht, an Euch zu richten.«

»Wie könnte ich Euch, meiner Braut, die erste Bitte, was immer Ihr bätet, verweigern? Indeß macht Euer Zögern mich fürchten, Ihr könntet von mir heute erbitten, was späterhin uns Beide gereuen möchte.«

Sie zögerte noch, so daß ich versucht war zu glauben, ihr Wunsch möchte wichtiger sein, als es mir dünkte. Endlich fiel es mir ein, daß ich sie vielleicht am Besten damit ermuthigte, wenn ich die Sache leicht und scherzhaft behandelte.

»Was ist es, Kind,« fragte ich, »was Ihr leichter von mir, als von einem Manne Eures Stammes zu erlangen vermeint und das Ihr doch von mir zu erbitten Euch scheut? Dünkt Dir etwa mein Arm ein wenig zu schwer, und soll Dir der Riese versprechen, ihn nie gegen Dich zu erheben? Nicht doch, Eveena. Ich fürchte mich wirklich, Dich zu berühren, daß ich Dir nicht unversehens wehe thue! Wie leicht mag nicht meine Zärtlichkeit die Grenze der gesetzlich erlaubten Grausamkeit überschreiten, wie leicht nicht meine Hand Deinen Elfenkörper verletzen?«

»Nein, nein,« klagte sie, durchaus nicht in dem scherzenden Ton, den ich angeschlagen, »spielt nicht mit mir, darum bitte ich Euch. Vielleicht wird mich, wenn Ihr zürnt, Euer Zorn zu Thränen erschrecken, aber haltet Euern Zorn nie zurück, straft und vergebet! Ein Sprichwort sagt, wer bestraft, der verzeiht, und es lauert, wer haßt. Ich kann ja nicht Eure Gedanken verstehen, aber — aber, ich dachte, mir schien es wenigstens so, ich — ich meinte, Ihr hieltet das Band, welches Mann und Frau aneinander bindet, für fester und — und — länger dauernd, als es in unserem Vertrage bestimmt ist?«

»Gewiß! Es dauert bei uns auf der Erde so lange wie das Leben und ich kann kaum fassen, wie es möglich, daß selbst hier, wo das Band nach Belieben gelöst wird, auch das kälteste Herz am Hochzeitabend an eine einstige Trennung zu denken vermag.«

Sie war zu unschuldig, solchen Gedanken zu fassen, vielleicht zu sehr mit ihren eigenen Ideen beschäftigt, um den ungerechten Vorwurf, den ich ihr machte, zu verstehen.

»Nun wohl,« sagte sie mit Aufbietung all ihres Muthes, und ihre Stimme bebte im Widerstreit der Befürchtung, daß ihre Bitte vermessen erscheinen könnte, und des Verlangens, ihren Wunsch auszusprechen. »Ich wünschte — ich möchte Euch bitten, mich mitzunehmen mit Euch, wenn Ihr einst diese Welt verlasset, vorausgesetzt, daß Ihr dann noch meinet, daß ich Eure Liebe verdiene.«

Ihr Eifer zu bitten überwand ihre Schüchternheit und ängstlich schaute sie mir in die Augen.

Wir mißverstanden uns gänzlich; sie glaubte in meinem überraschten Gesicht Mißfallen zu lesen und schien bitter enttäuscht, mich aber erinnerten ihre Worte mit Entsetzen an die indischen Wittwenverbrennungen, deren Zeuge ich oftmals gewesen.

»Das steht natürlich bei Dir!« antwortete ich endlich, »indeß sollte es mir wirklich gelingen, Deine wahre Liebe einst zu erringen, so hoffe ich doch, daß Du Deine Tage nicht selber verkürzen werdest, falls die Meinen, wie dies menschlichem Ermessen nach zu erwarten ist, früher als die Deinen enden.«

Ihr Antlitz klärte sich auf, und sie blickte schüchtern, doch nicht minder ernst zu mir auf.

»Ihr habt mich nicht verstanden,« erwiderte sie, »ich sprach nicht so, wie mein Vater öfters spricht, um uns zu erinnern, daß der Tod nur ein Uebergang von einer Welt in eine andere sei. Ich dachte an Eure Reise und wollte Euch bitten, mich mit Euch zu nehmen, wenn Ihr einst diesen Planeten verlassen solltet!«

»Bist Du Dir dessen so sicher, daß ich einst fortgehe? Aber fürwahr, Du hast mit Deinen letzten Worten das Hinderniß, das mir durch die Verbindung mit Dir erwuchs, selbst wieder hinweggeräumt. Eher denn Dich verlassen, hätte ich den ganzen Zweck meiner Unternehmung aufgeben, und auf das Wiedersehen meiner Freunde und meiner Welt verzichten wollen, doch wenn Du auf meiner Fahrt mich geleiten willst, werde ich versuchen, einst wieder nach meinem Planeten heimzukehren.«

»Dann,« sagte sie hoffnungsvoll, doch immer noch zweifelnd, »dann nehmt Ihr mich mit, wenn ich Euch nicht zu viel Grund zum Verdruß bis dahin gegeben habe? Ein Wort, das ein Mann einer Frau giebt, ist heilig, das habt Ihr selbst gesagt.«

»Ich verspreche es Dir,« gab ich ernst zur Antwort, tief ergriffen von ihrer wahren Neigung, die ich so wenig erwartet, und so wenig Recht zu erwarten gehabt. »Ich gebe Dir das Wort eines Mannes, der noch nie in seinem Leben eine Unwahrheit sprach oder seinem Worte untreu ward. Kommt einst die Zeit und Du denkst noch wie heute, so sollst Du mich sicher begleiten. Aber vielleicht wirst Du Deinen Entschluß ändern, wenn Du erst ganz die Gefahren kennst, die Du mit mir zu theilen verlangst.«

»Das kann meine Absicht und meinen Wunsch nicht ändern,« erwiderte sie, »wir können doch nur entweder zusammen unser Ziel erreichen, oder aber zusammen umkommen? Von Dir verlassen zu werden, schien mir das schlimmste Geschick, das mich treffen könnte, nimmst Du mich aber mit Dir, so bleibt mir die Hoffnung, mit Dir zu leben oder mit Dir zu sterben, und wenn ich selbst meinen Tod dabei fände, wäre ich doch mit Dir und fühlte Deine Güte gegen mich bis in den Tod.«

»Ich dachte es kaum,« antwortete ich und zögerte lange, um den passenden zärtlichen Ausdruck zu finden, von denen die Sprache des Mars nur so wenige und unzureichende bietet; »Ich dachte es kaum, daß mir in dieser selbstischen, liebeleeren Welt ein so trautes und treues, selbstaufopferungsfähiges Weib beschieden sein würde! Hätte mein beispielloses, kühnes Abenteuer keinen anderen Lohn zu gewärtigen, wäre es nichts, dieser Triumph, eine neue Welt mit all ihren Wundern und all ihrer Pracht zu entdecken, — Dich zu finden, Dich zu besitzen, Eveena, das wäre allein schon Lohn, überreicher Lohn für all mein Streben und alle Gefahren. Für Alles, was ich gethan und gewagt und noch in Zukunft wagen und thun muß, bin ich tausendfach in Dir und durch Dich entschädigt.«

Sie sah mich groß an bei diesen Worten, ihre Züge drückten mehr Unglauben und Erstaunen als innere Freude und Befriedigung aus, doch war sie sichtlich gerührt durch den Ernst meines Tones, wenngleich sie meine Rede kaum besser verstanden hatte, als hätte ich in meiner Muttersprache gesprochen. Mir scheint es überflüssig, die Unterhaltung der folgenden Stunden niederzuschreiben. Nur das Eine will ich noch erwähnen, daß das ganze Wesen Eveena's einen schmerzlichen Eindruck während derselben auf mich machte, denn sie war so furchtsam und scheu, wie wenn sie sich auf gefährlichem Boden befände und mit einem jeden ängstlichen Worte ihren Weg vorsichtig fühle und suche. Das schien nicht die Aengstlichkeit einer jungen, plötzlich verheirateten Frau, es war fast die Furcht eines Kindes, das sich plötzlich in den Händen eines Mannes erblickt, vor dessen Strenge es schon lange gezittert und den es durch Schweigen nicht weniger, als durch Reden zu beleidigen fürchtet. Längere Erfahrung in dieser Welt ohne Liebe und Nachsicht lehrte mich nur zu gut die Bedeutung dieses ängstlichen Wunsches, zu gefallen oder vielmehr nicht zu beleidigen. Ich dächte nun freilich, selbst einem Tyrann müsste es peinlich erscheinen, solch ein Kind in steter Angst bangend, jede Minute eines Schlages gewärtig, vor sich zu sehen, und dies Gefühl lag so offenbar in dem ganzen Benehmen meines jungen Weibes, daß ich endlich, da es mir durch stundenlange, schmeichelnde Worte und liebevolles Zureden nicht gelang, Zutraulichkeit zu erwecken, fast ungeduldig und mißmuthig über das Fehlschlagen all meines Mühen ward. Aber in dem Augenblick, als mein unwillkürlich schärferer Ton ihrem aufmerksamen Ohr meine innere Verdrießlichkeit verrathen hatte, und sie mich mit verstohlenen Blicken von unten herauf anschaute, als ob sie fragen wollte, was sie Unrechtes gethan, und wie sie es wieder gut machen könnte, ließ sich glücklicherweise ein leises Kratzen an der Thür hören, das Eveena's Aufmerksamkeit von mir abzog. Indeß wagte sie nicht, ihre Hand aus der meinen zu ziehen, sondern rückte ein wenig, fast unmerkbar bei Seite, durch Blick und Geberde mich bittend, sie loszulassen; und als ich trotzdem sie festhielt, schwieg sie still, bis sie, als das Kratzen sich einige Mal wiederholte, mir zulispelte, ob sie aufmachen und einlassen dürfte. Dann erschien auf ihren Zuruf zu meinem Erstaunen nicht etwa ein menschlicher Eindringling, sondern einer jener Ambau. Er trug auf einem Präsentirbrett einen Becher und setzte es auf einen Tisch uns zur Seite. Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß, ob auch die Gegenwart dieses stummen Bedienten so wenig störend erscheint, als auf Erden die Gegenwart eines Hundes oder einer Katze, die martiale Etikette es dennoch sogar diesen Thieren verbietet, so gut wie menschlichen Dienern, unangemeldet das Ehegemach zu betreten.

Als das kleine Thier sich entfernt hatte, kostete ich die Flüssigkeit, aber setzte den Becher schnell wieder hin, da der Inhalt widerlich unangenehm schmeckte. Eveena nahm ihn indessen und trank einen Theil davon. Ich konnte an ihren Grimassen sehen, wie schlecht ihr der Trank mundete, dann reichte sie ihn mir zurück, mich mit ihrem Blick so dringend zum Trinken einladend, daß ich, um nicht unhöflich zu sein, ihrer Aufforderung Folge leisten mußte. Ich kostete noch einmal, doch trank ich den Becher nicht aus, sondern setzte ihn ungeleert wieder bei Seite, bis ein zweiter dringender Blick mich zum Leeren desselben mahnte. Mir schien das Ganze eine bedeutungslose, aber in Folge hergebrachter Sitte unvermeidliche Ceremonie zu sein, ich trank also und dachte nicht weiter daran, sondern suchte fortgesetzt meine schöne Gefährtin zu beruhigen und zu ermuthigen. Aber nach einigen Minuten kam es mir so vor, als ob sie selbst plötzlich Muth und Vertrauen gewänne, und auch in mir selbst meinte ich eine Einwirkung auf meine Sinne und mein Empfinden zu spüren, die ich sofort — wie ich mich bald überzeugte, mit Recht — dem genossenen Tranke zuschrieb. Der Becher enthielt nämlich eines jener schon erwähnten narkotischen Mittel, das ich, da sie selten gebraucht werden, vorher weder gesehen noch gekostet hatte. Unter dem Einfluß desselben fand ich den Muth, jetzt die Frage an Eveena zu richten, die sich mir seit einiger Zeit auf die Lippen drängte.

»Hast Du,« fragte ich sie in abgebrochenen Worten, »hast Du vielleicht Furcht vor mir?« Die Frage überraschte sie und ihre Antwort mich nicht minder.

»Natürlich,« entgegnete sie, »muß ich mich nicht vor Dir fürchten? Doch warum fragst Du mich? Und was hatte ich gethan, Dir zu mißfallen, gerade in dem Augenblick, als man uns den Muthesbecher hereinbrachte?«

»Es war durchaus nicht mein Wille, Dir auch nur den kleinsten Verdruß zu zeigen,« erwiderte ich, »es kam mir aber eben der Gedanke, daß Du weniger unseren Frauen auf Erden, als etwa einem verzogenen Kinde gleichst, das eben in eine strenge Schule gebracht ward. Du sprichst und blickst wie ein Kind, das beständig Tadel und Schläge erwartet, ohne zu wissen, was es denn eigentlich verschuldet hat.«

»Sprich nicht so,« sagte sie mit schmerzlichem Lächeln, das mir bitterer als Thränen erschien, »sprich nicht so, als ob ich böse Worte und Tadel von Dir zu erwarten hätte. Wir haben einen Spruch, welcher sagt ›daß die Hand nur die Haut schlägt, die Zunge aber das Herz‹.«

»Sehr wahr, nur daß bei uns auf der Erde es meistens die Zunge der Frauen ist, die Herzen bricht, und ein Mann nie seine Hand gegen eine Frau erheben darf.«

»Warum nicht?« fragte sie mich. »Du sagtest erst neulich meiner Mutter, daß Argâ, (das ungezogene adoptirte Kind Esmos), Schläge verdiente.«

»Ja wohl, doch man glaubt, daß die Frau auch milderer Mahnung folgt. Nur ein betrunkener, roher Mann könnte einem so zarten Wesen, wie Dir etwa, rauh und gewaltthätig begegnen.«

»Verziehen mußt Du mich nicht,« entgegnete sie mit lieblichem, halb traurigem Lächeln. »›Verzogene Braut, unglückliche Frau!‹ Denn sicherlich ist es keine wahre Güte, uns an Nachsicht zu gewöhnen, welche doch nicht dauern kann.«

»Wir haben,« entgegnete ich, »eine andere Redensart in unserer Sprache, die ungefähr lautet ›einen Schmetterling auf dem Rade zerbrechen‹, was etwa dasselbe bedeutet, als ob man eines jener zierlichen Vöglein, die aus Deinen Blumen sich Honig saugen, mit einem Hammer verjagen wollte. Deine eigenen Sprichwörter aber auf Dich anzuwenden, würde dasselbe bedeuten! Soll ich denn nicht mein liebes, kleines Blumenvöglein so lange verziehen, bis ich es wenigstens zahm gemacht habe? Traue mir nur, ich will Dich auch schon bestrafen, wenn Du mir Grund dazu giebst und ich eine Ranke oder ein Blumenstengelchen finde, zart genug, Dich nicht damit zu verletzen.«

»Willst Du mir versprechen, einen Hammer zu brauchen, wenn Du meiner überdrüssig bist?« antwortete sie und sah durch ihre lang herabfallenden Wimpern mit einem Blick zu mir auf, in dem ebenso wie in dem Ton ihrer Stimme tiefes Empfinden und froher Uebermuth sich mischte.


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Kapitel 11
Eine Fahrt über Land

Wie alle Bewohner des Mars hatte auch ich mich seit meiner Landung daran gewöhnt, mit dem Grauen des Morgens mich zu erheben, indeß der genossene Trank, obgleich seine anfängliche Wirkung durchaus nicht narkotisch oder betäubend war, ließ mich in einen langen und tiefen Schlaf verfallen. Hell und voll fielen die Strahlen der Sonne durch das Glasdach des Peristyls und das Fenster unseres bräutlichen Gemaches. Als ich meine Augen öffnete, stand inmitten der Strahlen der Sonne, umleuchtet wie von einer Glorie, neben meinem Lager Eveena, das lieblichste Wesen, das ich je gesehen, ein Miniaturbild entzückender weiblicher Anmuth und fehlloser Schöne, wenn auch nach irdischem Maßstabe überraschend klein, und so zart und zierlich und vollkommen in Gestalt und Gesicht, so ätherisch schön, so entzückend lieblich, daß sie mehr einer märchenhaften Elfenprinzessin, als einem menschlichen Wesen glich. Ihr Teint war von so durchsichtig blendender Weiße, wie der des zartesten Kindes aus einem der schönsten europäischen Stämme, während der ideal vollkommene Umriß ihres Gesichtes und ihrer Züge, die glatte edle Stirn, die sanftgeschwungenen deutlich gezeichneten Brauen, das große mandelförmige Auge mit seinen halbverhüllenden Lidern und seinen langen, seidenweichen, dunklen Wimpern, der kleine Mund mit seinen weißen, regelmäßigen Zähnchen und die rosigen Lippen, leicht geschlossen, nur zum Sprechen, Lächeln und bei eifriger Aufmerksamkeit ein wenig sich öffnend, ein Bild vollkommener, wenn auch keineswegs voll entwickelter Schönheit darboten, wie dieselbe den Marsbewohnern, oder vielmehr den Gliedern dieses Geschlechtes eigentümlich war, in welchem die feineren Züge dieses martialen Typus ungetrübt geblieben waren durch dessen gemeinere und niedrigere Eigenthümlichkeiten. Die kleinen, schlanken, weichen Hände, die nicht weniger tadellos geformten Füße ohne Sandalen konnten nur einem Sprößlinge von Ahnen gehören, die seit Jahrtausenden keine schwere Arbeit der Hände gekannt haben, und weder dem Einfluß der Unbilden der Witterung sich ausgesetzt, noch ihre Körperformen durch unnatürliche, verkrüppelnde Hüllen und Trachten entstellt hatten. Ihr ganzes Aeußere deutete auf das seit undenklichen Zeiten von Geschlecht zu Geschlecht auf sie überkommene Erbe einer durch keinerlei Krankheiten oder heftige Leidenschaften je zerrütteten und durch ihr wunderbar entwickeltes System körperlicher und geistiger Pflege gefestigte Gesundheit. Sie trug weder Schleier noch Aermel über ihren weichen, vollen Schultern und Armen, durch deren weiße, durchsichtige Haut ein matter rosiger Schimmer hindurch leuchtete. Ihr kleines Köpfchen ruhte auf einem schlanken klassischen Halse, und fast bis zu den Knieen wogte ihr langes, nur mit einem Silberbande zusammengehaltenes Haar hernieder, in dem mir jetzt bei den Strahlen der Morgensonne zum ersten Male die volle Schönheit des goldigen Schimmers entgegenstrahlte, der sich durch das dunkle Braun ihrer dichten, weichen Flechten hindurchzog. Eveena's dünne Robe war von einfachstem Schnitt; aus zwei Stücken eines wie Atlas glänzenden, im Gewebe selbst den feinsten Battist übertreffenden Stoffes vom Saum bis zum Arm zusammengenäht und an der Schulter durch Spangen gehalten, fiel es lose herab und zeigte, in der Taille durch einen Gürtel zusammengenommen, bei einer jeden Bewegung der Trägerin die anmuthigen Formen derselben. Ihr Anzug vereinte die reinste Einfachheit mit dem elegantesten Geschmack einer Pariser Balltoillette, war aber frei von jener Unzüchtigkeit, wie jene Letzteren sie immer zeigen. Im Gegensatz zu irdischer Sitte trägt die Frau auf dem Mars jenen »unangezogenen Anzug« nur innerhalb der Mauern des Hauses, indeß die Damen unserer vornehmen Gesellschaft für diese freimüthige Ausstellung ihrer Reize nur die größte Oeffentlichkeit als geeignet erachten. — Aus ihrem Antlitz strahlte aber heute ein Ausdruck, den ich früher noch nie an ihr gesehen; eine schüchterne Glückseligkeit sprach aus ihren Augen, die rührende Glückseligkeit einer ersten Neigung, die aber an die Dauer ihres Glückes noch nicht zu glauben vermag. Niemals erschien einem Sterblichen, selbst nicht dem Dichter des Sommernachtstraums ein Traumbild so lieblich wie dieses. Ihre Wangen errötheten, wie ich sie voll Bewunderung und Entzücken betrachtete; ich sprang auf, ergriff ihre Hände und zog sie nieder zu mir auf mein Knie. Minutenlang saßen wir da, ohne zu sprechen, ihr Köpfchen neigte sich nieder und ruhte an meiner Schulter und tief schaute ihr Auge in das meine; wir sahen einander tief in die Seelen und lasen unsere Gedanken und Herzen klarer und richtiger als Worte und Reden sie uns offenbart hätten. Ich hatte ihr am vergangenen Abend einige Ausdrücke liebkosender Zärtlichkeit in der süßesten Sprache, die ich kenne, gelehrt, da ihre eigene Sprache so wenig, beinahe gar keine derartigen Worte besitzt, doch hatte ich sie dieselben nur gelehrt, daß sie mich verstände, wenn ich sie ihr sagte, denn sie selbst wagte es noch lange nicht, mich auch nur bei meinem Vornamen zu nennen.

»Mein Vater trug mir auf,« sprach sie endlich, »Dich zu bitten, Du möchtest Dich in Zukunft nach Sitte unseres Volkes kleiden. Deine Erscheinung wird dadurch von ihrem Wundersamen gewiß nichts verlieren; hältst Du aber den Unterschied fest, so würde man denken, Du wolltest Deine Vorliebe für Deine eigenen Sitten absichtlich zur Schau tragen.«

»Natürlich,« bemerkte ich, »will ich mich fügen, zumal für jedes Land und Klima die ihm eigenthümliche Kleidung auch die angenehmste und zweckmäßigste zu sein pflegt; im Uebrigen hätte ich geglaubt, daß meine Vorliebe für meine eigene Welt Euch wenn auch unvernünftig, so doch natürlich und verzeihlich erscheinen müßte.«

»Man liebt,« entgegnete sie einfach, »man liebt bei uns nicht das Geltendmachen einer selbstständigen Meinung, selbst nicht auf dem Gebiete des Geschmacks.«

»Dann fürchte ich, Carissima, muß ich auf Popularität hier verzichten, denn bin ich auch Willens Eure Kleidung zu tragen, so werde ich mich doch nie im Stande fühlen, mich Eurer Lebensweise und Euren Anschauungen anzubequemen, und das dauert mich wirklich, um so mehr da ich weiß, daß gerade die Frauen dazu neigen, ein jedes Abweichen von den Gesetzen des Herkommens streng zu verurtheilen. Ich fürchte daher, Du wirst mir manch einen ketzerischen Rückfall in die Denk- und Verhaltungsweise meiner Erde vergeben müssen.«

»Du kannst doch nicht meinen,« sagte sie ernst, — es war, wie wenn sie für Ironie und Scherz durchaus kein Verständniß besäße — »Du kannst doch nicht meinen, daß ich Dich den Andern ähnlicher wünsche, als Du es bist? Welches Geschick mich im Leben auch einst noch beträfe, ich werde mich stets von allen Frauen die Glücklichste schätzen, denn ich habe Dir angehört, einem Manne, der nicht nur sich selbst liebt, sondern dem seine Liebe werther erscheint, als sein eigenes Leben!«

»Das hoffe ich, Carissima! wenn ich es Dir auch gestehen muß, daß ich, was Deine Errettung betrifft, das Gleiche für Zevle, Deine Schwester, wie für Dich selber gethan hätte. Meine Reise in den unendlichen Raum war mit anderen Gefahren und Schrecken verknüpft, als mit der Aussicht auf einen schnellen Tod, und doch verlangst Du von mir als Brautgeschenk das Versprechen, dieselben mit mir theilen zu dürfen? Wie unwürdig müßte ich da Deiner sein, wollte ich nicht um Deines Besitzes willen, und könnte ich ihn auch nur die versprochenen zwei Jahre genießen, mein Leben mit Freuden hingeben.«

So uneigennützig und selbstlos Eveena auch war, schien es sie dennoch zu schmerzen, daß jener Dienst, den sie so unendlich hochgeschätzt, weniger ihr, denn ihrem Geschlechte gegolten haben sollte; befriedigt und heiter aber verklärte sich ihr Antlitz, als ich jene alltägliche Versicherung, ihre Liebe meinem eigenen Leben vorzuziehen, aussprach. So viel größer war der moralische Abstand zwischen unsern beiden Welten als der räumliche, daß sogar Eveena so weit unter dem Einfluß der Denkweise ihrer Welt stand, wenngleich sie, wie ich später lernte, in ihrer Natur dem selbstsüchtigen Wesen ihrer Welt so völlig fremd war, als die Anschauungen, in denen sie erzogen war, in meiner Welt fremdartig erscheinen würden.

Ich verließ sie für einige Minuten, um zum ersten Male die neue Kleidung anzulegen, welche Esmo's Fürsorge bereit gehalten hatte. Das einfache Unterkleid aus zartestem Leder, feiner als das unserer kostbarsten Handschuhe, und eng anliegend vom Hals bis zur Knie, ist von allen Kleidern das Bestgeeignete, die natürliche Wärme bei dem schnellen Wechsel der äußeren Atmosphäre zu erhalten. Das Obergewand bestand aus Blouse und Hose von einem Stoffe, in dem scharlach und silberfarbene Fäden sich kreuzten, und beide hielt ein breiter grüner lederartiger Gürtel mit goldenem Schloß zusammen. Der Männeranzug ist selten so glänzend, wie der der Frauen, doch ohne Frage bequem und zweckmäßig, und meistens gefällig, ja elegant. Der einzige Theil der Kleidung, mit welchem ich mich nicht befreunden konnte, war die Sandale, die den Füßen gegen die Unbilden des Wetters und den Schmutz der Straßen keinen Schutz gewährte. Endlich kehrte ich, zum ersten Mal in meiner neuen Tracht, zu meiner jungen Frau zurück.

»Ich habe nicht viel Gelegenheit gehabt,« sagte ich, »Euer Land kennen zu lernen und glaube nach dem, was ich von dem zurückgezogenen Leben der Frauen gesehen habe, daß auch Dir ein Ausflug auf das Land Vergnügen bereiten würde. Würdest Du mich also, wenn Dein Vater uns einen seiner Wagen leiht, nach einigen Orten, die mir Kevimâ als nicht zu entfernt und sehenswürdig beschrieben hat, begleiten mögen?«

Sie beugte ihr Köpfchen und schwieg, so daß ich glaubte der Vorschlag sei ihr nicht genehm, und deswegen fortfuhr:

»Ziehst Du es vor, die kurze Zeit, die uns hier noch bleibt, mit Deiner Mutter und Deinen Schwestern zu verleben, so will ich Deinen Bruder um seine Begleitung ersuchen, obgleich ich mich heute nur ungern von Dir trenne.«

Sie blickte für einen Augenblick mit schmerzvoll verlegener Miene zu mir auf, und wie sie fortsah, erblickte ich helle Thränen in ihren Augen.

»Was weinst Du?« fragte ich überrascht, denn es fiel mir nicht ein, daß sie aus der Zurücknahme meines Wunsches den Schluß ziehen könnte, als ob ihre Gesellschaft mir gleichgültig wäre.

»Was that ich Dir?« stammelte sie, »daß ich diese Strafe verdiene? Seit Jahren bin ich vorgestern zum ersten Male aus dem Hause gekommen, und Du, Du stellst mir das denkbar größte Vergnügen in Aussicht, nur um es im nächsten Augenblick mir wieder zu versagen.«

»Aber Eveena!« antwortete ich, »selbst wenn ich es nicht gesagt hätte, so müßtest Du doch wissen, daß ich mich stets nach Deiner Gesellschaft sehne, ich schloß aber aus Deinem Schweigen, daß Dir mein Vorschlag mißfiele, Du ihn aber aus Schüchternheit nicht ablehnen wolltest.«

Der erstaunte, verlegene, halb pathetische Ausdruck ihres Gesichtes war so komisch, daß ich mit Mühe das Lachen unterdrückte, trotzdem ihr die Sache augenscheinlich gar nicht lächerlich vorkam. Ich ließ ihr einige Zeit sich zu erholen, dann fuhr ich fort:

»Nun wohl, ich meine, wir mögen uns jetzt zum Morgenmahle begeben, um die Anderen zu begrüßen.«

Indeß mußte noch nicht Alles sich in Ordnung befinden, denn sie warf, als ich sie ansprach, einen schüchternen Blick auf ihren Kopfputz und Schleier.

»Mußt Du dies tragen?« fragte ich sie.

»Wie närrisch von mir,« lachte sie, »daß ich immer vergesse, wie wenig Dir unsere Gebräuche bekannt sind. Natürlich muß ich Schleier und Aermel anlegen, und Du mußt mir den Schleier heute umbinden, wie Du ihn mir gestern abnahmst.«

Die Ungeschicklichkeit, mit welcher ich dies vollführte, belustigte sie nicht wenig und wieder sah ich, ehe noch der Schleier ihr Antlitz verhüllte, den Blick inneren Glückes und zärtlichen Vertrauens in ihren Augen aufleuchten.

Ich trug Esmo mein Anliegen vor, worauf er launig antwortete:

»Ein Haus wie das Unsere hat mindestens sechs bis zwölf leichterer und schwererer Wagen, die ja nur die einmalige Auslage kosten und ein halbes Leben hindurch halten. Indeß habe ich leider Nachricht für Euch, die Euch wohl so wenig erfreulich, als uns selbst sein wird: Ihr sollt Eure Reise nach dem Hoflager des Camptâ schon morgen antreten. Ihr werdet Euch daher mit Eurem Ausflug ein wenig beeilen müssen.« — —

Die Morgennebel waren hellem Sonnenschein gewichen, als wir zu unserm Ausflug aufbrachen. Zuerst führte unser Weg zwischen Einzäunungen und Mauern hin, gleich denen, welche die Wohnstätte Esmo's umgaben, dann aber lagen bald hier, bald dort, solche Felder zu unserer Seite, wie ich sie bereits bei meinem Abstieg vom Berge Asnyca gesehen hatte. Die Einen trugen Getreide und auf Anderen weideten Einhörner oder ähnliche Thiere. Auf Andern wieder erblickte ich die Carvee jäten und Früchte pflücken und ihre Ernte, sobald ihr Schnabel gefüllt war, in Körbe und Säcke sammeln. Mir fiel der wunderbare Unterschied in der Färbung zwischen den angebauten Feldern und Gärten, und dem Laub und den Matten der Bergabhänge auf. Ich sprach mit Eveena darüber und erfuhr, daß dieser Unterschied überall auf dem Mars sich zeige. Alle Gegenstände der Natur, die Pflanzen und Thiere, der Felsen und Boden erscheinen dunkler und matter gefärbt als auf Erden, vielleicht wegen des hier bedeutend weniger intensiven Lichtes der Sonne, vielleicht auch wegen des Fehlens der von der Atmosphäre absorbirten, chemisch wirkenden blauen Strahlen. Unangebauten Boden giebt es auf dem äquatorialen Continent fast gar keinen, höchstens auf den Höhen der Berge und auf den Wiesen wachsen Pflanzen, welche nicht durch die künstliche Zucht des Menschen ihre Form und Gestalt erhalten haben. Nicht nur Blumen und Pflanzen, sondern sogar die großen Obstbäume haben im Laufe der Zeiten wesentliche Veränderungen erfahren, nicht nur in der Größe, dem Geschmack und dem Aussehen der Frucht, sondern auch in der Form und der Farbe der Blätter, dem Wuchse des Stammes und der Aeste, der wesentlich regelmäßiger ist, als bei uns auf der Erde. Man liebt auf dem Mars, wie bei uns im Orient, die hellen, schreienden Farben, versteht sie aber mit weitaus besserem Geschmack zusammenzustellen und auseinanderzuhalten. In grellem Kontrast heben sich die Lieblingsfarben ihrer Blumen, der Vögel, der Fische, der vierfüßigen Thiere und selbst der Nutzpflanzen von den matten Tinten der wilden Flora und Fauna ab, von welchen sich indeß hier in diesem reich kultivirten Lande verhältnißmäßig nur sehr wenige Vertreter finden.

Bald näherten wir uns einem Strome, über den sich eine Brücke aus einem einzigen Stück jenes silberweißen Metalls hinüberspannte. Der Strom hatte, obgleich diese Stelle die schmalste seines Laufes war, doch noch eine so erhebliche Breite, daß ich nur mit Aengstlichkeit über das schwankende Metall hinüberpassirte, dem nicht einmal die Form des Bogens Festigkeit und Stärke zu verleihen schien.

Der erste Ort, welchen wir zu besuchen beabsichtigten, lag in einiger Entfernung stromabwärts und je mehr wir uns dem Punkte näherten, desto breiter ward der Strom. Die Mitte des Flusses war tief und freigehalten, um ununterbrochene Schifffahrt zu gestatten; auf beiden Seiten aber fanden sich durch aufragende Steinblöcke und Felsen gebildete Untiefen und Teiche, die auch hier, wie auf Erden, den Fischen als Tummelplatz dienen, und mit besonderer Vorliebe von ihnen zum Laichen gewählt werden. In einigen der seichteren Untiefen sah ich Vögel, welche größer waren als unser Storch, nach Beute ausschauen. Die Vögel hatten nach Art der Pelikane unter der Gurgel einen dehnbaren Sack, der zwar, wenn leer, kaum sichtbar war, aber dennoch eine bedeutende Menge großer und kleiner Fische zu fassen vermochte. Vorsichtig ergriffen die Vögel, um die Fische nicht zu verletzen, dieselben mit ihrem Schnabel und warfen sie mit einem Ruck ihres Kopfes in die Gurgeltasche hinein. Dann trugen sie ihre Beute an das Land, wo ein Aufseher die Vögel bewachte, und legten die Fische in einen auf Rädern ruhenden, in der Nähe des Aufsehers befindlichen Wasserbehälter. In einem der größeren Teiche, welche zu tief für die Vögel waren, waren einige Leute damit beschäftigt, eine Art von Netz auszuwerfen, das den ganzen, wohl vierhundert Quadratellen großen Teich bedeckte, und nach Art unserer Netze auf Erden, jedoch aus Metallfäden mit sehr engen Maschen verfertigt war. In der Mitte des Wassers war eine elektrische Lampe einige Fuß tief hinabgelassen, welche durch ihren Schein alle Fische an sich heranlockte, die dann mittelst eines plötzlichen elektrischen, durch die Maschen des Netzes geleiteten Schlages betäubt und so wie todt auf der Oberfläche des Wassers schwimmend, ohne Mühe gefangen wurden, worauf man sie sortirte und je nach ihrer Bestimmung in verschiedene Wasserbehälter legte. Ich bemerkte, daß einige Fische, die mir werthvoll schienen, von den Fischern trotzdem in das Wasser zurückgeworfen wurden und fragte die Leute, warum sie dies thäten. Man sah mich an, erstaunt und verwundert, und endlich erwiderte man, es verböte ein strenges Gesetz laichende Fische zu fangen, außer zu Zuchtzwecken.

Zum Seefischfang wird ein größeres, manchmal eine Fläche von zehntausend Quadratellen umspannendes Netz angewandt; der Fang aber wird auf dieselbe Weise, doch der größeren Wirkung des elektrischen Lichtes wegen meist bei Nacht vorgenommen. In jenen Meeren leben mehrere Arten großer Raubfische, halb Reptil und halb Fisch, die trotz der enormen Masse von Fischen, die sie verschlingen, nicht völlig ausgerottet werden dürfen, da sie sich nützlich erweisen durch die Vertilgung sehr vieler anderer schädlicher Thiere und das Wasser, welches sonst besonders an den Mündungen der großen tropischen Flüsse die Luft der Küste verpesten könnte, von Aas, verfaulendem Seetang und sonstigem Unrath reinigen. Es wird den Jägern daher anbefohlen, nur den durchschnittlichen Zuwachs des Jahres, um sie nicht überwuchern zu lassen, zu tödten.

Jetzt standen wir vor dem Eingang des größten FischzuchtsEtablissements dieses Kontinents, wenn nicht des ganzen Planeten. Einer der Direktoren kam uns höflich entgegen, um uns die ganze Anlage zu zeigen, es würde aber hier zu weit führen, alle Arrangements genau zu beschreiben, all die Teiche und Seen, in welchen die Fische während ihrer verschiedenen Lebensperioden gehalten werden. Die Bemerkung genüge, daß auf dem Mars die Aufgabe des Züchters bedeutend dadurch erleichtert wird, daß die Meere hier nicht wie bei uns Salzwasser haben, und die Fluß- und Seefische auf diesem Planeten, wenngleich deutlich von einander verschieden, doch alle dasselbe Wasser vertragen.

An einem der Gebäude fiel mir ein großer Zeitmesser auf, von einer Vollkommenheit, wie ich nie auf Erden ihn gesehen. Das Zifferblatt war länglich, in einem Kasten von klarem, durchsichtigem Krystall eingeschlossen, das in seiner Form dem offenen Theile eines Quecksilberbarometers ähnelte. Oben befanden sich drei verschiedenfarbige Kreise, welche durch zwölf gleich entfernte, aus den Mittelpunkten auslaufende Linien getheilt und wieder durch eine gleiche Zahl in Unterabtheilungen getrennt wurden. Auf dem höchsten Punkt eines Jeden befand sich ein goldener Indicator. Einer dieser Kreise zeigte die Temperatur an, ein Anderer die Richtung des Windes und durch die Intensität seiner Farbe die genaue Kraft des atmosphärischen Stromes, der dritte aber diente als Barometer und tiefer unten stand eine Zahl, welche den Tag des Jahres angab. Den mittleren Theil der Oberfläche nahm ein großer halb grüner und halb schwarzer Kreis ein, der Farbe des Tag- und Nachthimmels entsprechend, und auf diesem Kreis waren die Sonne und die Planeten durch bewegliche Figuren so repräsentirt, daß man die augenblickliche Stellung eines Jeden am Himmel genau ablesen konnte. Auch die beiden Monde waren dargestellt und ihre Phasen und ihre Stellung jederzeit deutlich dem Auge ersichtlich. Um diesen Zirkel lief ein in ungleiche Theile getheilter, verschiedenfarbiger Rand, der die dem Mars eigentümliche Tageseintheilung, und zwar unter dem goldenen Zeiger die »Zyda« und den genauen Moment derselben, sowie im Verlauf eine jede Stunde der Nacht und des Tages angab. Noch weiter unten befanden sich andere Kreise, welche die Feuchtigkeit in der Atmosphäre, die Stärke des Sonnenlichts und die elektrische Spannung in einem jeden Momente anzeigten. Ein jeder der sechs kleineren Kreise verzeichnete auf beweglichem Bande die Angaben eines jeden Momentes und diese bildeten aufgerollt ein Register der während der letzten acht Jahrtausende auf dem Mars angestellten Wetterbeobachtungen.

Viermal läßt täglich eine jede solche Uhr einige Minuten lang eine Art von Geläute ertönen, dessen Klang und Ton jedes Mal derart verschieden ist, daß man daraus die Stunde des Tages genau erkennt, und dabei dringt der Klang, obgleich er selbst in der nächsten Nähe der Uhr niemals unangenehm laut wird, doch bis in meilenweite Ferne. Alle diese Uhren gehen so absolut genau bis auf das Hundertstel einer Sekunde, daß auch unsere besten irdischen Chronometer mit ihnen nicht zu vergleichen sind.

Die Besichtigung dieser Anlage nahm uns wohl zwei bis drei Stunden in Anspruch und als wir wieder unseren Wagen bestiegen, schlug ich Eveena vor, da sie diese Wanderung nach meiner Meinung an Geist und Körper ermüdet haben mußte, sofort den Rückweg anzutreten, indeß sie verwahrte sich ernstlich dagegen.

»Nun wohl,« sagte ich, »so wollen wir unsern Ausflug weiter fortsetzen, ich bitte Dich aber, mir sofort zu sagen, wenn Du Dich ermattet fühlst, denn ich kann noch nicht beurtheilen, wie weit Deine Kräfte ausreichen und sie nach den meinen messen zu wollen, das würde doch entschieden unrichtig sein.«

Sie versprach es; dann fuhren wir fast eine Stunde ostwärts, auf eine Hügelkette zu, deren niedrigste Höhen etwa vierhundert Fuß die Ebene überragten, deren höchste Spitzen sich aber bis zu einer Höhe von fünfzehnhundert Fuß erheben mochten. Am Fuß der Bergreihe angelangt, fuhren wir durch große CalmyraHaine hindurch, die als Staatsdomainen von jenen jungen Leuten bewirtschaftet wurden, denen es nicht gelungen war, eine Anstellung in Privathäusern zu finden.

Bald begegneten wir auch solch einem jungen Mann, der uns bereitwilligst die Früchte der CalmyraBäume zeigte. Dieselben enthalten eine Art mehligen Fleisches und waren im Geschmack einer gerösteten Kartoffel sehr ähnlich. Dann machte er uns auf einen schmalen Weg aufmerksam, der sich die Höhen hinaufwand, und erklärte uns, daß auf ihnen die Früchte in den beiden Erntezeiten des Jahres heruntergeschafft würden. Da diese Bäume aber nur bis zu einer Höhe von vierhundert Fuß wuchsen, so mußten wir, um höher bergan zu kommen, zu Fuß auf einem engen Steige emporklimmen, der uns direkt zu den Wasserwerken führte, denen unser jetziger Besuch gelten sollte. Auf der Höhe schloß sich uns ein Beamter der Werke an, und erklärte uns, dies Etablissement versehe eine Bevölkerung von einer Viertel Million auf zehntausend Quadratmeilen weit mit Wasser. Endlich gelangten wir an den Wasserbehälter. Er war sechzig Fuß tief, in der Mitte des weiten Bergplateaus ausgehöhlt, wohl eine Meile lang, eine halbe in Breite, und auf dem Boden und an den Seiten mit der hier üblichen Cementart wasserdicht gemacht. Unser Führer berichtete uns, daß solche Behälter zuweilen mit dem für Thüren und Fenster hier so gebräuchlichem Crystalle bedeckt würden, indeß erschiene diese Vorsicht in der reinen Luft dieser Hügel nicht nöthig und andrerseits sei dieselbe auch mit enormen Kosten verknüpft.

Das Wasser selbst war von vollkommener Reinheit, so klar, daß, schien die Mittagssonne direkt auf die Fläche, der geringfügigste Gegenstand auf dem Grunde deutlich zu sehen war; aber nicht einmal solche durchsichtige Klarheit galt hier vom Standpunkte der Sanitätswissenschaft aus als befriedigend. Ehe man es hier geeignet zum Verbrauch für Menschen erachtet, leitet man es in eine zweite Abtheilung des Behälters und läßt dort von gewaltigen elektrischen Strömen, die durch dasselbe hindurchgehen, die geringfügigsten organischen Keime darin vernichten. Dann leitet man das Wasser noch in verschiedene bedeckte Kanäle, um es dort mechanisch und chemisch von etwaigen unorganischen Verunreinigungen zu klären, und endlich wird es noch oxygenirt, d. h. mit noch sorgfältiger gereinigter Luft gesättigt. Nach einem jeden der beschriebenen Prozesse wird von dem Wasser ein Fläschchen gefüllt, um es in einem dunklen Raume mittels eines aus einer mächtigen elektrischen Lampe ausströmenden, durch eine mächtige Crystalllinse konzentrirten Lichtstrahls zu untersuchen. Gelingt es demselben nur ein Atom von Verunreinigung sichtbar zu machen, so wird das Wasser für unrein erklärt und muß ferner neue Prozesse durchmachen, bis es endlich allen Anforderungen entspricht. Dann erst wird es durch Röhren aus luftdichtem Cement in die gleichfalls luftdichten Cisternen der Häuser geführt und auch noch hier von Zeit zu Zeit von Beamten der Wasserwerke untersucht, damit sich auch nicht die geringste Unreinheit anzusammeln vermöge. Man schreibt dieser peinlichen Reinhaltung des Wassers auf dem Mars das völlige Verschwinden der einst auch hier nicht seltenen Epidemien zu. Man behauptet, daß alle solche ansteckenden Krankheiten durch organische sich selbst vermehrende Keime herbeigeführt werden und lacht hier der Lehre vom spontanen Entstehen derselben.

Ich selbst führte an, daß wenn ihre Theorie sich als richtig erwiese, so müßte doch weit leichter und allgemeiner, als das Wasser, die Atmosphäre diese mikroskopischen Krankheitskeime verbreiten können.

»Zweifellos,« sagte unser Führer, »würde sie dieselben weiter ausbreiten, aber nicht so leicht, wie das Wasser in den Körper eindringen und darin keimen lassen können. Ihr müßt doch erwägen, daß ehe die eingeathmete Luft in Contakt mit dem Blut in den Lungen gelangt, die meisten Unreinheiten derselben längst in den oberen Luftpassagen aufgehalten sind; zudem hat die Ausrottung einer Krankheit nach der anderen, die sorgfältige Isolirung eines jeden ansteckenden Falles, die Zerstörung eines jeden Dinges, das die giftigen Keime erhalten und ausbreiten könnte, uns in dem Laufe der Zeiten in den Stand gesetzt, in diesem Punkte der Zukunft mit Ruhe entgegenzusehen.«

Diese Worte schienen mir nicht recht vereinbar mit dem offenen Geständniß, daß, so sehr auch die menschliche Rasse sich sicher glaubt gegen Ansteckungsgefahren, nicht selten doch eine Seuche unter den höher entwickelten Hausthieren ausbricht und dieselben dezimirt; ich fühlte mich indeß nicht befugt, über diese Frage mit Jemand zu disputiren, der offenbar die Physiologie weit tiefer, als ich selbst, studirt haben mußte.

Es währte natürlich lange Zeit, ehe wir alle Werke uns angesehen hatten; wir hatten selbstverständlich dabei manche Meile zu Fuß zurückzulegen und mehr als einmal bemerkte ich zu Eveena, wir möchten lieber unsern Besuch schleunigst abbrechen, als sie unmäßig mit demselben ermüden, aber sie versicherte immer noch frisch und kräftig zu sein, so daß ich zuletzt, da die Auseinandersetzungen mich lebhaft interessirten, kaum bemerkte, wie sie ängstlich ihre Ermüdung zu verbergen suchte, und als wir endlich die Werke verließen, war ich unangenehm überrascht, zu sehen, daß ihre Kräfte für den Weg abwärts nach unserem Wagen hin nicht mehr ausreichten. Der Vorwurf, den ich mir selbst um dessentwillen machte, gab vermuthlich meinem Ton eine gewisse Schärfe und Härte.

»Ich bat Dich,« sagte ich ihr, »und Du versprachst es mir, sobald Du Dich müde fühltest, mir es zu sagen. Und doch hast Du Dich von mir bis zum Hinsinken ermüden lassen.«

Sie erwiderte nichts, und da ihre Kräfte ihr vollständig den Dienst versagten, nahm ich sie, trug sie den Abhang hinunter und legte sie in den Wagen. Keiner von uns sprach während der Heimfahrt; ich schrieb ihr Schweigen ihrer Ermüdung zu und achtete deshalb weiter nicht darauf, sondern rief mir im Geiste alles zurück, was ich gehört und gesehen. Wohl würde ich gesprochen haben, hätte ich von dem Eindruck eine Ahnung gehabt, den Schweigen auf meine Begleiterin machte. Ihretwillen fühlte ich mich von Herzen froh, als wir endlich vor der Pforte des väterlichen Gartens anlangten; ich übergab das Gefährt einem Ambâ und trug sie durch die Allee von A s t y r a bäumen, deren Zweige sich über unseren Häupten zum Dome wölbten, während die Stämme umrankt von den mit hochrothen, goldigen, grünen, weißen und buntgestreiften Glockenblüthen prangenden Gewinden der wunderbar herrlichen »Leveloo« zu beiden Seiten eine dichte Wand bildeten. Aus den Glockenblüthen der Leveloo scheuchte unsere Ankunft einen ganzen Schwarm jener entzückenden kleinen Caree auf, die der Flora auf dem Mars das sind, was auf der Erde den Blumen die Biene oder der Schmetterling ist. Sie leben von dem Safte und dem Nektar der daran so reichen Blumen des Mars und nisten im Kelch und zwischen den Blättern der Blüthen. Das liebliche, niedliche Vögelchen mit Flügeln, die kaum so groß sind, wie die eines Schmetterlings, und von der ganzen Größe höchstens einer Hornisse und mit einem zarten farbenreichen Federschmucke ausgestattet, ist so scheu und so furchtsam, wie kaum ein anderes Thierchen, das unter den Marsmenschen lebt. Ihr in den matten Farben des japanischen Geschmackes herrlich gemusterter Federschmuck sticht seltsam ab von den lebhaften metallisch glänzenden Farben, welche überall der Menschen Geist und Geduld in Haus und in Hof, im Garten an den Blumen und im Feld an den Früchten hervorzubringen vermochte. Sie sind verschieden in Farbe und Größe, je nachdem sie von verschiedenen Blumen sich nähren, und besonders die Vögel, welche in den Glockenblumen der Leveloo leben, sind außerordentlich von jenen kleineren und weniger schönen Vögeln verschieden, die noch nicht die wilden Blumen des Feldes um jene des Gartens verließen.

Das Auffliegen dieses bunten Schwarmes erinnerte mich an unsere Unterhaltung vom gestrigen Abend; unbemerkt brach ich eine lange, feine Ranke der »Leveloo« ab und sagte leichthin:

»Blumenvöglein sind nicht so wohlgezogen, wie die Esvee, mein liebes Kind!«

Nie vergaß Eveena eines meiner Worte und verstand stets eine jede noch so zarte Andeutung. Sie blickte erschreckt bei meinen Worten, wie durch ernsthaften Vorwurf verletzt, zu mir auf, aber erst in ihrem eigenen Zimmer, als sie Mantel und Schleier beiseite gelegt hatte, erfuhr ich, wie sehr sie gelitten. Sie trat neben mich, hielt ihre bloßen Arme auf dem Rücken gefaltet, und flüsterte dann traurig, wie eine vom Sturm geknickte Lilie, mit gebrochener Stimme:

»Ich wollte Dir nicht wehe thun; doch Du hast ganz Recht, meinen Ungehorsam nicht ungestraft hingehn zu lassen.«

»Gewiß nicht,« erwiderte ich mit einem Lächeln das sie nicht bemerkte, faßte dann ihre beiden kleinen Hände mit meiner Linken und legte die Ranke leicht auf ihre zarte, weiße Schulter, so sanft, daß sie in ihrer Aufregung und Betrübniß bie Berührung gar nicht fühlte.

»Du siehst,« fuhr ich fort, »ich verstehe mein Wort einzulösen, aber ich bitte Dich, laß mich in Zukunft Dich nicht wieder über Deine Kräfte anstrengen. Mein Blumenvöglein kann mir nicht entfliegen, sollte ich ernstlich zornig werden.«

»Bist Du denn jetzt nicht erzürnt?« fragte sie voll Ueberraschung zu mir aufblickend.

Meine Augen oder der Anblick der Leveloo gab ihr die Antwort, ein frohes, süßes Lächeln trat an die Stelle ihres furchtsam reuigen Blickes, und übermüthig ausgelassen griff sie nach der Ranke in meiner Hand und zerbrach dieselbe.

»Grausamer!« lachte sie neckisch, »einen ersten Fehltritt gleich mit der Ruthe zu strafen!«

»Schwer ist es, Dir es recht zu machen, mein Liebling, aber ehe ich nicht Deine Kräfte besser zu schätzen verstehe, will ich mich hüten, Dich wieder aufzufordern, mich zu begleiten und um meines Vergnügens willen Qualen zu ertragen.«

»Du wirst mich aber doch von Zeit zu Zeit mitnehmen, bis ich mich mehr an Strapazen gewöhnt habe. Wenn ich in Zukunft immer allein zu Hause bleiben sollte — so — so —«

»Aber Kind, meinst Du denn nicht, daß ich Dich schon um meines eigenen Vergnügens willen mitnehmen werde?«

Der Silberton ihres süßen Lachens klang wie helle Musik.

»Verzeih mir,« sagte sie, auf den Kissen zu meinen Füßen ausgestreckt, mit aufgeschlagenen Augen, um in meinen Zügen zu lesen, wie ein Kind, das, obgleich ihm verziehen, doch noch an der vollen Versöhnung zweifelt; »es ist doch von mir recht unartig und undankbar, zu lachen, wo Du so gütig zu mir sprichst. Aber ist es denn auch wahre Güte, mir Etwas zu sagen, was ich thöricht wäre, zu glauben?«

»Was ich Dir sage, Kind,« erwiderte ich ernst und nachdrücklich, »mußt Du mir glauben, und nie darfst Du mich der Lüge zeihen wollen.«

»Ich bin doch auch immer unartig!« rief sie in wirklicher Verzweiflung, »ich —«. Aber für fernere Worte schloß ich ihr wirksam die Lippen.

»Warum sprachst Du denn gar nicht auf unserem Heimwege?« fragte sie endlich.

»Du warst übermüdet und ich überdachte, was wir gehört und gesehen.«

»Du sprichst sonst immer, wenn Du bei guter Laune bist und deshalb hat mich Dein Schweigen so sehr erschreckt, daß ich am liebsten bittere Thränen geweint hätte.«

»Du wolltest Thränen vergießen aus Furcht! Nun wirklich — so etwas mir zu sagen — es war eine weise Vorsicht von Dir, die Ranke in meiner Hand zu zerbrechen. Meinst Du, ich wäre schon heute am ersten Tage meines jungen Bräutchens überdrüssig und müde?«

»Das nicht, und vielleicht magst Du sie auch noch länger gern haben und sie mit Vergnügen auf Deinen Kissen wie ein Spielzeug liegen sehen, aber bei ernstem Thun, wo ihre Schwäche und Thorheit Dir hinderlich ist, magst Du nichts von ihr wissen.«

»Bist Du eine ›esve‹, die man sich zum Vergnügen im Käfig hält oder ein Spielzeug, mit dem ich mich nur in meinen Mußestunden belustigen sollte? Kind, Kind, wir werden uns niemals verstehen.«

»Was anderes kann ich Dir denn sein? aber sage nicht, daß wir uns nie verstehen,« bat sie innigen Tones. »Wie viel Zeit und Mühe hat es mir nicht gekostet meine Lieblings ›esve‹ abzurichten und ihr alle Zeichen und Worte zu lehren, und ebenso mußt auch Du mich lehren und mir Zeit gewähren Dich verstehen zu lernen; — aber darum bitte ich Dich, stoße mich nicht von Dir, bis ich eine Zeit lang in Deine Augen geschaut habe.«

»Eveena,« antwortete ich, tief gerührt und voll Schmerz über ihre unverstellte Demuth, an welcher mein ironischer Vergleich allein Schuld war. »Eveena, der einfachste magnetische Schlüssel kann die Brust, deren Geheimniß Dir so wunderbar erscheint, Dir erschließen, doch ist dies ein Schlüssel, für den es wohl keinen Namen in Deiner Sprache giebt und der sich jetzt auch noch nicht in Deinen Händen befinden kann.«

»Doch, doch,« entgegnete sie sanft, »doch, Du gabst ihn mir bereits. Meinst Du, ich könnte ihn binnen zwei Nächten verlieren? Du gabst ihn mir, als D e i n e wunderbare Großmuth mit Deinem Leben eines Mädchens Leben erkaufte. Kein anderer Mann in unserer Welt hätte dies gethan,« fügte sie zur Antwort auf meine abwehrende Geberde hinzu, »aber man sagt ja auch der furchtbare ›Kargynda‹ stünde kämpfend und rächend über seiner gefallenen Gefährtin, bis er selbst erliegt. Du gewannest mein Herz und Alles, was ich bin, als Du mein Leben, ohne nach dem Preise zu fragen, mir wiedergewannst.« Dann fuhr sie fort, leise, kaum hörbar, ihre rosig erröthenden Wangen und thränenfeuchten Augen von meinen Blicken fortwendend, und flüsterte süße Worte der Liebe in mein Ohr:

»Und ob auch der Nestling nie unter den Flügeln der Mutter hervorschaute, meinst Du, er wüßte nicht, was ihm bevorsteht, wenn er aus dem Neste verkauft wird? Nicht wagt er es gegen die Hand, die ihn greift, sich zu sträuben. Wie viel mehr verdiene ich nun nicht Deinen Tadel, daß ich ängstlich, widerstrebend in Deiner Hand flatterte, die mich doch vom Tode gerettet? Doppelt erkauft, die Deine durch Dankbarkeit und durch das Gesetz — war mein Blick Dir da unverständlich wie das Dunkel der Mitternacht, als ich mich wunderte über Dein Auge, das so still mich bewachte, Deine Hand, die, um mir nicht wehe zu thun, kaum es wagte, mich zu berühren, Deine Geduld, die mich liebevoll zu beruhigen suchte, wie man ein Blumenvöglein sich zieht, das endlich gezähmt, auf hingestreckten Finger sich niederläßt? Denkst Du, die lieblichen Namen, die Deine Lippen mir gaben, wären nicht tief in mein Herz gedrungen, um ewig darinnen zu leben? Höre, ein Lieblingslied junger Mädchen, es sagt mehr, als ich selber Dir zu sagen vermag.«

Ihr Ton war so leise, daß ich ihn eben nur zu verstehen vermochte, trotzdem ihre Lippe dicht an meinem Ohr lag, und ebenso leise sang sie die seltsamen Reime in dem süßesten Ton ihrer lieblichen Stimme:


»Nimmer zähmt ein Tag allein
Blumenvöglein, zart und fein;
Sonn' und Stern muß oft sich neigen,
Eh' es zahm sich wird bezeigen.
Nimmer küßt ein Menschenmund
Blumenvöglein, zahm zur Stund;
Doch gezähmt von Zähmer's Herz,
Bleibt's noch treu im Todesschmerz.«


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Kapitel 12
Auf dem Flusse

Der nächste Tag sah den Anfang unserer großen Reise. Eveena's Garderobe nebst der meinen und meinen Büchern, Portefeuilles, Modellen, Zeichnungen und Proben irdischer Kunst und Mechanik waren in leichte, metallische Kisten verpackt, die in ihrer Form den größeren, zu Transportzwecken dienenden Wagen entsprachen. Es gelang mir, dem Abschied Eveena's von ihrer Familie aus dem Wege zu gehen, und meinen eigenen Abschied kürzte ich so viel wie möglich ab. Esmo und sein Sohn begleiteten uns und fuhren in ihren Wagen voran. Eveena und ich folgten ihnen in demselben Gefährt, das uns einst auf dem denkwürdigen Ausfluge nach dem Luftschiffe trug. Nach einer halben Stunde Weges erreichten wir die Straße, die den Strom entlang führte und nach einigen weiteren Minuten die Stelle, an welcher ein Boot unserer wartete. Da der Weg etwa acht Fuß über der Höhe des Wassers hinlief, bediente man sich, um auf das Schiff niederzusteigen, einer kurzen etwa drei Fuß langen Leiter, deren ich freilich bei meinem größeren Wuchse nicht bedurfte. Ich hob Eveena aus ihrem Wagen heraus und auf das Schiff und setzte sie auf einen Sitz unter dem auf dem Hintertheil desselben befindlichen Zeltdach. Das Boot, welches nur zur Flußschifffahrt erbaut war, wurde von einer kleinen, zwei in rechten Winkeln zu einander stehenden Fischschwänzen ähnelnden, horizontal wirkenden Schraube vorwärts getrieben und hatte im Mittelraume, zu beiden Seiten der Maschinerie nur je eine Koje, in welchen die Mannschaft des Bootes ihre Schlafstätten hatte. Die hinteren Räume waren für mich und meine junge Frau hergerichtet, die vorderen für unsere Begleiter. Das Fahrzeug hatte höchstens achtzehn Zoll Tiefgang und ragte aus dem Wasser wohl fünf Fuß hervor, so daß seine ganze Höhe wenig erheblich war und mich in meiner Kajüte zur Vorsicht zwang, um nicht meinen Kopf einen jeden Moment an einem Vorsprung oder Balken der Decke zu stoßen. Wir brachten jedoch den ganzen Tag auf dem Deck zu und ließen die Schnelligkeit des Fahrzeugs, das für gewöhnlich dreißig Meilen in der Stunde zurücklegte, absichtlich mäßigen, um desto besser den Anblick der Landschaft genießen zu können. Die ersten Meilen wand sich der Strom durch ebene Gefilde; dann fuhren wir an dem Fuße des Gebirges hin, von welchem ich niedergestiegen war; ich nahm ein Fernrohr hervor und suchte auf der Spitze des zu unserer Linken belegenen Berges nach meinem Luftschiff; indeß gelang es mir nicht, dasselbe zu erblicken, da die auf den niederen Abhängen wachsenden Bäume die Aussicht versperrten.

Eveena gewahrte meine Augen nach diesem Punkte gerichtet und streckte ihre Hand aus, das Glas sanft aus der Meinen zu nehmen.

»Jetzt noch nicht!« sagte sie bittend, worauf ich mich entschuldigte:

»Der Berg birgt eine freudige Erinnerung für mich, die mir theurer als die meiner Reise, ja theurer als die Hoffnung auf Heimkehr erscheint.«

Bald umsegelten wir das Gebirge und verloren vollständig den Rückblick auf das Hinterland. Zu unserer Linken erblickten wir jetzt in einer Entfernung von drei zu fünf Meilen die Gebirgskette, die ich schon bei meinem Abstieg beschrieb, zur Rechten aber breitete sich weithin die niedrige Ebene aus, die am fernen Horizonte schneegekrönte Berge wie weiße Wolken umkränzten. Dies Thal ist der reichste und allerfruchtbarste Theil dieses Kontinents, in hoher Kultur stehend und dichter bevölkert, als alle andern Striche der äquatorialen Zone. Wohnstätte an Wohnstätte bedeckte zu beiden Seiten die Ufer, da es eben so nützlich wie angenehm schien, direkt am schiffbaren Strome zu wohnen. Eine Unzahl Wasserblumen schmückten und zierten den Fluß, auf dessen Wogen sich Wasservögel von der zierlichsten Art und meist von der Größe einer Bachstelze bis zu der Größe des Schwanes herumtummelten. So sehr sich diese graugefiederten Thiere in Gestalt und Größe von unserem Schwan unterschieden, so waren sie doch kaum weniger graziös und so zahm, als wüßten sie es, daß das Gesetz es verbot, sie zu fangen. Sie kamen heran und herauf auf das Boot und ließen sich furchtlos und ohne Scheu aus Eveena's Hand füttern; ich selbst vermochte allerdings nicht das gleiche Zutrauen bei ihnen zu erwecken; sie sahen mich an und wunderten sich, wie ihre Herren es thaten und zweifelten scheinbar gerade wie diese, ob ich wirklich ein Mensch wäre. Auf den unteren Abhängen der Hügel waren Obstbäume verschiedenster Arten, von der rohrgestützten orangenartigen »alva« bis zur majestätischen »astyra« angepflanzt, und weiter hinauf bedeckten die Höhen, so hoch wie Bäume zu gedeihen vermochten, dichte Wälder, und über ihnen bis unter die ewigen Schneekronen der Berge hinauf breiteten sich unabsehbar die weiten gelblichen Matten. War nun der Blick auf diese Landschaft auch großartig genug, so hätte doch sicherlich eine ähnliche auf Erden einen tieferen Eindruck auf den Beschauer machen müssen, denn zuvörderst wirkte in der ganzen Gebirgsszenerie das Einerlei der Farben ermüdend, und von Gletschern erblickte ich gar keine Spur, selbst nicht in den höchstbelegenen Thälern; überhaupt liegt der Schnee auf dem Mars nie sehr tief und schmilzt im Sommer so leicht, daß eine Anhäufung von Schneemassen wie bei uns, deren Abschmelzung dann die Gletscher bildet, hier nicht Platz greifen kann. Esmo äußerte diesbezüglich die Ansicht, daß selbst auf den höchsten Bergen keine Schneedecke von mehr als zwei Fuß Tiefe liege; und in der That schaute manch eine windumtoste Kuppe und Spitze ganz kahlgefegt von der Höhe ins Thal und stach seltsam mit ihrem grauen, grünen oder rothen Gestein gegen das rahmfarbige Weiß ab, das sie umgab. Dies erklärt auch das reißende Schmelzen des Schnees und des Eises an den Polen während des Sommers und das gelegentliche Auftauchen großer dunkler Flecke inmitten der weißen Flächen, da der niedrige Schnee in etwaigen, allerdings, wie bereits erzählt, hier seltenen Stürmen, von seinem Unterboden weggefegt wird. Man hegt nämlich allgemein hier die Ansicht, daß ein bedeutender Theil der Schnee- und Eismassen rings um die Pole auf Land ruht, ja man hat es auch schon vielfach versucht, jene Punkte durch Ballonexpeditionen zu erreichen und zu erforschen; indeß waren die Versuche noch nie erfolgreich gewesen, weil man der grimmigen Kälte wegen in jenen Regionen kaum lange genug verweilte, um dem Ballon zu entsteigen, und so kehrte man natürlich immer zurück, ohne Gewißheit über diesen Punkt zu erlangen.

Gegen Abend ward die Richtung des Stroms entschiedener nordwärts, und Esmo brachte jetzt ein Instrument, das nach dem Prinzip eines Sextanten oder Quadranten konstruirt war, herauf. Es fehlte demselben jedoch der Spiegel, durch welchen wir in Stand gesetzt sind, die Größe der Winkel zu messen; durch einen mir unverständlich gebliebenen Prozeß gelang es aber auch hier, die Entfernung sowohl, als die durch die Höhe bedingten Winkel zu bestimmen. Kevimâ stellte die von seinem Vater als Resultat erhaltenen Zahlen zusammen und rechnete sie aus; dann berichtete er mir, daß die Höhe des höchsten Gipfels in Sicht, der überhaupt der höchste Punkt auf dem Mars sei, nicht weniger als 44,000 Fuß betrage. So hoch war allerdings noch nie ein Ballonfahrer, viel weniger ein gewöhnlicher Bergsteiger, emporgedrungen. Nur von einem Falle erzählt man, daß es Jemand geglückt sei, eine größere Hohe als 16,000 Fuß zu erreichen; um jedoch die Seltenheit solcher Fälle zu erklären, muß ich hinzufügen, daß die Luft auf dem Mars in Seehöhe kaum dichter ist, als auf 10,000 Fuß hohen Bergen der Erde. Kevimâ zeigte mir übrigens noch einen hochinteressanten Punkt in der südlichen Kette der Berge, an den sich ein erschütterndes Ereigniß in den Annalen der Entdeckungsgeschichte des Mars knüpft. Es war ein etwa 19,000 Fuß über dem Meeresspiegel gelegenes Plateau, das dichte Wälder, die natürlich kaum den Fuß des Hochlands erreichten, zu verbergen schienen. Von zwei Seiten so jäh abfallend, daß der Schnee an den Abhängen nicht liegen bleiben konnte, wurde es an der dritten Seite durch eine tiefe, breite Spalte von der westlichen Bergreihe gerissen. Hier wurden Jahrhunderte lang die Trümmer einer Entdeckungsexpedition gezeigt, der es vor viertausend oder fünftausend Jahren gelang, diesen Ort zu erreichen, die aber elend dort oben umkam. Seit Erfindung der steuerbaren Ballons hat man es freilich verschiedenfach versucht, die lange Zeit dort sichtbar gewesenen Ueberreste wiederzufinden; doch ohne Erfolg; zuerst glückte es gar nicht dem Orte nahe zu kommen, und als man ihn endlich erreichte, fand man von den Spuren des einstigen Unglücks nichts mehr vor. Kevimâ äußerte sich darüber, er glaube, die damals schon gebräuchlichen Metallgestelle der Zelte müßten noch heute dort erhalten sein, doch wären sie wahrscheinlich längst vom Schnee verschüttet worden, ja Esmo bezweifelte sogar, daß selbst diese metallischen Ueberreste die vielen Jahrtausende überdauert hätten.

Als die Abenddämmerung niederstieg, zogen wir uns in unsere durch einen Strom heißen Wassers aus der elektrischen Maschinerie gewärmten Kajüten zurück und nahmen in Gesellschaft Esmo's und seines Sohnes die Abendmahlzeit ein, wobei Eveena ihren Schleier, den sie auch auf dem Deck getragen, indeß unter vier Augen mit mir abgelegt hatte, gleichfalls wieder anlegte. Eine oder zwei Stunden nach Sonnenuntergang trat ich in die Nacht hinaus, es war eine selten klare und schöne Nacht, um die Gelegenheit wahrzunehmen, die bekannten Constellationen am Himmel einmal von einem anderen Standpunkte aus zu betrachten. Zu meiner Verwunderung war das charakteristische Funkeln der Fixsterne, wie es besonders in den gemäßigten Zonen der Erde gesehen wird, hier kaum bemerkbar; aber leichter ward es mir hier doch als im Raume, die verschiedenen Constellationen wiederzuerkennen, ob auch auf den ersten Blick ihre neue Lage mir seltsam und überraschend dünkte; denn manche, die von der Erde gesehen, in der Nähe der Pole sich langsam bewegt, sah man hier nicht fern von den Wendekreisen und andere, die dort in den Wendekreisen liegen, erscheinen hier fern im Norden und Süden. Beide Monde des Mars standen heute im West und deuteten beide mit den Spitzen der Sicheln nach gleicher Richtung hin, obschon der eine Mond im Abnehmen, der Andere im Zunehmen war.

Als wir dieselben beobachteten, stahl sich Eveena, in einen Pelzmantel gehüllt, dessen Pelz dem des Silberfuchses nicht unähnlich, nur weitaus feiner war, zu uns herauf, legte ihre Hand in die meine und lispelte leise die Bitte, ihr das Glas, durch welches ich schaute, zu leihen. Mit einiger Anleitung und Hilfe gelang es ihr auch, dasselbe zu stellen und die Okulare, da die Augen des Menschengeschlechts auf dem Mars einander näher, als die eines Durchschnittsgesichtes arischer Rasse liegen, zurecht zu rücken; dann aber drückte sie ihr lautes Erstaunen über die Klarheit des Bildes und die bedeutende Vergrößerung der beiden Satelliten aus und hätte gar zu gern auch die Sterne und die anderen sichtbaren Planeten mit dem Fernglas weiter gemustert; ich aber bat sie, sich schleunigst zurückzuziehen, da die leichte Atmosphäre, wie gewöhnlich in solch klaren Nächten, bitterlich kalt, und sie kaum an den Aufenthalt in der Nachtluft, selbst nicht in der heitersten Jahreszeit, gewöhnt war.

Da wir des Nachts von der Gegend, durch welche wir fuhren, Nichts sehen konnten und Esmo's Angaben zufolge dieser Theil auch wenig oder Nichts des Sehenswerthen bot, so zogen wir uns in die Kajüten zurück. Das Schiff aber setzte seine Fahrt von jetzt ab mit voller Fahrgeschwindigkeit auf dem Flusse fort, dessen Ufer und Strom zur erhöhten Sicherheit des Steuerns vom Buge des Boots aus durch ein elektrisches Licht erleuchtet wurden. Wir befanden uns daher, als wir am nächsten Morgen auf das Deck kamen und endlich durch die aufsteigenden Morgennebel die Ufer erblickten, inmitten einer von der gestrigen vollkommen verschiedenen Landschaft. Unser Cours war jetzt Nord bei West; zu beiden Seiten des Wassers lagen weite Weidegründe mit üppigem Grase, auf welchem unzählige Heerden weideten; unter ihnen erweckten mein besonderes Interesse verschiedene Heerden großer Vögel, welche wie Esmo erklärte, ihrer Federn wegen gehalten werden. Sie prangten in wundersam herrlichem Farbenschmuck und übertrafen an Glanz und an Reichthum der Muster weitaus die gerühmten Schweiffedern des Pfaus — ja ihr Gefieder war so lang und so zart und noch tausendfach schöner gefärbt als das des Paradiesvogels.

Unmittelbar in unserem Cours erhob sich jetzt in einer Entfernung von einigen dreißig Meilen eine lange Gebirgskette. Da ich durch mein Glas keine Lücke in der langen Reihe der Berge erblicken konnte, durch welche der Fluß seinen Lauf hätte nehmen können, so fragte ich Esmo, wie der Strom sich wende, um den Bergen aus dem Wege zu gehen.

»Der Strom,« erwiderte er, »läuft am Fuß jener Berge entlang, wir aber werden, da der Umweg zu groß wäre, und ohnedies der Fluß an dem Wendepunkt nicht recht schiffbar ist, unsere Fahrt in gerader Richtung fortsetzen.«

»Und wie,« fragte ich, »sollen wir die Berge passiren?«

»Nach Eurem Belieben, zu Wagen oder Ballon. An unserem Landungsplatze liegt ein Städtchen, in welchem wir uns beides leicht verschaffen werden.«

»Indeß,« entgegnete ich, »wird unser Gepäck, so leicht es auch ist, für eine Fahrt im Ballon doch bedeutend zu schwer sein.«

»Gewiß,« erwiderte er, »wir werden dieses eben mit Wagen über die Gebirgsstraße senden, während das Boot uns etwa dreißig Meilen von hier zur weiteren Reise erwarten wird.«

»Wie aber soll das Boot die Hügel passiren?«

»Untenweg, nicht etwa darüberhin,« sagte er lächelnd. »Allerdings giebt es keine natürliche Verbindung durch die Kette der Berge, doch zwischen denselben befindet sich ein Thal, das so tief wie die Ebene liegt. Hier nun hat man einen kunstvollen Kanal hergestellt und um in diesen Kanal hinein gelangen zu können von beiden Seiten durch die Berge Tunnel gesprengt, die den Booten eine leichte und sichere Durchfahrt gestatten.«

»Ich möchte wohl,« sagte ich, »wenn es anginge, wenigstens einen der Tunnel passiren, wenn anders nicht auf den Bergen etwas besonders Sehenswerthes zu finden wäre.«

»Nichts, nichts,« erwiderte er, »die Berge sind niedrig und keiner ist höher, als der, von welchem Ihr niedergestiegen seid.«

Jetzt kam Eveena aufs Deck. Wir brachen in Folge dessen unsere Unterhaltung ab und ergötzten uns die folgenden Stunden an dem Anblick der Thiere, die in zahllosen Haufen hüben und drüben sich tummelten und zum Nutzen oder zum Vergnügen der Menschen dort gehalten und gezogen wurden. Ich schloß aus den Worten meiner Begleiter, daß das Fleisch von Vögeln und Fischen weit mehr als das vierfüßiger Thiere zur Nahrung verwandt wird, aber Eier und Milch selbst noch größere Verwendung als dieses in der Küche der Marsmenschen finden. Ueberhaupt dient hier das Fleisch, wie einst bei den alten Griechen nur als Beikost zu Früchten, Gemüsen und mehligen Gerichten, nicht aber als Hauptelement der Nahrung. Besonders fiel es mir auf, mit welcher Liebe und Freundlichkeit die Hausthiere von ihren Wächtern und Hütern behandelt wurden; auch keine Spur jener rohen empörenden Grausamkeit vermochte ich zu gewahren, welche unseren irdischen Thieren von ihren Herren so häufig zu Theil wird. Es wäre unmöglich, all die Hunderte von Arten, welcher ich während weniger Stunden ansichtig ward, zu beschreiben. Von den Meisten habe ich auf dem Wege der Lichtmalkunst Zeichnungen und Bilder genommen, an welchen ich hoffe, dereinst bei uns den Unterschied zwischen der Fauna des Mars und der Erde anschaulich zu machen. Noch will ich bemerken, daß es mir dünkte, als ob an einigen Thieren, welche ihrer Wolle oder der Federn wegen gehalten und gezogen wurden, manch einzelner Zug und einzelnes Glied unverhältnißmäßig entwickelt und übertrieben vergrößert erschien. So sah ich den ElnerveVogel so schwer mit Federn beladen, die doppelt so lang wie der Körper, an den Enden nach oben gekrümmt waren, daß sie ihm weder zu laufen noch zu fliegen erlaubten; trotz seiner herrlichen Federn sah er aber einfach lächerlich aus und, wie ich später erfuhr, genießt er auch auf dem Mars den Ruf jener Klugheit, den bei uns auf der Erde die Gans sich erworben. Der Angasto trägt Haar oder Wolle so lang, daß er in der Zeit vor der Schur in seinen bis zur Erde hängenden Locken vollständig versteckt ist, und fast alle die Vögel, welche der Eier oder Federn wegen gehalten werden, haben so winzige Flügel, als ob sie ihnen verschnitten wären, und sind in Folge dessen nicht im Stande zu fliegen. Andere Thiere aber, welche ihres Fleisches wegen geschätzt sind, wie z. B. der Gnorno, eine Art einhörnigen Elenns oder die Viste, ein Vogel in der Größe des Pfauhahns, von der Gestalt eines Rebhuhns und dem Wohlgeschmack des Haidehuhns, haben sich natürlichere Proportionen erhalten; sie werden eben nicht mit Gewalt gemästet, sondern für einen langen Theil des Jahres auf den Weidetriften der Berge gehalten und dann, wenn sie in die Ebene herabkommen, nur wenige Stunden vor Sonnenaufgang und Sonnenniedergang auf den Weiden gelassen, so daß sich ihr Fleisch den Wohlgeschmack des Wildprets erhält, den das Fleisch des Rindviehs und des Geflügels auf Erden längst verloren hat. Einen feinen Wohlgeschmack, nicht aber große Fleischmengen zu erzeugen, das ist das Ideal martialischer Züchter.

Mit reißender Geschwindigkeit näherten wir uns dem Fuße jener Berge, an welchem der Strom noch eine andere, scharfe Wendung nahm, und befanden uns jetzt endlich in dem Hafen einer für die Verhältnisse des Mars immerhin bedeutenden Handelsstadt von etwa hundertundfünfzig Häusern und vielleicht tausend Seelen; ich sage bedeutend, denn es giebt auf dem Mars nur wenig große Städte, da ein Jeder, dem es irgendwie seine Mittel erlauben, sich dem Gewühl der Straßen und Städte zu entziehen sucht und sich in die Freiheit und Ungebundenheit des Landlebens zurückzieht. In diesem Hafen nun wurden alle Erzeugnisse des Oberlandes versandt und verladen und von ihm aus die Zufuhren nach allen Richtungen desselben vertheilt. Wie alltäglich es war, hier aus dem Schiff zu steigen und die Route auf Wagen über die Berge hinüber fortzusetzen, erhellte daraus, daß ein halbes Dutzend Geschäfte sich mit der Beförderung von Passagieren und des leichten Gepäcks über die Höhen hin abgab. Vor uns lag jetzt, in Fels gebohrt, die Oeffnung des etwa zwölf Fuß hohen und vielleicht zwanzig Fuß breiten Tunnels. Eveena nahm an, daß wir hier aus dem Schiff steigen würden; erst als wir an dem Landungsplatz mit unverminderter Geschwindigkeit vorüberschossen, kam ihr der Gedanke, daß wir die unterirdische Fahrt mit unserem Boot mitmachen wollten. Da sie aber nichts sagte, sondern nur näher an mich rückte und fester meine Hand hielt, gewahrte ich ihren Schrecken erst, als wir schon vor dem schwarzen, schaurigen Schlunde waren und der Pilot die elektrischen Lampen anzündete. Sie stieß, als wir in den Tunnel einfuhren, einen lauten Schrei des Schreckens aus und wie ich meinen Arm, sie zu beruhigen, um sie legte, fühlte ich, daß sie vor Angst bebte und zitterte, und ein einziger Blick belehrte mich, trotz ihres dichten Schleiers, daß sie heftig weinte und nur mit Mühe lautes Schluchzen zu unterdrücken vermochte.

»Bist Du so sehr erschreckt, Kind?« fragte ich sie, »Du siehst ja, das Licht erleuchtet nicht nur das Boot, sondern auch den Tunnel hinter und vor uns, so daß von Gefahr garnicht die Rede sein kann.«

»Doch bin ich erschreckt,« entgegnete sie, »ich kann nicht dafür, ich habe dergleichen niemals gesehen und die grausige Schwärze des Wassers zu beiden Seiten des Boots macht mich erbeben und schaudern.«

»Halt!« rief ich dem Steuermann zu und zu Eveena gewandt, sprach ich: »Wenn diese Fahrt Dich schreckt, so will ich, obgleich ich gern solch ein Wunder der Baukunst gesehen hätte, auf diese Reise verzichten. Alles in Allem bin ich ja doch schon an grauseren, ungewöhnlicheren Orten gewesen und könnte schwerlich seltsamere Dinge hier sehen, als auf dem Strom in der Mammuthhöhle, in die ich volle drei Stunden weit hineingerudert bin; im Uebrigen würde auch die Fortsetzung unserer Fahrt doch keine neuen Bilder mehr bieten, ich denke also, da Du es so wünschest, daß wir am besten daran thun werden, umzukehren.«

In diesem Augenblick kam Esmo auf uns zu, welcher bis dahin am Buge des Schiffes gestanden hatte, um zu erfahren, aus welchem Grunde ich das Boot anhalten ließe.

»Dies Kind hier,« sagte ich, »ist durchaus kein waghalsiger Reisender; es schreckt sie der Tunnel; ich meine also, wir zögen es vor, auf dem gewöhnlichen Weg das Gebirge zu passiren.«

»Unsinn,« entgegnete er. »Von Gefahr kein Gedanke! Weniger als auf der gewöhnlichen Fahrt im Wagen, sicher aber weniger als im Ballon. Verwöhnt und verzieht sie nicht. Wollt Ihr ihr jede thörichte Laune erfüllen, so wird es Euch gelingen, ihr das Herz noch vor Ablauf der zwei kontraktlichen Jahre zu brechen.«

»Fahre also nur weiter,« flüsterte Eveena, »ich war wieder einmal thöricht und kindisch. Ich fürchte mich jetzt schon nicht mehr; halte mich nur fest, dann will ich mich besser betragen.«

Esmo enthob mich der Entscheidung, er selbst ging zum Steuermann hin, um ihm den Befehl zu ertheilen, weiter zu fahren.

Ob ich auch mehr Mitgefühl mit dem Schrecken meiner jungen Frau, als ihr Vater empfand, hegte ich dennoch das größte Verlangen, trotz meiner leicht hingeworfenen Erklärung, daß mir der Tunnel nichts Neues mehr zu bieten vermöchte, Näheres über seine sicherlich originelle Einrichtung zu erfahren, besonders, da es mir bisher unklar geblieben war, wie solch eine lange und enge Passage erfolgreich ventilirt werden könnte. Zuvörderst aber mußte ich, ehe ich meine Neugier befriedigen durfte, Eveena ermuthigen und beruhigen. Die Nähe großer physischen Stärke, welche ihr übermenschlich erschien, flößte ihr jenes beruhigende Gefühl ein, welches große körperliche Kraft selten, so ungereimt es auch ist, in dem Weibe zu erwecken verfehlt, theils weil dieselbe dem Weibe imponirt, theils weil sie demselben Beschützung verheißt, auf welche es selbst in Gefahren, denen gegenüber auch die größte Körperkraft machtlos ist, dennoch instinktiv sich verläßt.

Plötzlich verspürte ich einen Luftzug, der fühlbar wärmer als jener des Tunnels war; von Minute zu Minute ward er merkbarer und am Ende so stark, daß ich das nicht länger einem bloßen Zufall zuschreiben konnte. Ich fragte daher Kevimâ, der sich gerade in unserer Nähe befand, was dieser Zug zu bedeuten hätte.

»Ventilation,« entgegnete er, »die Luft in diesen Tunneln wäre bald unrein und würde kein Athmen gestatten, wenn wir nicht kontinuirlich einen Luftstrom durch den Durchstich hindurchtreiben würden. Bemerktet Ihr nicht einige Ellen vom Eingang das Rad, welches einen Luftfächer trieb? Solche werdet Ihr von einer halben Meile zur anderen sehen, sie treiben die Luft von einem Ende des Tunnels zum anderen und werden, um Gegenzug zu verhüten, in jeder Zyda zwei Mal umgekehrt.«

»Ist denn aber nicht die Kraft, solch eine große Luftmasse zu treiben, äußerst kostspielig?«

»Nein« war seine Antwort. »Ihr wißt es bereits, daß Elektrizität fast unsere einzige bewegende Kraft ist; wir rechnen, daß die Arbeit zweier Menschen während zweier Arbeitszyda (d. h. je acht Stunden) Elemente, wie sie den Strom erzeugen, in genügender Stärke herzustellen vermag, um damit die Arbeit von vierhundert Menschen während eines Tages und einer ganzen Nacht zu verrichten.«

»Wie lange,« erkundigte ich mich, »dient die Elektrizität bei Euch als alleinige Triebkraft?«

»Sie kam,« erwiderte er, »vor ungefähr acht tausend Jahren in allgemeinen Gebrauch. Vordem brachten heiße Wasserdämpfe die bewegende Kraft hervor. Jahrhunderte lang wurde diese Kraft zum Wohle der Menschheit ausgebeutet, bis wir endlich einsehen lernten, daß uns Elektrizität weit billiger als die billigste künstliche Kraft zu stehen komme, und daß sie gewaltiger als irgend welche andere Naturkraft wirkt, so daß wir längst aufgehört haben, noch irgend eine andere Kraft als Elektrizität zu benützen. Ja, selbst wenn wir dieselbe mittelst Hitze erzeugen müssen, haben wir uns dennoch überzeugt, daß der Gewinn bei ihrer Anwendung den Verlust, welcher durch die Verwandlung der einen Kraft in die andere entsteht, mehr denn aufwiegt.«

Im Laufe von wenig mehr als einer halben Stunde kamen wir aus dem Tunnel heraus, dessen Dunkelheit auch bald auf mich, nachdem erst der Reiz der Neuheit verschwunden war, unheimlich, wenn auch nicht so erschreckend wie auf Eveena wirkte. Besonders anziehende Sehenswürdigkeiten befanden sich nicht in dem Thal, durch welches wir jetzt fuhren, es war von allen Seiten durch hohe, abschüssige Berge eingeschlossen, so daß höchstens während des Mittags die Sonne zwei Stunden in dasselbe hineinscheint, und schon tiefe Nacht darin herrscht, lange ehe draußen die Abendnebel auf der Ebene aufsteigen.

Plötzlich mußten wir wohl fünfundzwanzig Fuß in der Meile bergan fahren, und es erforderte große Geschicklichkeit von Seiten des Steuermannes, das Schiff nicht von dem Ungestüm des Wassers umwerfen zu lassen, dennoch legte es sich öfters so weit auf die Seite, daß mir die Angst Eveena's hier bedeutend erklärlicher, als in dem Tunnel erschien. Ich hielt sie fest in meinen Armen, und ohne dies wäre sie, da der Steuermann, der Gefahr gewohnt, uns nicht von derselben benachrichtigt hatte, unfehlbar über Bord in das Wasser geschleudert worden. Am Ende überstand unser Boot auch diese Strecke, da weder Gestein noch Fels die Fahrt noch gefährlicher machte, und schließlich fuhren wir in den zweiten Tunnel hinein, während Eveena, die sich ihrer Aengstlichkeit schämte, unwillkürlich sich fest an meine Hand anklammerte, sonst aber Fassung und Ruhe zur Schau trug. Wir fuhren aus dem Tunnel heraus und befanden uns plötzlich in Sicht der See, der Stadt und des Seehafens von Serocaspe, in welchem wir uns am nächsten Tage einschiffen sollten.

Hier gingen wir an das Land und wurden von einem Freunde Esmo's empfangen. Vor der Wohnung desselben, die eine halbe Stunde vor der Stadt sich befand, stiegen wir ab und blieben einstweilen in der Halle des Hauses, während eine tief verschleierte Dame mir Eveena nach den Frauengemächern entführte — das erste Mal seit meiner Hochzeit, daß ich mich von ihr eine Zeit lang trennen mußte. Die Abendmahlzeit ward nun zwei Stunden früher, als es Sitte des Hauses war, eingenommen, um es uns zu ermöglichen, der Sitzung beizuwohnen, in welcher meine junge Frau und ich formell in die Zinta aufgenommen werden sollten.


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Kapitel 13
Die Kinder des Lichts

»Wahrscheinlich,« sagte Esmo, als unser Wirth, sichtbar auf einen Wink meines Schwiegervaters uns für einige Minuten allein ließ, »wahrscheinlich wird Euch Manches, das Ihr jetzt hören und sehen werdet, kindisch und thöricht erscheinen. Das uns aus undenklichen Zeiten überkommene, liebgewordene Zeremoniell, das einen um so tieferen Eindruck auf unsere Gemüther ausübt, je mehr die Abwesenheit jeder feierlichen Förmlichkeit in dem uns umringenden praktischen Leben sich fühlbar macht, sowie unsere hochbedeutsame, allerdings auf den ersten Blick kaum verständliche Symbolik hat ihren Werth und ihre Nothwendigkeit durch die Erfahrung bewährt. Aber natürlich werden sie auf uns, denen sie von unserer frühen Jugend an mit allen edlen und erhabenen Empfindungen untrennbar verknüpft sind, einen tieferen Eindruck hervorbringen müssen, als auf ein Gemüth, wie etwa das Eure. Diese Zeremonien mögen Euch unvereinbar erscheinen mit einem Glauben, der so wie der Unsrige streng in sich abgeschlossen ist und sich ausschließlich auf logischen Beweis und thatsächliche Augenscheinlichkeit gründet. Die Thatsache aber, daß noch nie eins unserer Gelübde, nie die Riten gebrochen wurden, daß unsere Symbole so tiefe Ehrfurcht genießen, wie kein Gesetz, wie keine, auch nicht die höchste bürgerliche Gewalt, diese Thatsache ist das beste Zeugniß für die Zweckmäßigkeit unserer Politik in dieser Beziehung. Die symbolische Sprache bietet uns überdies zwei andere wichtige Vortheile; der eine liegt in der Tiefe der Gedanken und des Wissens, mit welchem der Stifter des Ordens die Symbole ausgewählt hat, Dank welcher ein jedes Geschlecht in ihnen immer neue und ungeahnte Wahrheiten entdeckt; der andere Vortheil entspringt uns daraus, daß wir durch sie uns den Schlüssel zu unserem Geheimniß ausschließlich bewahren, denn wir sind wie gesagt nur eine kleine, auserwählte Gemeinde inmitten einer feindlichen, rachsüchtigen Welt.«

»So fand ich auch,« erwiderte ich, »daß in meiner eigenen Welt eine jede Religion, sowie ein jeder mystischer Geheimbund, — ja sogar eine jede Wissenschaft manchen an sich selbst bedeutungslosen Symbolen dennoch große Bedeutung beilegt. Die Erfahrung hat es gelehrt, daß solche Symbole oft weit mehr offenbaren, als man ursprünglich ahnte, und zu Schlüssen von einer Tragweite führen, an welche der Erfinder des Symbols nie gedacht hat. Mir selbst erscheint es völlig undenkbar, daß ein Bund wie die Zinta sich ohne Ceremoniell und Förmlichkeiten zu erhalten vermöchte, und wenn sie selbst keinen andern Werth hätten, so tragen sie doch mindestens den Reiz des Geheimnißvollen in sich.«

Bei diesen Worten kehrte unser Wirth zurück, und wir begaben uns mit ihm in die Galerie, wo mehrere Personen unserer harrten. Die Männer trugen größtentheils eine Art Visir, das vom Turban herabhing und ihre Gesichter verbarg. Die Frauen aber waren alle ohne Ausnahme dicht verschleiert. Beim Erscheinen Esmo's stellte sich die ganze Gesellschaft prozessionsartig, zwei zu zwei, hintereinander auf; ich selber hielt mich im Hintergrund, am Ende der Reihe, Esmo aber stellte sich an die Spitze des Zuges. Hätte ich nicht sogleich die verhüllte, kleine Gestalt an meiner Seite erkannt, der Druck der Hand, die sich in die meine gestohlen, hätte mir zweifellosen Aufschluß gegeben. Plötzlich erloschen in der Galerie alle Lichter, nur am Ende einer Krystallwand gewahrte ich noch über Esmo's Haupt hinweg eine Lampe schwach, doch hell genug zu uns herüberleuchten, um unsere Schritte zu lenken. Vielleicht war dieses Halbdunkel, dieses Zwielicht, das dem ganzen Vorgang ein geheimnißvolles Gepräge verlieh und alles, dem wir auf unserem Wege begegneten, undeutlich und unsicher erscheinen ließ, nicht ganz ohne Absicht. Jetzt standen wir am Ende der Galerie und wandten uns plötzlich in einen anderen, wie mir schien, nur kleinen Raum, der aber von der Lampe in der Hand unseres Führers so schwach erhellt ward, daß man die Größe desselben nur muthmaßen konnte. Bald ward ich gewahr, daß wir auf einem abschüssigen Weg abwärts stiegen und als wir uns endlich wieder auf ebenem Wege befanden, ward es mir klar, daß wir nunmehr uns in einer in Fels gehauenen Galerie befanden. Das Licht leuchtete bei Weitem zu schwach, um in der Felsenwand irgendwelche Oeffnungen erkennen zu lassen, indeß ward unser Zug immer länger und länger, ohne daß man zu sehen vermochte, wann die neuen Glieder sich unserer Kette anreihten und woher sie kamen. Plötzlich erlosch das spärliche Licht, das uns bis hierher geleuchtet. Ich war anfangs bestürzt und als ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte und weiter vorwärts schreiten wollte, gewahrte ich, daß wir Beide, Eveena und ich, allein in der düsteren Finsterniß standen. Furcht überkam mich, Eveena weiter zu führen auf einem Weg, der mir selber vollständig unbekannt war; ich hielt für einige Minuten inne und beschloß, wenn auch ungern, dort, wo ich stand, so lange zu warten, bis mir eine Aufklärung der Sachlage von Jenen zu Theil würde, die uns so weit geführt hatten und es wissen mußten, daß wir uns doch in dieser Finsterniß nicht weiter vorwärts wagen durften. Allmälig ward aber, gerade wie Nacht sich in die Morgendämmerung verwandelt, die Finsterniß um etwas weniger undurchdringlich; doch schaute ich mich vergeblich danach um, woher das Licht käme. Es verbreitete sich gleichmäßig um uns herum, bis ich endlich einige Schritte vor uns den Rand eines Abgrunds entdeckte, der tief genug war, um gefährlich zu scheinen. Ich wartete also, bis meine Augen tiefer hinein blicken könnten, und bald ward auch das Dämmerlicht stärker und stärker und verbreitete endlich eine fahle Helle, ähnlich jener des mattschimmernden Halbmonds, bei deren Schein ich jetzt eine Art Brücke über den Abgrund unterschied, die, als ich sie näher ins Auge faßte, nach und nach die Form eines dünnen, langen, auf schwarzen, am Rand grünlich erglänzenden Flügeln schwebenden Baumstammes annahm. Etwas ungeduldig über diese gar zu einfache und augenfällige Symbolik eilte ich mit Eveena vorwärts. Auf der anderen Seite wandte sich der Pfad fast rechtwinklig und hier erhellte ein von oben strahlender Lichtglanz ausreichend sicher unseren Weg. Wir gingen jetzt gerade auf das Licht zu, und vor demselben angelangt, wurden wir angerufen, worauf ich die Antwort gab, die mir vorher schon gesagt war, ein Losungswort, welches, wie nie zuvor, so auch hier nicht niedergeschrieben werden darf. Dann that sich eine Thür auf, um uns Zutritt zu einer kleinen Vorhalle zu gestatten, von deren anderen Seite durch ein Portal aus durchsichtigem Krystall ein hellglänzendes Licht uns entgegenströmte. Auch hier hielt uns eine Schildwache an; bewaffnet mit einem alterthümlichen Speere, der ganz so aussah, als hätte er schon allen Amtsvorgängern seines heutigen Trägers seit Myriaden von Jahren Dienste geleistet. Diese Wache fragte uns nach unseren Namen. Ich nannte dieselben: den meinigen wiederholte er einfach, doch als ich ihm meiner Gattin Namen, Eveena, Tochter Esmo's, ankündigte, senkte er zum Gruß seinen Speer, neigte tief sein Haupt und berührte mit seinen Lippen die weiten Aermel des schwanendaunartigen Mantels, in welchen Eveena heute wieder gekleidet war. Diese Huldigung schien sie ebenso sehr, wie mich zu überraschen, indessen hatten wir weder Zeit zu Fragen noch Muße zu Vermuthungen, denn schon erschallte ein anderer Ruf hinter der Krystallthür zu uns herüber, welchen die Schildwache beantwortete. Hierauf sprangen die Thorflügel vor uns auf, das andere Thor aber, durch welches wir eben eingetreten waren, schloß sich gleichzeitig in so wunderbarer Weise, daß es völlig verschwunden zu sein schien. Wir standen jetzt in einer weiten, mächtigen Halle, die durch zwei lange Reihen Pfeiler in drei Schiffe getheilt war. Die schlanken mit goldigen Schuppen bedeckten Schäfte der Pfeiler trugen hoch oben gleichsam mit Blätterschmuck nach Art der Palme prangende Kronen und smaragdgrün glänzend zierte die Capitäle hoch oben farrenkrautartiges Laubwerk. Nach einiger Beobachtung schien es mir außer Zweifel, daß die weite Halle ganz aus lebendigem Fels ausgehöhlt war, derart, daß man die Pfeiler unberührt hatte stehen lassen. Beide Seitenschiffe füllten vier Reihen ebenfalls aus den Felsen ausgearbeiteter Sitze, welche mit federverbrämten, goldgestickten Kissen und so feinen Geweben belegt waren, wie sie weder Lyon noch Caschmir hervorbringen kann. Ungefähr zwei Drittel derselben waren besetzt, und zwar sahen wir bei unserem Eintritt die linke Seite von Männern, die entgegengesetzte von Frauen eingenommen. Alle, bemerkte ich, erhoben sich einen Augenblick, als der Name Eveena's von einem in der Apsis der

Halle thronenden, in Silber gekleideten Meister des Ordens gerufen ward. Derselbe trug einen Gurt aus einem scharlachrothen, die Stelle unseres Stahls vertretenden Metall und in der Hand hielt er einen Stab aus einer rosenfarbenen Edelsteinart. Ferner trug er über seinem Gewande eine auf der linken Schulter befestigte, nach der rechten Seite des Gurtes niedergehende, einem europäischen Ordensband nicht unähnliche, goldene Schärpe, auf welcher ein sechsstrahliger Silberstern an der linken Brustseite ruhte, und ein ähnlicher, wenn auch kleinerer Stern erglänzte auf der Brust eines Jeden in der ganzen Versammlung und wurde von den Meisten auf einer grünen Schnur, von einer kleineren aber, die sich meist am oberen Ende der Halle zusammen hielten, auf einer Silberschärpe getragen . . . . . . . . . . . . . Der Meister, welcher uns zuerst angeredet hatte, hieß uns vorwärts gehen und wir verließen die Halle des Noviziats als aufgenommene Glieder des Ordens, . . . . . . . . . . . . . Der Raum welchen wir jetzt betraten, war so finster, daß ich weder die Ausdehnung noch Form desselben genau unterscheiden konnte, er schien mir indeß kreisrund, und von einem olivengrünen (der Farbe des Marshimmels) und mit Sternen besäeten Dome überwölbt zu sein, ja ich meinte sogar eine oder die andere Constellation, ganz besonders aber den übernatürlich hell glänzenden Bogen der Milchstraße deutlich zu erkennen. Plötzlich erschien, augenscheinlich nicht auf einer Wand oder Fläche, sondern frei in der Luft vor uns schwebend, ein schmaler durch den ganzen Raum sich ziehender Lichtstreifen. Er ähnelte einem aus drei Strehnen gewundenem Seile: zwei Strehnen waren dunkel gefärbt, orangefarben und braun, und kontrastirten bedeutend zu dem hellen smaragdfarbigen Glanze der dritten, die sich mit ihnen zu dem dreifaltigen Bande wand.

Ich wußte, daß diese so gewundenen Metallseile auf dem Mars wie Ketten auf der Erde benützt werden und schloß daraus, daß dieses Symbol etwa dieselbe Bedeutung haben würde, wie sie bei uns Kirche und Poesie dem Symbol der Kette beilegen.

Dieses Seil oder Band behielt seine Lage bei und zog sich beständig durch den dunkeln Hintergrund der jetzt der Reihe nach erscheinenden Bilder, die sich schnell aneinander reihten, doch so nach und nach von einem zum andern übergingen, daß man an keinem Punkte das Entstehen des Einen und das Verschwinden des Andern wahrzunehmen vermochte.

Ein lichter Nebel von den verschiedenartigsten unentwirrbar durcheinander gemischten Farben, ein Abbild des Chaos, abgesehen davon, daß all die einzelnen Atome dieses Nebels ihr eigenes, wenn auch schwaches Licht ausstrahlten, füllte jetzt den größten Theil des Raumes vor uns, im Hintergrunde aber blieb das Band noch immer sichtbar. Plötzlich tauchte ein heller rosiger Lichtpunkt über dem Seil und hinter dem Nebel auf, der allmälig die Form eines Auges annahm; ein gleichfalls rosenfarbener Lichtstrahl strömte von demselben aus und durchfluthete die unbeweglichen Dünste, in welchen bald darauf eine Bewegung, deren Wesen sich nicht leicht erkennen ließ, Platz griff, die fortschreitend rythmischer und regelmäßiger wurde, bis endlich nach einigen Minuten der Nebel sich vollständig auflöste und statt dessen die Bilder von Sternen, Sterngruppen und goldigen Nebelstreifen sichtbar wurden, die einen so matt und verworren, wie jene in dem Schwertgurte Orions, die anderen so hell und klar wie die von den Astronomen planetarisch Genannten.

»Was siehst Du?« sprach eine Stimme, von der ich nicht einmal unterscheiden konnte, woher sie kam.

»Das Weltall aus des Chaos Verwirrung durch das Gesetz sich gestaltend; das Gesetz der höchsten Weisheit, dem allmächtigen Willen entströmend.«

»Und in dem dreifaltigen Band?«

»Ewigkeit der Zeit und des Raumes, erhalten durch des Gesetzes Ewigkeit und beherrscht durch den Willen, der das Gesetz gegeben.«

Während ich sprach, ward ein einzelner Nebelstreifen heller und größer und füllte bald, während die Sterne und Sterngruppen in entferntere Regionen zu verschwinden schienen, den ganzen Raum an. Er war von sphärischer Gestalt, aus ersichtlich substantielleren Partikeln als der frühere Nebel gebildet, die ein viel glänzenderes Licht ausstrahlten oder reflectirten, und befand sich in einer reißend schnellen, wirbelnden Bewegung. Bald verwandelte er sich in die Form einer kreisrunden Scheibe von bedeutender Dicke und Tiefe, die dichter im Zentrum und dünner nach dem abgerundeten Rand hin erschien, und bald verdichtete er sich, zog sich zusammen und ließ bei jedem der verschiedenen Intervalle einen abgesonderten Ring zurück. Die meisten derselben zerbrachen, die Bruchstücke fügten sich wieder zusammen und bildeten eine neue Sphäre; im Besonderen zerfiel Einer in unzählige kleinere Kugeln; andere indessen nahmen elliptische Form an, verdichteten sich hier und wurden dort dünner, während die CentrumsMasse, wie sie sich zusammen zog, dichter und heller ward, bis endlich vor meinen Augen ein vollkommenes Miniaturbild des Sonnensystems sich befand mit allen Planeten, Trabanten, Asteroiden und meteorischen Ringen.

»Was siehst Du?« hörte ich wieder.

»Den Willen von Vernunft geleitet und den Willen durch das Gesetz den Mikrokosmos entwickelnd, von welchem diese Welt einer der kleinsten Theile.«

Der Kreis, der den Mars darstellte, stand in der Mitte des Raumes still und erfüllte bald die ganze Fläche; zuerst nahm er die Gestalt eines großen dunstigen Globus an, dann zog er sich zu einer verhältnißmäßig kleinen Kugel zusammen, die noch mehr als rothglühend war, und bildete, während er sich zusammenzog, zwei andere kleine Bälle, die sich um die ursprüngliche Kugel drehten. Diese aber kühlte sich ab, bis sie endlich kein anderes Licht mehr ausstrahlte, als jenes, welches auf sie von einer fernen unsichtbaren Lichtquelle geworfen ward, und bald zeigte sie auf ihrer Oberfläche das Erscheinen von Ländern und Meeren, von Wolken, Schnee und Eis, ein getreues Abbild der Oberfläche des Planeten Mars. Dann schwand sie von der Fläche und statt ihrer erschien ein Wasserglobus, in welchem die Prozesse der Crystallisation, erst in einfacheren Formen, dann in komplizirteren, wunderbar schön sich darstellten. Hierauf erschien, ich wußte nicht wie, doch anscheinend durch dieselbe Kraft und auf dieselbe Weise entwickelt, wie die Crystalle, inmitten des wässerigen Globus ein kleiner durchsichtiger Ball und in diesem ein sphärischer Kern, aus dem sich allmälig zwei deutlich verschiedene Gebilde entwickelten; das eine glich auffallend jenen einfachen durchsichtigen Wesen, die uns das Mikroskop im Wassertropfen zu Tausenden zeigt, behender, grimmiger und mörderischer in ihrer Lebenssphäre, als die gewaltigsten Raubthiere des Landes oder der Meere. Das andere Gebilde war ein winziges Fragment von Fasergewebe, das sich nach und nach zu den einfachsten Formen vegetabilischen Lebens gestaltete. Endlich verschwand auch die Wasserkugel und nur die beiden letzten Gebilde blieben zurück, aus welchen allmälig eine Form nach der andern hervorging, eine jede an Gestalt und an Größe höher organisirt und entwickelter, als die vorige.

»Was siehst Du?«

»Leben aus Leblosigkeit durch das Gesetz hervorgerufen.«

Und wiederum bildete sich so ganz allmälig, daß der Fortgang des Prozesses kaum wahrgenommen werden konnte, ein Panorama des vegetabilischen und animalischen Lebens. Eine Landschaft, in welcher einige Dutzend Urformen aus beiden Reichen sichtbar wurden, die sich allmälig auflösten und durch verschiedene Gestalten und Verwandlungen hindurchgingen, bis endlich ein Bild des Lebens der Gegenwart vor unseren Augen sich entfaltete, und in der Mitte dieses Bildes stand, mit weitaus größerem Rechte als auf Erden, der Mensch als Herr der Schöpfung. Aus welcher Art im Laufe der Verwandlungen sich diese höchste Form gebildet hatte, vermochte ich nicht zu erkennen, indeß entsinne ich mich genau, da ich mit Ungeduld und Aufmerksamkeit auf solch' ein Uebergangsstadium wartete, daß in der bildlich dargestellten Entwickelungsgeschichte ein Affe nie erschienen war.

Besonders seltsam erschien es, daß wenn auch jede Form den Anschein von wirklicher Körperlichkeit hatte, dieselbe dennoch stets durchsichtig war. Von dem schon erwähnten Symbol aus durchdrang ein rosenrothes Licht die ganze Szene, das in der Atmosphäre kaum, und nur sehr schwach in den verschiedenen Pflanzen, doch um so deutlicher in jedem Thiere wahrzunehmen war. In der Pflanze sowie auch in dem Thier, war dieses konzentrirte Licht zwar von dem rosigen Scheine, der sich über die ganze Landschaft breitete, deutlich getrennt, aber doch niemals völlig individualisirt; es war wie wenn das rosige Licht für sich eine Atmosphäre bildete, die frei und ungehemmt durch die Thier- und Pflanzenkörper hindurchdrang und besonders in jenen Theilen, die beständig durch alle Theile des Organismus hindurchströmten, wie das Blut der Thiere, der Saft der Pflanzen, sich verdichtete und heller, intensiver wurde. Am meisten konzentrirt erschien das Licht und seine Verbindung am deutlichsten von dem durch die ganze Atmosphäre verbreiteten rosigen Schein getrennt und unterschieden, in den intelligenteren Thieren, wie dem ambâ und der carve, welche sich im Menschendienst einen Theil des Menschenverstandes erworben hatten. Im Körper des Menschen strahlte das Licht aber in seinem vollen Glanze und hatte in ihm sich zu einem rosig leuchtenden Schemen geformt, das in seiner Gestalt dem Körper, der es einschloß und den es zu beleben schien, genau entsprechend, vollkommen individualisirt war und gänzlich unvermischt mit dem übrigen Licht, außer daß es von seiner Urquelle ausstrahlte und von ihr sich nährte. Wie ich näher zusah, löste auch der äußere Körper sich auf und das Schemen rosigen Lichtes stand jetzt allein, verklärt und tausendfach schöner als der materielle Körper, vor meinen Augen — es schwebte empor und verschwand.

»Was siehst Du?« rief eine noch ernstere, noch feierlichere Stimme denn zuvor.

»Das Leben,« sagte ich, »das Leben des Geistes und Körpers, das eine das andere erhaltend. Ich sehe das Leben des Geistes aus der Urquelle des Lebens entströmen, sich in alle lebenden Formen ergießen und einer jeden den Grad von Vernunft und Individualität ertheilen, dessen sie bedarf — doch in keiner eine von dem Geschlechte verschiedene, selbstständige, einheitlich abgeschlossene Persönlichkeit erzeugen, außer im Menschen, und im Menschen dies individuelle Sein erzeugen, von dem das Fleisch nur das Werkzeug und die Hülle ist.«

Das Ganze verschwand plötzlich in tiefstem Dunkel, und nur in einer Richtung erschien wieder ein Lichtstrahl, welcher uns zu einem anderen Portale leitete. Wir schritten durch dasselbe hindurch und gelangten wieder durch einen langen und schmalen Durchgang vor eine Thür aus smaragdenem Krystall, durch welche von innen ein blendender Lichtglanz herausströmte. Hier wurden unsere Schritte wiederum gehemmt, das Thor war von zwei Wachen besetzt und zwar Eingeweihten des Ordens, Trägern der Silberschärpe und des Silbersternes. Ich gab das Paßwort und Zeichen, die ich bei dem Verlassen der Halle des Noviziats erhalten. Die Pforte öffnete sich und vor unseren Augen lag der letzte innerste Raum. Es war ein Bild, das nicht minder durch seine Pracht und seinen Glanz, als durch das Unerwartete seiner Erscheinung das Auge fesseln und das Gemüth ergreifen sollte. Es stellte einen Garten vor, dessen Ende hinter den Aesten und Zweigen der Bäume, den Bogen und Lauben der Schlinggewächse und dem Dickicht der kunstvollen, täuschend natürlichen Blumen und Sträucher unabsehbar war. Indeß schien es, als ob er viereckig sei und zu ihm ein enger Durchgang hineinführe, während drinnen breite Pfade ihn so theilten daß dieselben ein Kreuz mit gleich langen Armen bildeten. Im Mittelpunkt dieses Kreuzes stand auf einem Smaragdpiedestal eine goldene Statue, in der ich sofort die Züge des Stifters und Gründers des Ordens wiedererkannte. Der Raum hätte wohl an zweitausend Personen Platz bieten können, indessen meinte ich auf den aus einem elfenbeinartigen Material und sämmtlich verschiedenartig geschnitzten, nicht in Reihen geordneten, sondern in Gruppen zwanglos vertheilten Sitzen nicht mehr als im ganzen etwa vierhundert Männer und Frauen zu erblicken, die Ersteren meist in Grün, die letzteren aber in Gelb und Weiß gekleidet und alle mit der Silberschärpe und dem Silberstern. Im Hintergrunde erhob sich eine um zwei Stufen höhere, aus dem Felsen ausgearbeitete Plattform, die so künstlich mit Edelsteinmosaik belegt war, daß sie täuschend dem bunten Rasenteppich eines wirklichen Gartens glich, und auf ihr standen zwei, zusammen einen in der Mitte durch einen Zwischenraum unterbrochenen Halbkreis bildende Reihen von je sechs goldenen Sesseln oder Thronen, deren Inhaber alle die goldene Schärpe über dem silbernen Talare trugen. Zu meiner Ueberraschung erblickte ich Esmo auf dem letzten Sessel zur Linken des Zwischenraumes, bekleidet mit einem weißen Talar, der vollständig seine Gestalt verhüllte und seltsam zu seiner goldenen Schärpe mit dem Stern contrastirte. An seinem linken, bis zum Ellenbogen entblößten Arm gewahrte ich einen flachen, dicken Reif aus schwerem Gold mit einem Siegel aus Smaragd, das in gleichem Größenverhältniß zu dem Armband stand, wie der Stein eines Siegelringes zu dem Ringe. Besonders auffallend war es mir, wie frappant die Sessel auf der Plattform und die Gestalten ihrer Inhaber sich von einem Hintergrund tiefsten Dunkels abhoben, dessen Beschaffenheit ich jedoch nicht zu unterscheiden vermochte. Das Dach wölbte sich oben in Form einer abgestumpften Pyramide aus einem rosigen Crystall, durch welches ein klares, sanftes Licht die ganze Szene erhellte; und aus demselben Crystall war auch die Schwelle der Eingangspforte hinter der uns derselbe Meister des Ordens, der uns vorhin schon in der Halle des Noviziats empfangen hatte, wiederum begrüßte. Er reichte uns seine Linke und sprach oder sang vielmehr, folgende Worte, die, nach dem Tonfall, der häufigen Wiederkehr unregelmäßiger Reime und der nicht seltenen Allitteration zu schließen, eine der niemals niedergeschriebenen, nur mündlich überlieferten, in Verse gefaßten Ordensformeln waren:


»Die Ihr in tiefer Nacht verloren,
Endlich seid dem Licht geboren,
Wißt, wir zwingen nie noch wehren
Uns'rem Bund anzugehören.
Doch, wenn erst das hohe, hehre
Thor sich zu der lichten Leere
Euch geöffnet — ist die Schwelle
Ueberschritten zur Lichtquelle —
Wehe, wehe, folgt die Reue.
Reu kann Rückkehr nie erschließen,
Nur dem Glauben und der Treue
Kann unendlich Glück ersprießen;
Doch Entsetzen, Grau'n und Schrecken
Der Abtrünn'gen Loos bedecken.
Seid gewarnt — kehrt um zur Zeit —
Oder leistet frei den Eid! —«


»Was soll ich schwören?« antwortete ich. Eine Stimme zu meiner Linken murmelte leise die Formel, ich sprach sie nach, und Eveena begleitete meine Worte mit kaum hörbarem Flüstern:


»Was wir ahnen, fühlen, hören,
Was wir seh'n vor Euren Thronen
Soll geheimnißvoll, wir schwören,
Tief in unserm Herzen wohnen —
Bei dem Licht, dem wir gehören,
Bei dem Lichtquell wir dies schwören.«


Nach diesen Worten gewahrte ich, daß eine Aenderung unten am anderen Ende der Halle, vorgegangen war; denn wie ich aufschaute, war der tiefdunkele Hintergrund verschwunden und an seiner Stelle ward hinter den Sesseln unter einer Art tiefen Bogengangs eine roth und goldig gemusterte, die verschiedenen Symbole der Zinta zeigende Wand sichtbar. Nach dem Dach zu, gerade in der Mitte strahlte ein großer, silberner Stern mit so glänzendem Lichte, wie es heller kaum dem Vollmond unter den Tropen entstrahlt. Um den Stern herum lag ein breites goldenes Band und unter dem Band das Bildniß der Schlange, ganz so wie eine Schlange auf Erden aussehend, doch so gewunden, wie sich eine Schlange nie windet; in einem doppelten Kreis wie eine Acht, den Schwanz um den Nacken geschlungen, so lag sie da. — Auf der linken Seite sah ich einen scharlachrothen Schild, klein, rund und nach der Mitte zu einer scharfen Spitze sich aufwölbend, zur Rechten lagen drei übereinandergekreuzte silberne Speere mit scharlachrothen nach oben gerichteten Spitzen. Der wunderbarste Gegenstand aber war ein den Zwischenraum zwischen den beiden Sesselreihen der Meister jetzt ausfüllender, aus einem gewaltigen Smaragdblock gemeißelter Thron, zu dessen Höhe fünf oder sechs Stufen hinaufführten; und darüber schwebte frei in der Luft ein Thronhimmel von runder Form. Und von vier großen smaragdenen Flügeln ward eine aus goldenen Ringen gefügte Kette getragen, in welcher die Silberschlange ebenso verschlungen wie zuvor auf Blättern und Blüthen ruhte; im Centrum des Ganzen aber war wieder der silberne Stern mit dem goldenen Bande, das Emblem, von welchem der Orden seinen Namen erhalten hat und in dem er seine tiefste Symbolik verkörpert. Jetzt sprach ich wiederum den Weisungen meines unsichtbaren Souffleurs gehorchend, Formeln nach, welche in allerdings unzureichender Wiedergabe also lauten:


»Bei der finsteren AußenNacht,
Bei dem Strahl, der uns bewacht,
Bei dem Licht dem wir gehören,
Bei dem Lichtquell wir jetzt schwören —
Treu, Gehorsam ohne Fehl
Ordens Weisung und Befehl;
Den Symbolen stummes Ehren,
Innigen Glauben ihren Lehren;
Glied an Glied die Kett' zu reihen,
Jedem Treu und Lieb' zu weihen,
Der den Stern trägt — wir jetzt schwören —
Wir, die dem Sterne angehören —
Stets zum Ruhm des Lichts zu handeln,
In des Kreises Bann zu wandeln.
Vor dem Aug', dem Nichts entgeht,
Lügen nicht, noch Lüg' zu sinnen —
So zu leben, früh und spät —
Lohn im Tod einst zu gewinnen —
Hand und Stimme schwört den Eid —
Lieber todt denn falsch dem Eid!«


Esmo erhob sich von seinem Sessel und stand unmittelbar links vor dem Throne. Er antwortete, doch ehe er seinen ersten Satz vollendet hatte, wurden meine Blicke durch einen Druck auf meinen Arm von ihm ab auf Eveena gelenkt. Starr, wie versteinert, stand sie an meiner Seite und erinnerte unwillkürlich an jene antiken Statuen von Personen, die durch den Anblick des Medusenhauptes zu Stein werden; ich fühlte es instinktiv, daß ein Entsetzen, zu gewaltig um zittern und beben zu können, sie gepackt hatte, und ich schaute ihr erschreckt in die Augen, das Einzige, was ihr Schleier nur zu erblicken gestattete, und sah dieselben fest auf den Thron hin gerichtet. Ich folgte ihrem Blicke dorthin und stand plötzlich vor Schrecken und Entsetzen fast ebenso versteinert wie Eveena.

Ich muß erst sagen, daß ich unten auf der Erde auch manch seltsames Wunder gesehen und Erscheinungen gehabt, denen Niemand, der sie nicht selbst erfahren, Glauben beimessen würde und welche die Wenigen, die sie gesehen, nie aus ihrem Gedächtniß zu bannen vermögen, so wenig wie sie ihrer, trotz aller Weisheit der Wissenschaft, ohne jenes Schaudern und jenes Entsetzen gedenken, das sie beim ersten Anblick derselben überkam. Doch kein einziges Wunder der mystischen Schule, keine einzige Geistererscheinung hat mich je derart erschreckt und so tief mich ergriffen, als das, was ich jetzt sah oder zu sehen vermeinte. Der Thron, auf welchen ich noch wenige Minuten zuvor fest hingeschaut hatte und der, ich bin mir dessen gewiß, damals leer war, war jetzt eingenommen von einer Gegenwart, welche Niemand, der je das Bild derselben geschaut, vergessen oder verkennen konnte, ob sie gleich seit Jahrtausenden in Fleisch und in Blut nicht mehr erblickt worden war. Die Gestalt und die Kleidung, das lange, weiße Haar und der Bart, das ernste, würdige Antlitz, die unergründlichen, fragenden, durchdringenden Augen des Stifters, die ich nur einmal in Esmo's Hause gesehen, sie boten sich jetzt meinen Blicken so deutlich, so klar, wie die irgend eines lebenden Wesens, das ich je gesehen; sein ruhiger, fester Blick war forschend auf mich gerichtet und ließ mich an die Worte des indischen Dichters denken, der von dem Blick Indra's sagt:


»Sein Blick war feierlich, nicht strenge —
Zwar konnt' er Hoffnung nicht erwecken,
Doch wollt' er Kelyal auch nicht schrecken.«


Einen Moment lang ruhten sie auf Eveena's verschleierter, gebeugter Gestalt mit weitaus verschiedenem Ausdruck. Der Blick, so dünkte mir, sprach Mitleid und ernste, aber kalte Trauer aus; wie wenn er ein Kind unbewußt in sein Verderben eilen sähe und doch nicht warnen noch retten könnte. Zum Glück verstand sie nicht, den Blick zu lesen. Wir standen Beide bleich und schreckgelähmt, so lange, daß man allgemein verwundert über unser seltsames Verhalten, die Augen nach der Stelle richtete, auf der mein Blick ruhte und selber nach dem Thron hinschaute. Was sie dort sahen oder nicht gesehen haben, weiß ich nicht. Fast unbeachtet, doch nicht ungehört drang jetzt aus Esmo's Munde diese Formel an mein Ohr, aus welcher eine Stelle seltsam mit der Erscheinung vor mir harmonirte:


»Flücht'ger Hauch und schwebend' Bild
Hält die Seel' auf Tod und Leben,
Wort und Handschlag heilig gilt,
Die vor unserem Aug' gegeben;
In unsere Ohren nicht allein
Drang's in ein anderes Ohr auch ein;
Tausendjährige Mühe wand
Mühevoll das ewige Band,
Nie sah einen Theil man schwinden,
Nie sich ein Glied vom Ganzen winden.«


Hier hielt er inne und winkte uns, vorwärts zu schreiten. Er mußte zweimal das Zeichen wiederholen, ehe ich im Stande war, zu gehorchen; doch endlich gelang es ihm, den Zauber, der mich gefesselt hielt, zu brechen. Jener Instinkt, welcher in den erschreckendsten Lagen unsere Arme und Füße lenkt und willenlos uns auf den richtigen Pfad führt, jener Instinkt, nicht aber der bewußte Entschluß, den Zauberbann, in dem ich lag, zu brechen, ermöglichte es mir, vorwärts zu schreiten. Halb führte ich Eveena, halb zog ich sie mit sanfter Gewalt nach vorn, bis wir an die ersten Stufen der Plattform gelangten. Hier knieten wir nieder auf den Wink ihres Vaters; er legte seine Hand auf unsere Häupter und beugte sich, die Brauen uns zu küssen. Dann fuhr er fort:


»Gruß, den ewigen biet' ich Euch,
Kinder aus dem ewigen Reich,
Unser Schwur erneut das Band,
Das der Eure um uns wand.
Eure ward die Lehr' zum Lohn,
Die vom Vater erbt zum Sohn;
Früchte der Ewigkeit Euch jetzt blühen,
Früchte der Thränen, Früchte der Mühen;
Wer Euch wahrt, wahrt seinen Lohn;
Wer Euch haßt, haßt unsern Thron!«


Die zwei letzten Zeilen wurden von der Versammlung wie aus einem Munde in leisem, aber deutlich hörbarem Ton wiederholt. Inzwischen schmückte uns Esmo mit den Symbolen der Ordensgemeinschaft, mit der silbernen Schärpe und dem Silberstern, die alle Eingeweihten trugen. Ich empfand diese Ceremonie als einen befriedigenden Ersatz der kirchlichen Weihe und kirchlichen Segnung, deren Fehlen bei der Schließung unserer Ehe mich so peinlich berührt hatte. Wir erhoben uns und wie ich meine Augen für einen Moment nach dem Thron hinrichtete, war derselbe wieder leer wie zuvor. Ein anderer Meister erhob sich jetzt und sprach, von den Stimmen der Anwesenden begleitet, in leisem, tiefem Ton den feierlichen Fluch, der inmitten der heiligen Stille wie lauter Posaunenklang an unser Ohr schlug:


»Wer den Bruder läßt in Pein,
Wer durch That, ja Wort allein
Bricht des Kreises festen Lauf,
Hebt des Altars Schleier auf,
Hebt die Hand zum Lügenmund,
Trotzt des Sternes heilgem Bund —
Den sollen grimme Träume plagen
Soll'n ihn zur Verzweiflung jagen
Weltverlassen und von Gott —
Hier Verachtung — dort der Tod! —«


Wahrscheinlich war es weniger der Ton der tiefsten Ueberzeugung und bebender Ehrfurcht, mit welchem die Versammlung leise diese Worte wiederholte, als vielmehr der Sinn und die durch die Uebersetzung unendlich abgeschwächte Macht und Gewalt der Worte, die mein Gemüth so tief ergriff, wie kein Eid, kein feierlicher Akt, keine Form der geheimnißvollsten Mysterien je auf Erden es gethan hatte. Es nahm mich keineswegs Wunder, daß Eveena unendlich tiefer bewegt war, es überraschte mich nicht, sie bei den Anfangsworten des Fluches erbeben zu fühlen und sie bei den Endstrophen mit Mühe an meinem Arme aufrecht erhalten zu müssen. Jetzt nahm Esmo das Armband von seinem Arme und bot das Siegel, das, wie ich jetzt erkannte im Kleinen die Symbole des Ordens wiederholte, uns zum Kuße. Nach einigen Minuten tiefsten, feierlichsten Schweigens erhob sich ein Anderer der Meister, und wandte sich zu Esmo und sprach:

»Der eben Eingeweihte hat in der Halle der Visionen eine so tiefe Erkenntniß unserer Symbole, des aus ihnen geschöpften Glaubens und Wissens gezeigt, wie er sie schwerlich in den wenigen Stunden, die Ihr mit ihm davon gesprochen habt, kennen lernen konnte. Er muß ein seltenes fast instinktives Verständniß für unsere Lehre besitzen, falls nicht der Menschheit seiner Welt gleiche Wahrheiten in ähnlichen Formen wie die unsern offenbart wurden. Wollet uns daher die Erlaubniß ertheilen, noch eine Frage, die tiefste und schwerste von allen ihm vorzulegen.«

Zur Antwort nickte Esmo einfach bejahend mit seinem Haupte.

»Könnt Ihr,« sagte der Redner, sich mit ausnehmender Höflichkeit zu mir wendend, »könnt Ihr Bedeutung und Lehre aus der sich selbst schlingenden Windung der Schlange entnehmen?«

Ueberflüssig erscheint es mir eine Antwort hier noch zu wiederholen, die einem Jeden, der mit der ältesten Sprache irdischer Symbolik vertraut, ebenso geläufig und bereit gewesen wäre wie mir selbst, die man aber Anderen, selbst wenn dieselben sie verstehen könnten, besser nicht erklärt. Die drei durch die doppeltgewundene Schlange versinnbildlichten Grundprinzipien religiösen Denkens sind dieselben auf dem Mars, wie auf der Erde und bestätigen insoweit die Lehre der Zinta, daß ihre symbolische Sprache keine willkürliche, sondern eine naturgemäße, nothwendige sei und auf den durch die Wechselwirkung und den Zusammenhang des Geistigen und Physischen bedingten Prinzipien beruht. Eine ähnliche, doch unbedeutendere Frage wurde Eveena von dem jüngeren Meister vorgelegt, der bewundernswerth geduldig, höflich und freundlich wartete, bis sie sich genügend erholt hatte, um ihm eine entsprechende Antwort geben zu können. Dann zogen wir uns zurück und nahmen fern von der Plattform und in einiger Entfernung von allen unsern Nachbarn Platz.

Auf eine feierliche Einladung hin erhob sich jetzt ein Bruder nach dem Anderen, jeder um einen kurzen Bericht über Untersuchungen und Entdeckungen in der Ordenswissenschaft zu verlesen. Die hier für ausgemachte Wahrheit geltenden Sätze übersteigen weitaus alle, selbst die wildesten Spekulationen des irdischen Mystizismus, und die als selbstverständliche Voraussetzungen betrachteten Kräfte übertreffen so unendlich selbst alle die Dinge, an welche bei uns nur die eifrigsten Anhänger von Mesmerismus, Geisterseherei und Spiritismus glauben, daß es mir kaum thunlich erscheint, die wenigen Experimente, deren ich mich entsinne, zu beschreiben.

Ich lauschte mit äußerster Spannung und erfuhr mit innerer Befriedigung, daß die einem jeden Bruder, selbst dem Niedrigsten, eigen seiende Macht weit größer war, als mir sie Esmo geschildert; ich lernte erkennen, daß wirklich nur die Zugehörigkeit zu diesem Bunde mir den einzigen wirksamen Schutz gegen all' die gewaltige Macht der Staatsoberhäupter zu bieten vermochte, von welchen ich mir das Eine zu meinem bittersten persönlichen Feinde gemacht hatte. Wenn man bedenkt, daß ein einziges Bataillon Martialischer Garden und eine einzige Batterie einer Waffe, die ich ihre Artillerie nennen möchte, im Stande wäre, selbst ohne Hilfe einer Ballonschwadron, eine ganze Armee europäischer geübter begeisterter Truppen in weniger denn einer halben Stunde völlig zu vernichten, wie groß muß dann nicht die Gewalt des Ordens erscheinen, wenn noch stets seit tausenden und abertausenden von Jahren der Martialische Staat sich sorgsam gehütet hat, den so wenig zahlreichen Gliedern dieses geheimen, doch unzweifelhaft ihnen verdächtig dünkenden Bundes feindlich entgegenzutreten.

Als schließlich die Reihe an mich kam, zu sprechen, forderte mich Esmo auf, Beliebiges von meiner Welt und meiner Reise zu erzählen. Offen und ehrlich erklärte ich den Versammelten, daß ich ihnen unmöglich die Herstellung und die Aktion der apergischen Kraft näher erläutern könnte oder dürfte. Ich glaubte einen Wink der Vorsehung darin zu erblicken, daß es den Gelehrten einer so hocherleuchteten Rasse nicht gelungen wäre, die Kraft zu entdecken, welche die gleichzeitige Kenntniß zweier getrennten Zweige des Wissens einigen wenigen Sterblichen meiner Welt offenbart hätte, und daß ihr eine Entdeckung vorenthalten ward, die in ihren Händen eine schwere Versuchung und eine Quelle zu unabsehbaren Uebels werden könnte. Diese meine Zurückhaltung war auch den Kindern des Sternes vollkommen verständlich, ja, hob mich selbst bedeutend in ihrer Achtung. Besonders ergriff mich das rückhaltslose Vertrauen, das mir wie etwas selbstverständliches bei meiner Berichterstattung entgegengebracht wurde, und dies um so mehr, da ich wußte, wie wenig der Martiale geneigt ist, Mittheilungen Glauben zu schenken, die in eigenen Angelegenheiten also vielleicht in eigenen Interessen ihm gegeben werden. Indeß die Zweltau dürfen Einander sicherer vertrauen als ein Sohn Mahomets seinem frömmsten Glaubensgenossen. Sie haben diesbezüglich in ihren Lehren ein Wort, das sich in den Arischen Sprachen vielleicht am besten mit dem Sprüchwort übersetzen ließe: »Der Lügner tödtet die Gans, die die goldenen Eier legt.« Ein anderer ihrer hierauf weisenden Sprüche lautet wie folgt: »Die Klinge treibt der Lügner in das Herz seines Freundes und legt das Heft in die Hand seines Feindes.« Indessen spricht ein anderes Maxim wiederum das Recht aus, ein Geheimniß gegen zudringliche Neugier durch Nothlüge schützen zu dürfen.

Dieses Wort lautet wie folgt: »Die Lüge ist ein Schild in der Noth und ein Speer in der Hand eines Wichtes.«

In Folge dessen legen auch die Zweltau nur selten und nur bei hochfeierlichen Ereignissen den Eid auf ihre Symbole ab; von jenen aber ward in den tausenden von Jahren nie einer gebrochen oder auch nur umgangen.

Vor Mitternacht entließ Esmo die Versammlung mit einem Spruch, der mir Worte, wie ich sie in meiner Kindheit vernommen, ins Gedächtniß zurückrief. Begreiflicherweise kann es in der Macht meiner Uebertragung nicht liegen, die eindrückliche Feierlichkeit der Worte wiederzugeben, welche der Ernst, mit dem sie gesprochen, die Ehrfurcht mit der sie gehört wurden, noch weitaus ergreifender machte, und tiefe Majestät wohnte dem unendlichen Alter der Liturgie inne, von welcher nie ein einziges Wort niedergeschrieben werden durfte. Wie es in gleicher Weise in diesen Hallen fünfhundert Generationen schon gethan hatten, so ward auch heute, um die Ordenssitzung zu beschließen, vom selben Ort und mit denselben Worten der einfach feierliche »Zelvakalfe« (Friedenswort) gesprochen.


»Friede mit Euch, nah' und fern,
Kinder von dem Silberstern,
Rein Gewissen, heiteres Leben,
Frohe Hoffnung, Muth zum Streben!
Bei dem ewigen Licht' ohn' Ende
Bei des Kreis gezogener Wende
Bei der Schlange ewigem Leben
Sei es fürder Euch gegeben: —
Frei von Unglück, Angst und Nöthen,
Fried' im Herzen, um zu beten,
Fried' von Kummer, Gram und Leid —
Friede mit Euch, Fried' und Freud'! —
Friede — bis zum Wiedersehn —
Bis vereinigt wir dann stehn —
Sei's vor diesem ird'schen schon —
Sei's vor des Allbeherrschers Thron!«


Ehe wir endgiltig schieden, gab mir Esmo einige Gegenstände, denen er besonderen Werth beilegte; der wichtigste bestand in einem würfelförmigen, aus einer Menge verschiedenfarbiger Fragmente zusammengesetzten, durchsichtigen Stein, welcher derart in eine kleine goldene Kapsel eingelassen war, daß ich ihn bequem als Berloque an meiner Uhrkette, dem einzigen irdischen Gegenstand, den ich noch trug, befestigen konnte.

»Dies hier,« sprach er zu mir, »wird Euch ein jedes Gift erkennen lassen, denn wißt, daß jedes Gift eine von den verschiedenartigen Substanzen dieses Steines entfärbt. Und Gift ist die Waffe, die am wahrscheinlichsten gegen Euch zur Verwendung kommen wird, wenn man erst weiß, daß Ihr zu mir in so naher Beziehung steht, und auch, wie ich hoffe, Euch die Gunst des Großherrn bald erworben haben werdet. Seid Ihr neugierig die Kraft des Steines zu erproben, so wird Euch der Inhalt des Medizinkästchens, das ich Euch gegeben habe, dies leicht ermöglichen, da beinahe jede jener Arzneien mit einem oder mehreren der stärksten Gifte untermischt ist. Ich brauche Euch wohl nicht erst zu warnen, vorsichtig zu sein, daß Niemand etwa Gelegenheit findet, sich in den Besitz dieser Gifte zu setzen. Wie Ihr mittels magnetischer Kombinationen diesen, sowie den übrigen Kasten öffnen müßt, habe ich Euch schon gezeigt. Der Kasten ist am schwierigsten zu öffnen und die dazu nothwendige Kombination der Magnete so komplizirt, daß Niemand sie durch Zufall finden kann. Auch keine rohe Kraft, keine Gewalt vermag den Kasten, den der elektrische Apparat geschlossen hat, zu öffnen, man müßte denn den ganzen Kasten und das Metall in Stücken schlagen. Zu diesem Zweck bedarf man aber ganz besonderer Instrumente und geht man dabei nicht äußerst vorsichtig zu Werke, würde man zweifellos gelähmt, verstümmelt oder auch getödtet werden von — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —


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Kapitel 14
Auf dem Meere

In der Frühe des nächsten Morgens, eine Stunde nach dem Aufgang der Sonne, begleitete uns Esmo, sein Sohn und unser hiesiger Wirth nach dem Schiffe, das uns für den zweiten längeren Theil unserer Reise aufnehmen sollte; dort wurden wir von einem Beamten des königlichen Hofes empfangen, der uns fortan bis zum Ende der Fahrt geleiten sollte. Von ihm, so versicherte mir Esmo, würde ich vollste Auskunft über alles Sehenswerthe und Wissenswerthe erhalten, und damit mir Nichts von Interesse entginge, sei derselbe angewiesen, mich auf bedeutendem Umwege nach dem Ziel der Reise zu fahren. Wir schifften uns auf einem von Ost nach West laufenden Meerbusen ein, der etwa mitten zwischen dem nördlichen Wendekreis und dem Polarkreise lag, und da in der nördlichen Hemisphäre augenblicklich Sommer war, so hatten wir die Aussicht, daß wir von dem Wechsel des Klimas nicht allzusehr leiden würden. Nachdem wir von unseren Freunden Abschied genommen, gingen wir in die für uns im vorderen Theile des Schiffes hergerichteten Räumlichkeiten hinab. Sie befanden sich, — es waren zwei geräumige nebeneinanderliegende Cajüten, — unmittelbar dem Maschinenraum in der Mitte des Schiffs gegenüber und waren mit dem erdenklich größten Luxus, allen nothwendigen Möbeln und einer großen Menge jener weichen, gestickten Kissen ausgestattet, mit welchen auf dem Mars so wie bei uns im Orient der hauptsächlichste Zimmerluxus getrieben wird. Der Beamte des Hofes bewohnte den Hintertheil des Schiffes, der genau wie der vordere Theil eingerichtet war, nur daß das erste der hier belegenen Zimmer dem allgemeinen Gebrauch diente und als Gesellschaftszimmer benützt ward.

Ich ließ Eveena jetzt für einen Augenblick allein und ging auf das Deck, um mir die Konstruktion des Schiffes zu betrachten, ehe es noch in See stach. Die ganze Länge desselben mochte wohl hundertundachtzig Fuß betragen und seine Tiefe vom Deck bis zu dem Kiel etwa die Hälfte seiner Breite, die Höhe der Cajüten acht, der Tiefgang aber schwerlich mehr denn vier Fuß, sobald nämlich das Schiff seine volle Ladung hatte. Die elektrische Maschinerie sog mit gewaltiger Kraft ganze Wasserströme ein, stieß sie dann wieder aus und trieb so das Schiff mit ungleich größerer Geschwindigkeit vorwärts, als die riesigsten Räder oder Schrauben es vermöchten. Zu gleicher Zeit pumpte sie jede, als Ballast dienende Wassermenge ein und aus, um durch die Schwere derselben das Schiff entweder in seiner Lage auf der Oberfläche zu erhalten oder es auch, so tief es dem Steuermann gut scheint, untersinken zu lassen. An beiden Enden befand sich eine Steuerschraube, die, einer Fischschwanzflosse nicht unähnlich, nach unten, nach oben und nach allen Seiten schlagen konnte, und dem entsprechend den Kurs bestimmte.

Ergimo, unser Begleiter, war ein noch junger Herr, jedoch von außerordentlichen Fähigkeiten und seltener Gelehrsamkeit. Er hatte viele Reisen unternommen und während längerer Zeit ein hohes Amt auf einem jener arktischen Continente verwaltet, welche nur von den Jägern bewohnt werden, die den Häuten und den Fellen der Thierwelt jener Länder nachstellen. Die Ufer des Busens, in welchem wir fuhren, waren hoch, felsig schroff und uninteressant, um so mehr, als man von dem Deck unsres Schiffs aus kaum irgend einen Gegenstand zu erkennen vermochte. Ich stimmte daher ohne Bedenken nach einigen Stunden der Fahrt dem Vorschlage bei, das Verdeck des Schiffes vollständig zu schließen und abzusperren und unter der Oberfläche des Wassers die Fahrt fortsetzen zu lassen. Dies war auch deshalb wünschenswerther, weil, wenn auch Orkane, wie ich schon sagte, selten sind, jene langen Seen mit ihren hohen Ufern dennoch von rauhen Winden oft genug heimgesucht werden, die immerhin eine Fahrt auf ihrer Oberfläche kaum angenehmer gestalten, als etwa eine Reise bei Durchschnittswetter im Biskayischen Busen.

Unten studirte ich jetzt eine Weile mit Ergimo's Hilfe das Arrangement der Maschinerie und ließ mir den einfachen Prozeß, wie die elektrische Kraft erzeugt wird, erklären und zeigen. In derselben Form behauptet man, alle die Kräfte, welche aufgesammelt sind in — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Eveena war zwar etwas bleich, doch erhob sie sich schnell und begrüßte mich mit einem Lächeln unverstellter Freude; sie war augenscheinlich freudig davon überrascht, daß ich mich mit ihrer Gesellschaft begnügte. Schnell verstrichen uns die Stunden, die hauptsächlich der Unterhaltung über die in der letzten Nacht empfangenen Lehren gewidmet waren, bis wir etwa gegen Mitte des Tages durch einen gewaltigen Stoß aufgeschreckt wurden, so daß ich glaubte, wir wären gestrandet oder auf einen Felsen aufgelaufen Doch als ich nach dem Maschinenraum ging, erfuhr ich von Ergimo, daß der Steuermann in keiner Weise einen Fehler begangen hatte; uns war nur eine jener kaum Gefahren zu nennenden Unannehmlichkeiten zugestoßen, wie sie den Gewässern des Mars eigentümlich sind, in denen noch viele vorsintfluthliche Thiere hausen, wie sie längst auf Erden ausgestorben sind. Eine wirklich mehr als hundert Fuß lange und acht Fuß dicke Seeschlange hatte unser Schiff angegriffen, die Steuerschraube erfaßt und suchte dieselbe zu zermalmen, wobei sie durch ihre ungeheure Kraft das Schiff völlig zum Stillstand brachte.

»Dieses Feindes wollen wir uns bald entledigen,« sprach Ergimo, als ich ihm nach dem Vordertheil folgte, um den Kampf mit dem Ungethüm durch eine in den Vorderpanzerplatten angebrachte Crystallscheibe zu beobachten. Ich war gespannt, welche Waffen man anwenden würde, denn des Alles rings um sich erstickenden Asphyriators konnte man sich doch kaum ohne große Gefahr für uns selber bedienen. Plötzlich sah ich, wie man einige mit einem korkähnlichen Materiale gefüllte Röhren, durch deren Mitte starke metallische Drähte von gewaltiger Leitungskraft liefen, in den Boden, die Planken und das Verdeck des Schiffes einfügte; hierauf gewahrte ich, wie man zwei oder drei derselben mit der elektrischen Maschinerie, die das Steuerruder bewegte, in Verbindung setzte und durch sie hindurch einen so mächtigen Strom entsandte, daß die Umhüllung der Drähte, trotz der großen Leitungsfähigkeit derselben, zu heiß wurde, um sie berühren zu können. Dann folgt ein seltsamer, halb gebrochener Aufschrei — und die Steuerschraube setzte sich wieder in Bewegung, zuerst allerdings nur langsam, bald aber immer schneller und schneller, bis sie uns endlich ganz von unserem Feinde befreite, dem sie eine Reihe furchtbarer Schläge versetzte, daß sie ihm die Rückenwirbel zerbrach und ihn so lähmte, wenn nicht gar tödtete.

Zu beiden Seiten unserer zwei größeren Cajüten und des Maschinenraumes waren kleine, kreisrunde Fenster eingesetzt, durch welche wir von Zeit zu Zeit die bemerkenswerthen Gegenstände in dem Wasser erblicken konnten. Wir fuhren jetzt an einem submarinen Riffe vorbei, das, nach Art unserer Corallenfelsen, jedoch nicht von Polypen sondern von Schalenfischen gebildet war, deren Schalen von etwa der halben Größe einer Auster, nach dem Tod der Thiere sich mit derselben Masse anfüllen, aus welcher ihre sechseckige Decke bestand, und so im Laufe der Jahrhunderte große, feste Riffe gebildet hatten. Eines derselben lief von einer Seite des Golfs bis zur andern, von der Tiefe des Wassers bis fünf Fuß an den Meeresspiegel heran und bildete so den Untergrund einer Brücke, auf dem dann Menschengeist und Menschenarbeit einen regelrechten Uebergang errichtet hatten. An den erforderlichen Stellen waren durch das mächtige Riff, in der gewöhnlichen Fahrtiefe von dreißig Fuß, einige Tunnel von ausreichender Größe gebohrt, um selbst das mächtigste Fahrzeug hindurch passiren zu lassen. Alle vier Stunden stiegen wir hinauf, um die Atmosphäre zu erneuern, so daß die Luft in unserem Schiffe weit reiner als die des Zwischendecks eines Atlantischen Postdampfers war, während in der kühlen Tiefe des Wassers die Temperatur durch die der elektrischen Maschinerie entströmende Wärme in angenehmer Höhe gehalten ward.

Am sechsten Tage erreichten wir einen Punkt, an welchem ein scharf hervorspringendes Vorgebirge die Wasser des Golfes von Serokasfe in zwei Arme theilt. Wir fuhren in den nördlicheren ein, der ungefähr fünfzehn Meilen breit war, stiegen auf die Oberfläche des Meeres hinauf und steuerten in einem Zickzackcourse von der einen Küste zu der andern, damit mir Gelegenheit geboten würde, den Charakter dieser merkwürdigen Meerenge eingehend kennen zu lernen. Von allen Seiten umringten das Wasser mindestens zweitausend Fuß hohe Berge, auf deren Höhe eine in den Felsen eingehauene Straße hinlief, während hier und da Tunnel durch den Felsen nach dem Hochplateau führten und die Verbindung von unten nach oben herstellten. Ganz wie bei uns auf der Erde trugen auch hier auf dem Mars die Bodenschichtungen einen verschiedenartigen Charakter, wie ich Gelegenheit fand zu bemerken. Keine einzige Schicht schien indessen von erheblicher Dicke, wohl aber erinnerten sie in ihrem Charakter an die Geologie unserer eigenen Erde. Die untersten Lagen trugen offenbar dasselbe Gepräge, wie bei uns die plutonischen Gesteine, und über jenen lagen andere den Kohlenschichten der Erde ähnelnde Massen, die auf eine vorzeitige Existenz einer gewaltiger entwickelten Vegetation, als wir sie heute kennen, hinwiesen, und mitten zwischen denselben befanden sich Lager von jenen submarinen Schalenfelsen, deren Formation ich bereits oben beschrieben. Höher hinauf lagen Schichten sintfluthlichen Kieses und über ihnen, in einer ungefähren Tiefe von vierhundert Fuß, felsige Massen, die augenscheinliche Spuren einer Eiszeit an sich trugen. Als wir uns dem unteren Ende des Golfes näherten, konnte ich, da die Ufer beständig niedriger wurden und schließlich kaum mehr als sechshundert Fuß den Spiegel des Meeres überragten, noch eine höhere sicher vierzig Ellen tiefe Lage unterscheiden, die über ihre ganze Ausdehnung hin Spuren menschlichen Lebens, ja Spuren einer gewissen Zivilisation zeigte, welche sicher auf ein zehn, zwanzig Jahrhundertfach längeres Dasein des Menschengeschlechts auf dem Mars, als bei uns auf der Erde, zu schließen berechtigte.

Um Mittag des siebenten Tages unserer Reise traten wir endlich in den Kanal ein, der den Arm unseres Golfes mit dem Meere der nördlichgemäßigten Zone verbindet. Derselbe mochte eine Breite von hundert bis zu dreihundert Ellen haben, die Bergwände zu seinen Seiten vierhundert bis sechshundert Fuß Höhe erreichen, sein Bett indeß nirgends die Tiefe von zwanzig Schuh übersteigen. Ergimo erklärte mir, daß man der großen Länge wegen hier keinen Tunnel gebohrt hätte, da die gewöhnliche Methode der Ventilation auf ihn sich schwerlich hätte anwenden lassen, ihn aber von oben durch die Höhe der Berge hindurch ventiliren zu wollen, wäre sicher eben so kostspielig zu stehen gekommen als der Bau des Kanals. Es schien nun zwar, als ob ein schmalerer Durchstich dieselben Dienste hätte leisten können und in der That war die jetzige Breite anfangs auch nicht geplant. Bald aber sah man ein, daß der Strom in einem schmaleren Bette zu reißend, ja gefährlich werden müßte, da der Spiegel der See hinter den Bergen einige Fuß höher, als das Wasser im Golf ist. Der Bau dieses Werkes hatte fünfzehn Martialische Jahre in Anspruch genommen, und war verhältnißmäßig noch neu, da er erst vor etwa achthundert Jahren eröffnet wurde. Obgleich, wie ich bereits erwähnte, die Tiefe desselben nur zwanzig Fuß betrug, war doch niemals seit seinem Bau die geringste Ausgabe zur Reinhaltung erforderlich gewesen, da die Strömung den Kanal vollständig auswusch. Bald fuhren wir in die eine wohl zwölf Meilen ins Land schneidende Bai der Nördlichen See ein, auf deren Spitze unser Kanal zulief. Die Bai war flach und kaum breiter, als der Kanal; die Strömung in derselben, die unserer Fahrt einen fühlbaren Widerstand entgegensetzte, überzeugte mich, daß der Kanal in keiner Weise zu breit gewesen war, ja, wäre er schmaler gewesen, bei der Stärke des Stromes völlig unpassirbar hätte sein müssen. — Wir durchfuhren unsere alte Richtung verfolgend die See und warfen kurz vor dem Untergang der Sonne unsere Anker aus, in dem Hafen der größten, etwa fünfzig Häuser zählenden und Askinta geheißenen Stadt des subarktischen Landgürtels.


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Kapitel 15
Martiale Jagdabenteuer

Ergimo ging ans Land, um dort die Arrangements für eine Jagd zu treffen, denn mich einer solchen beiwohnen zu lassen, war der Hauptgrund, aus welchem wir so weit von unserm eigentlichen Curse abgewichen waren.

Ich hoffte einen neuen Sport kennen zu lernen und machte mich auf ein Abenteuer von mindestens der Bedeutung eines Wallfischfangs in der BaffinsBay gefaßt. Der Schauplatz unserer Jagden lag höher nach Norden hinauf und war von Askinta durch einen Gebirgsstock, der indeß in einigen Stunden leicht zu überschreiten war, getrennt. Bis jetzt hatte ich Eveena noch nicht meine Absicht verrathen, sie etwa zwei Tage lang der Jagd wegen verlassen zu wollen. Während der ganzen laugen Reise war ich fast immer um sie gewesen und erst jetzt hatte ich sie vollkommen kennen gelernt; denn bis dahin waren wir doch einander fast nur Fremde gewesen. Endlich war es ihr gelungen, ihr schmerzlich schüchternes Wesen zu bannen, und als es ihr vollends klar ward, daß ihre Wünsche und ihre Gedanken auch wirklich mein Interesse erregten, gab sie sich mir ohne Scheu, so wie sie war, und offenbarte einen staunenswerthen Reichthum an Geist und Verstand, den ich von Tag zu Tag höher schätzen lernte. Mit einem Worte, ich hätte mir kaum eine wonnigere Gefährtin, als sie es war, wünschen können, und hätte ein lieberes Weib niemals zu finden vermocht. — Ich konnte ihr also unmöglich mein geplantes Abenteuer, wenn es auch tollkühn und zwecklos erscheinen mußte, verbergen, und als ich davon sprach, hörte sie es vor Schreck wie versteinert.

»Du mußt also meiner doch überdrüssig sein,« sagte sie endlich, »da Du aus bloßer Neugier und reinem Muthwillen Dich in so große Gefahr begeben willst.«

»Reiner Muthwille?« erwiderte ich, »soll ich etwa jetzt, da ich Dich besitze, und der Werth meines Lebens mir durch Dich erst recht klar wird, anfangen den Feigling zu spielen? Und dann erinnere Dich doch, daß ich dreifach die Stärke Eurer Jäger besitze!«

Aus ihrer Antwort ging es hervor, wie wenig aus ihren Worten Feigheit oder Weiberzagheit gesprochen hatte.

»So gehe denn!« sagte sie, »wenn Du durchaus gehen willst, aber nimm mich dann wenigstens mit Dir. Allein kann ich nimmer hier bleiben. Entsetzen müßte mich jeden Augenblick packen bei dem Gedanken, was Dir in der Ferne geschehen kann, und die Furcht Dich verwundet oder gar todt hereintragen zu sehen, würde mich zur Verzweiflung treiben.«

Durch die Selbstlosigkeit ihres Bangens gerührt, suchte ich sie durch Schmeichel- und Liebesworte zu beruhigen, indeß vermeinte sie darin Nachgiebigkeit zu erblicken, und als sie auf ihrem Wunsche bestand, wies ich sie endlich nach Männerart mit etwas gereiztem Tone zurück.

»Das ist Unverstand, Eveena! Du kannst zur Jagd mich nicht begleiten, und könntest Du es, so würde Deine Gegenwart die Gefahr für mich, wenn solche vorhanden wäre, zehnfach erhöhen. Der Gedanke, Dich auch in Gefahr zu wissen, müßte mich vollkommen entnerven und mir im Augenblicke der Noth die Geistesgegenwart rauben. Laß mich also ziehen und vertraue der Fügung des Schicksals; doch da höre ich Ergimo's Tritte auf dem Verdeck, ich werde zu ihm gehen, um zu erfahren, welche Arrangements er getroffen hat.«

Ergimo hatte keine großen Schwierigkeiten gefunden, die Erfüllung meiner Wünsche zu ermöglichen. Wir würden, so berichtete er mir, das Wild aus dem Wald, der unweit gelegen sei, auf die Ebene treiben, denn nur dort könnten wir unserer Beute habhaft werden. So würden wir uns etwa gegen die Mittagszeit, wenn wir genug von diesem Sporte gehabt hätten, in der Nähe eines Binnensees befinden, wo unserer für das Ende des Tages noch weitaus aufregendere Jagdabenteuer harrten. Im Falle es uns nicht gelänge, an einem Tage beide Züge zu Ende zu führen, wäre an der nördlichen Küste der See ein Bivouac geplant, um am folgenden Morgen unser Wasserwild verfolgen und noch vor Eintritt der Dunkelheit nach unserm Schiffe zurückkehren zu können.

Indeß Ergimo war mehr der Ansicht Eveena's, als der Meinigen.

»Ich fügte mich Euren Wünschen,« sprach er, »da mir der Camptâ befohlen hat, solches zu thun, zu gleicher Zeit halte ich es aber auch für meine Pflicht, Euch zu sagen, daß Ihr Euch in ungewöhnlich große Gefahren begebt, denn die Thiere, denen wir nachstellen werden, sind gefährlich und furchtbar. Zudem kennt Ihr unsere Jagdweise nicht, seid nicht vertraut mit unsern Waffen, und Ihr versteht es kaum den Caldecta zu lenken, kurz ich vermag es nicht zu fassen, was Euch dazu treibt, tödtliche Gefahren zu suchen, nur um ein Thun zu sehen, welches wir für das allerniedrigste halten.«

Ich stand im Begriff ihm energischeren Bescheid, als ich Eveena gegeben, zu ertheilen, als plötzlich ein Druck auf meinen Arm meine Augen nach einer andern Richtung ablenkte, und ich zu meinem größten Verdrusse Eveena selbst erblickte, die sich in ihrem Eifer, die Ansicht eines erfahrenen Jägers zu hören, auf das Verdeck geschlichen und dort die ganze Unterhaltung vernommen hatte. Ich war wirklich zu ärgerlich um Ergimo auf seine Argumente lange Antwort zu geben; ich sagte ihm also nur das einzige Wort: »Trotzdem werde ich gehen.« Ich war in der That zum ersten Mal mißmuthig über das Betragen meiner jungen Gemahlin, doch da ich meinen Unwillen in der Gegenwart eines Dritten nicht kundgeben wollte, so führte ich Eveena schleunigst nach unseren Cajüten zurück.

»Sage mir,« fragte ich sie, »was Du nach Euren Regeln von weiblichem Anstand und weiblichem Gehorsam verdient hast? Wie würde ein Mann Eures Volkes nach Euren Sitten ein Weib bestrafen, die ihm nachschleicht, um ein Gespräch anzuhören, das, wie sie weiß, für sie nicht bestimmt ist?«

Als Antwort warf sie ihren Schleier und Kopfputz zur Erde und stand demüthig und zerknirscht vor mir.

»Antworte, Kind!« wiederholte ich beinah schon begütigt durch den flehenden Blick ihrer Augen. »Was würde beispielsweise Dein Vater zu solchem Benehmen sagen?«

Sie schwieg noch immer, bis ein Druck meiner Hand sie den Muth finden ließ, ihre thränenfeuchten Augen aufzuschlagen und mir in die meinigen zu schauen.

»Nichts!« antwortete sie, zu meinem Erstaunen.

»Nichts?« fragte ich sie: »Willst Du sagen, Du hättest kein Unrecht gethan? Dann thäte es mir leid, Dich so heftig getadelt zu haben.«

»Das hieße lügen,« sagte sie halb unwillig, »hast Du mich denn aber nicht gefragt, was man mir  s a g e n  würde?«

Diese ausweichende Antwort verwunderte mich, indeß ich beschloß die Sache fallen zu lassen und erwiderte ihr: »Genug davon, doch thue es nicht wieder.« Dann verließ ich unsere Cajüte und schloß so laut und entschieden die Thür, daß es ihr klar werden mußte, wie wenig ich wünschte, sie dieselbe öffnen zu sehen.

Wir nahmen unser Frühstück am nächsten Tage zeitiger, als gewöhnlich ein. Meine junge Frau schwieg sichtbar voll Trauer und folgte still jeder meiner Bewegungen mit ihren thränenvollen Augen, so daß die Versuchung mich überkam, ihr zu Gefallen auf mein heutiges Abenteuer zu verzichten. Indeß ich ermannte mich bald und nahm, auf der Schwelle stehend, von ihr Abschied.

»Sei deß gewiß,« sagte ich ihr, »es wird mir gar Nichts geschehen, und sollte dennoch die Erinnerung, Dich unsanft angefahren zu haben, mir den Todeskampf verbittern —«

»Sprich nicht so grausam,« flüsterte sie, »ich hatte Deinen Tadel verdient; doch denke daran, daß, wenn Du zu Schaden kommst, Dein Tod auch mich tödten wird —«

»Beruhige Dich nur,« suchte ich sie zu trösten, »ich hoffe, gesund und munter heut Abend wiederzukehren und über Deine Angst mit Dir selber zu lachen.«

Hier unterbrach uns Ergimo. Er stand auf einer oberen Stufe der Treppe, die zum Verdeck hinausführte und sprach zu mir gewendet die offenbar für Eveena bestimmten Worte:

»Ich werde Mittag und Abend Depeschen über unser Ergehen hersenden. Im Uebrigen werde ich thun, was in meinen schwachen Kräften steht, Euch unversehrt zu erhalten; eine höhere Verpflichtung, denn selbst des Camptâs Befehl verbietet es mir, das Leben eines B r u d e r s zu gefährden.«

Das bedeutsame Wort ward so leise gesprochen, daß unsere Jagdgefährten unmöglich es hören konnten, doch Eveena hatte offenbar die Bedeutung desselben verstanden, und ich freute mich, daß dasselbe ihr Zuversicht und Vertrauen erweckte. Was mich persönlich betraf, war es mir allerdings nicht unangenehm mit einem Mann in nähere Beziehung zu treten, den ich anfing zu achten und liebzugewinnen, den Gefahren der Jagd gegenüber verließ ich mich aber ganz auf meine eigene Stärke und meine eigenen Muskeln. —

Unmittelbar vor der Stadt harrten unserer bereits einige zwanzig jener von Eveena schon beschriebenen Reitvögel, gesattelt, aber ungezäumt. Der Sitz des Reiters ist auf dem Rücken des Vogels, zwischen den Flügeln, und der Sattel bestand nur aus einer Art Gurt, an welchen ein Paar Steigbügel, ähnlich wie an einem Damensattel angebracht waren. Obgleich das Thier, welches mein ungewöhnlich schweres Gericht tragen sollte, das Stärkste von Allen war, beschlich mich dennoch die Angst, meinen Pegasus unter mir zusammenbrechen zu sehen. Jetzt, wie ich meine Blicke weiter umherschweifen ließ, bemerkte ich einen der Obhut eines Jägers anvertrauten Wagen, auf welchem ein Käfig mit etwa zwei Dutzend dunkel grünlichgrauer Vögel von der Größe einer Krähe mit den stechenden Augen und dem mächtigen Schnabel der Falken sich befanden. Diese Thiere waren dazu bestimmt, die Rolle unserer Hunde zu spielen, die Beute aufzuspüren und sie aus dem Dickicht in die offenen Felder zu treiben. Jetzt flogen unsere Reitvögel empor und trugen uns einige fünfzig Fuß über die Wipfel der Bäume in die Lüfte hinein, und hier übernahm der Oberste der Jäger die Führung unserer Gesellschaft. Er stellte sich vor die Front der langen Reihe, welche wir bildeten und beobachtete durch eine Art Fernglas die Falken, welche inzwischen freigelassen waren und sich unter uns in dem Walde befanden. Anfangs zerstreuten sich diese weit auseinander und kamen verhältnißmäßig sehr langsam vorwärts, natürlich stets von den Jägern gefolgt. Endlich aber rief ein scharfer Schrei eines der Vögel alle anderen zu sich heran, und bald belehrte uns das Rascheln der unsichtbaren Schaar in dem Walde, daß wir unser Wild aufgescheucht haben mußten, wenn wir dasselbe auch noch nicht erblicken konnten. Ergimo, der sich dicht an meiner Seite befand, erklärte mir, was dort unter uns vorging; auch ein gelegentlicher Blick durch die Bäume des Waldes sagte es mir, daß wir einen mächtigen Haufen großer weißhaariger oder weißgefiederter, etwa vier Fuß hoher Thiere verfolgten; doch ob es vierfüßige Thiere oder Vögel waren, konnte ich aus ihren Bewegungen nicht unterscheiden. Gehetzt und gescheucht von den Falken, jagten sie gerade auf die Ebene zu und brachen in etwa einer halben Stunde an zweihundert Ellen vor uns aus dem Dickicht heraus, und jetzt erst erkannte ich in den Thieren die seltsamen Thernee, die mir Eveena schon einmal beschrieben, und deren weiches Gefieder den Stoff zu dem Mantel geliefert hatte, den meine junge Frau auf dem Ausflug nach dem Astronauten getragen hatte. Ihre ganze Gestalt und besonders die Länge und graziöse Biegung des Halses verleitete instinktiv dazu, die Thiere für Vögel zu halten. Bei näherem Zuschauen fand man indessen, daß die Vorderglieder der seltsamen Wesen in keiner Weise einem Flügel, nicht einmal einem solchen der Fledermaus, sondern vielmehr auffallend den Vorderarmen der Paviane glichen.

Die Aufgabe der Jäger war es nicht, die Thiere aus der Ferne zu treffen, sondern sie aus der Nähe anzurennen, wobei uns die gewaltige Flügelkraft der Caldectas vortrefflich zu Statten kam. Die Jäger trennten sich jetzt, sie folgten den verschiedenen Bewegungen der Falken und trieben unsere Beute endlich in einen schmalen Engpaß hinein. Hier stellte sich der ganze gejagte und abgehetzte Trupp auf einen Ruf ihres Führers gleichsam in Schlachtordnung auf, deren instinktive Strategie einem indianischen oder afrikanischen Häuptlinge alle Ehre gemacht haben würde. Unsere Reitvögel kannten nur zu wohl die überlegenen Kräfte der Thernee und hüteten sich weislich, den kampfbereiten Feinden, die uns mit ausgespreitzten Vordergliedern und offenen Schnauzen erwarteten, zu nahe zu kommen. Dem Bisse der Thiere konnte man unschwer entgehen; weniger leicht war es indeß, sich aus dem Bereiche der mächtigen Vorderglieder zu halten, wenn man den Thieren den tödlichen Schlag gegen den Hals, selbst mit den langen, rapierartigen Waffen, die unsere Jäger trugen, versetzen wollte. Um wie viel schwerer also für mich, da ich mich meines kurzen, scharfen Schwertes bediente, das ich einer jeden anderen Waffe, mit der ich weniger vertraut war, vorgezogen hatte. Mir blieb in Folge dessen keine andere Wahl, als entweder auf die Hoffnung, das Gemetzel selbst mitmachen zu können, zu verzichten, oder aber es darauf ankommen zu lassen und mich den Thieren tollkühn zu nähern. Ich wählte die letztere Alternative und ging auf eines der Thiere los; es schlug so gewaltig mit seinem Vorderglied auf mein Schwert, daß der Schlag meine schwächeren Gefährten unfehlbar entwaffnet hätte. So aber lähmte der Streich nur das Glied selbst, das ihn ausgetheilt hatte. Hierauf begann das Thier einen hartnäckig verzweifelten Kampf mit dem andern Arme, bis ich endlich meinen Gegner erlegte, nicht so sehr durch meine eigene Geschicklichkeit, als Dank einem Schlage, den ihm der Caldecta mit seinem Schnabel auf den Hals versetzte. Einige zwanzig Thernee waren die Beute unserer aufregenden Jagd. Die todten Thiere wurden auf einen Wagen gelegt und die Falken, die ihre Dienste gethan, wieder in ihre Käfige eingesperrt. Wir stiegen jetzt von unseren Reitvögeln, um sie sich ein wenig verschnaufen zu lassen. Dann bestieg ich ein frisches Reitthier und erfuhr von Ergimo, daß wir im Begriff stünden, jetzt einen anderen, weit gefährlicheren Kampf zu bestehen. Ich hörte nicht auf den gutgemeinten Rath Ergimos, von diesem Kampfe abzustehen, und folgte der für diesen Jagdzug bestimmten kleineren Gesellschaft. Wir flogen in nicht allzu großer Höhe vom Boden über das Land hin, wobei wir unsere Thiere hin und wieder mit einem elektrischen Schlage durch das Heft unseres Schwertes anspornten, während ein Druck auf die Flügel sie zum Anhalten brachte und ein Druck auf die eine Seite des Halses genügte, sie beliebig zu lenken. Ich fand hierbei Zeit und Muße zur Unterhaltung und fragte jetzt Ergimo, warum man die Thernee nicht lieber erschieße, anstatt sie zu Tode zu jagen.

»Wir haben,« erwiderte er, »nur zwei Waffen, die in der Entfernung wirken. Der Asphyriator aber ist bedeutend zu schwer für solche Jagdzwecke, dann wird auch durch seine Wirkung Alles in der unmittelbaren Nähe der Explosion derart beschädigt, daß die Felle der Thiere, von deren Güte der Werth unserer Beute abhängt, völlig unbrauchbar würden. Und unsere zweite, weit passendere wenn auch schwächere Waffe hat wieder einen andern Nachtheil. Sie würde, da sie nur aus der Nähe abgefeuert werden kann, ein Fell, welches so fein und zart ist, wie das der Thernee, versengen; und dann erschreckt sie den Caldeceta so sehr, daß er kaum noch zu zügeln wäre. Aus diesem Grunde steigen wir auch, wie Ihr es sehen werdet, vor dem Gebrauch der Waffe von den Thieren ab. Ich hätte Euch gern diese Mordyta gegeben, denn wenn Ihr mit absteigt, um an dem Hauptangriff Theil zu nehmen, wird eine gute Waffe Euch nothwendig sein. Indeß ich bitte Euch, nicht abzusteigen.«

Während er noch sprach, waren wir in die Nähe unserer neuen Beute gekommen. Es war großes, ein gewaltiges Thier, von vier Fuß Schulterhöhe und sechs Fuß Länge vom Kopf bis zum Schwanze, an dessen Ende es, wie man es einst von unserem Löwen gefabelt hatte, eine starke Klaue trug, um Jeden von der Seite oder von hinten kommenden Feind mit einem Streich seines Schweifes niederzuschmettern. Sein langhaariges, wunderbar weiches Fell war auf einer Art silbergrauem Grund braun und gelblich gestreift; sein Haupt erinnerte an den Kopf eines Löwen, doch hatte es keine Mähne und lief spitz zu, sich zu einer Schnauze verlängernd, die derjenigen des wilden Ebers nicht unähnlich sah. Seine Beine aber glichen weder jenen unseres Katzengeschlechts, noch ähnelten sie irgend einem anderen irdischen Typus. Von seinen oberen Kinnbacken aus drohten zwei mächtige Hauer. Kurz es war ein gewaltiges Thier, das zum Glück nicht die Behendigkeit unseres Katzengeschlechtes besaß. Zwei jener Bestien, sagte man, lägen in den Dschungeln, die dicht vor uns waren. Jetzt stiegen die Jäger und Ergimo von ihren Vögeln ab, drehten dieselben mit ihren Köpfen nach der anderen Himmelsrichtung herum, und gingen etwa zweihundert Ellen vorwärts. Ich selbst fand erhebliche Mühe, dem klugen Thiere begreiflich zu machen, welches mich trug, daß es mich herunter lassen sollte, und war noch hoch in der Luft, als eine der Bestien aus ihrem Versteck hervorbrach. Der ihr nächststehende Jäger hob eine Art glänzenden Metallstabes empor und richtete ihn auf das Ungethüm; ein Blitzstrahl schoß durch die Luft, und das Thier wälzte sich auf dem Boden. Ein anderer ähnlicher Blitz folgte dem Ersten aus der Hand eines anderen Jägers; nun aber konnte ich meinen Vogel nicht mehr halten, er ging mit mir durch und was jetzt geschah, erfuhr ich später erst aus Ergimo's Munde.

Kein einziger von den beiden Schüssen hatte das Thier verwundet, und nur der Erstere, welcher noch an ihm vorbeiging, hatte es momentan betäubt und niedergeworfen. Jetzt warf es sich auf die Jäger, die nach allen Richtungen auseinander flohen. Endlich gelang es das Ungethüm, da von allen Seiten neue Blitzladungen auf dasselbe entsandt wurden, tödtlich zu treffen, worauf sich die Jäger schleunigst vom Kampfplatz entfernten und sich auf die Suche nach ihren Vögeln, die vor Angst ziemlich weit fortgelaufen waren, begaben. Inzwischen hatte mich aber mein eigener Pegasus auf den Boden geworfen, etwa zweihundert Ellen von den Dschungeln, doch glücklicherweise weiter entfernt von der sterbenden, aber noch immer nicht kraftlosen Bestie. Jetzt kam aus dem Dickicht die Gefährtin des Thieres heraus und leckte die Wunden des Sterbenden, bis dasselbe verendet war. Unterdessen hatte auch ich mein Bewußtsein wiedergefunden, dessen mich der jähe Fall von dem Vogel beraubt hatte, und fühlte, als ich meine Lage überschaute, unwillkürlich nach meiner Repetirbüchse, die glücklicherweise noch um meinen Rücken hing. Ich hatte kaum die Zeit zu laden und zu zielen, als auch schon das Ungethüm meiner ansichtig ward und sich auf mich mit der rasenden Schnelle eines wüthigen Elephanten losstürzte. Rasch feuerte ich nach ihm einige Schüsse ab; ich war mir gewiß, daß der eine wenigstens das Thier getroffen haben mußte, um so mehr nahm es mich Wunder, daß jeder Schuß dasselbe nur einen Moment lang aufzuhalten vermochte. Schon war es so nah, daß ich mit Zuversicht nach dem Auge zielen durfte; ich richtete ruhig und fest den Lauf meiner Büchse nach den funkelnden Augen der Bestie und feuerte drei oder vier Schüsse gegen sie ab. Einem jeden folgte ein wildes Gebrüll der Wuth und des Schmerzes, und mit neuen Kräften kam jedesmal das Thier näher und näher auf mich losgestürzt. Jetzt gab ich meinen letzten Schuß ab; das Ungethüm war mir bereits auf zwanzig Ellen nahe gekommen, und plötzlich wurde ich, ehe ich noch mein Schwert ziehen konnte, mit so rasender Gewalt zu Boden geworfen, daß ich von neuem meiner Sinne ohnmächtig ward.

Als ich wieder zu mir kam, kniete Ergimo an meiner Seite und tröpfelte mir den Inhalt einer kleinen Phiole in den Mund, und wie ich mein Haupt erhob und um mich blickte, sah ich den massigen Körper des verwundeten Thieres, unter welchem ich halbtodt hervorgezogen war, fast neben mir liegen. Ich hatte mit meinen Kugeln das eine Auge des Ungethüms mitten durchbohrt, das andere schwer verwundet. Drei Kugeln waren bis in das Gehirn eingedrungen, und doch hatte der Kargynda noch die Kräfte besessen, sich mit so gewaltiger Wucht auf mich zu werfen, daß ich es noch heute nicht verstehe, wie ich mit heilen Gliedern davonkam. Ehe ich mich noch erhob, hatte Ergimo bereits entschiedenen Befehl ertheilt, jedes fernere Rencontre zu vermeiden. Er müßte, erklärte er, seinem Souverän für mein Leben stehen und könnte nach so bitterer Lehre es nicht verantworten, mich neuen Gefahren auszusetzen. Der Camptâ habe ihn beauftragt, mich zu ihm zu geleiten, käme ich aber als Krüppel, oder gar als Leiche an den Hof, so würde das kaum als eine ausreichende Erfüllung dieses Befehles des Großherrn anzusehen sein, und für ihn, Ergimo, die ernstesten Folgen haben. Ein Widerspruch meinerseits war unmöglich, denn als ich versuchte, mich aufzurichten, merkte ich, daß ich nicht einmal stehen, viel weniger den Caldecta besteigen und eine Waffe handhaben konnte. Ich wurde also in eine Art Sänfte gelegt und auf einem Wagen, der unsere Beute hatte fortschaffen sollen, nach Hause befördert.

Es traf mich schmerzlich, als wir uns dem Landungsplatz näherten, auf dem Verdeck unseres Schiffes eine verschleierte, weibliche Gestalt zu erblicken. Eveena hatte unsere Rückkehr bemerkt und schloß aus dem frühen Ende der Jagd auf einen ernstlichen Unfall. Glücklicherweise gelang es mir, die gewöhnliche Haltung einzunehmen, ehe sie mich auf dem Wagen liegend erblickt haben konnte. Dennoch konnte ich ihr, trotz aller Mühen, gerade und ohne Hülfe aufrecht einherzuschreiten mein Mißgeschick nicht ganz verbergen. Ruhig und still sah sie zu, als der Arzt der Jäger meine Wunden und Quetschungen verband und achtete sorgsam darauf, wie die Bandagen angelegt wurden. Erst als wir allein gelassen waren, machte sie ihrer Angst und Aufregung Luft; sie konnte anfangs durchaus nicht glauben, daß die schwarzen Beulen und breiten Schmarren so völlig ungefährlich und harmlos wären. Als sie dann aber sah, daß ich reden und lachen konnte wie gewöhnlich, war sie unermüdlich in ihrem Bemühen, mir das Versprechen abzuschmeicheln, nie mehr mein Leben so leichtsinnig zu wagen, so daß es mir thatsächlich schwer wurde, auf ihre dringenden Bitten ausweichende Antwort zu geben. Nur der entschiedenen Aufforderung, dies Thema ein für allemal fallen zu lassen, gelang es, mir endlich Ruhe zu verschaffen, ohne daß ich genöthigt war, meine Freiheit zu opfern.


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ENDE DES ZWEITEN BANDES.


DRITTER BAND


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Kapitel 16
Unruhige Wasser

Wir befanden uns jetzt unter dem 57sten Grad nördlich martialischer Breite, in einem verhältnißmäßig offenen Theile der schmalen See, welche den nördlichen Landgürtel umschließt. Südostwärts lag der einzige Kanal, durch welchen jene See mit dem Hauptozean der nördlichen Hemisphäre in Verbindung steht. Diesen fuhren wir von jetzt ab entlang. Gegen Ergimo's Rath bestand ich darauf, da die See erträglich ruhig war, auf der Oberfläche zu verbleiben, um so mehr, da auch Eveena mit ihrer gewohnten Willfährigkeit die freie Luft und das Licht des langen Tages vorzuziehen behauptete. Ergimo, der längere Zeit Befehlshaber der Jäger des Polarmeeres gewesen war, litt so wenig wie ich von der Seekrankheit; indeß erfuhr ich zu meiner Ueberraschung, daß die Mannschaft des Schiffes an lange Fahrt auf der Oberfläche nicht gewohnt wäre und deshalb bei unruhiger See dienstuntüchtig werden würde, ich willigte daher wohl oder übel ein, wenigstens des Nachts unter Wasser zu fahren.

Ich bemerkte bereits, das Stürme und Orkane hier seltene Erscheinungen sind; indeß bringt auf den langen und schmalen Martialischen Meeren eine starke Solarbewegung von Norden nach Süden so starke atmosphärische und ozeanische Strömungen hervor, daß diese bei schwächerem Winde einen sehr unangenehmen Seegang verursachen, und als wir den Wendekreis passirten, ward unsere Fahrt bedeutend unangenehmer, als eine bei der gewöhnlichen schlechten Witterung unternommene Ueberfahrt über die Enge von Dover. Nachdem Eveena dies zwei oder drei Stunden ausgehalten hatte, schlich sie sich fort von dem Sitze, den sie zu meiner Seite bisher eingenommen hatte, und begab sich nach unten.

Seit wir Askinta verlassen hatten, war Eveena's Betragen und Benehmen merkwürdig verändert und launisch; bald war sie lebhaft, ja sogar lustig, dann wieder traurig, gedrückt und still über ihre Gewohnheit. Indeß nahm ich, an die Launenhaftigkeit der Weiber auf Erden gewohnt, anfänglich gar keine Notiz. Heute aber war sie mir noch reizbarer und blasser als bisher vorgekommen; ich folgte ihr daher, als sie nicht wiederkam, in unsere Kajüte, nachdem ich zuvor unsern Steuermann angewiesen hatte, die Fahrt unter Wasser fortzusetzen.

Ich fand Eveena ihren Rücken dem Eingange zukehrend, und eben einen Becher an die Lippen führend. Sie bemerkte meine Gegenwart erst, als ich mich ihr auf Armeslänge genähert hatte; dann fuhr sie tief erschreckt zusammen und ward leichenblaß.

»Es thut mir leid, daß ich Dich erschreckt habe,« sagte ich, »Du bist gewiß nicht wohl, sonst wärest Du doch nicht so schreckhaft.«

Ich legte bei diesen Worten meine Hand auf ihre seidenweichen Flechten, sie aber suchte sich mir zu entziehen und fiel nieder auf die Kissen. Da mich selber dürstete, nahm ich den halbvollen Becher, der ihren Händen entglitten war, und führte ihn an meine Lippen, doch ehe ich noch den Inhalt gekostet, vernahm ich einen halb erstickten Schrei des Schreckens, zugleich aber auch erkannte ich den Inhalt des Bechers an seinem Geruche als den »Muthtrank«, den wir beide an unserm Hochzeitsabend mit solchem Widerstreben genossen hatten. Unwillkürlich benetzte ich mit einem Tropfen des Inhalts meinen Giftprobirstein, den ich immer noch an meiner Uhrkette trug, und in der That trat unverzüglich diejenige lokale Entfärbung desselben ein, die das Vorhandensein des dem »Muthtrank« eigentümlichen narkotischen Giftes in dem Getränk erkennen ließ.

»Ich halte das für nicht sehr weise, mein Kind,« sprach ich, mich zu Eveena hinwendend, die in den Kissen in verzweiflungsvoller Haltung den Kopf auf die Kniee gebeugt dalag und ihr Gesicht mit den Händen bedeckte.

»Es ist sehr unrecht von mir,« schluchzte sie, »ich darf Dich gar nicht bitten es mir zu vergeben.«

»Vergeben? Was denn vergeben, mein Kind! Du bist wirklich krank, Eveena! Beruhige Dich, rege Dich nicht mit noch mehr Sprechen auf.«

»Nein, nein, ich bin nicht krank,« versicherte sie, indem sie sich meinem Arme zu entwinden suchte, »indeß —« In meinen Händen aber war sie kraftlos wie ein Kind. Ich ließ sie nicht weiter sprechen, sondern ergriff ihre beiden Hände in meiner Rechten und fragte:

»Was ängstigt Dich so sehr, mein Kind? Ich verspreche Dir, ich will kein einziges böses Wort sagen, nur möchte ich wissen, weshalb Du Dir solche Vorwürfe machen zu müssen glaubst?«

»Oh, Du mußt ja zürnen,« beharrte sie, »Du mußt ja zürnen, wenn Du erfährst, was ich gethan habe. Ich habe den Charny getrunken, den ich vor jener Nacht niemals gekostet hatte und nie wieder hätte kosten sollen. Du kannst mir unmöglich vergeben —«

Diese unzusammenhängenden Worte erklärten mir endlich die Bedeutung ihrer Verzweiflung und Reue. Ich möchte bezweifeln, ob selbst die bravste Frau unserer Erde so lebhafte innige Reue empfinden würde, selbst wenn sie sich eines schwereren Vergehens schuldig gemacht hätte, als es der heimliche Genuß eines Reizmittels wie das Charny ist, der auf dem Mars ungefähr ein Aequivalent für Alkohol auf der Erde ist. Indeß gerade wie auch bei uns das, was dem einen Geschlechte ohne Zweifel und Frage für erlaubt gilt, dem andern durch Herkommen und Sitte streng verboten ist, so ist auch hier auf dem Mars der Genuß des Charny den Männern ohne Beschränkung gestattet, während das Weib, das sich jenem Genusse hingeben wollte, dem Schimpf nicht entginge, den etwa heimlicher Branntweingenuß über ihre irdische Schwester bringen würde.

Während ich noch zögerte zu sprechen, fühlte plötzlich meine Linke durch Zufall einen in dem Gürtel meiner jungen Frau verborgenen Gegenstand; ich zog ihn hervor und sah, daß die kleine noch dreiviertel volle Phiole aus meinem Medizinkästchen genommen sein mußte. Als ich diese in der Hand hielt und mich fragenden Blickes zu Eveena wandte, wiederholte sie: »Strafe mich, doch frage mich nicht!«

»Mein Liebling,« erwiderte ich, »Du bist schon weit mehr bestraft, als Du es verdienst. Doch wie bist Du hierzu gekommen?«

Sie machte ihre Hände frei und zog aus den Falten ihres Kleides die elektrischen Schlüssel hervor, welche durch verschiedene Kombinationen alle meine Kästen, die sich nie durch Gewalt öffnen ließen, erschlossen.

»Ja, ich erinnere mich, Du warst damals überrascht, daß ich dieselben Dir anvertraute. Und jetzt meinst Du, ich könnte glauben, Du hättest mich betrogen und hintergangen, um dieses Trankes willen, den Du noch vor zwölf Tagen eben so sehr verabscheutest, wie ich selbst es that.«

»So ist's!« Sie sprach die Worte mit niedergeschlagenen Augen mit leisem, zauderndem Ton, wie ein Bekenntniß schwerer Verschuldung.

»Du wußtest aber doch, Eveena, daß es mir nicht lange verborgen bleiben konnte.«

»Ich wollte auch entdeckt werden,« unterbrach sie mich, »doch noch nicht jetzt.«

Plötzlich fuhr sie erschreckt auf, sie fürchtete, daß sie hierdurch das Motiv ihres Thuns verrathen hätte, denn die Worte, welche ihr eine Treulosigkeit gegen mich vorzuwerfen schienen, hatte sie nicht ertragen können, sie wollte jetzt die unbedachte Aeußerung widerrufen, aber ich schnitt ihr das Wort ab —

»Ich verstehe schon, doch warum so heimlich? Meinst Du, ich hätte Dir nicht das ganze Kästchen zur Verfügung gestellt, ohne Dich weiter nach Deinen Absichten zu fragen?«

»Ist das wahr? Vertraust Du mir so sehr?«

»Aber Kind! Ist es denn schwer da zu vertrauen, wo keine Versuchung, Unrecht zu thun, sein kann? Glaubst Du denn, ich hätte je an Dir gezweifelt, selbst heute, wo Du Dich selbst so heftig anklagtest? Den Grund Deines Thuns kann ich zwar noch nicht errathen, indeß Deiner Treue halte ich mich sicher. Da nimm die Schlüssel, nimm die Phiole zurück, nimm selbst den Probirstein!«

Sie brach in lautes heftiges Schluchzen aus.

»Hätte ich,« rief sie, »hätte ich ahnen können, daß Deine Geduld mit mir so groß ist, ich hätte es nie gethan. Laß mich Dir sagen, was ich Dir verheimlichen wollte. Mir wurde unwohl, weil Du immer auf der Oberfläche fuhrest, und da —«

»Aber Eveena, wenn Dir diese Arznei, dieser widerliche Trank, besser als die Seekrankheit erschien, warum batest Du mich nicht offen und ehrlich um denselben?«

»Nicht doch —: Ich wollte Dir ja gerade meinen Zustand verbergen!«

»Kind, Kind!« erwiderte ich, »uns Beiden solchen Schmerz zu bereiten!?«

»Ich weiß es ja, Du hättest mir den Trank nicht gegeben. Du hättest sofort die Oberfläche des Meeres verlassen, und ich kann und will nicht Dir immer hinderlich sein, Dir, Deinem Vergnügen und Deinen Beobachtungen. Du bist aus einer anderen größeren Welt, die in ihrer unendlichen Ferne von hier wie ein Lichtpunkt erscheint, durch unsagbare Schrecken und Gefahren zu uns gekommen um unsere Welt zu studiren. Und sollst Du nun etwa Dinge ungesehen oder halbgesehen lassen, nur weil ein Mädchen die See nicht verträgt? Wie könnte ich Dir solche Bürde sein wollen? Du vertraust mir, ja, und ich glaube, Du liebst mich,« fügte sie erröthend hinzu, »zwölffach mehr als ich es um Dich verdient habe, und doch hältst Du mich für unwürdig, auch nur das geringste Interesse an Deinem Werke nehmen zu dürfen, und wenn es sein muß, auch einmal darunter zu leiden. Und doch, wie gerne möchte ich,« fuhr sie leidenschaftlich erregt fort, »wie gerne will ich tagelang allein sein, nur damit es Dir gelingt, Deine Aufgabe völlig zu lösen.«

Bei diesen Worten bemerkte sie, daß wir jetzt wieder unten in der Tiefe des Meeres fuhren. Auf ihre Vorstellungen, welche sie mir diesbezüglich machte, erwiderte ich —

»Nein, nein, ich habe für jetzt Alles gesehen, aber für die Folge werde ich Dich jedesmal bitten, so oft sich die Gelegenheit bietet, Dich meinetwegen auch etwaigen Unannehmlichkeiten zu unterziehen, und mir auch Deine Hilfe zu Theil werden zu lassen, wenn ich der Meinung sein werde, daß der Gegenstand so großer Mühen werth ist.«

»Wie, ich könnte Dir helfen?«

»Gewiß, meine liebe Eveena, in mancher Hinsicht. Du wirst mit der Zeit einsehen lernen, was ich hier besonders zu untersuchen wünsche. Du wirst auch bald die Instrumente, deren ich mich bediene, anzuwenden verstehen und dann die liebste, die beste und nützlichste Gefährtin mir werden.«

Wie ich so sprach, stieg eine sanfte Röthe in ihr Gesicht und ihre Augen erglänzten vor Glück und vor Freude. Die Gefährtin meiner Gefahren und Abenteuer, die Gehülfin bei der Arbeit, und Warnerin in der Noth werden zu sollen, das war ein Glück, das sie ersehnte, und etwas Köstlicheres hätte ich ihr nicht zu gewähren vermocht. Wenn ich nur mein Versprechen besser erfüllt hätte — — —

Jetzt aber lachte sie wieder, mit ihrem süßen, silbernen Lachen, wie ich nie ein ähnliches auf der Erde gehört habe. Die süßeste Erinnerung, die ich mit mir von jener Welt fortnehme, ist die Erinnerung an dieses silberne Lachen, das ich zum ersten Mal an unserem Hochzeitsmorgen, zum letzten Male an dem Tage vernahm, welcher uns trennte. Die Erinnerung an dies frohe Lachen ward mir zum Trost in meinem Elend und giebt mir die Hoffnung, daß die kurzen Tage, die mein junges Weib mit mir gelebt, ihr trotz der vielen bitteren Stunden doch nicht ganz unglückliche waren.

Erst unter dem neunten Grad südlicher Breite traten wir in den offnen Ozean ein, wo beim Fehlen der die schmalen Wasserstraßen so unangenehm machenden Strömungen und Gegenströmungen der Seegang verhältnißmäßig ruhig war. Ich bat daher Ergimo, das Schiff einige Stunden lang auf den Spiegel des Meeres steigen zu lassen, um die seltsame Insel, die ich schon bei meiner Ankunft auf dem Planeten von ferne gesehen hatte, näher beobachten zu können. Die Insel steigt, wie ich bald mich selbst überzeugte, stark aus dem Meere auf, und ihr Gipfel ist absolut unnahbar, höchstens mit Ballons zu erreichen. Unzählbare Massen von weißen, in Gestalt eher den Reihern als den Eidergänsen ähnelnden Vögeln bevölkern dieselbe. Sie zählten gewiß nach Millionen und hausen in einem jeden Winkel, jeder Ecke, jeder Spalte der im Umfang drei Stunden weit sich erstreckenden Felsufer der Insel. Ein jedes der Nester, etwa von der Größe eines Storchnestes, ist aus einem Gallert von Fischgräten, dem Excement jener Vögel, gebildet und beinahe so weiß, wie die Farbe ihrer weißen Einwohner selber. Derartige frische Nester gelten hier auf dem Mars, in warmem Wasser aufgelöst und gesotten, für eine Delikatesse und reizen den Gaumen der Marsbewohner nicht weniger, als die berühmte Vogelnestersuppe den der Chinesen. Ob jene weiße Farbe der Insel, die sich selbst von der Erde aus durch ein starkes Teleskop deutlich wahrnehmen läßt, in irgend welcher Weise von der Weiße der Vögel und ihre Nester bedingt, oder nur der starken Reflektion des Sonnenlichtes von der hellen Oberfläche des Felsens selbst zuzuschreiben ist, gelang mir nicht mit Gewißheit zu bestimmen. Von jetzt ab nahmen wir unseren Kurs südwestwärts und fuhren bald darauf in den nördlichen der beiden vollständig gleichgestaltenen Golfe ein, welche durch einen Isthmus und eine Halbinsel, die auf der Karte etwa das Bild eines gigantischen Hammers bieten, getrennt sind. Die Straße, welche zu einem jeden Golf führt, ist an hundert Meilen lang und zehn Meilen breit; der Golf aber selbst, wenn anders ich das Wasser nicht füglicher einen Binnensee nennen müßte, bedeckt eine Fläche von nahe an 100,000 Quadratmeilen. Der Isthmus, der wiederum etwa 200 Meilen lang und 50 Meilen breit ist, endigt in eine Halbinsel von nahezu viereckiger Gestalt, die über ihre ganze Ausdehnung hin ein Hochplateau von einer Höhe von mindestens 5000 Fuß über dem Meeresspiegel bildet. An der schmalsten Stelle des Isthmus, da wo er sich an das Hauptland anschließt, liegt die große Stadt Amâkasfe, der natürliche Mittelpunkt des Martialen Lebens und Handelverkehrs. Hier erwartete uns ein Ballon, der uns an den Hof des Großherrn bringen sollte. Der fischgestaltete Ballon ruhte auf einem leichten, aber starken metallischen Gestell, an welchem zu gleicher Zeit das Fahrzeug selber angebracht war. Dieses hatte eine dem Ballon nicht unähnliche Gestalt, war etwa zwölf Fuß lang und sechs Fuß tief, und mit Seitenwänden ausgestattet, die, da sie oben etwa in Kopfhöhe an einzelnen Stellen durchbrochen waren, für den Reisenden freie Umschau gestatteten. Eveena schauderte beim Anblick dieses Luftgefährtes, doch stieg sie ohne ein Wort der Furcht zu sagen, ein, nur sah ich sie den Schleier so um ihr Haupt legen, daß sie, als das Signal zum Aufsteigen gegeben ward, nicht durch ihn sehen konnte. Sie merkte in Folge dessen nichts von dem rapiden Auffliegen, welches in mir die Sinnestäuschung erweckte, wie wenn der Boden plötzlich von uns in rasender Geschwindigkeit nach unten fiele. Wie groß war daher ihr Erstaunen, als ich die Falten ihres Schleiers lüftete und sie sich in den Lüften hoch über Stadt und Land und See erblickte. Ein NordWestwind trieb uns mit einer Geschwindigkeit von zwölf Meilen in der Stunde vorwärts, unterstützt durch kleine vorn angebrachte Segel aus einem dünnen Metalle, die mit einer schraubenähnlichen und so rapiden Bewegung arbeiten, daß man vermeinte, sie ständen völlig still. Man glaubte nur eine einzige Scheibe zu erblicken, welche die Strahlen der augenblicklich fast gerade über unseren Köpfen scheinenden Sonne reflektirte. Gegen Abend ward die Residenz am nordwestlichen Horizonte sichtbar Sie war auf einem etwa 400 Fuß über dem Meeresspiegel hohen Plateau erbaut, das sanft und fast unmerklich nach allen Seiten sich abdachte. Rund um sie herum befand sich ein weiter Park mit Bäumen jeder Art und des verschiedenfachsten Laubes, vom dunkelgrünsten bis zu dem hellsten gelben Blätterschmuck, zu welcher andere, kaum weniger mächtige Stämme seltsam kontrastirten, die von dem Boden bis zum Wipfel ein buntes, gelbes, smaragdgrünes, hochrothes und weißes Kleid von Blüthen und Blumen der Schlingpflanzen trugen. In gleichem Farbenschmuck prangte auch der Rasen, auf welchem unzählige Blumenbeete von jeder Form und Größe sich abhoben. Das Schloß selbst war nur niedrig und nirgends höher als zwei Stock. Ergimo zeigte mir den Flügel, der für des Fürsten eigenen Haushalt eingerichtet war und fügte zur Erklärung bei, daß in den anderen Theilen die Höflinge und Hofbeamten wohnten. Wir landeten gerade noch vor dem Sinken des Abendnebels am Fuße eines sanft ansteigenden Weges, der zu dem Haupteingange des Palastes führte.


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Kapitel 17
Vorstellung bei Hofe

Eveena an der Hand führend — nach europäischer Weise am Arm geführt zu werden, schien ihr immer beschwerlich — und von Ergimo geleitet, schritt ich bis an das geschlossene Thor aus gelbem Crystall, das von der smaragdgrünen Farbe der äußeren Mauern wunderbar abstach. Vor der Front dieses mittleren Theiles der Residenz befand sich eine Art von Veranda, welche mit einem glänzenden, rothen Metalle bedeckte Pfeiler trugen, die wie rohe Baumstämme aussahen, an denen sich goldene Schlinggewächse mit silbernen Blüthen emporrankten. Hierunter, und zwar vor dem Thorwege selbst, standen zwei Wachen, die mit einem Speere bewaffnet waren, dessen Schaft etwa sechs Fuß lang, aber doch so leicht war, wie der Rohrgriff eines afrikanischen Assegai. Die Spitze glich einem dreischneidigen Bajonette. Neben einem Jeden stand auf einer Laffette der mörderische Asphyriator mit einer Bohrung, welche so groß war, wie die eines neunpfündigen Geschützes. Eine einzige Ladung hätte einen ganzen Insurgentenhaufen, der etwa auf das Schloß anstürmen wollte, vernichtet. Diese Wachen grüßten uns, sie senkten die Spitzen der Speere und schauten auf mich mit Erstaunen und einer Art soldatischer Bewunderung meiner physischen Kräfte. Die Thore, die breit genug waren, um zwölf Marsmenschen nebeneinander einzulassen, thaten sich auf, und wir traten durch dieselben in eine gewölbte Halle, deren Bogendach nicht auf Säulen, sondern auf gigantischen Statuen ruhte, welche im Schimmer der verschiedensten Juwelen erglänzten. Hier empfingen uns zwei Offiziere in derselben roth und silberkarrirten Uniform, wie die der Schildwachen draußen. Den Rang derselben zeigte eine silberne Schärpe an, welche um die linke Schulter geschlungen, eine Waffe trug, die wie ein einfacher Metallstab mit scharfer Spitze aussah, aber dieselben Dienste wie ein Degen leistete. Nach einigen mit Ergimo gewechselten Worten baten uns diese Herren in ein kleines rechts belegenes Zimmer einzutreten, wo Erfrischungen für uns aufgetragen waren. Eveena flüsterte mir zu, sie dürfe das Mahl in Gegenwart jener Fremden nicht theilen, eine Mittheilung, die mir den scharfen Appetit, den ich stets von einer Fahrt durch die martiale Atmosphäre heimbrachte, in etwas abstumpfte. Aber selbst dieser abgeschwächte Appetit schien noch durch ungewöhnliche Stärke unsere neuen Begleiter in Erstaunen zu versetzen, da der Appetit der Marsbewohner ihrer geringen Körpergröße entspricht. Als wir uns erhoben, fragte ich Ergimo, was jetzt aus Eveena werden sollte, da es mir schien, die Herren wollten mich sofort vor ihren Souverän führen. Er trug die Angelegenheit dem höheren Offizier vor, worauf dieser an eine Thür in einer entfernten Ecke des Raumes hinging und ein elektrisches Signal gab, auf das nach einigen Sekunden die Thür sich öffnete, und aus ihr zwei tiefverschleierte Gestalten heraus traten. Der Grund ihrer ganz mit kostbaren, in den Lieblingsfarben des regierenden Fürsten ausgeführten Stickereien bedeckten Roben war gelb, woraus ich sie als verheirathete Damen erkannte, wenn anders bei den Hunderten von Frauen des Camptâ überhaupt von einer Ehe die Rede sein kann. Diesen Damen vertraute ich jetzt Eveena an, doch da ich sichtlich ungern von ihr schied, meinte einer der Offiziere mich mit den Worten beruhigen zu müssen: »Was Ihr dem Hause des Camptâ anvertraut, werdet Ihr sicher in dem Euren wiederfinden, sobald Eure Audienz beendet sein wird.« Als die Thür sich geschlossen hatte, bemerkte ich, daß auch Ergimo uns verlassen hatte, und jetzt versuchten die Offiziere mehr durch Gesten, als durch Worte mir verständlich zu machen, daß sie mich unverzüglich zur Audienz führen wollten. Ich hatte lange vorher schon reiflich überlegt, welche Haltung ich bei einer so kritischen Gelegenheit annehmen sollte und war endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß es das politischste sein würde ein höfliches, von einer gewissen Unabhängigkeit zeugendes Auftreten zu wählen, und dem Autokraten dieses Planeten so entgegenzutreten, wie sich ein Gesandter der englischen Krone einem Indischen Fürsten gegenüber benimmt. In Uebereinstimmung mit dieser Absicht hatte ich ein etwas glänzenderes und kostbareres Gewand angelegt, als Männer es hier zu Lande gewöhnlich tragen. Ich trug einen weißen Anzug, aus einem Stoff, der im Gewebe dem Sammet, im Glanze aber dem Moiré ähnelt, mit einem Silberkragen und einem silbernen Gürtel. Auf der Brust trug ich meinen Orden vom (Unleserlich!) und in dem Gürtel mein kostbarstes Besitzthum, mein treues irdisches Schwert, das einst als beste Klinge in ganz Asien galt. An seinem Hefte leuchtete der Smaragd, den mir einst der Beherrscher aller Gläubigen als Lohn für meine Dienste selbst gegeben, und auf dem Haupte trug ich den Turban, der der martialen Kopfbedeckung ziemlich ähnlich ist.

Wir traten wieder in die Eingangshalle zurück, dann wurde ich durch eine Galerie und durch eine andere Krystallthüre hindurch geführt und fand mich jetzt in der unmittelbaren Gegenwart des Autokraten dieser Welt.

An den smaragdgrünen Wänden des nicht besonders großen Audienzsaales lief eine Reihe in Gold getriebener Friese entlang, welche, wie ich nachher erfuhr, die Kämpfe schilderten, in denen die Kommunisten unterlagen. Die untere Hälfte des Raumes war frei und an dem oberen Ende standen im Halbkreis, gerade der Eingangsthüre gegenüber, eine Anzahl von in den Boden eingelassenen Sesseln. Sie nahmen fast ein Drittel des ganzen Gemaches ein und waren von dem leeren Theile desselben durch eine niedrige Metallschranke getrennt, auf welcher sich Bogen erhoben, welche die Decke stützten und von denen Vorhänge herabfielen, die so tief herabgelassen werden konnten, daß sie die ganze Estrade verbargen. Die Sessel stiegen in fünf Reihen hinter einander auf, die eine immer höher, als die andere, und oben, gerade in der Mitte, von der Eingangsthür am entferntesten, wurde der Halbkreis durch eine breite Flucht von Stufen unterbrochen, auf deren Höhe, etwas höher als die Sessel der obersten Reihe, der Thron sich erhob, der auf zwei in Silber getriebenen Abbilden jener königlichen Thiere ruhte, deren Angriff mir beinahe so verhängnißvoll geworden war. Etwa fünfzig Personen saßen auf jenen Sesseln um den Thron des Herrschers; in der obersten Reihe etwa neun oder zehn mit einer scharlachfarbenen Schärpe geschmückt, und unter den Letzteren erkannte ich ein Gesicht, das ich seit dem Ausflug nach meinem Luftschiff nicht mehr gesehen. Das Gesicht eines Freundes war es gerade nicht, es war das Gesicht von Endo Zamptâ. Hinter dem Throne standen in Reihe und Glied aufgestellt etwa zwölf Gardisten, die mit dem Speer und jenen bei Jagden gebräuchlichen blitzschleudernden Waffen ausgerüstet waren. Daß ein einziges mit diesen Waffen versehenes Bataillon die beste europäische Armee in wenigen Minuten vernichten würde, steht außer Zweifel; mein erster Gedanke jedoch, als ich auf diese so furchtbar bewaffneten DiminutivSoldaten hinblickte, war der, wie eine Handvoll meiner wackeren arabischen Reiter es mit einem ganzen Regiment solcher Zwerge aufnehmen könnte. Jetzt aber, wo ich bis an den Fuß der Stufen vorgeschritten war, koncentrirte sich meine ganze Aufmerksamkeit auf die Gestalt und das Antlitz des Fürsten, der, als ich ihm näher kam, sich von seinem Throne erhob. Diejenigen denen es im Gedächtniß, daß einst Louis XIV. obgleich seine Gestalt nicht einmal die Mittelgröße der Franzosen erreichte, dennoch die majestätischste stolzeste Erscheinung seines Zeitalters war, werden mich verstehen, wenn ich sage, daß der Beherrscher des Mars trotz der Kleinheit seiner Gestalt, die kaum fünf Fuß erreichte, dennoch in Erscheinung und Haltung der königlichste, der imponirendste Fürst war, den ich jemals gesehen habe. Er ragte nahezu an zwei Zoll über den Größten seiner Umgebung empor, aus seinem Gesicht sprach Würde, Selbstvertrauen, und die ernste Ruhe dessen, der zu befehlen gewohnt ist; und seine Stimme, wenngleich sanft und beinahe auffallend leise, hatte doch Etwas von jenem befehlenden Klange, der sich sonst nur auf dem Schlachtfelde lernt. Beim Klang derselben empfing ich einen ungleich tieferen Eindruck von der persönlichen Größe, von dem Range und der Macht dieses Fürsten, als ich je auf Erden empfunden, wenn ich z. B. niederkniete die Hand des Allerchristlichsten Königs zu küssen oder barfuß vor der Neuzeit größtem Nachfolger des Eroberers von Stambul stand.

»Es freut mich, Euch zu empfangen,« begrüßte er mich. »Es wird zu den denkenswerthesten Ereignissen meiner Herrschaft gehören, daß ich an meinem Hofe den ersten Besucher aus einer anderen Welt willkommen heiße, oder vielmehr,« fügte er nach einer plötzlichen Pause mit dem unverkennbaren Anfluge einer gewissen Ironie in seinem Tone hinzu, »den Ersten, der auf unsere Welt von einer Höhe niederstieg, die kein Ballon zu erreichen und in der kein Ballonfahrer zu leben vermöchte.«

»Ich fühle mich geehrt, Sire,« antwortete ich, »durch die Beachtung eines Herrschers, der mächtiger und gewaltiger ist, als die gewaltigsten meiner eigenen Erde.«

»Nun,« fuhr er lächelnd fort: »Ihr scheint mir doch für meine Macht nicht gar zu große Achtung gegenüber Einem meiner ersten Stellvertreter gezeigt zu haben. Wenn Ihr die Fürsten Eurer Erde so unceremoniös behandelt habt, wie den Regenten von Elcavoo, dann scheint es mir nicht unverständlich, daß Ihr es für gerathen hieltet, Euch aus dem Bereiche ihrer Macht zu entfernen.«

Ich glaubte hier eine passende Gelegenheit zu erblicken, meine Beleidigung des Regenten, ohne meiner Würde etwas zu vergeben, wieder gut machen zu können. »Der stolzeste der Fürsten meiner Erde,« entgegnete ich also, »würde mir eher eine Heftigkeit in meinen Worten verziehen haben, als ein Zaudern, das Leben eines vor seinen Augen in Gefahr schwebenden Weibes zu retten. Gestattet mir indeß, diese Gelegenheit zu ergreifen, um hier in Eurer Gegenwart den Regenten um Verzeihung zu bitten, mit der Versicherung, daß keineswegs Nichtachtung seiner Würde, sondern nur die überwältigende Angst um das gefährdete Leben eines Mitmenschen mich so handeln ließ.«

»Das Leben von einem Dutzend Frauen,« sagte der Camptâ noch immer mit jenem Tone versteckter Ironie, »würde weniger gewichtig erscheinen, als die Beleidigung, ja thätliche Bedrohung des Regenten eines der bedeutendsten meiner Reiche. Die Entschuldigung, welche Endo Zamptâ annehmen m u ß ,« sagte er mit einer leichten, aber deutlichen Accentuirung des letzten Wortes, »bildet die absolute Verschiedenheit der Gesetze und Ideen Eurer Welt von denen der Unseren.«

Bei diesen Worten seines Souveräns erhob sich der Regent, neigte sein Haupt und führte seine linke Hand an seinen Mund, zum Zeichen seines Einverständnisses. Indeß der Blick, den er mir zuwarf, schien mir nichts Gutes zu verheißen, falls es ihm gelingen sollte, mich in seine Macht zu bekommen.

Hierauf bat mich der Fürst ihm einen Bericht meiner Reise zu geben, sowie der Motive, die mich zu derselben bewogen, und der Abenteuer, die ich unterwegs erlebt hätte. In Folge dessen trug ich ihm, deutlich und klar, in kurzen Umrissen das vor, was meinen Lesern aus dem ersten Theil meiner Aufzeichnungen schon bekannt ist, natürlich sorglich eine jede Auseinandersetzung über das Wesen und die Erzeugung der Apergie vermeidend. Dies fiel dem Fürsten sogleich auf.

»Ihr wollt uns,« sagte er, »Euer Geheimniß nicht verrathen. Natürlich steht das ganz bei Euch, denn es ist Euer Eigenthum; indessen für die Folgezeit hoffe ich es von Euch zu erwerben.«

»Mein Fürst,« antwortete ich, »gesetzt Einer von Euren Unterthanen sähe sich in der Gewalt einer von Euch verschiedenen Rasse, die Eure ganze Welt mit ihrer Macht vernichten könnte, würdet Ihr ihm je verzeihen können, wenn er jenem mächtigen Stamme die Mittel gäbe, Eure Welt zu erreichen?«

»Ich denke,« entgegnete er, »daß meine Verzeihung in diesem Falle ziemlich werthlos sein würde; doch fahret fort mit Eurem Berichte.«

Endlich schloß ich meine Erzählung, die allgemein Staunen und Verwunderung hervorrief, indeß wie mir nicht entging, von einem großen Theile der Versammlung mit entschiedenem Zweifel angehört ward, worauf ich jedoch wenig Gewicht legte, da der Fürst selbst mit gespanntestem Interesse und schnellem Verständniß meinen Worten folgte.

»Bevor Ihr vorgelassen wurdet,« nahm er endlich das Wort: »hat Endo Zamptâ uns bereits seinen Bericht über Euer Schiff und die Maschinerie desselben vorgelesen, und seine Worte bekräftigen die Eurigen, zu Eurem Glücke, denn wäre Eure Erzählung unwahr gewesen, so hättet ihr darin, daß Ihr sie hier vortruget, größere Gefahr gelaufen, als in dem gewagtesten Abenteuer, das je unternommen oder geplant ward. Der Rath ist aufgehoben, Reclamomorta wird vorläufig noch bei mir verweilen.«

Als die Versammlung sich aufgelöst hatte, folgte ich dem Autokraten auf seinen Wunsch in seine Privatgemächer; er warf sich dort auf seine Kissen und winkte mir in seiner Nähe Platz zu nehmen. Dann fuhr er fort, unsere Unterhaltung weiter zu führen, in demselben Tone und in gleicher Weise, wie er vor aller Welt zu mir gesprochen hatte, so daß ich einsehen lernte, daß sein Wesen dort kein gesuchtes und geziertes, sondern der natürliche Ausdruck seines unter dem Einfluß seiner unbegrenzten Machtvollkommenheit entwickelten Charakters war.

»Ich wollte wohl,« begann er, »ich hätte nur ein halbes Dutzend solcher Unterthanen, welche im Stande wären und Muth genug besäßen, solch ein Unternehmen wie das Eure zu planen und auszuführen.«

»Ich glaube, mein Fürst,« entgegnete ich, »daß ich mich vor einem Bewohner dieses Planeten befinde, der mindestens ebensoviel als ich gewagt haben würde.«

»Wohl möglich,« lächelte der Fürst. »Ihr mögt mir glauben, daß so sehr man auch allgemein bei uns erklärt, des Lebens müde zu sein, kein Einziger hier in unserer Welt mit soviel Recht des Daseins überdrüssig ist, wie derjenige, dem sie gehört, er, der sein ganzes Leben von stummem Tadel und von stummem Vorwurf verfolgt wird, den er zwar nicht hört, wohl aber fühlt und doch nicht erwidern kann und darf; der all' seine Kräfte des Leibes und der Seele im Dienste eines Volkes aufreibt, dem es, wie es selbst behauptet, am besten wäre, wenn es gänzlich vertilgt und ausgerottet würde. Ja wahrlich tausend Mal lieber möchte ich der Entdecker einer Welt sein, denn ihr Herrscher.«

Dann legte er mir zahlreiche Fragen vor, betreffs der Erde und der Rassen, welche sie bevölkern, erkundigte sich eingehend nach der Regierungsform und den Beziehungen verschiedener Völker zu einander, und zeigte dabei ein besonderes Interesse für die Kriege, die schon in meinen Jugendjahren geendet hatten.

»Ihr seid,« fuhr er dann fort, »Ihr seid mir der liebste Gast, den je ich empfing oder empfangen konnte, Ihr seid ein Gast, welcher durch eine Macht, die unabhängig von der meinen ist, vor allen Andern ausgezeichnet dasteht. Die Ehre, mit welcher ich so großen Muth belohnen kann, die Aufnahme, die ich einem solchen Manne zu bieten gedenke, sollen Eurer und meiner selbst würdig sein. Jetzt begebet Euch aber nach dem Palast, den ich für Euch nahe meiner eigenen Residenz habe einrichten lassen, damit ich Euch oft wiedersehe und von Euch unter vier Augen rückhaltlosen Bericht über das erhalte, was ich von Euch zu erfahren wünsche.«

Am Eingange des Gemaches stieß ich wieder auf den Offizier, der mich schon zur Audienz vorgeführt hatte. Er geleitete mich jetzt nach dem inneren Hof oder Peristyl des MittelPalastes, wo uns ein Wagen erwartete, den mein Begleiter mich zu besteigen ersuchte. Dann passirten wir eine gewölbte Passage, die unter der Hinterfront des Palastes hinführte, traten aus ihr in den äußeren Garten hinaus und gelangten endlich auf einem glänzend, taghell erleuchteten Wege, etwa nach halbstündiger Fahrt, an eine Wohnstätte von anscheinend gewaltigem Umfang. Wir fuhren in den Park derselben ein und die breite Allee ihres Parkes hinauf bis an das Portal des mächtigen Schlosses.


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Kapitel 18
Ein Fürstengeschenk

»Dies also,« sagte mein Begleiter, als wir vom Wagen herunterstiegen, »»dies ist die Residenz, die Euch der Campt â zugewiesen hat. Und außerdem hat er Euch durch ein Dokument, das unverzüglich in Eure Hände gelegt werden wird, eine Besitzung von einigen zehn S t o l t a n zuerkannt, die Ihr nach eigenem Belieben gleich oder später in Augenschein nehmen könnt; sie ist so groß, daß sie Euch Revenueen abwerfen wird, wie sie nur unsere zwölf Regenten haben. Der Camptâ hat ferner versucht Euch Euren Haushalt so vollkommen auszustatten, als Reichthum und Fürsorge dies nur vermögen. Und was Euch nach Eurem eigenen Geschmack noch zu fehlen scheint, wird Euch ein Kleines sein, selbst anzuschaffen.«

Wir traten jetzt in den ersten Hauptraum des Schlosses, in welchem man Besuche zu empfangen und etwaige Geschäfte zu erledigen pflegt. Es war eine Halle von außerordentlicher Größe und mit wunderbarer Pracht ausgestattet. In ihr stand an einem Tische nicht fern von dem Eingang ein anderer Beamter, der indeß nicht die Uniform des königlichen Hofes trug und in der Hand einige Dokumente hielt. Wie er sich zu mir wandte um mich zu grüßen, merkte ich zu meinem Erstaunen auf seinem Gesicht einen Ausdruck ärgerlicher Rathlosigkeit und gewahrte, als ich mit meinen Augen der Richtung seiner verlegenen Seitenblicke folgte, in einer Ecke des Saales eine verschleierte weibliche Gestalt, welche keine andere als Eveena sein konnte. Der Beamte mißdeutete meinen verwunderten Blick und sagte zu seiner Entschuldigung —

»Mir kann dieser ungebührliche Vorgang nicht zur Last gelegt werden; auch habe ich nicht mit ihr gesprochen, außer so weit es meine Pflicht war, gegen ein so ungewöhnliches Verhalten Protest einzulegen.«

Der Mann war offenbar ärgerlich und verwundert, indeß hielt ich es für das Beste, nicht näher auf die ganze Sache einzugehen, sondern ihn einfach zu begrüßen, als ich das erste Dokument, des Camptâ Schenkungsurkunde für das Haus und die Besitzung, aus seiner Hand empfing. Das nächste Papier, das mir jetzt eingehändigt wurde, schien mir dem Ehekontrakt zu gleichen, wie ich solchen bereits einmal unterzeichnet hatte, nur war auf diesem Blatte blos eine Lücke statt zweier freigelassen. Unfähig die Schriftzeichen selber zu entziffern wollte ich den Beamten ersuchen, mir den Wortlaut vorzulesen, doch ehe ich noch die Bitte aussprechen konnte, trat Eveena unbemerkt neben mich, faßte mich beim Arme und zog mich ein wenig abseits zur größten Verwunderung jenes Beamten, der vermuthlich noch nie in seinem Leben eine Frau gesehen hatte, die sich unberufen in die öffentlichen Zimmer ihres Mannes wagte und obenein noch ihn in seinen Geschäften unterbrach und zu beeinflussen versuchte.

»Ich werde Dich doch noch schelten müssen, Kind,« sagte ich schnell und leise, »was soll dies heißen?«

»Unterzeichne sofort,« flüsterte sie »ohne zu fragen. Thue nachher mit mir was Du willst. Das, was der Camptâ Dir verleiht und schenkt, mußt Du, m u ß t Du ganz ohne Widerrede, Einwand oder Frage annehmen.«

»Ich muß es, Eveena?«

»Ja wohl, Du mußt; Geschenke aus so hoher Hand weist man nicht ungestraft zurück,« fuhr sie in demselben leisen Tone fort. »Glaube mir nur. Thue, bitte, bitte, thue was ich Dir sage.«

Sie war so aufgeregt und ihre Stimme klang so ängstlich, daß mir unwillkürlich der gleiche Rath einfiel, den Esmo mir gegeben hatte, und ich mechanisch die Dokumente nahm, wie wenn ich sie völlig verstanden hätte, und meinen Namen in die Lücke setzte. Dann reichte ich die Blätter dem Beamten zurück, ließ sie ihn stempeln und dankte kurz mit angemessenen Worten dem Camptâ, und den Beamten als den Vollstreckern seiner königlichen Huld und Gnade.

Nachdem nun diese Herren mich verlassen hatten und ich mich nach Eveena umschauen wollte, war sie verschwunden. Ich stand in meinem eigenen Hause und wußte nicht ein noch aus; mir blieb nichts anderes übrig, als mich nach der Feder umzusehen, welche die Hauptpforte öffnete. Diese müßte mich, so glaubte ich annehmen zu dürfen, nach der Galerie führen, welche die Halle und die vordern Räume von jenen, die nach dem Peristyle hinausliegen, zu trennen pflegt. Endlich fand ich die Feder, drückte sie, und das Thor that sich auf nach einer großen so kunstvoll geschmückten Galerie, wie ich etwas ähnliches auf dem Mars noch nicht gesehen hatte. In nicht geringer Verlegenheit schaute ich um mich und gewahrte eine Nische, in welcher eine weiße Statue sich prächtig von dem scharlachfarbenen Hintergrunde abhob, und neben dieser Statue, halb verborgen von derselben, etwas hellgelbfarbenes, das ich im Momente nicht zu erkennen vermochte. Doch während ich mich noch wunderte, was in aller Welt dies sein konnte, sprang es auf, ergriff meine Hand und ich sah, daß Eveena dort in der Nische auf mich gewartet hatte.

»Ich bitte Dich,« sagte sie mit einem dringenden Ernst, der mir ganz unverständlich war, »ich bitte Dich hierher mit mir zu kommen.« Dabei führte sie mich den Gang rechts entlang, während ich instinktiv links hingegangen war, vielleicht aus dem Grunde, weil mein Zimmer im Hause Esmo's in dieser Richtung gelegen hatte. Am Ende der Galerie wandte sie sich in die inneren Gemächer, und hier sank sie, kaum hatte sich die Thür hinter ihr geschlossen, auf den Boden nieder, wie wenn die Erregung, welche sie mit Mühe bisher bemeistert, sie jetzt endlich überwältigte. Ich hob sie empor, trug sie nach dem in der Zimmerecke liegenden Kissen, und erblickte, als ich ihren Schleier zurückwarf, — denn das ganze Haus war glänzend erleuchtet, — daß sie geisterhaft bleich aussah und halb ohnmächtig war. Bei meiner Unkenntniß im eigenen Hause wußte ich nicht wie ich Hilfe herbeirufen sollte und suchte daher mit süßen Worten und Schmeichelreden, die ihren Zweck nicht verfehlten, sie zum Bewußtsein zurückzurufen. Indeß auch jetzt blieb sie traurig und schien so niedergeschlagen, daß ich meinte, ihre Traurigkeit müßte einem andern Grunde entspringen, als dem kleinen Formfehler, den sie sich vorhin hatte zu Schulden kommen lassen. Da ich aber gar keinen Anhalt entdeckte, sagte ich ihr wie zur Entschuldigung:

»Komm doch, Bambina, mein Kindchen; wir verstehen einander zu wohl, um uns gegenseitig Unrecht zu thun. Ich weiß es ja, daß Du ohne triftigen Grund die Gewohnheiten Eures Landes niemals gebrochen hättest.« —

»Sicherlich nicht,« erwiderte sie, »doch jetzt hast Du an anderes zu denken. Du darfst nicht argwöhnen lassen, als kenntest Du nicht die Pflichten eines Weibes und darfst nicht erlauben, daß Deiner Autorität in Deinem eigenen Hause Hohn gesprochen wird.«

»Was Du doch sagst. Meinst Du,« fuhr ich fort, »meinst Du ich horchte auf den Gassen? (Gäbe etwas auf Weiberklatsch) Haushaltsache ist Sache des Schleiers, und Niemand, selbst Euer allmächtiger Fürst nicht, dürfte es wagen diesen Schleier zu lüften.«

»Du hast ihn,« antwortete sie, »ja noch nicht einmal selber gelüftet. Du verstehst mich nicht, doch würdest Du mich besser verstehen, hätte man Dir den Inhalt der Blätter vorgelesen, die Du vorhin unterzeichnet hast.«

»So lies Du sie mir vor,« sagte ich und reichte ihr die Dokumente, von deren Verlesung ich auf ihre dringende Bitte Abstand genommen hatte. Sie ergriff sie mit sichtlichem Schaudern und ehe sie noch einige Zeilen gelesen, ergriff mich gleiches Entsetzen. Hätte ich vorher den Inhalt gekannt, keine Macht des gewaltigsten Herrschers, keine flehende Bitte Eveena's hätte mich bewegen können, diese Papiere zu unterzeichnen. Es waren Ehekontrakte, wenn man solche Gemeinschaft, wie sie durch diese Kontrakte geschlossen wird, überhaupt noch eine Ehe nennen darf. Der Souverän hatte mir die allerdings ungewöhnliche, doch nicht ganz beispiellose Ehre erzeigt, ein halbes Dutzend der schönsten Jungfrauen aus allen Staatserziehungsanstalten des Mars für mich aussuchen und ihnen in meinem Namen so vortheilhafte Bedingungen bieten zu lassen, daß eine Jede durch den Abschluß des Vertrages sich in ihrer Ehre gehoben und in ihrer Eitelkeit geschmeichelt fühlen mußte. Kurz, der Camptâ hatte mein Haus mit einer Schaar Weiber ausgestattet auf dieselbe Weise, wie er nicht versäumt hatte, für dasselbe eine ganze Herde der klügsten ambau, carvee und tyree besorgen zu lassen.

Dieses Zeichen Königlicher Gnade verwunderte und erschreckte mich mehr, als sogar Eveena. Mochte sie auch den Wunsch gehegt haben, so hätte sie doch nie ganz und fest daran glauben können, daß sie für immer die einzige Gefährtin meines Lebens bleiben würde. Aber solch einen schnellen und plötzlichen, solch einen Massenüberfall von Rivalinnen hatte sie nicht erwartet. Ja, es war bitter für sie, noch vor Ablauf des dreißigsten Tages unserer Ehe sich nur noch als Glied einer großen Familie zu erblicken, um so bitterer, als unsere Verbindung von dem ersten Augenblicke an eine selten enge, vertraute und herzliche war, um so bitterer, da sie die Liebe, die das ganze Leben und Sein erfüllt, kennen gelernt hatte. Ja, es war hart, schmerzlich und grausam bitter für ein Wesen, das seit den ersten Stunden unserer Ehe mir eine grenzenlos ergebene Liebe offenbart hatte, sie, die ihr Alles, ihr Wollen, ihr Fühlen, ihr Denken, dem, den sie liebte, der ihr Ein und ihr Alles war, aufgeopfert und zu eigen gegeben hatte.

Als mir das klar ward, was ich gethan hatte, riß ich ihr die Papiere aus der Hand und hätte sie in Fetzen gerissen, wenn mich nicht Eveena selbst daran gehindert hätte.

»Was kannst Du denn thun?« flehte sie mit hellen Thränen im Auge, jedoch mit einer Selbstbeherrschung, die ich ihr niemals zugetraut hätte. »Es scheint ja allerdings bitter für mich, doch besser so, daß man Dir die Anderen, ich hoffe, gegen Deinen Willen aufdrängte, als daß Du später vielleicht aus freien Stücken das Gleiche gethan hättest. Das hätte ich nimmer ertragen.«

Der Druck meines Armes, der ihre Taille umschlungen hielt, und der Hand, in der die Ihre ruhte, war ihr genügende Antwort; sie hob ihre Augen zu mir empor und fuhr fort: »Das werde ich nie vergessen, daß Du zum Mindesten traurig warest und mich zum Wenigsten noch eine Zeit lang gerne allein besessen hättest!«

»Meinst Du, mein Herz, es gäbe keinen Ausweg aus dieser Lage? Soll ich etwa an die Weiber, die ich nie gesehen habe und nie sehen will, für immer gebunden sein?«

»Du hast unterzeichnet,« gab sie sanft zur Antwort, »und der Kontrakt ist abgestempelt in des Beamten Händen. Und brächest Du ihn, so würdest Du den Fürsten, der Dir eine große Huld damit erweisen wollte, tödtlich beleidigen. Zudem sind doch diese Mädchen selbst an alledem unschuldig und haben Lieblosigkeit und Härte um Dich nicht verdient.«

Ich schwieg; mir imponirte die edle einfache Naivetät ihrer Worte; ich überdachte alle Möglichkeiten eines Auswegs, und sagte endlich weniger zu ihr, als zu mir selber: »Giebt es denn kein Entrinnen?«

»Entrinnen!« wiederholte sie erstaunt, »Du willst entrinnen? Du, der durch die Gunst des Souverains, den Reichthum, den er Dir geschenkt und das Interesse, das er Dir bewiesen hat, der Meistbeneidete in unserer ganzen Welt geworden bist! Du willst entrinnen?«

Und erstaunt blickte sie in meine Augen.

»Die Mädchen,« fügte sie nach einer Pause hinzu, »sind die schönsten unserer beiden Continente und eine jede von ihnen weit, weit schöner, als ich es selbst in Deinen Augen sein kann. Ich bitte Dich, sei zu ihnen nicht unfreundlich; sei es um Meinetwillen nicht! Wovor wolltest Du denn entrinnen?«

»Wie? soll ich gegen Dich falsch werden?« fragte ich.

»Falsch,« wiederholte sie in ungekünstelter Verwunderung; »was hast Du mir denn versprochen?«

Ich konnte keine Worte finden auf ihre loyale Schlichtheit, mit welcher sie den Gedankengang der so seltsamen Ideen ihrer Welt bis zu diesem mir unerwarteten, wenn auch streng logischen Schlusse verfolgte.

»Doch Du, Eveena,« sprach ich endlich. »Was hast Du mir gelobt und wie viel mehr hast Du mir nicht gegeben?«

»Nichts,« gab sie zur Antwort: »Nichts, was ich Dir nicht schuldig war. Du hattest ja, bevor Du noch um meine Liebe batest, Dir meine ganze Liebe längst erworben.«

»So laß mich Deinen Vater fragen, ob es nicht möglich ist, nach meinem Schiff zurückzukehren und diese — uns Beiden unliebsame Welt zu verlassen.«

»Das kannst Du nicht,« antwortete sie; »es hieße den Fürsten beschimpfen und Dich und mich dem Hasse eines gewaltigen Feindes überliefern. Kannst Du ein Schiff regieren, selbst wenn Du ein solches hättest? Oder verstehst Du einen Ballon zu lenken? Und denkst Du nicht, daß wenige Stunden schon nach Deinem Entweichen jeder Weg und jeder Hafen Dir gesperrt sein würde?«

»So kann ich wohl auch Deinen Vater gar nicht befragen?«

»Doch,« sagte sie. »Ich denke, wir werden in Deinem Arbeitszimmer einen Telegraphen vorfinden.«

Vertraut mit dem Bau und der Einrichtung eines Martialischen Hauses ging Eveena unverzüglich durch die Galerie nach dem Arbeitszimmer. — das Vorderzimmer zur rechten Hand, in welchem der Herr des Hauses zu arbeiten pflegt. Und in der That befand sich hier an der Wand, oberhalb des Schreibtisches einer jener leicht handzuhabenden Fernschreiber.

»Aber,« sagte ich, »ich kann Eure stilischen Schriftzeichen nicht schreiben, und mit phonetischen zu schreiben, das dürfte vielleicht die Neugier eines Beamten erwecken.«

»Darf ich dann,« fragte sie, »für Dich die Botschaft übermitteln und sie in Worten abfassen, die nur meinem Vater allein verständlich sind?«

»Thu' es,« erwiderte ich, »doch schreibe in meinem Namen und ich werde es dann unterzeichnen.«

Ich nahm also unter ihrer Anleitung den Griffel und den »tafroo« Bogen, den sie mir reichte und schrieb auf den Kopf des Papiers meinen Namen. Dann überlegten wir eine Weile den genauen Inhalt der Botschaft, und endlich schrieb sie und las mir die Worte vor. Sie lauteten in wörtlicher Uebersetzung wie folgt:

»Das reiche Vogelhaus däucht meinem Blumenvöglein übervoll. Ich möchte Heimatsluft athmen. Gesundheitsrede.«

Der Sinn der Worte, den ich selber sogleich verstand, war der: »Ein reiches Schloß ist uns gegeben, das meinem Blumenvöglein zu voll ist. Ich wünschte, heimkommen zu kennen. Ich bitte um Euren Rath.«

Wir konnten jetzt nur die Antwort auf unsere Aufrage abwarten. Eveena legte sich auf die Kissen und ruhte mit ihrem Köpfchen an meiner Brust.

»Und nun,« begann sie, »vergieb mir meine Dreistigkeit, Dir einen Rath ertheilen zu wollen, doch muß ich es thun, denn was uns so natürlich wie der Gang eines Uhrwerks dünkt, scheint Dir so seltsam und wunderbar wie der Sternenschmuck des Himmels. Du mußt aber, ja Du mußt ›sie‹ Dir ansehen und einer Jeden ihre Pflichten in Deinem Haushalte anweisen, und zwar jetzt gleich, denn schon —« sie blickte auf meinen Chronometer, der an der Wand hing — »schon treibt das Schwarze das Grüne hernieder.«

»Um so besser,« erwiderte ich, »so werde ich desto weniger zu sagen brauchen; und was die Anordnung des Hauswesens betrifft, so wirst Du natürlich dieselbe treffen.«

»Ich? Vergieb mir,« erwiderte sie, »das ist unmöglich. Du, Du selbst mußt einer Jeden ihre Stelle im Haushalte anweisen, Du mußt ihr ihr Zimmer, ihren Rang und ihre Pflichten selber bestimmen Du vergißt schon wieder, daß ich hier in der gleichen Stellung bin, wie die Jüngste von Jenen und keinerlei Recht zum Anordnen habe.«

»Aha! ich verstehe, Madonna; das Geschenk Eures Fürsten verpflichtet mich noch, eine ganze Schaar junger Damen, die bisher nur unter ihres Gleichen gelebt und daher natürlich trotzig, eigensinnig und muthwillig sein werden, zu lenken und zu erziehen. Ich kann mir kaum das Lachen verhalten, wenn ich denke, wie ich täglich ein halbes Dutzend Schulmädchen regieren soll, Schulmädchen, die zugleich meine Weiber sein sollen. Ich habe in meinem Leben wenig mit Kindern und Mädchen zu thun gehabt; ich kann mich keines Heimathauses entsinnen, meine Heimat war die Schule im Abendland und das Feldlager im Morgenland und auch als Soldat und Botschafter der Krone lernte ich nie die Heimstätten anderer Männer kennen. Noch bartlos regierte ich mit blutiger Manneszucht bärtige Krieger. Bastonade und Tod, keine andere Strafe war meinem Gesetze bekannt. Und als ich dem Kriegszelt und dem Hofe den Rücken gekehrt, wandte ich mich Verbindungen zu, in deren Schoße ein bartloses Antlitz noch niemals gesehen wurde. Du wirst mich also eine sanftere Disziplin lehren müssen, wie sie für Weiber sich besser eignet, und mir mildere Strafmittel geben, als Strick und Knute des ›Ferasch‹« (persischer Henker.)

»Ich kann es nicht glauben,« antwortete Eveena, die meine Worte wie gewöhnlich buchstäblich auffaßte, »daß Du je den Gürtel zu straff ziehen würdest.« —

Ich schwieg eine Weile, dann antwortete ich:

»Madonna, soll ich einen solchen Hausstand regieren, so will ich absolut, ja so absolut, wie Euer allmächtiger Camptâ regieren und weder Frage noch Widerrede dulden!«

Meine ferneren Worte wurden durch den Klang der elektrischen Glocke abgeschnitten, und zugleich fiel aus dem Apparat ein Streifen »Tafroo« auf den Schreibtisch herab. Es war Esmo's Antwort und die ersten Worte waren in den vokalen Charakteren, die ich selbst gelernt hatte, geschrieben.

»Hysterische Thorheit,« schrieb er. »Bergluft könnte verhängnißvoll werden, und klare Nächte sind gefährlich kalt für andere noch als Euch selber.«

»Was heißt das,« fragte ich sie, als ich den Wortlaut gelesen hatte, der mir unklarer erschien, als das dunkelste Rezept eines Alchymisten.

»Es heißt,« entgegnete sie, »daß ich unverzeihlich einfältig war, und daß Du an eine Rückkehr nicht denken sollst. Die letzten Worte scheinen Dich ermahnen zu wollen, in Deinem Haushalt das Geheimniß des Sternenlichtes sorgfältig zu hüten.«

»Nun, und was heißt das folgende in stylischer Schrift?«

Eveena überlas es und erbleichte; die Thränen traten ihr in die Augen.

»Dies,« sagte sie, auf die erste Chiffre hinzeigend, »dies ist das Zeichen meiner Mutter!«

»Dann ist es,« fragte ich, »nur für Dich bestimmt?«

»Ach nein,« erwiderte sie, »glaubst Du, ich mochte Vortheil daraus ziehen, daß Dir diese Schriftzeichen unbekannt sind?« — und dann las sie die Worte, die mir so unverständlich wie die Zeichen selbst waren.

»Kann ein Stern,« schrieb ihre Mutter, »den Blinden mißleiten! Hochroth wurde ich mich verschleiern, hätte ich einen Vogel gezogen, der Zucker aus vollen Händen schnappt.«

»Es läutet doppelt Mitternacht!« fuhr ich fort mit einer martialischen Phrase, die etwa bedeutet: — ich bin eben nicht klüger, als wie zuvor — »Uebersetze es mir nicht, Carissima; ich lese in Deinen Augen, daß man Dir ungerechten Vorwurf gemacht.«

»Nein, nein,« rief sie erregt, »meine Mutter ist völlig im Recht. Sie sagt: ›Kann eine Tochter der Sterne die Unkenntniß Jemandes mißbrauchen, der sich auf sie verläßt, ihm die Sitten und Gewohnheiten einer ihm neuen Welt zu erklären? Ich erröthe, daß mein Kind die Zärtlichkeit jemandes zu mißbrauchen vermag, der nur zu eifrig ist, ihre Launen zu befriedigen.‹ Ja, sie hat vollkommen Recht. Du vertraust mir so völlig, Du bist so wundersam überfreundlich zu mir, daß es schändlich erscheint, Dich mit meinen Klagen zu plagen, da man Dich zwingt, zu Dem, was Du jederzeit aus freien Stücken zu thun das Recht hättest.«

»Nun,« entgegnete ich, »dann will ich mich, da Du es willst, in meine Lage fügen. Sei zu mir stets so offen und ehrlich, sei zu mir immer so gerecht, wie heute, und vertraue meinen Worten, so wird nichts einen Schatten zwischen uns zu werfen vermögen, und niemals wirst Du mir weniger als heute sein.«

»Doch, doch,« beharrte sie, »ich darf Dir fortan nur ein Weib unter Deinen anderen Weibern sein; und kein Gesetz, keine Sitte gesteht mir einen Vorrang zu, nur weil Du mich zufällig vor den anderen geheirathet hast.«

»Das schien mir aber in Deines Vaters Haus doch anders zu sein. Deine Mutter war so unverkennbar Herrin des Hauses, als wäre sie seine einzige Lebensgefährtin gewesen.«

»Ja,« erwiderte sie, »mein Vater heirathete auch erst sehr spät zum zweiten Male, ich kann mich dessen selbst noch erinnern, und da war es natürlich, daß man einer so weit älteren und erfahrenen Frau den unbestrittenen Vorrang ließ. Solch einen Anspruch habe ich aber nicht, und wenn Du meine neuen Gefährtinnen gesehen hast, wirst Du mich vielleicht auch selbst für die am wenigsten geeignete zur Ausfüllung dieses Ranges erachten.«

Eveena's demüthige Selbsterniedrigung machte mir unsere Unterhaltung unsagbar peinlich, so daß ich die neue, kaum weniger peinliche Situation, welcher ich nunmehr entgegentreten sollte, als willkommene Unterbrechung begrüßte. Zögernd führte sie mich auf eine Thür zu, die von der Galerie aus in eines der Gemächer öffnete, die nach dem Peristyle hingingen.

»Hier wirst Du sie finden,« sagte sie dann und zog sich zurück.

»Komm mit mir,« mahnte ich sie, umspannte mit meinem Arme ihre Taille, da sie widerstrebte und schob sie durch die Thüre hinein. Hier befanden wir uns sechs tief verschleierten, in Silber und Gelb gekleideten, jungen Damen gegenüber, welche alle, mit einer einzigen Ausnahme, etwas größer und stärker, als meine Frau waren. Mit stets bereiter Güte und Freundlichkeit ergriff Eveena, die sich aus meiner Umarmung freigemacht hatte, die Hand der Ersten, und führte die junge Dame zu mir. Sie war augenscheinlich überrascht von meiner Größe und Kraft, die alle Vorstellung, die sie sich selbst davon gemacht haben mochte, doch noch weit übertraf.

»Dies ist,« sprach Eveena freundlich und ernst, »dies ist Eunané, die schönste und die begabteste Schülerin ihrer Anstalt.«

Während ich selbst mich der Vorstellung mit derselben kühlen Höflichkeit zu unterziehen beabsichtigte, mit der ich mich vor einer jeden Fremden auf Erden verneigt hätte, ergriff Eveena meine Linke und legte dieselbe auf den Schleier der Jungfrau, um mir meine Pflicht und mein Recht, die sie einst für sich selber in Anspruch genommen, für ihre unschuldigen Rivalinnen ins Gedächtniß zu rufen. — In ihrer Gegenwart, so kurz nach unserer eigenen Hochzeit, mit denselben Zeremonien, die einst meine Rechte auf Eveena bestätigt hatten, eine zweite Braut zu entschleiern, widerstrebte meinem Gefühl und nur der Einfluß ihrer großherzigen Selbstverleugnung vermochte meinen Widerwillen zu bemeistern. Mein Zögern mußte wohl von Eunané'n nicht unbemerkt geblieben sein, denn wie ich der Sitte gemäß ihr den Kopfputz und den Schleier abnahm, sprach aus dem Ausdruck ihres bleichen Gesichtes Enttäuschung und verwundeter Stolz. Das aber sah ich, Eunané war schön, so schön, daß, hätte ich sie und meine erste Frau zu gleicher Zeit kennen gelernt, mir Eveena's Selbstherabsetzung nur natürlich erschienen wäre. So aber dünkte es mir, als ob Nichts jenem durchgeistigten, liebeverklärten Antlitz gleichkommen könnte, aus dem mir bei jedem Blick völlige Hingabe und unverbrüchliche Treue entgegenleuchtete.

Gleichwohl halte ich es für unmöglich, daß ein Mann einem jungen und so entzückenden Mädchen gegenüber wirkliche Unfreundlichkeit zu zeigen im Stande wäre, und da ich mich nun einmal den Vorstellungen Eveena's gefügt hatte, so küßte ich Eunané auf ihre Brauen und sagte ihr einige den Umständen entsprechende, freundliche Worte. Eveena, die sich ein wenig in den Hintergrund zurückgezogen hatte, wartete schweigend ein Weilchen, bis ich die gleiche Zeremonie mit den anderen Mädchen vollzogen hätte. Da sie jedoch mein Zögern bemerkte, kam sie wieder vor und stellte mir die vier Nächsten, eine nach der anderen vor — Enva (Schnee, Blanche), Leenoo (Rose), Eiralé und Elfé. Es waren alles Damen von dem dem Mars eigentümlichen Typus weiblicher Schönheit mit langen, reichen, hellblonden, tief goldenen oder hellbraunen Flechten; eine Jede mit fast fehlerlos vollkommenen Zügen und mit den berückenden, allen nicht mehr ganz jungen Männern so gefährlichen, mir aber völlig ungefährlichen Reize der beauté du diable, dem Reize reicher, anmuthsvoller Jugendblüthe. Eivé, die Sechste, welche am weitesten zur Rechten stand und mir daher Martialischer Sitte gemäß als Letzte vorgestellt wurde, war kleiner und zarter als sogar Eveena und schien mir erregter und schüchterner, als alle Uebrigen zu sein. Ich hob ihren Schleier und erblickte voll Staunen ein Gesicht, das mit allen Anderen, die ich heute begrüßt, nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte. Ihr Haar war so dunkel, daß es tiefschwarz erschien, ihr Teint weniger weiß, als der ihrer Schwestern, doch immerhin so zart, wie der einer griechischen Schönheit. Ihr Auge war von dem tiefsten Braun und ihre Glieder, besonders die Hände und Füße, trotz ihrer kindlichen Kleinheit und Zierlichkeit, von klassischen Formen; kurz, sie war ein Miniaturbild fehlerloser körperlicher Schönheit. Für Eivé allein fühlte ich ein gewisses Interesse; doch nicht etwa das heiße Begehren wie jungfraulicher Reiz es entzündet, sondern weit eher die ruhige Theilnahme, wie man sie für ein Kind empfindet, in dessen Blicken man einen tiefen und nicht leicht zu enträtselnden Charakter zu erkennen vermeint.

Ich hatte meinen feierlichen Rundgang beendet. Eine peinliche Stille folgte demselben, bis endlich Eveena sie mit dem Vorschlage brach, Eunané möchte uns durch das Haus führen und es mir zeigen. Das junge Mädchen ergriff mit Vergnügen die Gelegenheit, uns zu geleiten, und plötzlich fand ich durch ein zartes Manöver, über dessen Urheberin ich mich nicht täuschte, ihre Hand in meiner Linken. Auf unserer Tour überzeugte ich mich, daß die Zahl der Räumlichkeiten in meinem Hause bedeutend größer war, als im Hause Esmo's; auch die Gärten im Peristyl waren größer, und kunstvoller angelegt als dort; der ambau waren so viele, daß sie selbst für solch einen großen Hausstand eine allzu zahlreiche Dienerschaft repräsentirten; die Vögel aber, die für den Dienst außerhalb des Hauses angeschafft waren, schliefen eben und wir wollten sie nicht in ihrer Ruhe stören. Das MittelGemach des Serails, der größte, mittlere, hinter dem Garten gelegene und für die Favoritgemahlin bestimmte Saal, war besonders reich und prächtig eingerichtet. Bei diesem Saal bemerkte ich recht wohl die scheuen Blicke, welche all meine Sechs auf mich hin richteten, und in denen sich ihr Streben nach dieser Ehre verrieth, sich durch den Zauber ihrer Reize des Rechte der Favoritin zu gewinnen, hauptsächlich aber fiel es mir auf, daß Eivé einem zwar nur momentanen, aber doch sehr vielsagenden Augenaufschlag nach zu schließen, sich besonders schmeichelhaften Vorstellungen hinzugeben schien. Zu Aller Enttäuschung verließ ich diesen Saal ohne die ersehnte Entscheidung zu treffen, sondern wies einer Jeden meiner jungfräulichen Bräute ihr Zimmer im linken Flügel an, und sagte dann, wie wir uns wieder im Peristyle befanden, nach einer Erklärung, alle ferneren Arrangements auf morgen aufschieben zu wollen: »Ich darf Euch nicht länger Eure Nachtruhe rauben; doch Du, Eveena, Du weißt, ich bedarf Deiner noch.«

Sie stand in kleiner Entfernung von mir, dicht bei Eunané, und ich sah nach meiner Rede die Letztere mit einem halbmaliziösen, halb triumphirenden Lächeln Eveena'n einige Worte zuflüstern, welche diese sichtbar verdrossen. Auf Erden wär' ich schwerlich solch ein Thor gewesen, mich in Weibergezänke zu mischen, da ich wohl weiß, daß eine jede, selbst die Schwächste der Schwachen es im Kampfe der Zunge und giftigen Reden mit jedem Derwisch und Bonzen erfolgreich aufnehmen kann. Aber Eveena vermochte es nicht, sich bis zur gewöhnlichen Weiberbosheit zu erniedrigen, noch hätte ich gewünscht, sie es thun zu sehen, und da es mir unerträglich erschien, sie, deren süße Demuth all' meine Hochachtung verdiente, von muthwilligen Mädchenlippen und Mädchenaugen verspotten zu lassen, so redete ich Eunané zu ihrem größten Erschrecken mit dem kategorischsten martialischen Imperativ an.

»Wiederholet!« sagte ich ihr, »wiederholet laut, was Ihr zu Eveena in meiner Gegenwart sprachet!«

War auch Eunané die Erste, die ihrem Unwillen über den augenscheinlichen Einfluß Eveena's Luft gemacht hatte, so übertraf sie darum keineswegs ihre Schwestern an Bosheit, nur entwickelte sie zweifellos größeren Muth. Jetzt aber ward sie furchtsam und zag, zu erschreckt, um meiner Aufforderung Folge zu leisten, und nur mit Mühe gelang es mir endlich, von Eveeua auf meinen gleichfalls entschiedenen Befehl eine Antwort zu erlangen.

»Eunané,« sagte Eveena mit Widerstreben, »hat mir nur einen Schulmädchenspruch zugeflüstert:


»Der Grimm, so kalt ward über Nacht,
Schwingt die Sandal mit Kraft und Macht!«


Das hämische Lächeln, das jene Worte begleitet, hatte ihnen erst volle Bedeutung und Schärfe geben, und hätte man sie zu Irgend jemand Anderem denn zu Eveena gesagt, so hätten sie mich vermuthlich, obgleich mir ein Verweis wohl nöthig erschienen wäre, dennoch zum Lachen gereizt. Dies aber empörte mich, daß Eveena sich so verspotten lassen sollte, und daher wandte ich mich erregt zu Eunané um, die erschreckt zurückfuhr, wie eines brutalen Schlages gewärtig. Ein sanfter Druck auf meinen linken Arm, der von einer Andern kam, schien dieselbe Furcht — und dies schmerzte mich tief — zu bekunden; denn nicht meinen Arm, nur meine Stimme wollte ich zur Strafe erheben. Als ich endlich anfing zu sprechen, sah das erschreckte Mädchen, verwundert ob meines ruhigen Tones, zu mir auf.

»Unrecht,« sagte ich, »dreimal Unrecht, Eunané. Ich werde versuchen, Euch von dem schlechten Geschmack zu überführen, die Ideen und Sprache der Schule in Eure neue Heimat zu tragen. Hört inzwischen von mir einen andern Spruch, den schönsten, den ich in Eurer Sprache gelernt habe:

»TrösterWarnung spricht zum Herz,

Spart Erröthen, sparet Schmerz.«

»Und nun sei Euch Euer erster Fehltritt vergeben. Die Erde, (d. i. der Abendstern des Mars) erleuchte Eure Träume.«

Mit sichtbarem Widerstreben folgte mir Eveena in das Gemach, das wir zuletzt verlassen hatten und sträubte sich hier, soweit ihr Gehorsam es ihr erlaubte, dagegen, dieses Zimmer als das ihre zu empfangen.

»So wähle denn,« sagte ich, »selber ein Zimmer, welches Dir paßt; das aber wisse, daß es mein fester Beschluß ist, Dich hier als Herrin zu sehen.«

»Nun wohl,« gab sie zur Antwort, »so gieb mir das kleine, achteckige Stübchen neben dem Deinen —« der kleinste, bescheidenste, allerdings auch nach meinem Geschmack gemüthlichste Raum meines Hauses. — »Ich mochte so gern Dir nahe sein, und glaube es mir, es soll mich auch nicht verletzen, wenn eine andere Hand Dir später geeigneter däucht, das Steuer zu halten, sobald nur die meine von Zeit zu Zeit noch in der Deinen ruhen darf.«

Ich führte sie nun in das Zimmer, das sie sich ausgesucht hatte und legte sie nieder auf die Kissen, die heute ihr Lager sein sollten. Dann erwiderte ich auf ihren erneuten Protest:

»Laß mich über diesen Punkt Dir ein für alle Mal Antwort ertheilen, Eveena. Ich möchte ebensowenig eine Andere vor Dich oder auch nur neben Dich stellen, als das besondere Band, das uns bindet, zerreißen und auf die Hoffnung verzichten, deren Sinnbild die Schlange ist« — bei diesen Worten legte ich meine Hand auf ihre Schulterspange, welche zufällig jener mystischen Schlangenwindung nicht unähnlich gestaltet war, — »jene Hoffnung, welche allein solch eine innige, wahre Liebe, wie die, welche uns Beide verbindet, zwischen sterblichen Wesen zur Möglichkeit macht. Sie, die mit mir vor dem SmaragdThrone kniete, sie, die mit mir die schaurigheiligen Gelübde aussprach, sie soll auch stets in meinem Hause wie in meinem Herzen die Erste verbleiben, bis dereinst der Schlange Gelöbniß erfüllt ist.«

Beide schwiegen wir eine Weile, denn nur mit Andeutungen konnten wir jener Visionen gedenken und nie verfehlte die Erinnerung, uns Beide so tief zu ergreifen, daß wir jedes Wortes unfähig waren.

»Es thut mir so leid,« begann endlich Eveena, »daß Du Dich so gebunden hast, vielleicht nur, weil Du mich früher kennen lerntest. Ich schäme mich fast, immer und immer wieder neue Beweise Deiner Güte und Nachsicht hinnehmen zu müssen, wie erst heute Abend!«

»Und was denn, mein Lieb? Was hätte ich Dir heute nachzusehen gehabt, Madonna!?«

»Meine Einmischung, die Dich tiefer gekränkt haben sollte, als die kleine Bosheit Eunané's. Es war Dein Recht ganz allein, zu thun und zu lassen, was Dir beliebte.«

»Ja, gewiß,« gab ich zur Antwort; »Eunané hat mich ein wenig verletzt, von Dir aber glaubte ich nicht, so bitter verkannt werden zu können!«

»Wie das?« fragte sie überrascht.

»Habe ich es um Dich verdient, daß Du so schlecht von mir denken und mich für fähig halten konntest, Dir und meinem Dache solchen Schimpf anzuthun, meinem Dache, das selbst einen ebenbürtigen Feind vor einem Schlage beschützen würde? Die Hand, die sich gegen ein wehrloses Mädchen erhoben hätte, müßte fortan unwürdig sein, je eines Mannes Hand in Freundschaft und eines Weibes Hand in Liebe zu erfassen, ja, Du selber, Eveena, Du hättest vermuthlich solch eine Hand nie wieder zu berühren vermocht.«

Statt jeder Antwort ergriff sie dieselbe und drückte sie fest an ihre Lippen, dann sprach sie:

»Kann ich es je vergessen, daß sie mein Leben gerettet? Ich verstehe Dich freilich nicht ganz, aber ich sehe, ich habe Dir wehe gethan. Ja, ich dachte für einen Moment, daß Du in leidenschaftlicher Erregung, Deiner Stärke vergessend, zuschlagen würdest, und ich wußte, wäre Solches geschehen, daß Du tiefe Reue nachher empfunden hättest. Doch schon im nächsten Moment schämte ich mich, Dir in Gedanken so schweres Unrecht gethan zu haben. Wie jedweder Mann, vom einfachen Familienhaupt an bis zum ErzRichter und Camptâ hinauf, so mußt auch Du lernen durch Furcht zu regieren. Der Grimm würde Dir bald erkalten und dann möchte es Dir gehässig erscheinen, ein Mädchen bis zu Thränen zu züchtigen, so gehässig, wie es Dir dünken würde, eine Verbrecherin zur elektrischen Folter, zum Blitzstrahl oder zum Vivisektionstische zu verurtheilen. Aber, was Du auch immer gethan hättest, meinst Du, ich könnte mich von Dir abwenden? Ich bat Dich einst, Dein Blumenvöglein mit dem Hammer zu erschlagen, sobald Du seiner überdrüssig wärest, und auch dann noch würde ich Deine Hand bis zum Letzten fest in der meinen halten.«

»Still, Eveena,« sagte ich. »Was sind das für Worte? Ja, ich glaube es Dir, Du bist fähig, mir jeden Schimpf, den ich Dir selber anthäte, zu vergeben; dennoch bezweifle ich es, ob Du mir so leicht eine Grausamkeit gegen eine Andere vergäßest. Was mich selber betrifft, ich habe kein Herz gleich dem der Bewohner dieser Welt. Wie ich niemals einen Freund im Stiche gelassen habe, so habe ich auch niemals einem Feinde vergeben. Und würde ich selber vielleicht jenen Mädchen vergeben, wenn sie versuchten, mich zu vergiften, nie würde meine Hand eine Hand wieder berühren, die das Gift für einen Andern gemischt hätte, wäre selbst dieser Andere mein Todfeind.«


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Kapitel 19
Eine vollständige Einrichtung

Ehe ich einschlief, suchte mich Eveena zu überzeugen, daß ihr in meinem Hause, um ihr Quälereien und Gehässigkeiten zu ersparen, doch nur eine sehr engbegrenzte Autorität zugewiesen werden könnte. Selbst zum Frühstück, das uns alle gemeinschaftlich im Peristyl versammelte, bat sie mich, getrennt von mir erscheinen zu dürfen. Eunané, welche die Zurichtung des Morgenmahls übernommen hatte, schien sich äußerst geschickt ihrer neuen Haushaltungspflicht entledigt zu haben. Die ambau hatten ihr pünktlichen Gehorsam geleistet und die carvee mit all dem ihnen eigenen Geschick und Verständniß zur Bereitung der Mahlzeit Früchte, Blätter und Wurzeln aus dem äußeren Garten herangetragen. Eunané's Gesicht klärte sich sichtlich auf, als ich meine Befriedigung über das saubere und appetitliche Aussehen des Mahles, welches sie uns vorsetzte, nicht zurückhielt, und schien hocherfreut, als ich ihr auch für die Zukunft die Besorgung des Frühstücks anvertraute und ihr das Recht übertrug, fortan auch die zweite, die Hauptmahlzeit des Tages, die der Sitte gemäß durch einen ambâ von gewerblichen Köchen geholt wird, nach eigenem Ermessen zu bestellen. Dem gesammten Haushalt gab ich aber dadurch, daß ich für Eveena den Platz unmittelbar zu meiner Linken freiließ, zu wissen, daß sie die Favoritin und demnach von ihnen als Herrin des Hauses zu behandeln sei.

Die Damen schwiegen anfangs schüchtern und scheu, und selbst Eunané, die lebhafteste, gab mir nur auf meine Fragen einsilbige Antwort. Plötzlich aber brach ein unbedeutender Zwischenfall diese Zurückhaltung und gab mir einen kleinen Vorgeschmack des häuslichen Aergers, der meiner noch harrte. Das Getränk nämlich, der Carcara — der mir stets vortrefflich mundete, mit gerösteten Kernen schmackhaft zubereitet wird, und dem Kaffee ähnelt hatte heute einen so eigentümlichen Beigeschmack, daß ich meine Tasse und noch eine andere, die mir denselben Fehler zu haben schien, bei Seite schob. Wie das die Uebrigen merkten, fingen sie an, Enva sowohl wie Leenoo, Elfé und Eiralé, über den fraglichen Gegenstand mit boshaften Geberden die hämischsten Bemerkungen laut werden zu lassen. Nachdem ich erst eine Weile gezögert, diesen Ausbruch von Gehässigkeit gebührend zurückzuweisen, ertheilte ich ihnen endlich, da ich die bittere Kränkung Eunané's an ihrem Erbleichen und dem hilfesuchenden Blick ihrer thränenfeuchten Augen gewahrte, eine energische Zurechtweisung, und brachte dadurch die Mädchen, die gestern noch vielleicht auf gleiche Weise vor ihren Lehrerinnen erzitterten, sofort zur Ruhe. Als wir uns erhoben, fragte ich Eveena, die mit mehr Höflichkeit als wir Uebrigen ihre Tasse geleert hatte:

»Waren jene Vorwürfe irgendwie gerechtfertigt? Allerdings war der Carcara heut nicht sehr schmackhaft. War aber Eunané deswegen zu tadeln?«

»Ich glaube nicht,« erwiderte sie, »daß Eunané die Schuld trägt. In der Schule, wo sie die Kochkunst erlernte, erhielt sie die Frucht stets geröstet. Heut aber wird ihr die Carve eine unreife oder überreife Frucht, die den ganzen Geschmack verdorben hat, aus dem Garten gebracht haben.«

»Und könnt Ihr denn,« befrug ich Eunané, »könnt Ihr nicht reife von einer unreifen Frucht unterscheiden?«

»Wie sollte sie,« sagte Eveena. »Wer weiß, ob sie je eine Frucht am Baume gesehen hat?«

»Wie wäre das möglich?« wandte ich mich an Eunané.

»Ja, es ist wahr,« erwiderte sie, »ich bin nie über die Mauern unseres Spielplatzes herausgekommen, ehe ich hierherkam, und in den Gärten der Schule sah ich nur Blumenbeete und einige obstlose Bäume, die, um Schatten zu geben, dort angepflanzt waren.«

»Dann hat,« nahm ich das Wort, »Eunané bei uns ein neues Leben vor sich, das ihr eine reiche Reihe neuer Freuden verheißt. Habt Ihr denn niemals etwas von der Welt außerhalb der Schule erblickt?«

»Niemals,« entgegnete sie. »Eveena's Entschuldigung für mich ist, glaube ich, nur allzu wahr. Die Carve hat den Fehler gemacht, und ich verstand es nicht besser.«

»Nun gut,« schloß ich dieses Gespräch, »Ihr müßt dem Vogel vergeben, wie wir Euch Euren Fehler vergeben. Ich werde Sorge dafür tragen, daß Ihr bald Blumen und Früchte besser kennen lernt.«

Allerdings hatte Eunané ihre Jugend kaum abgeschlossener als die der meisten Kinder Londons, Calcuttas und Cantons verlebt. Mich aber gemahnte dieser Zwischenfall daran, wie öde solch ein Leben doch sein muß. Konnte denn ein solches Dasein, dachte ich bei mir, andere denn kleinliche, ärmliche Charaktere großziehen — ein Dasein, das von der Wiege bis zum Grabe an seine Scholle gebunden ist, das von der ganzen Welt nichts weiter als den Hofraum der Schule und die Wohnung des Gatten erblickt?

Eunané beschäftigte sich jetzt damit, mit Hülfe der Ambau die Reste des Mahls abzutragen, während die andern Fünf sich ihre Schleier umwarfen und wie aus der Schulstube entlassene Kinder wild auf den Söller des Dachs hinaufstürmten.

Ich wandte mich jetzt an Eveena, die neben mir stand, und sagte:

»Nimm Deinen Schleier und komme mit mir, denn noch kann ich mich nicht auf meinem eigenen Grund und Boden zurechtfinden.«

Sie folgte mir nach meinem Zimmer, und als die Thür sich hinter uns geschlossen, sprach sie in bittendem Tone:

»Bestehe nicht darauf, daß ich Dich wieder begleite. Du befahlst mir, stets offen meine Gedanken zu sagen. Nun, dann wäre es mir lieber, Du wähltest einmal als Begleiterin eine der Andern, denen Du bisher kaum noch Beachtung geschenkt hast und ließest mich inzwischen ein wenig von meinem Theil der Haushaltungspflichten erfüllen.«

Da ich ihre Begleitung weitaus jeder anderen vorzog und lieber allein als mit einer der »Sechse« ausging, gab ich erst nach, als ich einsah, daß ihr Gefühl für Gerechtigkeit sie durchaus auf ihrem Vorsatz bestehen ließ.«

»Du läßt ganz außer Acht, was mir Freude bereitet,« sagte ich endlich. »Willst Du also nicht kommen, so sage mir wenigstens, welche ich mit mir nehmen soll. Die Wahl sei Dir überlassen.«

»So nimm denn Eunané,« erwiderte sie. »Sie ist, glaube ich, die älteste, verständigste und geselligste von Allen; zudem hast Du ihr schon Verdruß bereitet, den sie eigentlich gar nicht verdient hat.«

»Die Schönste ist sie bei Weitem auch,« fügte ich lächelnd hinzu, worauf Eveena jedoch kaum achtete, ohne Ahnung davon, was weibliche Eifersucht sei.

»Das meine ich auch,« erwiderte sie nur, »bei Weitem die Schönste von uns Allen.«

Dann rief Eveena das Mädchen, das sich in einem andern Theile des Hauses zu thun gemacht hatte. Endlich kam sie langsam, wie mit Widerstreben zu mir und stellte sich schweigend und eine keineswegs freudige Stimmung zur Schau tragend, vor mich hin.

»Eveena meinte,« sprach ich zu ihr, »daß Ihr mich vielleicht nicht ungern begleitetet. Mögt Ihr aber nicht gern, dann sagt es mir nur, damit ich Eveena beauftrage, zu mir zu kommen.«

»Freilich freue ich mich,« versetzte Eunané, »Euch begleiten zu dürfen, ich konnte es aber nicht ahnen, daß Ihr mich ans diesem Grunde zu Euch beriefet.«

»Und Ihr hattet Furcht, ich möchte Euch schelten?«

»Ihr ließet ein Wort gestern fallen,« entgegnete sie, »das mich denken ließ, Ihr würdet Euren Tadel aufsparen, bis wir Beide allein seien.«

»Ganz Recht,« sagte ich, »das hätte ich gethan, wenn ich Euch zu tadeln gedacht hätte. Indeß, wenn Ihr selbst ein Dutzend Mahlzeiten verdürbet, würdet Ihr meinen Unwillen noch lange nicht der Art erregen, wie die Andern es heute gethan haben.«

»Wieso?« fragte sie erstaunt. »Mädchen und Weiber werden stets bei der geringsten Gelegenheit über einander herfallen und einander zu quälen versuchen.«

»Um so schlimmer,« entgegnen ich. »Und nun führt mich den Weg in die Gärten.«

Eine schmale Pforte aus einem farbigen Metall führte direkt aus einer Ecke des Peristyls in die äußeren Gärten. Obgleich ich bereits bei meiner Ankunft bemerkt zu haben meinte, daß sie von außerordentlicher Ausdehnung wären, wurde ich jetzt doch von der Größe derselben, so wie von ihrem Arrangement lebhaft überrascht. An zwei Seiten wurden sie durch Mauern von je zweihundert Ellen Länge begrenzt und die Entfernung von einer zur anderen war wohl doppelt so lang; hier Obstbäume, Frucht- und Gemüsebeete der mannigfaltigsten Art, dort Gruppen meist obstloser Bäume, die zu einem Schatten spendenden sich vereinigten; hier natürliche Anhöhen, künstliche Terrassen; hier war der Boden in der Weise, wie ich es bereits beschrieb, mit Rasen von den mannigfaltigsten Farben und Mustern belegt, dort prangten im Schmuck der Blumen und blühender Sträucher zauberische Gartenanlagen, und zwischen ihnen hindurch wanden sich breite Gänge und Pfade, und ein herrlicher silberner Strom schlängelte sich in anmuthigen Windungen durch Garten, Feld, Wiesen und Wald, und nährte Fontainen und Teiche. Und wie ich nach Norden hinsah, nach welcher Himmelsrichtung hin keine Mauer die Gärten abschloß, gewahrte ich durch einen Thorweg, der sich in der Mitte einer blühenden dichten Hecke befand, eine ausgedehnte, durch die üblichen Gräben wohl in fünfundzwanzig oder dreißig verschiedene Felder getheilte Meierei, von dem Flächeninhalt etwa einer englischen Meile, welche einen Theil der Besitzungen bildete, die mir der Camptâ geschenkt hatte. Das Gut war in wunderbar hoher Kultur. Obstgärten reihten sich an Obstgärten und weithin erstreckten sich die üppig blühenden Felder und saftigen Wiesen, auf denen Heerden von Einhörnern grasten und andere ihrer Eier, der Milch oder des Fleisches wegen gehaltene Thiere sich tummelten. Ein ganz oberflächlicher Ueberblick genügte, mich zu überzeugen, daß mir aus diesem Gute ein weit größeres Einkommen erwüchse, als selbst die Aufrechterhaltung des Glanzes und des Luxus eines Hausstandes, wie er mir aufgedrängt ward, erforderlich machen würde. Wir schritten also weiter, und meine Begleiterin hielt, nachdem sie einmal die erste Scheu überwunden, munter und anscheinend ohne die anfangs von Eveena bewahrte Schüchternheit das Gespräch im Gange, bis wir endlich an eine Brücke gelangten, die über den das Gut vom Park trennenden Graben hinüberführte. Hier zögerte Eunané und erklärte, sie dürfte selbst in meiner Begleitung die Grenzen des Parkes nicht überschreiten; trotzdem führte ich sie hinüber, ohne mich weiter darum zu sorgen, ob es sich schickte oder nicht. Kaum hatten wir aber den Graben im Rücken, als ich mich genöthigt sah, sie zu bitten, am Fuße eines nahen Obstbaumes zurückzubleiben und dort meiner zu warten, denn ich sah, wie ein mir fremder Mann auf uns zukam. Nach Austausch des üblichen Grußes sprach derselbe ohne weitere Umschweife sein Anliegen aus —

»Ich glaubte,« sagte er, »Ihr selbst möchtet Euch nicht der Bewirtschaftung einer so ausgedehnten Besitzung unterziehen, denn in der That, auch nur die Beaufsichtigung eines so großen Anwesens erfordert eines Mannes volle, angestrengte Arbeit, und zur richtigen Bewirtschaftung gehören wenigstens sechs oder acht Personen. Ich habe Erfahrung in diesem Fach und möchte Euch bitten, mir die Beaufsichtigung anvertrauen zu wollen.«

»Und wer hat Euch empfohlen?« fragte ich. »Habt Ihr irgend eine Empfehlung an mich?«

Er machte eine Bewegung, die ich augenblicklich verstand. Aber unser Gesetz, auf welches dies Zeichen sich berief, gebot mir besondere Vorsicht.

»Ihr könnt,« fragte ich, »lesen beim Sternenlicht?«

»Besser als bei anderem Lichte,« entgegnete der Fremde.

Nach dem Auswechseln einiger weiterer Erkennungszeichen, die mir keinen Zweifel über die Zugehörigkeit des Mannes zum Bunde mehr ließen, entgegnete ich:

»Genug, übernehmet die ganze Aufsicht unter den üblichen Bedingungen, die Euch vermuthlich besser bekannt sind, als mir selbst.«

»So schenkt Ihr mir absolutes Vertrauen?« fragte er mich in einem Tone leichter Ueberraschung.

»Indem ich Euch traue,« versetzte ich, »traue ich der Zinta; ich glaube in Händen, die mir derart empfohlen sind, völlig sicher zu sein.«

»Ihr seid im Recht,« sagte er, »und wie sehr, das wird Euch dieses beweisen.« Bei seinen Worten legte er eine kleine Oblate in meine Hände, die mit dem Siegel gestempelt war, das ich an Esmo's Arm gesehen hatte. Kaum hatte der Fremde gesehen, daß ich das Siegel erkannte, als er auch die Oblate wieder aus meiner Hand zurücknahm, sie in Stücke brach und verschluckte.

»Dies,« fuhr er fort, »soll Euch zur Bekräftigung der folgenden Botschaft dienen. Unsere Meister sind gewarnt worden, daß unserem Orden neue Gefahren drohen. Offene gewaltsame oder gesetzliche Verfolgung ist seit Jahrhunderten versucht und mißglückt und wird schwerlich von Neuem versucht werden. Dieses Mal scheint es auf die Vernichtung der Häupter des Ordens abgesehen zu sein. Man scheint so geheimnißvolle Mittel zu diesem Zweck anwenden zu können, daß es uns noch nicht gelang den Anstiftern auf die Spur zu kommen.«

»Indessen,« bemerkte ich, »wer Euch gewarnt hat, muß doch füglich auch wissen, woher die Gefahr kommt und Jene, die zu solchem Angriff sich als Helfershelfer hergeben, müssen sich doch der Gefahren bewußt sein, welche ihrer nicht nur für Mord vom Gesetze, sondern auch von den geheimen Gewalten des Ordens warten.«

»Die letztere Gewalt kennen sie nicht oder wollen sie nicht kennen; dann aber wird man um ihnen Muth zu machen vermuthlich vorgeben, der Plan wurde vom Hofe gebilligt, so daß sie im Falle der Entdeckung nicht befürchten brauchten, der Strafe des Gesetzes zu verfallen.«

»Wie kann man denn,« forschte ich weiter, »wenn eine Mordthat einmal erwiesen ist, es hindern, daß der Gerechtigkeit freier Lauf gegeben werde? Können die Anstifter die Schuldigen beschützen, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben?«

»Man würde sich zweifelsohne auf ein Gesetz berufen, das einst mit besonderer Abzweckung gegen uns gegeben, seit Jahrtausenden indeß nicht mehr angewendet ward, und das einen Jeden für außerhalb der Gesetze stehend und vogelfrei erklärt, der als Mitglied zu einem religiösen Geheimbund gehört. Freilich werden wir am Ende die Schuldigen dennoch ausfinden; sie werden ihrer Strafe nicht entgehen. In der Zwischenzeit aber umringt uns Alle Gefahr; hauptsächlich aber bedroht sie die Häupter des Ordens. Nächst Esmo und seinem Sohne schwebt der Mann in Gefahr, der die Tochter des Meisters heimgeführt hat. Noch wird man keinen offenen Mordanschlag auf Euch auszuführen wagen, so lange Ihr Euch noch der Gunst des Camptâ erfreut. Doch habt Ihr Euch schon einen mächtigen, einen gewaltigen Feind gemacht und dürftet heute schon der Gegenstand wohlbedachter Mordpläne sein. Andrerseits habt Ihr nächst dem Meister und dem Sohne des Meisters den größten Anspruch auf den Schutz des Ordens und daher werden jene, welche die Beaufsichtigung Eurer Geschäfte übernehmen, auch die Pflicht übernehmen, wachsam Euer Leben zu hüten. Wollt Ihr mich von einem jeden Eurer Vorhaben unterrichten, dann kann, glaube ich, die Hauptgefahr für Euch nur dort noch liegen, wohin ich leider nicht dringen darf. Die einzige Gefahr würde Euch aus Eurem Haushalte drohen und dahin ersucht Euch der Clavelta, Eure Aufmerksamkeit ganz besonders zu richten. Unmittelbare Gefahr kann Euch bis jetzt nur von Weiberhand drohen.«

»Meint Ihr Gift?«

»Wahrscheinlich,« erwiderte er kalt. »Indeß über die Einzelheiten der Verschwörung ist unser Rath, so viel ich weiß, selbst noch im Unklaren.«

»Und wie ist es möglich,« fragte ich weiter, »daß der, welcher uns Kunde von unserer Gefahr gab, die Namen der Schuldigen vorenthalten konnte, so daß seine Botschaft uns nur zu erschrecken, nicht auch zu schützen vermag?«

»Ihr kennt,« erwiderte er, »das geheimnißvolle Wahrnehmungsvermögen, welches wir besitzen, und wißt auch vermuthlich, wie seltsam licht an manch einem Punkte und wie dunkel an anderen solch eine Vision ist.«

Während unseres Gesprächs waren wir auf und ab gegangen und einige Male an Eunané vorübergekommen. Als mein neuer Gefährte seine Rede dicht bei ihr fortsetzen wollte, unterbrach ich ihn und sagte: »Nehmt Euch in Acht; ich kenne sie nicht und weiß von ihr nur, daß sie vom Camptâ für mich ausgewählt ist, und daß sie nicht zu unserem Bunde gehört.«

Sichtlich erschreckt fuhr er zurück.

»Ich meinte,« sagte er darauf, »die Zeugin unserer Unterhaltung wäre so verläßlich, wie Ihr selber, und dachte nicht daran, wie es geschah, daß Ihr von der Vorsicht abweichen mußtet, die es unsern Brüdern verbietet, in ihren Haushalt Nichtmitglieder des Ordens aufzunehmen und sich so Spioninnen im eigenen Hause zu schaffen.«

»Von wem,« fragte ich endlich, »sprachet Ihr denn als vom Clavelta? Ich wußte nicht, daß der Bund ein höchstes Oberhaupt besäße.«

»Das Siegel,« antwortete mein Freund, sichtlich erstaunt, »hätte den ErzErleuchter einem weniger scharfen Auge, als dem Euren offenbaren müssen.«

Wir hatten selbstverständlich unser Gespräch erst dann wieder aufgenommen, als wir uns außer Hörweite Eunané's befanden. Schließlich nahm mein Gefährte, nachdem er sich sorgfältig nach allen Richtungen umgeschaut hatte, noch einmal das Wort:

»Um so besser werdet Ihr jetzt es begreifen, wie groß Euer Anspruch auf Hilfe von Seiten Eurer Ordensbrüder ist und wie vertrauensvoll Ihr auf ihre Treue und Wachsamkeit bauen dürft.«

»Es thäte mir leid,« entgegnete ich, »sie ihr Leben für das meine gefährden zu sehen; zudem bin ich seit meiner Knabenzeit gewohnt, auf meine eigene Rechte mich zu verlassen; aber das stete Drohen tückischen Meuchelmordes könnte auch den Tapfersten der Tapfern entnerven und ich will durchaus nicht behaupten, daß mich dies gleichgültig ließe.«

»Für Euch,« fuhr er fort, »würden wir alle wie für den eigenen Bruder uns opfern. Habt Ihr denn nicht einen Nachkommen des Gründers unseres Ordens vom Tode errettet und würdet Ihr doch nach dem Vater und Sohn, als der einzigen aus seinem Stamme noch Ueberlebenden, dereinst der Beschützer und das Haupt unseres Ordens werden.«

Nach einigen weiteren Worten schieden wir; ich selbst ging zu Eunané, um sie nach dem Schlosse zurückzugeleiten. Obgleich ich gelernt hatte Schweigsamkeit der Frauen als etwas ganz natürliches zu betrachten, hätte es mir doch auffallen müssen, wäre ich nicht selbst in Gedanken versunken gewesen, daß Eunané, die vorher so frei und lustig geplaudert hatte, mit einem Male wie verstummt war, also vermuthlich Dinge gehört haben mußte und jetzt bei sich überlegte, die nicht für sie bestimmt waren. Gewohnt, wie ich bin, an Gefahren des Kriegs und der Jagd, und wie sie diplomatische Dienste im Orient und Reisen in den wildesten Strichen der Erde täglich darbieten, habe ich mich doch nie, ich muß es gestehen, eines unheimlichen Schauders bei dem Gedanken an Meuchelmord und an Gift erwehren können. Der eherne Muth Cromwells und vieler anderer gleich muthbeseelter Krieger brach an der Furcht vor diesem schleichenden, unsichtbaren, ungreifbaren Feinde, der ihnen keine Stunde der Ruhe und des Friedens mehr ließ. Indessen wenn ich die Unwahrscheinlichkeit bedachte, daß die von dem Monarchen auserkorenen Mädchen, die kaum aus der Schulstube entlassen, sich auch schon in meinem Hause als meine Frauen befanden, so schnell und so leicht sich zum Mord und zum Verrath verleiten lassen könnten, erschien mir meine Furcht und die mir anempfohlene Vorsicht übertrieben, und ehe ich noch die Schwelle meines Hauses erreicht hatte, war in mir der Entschluß gereift, der Mahnungen nicht länger zu gedenken, überzeugt, daß es am Ende selbst besser sei, durch Gift zu sterben, als stündlich und täglich in beständiger Angst vor dem Gifte zu leben. Besser, dachte ich, gewaltsam zu sterben, als meine nächsten Angehörigen trotz ihrer Jugend und ihres Geschlechtes stündlich für so verworfene Verbrecher zu halten; ja ich schämte mich fast, einem solchen Verdachte gegen die Mädchen auch nur einen Moment lang in mir Raum gegeben zu haben, und hütete mich wohl, Eveena von den in mir erweckten Befürchtungen etwas wissen zu lassen. Vielleicht durfte auch bei diesem meinem Entschlusse Jugend und Schönheit schwerer ins Gewicht gefallen sein, als die kalte Vernunft hätte zugeben dürfen. Ein Martialisches Sprichwort bemerkt diesbezüglich nicht unrichtig:


»Trau dem Freund, sieh Dich betrogen,
Trau dem Feind, es wird Dich reuen,
Trau dem Weib — dreifach betrogen, —
Wirst ihr stets vertraun von Neuem.«


Betreffs der allgemeinen Warnung fühlte ich zwar den lebhaften Wunsch, Eveena's Meinung zu hören, da es mir widerstrebte, ein Geheimniß vor ihr zu haben; anderseits mochte ich auch wieder nicht in ihre Seele Besorgnisse senken, die selbst auf meine seit zwanzig Jahren in Gefahren aller Art gestählten Nerven aufreibend einwirken mußten.


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Kapitel 20
Sociales und häusliches Leben

Als wir uns dem Schlosse näherten, bemerkte ich Eveena's Gestalt unter der aus dem Dache versammelten kleinen Gesellschaft. Sie hatte von dort aus meine Unterhaltung mit dem Fremden beobachtet, schwieg jedoch, da es ihr unpassend schien, sich in Dinge zu mischen, die ihr nicht aus freien Stücken mitgetheilt würden, und als ich ihr endlich bei der ersten Gelegenheit unter vier Augen erzählte, daß jener Fremde zur Zinta gehöre und mir von ihrem Vater zur Leitung meiner Geschäfte warm empfohlen sei, schien sie völlig befriedigt zu sein. Mochte ich nun auch nicht ihr Gemüth mit Besorgnissen beunruhigen, über welche sie sich schwerlich so leicht hinweggesetzt hätte wie ich, so ließ mich doch das stete Gefühl von Unsicherheit, das ich, so sehr ich mich auch bemühte, doch nicht recht abzuschütteln vermochte, die Gesellschaft Eveena's so viel wie möglich aufsuchen, um allein mit ihr wieder einmal ohne Rückhalt sprechen zu können. Meine Lage in meiner eignen Familie war eine seltsam prekäre, da die leitenden Ideen und fundamentalen Principien der Zveltau, die, wie gesagt, nur Mitglieder des Ordens in ihre Familien aufnehmen, so völlig das ganze Leben und Streben, Denken und Fühlen beherrschen, daß, so leicht es immerhin sein mag »im Hause im Lichte zu leben und mit dem Blinden draußen zu gehen«, es doch im Familienverkehr sogar für einen vorsichtigen Mann, der ich nicht war, ungemein schwer hält, dem instinktiven Spürsinn von Weibern es zu verbergen, daß er anders denke und fühle wie sie und ihres Gleichen. Diese Schwierigkeit macht sich bedeutend weniger fühlbar zwischen Ungläubigen und Christen. Der einfache Glaube der Zinta beeinflußt die Gedanken und das Leben weit mehr, als es alle unergründlichen Mysterien komplizirter Glaubenslehren und spitzfindiger philosophischer Systeme vermögen.

Eines von Eveena's LieblingsCitaten trug den unverkennbaren Stempel des zveltischen Mysticismus; es lautete:


»Was den Sinn verkehrt, dies Sinnbild
Bildet der Vorsehung Siegel;
Vom Geheimniß, dem als Schloß gilt
Widerspruch, — zieht die Zeit den Riegel.«


Der Gefahr, in welche mich meine Verbindung mit der Zinta und ihrem Meister verwickelte, und der Gegenwart von einem halben Dutzend Rivalinnen Eveena's, gelang es nicht nur nicht das Band zu lockern, das uns Beide umschlang, sondern dasselbe ward vielmehr gerade dadurch von Tag zu Tag fester und theurer. Doch unser Geheimniß mußten wir vor Anderer Augen verbergen, und daher erforderte es, um mit ihr unbelauscht allein sein zu können, manch zartes und schwieriges, wenn auch unschuldiges Manöver etwa von der Art Jener, deren bei uns in Europa Verlobte mit Vorliebe zu gleichem Zwecke sich zu bedienen pflegen. Die verhältnißmäßige Seltenheit solch eines Alleinseins, die Schwierigkeit, dasselbe herbeizuführen, trug nicht wenig dazu bei, unsere Liebe, die sonst gewöhnlich im ungebundenen Eheverkehr sehr bald, wenn auch nicht verwelkt, doch verblaßt, in zartester Frische fortblühen zu lassen. Kurz, da sie es sah, wie sehr ich ihre Gesellschaft suchte, wie sehr ich dieselbe schätzte, schien sie völlig zufrieden und glücklich in ihren Beziehungen zu mir. Daß sie indessen im Ganzen sich nicht so wohl, als in unserm so grausam gekürzten Honigmond fühlte, lag auf der Hand, trotzdem ich ihre Traurigkeit höchstens einmal an ihren niedergeschlagenen Blicken zu erkennen vermochte, wenn ich nach längerer Abwesenheit sie plötzlich, ohne daß sie es ahnte, aufsuchte. In meiner Gegenwart aber war sie stets ruhig, freundlich und scheinbar zufrieden und glücklich, und stets begegnete sie mir, wenn ich von meinen Ausflügen heimkam, mit freudigem Gruß und frohem Willkommen, wie es herziger nie ein Mann auf der Erde von seinem Weibe vernommen haben kann, wenn er nach des Tages Mühe und Last heimkehrt, um im Zusammensein mit ihr, für die er den ganzen Tag lang gewirkt hat, sich zu erholen.

So weit ich es über mich gewinnen konnte, mußte ich die Weisheit ihres Vorschlags anerkennen, keinen offenen Unterschied zu ihren Gunsten zwischen ihr und den andern zu machen, obgleich es rechtlich in meiner Macht stand, in meinem Hause zu schalten und zu walten, wie es mir beliebte.

»Du hast aber doch,« sagte Eveena, »ein gewisses Gefühl für Gerechtigkeit, das Dir höher steht als formale und herkömmliche Sitte. Du sprichst von Recht und Unrecht, wo wir uns nur fragen, ob Strafe gerathen scheint oder nicht. Ja, Du darfst in Deinem Hause eine Favoritin ernennen, wenn es Dir beliebt, doch der Preis, den dies Dir kosten würde, ist nicht so gering. Möchtest Du Dir den Haß Deines eignen Hauses zuziehen? Oder möchtest Du es, daß man mich haßte und mir mein Leben durch kleinliche Quälereien und Bosheiten unerträglich machte?«

»Das sollen sie nicht wagen!« rief ich erzürnt und voll Furcht, sie hätten es vielleicht schon gewagt.

»Meinst Du,« fuhr sie fort, »es könnte Weiberbosheit nicht gelingen mein Leben dutzendfach zu verbittern, ohne daß ich angeben könnte, wie es geschehen?«

»Indessen,« fuhr ich fort, »sagte Enva doch selbst, ich hätte sie gekauft und bezahlt und könnte mit ihnen innerhalb der Bedingungen des Vertrags nach Belieben verfahren, und Du giebst selber zu, daß das ein jeder andere Mann aus Eurer Welt sicherlich thäte.«

»Gewiß,« erwiderte Eveena, »auch Du darfst thun, was Dir beliebt, und Unzufriedenheit, boshafte Worte und schiefe Blicke, Ungehorsam und Auflehnung gegen Deinen Willen mit Schrecken und mit Gewalt unterdrücken, — falls Du es kannst. Kannst Du es aber? Könntest Du ohne Untersuchung entscheiden, ohne Beweise verdammen und ohne die Schuldigen zu hören bestrafen? Nein, nein, Du könntest es nicht, so wenig Du es vermöchtest die Luft unserer Schneeberge zu athmen.

Trotz aller Reden, trotz aller Selbsterniedrigung Eveena's blieb aber doch der thatsächliche Unterschied zwischen ihr, als der Frau, welche die Achtung und Liebe ihres Gemahls besaß, und den anderen Mädchen, die im besten Falle recht hübsche Spielpuppen waren, unverändert bestehen und zeigte sich täglich gegen unseren Willen bei der geringsten Kleinigkeit im häuslichen Verkehr. Es schien ganz unmöglich, Eveena wie ein Kind und Enva oder Eiralé anders zu behandeln, als solche. Gleicherweise war es unnatürlich, gegen sie, der mein Wunsch absolutes Gesetz war, den Ton des Befehls anzuschlagen, und unmöglich, die andern mit Höflichkeit durch Bitte und wohlmeinenden Rath zu regieren, da ihr Gehorsam eben nur, wie der von Rebellen, durch Gewaltmaßregeln zu erzwingen war. Kein Fehltritt Eveena's hätte ihre Gefährtinnen mehr gegen sie aufzubringen vermocht, als gerade ihr tadelfreies Verhalten es that.

Mein Verhältniß zu den sechs meiner persönlichen Leitung anvertrauten jungen Damen schien mir übrigens mit der Zeit noch absurder zu werden, als ich es selber vorausgesehen hatte. Eine jede von ihnen hätte vielleicht, wäre sie allein gewesen, mit der Zeit sich zu einer nicht unliebenswürdigen Frau herausbilden lassen können, aber sie alle zusammen waren eben, wie Eveena richtig gesagt, nichts anderes, als eine Schaar von Schulmädchen und zwar Schulmädchen, die einer strengeren Zucht und schärferen Disziplin gewohnt waren, als man sie in französischen und italienischen Klöstern findet und einer englischen oder deutschen Lehrerin hätten sie das Leben zu einer Hölle auf Erden gemacht. Glücklicherweise verstand ich, mir ihnen gegenüber die Autorität zu geben, welche auf alle Mädchen die größere Manneskraft anfangs ausübt, — bis es ihnen nämlich klar geworden, aus wie schwachem Stoffe der Mann gemacht ist, — wobei mir eine ihnen künstlich beigebrachte Furcht vor der Strenge der Sitten und der Gesetze des Hauses nicht wenig zu statten kam. Diese ernsthafte Seite ihrer Lage dämpfte anfangs all ihren bei ihrer Jugend nur zu natürlichen Uebermuth. Dann aber gingen sie ganz außer Rand und Band, als sie nach einigen halb schüchternen, halb kecken Versuchen sich überzeugt zu haben meinten, nicht die strenge Disziplin des Hauses, sondern den lockeren Gürtel, der ihnen Freiheit bedeute, gegen die Monotonie des früheren Lebens in der Anstalt eingetauscht zu haben. Waren sie allein unter sich, dann lebten sie auf und zeigten eine sprudelnde Freude am Leben. Kamen sie dann aber mit mir oder Eveena zusammen, so verschwand plötzlich alle Kindlichkeit aus ihrem Wesen; sie wurden Frauen und Weiber und zeigten leider nur die häßliche Kehrseite des schwanken Gebilddes, das Weib heißt. Ihrem Herrn und Meister gegenüber waren sie Sklavinnen; eine jede suchte seine Aufmerksamkeit zu erregen, eine jede suchte ihn zu fesseln; doch vor der Favoritin wurden sie hämisch und neidisch, boshaft, ränkesüchtig und falsch. Um Eveena's Willen durfte ich gegen solche kindischen Ausbrüche ihrer Bosheit nicht gleichgültig bleiben, da sie nur zu wohl es verstanden, ihr Opfer mit ihren im giftigen Hasse weiblicher Eifersucht getränkten Pfeilen ein jedes Mal sicher zu treffen.

Aber auch in harmloseren Dingen überschritten sie bald die äußersten Grenzen der Freiheit, die ihnen füglich gewährt werden konnte, und immer war Eunané die verwegenste Uebertreterin und die keckste Rebellin, deren launige Keckheit und sprudelnder Uebermuth, mit denen sie in die Monotonie unseres häuslichen Lebens eine gewisse Abwechselung zu bringen versuchte, nicht selten sogar auch mir ein Lächeln entlockten.

Besonders auffallend in ihrem Charakter erschien mir stets die Naivetät und gute Laune, mit welcher sie als etwas ganz Natürliches die unangenehmsten Folgen ihrer wilden Streiche hinnahm; hatte sie dann ihre Strafe abgebüßt, so kam es wohl oft vor, sofern sie sich durch ihre Buße in ihrem Stolze nicht verletzt fühlte, daß das wilde Mädchen sich plötzlich zum munteren verständigen Weibe verwandelte, und das Weib in ihr gleichsam der Schulmädchenstreiche vergaß.

Wie ihr Charakter von jenem der Uebrigen vollständig verschieden war, so bemerkte ich auch mit der Zeit, daß die Individualität Eivé's nicht weniger von der den Anderen, als die Eunané's, doch nach einer andern Seite hin, sich unterschied. Verhältnißmäßig schüchtern und zaghaft, ohne den übersprudelnden Lebensgeist ihrer Schwestern, kam sie mir wie ein Kind vor und anscheinend zufrieden bequemte sie sich auch der Rolle eines solchen an und fügte sich ebenso gern in Verbote, die diese Rolle als unvermeidliche mit sich brachte, wie sie die Vorrechte hinnahm, die mit ihr verknüpft waren. Sie allein war nie im Wege, nie ein Störenfried, nie ein Quälgeist. Zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die ihr zu Theil ward, drängte sie sich nie in lästiger Weise zwischen Eveena und mich, und war uns manchmal sogar eine nicht unwillkommene Gesellschaft, wenn die Andern ihrem eigenen Hange und Vergnügen nachgehend uns verließen. Dann schmiegte sie sich auch wohl wie ein Kätzchen zu meinen Füßen oder zur Seite Eveena's oder ihr Köpfchen ruhte auf meinem Knie, während sie sich auf dem Rasen oder zwischen den Kissen ausstreckte, und schweigend lauschte sie unseren Worten wie ein Kind, das man seiner Harmlosigkeit wegen Manches anhören läßt, was Anderen sorgfältig verschwiegen werden muß. Ohne eigentliche eigene Beschäftigung im Haushalt machte sie sich, soviel sie konnte, um Eveena zu thun. Wenn die ganze Familie versammelt war, nahm Eivé nie im Kreise der Uebrigen, noch auch zu meiner Seite Platz, da der Ehrenplatz zu meiner Linken als unbestritten Eveena zukam, und der Platz zur Rechten gewohnheitsmäßig von Eunané ausgefüllt ward, sondern legte sich zu unseren Füßen und war glücklich und froh, wenn meine Hand mit ihrem Lockenschmuck spielte. Nur selten, fast nie, nahm sie Theil au unserem Gespräch und begnügte sich völlig mit der Aufmerksamkeit, die man halb unbewußt einem Kinde schenkt. Ein dem Munde Enva's zufällig entfahrenes Wort machte mich freilich darauf aufmerksam, daß Eivé mit diesen kindlichen Liebkosungen besonders in Eveena's Abwesenheit freigiebig zu sein schien; indessen vermochte solche Art Liebe, wie ich sie ihr gewährte, nicht einmal Leenoo's oder Eiralé's Neid zu erregen. Auch veranlaßte sie mich oft zur Bestrafung ihres kindischen Trotzes, wobei dann immer die bald folgende Versöhnung dazu beitrug den Halt, den sie bereits auf mein Herz gewonnen, noch zu verstärken. Aber in Gegenwart Eveena's, ließ sie ihre Unart so wenig zu Tage treten, daß die auffallende, wenn auch nicht zur Kälte und Unfreundlichkeit werdende Kühle, mit welcher Eivé sich von Eveena behandelt sah, mich einigermaßen überraschte.

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Wenige Marsmenschen, welche die Mittel sitzen, ihre Besitzungen der Leitung anderer anvertrauen zu können, möchten sich der Mühe unterziehen, die Bewirtschaftung ihrer Güter auch nur zu überwachen. Mir aber war dies von nicht geringerem Interesse, als die Beobachtung der Eigentümlichkeiten der hiesigen Gesellschaft, der Industrie und des Handels, und sah ich meine Zeit nicht anders in Anspruch genommen, so benutzte ich einen großen Theil meines Tages dazu, die Arbeit auf meinen Feldern, die tagein und tagaus, nicht selten auch während der Nacht vor sich ging, zu überwachen und hin und wieder die oberste Leitung selbst in die Hand zu nehmen. Davilo, der Oberverwalter, hatte nicht weniger als acht Unterbeamte in seine Dienste genommen und erhielt mit ihrer Hilfe und der Verwendung der Ambau, der Carvee und der elektrischen Maschinen mein Gut in bestem Zustand. Meine verhältnißmäßig werthvollste Ernte bestand in jenen mehligen Früchten, die hier unter dem Wendekreis zweimal im Jahre an sechzig bis achtzig Fuß hohen Bäumen reifen und das Hauptelement martialischer Nahrung bilden. Verschiedenartige kürbißähnliche Früchte, die auf einem Rohrgewächs wuchsen und von der Spitze des drei bis acht Fuß hohen Stammes in langen, biegsamen Stengeln herunterhingen, lieferten einen Saft, der theils bei der Zubereitung mannigfacher Gebäcke und Kuchen verwandt wird, theils zur Herstellung zahlreicher Getränke, welche da sie nie gähren dürfen, täglich in einem jeden, selbst dem einfachsten Haushalte frisch zubereitet werden. Die feinsten Getränke erhält man aus hartschaligen Früchten, deren Fleisch dadurch flüssig gemacht wird, daß man die Rinde, ehe noch die Frucht völlig reif ist, durchbohrt und das Loch mit einer wachsähnlichen Masse verschließt, ungefähr nach derselben Art und Weise, wie man es in einigen Theilen Asiens auch bei uns thut. Andere schmackhafte Früchte wachsen wieder an Sträuchern jeglicher Größe, und am Boden entlang ziehen sich Rebengewächse, an denen in Büscheln und Trauben eine nußähnliche Frucht gedeiht, deren Kerne bald so hart, wie die der Cokosnuß, bald so weich wie Butter sind. Diese letzteren, sowie jene saftreiche Frucht, von der ich gesprochen, kann man im Boden vergraben und von jenem ofterwähnten Cemente umschlossen, jahrelang aufbewahren, wenn man, was auf chemischem Wege ohne große Kosten geschehen kann, die Temperatur in dem umschlossenem Raume ständig einige Grade über dem Gefrierpunkt erhält. Durch Combination dieser zahlreichen Pflanzenspeisen weiß man hier mit gelegentlicher Zuhilfenahme von Fleisch, Eiern und Fisch eine so unendliche Anzahl Gerichte zu bereiten, daß eine jede Speise, wenn anders sie nicht ein Lieblingsgericht des Herrn vom Hause ist, höchstens alle zehn Tage ein Mal auf dem Tische erscheint. —

Die zähen faserigen Reben liefern ein vortrefflich starkes Flechtwerk, wenn sie zu diesem Zwecke getrocknet, geschält, und nach einem kunstvollen Verfahren hergerichtet sind, das sie glatt und geschmeidig macht und die vielen in ihnen vorhandenen natürlichen Knoten entfernt. Ein aus solchen Nußreben geflochtenes Seil ist fast ebenso stark, wie ein metallisches Drahtseil von halb seiner Stärke. Indeß dienen diese Fasern noch einem anderen Zwecke; sie bilden, getrocknet und geflochten, eine Geißel, die mindestens der Russischen Knute und der Afrikanischen Kuhhaut ebenbürtig zur Seite gestellt werden darf, nein sie bei weitem noch übertrifft, denn die gelindeste Anwendung derselben genügt, die wildeste Heerde in Zucht zu erhalten; sie ist kaum weniger gefürchtet, als die elektrische Folter, in welcher es der martialischen Wissenschaft gelungen ist, ein raffinirteres Marterwerkzeug zu entdecken, als je die Menschenbosheit auf Erden ersonnen hat.

Die ganze Feldarbeit wurde mit wunderbar geringen menschlichen Kräften verrichtet, da die Maschinerie das Pflügen und Säen, und die Carvee das Jäten und Ernten besorgten. Die Ambau erkletterten die Bäume und pflückten die Früchte von den Enden der Zweige, wobei sie angelernt waren, nur die reifen zu nehmen und die unreifen an dem Zweige zu lassen. Die Summen, welche als Ertrag der Fruchternten von Zeit zu Zeit in meine Hände gelangten, waren weit größer, als ich auch bei dem größten Aufwand selber verbrauchen konnte.

Ehe wir noch drei Tage in unserem neuen Heim geweilt hatten, richtete Eveena zwei Bitten an mich, die ich ihr gern zu erfüllen geneigt war. Erstlich ersuchte sie mich, sie wenigstens eine der irdischen Sprachen zu lehren; eine Aufgabe, von deren Schwierigkeit sie sich allerdings keine Vorstellung machen konnte, denn mit ihrer eigenen Sprache verglichen, mußte die einfachste Sprache der Erde, mit ihren vielen Regeln, Ausnahmen und Unregelmäßigsten ihr weit schwerer erscheinen, als etwa einem Franzosen oder Italiener die schwerste der alten orientalischen Sprachen. Um mein Versprechen zu erfüllen und sie mit der Zeit an meinem Werke, der Aufzeichnung meiner Memoiren, als Hilfsarbeiterin theilnehmen lassen zu können, wählte ich die lateinische Sprache; aber unglücklicherweise hatte ich weder das Talent noch die Ruhe, Unterricht zu ertheilen, und nur ihrer Sanftmuth und ihrer Engelsgeduld gelang es, uns über die Schwierigkeiten des Lehrens und Lernens dieser Sprache hinwegzuhelfen. Auch Eivé stellte mir bei einer anderen Gelegenheit eine ähnliche Bitte; ich fühlte indeß, nach der Erfahrung, die ich mit mir selber gemacht, nicht große Lust, meine eigene oder Eivé's Geduld und Laune so stark auf die Probe zu stellen, ganz abgesehen davon, daß es mir wesentlich war, mit Eveena mich gelegentlich in einer Sprache unterhalten zu können, die von keinem anderen Gliede des Haushaltes verstanden wurde. Ihr zweiter Wunsch war sehr natürlich an einem Mädchen, die von jeher ihr liebstes, ja ihr einziges Vergnügen in der Blumenzucht gefunden hatte; sie bat mich nämlich, ihr die Sämereien anzuvertrauen, die ich von der Erde mitgebracht hatte, um in dem Peristyle versuchsweise von ihnen ein Beet anzulegen. Mußte dies auch das vollendet schöne einheitliche Arrangement unseres Gartens beeinträchtigen, so war ich doch entzückt, eine so wichtige und interessante Aufgabe ihrer geschickten Hand anvertrauen zu können, denn mir selber wäre es wahrscheinlich nicht einmal gelungen, auch nur eine einzige Pflanze aufzuziehen. Eveena aber hatte das Glück und Geschick, wohl aus einem Viertel des ihr anvertrauten Samens theilweise seltsam veränderte, theilweise wunderbar verschönerte Arten zu gewinnen! zu den schönsten Blumen von allen gestalteten sich unter ihren Händen einige türkische Rosen aus Stambul. Meine Bewunderung ihrer Geduld und die Freude an ihrem Erfolg erfüllte sie mit Stolz, und reichlicher Lohn für alle ihre Mühen schien es ihr zu sein, als ich ihr vorschlug, ein kleines Packetchen von den Sämereien, mit denen sie Erfolge erzielt hatte, an ihre Schwester Zevle zu senden. —

Wenn irgend Etwas mich mit meinen Haushaltsverhältnissen, in welche ich mich eher durch Schwäche, als durch freien Willen verwickelt sah, einigermaßen hätte aussöhnen können, so wäre es nur die Gewißheit gewesen, daß Eveena selber mir dies Opfer, das sie hartnäckig als solches anzuerkennen sich sträubte, aufgezwungen hatte. Konnte ich nun jenen Frauen, die mir durch die Wahl eines Dritten angetraut waren, kaum auch nur eine Neigung entgegenbringen, wie sie das Haupt einer muselmännischen Familie für seine zahlreichen Hausgenossinnen empfindet, — denn was ich Liebe zu nennen gewohnt bin, hätten sie nie erwartet und hätten sie schwerlich verstanden, — so blieb mir trotzdem kein Zweifel, ja sie leugneten es nicht einmal selber, daß sie sich alle glücklicher fühlten, als sie es erwartet, glücklicher, als in einem jeden anderen Hausstand, sicher aber glücklicher als in der Anstalt, die sie verlassen hatten. Aus dem Wesen der Meisten konnte ich lesen und Eunané's Worte, — sie hielt selten mit ihrer Ansicht zurück, mochte dieselbe für mich verletzend oder schmeichelhaft sein, — sagten mir laut, daß sie alle mich nicht nur für weit nachsichtiger und gütiger, sondern auch für ungleich gerechter hielten, als man sie gelehrt hatte, je von einem Manne hoffen zu dürfen. —

Ueberdies war es mir gelungen, obgleich ich nicht mehr die übersprudelnde Lebensfrische der Jugend besaß und in dem, was Jugend Vergnügen nennt, kaum Vergnügen mehr fand, doch jener Uebersättigung und Blasirtheit, die nur bei einem weniger bewegten Leben, als ich es geführt hatte, sich einzustellen pflegt, zu entgehen und mir die Frische des Geistes zu erhalten, so daß es mir thatsächlich eine Belustigung und Freude war, die jungen Mädchen ihre neue Freiheit in Unterhaltung und Spiel rückhaltlos genießen zu sehen. —

Von diesen Unterhaltungen schienen zwei den beiden Lieblingsbelustigungen der europäischen Gesellschaft nahe verwandt. Die Musik war hier wie die meisten anderen Künste zu solch einem Punkte mechanischer Vollkommenheit gebracht, daß dieselbe den Genuß, den diese Kunst einfacheren Geschlechtern einstmals gewährte, eher beeinträchtigte als erhöhte. Selbst ohne Verständniß und ohne Gehör für Musik, die mir nichts weiter, als ein leeres Getöse dünkt, versuchte ich natürlich nicht, die Konstruktion martialischer Musikinstrumente kennen zu lernen oder die Natur ihrer Musik zu studiren. Ein Vorgang überraschte mich indeß durch seine Seltsamkeit, den ich, ob ich ihn auch schwerlich verstand, kaum unbeobachtet lassen konnte. Ich sah nämlich aus einer Reihe von Rohren verschieden lange Flammen emporzüngeln und rhythmisch sich heben und senken, und hörte aus ihnen eine Anzahl korrespondirender Noten an mein Ohr schlagen; es war, wie wenn jene Flammen nach dem Klang ihrer Musik tanzten oder vielmehr eine Reihe seltsam verschlungener Bewegungen ausführten, zu denen der Schall sich in unverkennbarem Zusammenhang befand. Jede Art von Musik wird hier indeß nur von professionellen Musikern ausgeführt, und bildet niemals eine Mußebeschäftigung der Frauen — von dem bezaubernden Reiz der melodiereichen Klänge einer vertrauten Stimme oder der Kunstfertigkeit eines geliebten Wesens kennt und fühlt man hier nichts. —

Elektrische Drähte führen von den Wohnungen nach den Conzertsälen und ermöglichen es, im eigenen Hause, ausgestreckt zur Ruhe auf den Kissen seines eigenen Peristyls, den größten Oratorien und den herrlichsten Opernaufführungen von Ferne zu lauschen. Dies war für Eunané und die anderen Mädchen ein großes, wenn auch nicht ganz neues Vergnügen, und um ihretwillen nahm Eveena oft daran Theil; ich sage um ihretwillen; denn verstand auch Eveena Dank ihrer höheren Bildung und besseren Erziehung weit besser als jene Musik zu schätzen, so vermochte sie doch in einem Vergnügen, das ich nicht theilen konnte oder wollte, gleichfalls keinen Genuß zu finden. — Das Theater bildet eine höher geschätzte, aber seltenere Unterhaltung; es ist einerseits ein wichtiges Hilfsmittel für die Erziehung und versteht es andrerseits im Volke Eindrücke lebendig und wach zu erhalten, welche die Staatspolitik nur ungern hinschwinden sähe. In Folge dessen findet es reiche Unterstützung vom Staate und lebhaften Zuspruch von den jüngeren Schichten der Gesellschaft, denn die älteren Leute vermögen daran kein Vergnügen mehr zu finden. Die Vorstellungen werden aufgeführt in großen, länglichen oder viereckigen Gebäuden, an deren einem Ende eine Bühne eingerichtet ist; die gewölbten Logen oder Galerien, von welchen die Zuschauer auf die Bühne hinschauen, erheben sich reihenweis übereinander und sind fast bei jeder Vorstellung bis auf den letzten Platz gefüllt. Schauspieler aber giebt es so wenig wie Schauspielerinnen, da das letztere besonders, Frauen auf der Bühne ihre Reize ausstellen zu sehen, Martialischem Fühlen und Denken doch allzu sehr widerstreben würde. Ein besonderes Verfahren, einigermaßen analog den orientalischen Schattenspielen, doch unendlich vollkommener als diese, giebt den Leitern der Theaterinstitute die Mittel an die Hand, auf der Bühne ein täuschend wahrheitsgetreues Bild des Lebens sich abspielen zu lassen.

Die Figuren erscheinen wie lebende Wesen, halten und bewegen sich wie solche mit ungezwungener Freiheit, und scheinen die Worte, die in der That von einem mächtigen Phonographen herkommen, selber zu sprechen. Ich muß es gestehen, daß die Illusion vollkommener ist, als alle Bühnenkunst, alles Schauspielergeschick der besten Theater Frankreichs sie hervorzuzaubern vermag; trotzdem fühlte ich mich von jenen Vorstellungen, nachdem sich mein anfängliches Staunen in Etwas gelegt hatte, einfach gelangweilt. Meine Gefährtinnen aber hielten einen so verlebten Nachmittag oder Abend für den höchsten Genuß, und selber Eveena theilte darin ganz ihre Meinung. —

Die Lieblingsstücke veranschaulichen die wichtigsten, und interessantesten Ereignisse der Geschichte des Mars oder aber zeigen das Leben, die Sitten und die Gebräuche längst verklungener Zeiten, in welchen Erfindung und Wissenschaft noch nicht die jetzige monotone Zivilisation geschaffen hatten. Eine der interessantesten Szenen, die ich sah, stellte die Vereinigung der zahlreichen Staaten, die einst die Oberfläche des Planeten unter sich theilten und einander gelegentlich bekriegten, den ersten WeltCongreß dar, ein Schauspiel, das mit historischer Genauigkeit und Treue sich vor unseren Augen entfaltete. Hernach wurde die Verwirrung, die Anarchie und Verwilderung der communistischen Revolution, und die Sezession der Zveltau geschildert. Ihre Städte, ihre Flotten und Heere wurden unseren Augen vorgeführt; wir sahen die blutige Schlacht, in welcher die Communisten überwunden und von den Asphyriatoren und den Blitzrohren hingeschlachtet wurden, und dann sahen wir endlich — es ist dies der größte Moment Martialischer Geschichte — die letzten Vertreter der Anarchie, elend und verkommen, den Niedergang von Kunst und Gewerbe schon an ihrer Kleidung deutlich zur Schau tragend, vor den Herrscher der jungen emporstrebenden Macht hintreten, der umringt von dem Glanze, welchen das Zauberwort »Eigenthum« geschaffen hatte, ihre demüthige Bitte entgegennahm, sie in sein Reich der Civilisation in Gnaden aufnahm und sie der Segnungen wieder theilhaftig werden ließ, deren sie sich selbst einst verlustig gemacht hatten, und deren Wohlthaten andern vorzuenthalten sie so lange erbitterte Kämpfe gefochten.


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Kapitel 21
Privat-Audienz

Ich benützte meine Tage, um mit Martialischen Worten zu sprechen, die Zeit zwischen Nebel und Nebel, nicht selten zu mehr oder weniger weiten und abenteuerlichen Excursionen, welche ich, da Eveena's Begleitung nur selten dabei thunlich, an andrer Gesellschaft mir aber wenig gelegen war, meistens allein unternahm. Hatte auch Eveena mit der Zeit verhältnißmäßig muthig zu sein und jede affektirte weibische Furcht abzuschütteln gelernt, so fehlte ihr doch selbstverständlich die Wagehalsigkeit und die gänzliche Verachtung von Gefahren, wie ich sie mir auf weiten Reisen, Jagdzügen und Bergfahrten auf der Erde erworben hatte, und daher wagte ich mich denn allein hinaus in die Berge und auf die Wasser, öfters bei wildem, stürmischem Wetter, und folgte in meinem kleinen offenem Boote, das ich allein zu regieren verstand, den Fischern auf ihren Zügen. Eveena aber ließ ich in Unwissenheit über die Gefahren, denen ich mich aussetzte, bis endlich Davilo energisch dagegen zu protestiren versuchte.

»Kennt man auch nicht,« mahnte er mich, »Eure Pläne im Voraus, so wird es doch bald allgemein bekannt sein, daß Ihr Euch allein nach Orten hinauswagt, wo man Euch mit Leichtigkeit nachstellen kann und wo ein Schuß aus dem Hinterhalt oder der Angriff von einem submarinen Schiff aus seinen Zweck nicht verfehlen würde. Zum Mindesten aber lasst mich Eure Pläne vor Eurem Aufbruch erfahren und brechet stets unregelmäßig und plötzlich von Hause auf. Je weniger man davon im Voraus, selbst in Eurer Familie erfährt, desto besser ist es für Euch.«

»Ist es noch Mitternacht im Rathe?« fragte ich.

»Noch immer! Die Seherin die uns soviel verkündete, kann uns Ferneres nicht mehr offenbaren. Die Gefahr, nicht der Ursprung derselben enthüllte sich ihrer Seele. Wir haben keinerlei Mittel unversucht gelassen, irgend einen materiellen Anhalt für das Complot zu entdecken, indeß sind alle Experimente bis jetzt erfolglos geblieben; sie schlugen entweder fehl, weil sich die Kraft der Seherin geschwächt hat oder weil unsere Mittel, mit welchen wir die Verbindung herstellen wollten, nicht die richtigen waren. Jedenfalls wißt Ihr, welch bitteren persönlichen Gegner Ihr habt, der nach dem Großherrn der mächtigste Mann dieser Welt, ja, ich mochte fast sagen mächtiger noch als der Souverän ist, den seine über Alles erhabene Stellung allzusehr dem Treiben der Menschen entrückt. Ich wiederhole es noch einmal, wir können wohl rächen, aber gegen heimliche Mordpläne reichen unsere Kräfte nur hin, zu warnen, und um zu retten, können wir nur natürliche Vorsichtsmaßregeln empfehlen und treffen.«

Seine Worte erweckten in mir den Wunsch, mit Eveena über diesen Punkt, ehe ich noch meinen beabsichtigten Besuch in der Residenz abstattete, Rücksprache zu nehmen. Konnte ich ihr auch nicht die volle Wahrheit erzählen, so glaubte ich sie doch so weit ins Geheimniß ziehen zu dürfen, um sie um Rath fragen zu können, wie in Zukunft meine Reisen und Ausflüge geheim gehalten werden könnten. Indessen kam ich erst kurz vor meiner Abfahrt dazu, sie zu sprechen. Man hatte es wieder einmal nöthig befunden, meinen Schiedsrichterspruch in einem der fortwährenden Gezänke anzurufen, mit welchen diese Weiber mir meine Ruhe nahmen und meine Geduld erschöpften. Ein reines Ungeziefer waren sie; ein Ungeziefer, wie es mich nicht schlimmer in türkischen Caravansereien nächtelang gepeinigt hatte; sie waren ein halb Dutzend Moskitos von jener bissigen Art, die mir so oft nach schweren Mühen und nach langen Märschen, nach manchem heißen Ringen auf der Wahlstatt, meinen redlich verdienten Schlummer im Zelte unter Indiens Himmel geraubt hatten. Muß ich noch sagen, daß es mir endlich gelang, von Eveena einen Bericht des kleinlichen Streites zu erlangen, der allerdings mit keiner Angabe der vier streitbaren Damen übereinstimmen wollte. Und als sie gar ihre Worte beweisen wollte, hörte ich sie in lautes Gezeter ausbrechen, bis ich ihnen kategorisch Ruhe gebot und Eveena mit mir nach meinem eigenen Zimmer führte.

»Meinst Du,« sagte ich ihr dort unter vier Augen, »ich hätte an Deinen Worten zweifeln können, auch ohne daß Du sie durch Beweise bekräftigtest?«

»Doch das ist Unrecht gegen die Andern, die es bitter empfinden müssen, daß Dir Deine Liebe ein jedes meiner Worte für Wahrheit gelten läßt.«

Ich mochte nichts mehr davon hören, und unterbrach sie daher, um die Sache zu besprechen, die mir am Herzen lag — — — — — — — —

Ernsthaft und in gewissem Sinne aufrichtig, wie ich dem Camptâ bei meiner zweiten Audienz für seine reiche Huld meinen Dank gesagt, verging doch kaum ein Tag, an welchem ich nicht gerne all den in meine Hand gehäuften Reichthum hingegeben hätte, hätte ich damit auch auf die größte Gnade, die mir nach hiesigen Begriffen zu Theil geworden, verzichten dürfen. Und diesmal schien mir für einen Augenblick solch eine Möglichkeit nicht ausgeschlossen zu sein.

Der Fürst hatte seit unserer ersten Begegnung eine unter Marsmenschen seltene Reserve betreffs der Punkte meiner Reisebeschreibung, die ich mit Schweigen übergangen hatte, zum Staunen seines Hofes beobachtet. Und wieder kam man heute im großen öffentlichen Kreise auf dieses Thema meiner Fahrt zurück. Endo und andere suchten eifrig Andeutungen über meine Steurungsmethode mir zu entlocken, und stellten eingehende Fragen, wie es mir gelingen konnte, die Schnelligkeit beim Aufstieg nach Belieben zu erhöhen und sie am Ende meiner Reise ganz allmälig abzuschwächen. Das waren Punkte, durch welche sie einen Anhalt für das Geheimniß meiner Kraft zu finden hofften. Indeß der Fürst entzog mich der Verlegenheit, auf solche Fragen zu antworten und bat mich, wie gewöhnlich, ihm nach seinen Privatgemächern zu folgen.

»Ich bin,« sprach hier der Fürst, »wie es Euch kaum entgangen sein wird, noch nicht in Euch gedrungen, Mir ein Geheimniß zu erschließen, das Ihr aus diesem oder jenem Grunde anscheinend Euch zu bewahren wünschet. Natürlich ist dies Geheimniß einer so wunderbaren Kraft von unberechenbarem pekuniärem Werthe, und selbstverständlich steht es in Eurer Macht, jeden Preis und beliebige Bedingungen zu stellen.«

»Verzeihung, Sire!« unterbrach ich ihn, »Verzeihung, wenn ich wage, Euch ins Wort zu fallen, um jedem Mißverständniß vorzubeugen; nicht um einen hohen Preis zu erzielen, habe ich noch stets vermieden eine Aufklärung der wunderbaren Kraft zu geben. Es wäre undankbar von mir, nach Eurer königlichen Gnade und Freigebigkeit den Preis für einen Dienst, den ich Euch leisten könnte, abzuwägen; ich müßte verwerflich habsüchtig erscheinen, wenn ich noch größeren Reichthum als Ihr mir schon geschenkt habt, begehrte. Ich möchte Euch, wenn ich Euch dadurch nicht beleidige, ernstlich bitten, mir meine Schätze wieder zu nehmen und mir das Recht zu lassen, ohne undankbar und pflichtvergessen zu erscheinen, mein Geheimniß zu bewahren.«

»In diesem Punkt,« nahm er das Wort, »verkennt Ihr völlig unsere gegenseitige Stellung. Niemand vermeint, daß Ihr Uns irgend Etwas schuldig seid. Was Euch der Großherr gab, gab er Euch als ein Zeichen der allgemeinen Bewunderung und Achtung Unserer Welt für einen aus einer anderen Welt; und noch weit weniger dürft Ihr glauben, daß Wir um solche Kleinigkeit auf Euer unschätzbares Geheimniß irgend einen Anspruch erheben könnten. Ihr würdet Mich in der That beleidigen, wenn Ihr noch einmal sprächet, als ob Ihr Euch Mir gegenüber durch irgend welche Verpflichtungen gebunden fühlet. Freilich muß ich gestehen, daß Wir Euch das Geheimniß gern abkaufen möchten, und da der Preis bei Euch steht, fasse Ich nicht, weshalb Ihr Euch dagegen sträubet.«

»Ich glaube, Sire,« erwiderte ich, »ich habe Euch bereits einmal gefragt, was Ihr von einem Eurer Unterthanen denken würdet, welcher eine solche Kraft in die Hände eines Feindes gäbe, der Euch so überlegen wäre, wie Ihr den Völkern unserer Erde.«

»Und Ich,« antwortete er mit einem Lächeln, »Ich meine, Ich hätte Euch schon damals darauf geantwortet, wie wenig sich der Besitzer einer solchen Kraft aus Meiner Meinung und Meinem Urtheil machen würde. Ich glaube allerdings aus Euren Schilderungen entnehmen zu können, wie leicht es Uns gelingen würde eine Welt zu erobern, die noch so weit in ihrer Kultur und der Beschaffenheit ihrer Vernichtungswaffen hinter der Unserigen zurück ist. Doch inwiefern kann das Euch hindern? Ihr könnt ja Eure eigenen Bedingungen für Euch und einen Jeden Eures Volkes stellen, für den Ihr besonderes Interesse empfindet!«

»Ein Verräther ist um nichts weniger verächtlich und eidbrüchig, wenn auch sein Fürst ihn nicht bestrafen kann. Zwar bindet mich kein Unterthaneneid an einen unserer irdischen Souveräne. Ich ward geboren als Unterthan eines der größten Herrscher Europas, jedoch verließ ich schon in frühester Jugend mein Vaterland und trat in die Dienste von weniger mächtigen Fürsten des Orients, zu deren Einem ich in demselben Verhältniß stand, in dem Eure Wachen und Offiziere zu Euch stehen. Und ist jetzt auch selbst jenes Band gelöst, so fühle ich doch, daß ich der Rasse, der ich angehöre, Treue schulde. Selbst dächte ich, wie ich es nicht thue, daß die Erde unter Eurer Herrschaft glücklicher werden könnte, so würde ich darum noch nicht das Recht besitzen, sie einer Eroberung preiszugeben, der sie, ich weiß es, bis auf den letzten Blutstropfen sich widersetzen würde. Wenn selber Ihr, mein Fürst, verzeihet meine Freimuth, keine geringe Schuld auf Euer Haupt laden würdet, eine ganze Welt zu überfallen und zu unterjochen, die Euch kein Unrecht that, noch thun konnte, müßte der nicht, der zu ihr gehört und doch an Eurem Feldzug theilnimmt, zehnfältig schuldiger sein?«

»Ihr sollt Eure eigene Welt mit aller Machtvollkommenheit eines Zamptâ regieren, nach Gesetzen, wie sie Euch nach Eurem eigenen Ermessen für Eure von Uns so sehr verschiedenen Menschen am geeignetsten erscheinen! Ihr sollt so unumschränkt dort herrschen, wie Ich hier auf diesem Planeten, und nur zu Mir und Meinen Nachkommen in einem Vasallenverhältniß stehen, das bei der Entfernung der beiden Welten doch nur ein nominelles sein kann.«

»Und um solch eine Scheinherrschaft zu erlangen, sollte ein so großer Fürst das Leben Vieler seines Volkes und das von Millionen einer anderen Rasse zu opfern gewillt sein?«

»Um Euch die Wahrheit zu sagen,« entgegnete er, »Ich gedenke persönlich die Führung der Expedition zu übernehmen. An dem Abenteuer liegt Mir mehr, als an den Erfolgen. Und Ihr werdet doch nicht etwa denken, Ich sollte Anderer Leben höher schätzen, als das Meine?«

»Ich verstehe als Soldat das Gefühl eines gewaltigen und ehrgeizigen Fürsten als solches zu würdigen. Doch gleicherweise ist es als Soldat meine Pflicht, solchem Gefühle Aufschub nicht Vorschub zu geben. Mein Leben, mein Fürst, steht zu Eurer Verfügung, doch nicht einmal um mir mein Leben zu erretten, möchte ich das Leben von Millionen und aber Millionen, ja die Zukunft einer ganzen Welt verrathen.«

»Ich kann Euch nicht verstehen,« antwortete er mit einem Seufzer einer Hoffnung sich begebend, von der er offenbar viel und lebhaft geträumt hatte. »In keinem Falle werde Ich Euch zwingen, mit Gewalt herauszugeben, was Ihr Mir nicht verkaufen oder schenken wollt; und ist es Euer fester Wille, so zu handeln, dann muß Ich glauben, wie Ich es dann und wann hörte, doch ohne es für möglich zu erachten, daß es wirklich Menschen giebt, die sich nicht nur vom eigenem Interesse leiten lassen, sondern noch an Recht und Unrecht glauben und es vorziehen Unrecht zu leiden als ein Unrecht zu begehen.«

»Gewiß, mein Fürst,« fiel ich vorschnell und vielleicht unvorsichtig ein, »selbst hier in Eurer Welt giebt es derartige Menschen, die aber leider an Eurem Hofe nicht bekannt sind.«

»Wenn Ihr sie kennt,« sprach er, »dann würdet Ihr Mir einen großen Dienst erweisen, Mich mit diesen Männern bekannt zu machen.«

»Doch ist es möglich,« wagte ich zu bemerken, »daß sie es nicht als einen Dienst betrachten würden, den ich ihnen erwiese, wenn ich die Veranlassung dazu gäbe, die Eigentümlichkeiten ihres Wesens, ich will nicht sagen Euch, doch Eurer Umgebung zu offenbaren.«

»Ich kann Euch wieder kaum verstehen,« unterbrach er mich, »doch nehmt die Versicherung, daß das, was Ihr Mir hier sagt, niemals von Mir mißbraucht werden wird. Mir dünkt es ein großes Glück, einen Mann um Mich zu haben, der ohne Furcht ist vor Meiner Macht, und kein Interesse daran hat, Mich zu belügen; zu dem Ich sprechen kann, nicht wie der Herrscher zu seinen Knechten, sondern wie ein Mann zum Manne. Eure Offenheit soll Euch nie gereuen.«

Mein Interesse und meine Achtung für den Charakter des seltsamen Mannes, der so geeignet war die hohe Stellung zu bekleiden, die ihn trotzdem mit Widerwillen und mit Ueberdruß erfüllte, wuchs stetig, je besser ich denselben kennen lernte. Mir selbst schien seine Höhe nie beneidenswerth, obgleich sie den meisten Menschen als Gipfelpunkt des Glückes erscheinen würde. Die Knechtschaft eines wirklich konstitutionellen Königs, welcher doch gar zu oft nur die Puppe, ein Werkzeug in der Hand elender Wichte ist, die ihre Macht als Häupter der Parteien für ihren eigenen Vortheil auszubeuten trachten, muß jedem wahren Manne traurig und bemitleidenswerth erscheinen. Doch auch die unumschränkte Herrschaft eines Sultans oder Zaren vermag ihn nicht für die Leere zu entschädigen, die sie um ihn und um den Thron schafft, auf dessen Höhe er allein, verlassen, ohne Freund und ringsum ohne Seinesgleichen steht. Und dennoch bleibt dem irdischen Monarchen noch die Möglichkeit, dann und wann, sei es als Freund, sei es als Feind, in offner Fehde oder in loyaler Freundschaft einem ebenbürtigen Menschen, den Fürsten anderer Staaten zu begegnen, und sind auch die Familienbande niemals so fest als jene anderer Menschen, so wird er doch von Zeit zu Zeit in dem Kreis der Seinen von seiner Einsamkeit auf schwindelnder Höhe Erholung finden und seinem Weibe wenigstens für kurze Stunden der Gatte, nicht der König sein. Aber der absolute Herrscher dieser Welt kennt Niemanden Seinesgleichen, weder Freunde noch ebenbürtige Feinde; er hat kein Weib, kein Kind, er steht allein auf eisiger unnahbarer Höhe. Muß es in Folge dessen nicht natürlich scheinen, daß er des eigenen Lebens überdrüssig wird und Jener Leben verachtet, denen er das seine opfern muß? Sprach es nicht laut für seine Geisteskraft und seinen ausgezeichneten Charakter, daß er, ein Autokrat, der nicht einmal einen Gott anerkennt, dem er Unterwerfung und Rechenschaft schuldet, der, ehe er mich gesehen hatte, des ganzen Weltalls Herrscher zu sein wähnte, daß solch ein Mann mit klarem Kopf und offnem Blick, mit Ernst und mit Gerechtigkeit sein Reich regierte? Seit tausenden von Jahren hat seine Welt niemals so große Sicherheit gekannt, wie unter ihm. Er hob beim Antritt seiner Herrschaft die Pflege und die Verwaltung der Justiz und gab persönlich Anstoß zur Errichtung großer gemeinnütziger und wohlthätiger Werke, kurz er lag seinen Herrscherpflichten mit so viel Eifer und Gewissenhaftigkeit ob, als wäre es ihm bewußt, daß das Gewissen die Stimme eines höheren Richters und Pflichterfüllung das Gesetz des Allerhöchsten wäre. Allein aus einer großen Rasse trostlos verkommener und egoistischer Feiglinge trug er des Kriegers Muth in seiner Brust, sowie in seinem Herzen die Grundsätze, zum mindesten doch den Instinkt, der eines Sohnes des Sternes nicht unwürdig gewesen wäre. Nur zu ihm konnte ich das Vertrauen haben, daß man keinen Versuch machen würde mir durch Gewalt und Folter mein Geheimniß zu entwinden; und diese seine hochherzige Selbstverleugnung, die seinen Räthen unverständlich schien, dürfte mit dazu beigetragen haben, daß man die Rachepläne, die Eifersucht und Neid und schwer verletzter Eigendünkel gegen mich geschmiedet hatten, auch gegen ihn und Alle, welche mir wohlwollten, ausdehnte. Es war eine glückliche, von der Vorsehung gefügte Verkettung der Umstände und Verhältnisse, welche die Feinde unseres Sternes dazu trieb, mit ihren Plänen privater Rache einen nicht minder ruchlosen Plan des Hochverraths gegen den Monarchen selbst zu verbinden.

Meine Audienz hatte mich länger, als ich erwartete, aufgehalten, es war bereits Abend, als ich heimkehrte.

Unbemerkt, nicht wie gewöhnlich durch das Peristyl, sondern durch das Vestibül in mein eigenes Zimmer tretend, hörte ich, von dem halboffnen Fenster verborgen, eine charakteristische Unterhaltung, deren Thema der Zwischenfall von heute Morgen war.

»Geschieht ihr Recht,« sagte Leenoo, »daß sie auch einmal den Kürzeren gezogen hat.«

»Wie wollt Ihr das wissen?« fragte Enva, »ich bin gar nicht so sicher, daß wir den Schluß seiner Rede gehört haben.«

»Eveena schien ihr Alleinsein mit ihm nicht gerade sehr genossen zu haben,« entgegnete spöttisch die Erste; »und dann hätte er sie doch ihren Beweis zu Ende bringen lassen, hätte er ihre Geschichte geglaubt.«

»Ist das Eure Meinung,« fiel Eunané ihr ins Wort, »dann sitzt Ihr fürwahr auf einem vermoderten Ast. Ich würde meinen eigenen Ohren nicht glauben, wenn ich ihn je zu Eveena sagen hörte: ›Sprichst Du auch die Wahrheit?‹ —«

»Das ist eben seine Ungerechtigkeit,« murrte Enva.

»Ungerecht?« rief Eunané. »Nun ich hätte doch das erste Recht auf ihren Platz eifersüchtig zu sein. Freilich schmerzt es mich auch, daß ich ihm, wenn er mich auf seinen Ausflügen mitnimmt, oder im Hause mir ein Alleinsein gewährt, immer das Gefühl anmerke, als ob er ihr dadurch seine Zärtlichkeiten raubte. Aber dennoch handelt er gerecht. Wäre er weniger zärtlich zu ihr, so könnten wir unsere Gürtel enger anziehen. So aber will er uns nicht das Recht geben, zu sagen, er zöge den ambâ mit dem Stocke und mit dem Zucker die esve!«

»Aber gerade das sage ich! Hat sie heute wirklich einmal mehr als einen freundlichen Rath von ihm empfangen, so war es sicher das erste Mal. Hat sie jemals Grund gehabt, vor dem ganzen Haushalt den Schleier zu tragen, (ihr Erröthen zu verbergen), hat sie nicht vielmehr noch immer gefunden, daß sein Kuß stets zu heilen vermag, was seine Lippen verletzten?«

»Ja, aber müßte er denn nicht auch, um sie auf einem Fehltritt zu ertappen, ihre Träume bewachen? Wollt Ihr, daß er strenger zu ihr als gegen uns sei? Er sucht eben nicht die Flecken mit der Lupe. Keine einzige von uns kann sagen, daß er Thränen trinke zum Vergnügen. Wollt Ihr etwa, daß er ihre Hände, weil sie weiß sind, knebele?« (Vollkommenheit strafe.)

»Ja, sie ist darum auf keinem Fehler zu ertappen, weil er unseren Worten nie glaubt,« wandte Leenoo ein.

»Wie oft, sagt es selber, wäre er dann im im Recht? Ich habe von dem heutigen Gezänke gar Nichts gehört, wo aber die Wahrheit liegt, weiß ich trotzdem, und ich sage Euch dies nur, er haßt die Sandale bitterer, als Eure Unarten; aber seltsamerweise haßt er Falschheit noch mehr, und eine Falschheit gegen Eveena, eine jede Thräne, die er sie um unseretwillen weinen sähe, würde er uns mit zwölffachem Wucher anrechnen.«

»Ihr habt ihr ja selber Grund genug zu Thränen gegeben,« erwiderte Enva.

»Ja,« sagte Eunané, »und wenn er es wüßte, möchte ich ein halbes Jahr Schulbuße der nächsten ›Halbstunde‹ des Alleinseins mit ihm vorziehen. War ich thöricht genug, ihr am ersten Tage nach unserem Kommen den Schleier über den Mund zu knüpfen, so erwartete ich, dafür zu büßen, und hielt die Buße des Lohnes werth; und als er des Abends kam und freundlich uns grüßte und sprach, und dann sein Gesicht sich verfinsterte, als er sie mit traurig gebeugtem Haupte sah, da wähnte ich den Blitz in der Wolke. Und als ich sie freudig aufspringen sah, wie er sie dann rief, da hätte ich gewünscht lieber so häßlich zu sein wie Minoo, und dem erbärmlichsten, launigsten Mann anzugehören, als so den Riesen herausgefordert zu haben.«

»Und was hat er Euch gethan?«

»Gut, daß er Euch nicht hört,« sprach Eunané, »doch ich kann es ja sagen, Nichts hat er mir gethan. Ich freilich schwankte wie eine Ceveloo im Winde, als er in mein Zimmer trat. Von Eveena hörte ich Nichts! Ich erzählte es am folgenden Morgen Eivé. Sie gab mir zur Antwort: Euch hat man das klügste Mädchen Eurer Anstalt genannt, und jetzt bindet Ihr Eure eigenen Hände und gebt Eure Sandale an Eveena? Wenn ihr es beliebt, den Becher der Galle Euch zu reichen, so müßt Ihr ihn demüthig leeren!«

»Klatsch!« sagte Eiralé verächtlich, »wir haben ihr einen ganzen Sommer lang das Kleid mit Nadeln gefüllt, und sie hat nie die Macht über ihn besessen, uns dafür bestrafen zu lassen!«

»Die Macht nicht besessen?« entgegnete Eunané scharf. »Kennt Ihr Eveena nicht besser? Ich kann es freilich nicht fassen, so wenig wie Ihr, daß sie uns ständig entschuldigt, statt uns zu strafen; das weiß ich aber, sie thut es und zieht es vor, ruhig zu dulden, statt ihm nur eine einzige Klage zu sagen. So wenig ich aber Eveena verstehe, so wenig verstehe ich ihn selber; denn er genießt sein Leben auf eine Weise, wie kein andrer Mann dieser Welt, in Zerstreuungen, die ihm die beste Aussicht, sein Leben verlieren zu können, darbieten. Als neulich durch ungewöhnlich große Unglücksfälle und zahlreiche Verluste die Reihen der Jäger am Südpol sich erheblich gelichtet hatten, wollte er selber dorthin, und des Camptâ's Weigerung ihm Urlaub dazu zu lassen, brachte ihn so ungemein auf, daß selber Eveena sich scheute, ihm die Freude zu zeigen, die sie über das Verbot des Großherrn empfand. Und dann, Ihr bemerkt es ja selber, was spricht er zu Eveena stets, wie zu dem Camptâ, und zu uns wie zu Kindern? Ist nicht sein zärtlichstes Wort zu uns ›Kind‹? Wo man glauben möchte, keine Gnade finden zu können, zeigt er Geduld, und Dinge, über welche Andere lachen, bestraft er mit Strenge. Als neulich Enva durch den elektrischen Ofen sein Badewasser überhitzte, und er sich schrecklich verbrühte, meinten wir da nicht Alle, er würde seine Schmerzen ihr doppelt heimzahlen? Und was hat er gethan? Kaum hatten Eveena und Eivé seine Wunden mit Balsam verbunden, da läßt er Enva zu sich berufen, und legt die eine Hand, die er noch zu rühren vermochte, ihr auf das Haupt und spielt mit ihrem Haar, wie er mit Eivé zu spielen pflegt und spricht zu ihr mit rührender Zärtlichkeit, als ob sie die Bedauernswerthe wäre. Und dann ist er wieder das reine Gegentheil von sich selber! Hätte nicht jeder Andere von Herzen gelacht über die drollige Figur, welche ihre i h r e esve mit ihren halbausgerupften Schwanzfedern machte? Er aber wollte mir den Streich trotz aller Reden Eveena's durchaus nicht verzeihen!«

»Das war Laune, Gerechtigkeit war es nicht!« sagte Leenoo. »Euer Streich war nicht halb so schlimm, wie der Enva's.«

»Ja doch; er belehrte mich, daß er es war!« entgegnete Eunané. »Ihm ist es niemals eingefallen zu sagen oder zu denken, daß sie den Fehler absichtlich beging; ich aber war grausam gegen das Thier und hämisch gegen die Herrin des Vogels. ›Fühlt Ihr nicht,‹ wies er mich zurecht, ›daß absichtliche Grausamkeit durch nichts entschuldbar ist?‹ Seit jener Zeit habe ich ihn gern und auch sie, so schmerzlich es mir ist, daß man neben ihr gar nicht zur Geltung gelangt.«

»Ich aber verabscheue sie,« sagte Enva bitteren Tones.

»Ist es denn ihre Schuld?« fragte Eunané mit Wärme. »Sie gleichen einander so sehr, daß ich meinen möchte, sie wäre mit ihm aus einer anderen Welt zu uns gekommen. Den nächsten Tag suchte ich sie in ihrem Zimmer auf —«

»Ach ja!« rief Leenoo mit kindischem Hohn. »Küß' den Fuß, entfliehe der Sandale!«

»Denkt darüber ganz wie Ihr wollt,« erwiderte ruhig Eunané, »ich für mein Theil glaubte ihr diese Abbitte zu schulden. Als ich eintrat, sah ich sie über den Vogel gebeugt und über ihn weinen; doch sobald sie mich sah, brachte sie ihn fort, daß ich den esve nicht sähe. Nun wollte ich ihr sagen, wie reuig ich wäre; sie aber wollte mich nicht aussprechen lassen, und küßte mich dann, wie mich nie Jemand seit dem Tode meiner Schulfreundin Erme geküßt hat. Und dann zeigte sie mir,« fuhr sie mit bewegter Stimme fort, »dann zeigte sie mir, wie klug und wie treu das Thier sei ... ... Manchmal wundere ich mich gar nicht, daß er ihr und sie ihm so viel ist; ihr Vater — sie ist im Hause des Vaters erzogen — ist einer jener seltsamen Leute, von denen Ihr auch gehört haben werdet, und oftmals däucht es mir, als ob es zwischen ihr und dem Clasfempta (Herr) mehr als bloße ...«

Das durfte ich sie nicht aussprechen lassen, ich schritt vom Fenster zurück, that als ob ich soeben angelangt wäre und rief Eunané bei Namen. Als sie meiner ansichtig ward, fuhr sie zurück; ich ergriff ihre Hand, sah ihr fest in die Augen, und bald ließ ihr schnelles Verständniß sie errathen, daß ich einen Theil ihrer Rede gehört haben mußte.

»Ach,« sagte sie erröthend und ließ den Kopf hängen, »so bin ich also ertappt.«

Dann führte ich sie durch das Peristyl hindurch nach meinem Zimmer, und als das Fenster sich hinter uns schloß , zog ich sie nieder an meine Seite.

»So möchtet Ihr also lieber dem schlimmsten Mann Eurer Welt angehören, als mir?«

»Nicht mehr,« erwiderte sie. »Das war nur mein erster Gedanke, als ich Eure Liebe zu Eveena sah und errieth, wie erzürnt Ihr sein würdet, wenn Ihr erführet, wie wir sie behandelt hatten. Jetzt denke ich anders. Lieber möchte ich,« flüsterte sie erröthend und blickte innig durch ihre langen Augenwimpern zu mir auf, »lieber möchte ich, doch Ihr müßt es Eveena nicht sagen, von Euch gezüchtigt, als von Anderen geliebkost werden.«

»Eunané, Kind, Ihr mögt mit Recht sagen, daß Ihr mich nicht versteht. Ich hätte Euren Worten nicht gelauscht, hätte ich sie gegen Euch ausbeuten wollen; zudem habe ich durchaus keinen Grund Euch noch zu zürnen. Ich weiß es freilich, daß Ihr Eveena unfreundlich behandeltet; indeß ich habe gehört, daß es Euch reut, und daß sie selbst Euch von Herzen verziehen, brauche ich Euch wohl nicht erst zu sagen.«

»In der That ich begreife nicht,« schluchzte das Mädchen, »Eveena ist immer so gütig und sanft, möchte stets lieber selbst leiden, als uns leiden sehen, die wir es doch verdienen. Doch gerade, weil sie so ist, muß es Euch um so bitterer schmerzen, sie so behandelt zu sehen. Ich war so eifersüchtig,« fuhr sie dann fort, »ich war so eifersüchtig auf sie — als ob ich mit ihr zu vergleichen wäre — selbst noch als ich alle ihre Güte und Liebe gesehen hatte. Nein, nein, Ihr könnt und dürft mir um ihretwillen niemals vergeben.«

»Kind,« tröstete ich sie, nicht weniger bewegt, als sie selbst es war, »ich sage Euch nicht, daß Eure Eifersucht nicht thöricht gewesen sei, aber trotzdem kann weder ich selbst noch Eveena Euch wegen derselben tadeln. Freilich liebe ich Eveena, wie kein anderes Weib in dieser Welt oder in der meinen, und wie sehr sie diese Liebe verdient, vermag ich allein nur ganz zu verstehen. Weil ich sie so tief und innig verehre, hätte ich aus eigener Wahl nie eine andere Frau in mein Haus aufgenommen. Als ich mich aber damals den Verhältnissen fügte, glaubte ich Euch, wenn auch nicht Liebe, doch eine gewisse Zuneigung gewähren zu können, nicht mehr und nicht weniger als Ihr sie in einem anderen Hause dieser Welt gefunden haben würdet. Das Unrecht, das ich dadurch Eveena zufügen mußte, das lag zwischen ihr und mir, aber das hätte ich nie gedacht, daß Ihr meinen würdet, diese geringere Neigung als ein Unrecht empfinden zu können.«

Der Sinn dieser Worte war Eunanen nur wenig verständlich; trotzdem fühlte sie aus ihnen eine Zärtlichkeit, die sie vorher noch nie gehört, und erwiderte mir:

»Ihr hättet uns Unrecht gethan? Haben wir Euch denn gefragt, ob Ihr ein anderes Weib hättet und habt Ihr uns etwa versprochen, uns lieben zu wollen? Ihr hättet uns ganz zurücksetzen dürfen und alle Eure Gunst der Einen nur zeigen, und hättet uns dennoch kein Unrecht gethan! Ja, wie Ihr uns beachtet, hätte uns kein Anderer beachtet. Wer hätte sich so, wie Ihr es thut, um unsere Zerstreuungen und um unsere Thätigkeit im Hause gekümmert, wer, so wie Ihr, unsere Händel geschlichtet? Und Ihr hättet uns Unrecht gethan! Mag es unter uns einige geben, die für Euch nicht gerade schwärmen, so würde doch keine Einzige Euer Haus um den Palast des Camptâ, so sehr Ihr auch seinen wahrhaft königlichen Sinn rühmt, austauschen mögen!«

Sie sprach, wie sie es glaubte, ob sie sich auch irrte.

»Wenn dem so ist, mein Kind!« fuhr ich fort, »wenn Ihr eine Liebe, wie ich sie Eveena schenkte, niemals erwartet habt, warum seid Ihr dann gegen sie so boshaft gewesen?«

»Aus Neid,« erwiderte sie freimüthig und offen »und was mich selber betrifft, —« sie erröthete, stammelte und schwieg.

»Nun? Und was Euch selber betrifft?«

»Ich war eine eitle Närrin,« rief sie mit rückhaltloser Heftigkeit. »Man hatte mir immer gesagt, ich sei schön, liebenswürdig, klug und unterhaltend, so daß ich hoffte, Eure Favoritin zu werden und den ersten Platz im Hause zu haben, und als ich sie sah, war ich so enttäuscht und erbittert, daß Ihr sie mir vorzöget. Damals kannte ich sie eben noch nicht, wie ich jetzt sie kenne. O, wie müßt Ihr mich hassen, Clasfempta, ich hasse mich selber um das, was ich that!«

Nach unsern europäischen Begriffen wäre meine Treue für Eveena jetzt vielleicht bedenklich gefährdet erschienen; und doch, trotzdem ich für Eunané warm fühlte, rührte und bewegte mich an ihrem leidenschaftlichen Geständniß am meisten ihre freimüthige Anerkennung der Ueberlegenheit Eveena's, und wie ich das leichtfertige Mädchen zu trösten und zu beruhigen suchte, gedachte ich der Freude, die Eveena empfinden würde, wenn sie sähe, daß ich mich endlich in gutem Einverständniß mit ihrer Lieblingsgefährtin befände.

»Noch eins, Eunané,« sagte ich schließlich, »erinnert Ihr Euch der Worte, die Ihr sprachet, gerade als ich Euch rief? Ihr sagtet, es bestünde vielleicht zwischen mir und Eveena etwas mehr als bloße — sagt offen, was wolltet Ihr da sagen?«

»Ich weiß es selber nicht recht, was ich meinte,« entgegnete sie einfach. »Das erste Mal, als Ihr mich mit Euch nahmt, hörte ich den Oberverwalter einige seltsame Worte aussprechen, dann aber schwieg er, als er erfuhr, daß Eure Begleiterin nicht Eveena, sondern eine andere wäre. Ferner gebraucht Ihr manchmal zu ihr Ausdrücke und Worte, die wir niemals vorher gehört; daher schließe ich denn, daß ein Geheimniß zwischen Euch Beiden ist.«

»Und wenn dem so wäre, Eunané, würdet Ihr es an Leenoo und Enva verrathen wollen?«

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte sie. »Für heute will ich nicht sagen, ›vergebt mir,‹ sondern nur, daß ich für die Zukunft zu schweigen verstehen werde.«

Inzwischen war das Abendmahl aufgetragen. Als ich Eunané nach ihrem Platz hinführte, schaute Eveena nicht wenig erstaunt auf, indeß ohne die geringste Eifersucht in ihrem Blick zu verrathen. Im Gegentheil, als sie mit ihrer schnellen Auffassungsgabe in meinem Gesicht las, daß wir auf vertrauterem Fuß ständen, als jemals zuvor, heiterte ihr eigenes Gesicht sich auf, und als ich mich neben sie setzte, legte sie verstohlen ihre Hand in die meine und drückte sie, während sie mir zuflüsterte:

»So hast Du sie endlich erkannt; sie ist fast noch ein halbes Kind; doch — sie hat ein Herz — vielleicht sie allein von allen den Andern.«

Die Viere, so nannte ich die Uebrigen, sahen uns mit boshaftem, spöttischem Blick an, voll innerer Wuth, daß Eunané den Sieg über sie davon getragen, Verzeihung erhalten, und Gnade gefunden hatte. Eunané's schüchterner Blick, der Eveena die Geschichte unserer vollen Aussöhnung erzählte, Eveena's lächelndes Auge, das ihr mit schwesterlicher Treue und Freude antwortete, erhöhte ihren Grimm und vervollständigte ihre Niederlage.


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Kapitel 22
Eigenthümliche Institutionen

Ein Hauptluxus, den ich mir gönnte als die enorme Größe meiner Einkunft mir klar ward, war der Ankauf von Werken martialischer Literatur. Ich muß hierbei bemerken, daß in jenen phonographischen Buchstaben, die ich allein fließend zu lesen verstand, gewöhnlich nur ephemere Werke gedruckt werden, daß man indessen das, was wir Zeitung nennen, hier gar nicht kennt, da es den Martialen nicht der Mühe werth scheint, die täglichen Vorfälle, Vergnügungen und Zerstreuungen zu verzeichnen, andrerseits aber Politik in unserem Sinne ein hier unbekannter Begriff ist.

Wie hätte sich auch solch ein klarblickendes, kaltdenkendes Volk, das längst durch Erfahrung das Unnütze und Thörichte politischer Agitationen, Regierungsänderungen und demokratischer Umtriebe und Aufwiegelungen kennen gelernt hatte, sich einen so schweren Fluch auf sein Haupt laden mögen, wie wir ihn an der zuchtlosen Presse Europa's und Amerika's tragen. Für den, der Interesse an etwaigen Vorgängen empfindet, erscheint alle zwölf Tage in den Telegraphenbureaux ein etwa vier Quadratzoll großes Blatt mit den gesammelten Nachrichten des ganzen Planeten. Zugleich werden auch hier jene Bücher zum Verkauf gestellt, die ernsteren Inhaltes und wohl von dauernder Bedeutung, in den stylographischen Charakteren gedruckt sind. Da ich diese Schrift nur mit Mühe entziffern konnte, wie etwa ein Kind, welches noch buchstabirt, so mußte ich mir solche Bücher von der einen oder der anderen meiner Damen vorlesen lassen. Und seltsamerweise war nächst Eveena Eivé die beste Vorleserin. Eunané verstand wohl besser, als jene, was sie las, doch verstand sie nicht so geschickt laut vorzulesen, da diese Kunst als unnütz in den Schulen niemals gelehrt wird. Diese Lektüre hätte mir und Eveena manche Gelegenheit zum Alleinsein unter vier Augen verschafft, wenn nicht Eivé uns um Erlaubniß gebeten, der Lektüre der Bücher, die ich zum Vorlesen aussuchte, beiwohnen zu dürfen, wozu ich mich endlich auf Zureden Eveena's verstand, die übrigens sonst für ihre kindliche Gefährtin keineswegs eingenommen war.

Die Geschichte meiner Reise und die Berichte meiner Vorstellung bei Hofe wurden natürlich weit und breit eifrig besprochen; meine Abenteuer bildeten nicht weniger, als ich selbst, den Gegenstand des höchsten Interesses, hauptsächlich aber für die gelehrten Philosophen, in deren besonderer Gunst zu stehen, ich mich allerdings kaum rühmen durfte. Ich war also wenig überrascht, als ich nach einiger Zeit von Seiten der martialischen Akademie eine höfliche Einladung erhielt, vor ihr eine Reihe Vorlesungen über die Welt zu halten, von der ich angeblich käme, sowie über die Weise, wie es gelang, die Reise zu bewerkstelligen. Nachdem ich Eveena und Davilo zu Rathe gezogen, nahm ich die Einladung an, in der Hoffnung, die Erstere mit mir nehmen zu können. Sie erhob dagegen lebhafte Gegenvorstellungen, denn sie hatte ja im Haus ihres Vaters und während der Reise so viel von meinen Fahrten gehört, während die anderen Mädchen von meinen interessanten Abenteuern noch nicht das Geringste erfahren hätten. Einigermaßen geärgert über die ewigen Opfer, die sie mir und sich selbst auflegen wollte, erwähnte ich die Sache noch einmal beim Abendessen und bat sie endlich, mir wenigstens diejenigen zu nennen, die sie als Reisebegleiterinnen für mich aussuchen wollte. Ich war freilich nicht wenig erstaunt, als sie meinte, Eunané und Eivé würden wahrscheinlich die meiste Freude von dieser Reise haben. Es schien zwar nicht unnatürlich, daß sie die muthwilligste und leichtsinnigste der Schaar los werden wollte; die Wahl der anderen aber bestätigte mir ein längst in mir gehegtes Gefühl, daß nämlich Eveena auf Eivé mit einer Art Eifersucht schaute, deren ich ihre Natur für völlig unfähig hielt. Ohne Widerspruch fügte ich mich aber zum größten Jubel und zum Entzücken der beiden erwählten Mädchen.

Nach der Akademie, die auf halben Wege zwischen Amákasfe and der Residenz lag, reisten wir in einem Ballon, den ich, um mich in der Handhabung seiner Maschinerie üben zu können, persönlich lenkte. Meine anfängliche Ungeschicklichkeit dabei versetzte meine Begleiterinnen nicht wenig in Angst. Schließlich landeten wir aber doch wohlbehalten, wenn ich mich auch bei meinem Lenkversuche nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatte, und befanden uns jetzt vor der Front des Gebäudes, welches der martialen Weisheit als Wohnstätte dient. Rund um den mächtigen im Sechseck aufgeführten Mittelbau, in welchem sich der große Vortragssaal, ebenfalls sechseckig gebaut, befindet, liegen die Wohnungen von einigen sechzig hervorragenden Professoren aller Wissenschaften. In den kleineren, um die Aula belegenen Zimmern befinden sich Telephone, welche in allen Weltgegenden gehaltene Reden wiederholen, so daß die Bewohner oder zeitweiligen Besucher dieses Zentrums der Wissenschaft ihren Wissensdurst an allen Quellen des Wissens auf dem ganzen Planeten zu stillen vermögen. Daher halten sich auch Jahr aus Jahr ein stets eine große Anzahl junger Leute hier auf, welche aus den höheren Schulen entlassen, hierher gekommen sind, um ihre Studien zum Abschluß zu bringen. Mir hatte man während der Zeit meines Aufenthaltes an diesem Orte ein kleines Haus eines gerade abwesenden Professors zur Verfügung gestellt und hier versammelten sich am nächsten Morgen alle Philosophen, um mich auszufragen und mit mir über jene Welt zu disputiren, deren Dasein sie nicht zugeben wollten, deren Leben und Treiben in Familie und Staat, deren Erfindungen, Wissenschaft und Geschichte aber so lebhaft ihr Interesse erregten, als gelte ihnen die Existenz jener Welt für bewiesen.

Die Akademiker, welche ihre Einkünfte vom Staate beziehen, sind in dieser Beziehung weitaus besser bedacht, als man bei uns, selbst bei den reichsten Nationen, die Männer der Wissenschaft dotirt. Zudem gelingt es nicht Wenigen durch die praktische Ausbeutung ihrer theoretischen Entdeckungen sich ein ansehnliches Vermögen zu erwerben, obgleich im Allgemeinen auch hier auf dem Mars, gerade wie bei uns auf der Erde, der Lohn und die Lebenslaufbahn eines Entdeckers und Erfinders wenig beneidenswerth zu sein pflegt. Indessen erachtet man es hier doch für gut, daß jene Leute, die im Stillen arbeiten und schaffen — Segen des Volkes, da auf ihren rein theoretischen Arbeiten sich Erfindungen jeglicher Art, in einem jeden Zweige des Handels und Lebens gründen und bauen — für ihre segenspendenden Mühen sich nicht schlechter belohnt sehen sollen, als andere Diener des Staates. Gesellschaftlich aber räumt man jenen Männern den höchsten Rang ein und ehrt sie kaum weniger als die Inhaber der höchsten Staatsämter.

Um die Mittagsstunde eines jeden Tages begab ich mich nach dem großen Vortragssaal des Institut. Den sechseckigen Raum erfüllten dichtbesetzte, an fünf Seiten amphitheatralisch aufsteigende Bänke, denen gegenüber an der sechsten Wand sich eine Art Bühne erhob, auf welcher die Vortragenden und die Mitglieder der Akademie Platz zu nehmen gewohnt waren. Nach einem jeden meiner stets zwei Stunden langen Vorträge stellten mir die Letzteren auf den Inhalt meiner Rede bezügliche mehr oder weniger scharfsinnige Fragen. Als ich dann aber, wie ich bereits vor der Zinta und am königlichen Hofe gethan, über jene meine apergische Kraft auch jede Auskunft, die ihnen das Wesen derselben hätte verständlich machen können, entschieden verweigerte, mußte ich so deutliche Zeichen der Ungläubigkeit hören und sehen, daß ich mich endlich dadurch in meiner Ehre gekränkt fühlte.

»Wenn es Euch gut dünkt,« sagte ich ihnen, »meinen Worten keinen Glauben zu schenken, so haltet es damit nach Eurem Belieben. Aber mir gegenüber Euren Unglauben so lebhaft und unverhohlen an den Tag zu legen, dazu habt Ihr kein Recht, denn das heißt mich der Lüge zeihen wollen, und darauf kenne ich, mögen Eure Sitten von denen unserer Welt noch so verschieden sein, darauf kenne ich nur eine einzige Antwort,« bei diesen Worten legte ich meine Hand an das Heft meines irdischen Schwertes, das ich seit Davilos Warnung nicht mehr von meiner Seite gelassen hatte.

Der Präsident der Akademie antwortete ruhig:

»Von all den wundersamen Dingen, die wir angehört haben, erscheint uns am wundersamsten der Schluß Eurer Rede. Ich lasse die Frage nach der Wahrscheinlichkeit Eures Berichtes und nach der Berechtigung der dagegen ausgesprochenen Zweifel vorläufig auf sich beruhen. Das verstehe ich aber durchaus nicht zu fassen, inwiefern, wenn es bei Euch als so große Beleidigung gilt, der Lüge geziehen zu werden, Ihr die Wahrheit Eurer Angaben uns durch Eure Gewandtheit mit den Waffen beweisen, oder wie Ihr die Beleidigung dadurch zurückweisen wollt, daß Ihr stärker oder auch muthiger als Eure Widersacher seid?«

Der moralische Muth und die unerschütterliche Ruhe des Präsidenten war so imponirend, wie seine Logik unwiderlegbar war; trotzdem verfehlte mein wenn auch unlogischer Ausfall nicht seine Wirkung. Niemand schien mehr geneigt, den zu beleidigen, der so bereit war, seine Ehre mit der Waffe zu wahren, wenngleich der Umstand, daß ich bei dem Souverain in so hoher Gunst stand, mehr hierbei ins Gewicht fallen mochte, als die Furcht vor meinem Schwerte, das die meisten Martialen weniger als eine wirksame Waffe, denn als einen bloßen irdischen Schmuckgegenstand betrachteten. — — —

Von dem wachsenden Ernste der Warnungen Davilos beunruhigt, und in dem Gefühle, daß es mir nicht lange mehr möglich sein würde, eine gewisse bange Erregtheit zu verbergen, entschloß ich mich endlich Eveena jene Nachrichten, allerdings mit Ausschluß der beiden aufregendsten, mitzutheilen. Um die Möglichkeit, daß ihr Leben durch den Verdacht eines Verraths im eigenen Hause verbittert würde, ganz auszuschließen, versuchte ich sie glauben zu machen, daß jenes Complott schon längst, ehe ich noch jene unwillkommene Gnade des Camptâ's anzunehmen gezwungen war, entdeckt worden wäre. Sie wurde durch meine Worte lebhaft erschreckt, und dabei war es charakteristisch, daß weniger die drohende Gefahr selbst als der Ursprung derselben ihr Gemüth erregte. Sie meinte sofort, daß die Gefahr mich nur um ihretwillen bedrohe, und darauf bestand sie mehr, als es vernünftig und recht war, und umsonst waren alle meine Versuche, ihr diesen Gedanken zu benehmen. Um sie hätte ich mir den Haß des Regenten von Elcavoo zugezogen und durch meine Heirath mit ihr, der Tochter des Hauptes der Zintas, wäre ich die Zielscheibe des Hasses geworden, in kaum geringerem Maße als der Erzerleuchter selbst. Es war mir unmöglich, Eveena zu beruhigen und ihr das Unvernünftige ihrer Selbstvorwürfe zu beweisen, so daß ich endlich mich genöthigt sah zuzugeben, daß die Gefahr mich in gewissem Maße um ihretwillen bedrohte. Dann aber, als ich dies that, bat sie ernsthaft und eifrig, ihr doch zu erlauben, mit dem Opfer ihrer eignen Person das Unglück, daß sie über mich brächte, wenden zu dürfen. All meine Reden, daß ein solches Opfer mir selbst tausendmal bitterer sein würde, als mein eigener Tod, half nichts; die Tiefe und Hingebung ihrer Liebe konnte sie von ihren Bitten nicht abstehen lassen. Noch weniger erfolgreich schien es, ihr vorhalten zu wollen, daß meine Einwilligung in solch eine Handlung den unvertilgbaren Schandfleck der Feigheit auf mein Haupt laden müßte, der den Mann und den Namen des Mannes, wie schamlose Unzüchtigkeit den des Weibes, auf immer beschimpft und entehrt.

»Zerreiße den Vertrag!« rief sie, in ihrem Bemühen mit der Macht völlig selbstloser Liebe sich selbst zu stählen gegen die tiefsten und eigensten Instinkte derselben und jenen Egoismus, der mit Liebe fast unzertrennlich verbunden ist, und sie offenbarte in ihren leidenschaftlichen Worten eine so allgewaltige, hinreißende Liebe, wie sie selten der Mann für das Weib, das Weib für den Mann fast niemals empfindet.

»Trenne Dich von mir!« rief sie aus, »trenne Dich von mir und mache Deine Feinde und Widersacher glauben, Du hättest mit meinem Vater und seinem Orden gebrochen, und Dein Leben wird, beschützt durch die Gnade und die Gunst des Großherrn, gerettet sein. Gieb irgend einen beliebigen Grund dafür an: Sage, ich hätte es verdient, ich hätte Dich dazu gezwungen. Ich weiß, man kann den Kontrakt mit Genehmigung der Gerichtshöfe lösen, wenn ich auch nicht weiß, wie es geschieht und welche Gründe erforderlich sind. Ich will mich aber fügen in Alles, in Alles. Wie kann es Dir denn als ein Unrecht erscheinen, mir das zu gewähren, um das ich selbst Dich bitte? Lange werde ich nicht leiden. — Nein, nein, ich werde zu leben versuchen und glücklich werde ich sein,« — ihre Lippen waren fahl wie ihr marmorbleiches Gesicht und über ihr Antlitz strömten die Thränen, deren es kaum noch bedurfte, ihre Worte Lügen zu strafen.

»Bei Deiner Liebe für mich, befreie mich von der Angst um Dein Leben, befreie mich von der schmerzlichen Furcht, einst hören zu müssen, daß Du für mich und um mich Dein Leben verlorst.«

Hätte es in ihrer Macht gestanden, mich zu verlassen, wäre sie nicht noch für die zweite Hälfte der kontraktlich ausbedungenen Zeit an mich gebunden gewesen, sie hätte sicherlich trotz meines Widerspruches und gegen meinen Willen ihren Plan zur Ausführung gebracht.

Ja, auch so hätte sie mich wahrscheinlich verlassen, um den Anschein eines Streites und Bruches zwischen mir und ihr, wie ihrem Vater zu erwecken, hätten nicht die eigentümlichen Bedingungen des martialischen Gesetzes gestattet, sie in solchem Falle durch die Gerichtsdiener wieder in mein Haus zurückbringen zu lassen. Als es selbst meiner Drohung, daß ich nötigenfalls von diesem meinem Rechte Gebrauch machen würde, noch nicht gelang, sie zur Nachgiebigkeit zu bewegen, beschwor ich sie endlich bei Allem, was mir in meiner Welt heilig, und theuer in dieser Welt sei, ihren Plan aufzugeben, — bei den nie leichtfertig angerufenen Symbolen, die seit Menschengedenken, seit dem langen Laufe der dreifach die irdischen Zeiten umspannenden Jahre nie der Lüge zum Schutz und zur Decke gedient hatten, bei jenen Symbolen, die ihr heiliger waren, als dem Mittelalter seine heiligen Reliquien, vor denen doch selbst eines Harold Godwinson's heroische Seele erbebte, bei jenen Symbolen schwor ich es ihr, daß ich mein Weib vor dem Orden, vor dem Rathe der Zinta zurückfordern würde, so daß es mir endlich gelang, durch meinen unverbrüchlichen Schwur, vielleicht auch durch den Ernst und den Nachdruck meiner Worte, sie zum Nachgeben zu zwingen und die Unruhe, in welche ein wilder seelischer Sturm ihr sonst so ruhiges und sanftes Gemüth geworfen hatte, wieder zu beruhigen. — — — — — — — — — — — — — — — —

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Einen weiteren Centralpunkt martialischer Wissenschaft lernte ich in dem etwa zwanzig Meilen von der Residenz entfernten, hoch auf der Spitze eines Berges erbauten Observatorium kennen. Die Höhe des zu diesem Zwecke erwählten Baues betrug etwa 4000 Fuß über dem Niveau des Meeres und etwa halb so viel über der Fläche des ihn umgebenden Hochlandes, so daß er einen freien Ausblick auf den ganzen Horizont und selbst bis unter den theoretischen Horizont dieses Breitegrades gestattete. Zwar befand sich in der Entfernung einiger Meilen von hier ein feuerspeiender Berg, der wenn er auch, wie alle martialischen Vulkane, nicht besonders thätig war und den Bewohnern der nachbarlichen Ebenen wohl nie gefährlich geworden sein mochte, doch hin und wieder Erdbeben oder vielmehr kurze und schwache Erschütterungen der Erdoberfläche erzeugte, die immerhin im Stande waren, die Beobachtungen auf der Sternwarte ernstlich zu stören. Indeß das durfte kein Hinderniß für martialische Wissenschaft sein. Hatte man einmal von der einzigartigen, zu diesem Zweck wie geschaffenen Lage des Berges Ranelca sich überzeugt, so war keine Schwierigkeit unübersteiglich, und man beschloß, daß der Widerstand der Natur ohne Ansehung der daraus entstehenden Kosten, einfach hinweggeräumt und überwunden werden müßte. Wagte es die Natur mit den Werken der Kunst sich in Widerspruch zu setzen, was blieb dann anderes übrig, als diesen Widerspruch zu unterdrücken? Man hatte Meere überbrückt und Continente durchstochen, sollte es nicht möglich sein, auch einen Vulkan auszulöschen?

Man bohrte also zu diesem Zwecke von einem großen, etwa tausend Fuß höher, als der Herd der vulkanischen Kräfte belegenen See aus, einen nahe an 30 Meilen langen Tunnel bis an den Herd des Vulkans und leitete durch denselben ein ganzes Viertel Jahr lang — d. h. sechs irdische Monate lang — in die unterirdischen Höhlen, in welchen jene Erdbeben sich erzeugt — in das plutonische Laboratorium der rebellischen Kräfte des Vulkans unendliche Wasserströme hinein. Natürlich hatte man, ehe man zur Ausführung dieses Werkes schritt, nicht unterlassen, mit verschiedenen selten vollkommenen Bohrinstrumenten das Erdreich rund herum sorgfältig zu untersuchen und eine Karte oder vielmehr ein Modell der Schichten bis zur Tiefe einer Meile unter der Erdoberfläche und um den ganzen Vulkan herum, in einem Verhältniß von zwölf Zoll auf die Meile zu entwerfen. Im Allgemeinen schaut man nämlich hier mit Verächtlichkeit auf solch eine ärmliche Darstellung, wie sie eine flache Karte von einer unebenen Oberfläche zu geben vermag, und benützt solche hier nur zu ganz untergeordneten Zwecken und zum Taschengebrauche. Gemeinhin bedient man sich aber der ReliefGloben oder auch sphärischer Abschnitte, um sich die Oberfläche des Mars anschaulich zu machen, und für größeren Maßstab hat man Modelle von wunderbar genauer Construktion, so daß hier den Kindern der geographische Unterricht, um den in europäischen Schulen manch bittere Thräne fließt, leichtverständlich und ein Vergnügen erscheint, und daher jedes sechsjährige Mädchen auf seinem martialischem Globus fast besser Bescheid weiß, als ein deutscher Professor im alten Peloponnes. Durch das obenerwähnte Kunstwerk gelang es nun, endlich eine jede Höhle in dem Vulkan, in welchem der Eruptionsstoff sich aufsammelte und die chemische Kraft der Natur ihre Werkstätte hatte, ganz mit Wasser zu überfluthen. Natürlich folgte anfangs eine gewaltige Erderschütterung auf die andere: bald aber, in weniger als zweihundert Tagen, war das wilde Element gebändigt und die Macht jener Kraft, die vielleicht noch für viele Jahrhunderte ihr Dasein gefristet und schwache Erderschütterungen erzeugt haben würde, war besiegt und gebrochen.

Jenen Heerd des Feuers und der Zerstörung hatte man unter der Regierung des fünfundzwanzigsten Vorgängers meines königlichen Beschützers gelöscht. Zur selben Zeit ward dann auch der Bau des größten Observatoriums auf dem Berge Ranelca in Angriff genommen. Auf die Höhe dieses Berges wand sich rund um den Kegel herum ein nicht gar zu abschüssiger Pfad, der unschwer mit den elektrischen Wagen befahren werden konnte; doch ward dieser Weg nur selten benutzt, denn eine andere Straße führte durch einen mächtigen fünfzig Fuß weiten Tunnel direkt bis in's Innere des Berges hinein, in eine mächtige, künstlich aus dem Fels herausgearbeitete Höhle, deren Dimensionen ich mich nicht mehr genau entsinnen kann. Von dieser Höhle aus, die sich etwa ein Viertel von dem Centrum des Berges entfernt befand, waren etwa zwölf Schachte gebohrt von verschiedener Höhe, die aber alle bis beinah zur Spitze hinaufgingen und oben in beträchtlicher Entfernung von der Mitte des Plateaus mündeten, um den Grundpfeiler, auf welchem das Observatorium stand, von der Höhe des Bergs bis in das Zentrum des Planeten unangetastet zu lassen. In jedem jener Schachte stiegen abwechselnd zwei Wagen oder vielmehr bewegliche Zimmer, durch Elektrizität getrieben, herauf und hernieder, und beförderten Besucher und Instrumente nach und von den verschiedenen Punkten der ausgedehnten Anlage der Sternwarte selber. Der obere Theil des Ranelca war ein mächtiger Fels von nahezu 1600 Fuß Umfang und 200 Fuß Höhe, der oben in Gestalt eines Achteckes ausgehöhlt war. An den Seiten dieses ausgegrabenen Raumes befanden sich die mit schwächeren Vergrößerungsinstrumenten versehenen Beobachtungsstationen, und in dem Zentrum, zwischen denselben, lag die mit einem kristallklaren durchsichtigem Dache überwölbte Hauptstation. In jenem luftigen Gewölbe war, wie für die Aufstellung eines unserer äquatorialen Teleskope, eine Oeffnung gelassen, und eine Maschinerie war so angebracht, daß man mit einem Drucke der Hand das ganze Dach umwenden und die Oeffnung nach jedem beliebigen Theil des Himmelszelts richten konnte. In der Mitte des felsigen, parketglatt geschliffenen Bodens hatte man einen kreisrunden Pfeiler des Gesteins stehen gelassen, auf welchem die Polarachse eines Instruments ruhte, das sich von unseren Teleskopen hauptsächlich darin unterschied, daß kein dunkles Rohr die Linsen des Oculars und Objektivs verband, Dinge, von welchen überhaupt bei diesem Instrumente recht eigentlich nicht die Rede sein konnte. Wie sich aber die Bilder der Planeten und Sterne so deutlich und klar zu erzeugen vermochten, gedachte ich bei einem nächsten Besuch zu ergründen, da ich heut dazu kaum Zeit und Ruhe besaß. Leider bot sich mir nie wieder eine Gelegenheit, hierher zurückzukommen. Eveena und Eunané, welche ich zum Besuch der Sternwarte mit mir genommen hatte, verstanden sichtlich das astronomische Schauspiel, das unseren Blicken dargeboten ward, ebenso lebhaft zu schätzen und zu genießen, wie ich selbst es that. Mit der Warnung der centralen Maschinerie nicht zu nahe zu kommen, stellte man uns vor einer in einen dunklen Raum gehenden Oeffnung so auf, daß wir den Gegenständen unserer Beobachtung den Rücken zuwandten. Plötzlich erschien in der Kammer, nicht wie an der Wand, sondern gleichsam wie in der Luft schwebend, ein Bild das einige tausend Mal größer sein mochte, als der zunehmende Mond, wie er sich ohne optische Täuschung, etwa durch ein hinlänglich kleines Rohr betrachtet, dem irdischen Auge darstellt, doch erschien es nicht flach, wie jener dem unbewaffneten Auge, sondern deutlich als Theil einer Kugel.

Und in einiger Entfernung davon zeigte sich ein anderer Halbmond, der zu einer Sphäre gehörte, dessen Durchmesser ein Viertel jenes der ersten Kugel zu sein schien. Das von ihren Oberflächen reflectirte Licht zeigte eher einen silbernen Schimmer, als den goldenen Glanz, den man durch ein kleines Teleskop an dem Mond und an der Venus gewahrt. Den kleineren Halbmond erkannte ich bald als den Trabanten unserer eigenen Erde; der größere aber war augenscheinlich die Welt, die ich verlassen hatte, selbst. Die uhrwerkähnliche Maschinerie, welche der Rotation des Mars und seiner Umdrehung entgegenzuwirken diente, arbeitete so genau und vollkommen, daß jene beiden Bilder uns keinen anderen, als den durch ihre eigene Bewegung im Raume bedingten Wechsel in ihrer Stellung zeigten, eine Bewegung, die natürlich, trotz der enormen Vergrößerung, nur mit Mühe wahrnehmbar war. Indeß die Rotation der größeren Sphäre ward, als wir schärfer zusahen, doch deutlich sichtbar. Freilich hinderte uns die Atmosphäre, so wenig auch der unseren Blicken ausgesetzte und von den Sonnenstrahlen beschienene Theil der Erde bewölkt war, so klare, scharfgezeichnete Umrisse wie die einer Mondlandschaft zu erblicken; gleichwohl war Wasser und Land und Eis und Schnee klar zu sehen und deutlich zu unterscheiden, so daß meine Begleiterinnen vor Eifer und Freude aufjauchzten, als sie Züge gewahrten, welche im Großen und Ganzen jenen nicht unähnlich schienen, mit denen sie selber vertraut waren. Die arktischen Eismassen in Norden waren zwar nicht recht deutlich zu sehen; die weiten Steppen Rußlands und die lange Kette des Uralgebirges indessen, der graublaue Schimmer des Schwarzen Meeres, WestAsien, Arabien, das Rothe Meer und die lange Wasserfluth des SüdOceans traten klar und scharf hervor; fast ebenso klar war der gewaltige antarktische Eiskontinent mit seinen vergletscherten Massen rund um den Südpol. Die Grenze zwischen Licht und Schatten zeichnete sich allerdings nicht so haarscharf ab, wie auf dem Mond. Auf dem Bilde des Mondes lag zwischen glänzendem Licht und stockfinsterer Nacht nur ein ganz schmaler Gürtel, der, da ihn erst ein Theil der Sonne beschien, verhältnißmäßig noch wenige Strahlen empfing. Auf dem Bilde der Erde aber drang das Zwielicht weit nach Norden und Süden in die Striche hinauf, für welche die Sonne schon unter dem Horizont stand, und ganz allmählig nur verwandelte sich die Helle des Tages, — doch unmittelbarer unter den Tropen — in das Dunkel der Nacht.

Wir gaben lange und sorgsam Obacht, wie nach und nach immer neue Theile Europas und Afrikas zum Vorschein kamen und endlich das Mittelmeer und auch die Ostsee vor unsere Augen hintrat. Jetzt konnte ich Eveena die Länder, die ich bereist hatte, zeigen; ich zeigte ihr die Meere, in denen ich kreuzte und die Aegäischen Inseln und Buchten, in denen ich einst mit meinem Schiffe vor Anker gelegen. Meine auf persönliche Kenntniß sich gründenden Schilderungen von einem jedem Theile des zum ersten Male vor ihren Blicken sich entfaltenden Bildes setzten sie leichter und eher in Stand, die Aehnlichkeit der Dinge vor ihren Augen mit den Dingen ihrer eigenen Welt zu begreifen, als es lange astronomische Beobachtungen ermöglicht haben würden; sie erhöhten ihre Verwunderung und ihr Vergnügen an den Vorgängen, die sie erblickten und schärften ihr Verständniß für dieselben.

Als wir unser Auge sattsam an diesem Schauspiel geweidet hatten, oder vielmehr als ich mich daran erinnerte, daß uns die Zeit mangele, es noch länger zu genießen, brachte uns eine Wendung der Maschine die Venus, — das interessanteste Schauspiel, das man uns für diesen Abend bestimmt hatte, unter die Augen. Leider vereitelte uns die dichte Wolkenumhüllung dieses Planeten den erhofften Genuß; zudem stand er dem Horizont so nah, daß wir uns bald genöthigt sahen, den Apparat nach einer anderen Richtung zu drehen; und nun kamen zwei oder drei Asteroiden in Sicht, unter denen vorzüglich die Pallas ein sonderlich anziehendes Schauspiel darbot. Allerdings war wohl kaum der Unterschied der Entfernung der Grund, daß uns so viel klarere Bilder, als vom irdischen Standpunkt aus dargeboten wurden; es war der wunderbaren Vollkommenheit martialischer Instrumente zuzuschreiben und nicht in letzter Reihe vielleicht auch der seltenen Reinheit der Luft in so beträchtlicher Höhe. Nach dem was ich heute erblickte, mochte ich der Ansicht Jener beistimmen, welche behaupten, es seien die Asteroiden, — wenn nicht Bruchstücke eines zerborstenen Planeten, der voreinst als ein Ganzes existirte, — doch in einem anderen Sinne Bruchsphären, mit weniger vollkommenen und mehr unregelmäßigen Oberflächen, als jene der größeren Planeten. Zunächst erschien jetzt die gewaltige Scheibe des Jupiter mit seinen vier Trabanten vor unsern Augen, in einem allerdings kleineren Maßstab, als die vorhergehenden Bilder, weil sonst die Kammer, in die wir schauten, für diesen Planeten keinen Platz geboten haben würde. Der stärkeren Vergrößerungskraft, ohne dabei den Unterschied von 40 Millionen Meilen, die der Mars dem Jupiter näher liegt, in Betracht zu ziehen, gelang es ein so deutliches, vollkommenes, bis in die kleinsten Details genaues Abbild zu liefern, wie ich es auf Erden für unmöglich gehalten hätte. Die Trabanten waren keine Punkte mehr, noch winzige Scheiben, sondern wurden unter unseren Augen deutlich erkennbare Monde mit klar gezeichneten Oberflächen, so klar wie die unseres eigenen Mondes; indeß waren sie weniger zerklüftet und bergig, als dieser, und schienen mir fast zweifellos eine Atmosphäre zu besitzen. Ueber den einen Punkt ward ich mir leider nicht vollkommen klar, ob nicht zwischen ihnen doch ein sichtbarer Unterschied im Glanz und in der Helligkeit existirte, der weniger vielleicht ihrer Größe als einer ungleichen Reflexionskraft ihrer Oberflächen zugeschrieben werden dürfte, zumal sie von der Sonne ja im Allgemeinen gleichweit entfernt sind. Martialische Astronomen halten indessen dafür, daß Jupiter von seinem eigenen Licht den Trabanten abgiebt, und jene einen größeren oder kleineren Theil dieses Lichts, je nach dem sie von ihm entfernt, wieder reflektiren. Diese Ansicht schien mir nichts Unwahrscheinliches in sich zu tragen. Die glänzenden, buntfarbigen Streifen, welche die Oberfläche des Planeten durchziehen, traten wunderbar deutlich hervor. Das bläuliche Grau um die Pole und das gelbliche Weiß der lichteren Streifen, die wahrscheinlich von weißen Wolkengürteln herrühren, stach merkwürdig von den Farben der bald tief orangebraun und gelb und gelblichrosa, bald hellgelb erglänzenden sogenannten »dunkeln Gürtel« ab. Ueber den letzteren erblickte man seltsame Streifen, welche die Vermuthung aufkommen lassen, wenn sie allerdings auch keinen Beweis dafür bringen, daß häufig wilde Stürme in ungeheurer Höhe über die Oberfläche des Jupiters dahin brausen und Wolken zerstreuen und vor sich hinjagen, die in Stoff und in Form den Wolken, wie sie der Mars und die Erde kennt, vollständig unähnlich sind. Diese Streifen setzten uns zugleich auch in Stand, der reißend schnellen Umdrehung des Planeten zu folgen; in dem Lauf einer einzigen halben Stunde hatten verschiedene deutliche Flecken in gerader Linie sich über ein Zehntel der unseren Augen gebotenen Fläche bewegt, — eine Entfernung, die bei dem Maßstab des gigantischen Bildes ohne Mühe zu beobachten war und dem unaufmerksamsten Beschauer auffallen mußte. Die Ansicht Martialischer Astronomen geht dahin, daß Jupiter keineswegs um so viel weniger dicht sei, als die kleineren Planeten, wie man dies aus seiner geringeren spezifischen Schwere vielleicht annehmen möchte, sondern daß seine sichtbare Oberfläche die eines gewaltig tiefen Dunstkreises ist, in welcher, so meinen sie, tief drinnen eine kleinere Centralkugel liegt, die nicht nur nicht ausgekühlt, sondern noch glühend heiß sei und aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht einmal eine feste Kruste besitze. Ein Schriftsteller führt an, ihm schiene, da ja vermuthlich alle Welten bewohnt seien und die Trabanten des Jupiters weit mehr allen Bedingungen einer Welt entsprächen, als der Planet selber, der mehr den Eindruck einer sekundären Sonne mache, durchaus nicht unwahrscheinlich zu sein, daß auf jenen Monden ein ebenso mannigfaches Leben, wie auf dem Mars herrsche, und daß vielleicht dereinst einmal, wenn sie sich soweit würde abgekühlt haben, um alles Leben auf sich erstarren zu lassen, der riesige Planet alle jene Prozesse und Stadien durchlaufen haben würde, die ihn zur Wohnstätte von Pflanzen und Thieren und vielleicht von menschlichen Wesen, geeigneter machten, als er dies gegenwärtig sei.

Es war beinah Mitternacht, als endlich die deutlich zur Schau getragene Ermüdung der Damen mich von meinem Begehr abstehen ließ, diesen interessanten Besuch immer noch weiter auszudehnen.

In der That, die astronomische Wissenschaft hat es hier zu einer seltenen Vollkommenheit gebracht und um so schwerer mochte ich mich von diesem Schauspiel trennen, da der Direktor mir leider mittheilte, daß nach den Ergebnissen der letzten meteorologischen Beobachtungen im nächsten halben Jahre höchstens drei oder vier gleich günstige Nächte sich mir darbieten würden.


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Kapitel 23
Eunané's Freundin

Die Zeit verstrich, ohne daß sich ein erheblicher Zwischenfall ereignete; ich selbst fand täglich Gelegenheit die Sitten und Gebräuche der Menschen und die Menschen selber, die mich umgaben, genauer kennen zu lernen; aber nichts geschah, die mir stündlich von Davilo neu eingeschärften Warnungen und Besorgnisse zu bestätigen.

Eines Tages rief ich die Damen nach dem äußeren Garten, um einen neuen Wagen in Augenschein zu nehmen, der so eingerichtet war, daß er zwei bis acht Personen zu tragen vermochte. Zu gleicher Zeit zeigte ich ihnen einen mächtigen Ballon neuester Konstruktion, welchen ich mir auf den Rath Davilo's angeschafft hatte, um ihn, wenn nöthig, in der jetzt täglich drohender erscheinenden Gefahr bei der Hand zu haben und zu meiner Rettung benutzen zu können. Beide Fahrzeuge verfehlten nicht, das lebhafte Interesse Eunané's und ihrer Gefährtinnen wachzurufen. Eveena aber richtete bald ihr Augenmerk, nachdem sie meine Erklärungen über den Wagen angehört hatte, auf den Ballon allein, dessen Anblick ihr augenscheinlich zu denken gab.

Als wir nach dem Peristyl zurückgekehrt waren und die anderen sich ihrem eigenen Hange nach zerstreut hatten, sagte ich zu ihr:

»Ich sehe, der Grund, aus welchem ich den Ballon kaufte, ist Dir klar. Mit dem Wagen werden wir übrigens morgen nach Altâsfe, einer Stadt etwa zehn Meilen von hier, verreisen. Ich weiß es ja: Einkaufen ist eins der größten Vergnügen der Frauen auf Erden, von der verschleierten Favoritin orientalischer Serails an bis zu den manchmal mehr als nöthig entschleierten Balldamen des Abendlandes, so daß ich vermuthe, dieser Instinkt ist dem weiblichen Geschlecht angeboren. Hast Du aber auch nicht einmal diese kleine weibliche Schwäche, bist Du ganz ohne Fehl, wie die Andern sich bei mir beschweren, nun, dann wirst Du Dich herbeilassen müssen, mit mir morgen das Vergnügen der Mädchen zu theilen und alle Kaufleute Altâsfes heimzusuchen.«

Bei diesen Worten legte ich ihr ein Paket jener dünnen als Baarmünze dienenden Metallplatten in die Hand, worüber sie zu meinem größten Vergnügen eine ungekünstelte Freude und Ueberraschung bezeigte.

»Und was soll ich damit beginnen?« fragte sie mich, indem sie sorgfältig das ungezählte Paket nachzählte, woraus ich ersah, daß ich ihr Erstaunen keineswegs einer kindlichen Unkenntniß des Werthes der Platten zuschreiben durfte.

»Was Dir beliebt, Madonna, was Dir und den Andern beliebt.«

»Das ist ja,« wandte sie ein, »das ist ja mehr als das uns Allen für das folgende Jahr zustehende Jahrgeld; und dann, — vergieb mir, daß ich Dir wiederhole, was Du, wie mir scheint, absichtlich wieder vergessen hast, ich kann und darf den Schatten nicht zwischen Meinesgleichen und meinen Herrn werfen. Möchtest Du mich vielleicht derartig verletzen, daß ich etwas aus Eunané's Hand annehmen müßte, was aus Deiner Hand kommen sollte?«

»Du hast Recht, Madonna, heute wie stets,« gab ich zu, erstaunt über den Namen, mit dem sie mich nannte, und den ich, ward er auch von den anderen stets für mich gebraucht, von ihren Lippen noch niemals gehört hatte. Endlich nahm ich ihr den größeren Theil des Geldes, das sie mir hinreichte, wiederum ab, indem ich ihr aber, obschon sie sich sträubte, den kleineren Theil davon aufdrang.

»Sprich, Eveena,« sagte ich, »was hat diese Angelegenheit mit Euren Jahrgeldern zu thun? Ich meine, die Bestimmung des Kontraktes setzte allein das Minimum fest, das die Frau vom Manne zu verlangen hat, nicht aber, daß sie ihn hinderte, seinem Weibe an dem Ueberschuß seines Vermögens einen entsprechenden Mitgenuß zu gestatten. Du brauchst Dich auch nicht zu scheuen, Eveena, denn der Fürst hat uns so große Reichthümer geschenkt, daß wir mehr verbrauchen dürften, als wir könnten und wollten.«

»Ich verstehe Dich nicht,« erwiderte sie mit ihrem offenen Freimuth und ihrer einfach logischen Naivetät; »es gefällt Dir, ›Wir‹ und ›Unser‹ zu sagen, so oft sich Dir die Gelegenheit bietet, mich als einen Theil Deiner selbst hinzustellen; und ich höre das gern, denn es erhält mir den Glauben, als ob Du mich noch immer so liebtest, wie ich Dich liebe — doch Du weißt es, nicht wahr? daß dies nur Worte, nur Zärtlichkeiten sein dürfen und können. Seit Du meinem Vater die Mitgift zurückerstattet und mir mein Jahrgeld damals verdoppelt hast, ist dies das einzige, was mir von Deinem Vermögen gehört und zukommt, und dies ist ja für mich auch mehr als hinreichend.«

»Willst Du damit vielleicht sagen, daß Frauen nicht mehr erhoffen und erhalten d ü r f e n , als dies? daß ihnen nicht ein natürlicher Antheil an dem Ueberschuß der Einkünfte des Mannes gehört?«

Während meiner Worte war Enva zu uns gekommen; sie legte sich auf die Kissen zu meinen Füßen hin und betrachtete verwundert die metallischen Banknoten, die Eveena in ihrer Hand hielt.

»Zahlst Du etwa,« erwiderte die Letztere, »weil Du reicher geworden bist, mehr für das, was Du kaufst, als zuvor?«

»So willst Du wirklich sagen, daß der Antheil der Frau an dem Vermögen des Mannes durch die Bedingungen des Ehecontraktes fest abgegrenzt und bestimmt sei?«

»Willst Du,« bat Eveena, »willst Du Enva für mich antworten lassen? sie sieht mir mehr schlagfertig aus, als ich es zum Antworten bin.«

Dieser kleine Zwischenfall kam mir in mehr als einer Hinsicht bezeichnend und charakteristisch vor. Eveena's innerste Gefühle fingen an, sich in Widerspruch mit ihren auf die Theorie und Praxis ihrer Welt gegründeten Ueberzeugungen zu stellen. Noch zweifelte sie freilich die Richtigkeit und Rechtheit der letzteren nicht an, doch schreckte sie bereits instinktiv davor zurück, diese Ideen auf uns Beide anzuwenden. Daher war sie froh, sich der Antwort begeben zu können, und eine Anschauung, die, wie sie wußte, von ihren Lippen mich erschreckt und geschmerzt haben würde, von Enva mir vortragen zu lassen. Enva selber war ihrerseits zu sehr in denselben Ideen befangen, um unaufgefordert von mir sich in die Unterhaltung zu mischen. Wie sie gesagt haben würde, ein Weib verdient die Sandale für Reden ohne Erlaubniß, so mochte sie es auch für sicherer halten, die Rede einer so unverkennbar ausgezeichneten Favoritin, wie Eveena, in meiner Gegenwart nicht zu unterbrechen. Sie wartete daher, bis meine Augen die Erlaubniß ertheilten, die sie mit den ihren nachsuchte. —

»Warum,« sagte sie dann, »warum solltet Ihr ein Ding zweifach und dreifach bezahlen, Clasfempta, sei es ein Weib oder sei es ein ambâ? Ein Mädchen verkauft sich für einen Preis, der sich nach ihren Reizen richtet; und diese Reize pflegen selten, fast nie, zuzunehmen. Soll Er ihr also etwa mehr geben, weil diese Reize weniger werth sind, und kann sie füglich mehr als das Bedingte erhoffen?«

»Ich weiß es, Enva, daß die Heirath hier ein offenes Geschäft, ein Handel und ein Verkauf ist, wie sie unter meinem Volke gewöhnlich ein verstecktes und verschleiertes Geschäft ist. Doch zugegeben, das Geschäft ist geschlossen! Sollen etwa die Bedingungen, unter welchen es geschlossen ist, für das ganze zukünftige Zusammenleben maßgebend sein? Soll der Mann seinen neuerworbenen Reichthum allein für sich und nur für sich gebrauchen? und nicht vielmehr auch ein Vergnügen im Vergnügen seiner Frauen erblicken?«

»Meines Wissens,« versetzte Envoa, »glauben die Männer meistens, ehe sie noch ihr Spielzeug lange besessen, dasselbe viel zu theuer bezahlt zu haben, und möchten weit eher sich ein neues anschaffen, als das alte hegen und pflegen. So kommt es, daß Frauen gewohnt sind, in der Vergrößerung des Reichthums des Gatten kaum einen Gewinn für sich selbst zu erblicken.«

»So sagt Ihr mir also, daß Weiber, die einmal gekauft, kaum noch lange zärtlicher Behandlung werth sind. Sie sind es also nicht werth, daß man ihnen mit kleinen Geschenken von Zeit zu Zeit ein freudiges Gesicht, ein liebliches Lächeln und einen Kuß aus Liebe abschmeichelt?«

Enva's Blick war halb maliziös, halb komisch, als sie mit einer leichten Nachahmung meines Tones höchst ernsthaft antwortete:

»Könnt Ihr es Euch nicht denken oder von Eveena erklären lassen, Clasfempta, warum die Frauen lächeln und Küsse freiwillig dem schenken, der über ihre Thränen Herr ist? Oder bildet Ihr Euch vielleicht ein, das Lächeln, das Ihr durch Freundlichkeit und Liebe gewinnt, sei aufrichtiger gemeint, als das Euch die Furcht schenkt?«

»Süßer, Enva, süßer, gewiß! Jedenfalls werde ich mich wieder einmal über Eure Sitten hinwegzusetzen versuchen.« —

Sie nahm ihren Theil dankbar und gern; doch ihr Kuß und ihr Lächeln war so augenscheinlich erzwungen, daß es auf den Buchstaben dem Sinn ihrer Worte entsprach; und Leenoo, Eiralé und Elfé folgten mit charakteristischer Genauigkeit dem von ihr gegebenen Beispiel. Gleich bedeutsam war das Benehmen der Anderen: Eunané sah aus der Entfernung dem zu und näherte sich, als ich sie rief, mit trotzig widerstrebender Miene, als ob sie einen Verweis und nicht vielmehr ein Geschenk von mir erhielte. Das amüsirte mich in der That und daher that ich, als ob es an mir wäre, mürrisch zu sein, bis endlich das Fenster ihres Zimmers sich hinter uns schloß, und dort ihre Mißstimmung sich in Verwunderung wandelte. Hier nahm sie das Geschenk, das ich ihr noch einmal unter vier Augen anbot, mit warmer und offener Dankbarkeit an und schenkte mir ungebeten ihren Kuß und ihr Lächeln des Dankes.

Eivé aber empfing ihren Theil mit kindischer Scheu und nahm den ersten Augenblick wahr, da sie sich unbeobachtet glaubte, mir den kindischen Vorwurf zu machen:

»Könnt Ihr Küsse erkaufen, Clasfempta, so verlanget nicht nach den meinen, und glaubt Ihr, ich triebe Handel damit, dann sollt Ihr von mir keine Küsse mehr haben!«

— — — — — — — — — — — — — — — — —

Am Morgen ehe wir zu unserem Ausflug aufbrachen, sprach ich noch Davilo, der mir nach Verhandlung und Besprechung einiger geschäftlicher Dinge bemerkte:

»Nun erlaubt mir noch einen Rath, den ich Euch nicht als Euer Verwalter, sondern als Bruder des Ordens ertheile. Um Eurer Sicherheit willen sollte aus Eurem Hause keine Correspondenz ununtersucht herauskommen dürfen. Und existirt solche Correspondenz, so möchte ich Euch bitten, zur Erleichterung unserer geheimnißvollen Untersuchung, mir einige der Streifen, auf welche man Briefe schrieb, nicht die Mittheilungen selber, in meine Hand zu legen; vielleicht daß es dadurch gelingt, die materielle Verbindung mit den Urhebern jenes Complottes herzustellen.«

Obgleich ich anfangs mich sträubte, mich um die Briefe meiner Frauen zu kümmern, gab ich endlich doch seinem Drängen nach, da die mir drohende Gefahr zugleich einem mir theureren Leben, als dem meinen drohte, und versprach, ihm die gewünschten Streifen zu verschaffen und mein möglichstes zu thun, um die Verbindung zwischen der Seherin und dem Feinde zu liefern.

In ernste Gedanken versunken kehrte ich nach Hause zurück und fand Eunané bei meiner Heimkehr am Telegraphen beschäftigt, sich mit einigen Schulfreundinnen zu unterhalten; zu gleicher Zeit korrespondirte Eivé mit drei oder vier Damen, mit welchen sie gelegentlich meiner Ausflüge Bekanntschaft gemacht hatte. Mir war der Gedanke an Verrath im eignen Hause verhaßt; es widerstand mir, einen so wenig begründeten, weithergeholten Verdacht aufrecht zu erhalten. Und war wirklich Verrath im Spiele, so hätte ich doch vermuthlich keinen Brief von ihnen erhalten, ohne sie zur Herausgabe desselben zu zwingen und damit einen Vertrauensbruch zu begehen, da beide, Eunané und Eivé, ihre Briefe in der Meinung geschrieben hatten, daß dieselben von Niemandem gelesen werden würden. Gleichwohl bat ich sie einfach, ohne einen Grund anzugeben, um die Papiere, die sie empfangen und aufbewahrt hätten. Eivé brachte mir sogleich mit ihrer gewöhnlichen Miene der Naivetät zwei oder drei; wie sie sagte, alles, was sie besäße. Eunané aber antwortete mir mit einem Tone des Trotzes, der fast einer Weigerung gleichkam; trotzdem konnte das meinen Verdacht nicht erregen: ja der Ton schien mir gerade der letzte zu sein, den eine Schuldbewußte anschlagen würde, denn denjenigen noch zu reizen, gegen welchen man gefehlt und gesündigt hat, hieße doch Muthwillen und Ausgelassenheit auf die Spitze treiben.

»Beißt auf Eure Zunge,« sagte ich ihr also scharfen Tones, »und behaltet Eure Briefe.« Dann wandte ich mich an Eivé und sah mir die Adressen ihrer Briefe an. Kein einziger trug einen Namen, in welchem ich im Entferntesten den einer politischen Verschwörerin hätte argwöhnen können. —

»Gebt mir einen dieser Streifen, welchen Ihr wollt.« sagte ich endlich und nahm aus ihrer Hand den, welchen sie mir zeigte. »Nun radirt die Schrift selbst aus und gebt mir das leere Papier dann zurück.«

Dieser Zwischenfall gab Eunané Zeit, ihre Ruhe wiederzufinden.

Sie stand einige Minuten lang still, wie sich schämend, doch gefaßt, die Folgen ihres Fehlers zu tragen, und als sie sich überzeugte, daß ich mein letztes Wort zu ihr gesprochen hatte, änderte sich plötzlich ihre Stimmung.

»Ich möchte Euch Velna's Briefe nicht geben,« sagte sie, »sie sind so thöricht, ebenso wie die meinen, zudem — freilich glaubte ich kaum, Ihr würdet mir meinen Willen lassen; ich will daher jetzt aus freiem Antriebe thun, wozu Ihr mich nicht zwingen mochtet.«

Dann brachte sie eine Sammlung tafrooStreifen, von welchen ich den letzten nahm und sie bat, die Schrift auf demselben auszuradiren.

»Das ist nun gerade der,« erwiderte sie, »den ich Euch am ungernsten zeige. Wollt Ihr ihn also nicht lesen, so will ich denselben Euch vorlesen, indessen Ihr, während ich lese meiner Hand folgen und Euch überzeugen möget, daß ich Euer Vertrauen nicht mißbrauchte.«

»Ich habe nie an Eurer Treue gezweifelt, Eunané!«

Indessen fing sie an zu lesen, und mit dem Finger die Stellen, welche sie las, zu bezeichnen. Bei einem Satze zitterte ihre Stimme ein wenig, ohne daß mir ein Grund dazu ersichtlich gewesen wäre.

»Ich soll mich zur nächsten Besichtigung stellen,« schrieb die etwa ein Jahr jüngere Freundin Eunané's, »und ich wünschte der Camptâ hätte Euch bis dahin bei uns gelassen; vielleicht wäre es uns gelungen, in denselben Haushalt zu treten.«

»Ein unschuldiger und natürlicher Wunsch,« versetzte ich in Antwort auf den halb forschenden, halb fragenden Blick, mit welchem Eunané den Eindruck ihrer Worte abwartete. Dann gab sie mir das ganze Bündel Papiere, und ich sah mich genöthigt, von einem der Streifen mittelst eines elektrotechnischen Prozesses die Worte, die darauf standen, selbst zu radiren, um auch einen von diesen Streifen an Davilo aushändigen zu können.

Als wir alle schon bereit standen das Peristyl zu verlassen und den neuen Wagen zu besteigen, bemerkte ich, daß Eunané allein noch unverschleiert war, während die Anderen längst in ihre DaunenMäntel und dichte Schleier gehüllt des Aufbruchs harrten.

»Träge Seel ist WeiberFehl,« sagte ich, ein landläufiges Sprichwort citirend. »In einem anderen Hause würdet Ihr einfach zurückbleiben.«

»Gewiß,« entgegnete sie, als ob ihr die Strafe selbstverständlich und natürlich erschiene, »gewiß; ich will auch nicht immer die Rebe verdienen und Trauben empfangen.«

»Ihr werdet das nehmen, was mir beliebt Euch zu geben,« erwiderte ich lachend. Darauf eilte sie denn sich anzukleiden und fand nachher ebenso ungemischte Freude, wie die Anderen, an der immerhin seltenen Zerstreuung, Kleinodien und Kleider zu besichtigen und an einem einzigen Tage davon mehr einkaufen zu dürfen, als sie für Jahre lang im Stande zu sein geglaubt hatten.

Uebrigens zeigte sie sowohl wie ihre Gefährtinnen sich viel verständiger und rücksichtsvoller, als es europäische Damen zu thun pflegen, die in Gesellschaft ihrer Gatten Einkäufe machen. Eivé allein nahm auch heute wie immer die Vorrechte in Anspruch, die sie gleichsam als das Kind der Familie zu genießen gewohnt war.

So schnell, ausgezeichnet und prompt ist die Bedienung in Martialischen Geschäften, daß ich, trotzdem ich mit Frauen einkaufte und mit ihnen die Geschäftslokale fast der Hälfte aller Kaufleute Altâsfes durchwanderte, nach kaum drei Stunden den Heimweg antreten konnte. Absichtlich, zu meiner und meiner Begleiterinnen Unterhaltung, machte ich auf der Heimfahrt einen bedeutenden Umweg. Dabei kamen wir denn auch an einer großen MädchenErziehungsAnstalt vorbei. Als Eunané dieselbe erkannte, sagte sie mit einem gewissen Sehnen im Ton ihrer Stimme: »Ach, dort habe ich neun Jahre gelebt und nicht gerade lauter unglückliche Jahre!«

Eveena, die neben mir saß, ergriff meine Hand und drückte sie in mir leicht verständlicher Absicht.

»Und Ihr möchtet vielleicht diese Stätte gern wiedersehen?« fragte ich also, dem stummen Wink Eveena's gehorchend.

»Zurückgehen nicht!« versetzte als Antwort Eunané, »doch ihr einen Besuch abstatten, das würde ich sehr gern, wenn es möglich wäre.«

»Können wir es thun?« fragte ich Eveena.

»Ich denke, ja,« antwortete sie. »Ich sah schon mindestens ein Dutzend Leute hineingehen, und mir scheint, es ist heute Besichtigungstag.«

»Besichtigungstag?« fragte ich.

»Ja, gewiß,« erwiderte sie mit etwas verlegenem Ton, »die Mädchen, die ihr zehntes Jahr hinter sich haben, stellt man, zum ersten Male in das weiße Kleid und in den Schleier der Jungfrau gekleidet, in dem öffentlichen Saal der Anstalt aus, um die Freier, die sich nach Bräuten umsehen, unter denselben ihre Wahl treffen zu lassen.«

»Nicht gerade ein ergötzliches Schauspiel, »sagte ich, »weder für mich noch für Dich; indessen den Andern dürfte es kaum peinlich erscheinen, und darum mag Eunané heute ihr Wunsch gewährt werden.«

Wir stiegen vor dem Thor von unserem Wagen herunter und traten in den Garten der Anstalt, deren äußere Erscheinung einen höchst unangenehmen Eindruck auf mich hervorbrachte. So sorgsam und allen Bedingungen der Hygiene entsprechend man darin auch die Insassen aufzieht, so geschieht doch nichts, um den Mädchen den Ort, an welchem sie einen so großen Theil ihres Lebens zubringen, einigermaßen angenehm und anziehend zu machen. Utilität ist eben der Martialen einziges Streben. Darum erblickte ich auch auf den Höfen kaum eine einzige Blume und nur hier und da einige verkrüppelte Bäume, deren Stämme den Kindern als Turnapparate dienen zu sollen schienen. Eine ganze Schaar jüngerer unverschleierter Mädchen, in grobe, dunkle Kittel gekleidet, die vom Hals bis zu den Knieen herabfielen und unten in Hosenform ausgingen, um den Beinen freien Spielraum zu gewähren, turnte an den verschiedenen Barren und Recken, schleuderte leichte Gewichte und Bälle, oder handhabte eine Art von Hanteln. Andere aber, die mit jenem wesentlichsten Theile der Uebungen bereits fertig waren, gaben sich verschiedenen Vergnügungen hin. Eins dieser Spiele fiel mir besonders auf. Auf zwei verschiedenen Seiten sah ich etwa je zweihundert junge Damen eine Art Schlachtreihe bilden, und geschult durch leichte Schilde aus eng geflochtenem Draht und Gesichtsmasken aus dem gleichen Material, mit 6 Fuß langen, aus einer Art Rohr geschnittenen, auffallend leichten Speeren vollständige Kampfspiele aufführen.

Jene Rohrspeere, wenn vollkommen gereift geschnitten, wären eine furchtbare Waffe gewesen, weil dann ihre Spitzen hart und scharf genug sind um eines Jeden Haut, der nicht das Fell eines Dickhäuters trüge, leicht zu durchgingen. Aber die zu diesem Kampfspiel bestimmten Waffen sammelt man, wenn die Rohre noch unreif und an der Spitze noch von einer Art Scheide bedeckt sind, die erst beim Reifen des Rohres platzt, um die scharfe, harte Spitze heraustreten zu lassen. Die Bewegungen der Mädchen geschahen mit so außerordentlicher Ordnung, daß das Spiel eher einem Tanz als einem Kampf ähnlich erschien; gleichwohl wurde, wenn auch ohne Gewalttätigkeit, doch mit ernster Hartnäckigkeit um die Palme des Sieges gestritten, und die Manöver zeigten mehr taktisches Geschick, als ich es bei den Uebungen der wirklichen Soldaten der Leibwache des Camptâ, die allerdings schon seit undenklichen Zeiten ihren blutigen Beruf mit den friedlicheren Pflichten des Wach- und Sicherheitsdienstes vertauschte, zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte. Ich hielt Eveena an der Hand, indessen die Uebrigen, die es nicht wagten, sich ohne meine Erlaubniß von uns zu trennen, dicht hinter uns folgten, bis ich ihnen endlich auf Eveena's Vorschlag gestattete sich frei umherzutummeln, worauf Eunané hinwegeilte, ihre jüngere Lieblingsgespielin zu suchen, während die Anderen sich sogleich an den Spielen betheiligten. Wir selbst schritten langsam vorwärts und blieben dann und wann stehen, um die Uebungen der ganzen, etwa zwei Tausend zählenden Mädchenschaar zu beobachten. In der großen Halle fanden wir Eunané in Gesellschaft einer ihrer Freundinnen wieder, die noch den gewöhnlichen SchulAnzug trug. Da es indessen streng verboten ist, mit einem so gekleideten Mädchen zu sprechen, ja auch nur sie anzusehen oder zu beobachten, so gingen wir ruhig an ihnen vorbei und ließen die beiden sich hinter uns niedersetzen, wo sie dann ihre Unterhaltung in so leisem Ton fortführten, daß wir kein Wort davon vernehmen konnten.

Das Schauspiel, das sich uns in diesem Saale darbot, war, wie ich vorausgesehen hatte, nichts weniger als angenehm, und erinnerte mich, wenn auch nicht an die in ihrer Scheußlichkeit erschreckenden Negerauktionen Amerikas, doch zum Mindesten an das Bild eines orientalischen Sklavenmarktes. Die meist zierlichen und recht lieblich anzuschauenden Mädchen waren alle höchst sorgfältig gekleidet und in der offenbaren Absicht, Gefallen zu erregen kunstvoll geschmückt; beides mit größerem Geschick und größerer Gewandtheit, als sie bei ihrer Jugend selbst schon erworben haben konnten. Einzeln oder zu zweien und dreien waren sie in verschiedene Theile der Halle vertheilt worden und so in Gruppen geordnet, daß ein möglichst anziehender allgemeiner und individueller Effekt erzielt wurde. Das Bild, das sich unsern Blicken darbot, war also an sich kaum ein unangenehmes zu nennen, und da auch die Käufer den Gegenstand ihrer Bewunderung höflich, artig und mit geziemender Zurückhaltung ansprachen, so mußte es wohl der mir bekannte Zweck der Szene sein, der mir das Bild vor meinen Augen widerwärtig und empörend erscheinen ließ. Ich brauche kaum noch zu sagen, daß außer Eveena Niemand in der Halle, sei es von dem einen oder dem anderen Geschlechte, anwesend war, der mein Gefühl getheilt hätte. Schließlich ward ja auch in der That hier ganz derselbe Zweck, wie in den Londoner und Pariser Ballsälen und Salons verfolgt, nur daß man die Absicht hier freimüthiger zur Schau trug und damit jedenfalls sicherer und vorsichtiger zum Ziele gelangte, als dort. Die Mädchen waren größtentheils schüchtern und scheu und sprachen nur, wenn man sie anredete, jedoch empfingen die Meisten ihre Freier mit vollkommen geschäftsmäßiger Miene und hörten ruhig erwägend die Bedingungen an, die man ihnen bot, oder bemühten sich auch wohl einen höheren Preis zu erzielen oder gar eine kürzere Dienstzeit für sich zu erhandeln; kurz sie zeigten weit mehr Selbstbeherrschung, Ruhe und Vernunft, als es angenehm ist, junge Mädchen bei solcher Gelegenheit entwickeln zu sehen. Eine in unserer unmittelbaren Nähe sitzende Jungfrau erregte, wie ich bemerkte, Eveena's Sympathie und rief, Anfangs aus diesem Grunde allein, auch bald mein Interesse für sie wach. Sie war mit etwas geringerer Prunksucht und nicht so prahlerischer Eleganz, als ihre Schwestern gekleidet. Ihr Schleier und der Faltenwurf ihres Kleides war züchtig gelegt und stellte ihre persönlichen Reize nicht so offen zur Schau, wie es bei der Mehrzahl der Fall war. Auf den ersten Blick hätte man allerdings ihrem, wenn auch nicht auffallend schönem, doch lieblich bescheidenem Gesichte kaum Gerechtigkeit widerfahren lassen mögen. Sie war so zart, mit so winzigen Händen und Füßen, daß ihre Zierlichkeit selbst dem verwöhnten Blicke eines Martialen hätte auffallen müssen. Trotzdem wendeten sich wenige an sie, ja die Meisten beachteten sie kaum, so daß eine gewisse, auf ihrem Antlitz sichtbar sich ausprägende Enttäuschung und Traurigkeit nur zu natürlich erschien.

»Das Kind thut Dir leid,« sagte ich zu Eveena.

»Ja,« entgegnete sie, »wie bitter muß es sie schmerzen, sich von Allen die wenigst anziehende, die unbeachtetste zu fühlen. Ich kenne zwar nicht das Gefühl an solch einer Schaustellung Theil nehmen zu müssen, doch ich meine, wenn ich an ihrem Platze wäre, würde ich mich sicher verletzt und erniedrigt fühlen, wenn Niemand sich nach mir umschauen wollte.«

»Nun,« versetzte ich, »von allen Gesichtern, die ich hier erblicke, gefällt mir das ihre am besten. Darf ich sie wohl ansprechen?«

»Warum denn nicht?« sagte Eveena überrascht. »Du würdest dadurch ebenso wenig gebunden sein, sie zu kaufen, als Du etwa verpflichtet gewesen wärest, Alles zu kaufen, was wir heute in Augenschein nahmen.«

»Mich als möglichen Käufer zu betrachten,« erwiderte ich, »kam mir wohl kaum in den Sinn; auch möchte ich mich dieser jungen Dame nicht in der Weise vorstellen, daß sie mich in solchem Lichte ansehen könnte. Frage doch Eunané, ob sie das Mädchen nicht kennt?«

Bei diesen Worten kam Eivé und die Uebrigen wieder zu uns; Eveena stand auf von ihrem Platz zu meiner Linken und sprach mit Eunané abseits.

»Wirst Du sie sprechen?« sagte sie zu mir, als sie zurückkam. »Sie ist die Freundin Eunané's, Velna, an welche dieselbe kürzlich schrieb. Ich glaube, die Beiden haben einander sehr gern. Es ist doch recht schade, daß sie, wenn ungewählt, bis zur nächsten Besichtigung in die Schulstube zurückkehren muß.«

»Nun, soll ich sie sprechen,« erwiderte ich, »so mußt Du die Güte haben, mich zu begleiten, denn ich möchte das Unterfangen nicht allein auf mich nehmen.«

In Eveena's Augen konnte ich selbst durch den Schleier hindurch die Freude aufleuchten sehen, die ihr diese Worte bereiteten; dann aber, als sie sich erhob, mich zu führen, schwand dieser Ausdruck und an seine Stelle trat ein Blick ernsteren Interesses. Alles blickte auf uns, als wir den Raum durchschritten, der uns von dem einsamen, vernachlässigten Mädchen noch trennte, denn keinen einzigen Mann erblickte ich, der, so wie ich, die Runde im Saale in Begleitung einer Frau seines Haushaltes machte. Freilich waren wohl auch einige wenige Männer mit ihren Frauen erschienen, dann aber saßen jene abseits, und mit Spannung, Erbitterung, Eifersucht oder Gott weiß, welchem Gefühle, das eine solche Scene nothwendig in ihnen hervorrufen mußte, folgten ihre Augen einem jeden Schritt ihrer Herrn und Meister. Der Gegenstand unseres Interesses schien nicht wenig erstaunt, als wir uns ihm näherten, besonders als das Mädchen gewahrte, daß ich einigermaßen um eine Anrede in Verlegenheit gerieth, aus welcher mich endlich Eveena befreite, indem sie mit einigen freundlichen Worten die junge Dame ansprach. Die Stimme derselben war lieblich und sanft, und ihre Worte sowie der Ton ihrer Stimme bestätigten mir, als sie sich allmälig schüchtern in eine Unterhaltung einließ, den Eindruck, den ihre Erscheinung beim ersten Blick auf mich gemacht hatte. Als ich schließlich nach einigen Minuten mich zurückziehen wollte, fiel mir auf, daß Eveena nur wie widerstrebend mir folgte, und in ihren bittend zu mir erhobenen Augen gewahrte ich einen Ausdruck, der mir unverständlich erschien. Sobald wir uns aber außer Hörweite des verlassenen Mädchens befanden, brachte sie mich durch einen sanften Druck auf meinen Arm zum Stillstehen und sah bittend in meine Augen.

»Was giebt's?« fragte ich, »Du scheinst einen Wunsch, von dem ich keine Ahnung habe, zu hegen? Ich will Dir aber heute ein jedes Verlangen, sei es verständig oder unverständig, ohne Zaudern erfüllen.«

»Sie ist verlassen und traurig,« erwiderte sie, »und liebt Eunané so sehr!«

»Das heißt doch nicht etwa, daß Du wünschest, ich solle ihr einen Antrag machen,« rief ich in höchster Verwunderung.

»Sei mir nicht böse,« vertheidigte sie sich. »Sie wäre vermuthlich mit jedem Angebote zufrieden. Das Geld, das Du mir gestern schenktest, reicht hin, sie jahrelang zu erhalten. Zudem würde es für Eunané eine große Freude und für Velna ein wirkliches Glück sein, wenn Du ihr ein Angebot machtest.«

»Das mußt Du allerdings besser verstehen als ich, was ihr ein Glück scheinen mag,« antwortete ich. »Fremd den Ideen und den Sitten Eurer Welt kann ich es nicht fassen, wie ein Weib nicht den ärmsten Haushalt, in dem sie die Erste wäre, dem Unsrigen vorziehen müßte, in dem sie den letzten Platz einnehmen würde.«

»Sie hat kaum irgendwelche Wahl,« versetzte Eveena. »Die, welche Du arm nennst, warten gewöhnlich so lange, bis auch ihnen ein größeres Vermögen eine weitere Wahl ermöglicht, und käme sie wirklich in solch einen Hausstand, so hätte sie dort höchst wahrscheinlich die Aussicht, übel behandelt und sobald der Hausherr die Mittel besitzt, sich eine Frau nach seinem Geschmacke zu kaufen, entlassen und auf die Straße hinausgestoßen zu werden.«

»Möchte ich auch,« erwiderte ich endlich, »da Du meinst, daß es für sie ein Glück sein würde, Deinem Wunsche nachkommen, so widersteht es mir doch, aus bloßem Mitleid ein Weib zu nehmen.«

Und wieder einmal stand ich Eveena trotz aller unserer Liebe und gegenseitigen Verehrung in Denken und Fühlen so fern, wie der Südpol vom Nordpol. Es war ihr unmöglich, sich ganz von den Ideen und Sitten ihrer Welt zu emanzipiren, und andererseits wollte es mir nicht gelingen, mich mit denselben auch nur entfernt auszusöhnen. Endlich führte ich sie nach ihrem Sitze zurück und rief mit einem Winke Eunané an meine Seite.

»Eveena,« sagte ich ihr, »dringt in mich, Eurer Freundin dort einen Platz in unserem Hause anzubieten.«

Ich konnte zwar ihr Gesicht durch den Schleier nicht sehen, doch merkte ich sofort an ihrem ganzen Wesen, wie freudig sie meinen Vorschlag aufnehme.

»So werde ich es also doch wohl thun müssen,« sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zu den Frauen, während Eunané nach Eveena's Hand griff und sie in Dankbarkeit drückte. »Nun wohl, doch geschieht es nur um Euretwillen und Ihr werdet daher selbst die Sache erledigen.«

»Wie kann ich?« rief Eunané verwundert, und Eveena setzte hinzu: »Das ist Deine Pflicht. Du brauchst nur Deine Bedingungen zu nennen. Dieselben durch uns ihr sagen zu lassen, hieße das Mädchen beleidigen.«

»Der Lüge möchte ich mich aber nicht schuldig machen, mich so zu stellen, als ob ich sie persönlich zu gewinnen begehrte, und ihr die Wahrheit zu sagen, das fällt mir ebenso schwer. Geht Ihr also hin und bietet Ihr in meinem Namen die gleichen Bedingungen, wie Ihr selbst sie habt. Sie soll, wenn sie in meinen Haushalt eintritt, sich nicht in einer niedrigeren, untergeordneten Stellung fühlen.«

Dieses Angebot nahm Eveena ebenso sehr Wunder, wie mein Entschluß, sie zur Ueberbringerin des Vorschlags zu machen, der in Wahrheit doch nur von ihr ausgegangen. Endlich aber fügte sie sich, wenn auch widerstrebend, nahm Eunané mit sich, näherte sich dem Mädchen und redete sie an. Ich meinerseits hätte kaum zu sagen vermocht, was ich über die wahrscheinliche Aufnahme meines Antrags eigentlich dachte; — ich weiß nur, daß mir die ganze Angelegenheit, zu welcher ich mich hatte verleiten lassen, einfach lächerlich vorkam. Doch gewahrte ich nichts von einem dem ähnlichen Gefühl auf der anderen Seite; ich konnte in ihren Zügen, auf welche ich mein Auge geheftet hielt, nur Erstaunen und aufrichtige Freude lesen. Anfangs entspann sich zwischen den Frauen, wie ich später erfuhr, eine kurze, eifrige Debatte, da das Mädchen von den ihr gebotenen Bedingungen, die selbst einer vielbegehrten Schönheit ersten Ranges genügt haben würden und sicher ihre eigenen Hoffnungen und Träume dreifach übertrafen, im höchsten Maße überrascht war. Der Anspruch der Schönheit auf höheren Preis schien ihnen so selbstverständlich natürlich, wie im Westen Europas es Niemandem auffallend erscheint, daß Rang und Geburt für sich die ersten Partien des Landes vorwegnimmt; und sie fühlten die Schwierigkeit, diesen heiklen Punkt ausreichend klarzulegen, ebensosehr, wie ein europäischer Notar, der einem Ehestandskandidaten den Unterschied klar machen sollte, daß wenn er mit der Hand Milady's beehrt wird, ein anderes und höheres Nadelgeld ausgesetzt werden muß, als wenn er blos irgend eine beliebige Demoiselle mit seiner Hand beehrte.

Endlich aber gelang es, Velna zu überzeugen, daß mein Anerbieten ernst geeint sei: sie erhob sich und begab sich, von Eveena und Eunané begleitet, an ein Pult in einer Ecke des Saales, hinter welchem eine Dame von reiferem Alter saß. Die letztere trug wie alle ihres Geschlechts, die sich von männlicher Abhängigkeit emanzipirt und eine professionelle Carrière eingeschlagen haben, keinen Schleier über ihrem Gesicht und anstatt des weiblichen Kopfputzes eine Art Stirnband aus Metall, von welchem aus ein kurzes Silbergewebe herabfiel und den Hals sowie den oberen Rand des dunklen Kleides bedeckte. Diese Dame nahm jetzt aus einem ihr zur Seite liegenden Haufen ein Blatt, das die übliche Form des Ehekontraktes enthielt und füllte die offenen Stellen darin aus. Auf ein Zeichen Eveena's näherte ich mich der Gruppe so weit, daß ich die halb mißgünstige, halb anmaßende Verwunderung, mit welcher die Schultyrannin ihrer Schülerin zu ihrer außerordentlichen Eroberung gratulirte, sowie des Mädchens rückhaltloses Geständniß ihrer eigenen Ueberraschung und selbstempfundenen Unwerthes vernehmen konnte. Ich fühlte, trotzdem ich Eveena's Gesicht nicht erblickte, den inneren Abscheu derselben vor dem Betragen der Einen und ihre aufrichtige, weibliche Sympathie für die Andere. Nachdem die Urkunde in drei Exemplaren ausgefertigt worden war, zog sich das Mädchen für einige Minuten zurück und erschien dann wieder wie ihre neugewonnenen Schwestern in Mantel und Schleier verhüllt, die allerdings aus einem weit weniger kostbaren Stoffe gefertigt waren. Als wir die Schwelle überschritten, trat Eveena schweigend und ruhig, doch mit Entschiedenheit, ihrer Schutzbefohlenen ihren eigenen Platz ab und legte selber ihre Rechte in meine Linke. Die Aufregung, in der sie sich offenbar befand, that das ihre, meine ausnehmende Verlegenheit noch zu erhöhen und daher zog ich es vor, sie im Wagen sich neben Eunané setzen zu lassen, während ich selbst meinen Platz an der Seite Eveena's wieder einnahm.

Am selben Abend saß ich allein in meinem Gemache, als ich ein leises Klopfen an dem Krystall des Fensters vernahm. Da ich annahm, daß es nur Eveena sein könnte, antwortete ich, ohne aufzublicken. Doch diesmal waren es nicht ihre Lippen, die meine Hand mit heißen Küssen bedeckten, und nicht ihre Stimme, die bebend vor leidenschaftlicher Erregung in glühenden Dankesworten den Gefühlen ihres Herzens Ausdruck gab.

»Ich danke Euch von Herzen. Nie hätte ich geglaubt, daß Ihr je wünschen könntet, mich so unendlich glücklich zu machen. Ich wollte Euch jenen Brief damals nicht zeigen, damit Ihr nicht denken möchtet, ich wagte zu hoffen — — Doch nicht um Velna allein. Welch' ein Trost, welch' eine Freude ist es, sich in Euren Händen, die so lieb wie sie stark sind, sich unter Eurem Schutz zu befinden! Ihr sagtet, Ihr könntet nur Eveena, nur Eveena allein lieben; aber Clasfempta, was Ihr nicht lieben nennt, ist tausendfach inniger, gütiger, zarter und liebevoller, als alle Liebe, von der ich je gehört oder geträumt habe.«

In ihren leuchtenden, verklärten Augen, in denen sie mit Mühe die Thränen zurückhielt, las ich, wie sie so neben mir knieend zu mir aufschaute, aufrichtigen, leidenschaftlichen Dank. Doch erinnerte mich diese so unverhältnißmäßig große Dankbarkeit mit Schmerzen an das Zerrbild, das mir gestern Enva von dem Leben ihrer Rasse entworfen, ein Leben, in dem die allergewöhnlichste menschliche Güte und Milde wunderbar, thöricht, und lächerlich phantastisch erscheint.

»Wünscht nicht ein Jeder, Eunané,« sagte ich, »wünscht nicht ein Jeder seine Umgebung, wenn es in seinen Kräften steht, glücklich zu sehen?«

»Nein, nein, gar zu oft finden die Männer ihr Vergnügen daran, zu strafen und zu erniedrigen. Sie lieben es, ihr Haus ängstlich allen ihren Launen sich anbequemen und die geringfügigste Gerechtigkeit mit kriechendem Dank hinnehmen zu sehen. Ein in unseren Schulen vielgelesenes Buch sagt darüber, daß Grausamkeit ein stärkerer und zäherer Menscheninstinkt sei, als Mitgefühl und Wohlwollen; daß die Hälfte der Lust an der Macht darin liege, Schmerz zu bereiten, die andere Hälfte in dem genugthuenden Gefühl, sich um seiner Milde willen preisen zu hören. Und Eveena zeigt die gleiche Freundlichkeit gegen uns, wie Ihr.«

»Weit mehr so, Eunané!

»Ja, vielleicht noch weit mehr, denn was Euch natürlich erscheint, scheint ihr fremd. Euer Gedanke war es jedoch, Velna mit uns auf gleichen Fuß zu stellen und ihr, die Ihr aus Barmherzigkeit nahmet, fürstliche Bedingungen zu gewähren. Das überraschte ja sogar Eveena, und mich machte es sprachlos. Freilich glaube ich, Euch jetzt beinahe zu verstehen. Als Eveena uns einstmals erzählte, wie Ihr sie gerettet und um ihretwillen dem Regenten getrotzt habt, und Eivé Euch darüber befragte, gabt Ihr ruhig zur Antwort: ›Es gäbe Dinge, die ein Mann niemals thun könnte!‹ Ist es auch eines jener Dinge, ein Mädchen, weil sie nicht gerade eine Schönheit ist, deshalb billig erstehen zu wollen?«

»Vortheil aus ihrem Mißgeschick zu ziehen und sie in meinem Betragen ihr Mißgeschick fühlen zu lassen, ihr in meinem Hause eine Stelle unter anderen Bedingungen, als denen der Uebrigen anzubieten, sie weniger achten, weniger höflich behandeln, weil sie nicht so schön ist, wie Ihr? Ja! Eunané, das wäre eins jener Dinge. In meinen Augen ist Eure Freundin lieblich und hübsch, und wäre sie es nicht, hättet Ihr es gern gesehen, daß sie hier als ein Wesen von geringerem Werthe behandelt würde, weil sie nicht so strahlende Schönheit besitzt, wie Ihr selbst?«

Eunané war zu offen, um die Freude zu verbergen, die sie bei dieser meiner Anerkennung ihrer Reize empfand, ebenso wie sie nie mit ihrer Erbitterung zurückgehalten hatte, so lange ihr diese Anerkennung unverdienterweise versagt blieb. Jetzt aber erglänzten ihre Augen vor Freude, begann ihr Blut schneller zu pulsiren und übergoß sich ihr Antlitz mit lieblicher Röthe, während sie auf das Kompliment, das ich ihrem Edelmuth und ihrer Großherzigkeit, von denen sie selbst nicht so recht überzeugt zu sein schien, gemacht hatte, mit folgenden Worten antwortete:

»Ich fürchte,« erwiderte sie, »vor einem Jahre hätte ich es vielleicht noch gern gesehen. Jetzt aber da ich so lange mit Euch und Eveena gelebt, würde ich mich dieser Zumuthung schämen. Freilich, Clasfempta, was ein Mann nicht thun kann, das sind Dinge, die die Männer jeden Tag thun, und jede Stunde das Weib.«


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ENDE DES DRITTEN BANDES.


VIERTER BAND


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Kapitel 24
Winter

Bisher hatte ich mit Ausnahme der wenigen in der nördlich gemäßigten Zone verlebten Tage, die zufällig auch in die Höhe des Sommers jener Gegenden fielen, fast nur das tropische Klima des Mars kennen gelernt. Meine Begierde, auch einmal den Anblick eines Winters hier zu genießen, war also natürlich und leicht zu verstehen, und freudig nahm ich die Einladung an, ein aus mannigfachen Gründen sehenswerthes Institut, die große Centraluniversität des Planeten, zu besuchen, als ich erfuhr, daß es in jenen Gegenden jetzt eben Winter sei. Diese Universität, auf welche aus allen Schulen des Reichs die begabtesten Jünglinge, besonders die, welche sich einer der Martialischen Künste und Wissenschaften zu widmen und Architekten, Künstler, Regierungsbeamte, Advokaten oder Aerzte zu werden gedenken, theils sofort von der Schulbank, theils nach längerer oder kürzerer Ausbildung in den höheren Collegien entsendet, liegt hoch in der nördlich gemäßigten Zone an der Küste eines der längsten und schmalsten von Nordosten nach Südwesten, vom dreiundvierzigsten Grad nördlicher Breite bis zum zehnten Grad südlicher Breite sich erstreckenden Golfes, fast an der äußersten Spitze des nördlichen Zweiges dieses Golfes, der sich etwa dreihundert (*) Meilen vor seinem Ende in zwei Theile spaltet und durch einen Canal mit dem nächsten Seegürtel verbunden ist. Ich zog es vor diese Reise zu Land auszuführen, ungefähr achthundert Meilen weit die große Heerstraße von Amacasfe nach Qualveskinta zu verfolgen und dann direkt nach Norden vorzudringen. Ich glaubte kaum daß mir für diese Reise eine meiner Frauen aus freien Stücken Gesellschaft leisten würde und wünschte in der That auch selbst, da ich Eveena den Mühen und Strapazen einer langen Winterreise bei ihrer augenblicklich angegriffenen Gesundheit auf keinen Fall aussetzen durfte, allein die Fahrt zu unternehmen. Aber zu meiner größten Ueberraschung waren Alle, als sie merkten, daß ich Eveena die Begleitung abgeschlagen hatte, voller Eifer, sie für sich zu erbitten, so daß ich endlich, hauptsächlich um den schlimmsten Störenfried aus dem Weg zu schaffen, kaum aber um mich an ihrer Gesellschaft zu ergötzen, Enva zu meiner Begleiterin auswählte. Sie war nach Leenoo die Boshafteste in der Schaar und schlau genug, mit ihren ränkesüchtigen Streichen ihr Opfer tiefer zu treffen und herber zu verwunden, als dies Leenoo bei ihrer Dummheit je gelang. Zudem schien sie mir mit ihrem übersprudelnden und jugendlichen Lebensmuth, den man so oft auch auf der Erde bei Frauen mit jenem zarten, lichten nordischen Teint antrifft, weit besser als die übrigen zu dieser Fahrt geeignet und eher fähig, die Unbilden des Wetters und die Strapazen einer solchen langen Reise zu ertragen. Als ich Davilo von dieser meiner Absicht in Kenntniß setzte, erfuhr ich zu meiner äußersten Verwunderung, daß er in einer solchen weiblichen Begleitung für mich persönlichen Schutz erblickte.

(*) Die Meilenangaben verstehen sich durchweg in englischen Meilen.

»Denn,« sagte er, »ein jeder Anschlag auf Euer Leben müßte auch das Eurer Begleiterin gefährden, wofür kein gesetzlicher Milderungsgrund gefunden zu werden vermöchte; im anderen Falle aber wären sie von der Gefahr bedroht, daß sie durch eine Augenzeugin der That des Verbrechens überführt werden könnten.« — —

Verabredetermaßen brach ich also wenige Tage vor der Wintersonnenwende gen Norden auf und erreichte die große Heerstraße einige Meilen vor dem Punkte, an welchem sie über einen anderen der geraden von Norden nach Süden laufenden Golfe an der schmalsten Stelle desselben unter dem dritten Grad südlicher Breite hinwegführte. Da die Seen des Mars zum größten Theil flach sind — die Binnenseen sind kaum jemals hundert Klaftern tief, ja selbst die tiefsten Ozeane erreichen nie die Tiefe von vierhundert Klaftern — war es gelungen das etwa zwanzig Ellen tiefe, von hundert Fuß hohen Ufern umgebene Wasser mit einer auf den unterseeischen Felsen ruhenden, von Pfeilern getragenen Bogenbrücke zu überspannen, die trotz ihrer gewaltigen Massigkeit einen so luftigen und leichten Anblick wie eine über eine Alpenschlucht hangende Brücke gewährte. Der gigantische Viadukt war noch heute, ob auch fünfhundert Martialische Jahre seit seiner Erbauung verflossen waren, das größte Wunder der Baukunst. Die große Heerstraße, welche wir einschlagen mußten, war überhaupt durch ihre großartigen Kunstbauten besonders berühmt. Sie läuft von Amacasfe tausend Meilen so schnurgerade wie eine Römische Straße, und ändert auf ihrer ganzen ungeheuren Ausdehnung kaum sechs oder sieben mal ihr Niveau. Auf der Strecke einiger weniger Meilen überspannt sie eine zweihundert Fuß tiefe, von jähen Felsen umschlossene Schlucht und überbrückt einen Strom, der breiter ist als der Mississippi bei seinem Zusammenfluß mit dem Ohio. Dann windet sie sich drei oder vier Meilen weit eine steile, abschüssige Berg- und Felswand entlang, wo die Natur kaum für den Luftsprung eines Eichhörnchens Raum gelassen hatte. Kurz, es war ein großartiger, ein imponirender Anblick, auf die gewaltigen Brücken und die in die Seiten der Felsen gesprengten Wege zu schauen, deren Schutzdach nach innen der Felsen, nach außen zu die lange Pfeilerreihe trug, die man, als der Felsen gesprengt ward, in regelmäßigen Intervallen von dem Gestein hatte stehen lassen. Ich machte Enva auf dieses gewaltige Kunstwerk aufmerksam und fand zu meinem Erstaunen, daß sie mit Hilfe einiger erläuternder Bemerkungen völlig im Stande war, die Großartigkeit dieser Bauten zu würdigen und zu begreifen und über die Wunderwerke ihrer Welt gerechten Stolz zu empfinden. Auf einer anderen Strecke durchbohrte ein Tunnel einen ganzen sich vor den Weg legenden Gebirgsstock in einer Länge von etwa acht Meilen und diese Passage war, ungleich jener auf meiner Stromfahrt erwähnten, beständig glänzend erhellt. Die ganze Straße wurde des Nachts, vom Aufsteigen der Abendnebel bis zum Weichen der Morgennebel mit einer Helle erleuchtet, die jener des Tageslichts kaum irgend wie nachstand. Die Reise nahm mehrere Tage in Anspruch, da ich nicht wagte, mit größerer Geschwindigkeit, als fünfundzwanzig Meilen die Stunde zu fahren; denn verstand ich wohl auch, mit hinreichendem Geschick den Wagen zu lenken, so traute ich mir dennoch nicht zu, mit der höchstmöglichen Schnelligkeit das Gefährt gefahrlos vorwärts zu bringen. Wir mußten also in den für so lange Landreisen vom Staate erbauten Stationen, gewissermaßen Gasthöfen, Herberge nehmen, die sonst ganz in dem Stile gewöhnlicher Martialischer Häuser, aber anstatt um ein Peristyl, um einen offenen, mit Strauchwerk bepflanzten Garten errichtet zu sein pflegen. Diese Hotelstationen liegen zumeist in Städten, Dörfern oder in dichtbevölkerten Strecken und werden, da Speise und Trank für die Reisenden aus den nächstbelegenen Kochanstalten besorgt wird, mit Hilfe einiger ambau von einem einzigen Menschen mit Leichtigkeit verwaltet.

Die letzten zwei oder drei Tage unserer Reise waren bitterlich kalt und in der That kaum zu ertragen. Ich hatte zwar mein Unterkleid von dickem weichem Leder, das mich wärmer hielt als der dickste Mantel, und außerdem einen Pelz aus dem Felle jenes Kargynda, den mir der Camptâ zum Andenken an meinen gefährlichen Strauß mit der Bestie zum Geschenk gemacht hatte, und daher weniger vom Froste. Aber meine Begleiterin fühlte, obgleich sie ja auch in warme Kleider und Mäntel, so dicht ich es für nöthig hielt, eingehüllt war, doch die Kälte weit bitterer als ich. Noch mehr aber litt sie von dem dichten naßkalten Nebel der Tag und Nacht den größeren Theil des von uns befahrenen Weges bedeckte; derselbe war zeitweise so dicht, daß er das Reisen äußerst gefährlich gemacht haben würde, wäre nicht, um Zusammenstöße zu vermeiden, vom Gesetze anbefohlen gewesen, an beiden Enden des Wagens, hinten und vorne, ein elektrisches Licht anzubringen. Alle diese Mühseligkeiten der Reise gaben mir einen neuen Beleg für die aus der theoretischen Gleichheit entspringenden Unterwürfigkeit und Abhängigkeit des weiblichen Geschlechtes. Trotz meiner seit mehr als einem Jahre ihr täglich bewiesenen Milde und Güte konnte Enva doch nicht den Muth finden, auch nur eine einzige Klage laut werden zu lassen. Zuerst that sie ihr Bestes, mir ihre Thränen, den Ausfluß ihrer Leiden, zu verbergen und als ich ihr endlich mein Mitgefühl zeigte und gar mich bemühte in der nächsten Stadt, die wir erreichten, einen Apparat zu erstehen, durch welchen die mittelst der Bewegung erzeugte Wärme durch das röhrenförmige Gestelle des Wagens den Insassen desselben mitgetheilt wurde, war sie zwar dankbar und freudig erregt, aber doch noch weit mehr durch meine Fürsorge für sie befremdet und überrascht. Die Kälte war in der That so streng, wie die eines schwedischen Winters, obgleich wir doch stets so weit von dem Pole entfernt blieben, wie etwa auf der Erde das nördliche Frankreich von demselben entfernt liegt. Der Martialische Thermometer, der in der Form einem UhrenBarometer glich und den ich in meinem Gurt mit mir trug, zeigte in der Mitte des Tags 12 Grad Celsius unter Null, und des Nachts, wenn ich ihn im Wagen zurückließ, nicht weniger als 22 Grad unter Null.

Einer der Professoren empfing uns als Gäste und wies uns, wie es üblich ist, wenn eine Dame zu der Gesellschaft gehört, zu unserem Aufenthalt Gemächer an, die nach dem Peristyle hinauslagen, deren Fenster aber nie dahin geöffnet werden durften. Enva brachte hier natürlich den größten Theil ihrer Zeit mit den Damen des Hauses zu, und war sie allein mit mir, so erzählte sie mir offen und frei, was sie im Hause gehört und vernommen hatte. Freilich hatte sie keine Ahnung, daß ich besonderes Interesse nahm an ihren Berichten über den wachsenden Unwillen des Volks gegen jene Sekte, von der sie soviel gehört und zu der auch Eveena's Vater gehöre; und durch sie erfuhr ich erst, daß man sich äußerste Muhe gab, im Volke, besonders aber unter den gelehrten Gilden, deren Mitglieder alle Erziehungsanstalten leiten, die Abneigung, mit welcher man jene Sekte zu betrachten gewohnt war, in Haß zu verwandeln und offene Feindschaft heraufzubeschwören. Ganz allgemein erzählte man sich, daß irgend ein Complott gegen jene Menschen in der Luft läge; allerdings war auch ihnen, den Hauptprofessoren der Universität selbst, trotz ihrer so einflußreichen Stellung im Staate das Wesen des Complotts und die Personen der Verschwörer, so viel ich aus Enva's Berichten schließen konnte, noch unbekannt. Wenigstens hatten die Frauen über den Punkt noch gar nichts aus ihren Herren herauszubekommen vermocht, ja jene selbst hatten sogar mehrfach ihrem Staunen über die Verschwiegenheit, mit welcher man dies Geheimniß bewahre, Ausdruck gegeben.

Die jungen Leute, welche die Universität besuchten, waren entzückt von mir einen Vortrag über Irdische Regierungsformen und den Umriß Irdischer Geschichte zu hören. Ich hatte absichtlich dieses Thema gewählt, da sie alle mit meinen früheren an anderen Orten gehaltenen Ansprachen bereits längst bekannt waren. Dabei fand ich nun auch Gelegenheit, mit einigen der besonders fähigen Schüler persönliche Bekanntschaft zu machen. Mir imponirte an den jungen Leuten die Schärfe ihres Verstandes und die Gründlichkeit ihres Wissens in den mannigfaltigsten Fächern; ihr tiefes Verständniß für alle Martialischen Disziplinen ließ auf die Vorzüglichkeit des Unterrichts, den sie genossen hatten, nicht weniger als auf die angeborene Vorzüglichkeit ihrer geistigen Fähigkeiten schließen. Leider vermißte ich in ihnen das, was ich gewohnt bin als moralische Prinzipien zu betrachten; auch jener edlen Begeisterung waren sie baar, die oft im Herzen der Jugend das Fehlen von festbegründeten sittlichen Prinzipien ersetzt. Den krassesten Egoismus, die verwerflichste Furcht vor Tod und vor Schmerz bezeugten sie offen und laut mit einem Freimuth, der den schlimmsten Cynikern wohlangestanden hätte und den verworfensten Schurken und Feigling Europas mit Abscheu erfüllt haben würde. Allerdings gab es auch hier einige Ausnahmen von der Regel, die man hauptsächlich unter den sich für das öffentliche Leben als Regierungsbeamte und Richter ausbildenden Jünglingen fand. Hegten nun diese auch kaum ein Interesse für das Wohlergehen Anderer und fühlten sie auch kaum in sich den Sinn für das Wohl der Allgemeinheit, so schienen sie doch das innere Gefühl zu besitzen, für den hohen Rang, den man ihnen gab, für die Macht und die reichen Einkünfte, die sie genossen, sich durch die pflichtgetreue Ausübung ihrer Aemter dem Ganzen erkenntlich zeigen, und das Recht der Gesellschaft auf gerechte, wenigstens streng gesetzliche Urtheile und auf eine sorgfältige Verwaltung anerkennen zu müssen. Freilich war diese Gesinnung weit weniger persönlich als zünftig; weit eher der Stolz von Künstlern auf die Vollkommenheit ihrer Kunst, als der Ernst gewissenhafter pflichtbewußter Männer. In der Unterhaltung mit dem ersten Professor dieser Fakultät erfuhr ich noch manche Eigentümlichkeiten des hiesigen Regierungssystems, über die ich mich bis dahin noch im Unklaren befunden hatte. Die Beförderung der Beamten, erfuhr ich, hängt hier nicht von den direkten Vorgesetzten ab, mit denen sie der Dienst in persönlichen Contakt bringt, sondern von jenen, die zwei oder drei Stufen höher im Range als die Letzteren stehen, so daß zum Beispiel die Richter niedrigeren Ranges von dem Oberrichter jedes Dominiums oder Reiches gewählt, die Beamten und Offiziere des Gouverneurs einer Provinz von dem Regenten des Reiches, und die Offiziere des Regenten sowie der Regent selbst vom Großherrn ernannt werden. Freilich kann jeder Beamte von seinem unmittelbaren Vorgesetzten abgesetzt werden — doch hängt es von Diesem nicht ab, sondern von Jenem, der ihn zu diesem Posten ernannt hat, ob der Beamte gänzlich entlassen oder nach einem anderen Orte auf einen ähnlichen Posten versetzt werden soll, so daß auf diese Weise hier Niemand gezwungen wird, mit ihm unliebsamen Werkzeugen zu arbeiten, aber auch der Unterbeamte von der Laune oder Antipathie seiner Vorgesetzten unabhängig ist. Die Richter des höchsten Gerichtshofes aber ernennt der Souverän selbst aus der Mitte der Advokaten und Rechtsgelehrten oder sonstiger im Rufe besonders hervorragender richterlicher Fähigkeiten stehender Verwaltungsbeamten auf Vorschläge hin, die ihm von einem aus den Regenten, den Richtern des Obergerichtes und den Direktoren der philosophischen und Erziehungsanstalten gebildetem Kollegium unterbreitet werden. Das Gesetz ist codificirt und sehr einfach; über jeden zweifelhaften Punkt, der in der Praxis sich zeigt, wird an den obersten Gerichtshof berichtet, um durch Hinzufügung eines neuen Paragraphen die gefundene Lücke des Gesetzbuches auszufüllen. Allein der Camptâ steht über dem Gesetz, er kann in dem Gesetz nach Belieben streichen und hinzufügen, wie es ihm gut dünkt, indeß darf er dies nur vor versammeltem Rathe thun und ist verpflich

tet, die Meinung und Ansicht seiner Räthe darüber anzuhören, wenn er auch nicht gebunden ist, sich nach derselben zu richten.

Die Regenten ernennt man niemals aus der Mitte der Beamten, so wenig wie je ein Regent den Thron des Großherrn besteigt. Die Fähigkeiten, deren ein absoluter Souverän bedarf, sind nach hiesiger Ansicht wesentlich anderer Art, als sie die Thätigkeit eines untergebenen, verantwortlichen Herrschers eines Reichstheiles entwickelt. Auch das Amt eines Regenten ist ihrer Ansicht nach noch zu erhaben, um es im unteren Dienst groß gewordenen Beamten anzuvertrauen. Um nun Kandidaten für jene hohen Stellen zu haben, wählen die ersten Professoren der Universität aus allen Schulen des Reiches eine kleine Anzahl der fähigsten Schüler, etwa in ihrem achten Lebensjahre, trennen sie von ihren Kameraden und Freunden, und erziehen dieselben, ohne ihnen über den Zweck ihrer Trennung Aufklärung zu geben, für die höchsten öffentlichen Pflichten. Jahr für Jahr werden aus dem Kreise dieser jungen Leute die anscheinend sich weniger für den höchsten Rang Eignenden zur Verwaltung untergeordneter Posten berufen, bis endlich nur die Wenigen, die den Funktionen des Camptâ oder eines Regenten gewachsen erscheinen, übrig bleiben; und von diesen erst wählt der Großherr nach eigenem Belieben sowohl die Regenten als auch seinen Nachfolger aus. Die Regenten werden allerdings zum Anfang nur probeweise mit dem hohen Amte betraut und können zu jeder Zeit von dem Souverän abgesetzt werden. Hat der Camptâ es unterlassen, vor seinem Tode seinen eigenen Nachfolger zu ernennen, so wird aus dem Hohen Rathe seitens des Reichsrathes ein DreiMännerAusschuß gebildet und von diesem der neue Autokrat aus dem Kreise der eigentlichen ThronKandidaten, von denen zu gleicher Zeit nie mehr als sechs vorhanden sein dürfen, meist durch das Loos erwählt. Niemand darf indessen vor dem vierzehnten (dem irdischen siebenundzwanzigsten) noch nach dem sechzehnten (dem irdischen dreißigsten) Lebensjahre ernannt werden. Bisher hat ein Camptâ noch nie abgedankt; doch werden sie selten so alt, um in jenen Zustand der ihrer Rasse im hohen Greisenalter eigentümlichen Apathie zu verfallen. Es ist als ob die Natur ihres Amtes ihnen ihre Geisteskräfte länger als die gewöhnlicher Sterblicher erhält, und wahrscheinlich würde auch durch ärztliche Mittel ihrem Leben ein Ende gemacht werden, wenn sie durch Altersschwäche offenbar unfähig zum Regieren würden.

Als ich zuerst die Einladung zum Besuche der Universität erhielt, glaubte und hoffte ich, diesen Ausflug weiter nach Norden ausdehnen zu können, um noch einmal den arktischen Jägern einen Besuch abzustatten und an dem aufregendsten ihrer Züge, einem Jagdzug bei elektrischem Lichte auf die großen unmittelbar um das NordpolEiskap hausenden Amphibien theilzunehmen. Hierzu benöthigte ich leider der königlichen Erlaubniß, und als ich nun einen dahingehenden Wunsch einmal äußerte, ward mir von Seiten des Großherrn eine entschieden ablehnende Antwort zu Theil.

»Zwei Männer giebt es allein in dieser Welt,« sagte er, »die einen solchen Wunsch zu hegen im Stande sind. Ich selbst wage ihn mir nicht zu gestehen, und gäbe es außer uns Beiden noch einen Dritten, er würde zweifelsohne für unheilbar verrückt erklärt werden, wäre er auch in anderen Punkten so verständig und kaltblütig wie der Präsident der Akademie oder der GeneralVivisektor.«

Ich sprach zu Eveena erst dann von meinem Wunsche, als ich schon abschlägig beschieden worden war, und hätte mich sonst nichts über diesen Verlust zu trösten vermocht, so wäre es der Ausdruck frohen Entzückens gewesen, der ihre Züge bei dieser Nachricht überstrahlte. Schließlich war das Verbot mir selbst lieb, denn ich wäre doch außer Stande gewesen, sie in der fieberhaften Angst und Aufregung zu lassen, in die die geringste Ahnung von meinem Vorhaben sie versetzt haben würde.

Indessen nahm ich die Gelegenheit wahr, einem kleinen mit vier oder fünf Oceanjägern bemannten Schiffe, dessen Besatzung weniger furchtsam und weniger empfindlich gegen die Wellen des Meeres war als die gewöhnlichen Seeleute des Mars, eine WinterMeerfahrt zu wagen.

Für solch einen Ausflug zeigte sich Enva, war sie auch bei Weitem nicht die anmuthige Gesellschafterin wie Eveena, doch mindestens als muthige und unerschrockene Gefährtin. Wir segelten also der nördlichen Küste zu und fuhren dann einige hundert Meilen weit eine den norwegischen Ufern, doch in kleinerem Maßstabe, ähnelnde Küste entlang und erreichten endlich eine Oeffnung in der laugen Reihe der Klippen, Vorgebirge und Fjorde, wo die halb mit niedrigen Inseln bedeckte See einen tiefen Einschnitt in den Landgürtel machte. Hier stieg ich ans Land, um für einen Tag lang eine Landfahrt nach dem Norden zu versuchen. Der Boden war weit und breit mit einer wohl achtzehn Zoll tiefen, oben eisstarr gefrorenen Schneedecke bedeckt und statt der gewöhnlichen, hier unbrauchbaren Wagen, bediente man sich deshalb als Mittel zur Weiterbeförderung einer Art von Schlitten, der von hinten durch ein halb einem Rade, halb einer Schraube ähnelndes Instrument getrieben wurde, das selber wieder natürlich durch die allen Zwecken dienende elektrische Maschinerie in Bewegung gesetzt ward. Die Kälte war schon an und für sich schneidend und weit intensiver, als ich jemals vorher Kälte gefühlt hatte, der Nebel aber, der nach der kurzen Tageslichtzyda fiel, machte sie ganz und gar unerträglich — der Thermometer sank bis auf 50 Centigrad unter Null.

Kein menschlicher Körper vermochte so grimme Kälte zu ertragen, und wäre nicht die weiche Lederkleidung durch einen konstanten, schwachen elektrischen Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Als wir endlich unseren Rückweg nach dem offenen Meere einschlugen, überkam mich ein fast unwiderstehliches Verlangen, dem königlichen Befehl ungehorsam zu werden. Nicht weniger als drei mächtige Kargynda erschienen plötzlich und gleich in Schußweite vor unseren Augen, sie eilten an dem Ufer einer eisumstarrten Insel mit ihrer Beute im Rachen, einer in Gestalt und auch im Geschmack an den Lachs erinnernden Fischart dahin. Aber meine Gefährten waren entsetzt bei dem Gedanken, das großherrliche Gebot zu mißachten; zudem besaßen wir nur eine einzige jener mordyta genannten Blitzwaffen, und wie gefährlich es ist, diese Bestien nur mit der Büchse zu jagen, hatte ich ja selbst schon auf meine eigenen Kosten erfahren. Wenn es mir nicht gelang, den Kargynda auf den ersten Schuß tödtlich zu treffen, so würden sich aller Wahrscheinlichkeit nach die gereizten Thiere auf uns werfen und uns der Mühe überheben, vor den Gerichten uns über unseren Ungehorsam zu verantworten und die Gnade des Camptâ für Uebertretung seines Befehles anzurufen.

Mein Vorschlag, das Verdeck unseres Schiffes zu schließen und zu versuchen, das königliche Wild zu fangen oder wenigstens zu ertränken, erregte mehr Heiterkeit als Beunruhigung unter der Mannschaft, bis wir endlich in unerwarteter Weise uns der drohendsten Gefahr gegenüber befanden. Plötzlich tauchten die Drei wie auf Verabredung unter und als wir sie wieder heraufkommen sahen, konnte uns kein Zweifel mehr bleiben, daß sie unserem Schiffe zustrebten, ja, sie waren kaum noch einige achtzig Ellen von demselben entfernt.

In dieser verzweifelten Lage konnte ich von Neuem den außerordentlichen Vorzug der elektrischen Maschinerie über unsere gewaltigsten Dampfmaschinen erkennen. Ein einziger Druck auf einen Knopf genügte und nach wenigen Sekunden wuchs die Schnelligkeit unseres Schiffes bis auf vierundzwanzig Meilen die Stunde; anstatt aber das Schiff unter den Meeresspiegel hinuntersinken zu lassen, ließ der Schiffskapitän den flüssigen Ballast auspumpen und den so erzeugten Wasserstrahl gegen die Bestien richten. Schon war die eine auf wenige Ellen unserem Steuerbordverdeck nahe gekommen, als sie der gewaltige Strahl traf, sie beinahe ertränkte und mit den übrigen in die Flucht trieb. Gut war es noch, daß Enva, die die bittere Kälte geflohen und sich unten in der Kajüte in die warmen Kissen gesteckt, von dem Abenteuer gar nichts gemerkt hatte und nun bei der Heimkehr nicht noch mit einer Schilderung des Abenteuers Eveena nach ihrer Art zu ängstigen vermochte.

Süß und heiter wie mich Eveena's Willkommenlächeln begrüßte, entging mir doch nicht der Ausdruck einer mehr als tiefen Niedergeschlagenheit, der auf ihrem Angesicht lag. Entschlossen, endlich einmal ihren Quälgeistern eine wirksame Lektion zu geben, nahm ich bei dem Sonnenniedergangsmahl die Gelegenheit wahr, sie um den Grund ihres traurigen Aussehens, das sie nicht zu verbergen im Stande war, zu befragen.

»Nach einer jeden meiner Reisen siehst Du traurig und verhärmt aus, darum will ich jetzt wissen, Madonna, wer Dich geärgert und geplagt hat!«

Meine Worte waren ihnen Allen unerwartet und mit einer einzigen Ausnahme konnte ich auf allen Gesichtern die Wahrheit lesen. Eveena's Kummer und Leid stand so deutlich in ihren Zügen geschrieben, wie Eunané's mit Hoffnung sich paarende Furcht, der Schrecken von Velna und die schuldbewußte Angst und Verwirrung der Anderen. Sogar der martialische Richter, der einst gesagt haben soll, die sicherste Beweisführung ginge verloren, weil man weibliches Erröthen nicht zu analysiren verstände, hätte ohne Bedenken hier sein Urtheil gefällt. Nur Eivé's kindliche Miene sorgloser Unschuld blieb unverändert, und war dieselbe nicht aufrichtig und wahr, dann hätte sie das sprichwörtliche Lob: »goldener denn die Sonne und weißer als der Schnee«, für ihre abgefeimte Verstellungskunst vollauf verdient. Und in der That, Eveena's Blick lenkte den meinen auf dieses verzogene Kind hin; doch ohne daß sie durch denselben irgendwie in Verlegenheit gerieth.

»Habe ich etwas Unrechtes gethan?« sagte sie endlich auf meinen zweifelnden Blick in zutraulichem, fast vorwurfsvollem Ton. »Straft mich dann wie es Euch beliebt, Clasfempta, — wenn Ihr wollt, mit Eveena's Sandale.«

Diese schlagfertige Antwort entzückte die Anderen, welchen eine Aenderung des Themas sehr erwünscht schien und entwaffnete meinen momentanen Verdacht. Eveena aber blieb ihrerseits die Antwort auf meine Frage schuldig, und endlich löste sich die Gesellschaft auf und ging auseinander. Eivé schmiegte sich dicht an mich an, um für meinen unausgesprochenen Verdacht sich eine schweigende Genugtuung zu erbitten, bald aber suchte ich zur offenbaren Beängstigung verschiedener schuldbeladener Gemüther Eveena in ihrem eigenen Gemach auf und hier bestand ich trotz all ihres Flehens und Bittens darauf, die Aufklärung der Sachlage, die sie mir vor den Anderen verweigert hätte, unter vier Augen von ihr zu erhalten.

»Ich errathe,« sagte ich, »so viel, als Du selbst mir über die ›Viere‹ mittheilen könntest. Ich habe es zu lange schon mitangesehen, daß man Dir ein Leben bereitet wie einer gehetzten Therne, und mir die Stunden verbittert, die ich fern von der Heimat in steter Besorgniß um Dich, die ich allein zurückließ, verlebe. Ich kann Dich nicht länger ihrer Laune zum Opfer lassen, doch ebenso wenig kann ich mich die nächsten zwölf Dutzend Tage wie ein geketteter Hofhund an das Haus binden. Es ist dieses Mal sicher wieder eine neue Bosheit in Scene gesetzt worden. Man hat Dir übel mitgespielt, Dich gequält und gepeinigt, und Du fühlst Dich unglücklich.«

»Ja,« gab sie zu, »ich fühle mich unglücklich, doch kann ich Dir keinen Grund dafür angeben. Ich bin wie ein Kind, das des Nachts aufwacht und schreit und weiß nicht warum. Verdiente es nicht in der That die Ruthe zu kosten?«

»Ich verstehe Dich nicht, Bambina, doch möchte ich Eivé nicht rathen, Dir wirklichen Grund zu solcher Stimmung zu geben.«

Ich beobachtete ihr Antlitz während meiner Worte und bemerkte, daß bei dem Schmeichelnamen, dessen sie sich aus den ersten Tagen unserer Ehe entsann, ein schwaches Lächeln ihre Züge erhellte, das aber die Erwähnung von Eivé sofort wieder verscheuchte.

»So ist's also Eivé! Die Heuchlerin,« rief ich, »sie soll doch noch Deine Sandale zu fühlen bekommen.«

»Nein, nein,« bat sie flehend, »Du siehst ja selbst, wie Eivé in Deiner Gegenwart ist, und zu mir ist sie auch stets dieselbe, und wäre sie es nicht, wie könnte ich mich darum beklagen?«

»Warum denn nicht, Eveena? Meinst Du, ich würde zweifeln, wem ich glauben sollte, Dir oder ihr?«

»Nein,« antwortete sie mit ungewöhnlich entschiedenem Ton, »nein, Du würdest sie vielleicht auf meine bloße Anklage hin und noch schwerer strafen als jede Andere, weil — weil sie Dein Liebling ist. Du würdest nicht daran denken, daß man auch der Schuldigen Schonung zeigen soll, sondern nur daran, mir Genugtuung zu verschaffen, und nachher —«

Sie hielt inne; ich sah, sie wollte den Satz nicht vollenden, dessen Schluß zu errathen mir nicht schwer ward.

»Das sehe ich also,« entgegnete ich, »Eivé ist die Quelle Deines Kummers. Was Dich aber bekümmert, weiß ich immer noch nicht. Zwinge mich um ihretwillen nicht, die Wahrheit von ihr zu erpressen.«

»Ich glaube nicht, daß sie etwas von meinem Verdacht ahnt,« erwiderte Eveena, »vielleicht aber magst Du auch Recht haben, daß ich ihr nur deshalb nicht traue, weil, weil sie so lange die Einzige war, die Du gern hattest. Aber Du ließest den Telegraphen unter meiner Obhut und gabst mir es zu verstehen, ich solle ihn so benützen lassen, wie wenn Du selber im Hause anwesend wärst. Ich habe daher, Davilos Warnung zufolge, für Eunané und alle Anderen die Briefe geschrieben, doch Eivé konnte ich ihre Bitte nicht abschlagen, ihre Schreiben selbst abzufassen; auch habe ich, gleich Dir, dieselben niemals gelesen.«

»Warum?« fragte ich. »Das ist doch seltsam, ihr allein vor allen Anderen dies besondere Privilegium und Vertrauen zu gewähren.«

Sie schwieg, und jetzt sah ich, daß Eveena etwas wie Eifersucht in ihrem Herzen gegen Diejenige fühlte, die mich durch ihre kindliche Naivetät, sei sie nun verstellt oder natürlich gewesen, für sich einzunehmen verstanden hatte.

»Ich weiß zwar nichts,« fuhr Eveena endlich fort, »doch fürchte ich sie, freilich ganz ohne Grund. Du weißt es, Eivé hat als Deine Begleiterin in vielen Häusern Bekanntschaften gemacht, deren Häupter Du nicht für Freunde der Zinta und Deine Freunde erachten kannst. Dabei ist sie eine eifrige Briefschreiberin. Sie thut allerdings stets, als ob sie nichts zu verheimlichen hätte, doch hat sie sich noch immer gehütet, irgend Jemand den Inhalt der von ihr in letzter Zeit abgesandten und erhaltenen Briefe zu zeigen.«

Der Verdacht Eveena's hatte, das ließ sich nicht läugnen, einen gewissen Anhalt und obgleich es meinem innersten Gefühl widerstrebte, gelang es ihm ihm doch, sei es durch die Macht der Sympathie mit Eveena, sei es auch aus Instinkt, sich in meine Brust einzuschleichen, so daß ich mich seiner von da ab nicht wieder zu entledigen vermochte.

»Mein Lieb!« antwortete ich, »ich möchte Deinem Urtheil, Deiner Beobachtungsgabe, Deinem feinem weiblichen Gefühl und Verständniß mehr als meinen eigenen aus Thatsachen gezogenen Schlüssen vertrauen. Indessen ist eine Ahnung, ein Vorgefühl doch noch kein Beweis, um auf ihn hin zu handeln und zu verurtheilen.«

»Gewiß nicht!« versetzte sie, »und doch kann ich, so gern ich es möchte, mich des Gefühls nicht erwehren, daß die Gewitterwolke aufzieht, daß der Pfeil auf den Bogen gelegt ist, um Dich zu treffen, und daß Du Dein Leben, ja das Leben Anderer noch aus übermäßigem Zartgefühl auf das Spiel setzest.«

»Du bist um mich besorgt,« sagte ich, »wie ich es um Dich sein würde. Aber sage doch, ist denn für uns der Tod so schrecklich? Ja, wenn der Tod bedeutete, Dich zu lassen, aber wir wissen ja, daß selbst der Tod uns nicht zu trennen vermag. Nein, raube mir nicht mein Vertrauen. Lieber will ich bis ans Ende vertrauen und sterben, als in dem elenden Zustande steter Furcht vor Verrath unter meinem eigenen Dache leben.«

Als ich am nächsten Morgen Davilo begegnete, beunruhigte mich auch an ihm der ernste, sorgenvolle Ausdruck seines Gesichtes, das gewöhnlich, selbst wenn er in Gedanken und Sinnen vertieft war, ruhig und heiter blieb. Ich fühlte es, wie es Eveena vorhergesagt hatte, die Gewitterwolke zog auf, und Schaudern und eisige Kälte ergriff jetzt mein Herz, das vor keiner sichtbaren, auch nicht der größten Gefahr, jemals erbebte.

»Ich bringe Euch eine Kunde,« nahm er das Wort, »die, ich fürchte, Euch nicht willkommen sein wird. Er, dessen Gast Ihr in Scrocasfe gewesen seid, ersucht Euch, ihn sogleich zu besuchen, und Ihr werdet unverzüglich dieser Einladung folgen.«

Ich richtete mich hoch in die Höhe, entrüstet über den befehlenden Ton, den man mir gegenüber anzuschlagen wagte; doch imponirte mir zu gleicher Zeit die Ruhe und der Ernst, mit welchem er an mich die Aufforderung stellte.

»Was treibt Ihr mich zu solcher Eile,« sagte ich endlich, »und was befugt Euch überhaupt, von mir unbedingten Gehorsam zu verlangen?«

»Die Macht,« erwiderte er; »der Niemand sich zu widersetzen vermag, und der Ihr zu Eurem eigenen Besten gehorsamen werdet.«

Als er sah, daß ich noch unentschieden war, — die Aufforderung hatte meinen unbestimmten Verdacht mit einem Male in Besorgniß und Schrecken verwandelt, ein Gefühl, das ich, obgleich ich es als unmännlich und feig zu unterdrücken versuchte, nicht gänzlich abschütteln konnte — als er dies sah, schlug er eine Falte seines Gewandes zurück und zeigte mir auf seiner Brust den silbernen Stern unseres Ordens auf goldener Schärpe. — Der Träger dieses Zeichens war einer der oberen Meister im Orden, der Nächsten nach dem Träger des Siegels. Die Bedeutung dieser Offenbarung verstand ich nur allzu wohl. Ich sah die Unmöglichkeit ein, die Gewalt zur Rede zu stellen, der ich Treue und Gehorsam geschworen; aber mit Erstaunen und Verwunderung erfüllte es mich, daß ein Meister der Zinta eine untergeordnete Stellung auf meinen Gütern angenommen hatte, um über mein Leben und meine Sicherheit persönlich zu wachen.

»Auf solchen Befehl giebt es natürlich keine weitere Antwort,« erwiderte ich endlich. »Indessen, mein Meister, ich scheue mich, Euch es zu sagen; doch ich fürchte — ich fürchte, wie niemals zuvor, und doch weiß ich nicht, was ich fürchte.«

»Ihr habt keinen Grund zur Besorgniß,« sagte er in einigermaßen geringschätzigem Tone. »Auf dieser schnellen, auf unseren Befehl und unter unserem Schutze ausgeführten Reise harrt die Gefahr nicht, die Euch so lange schon bedroht.«

»Ihr vergeßt, Meister,« versetzte ich, »daß Ihr zu einem Soldaten sprecht, dessen Handwerk es war, auf ein Wort seines Oberen sein Leben in die Schanze zu schlagen, dem schon in der Jugend das Blinken und Blitzen des blanken Stahls das süßeste Lächeln dünkte, und der tausendmal schon ›die Lippen des Blitzes‹ geküßt hat, ehe noch der Flaum auf seine eigenen heruntergestiegen. Ihr habt mir mehr denn ein Jahr lang täglich erzählt, daß ich in steter Gefahr schwebe, ermordet zu werden. Habt Ihr je meinen Muth schwanken sehen? Wenn ich also jetzt zum ersten Mal in meinem Leben bebe und fürchte und doch nicht weiß, was ich fürchte, so ist dies gewiß eine Gefahr, wie ich sie noch nie vorher gekannt; es ist der Schatten, den ein Verhängniß vor sich hinwirft, gegen das kein Muth und keine Waffe zu schützen vermag. Selbstverständlich kann es nicht mein eigenes Selbst sein, um das ich so in Furcht lebe,« fuhr ich fort, denn der Gedanke, er könnte mich so verkannt haben, schoß mir plötzlich durch den Sinn; »doch mit meinem Leben ist ein anderes Leben so eng verbunden, daß Gefahr für mich Gefahr für jenes bedeutet. Aber wohlan! ich gehe auf Euren Befehl, doch allein gehe ich nicht!«

Er zögerte eine Weile, offenbar in Verlegenheit und in tiefe Gedanken versunken, ehe er auf meine Rede antwortete.

»Wie Ihr wollt. Nun noch Eins. Die tafrooStreifen, die Ihr mir verschafftet, sind an rechter Stelle vorgelegt worden. Dieser hier,« — er reichte mir einen Streifen, der völlig leer und unbezeichnet war — »dieser hier ist, so weit die höchsten übersinnlichen Kräfte es zu erforschen vermögen, nur durch unschuldige Hände gegangen. Jene Hand aber, von der Ihr diesen empfinget« — er zeigte den von Eivé herrührenden, gezeichneten Streifen — »ist mit Verrath befleckt und mag morgen schon in blutiges Roth getränkt sein.«

Diese Mittheilung machte auf mein Gemüth einen weniger tiefen Eindruck, als sie vielleicht auf jeden anderen Bruder des Ordens hervorgebracht haben würde, denn ich hatte schon auf der Erde dem wunderbar vollkommensten Ahnungs- und Erkennungsvermögen einer clairvoyanten Vision noch am selbigen Tage Halluzination und Träume absolut trüglichster Art nachfolgen sehen, und da ich mich dessen entsann, fühlte ich mehr aufrichtige Freude an dem Freispruch Eunanés, als Beunruhigung über den gegen Eivé ausgesprochenen schweren Verdacht, denn noch sträubte ich mich, dem Argwohn gegen jene Raum in meiner Seele zu geben.

»Ihr solltet,« sagte Davilo, »in Euren Ballon einsteigen, sobald die AbendNebel ihn zu verbergen vermögen. Ihr würdet dann etwa um die Mittagszeit die tiefe Bai des nördlichen MittelSeeGürtels erreichen, wo Euch bereits ein schnelles Fahrzeug erwartet, um Euch auf geradestem Wege in zwei oder drei Tagen durch den Canal und den Golf, den Ihr bereits einmal passirtet, nach dem Hafen zu bringen, von dem aus Ihr Eure erste unterseeische Fahrt unternahmt.«

»Ihr thätet besser,« erwiderte ich, »mir genauere Instruktionen zu geben, sonst möchte ich schwerlich den richtigen Weg einschlagen.«

»Träumt doch nicht etwa,« war seine Antwort, »daß man Euch solch eine Reise ohne den sichersten Schutz und wegkundige Begleitung ausführen ließe. Zur Zeit, die ich Euch genannt habe, ist Alles für Euren Aufbruch bereit, und Ihr könnt, bis Ihr den Ort Eurer Bestimmung erreicht, nach Eurem Belieben schlafen, lesen oder Euren Gedanken nachhängen.«

Eveena war nicht wenig erschreckt, als ich sie von meiner plötzlichen Reise benachrichtigte, sowie von meinem entschiedenen Wunsche, mich von ihr begleitet zu sehen. Die Reise, besonders die Ballonfahrt, die sie der Kühle der Nacht und der Nebel und der grimmen Kälte der oberen Luftschichten aussetzen mußte, war ja ohne Zweifel für sie eine schwere Strapaze, doch wagte ich es nicht, sie allein zurückzulassen, und auch ihr selbst war wohl mein entschieden befehlender Ton, der keine Frage und keine Widerrede erlaubte, nicht ganz unerwünscht.

Die Zeit der Abfahrt war schon nahe, als Eveena, von Eunané gefolgt, in mein Zimmer eintrat.«

»Für den Fall, daß wir länger von Hause fern bleiben,« begann sie, »mußt Du bestimmen, auf wen meine Haushaltungspflichten übergehen sollen.«

»Nach Deinem Belieben!« entgegnete ich, und war innerlich zufrieden, sie dieselben Eunané anvertrauen zu sehen, die, mochte sie auch weniger sanft und geduldig als Eveena sein, doch die Zügel mit stärkerer Hand als diese zu halten verstand.

»Eivé,« fuhr sie fort, »bat mich, mein Blumenbeet in ihre Obhut zu stellen, doch ich versprach —«

»Du möchtest es lieber Eunané anvertrauen,« fiel ich ein. »Mir erscheint es nur natürlich, wenn Du Eivé nicht gestattest, Dein Werk zu verderben. Ich denke, wir können jetzt Alles was Dein ist mit Ruhe und Vertrauen,« — dabei blickte ich auf Eunané — »in ihre einst feindlichen Hände legen.«

Ich hatte mich niemals zuvor von Eunané mit einem Gefühle des Schmerzes getrennt, doch heute konnte ich einem inneren Drang nicht wiederstehen, einem Gefühle, für das ich keinen Grund weiß, dessen ich mich aber dennoch stets mit Freuden entsinne, und so kehrte ich noch im letzten Momente zurück, um Eunané, die Eveena herzlich umarmt hielt, einige Worte der Liebe und des Vertrauens, die ihr sichtbar wohl thaten, zum Abschied zu sagen. Der LuftWagen, welcher unserer harrte, war von der leichten hier üblichen Konstruktion, und aus jenem silbergleichen ZorintaMetall hergestellt. Er war ungefähr achtzehn Fuß lang, etwa halb so breit, und war in zwei Abtheilungen getheilt, deren jede mit Hilfe von Vorhängen und Gardinen, wenn nöthig, ein fest geschlossenes Zelt abgab, in dem man nach Belieben bald so zurückgezogen wie der Araber in seinem Wüstenzelt, bald unter freiem Himmelszelt sich aufhalten konnte. In der Abtheilung, in der die Maschinerie und die Segel untergebracht waren, nahm Davilo und zwei seiner Begleiter Platz. Die vordere Abtheilung war reichlich mit Pelzen und Decken ausgestattet; man bezeigte damit meiner Gefährtin eine Aufmerksamkeit, wie sie selten einer Frau von ihrem eigenen Herrn gezeigt wird und wie sie, selbst unter den Brüdern des Ordens, nur der Tochter Esmo's zu Theil werden konnte. Bevor wir aufbrachen, hatte ich die Kissen zurecht gelegt, meine Begleiterin dicht in die wärmsten Decken gehüllt, und ihr schließlich noch den mir vom Camptâ geschenkten KargyndaPelz übergeworfen, mit der Bitte, sie möge, wenn möglich, während unserer Luftfahrt zu schlafen versuchen.

Der Ballon schoß in wenigen Sekunden über den Abendnebel bis zu einer Höhe hinauf, in der wir die Richtung unserer Fahrt nach den unten unsichtbaren Sternen bestimmen konnten. Allerdings war es hier oben schneidend kalt, doch entgingen wir wenigstens dem peinigenden und auch gefährlicheren Naßkalt der Tiefe. Der Wind, den unsere eigene reißende Fahrt erzeugte, blies uns gerade ins Gesicht, und hätte uns ernstliche Beschwerden verursacht, wäre nicht auch unser Kopf mit dicken Pelzen zum Schutz gegen den eiskalten Zug verhüllt gewesen; aber auch selbst durch diese blies er so grimmig hindurch, daß ich mich endlich zurückzog, noch vom Fuß bis zum Kopfe zudeckte und neben Eveena hinlegte. Ihre Hand — das fühlte ich, als ich sie in die meine legte — war frostig und kalt, aber trotzdem bestand sie darauf, als sie mein Frösteln, das ich doch nicht zu unterdrücken vermochte, bemerkte, mir wenigstens eine der vielen Decken, die doch kaum ausreichten, ihr selbst vor dem zudringlichen Zuge Schutz zu gewähren, abzutreten. Nicht auf den höchsten Höhen des Himalaya, die ich erklommen, nicht in den Steppen der Tartarei habe ich je grimmigere Kälte erfahren, als auf dieser Luftfahrt. Die Sonne wandte sich gerade nach Westen, als wir den Hafen erreichten, in dem wir uns einschiffen sollten. Trotz der Kälte hatte Eveena während des letzten Theils unserer Reise geschlafen und war noch fest vom Schlummer umfangen, als ich sie auf die Kissen unserer Kajüte hinübertrug. Von hier aus setzten wir unsere Reise unter dem Wasser mit einer Schnelligkeit von zwölfhundert Meilen des Tags fort, eine Eile, die jede Beobachtung durch die dicken, doch vollkommen durchsichtigen Seitenfenster unserer Kajüte zur Unmöglichkeit machte.

Bei der Ballonfahrt hatte sich mir die günstige Gelegenheit geboten, die beiden Marsmonde, Velnaa geheißen, zu beobachten. Der Cavelna, oder auch Caulna, der nächste von Beiden, hat etwas mehr als den vierten Theil der Größe unseres Mondes und erscheint, nur 5000 Meilen von der Oberfläche des Mars entfernt, in der ziemlich auffallenden Größe von 8 Grad Durchmesser. Gleich allen Planeten und Trabanten sich von Westen nach Osten bewegend, vollendet er seine astronomische Umdrehung und seine Phasen in etwas weniger als sieben und einer halben Stunde, während die entgegengesetzte Umdrehung des Himmels seinen Umlauf um den Planeten bis zu einer Zeit von etwa zehn Stunden verlängert. Zeelna (eigentlich Zevelna) der etwa 3 Grad im Durchmesser haben mag und an 12,000 Meilen von der Oberfläche des Mars entfernt ist, kehrt in ungefähr dreißig Stunden zum gleichen HimmelsMeridian zurück; doch da in dieser Zeit das Sternengewölbe etwa eine und eine viertel Rotation nach entgegengesetzter Richtung ausgeführt hat, dauert es beinah fünf Tage, ehe er am selben Horizonte wieder erscheint. Die Folge dieser Bewegungen ist die optische Täuschung, als ob die beiden Monde sich nach verschiedenen Richtungen im Himmelsraum bewegten.

Als wir über die Nebel und Wolken aufstiegen, stand Caulna als glänzender Halbmond sichtbar im Westen, während Zeelna als Scheibe, doch ohne heller zu leuchten, als etwa, vom günstigsten Standpunkt der Erde aus betrachtet die Venus, im Osten emporstieg. Beide bewegten sich so schnell, daß die Aenderung ihrer Stellung am Himmel von Minute zu Minute deutlich wahrnehmbar war.


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Kapitel 25
Abfall und Verrath

Wir wurden beim Landen von unserem ehemaligen Wirth wieder empfangen, von ihm direkt nach seinem Hause begleitet und dort ohne Weiteres, ohne erst in der Vorhalle warten zu brauchen, in unsere Zimmer geführt. Eveena, die von mir während der Reise Alles, was ich selber über den Zweck derselben wußte, und somit Manches, was ich mir vorgenommen hatte zu verschweigen, herausbekommen hatte, war heftig erregt und voll Angst, um so mehr, da mein eigener niedriger Rang in der Zinta eine so plötzliche und dringende Vorladung schwer verständlich erscheinen ließ. Ich war daher froh, um ihrethalben mehr als um mich, als mir ein Ambâ einige Zeilen von Esmo überbrachte, in denen ich zu einer Privatkonferenz eingeladen wurde. Schon die Gegenwart ihres Vaters genügte, Eveena's Gemüth einigermaßen zu beruhigen, da sie von mir erfahren, was sie niemals zuvor gewußt hatte, welch hohen Rang ihr Vater unter den Brüdern einnahm.

»Ich habe Euch,« sagte er, sobald ich ihn begrüßt hatte, »ich habe Euch aus mehr als einem Grunde vorladen lassen, doch möchte ich Euch jetzt nur einen einzigen mittheilen. Ihr wißt, daß dringende Fragen von außerordentlicher Wichtigkeit in der Regel nur von den Meistern allein berathen und erledigt, oder aber einer OrdensVersammlung unterbreitet zu werden pflegen. Beides ist aber in dem heute uns vorliegenden Falle unthunlich. Mir persönlich wäre allerdings wohl kaum der Gedanke gekommen, daß gerade Ihr uns in dieser Sache wesentliche Dienste zu leisten im Stande sein könntet. Indeß haben diejenigen, die die Sache für den Rath spruchreif gemacht, die dringende Forderung gestellt, Euch als Mitglied des Konvents zu sehen und solch eine Forderung lassen wir niemals unberücksichtigt. Ja, eine Weigerung widerstritte den ersten Grundsätzen unserer Verbindung und zeugte von solchem Mißtrauen gegen die vorgeladene Person, wie es einem Glied der Brüderschaft gegenüber unmöglich ist. Doch vorläufig lasse ich diesen Gegenstand lieber auf sich beruhen. Heute Abend werdet Ihr die ganze Kraft Eurer Nerven und Eures Urtheils noch genügend anspannen müssen; und es gilt als eine werthvolle Maxime unserer Wissenschaft, in den Stunden, die einer wichtigen Entscheidung und einem heftigen Kampfe der Seele vorangehen, den Geist so viel als möglich ausruhen und ihn nicht durch die ungewissen Schatten der kommenden Ereignisse in Aufregung versetzen zu lassen.«

Damit wandte sich die Konversation zu anderen Dingen, und ich lud Esmo ein, mich nach meinen eigenen Appartements zu begleiten. Hier war es rührend zu sehen, mit welcher lebhaften Freude, weit lebhafter als ich es erwartet hatte, Eveena ihren Vater bewillkommnete, und nach den geringfügigsten Dingen der Heimath, von der sie schon so unendlich lange getrennt zu sein meinte, sich auf das eingehendste erkundigte. Doch behielt sie, selbst bei dieser ersten Begrüßung eines Gliedes ihrer Familie, es immer im Auge, ihre Hauptaufmerksamkeit dem Gatten zu widmen und ihn nie von der Unterhaltung, die sich um ihm größtentheils unbekannte Dinge bewegte und daher vielleicht hätte uninteressant scheinen dürfen, gänzlich auszuschließen. So verstrichen die Stunden in angenehmen Gesprächen; zum Abendmahl gesellte sich auch Kevimâ uns bei und brachte Eveena die neue unverhoffte Freude den Bruder wiederzusehen und begrüßen zu können. Dann blieben wir ungestört beieinander, bis endlich ein ganz leises elektrisches Signal, das offenbar durch verschiedene Gemächer hindurch erschallte, Esmo an die Pflichten erinnerte, die heute seiner harrten.

»Ihr werdet heute erst sehr spät heimkehren,« nahm er das Wort, »und ich wünschte Ihr könntet Eveena beruhigen, damit sie einschliefe, bevor Ihr zurückkehrt, und Ihr nicht noch durch weitere Gespräche vor dem morgenden Tage ermüdet werdet.«

Dann zog er sich mit Kevimâ zurück, und ich begann meinen Anzug der empfangenen Anweisung gemäß gegen einen schneeweißen Talar, der nur einen hochrothen Streifen um die Taille und um den Hals trug, umzutauschen und das Abzeichen des Ordens anzulegen. Der Turban, den ich, ohne Auffallen zu erregen, eher nach der asiatischen Weise als nach martialischer Art gewunden auf dem Haupte trug, war gleichfalls weiß und hochroth, eine Farbzusammenstellung, die Eveena nichts Gutes zu bedeuten schien und sie schmerzlich erregte, da im Zveltischen Symbolismus die rothe Farbe das Sinnbild der Gefahr und der Schuld ist.

Als Esmo wieder in unsere Gemächer zurückkam, war er bereits in voller Amtstracht. Der plötzliche Wechsel in dem Wesen Eveena's erinnerte mich noch rechtzeitig an den ehrfurchtsvollen Gruß den ich dem Haupte unseres Ordens schuldete. Ihrem Vater war Eveena das furchtlos liebende, wenn auch gehorsame Kind, die Tochter gewesen, aber dem Clavelta gegenüber schwand jede Zärtlichkeit; sie hatte für ihn nur die tiefe, unterwürfige Ehrfurcht, mit welcher ein Katholik aus dem Osten zum ersten Male sich dem Nachfolger des heiligen Petrus nähert. Vor dem Träger des Siegels und der goldenen Schärpe fielen wir nieder auf unsere Knie und beugten das Haupt in schuldiger Ehrfurcht. Dann folgte ich Esmo auf einen Wink seiner Hand; wir gingen durch dieselben langen Gänge wie ehemals hindurch, wurden von den Schildwachen, die mit tiefster Ergebenheit den Siegelträger des Ordens begrüßten, vorschriftsmäßig angerufen und befragt, und betraten dann Beide die Einweihungshalle, deren Anblick heute ein vollkommen anderer war. Vor dem Vorhang des Altars war ein Raum mit weißen, hochroth geränderten Stoffen verhängt, in dessen Nähe die Meister wie bei meiner Einführung auf den Sesseln der Plattform Platz genommen hatten. Esmo aber saß heute auf der zweiten linksseitigen Stufe des Thrones, der sich bei seinem Nähern in derselben mystischen Weise wie früher enthüllte. Nahe dem unteren Ende des so sich bildenden Raumes befand sich eine Barriere von dem rothen Metall, das ich bereits oftmals als den martialischen Stahl erwähnte, und hinter derselben ein Sitz aus einem düsteren, dunkelgrauen Material, hinter dem zur Rechten und zur Linken zwei grün gekleidete, mit dem üblichen Speere bewaffnete Schildwachen standen.

Tiefes, lautloses Schweigen herrschte ringsumher ungefähr zehn Minuten lang von dem Moment an, da der Letzte der Versammlung seinen Platz eingenommen hatte. Auf den Gesichtern der Meister und einiger älterer Eingeweihter des Ordens, denen wahrscheinlich die Natur des kommenden Ereignisses nicht unbekannt war, lag der Ausdruck der Ruhe, aber auch des tiefsten Schmerzes und Bedauerns, über welchen dann und wann der Schatten von Angst und Besorgniß aufstieg, wie er selten nur in dieser Stätte der Sicherheit und des Friedens wahrgenommen ward. Auf keinem Gesicht aber zeigte sich der geringste Anflug von unruhiger Neugier. In dem veränderten Anblick der Halle, in dem veränderten Wesen ihrer Insassen lag ein Etwas, das nicht verfehlte, auf das Gemüth den tiefsten Eindruck hervorzubringen, den Leichtsinn der Jugend in Schranken zu halten und selbst einen in langen Erfahrungen gewonnenen Gleichmuth wie den meinen zu erschüttern.

Endlich nahm Esmo das Wort. Er erhob den weiß und rothfarbenen Elfenbeinstock, den die Meister heute anstatt des Crystallstabs in ihren Händen hielten und sprach mit gedämpfter ruhiger Stimme, doch mit selbst an ihm ungewohntem Ernste:

»Tritt vor, Asco Zvelta!«

Das was ich jetzt sah, kann ich Niemandem ausreichend beschreiben, der nicht eine ähnliche Szene selbst erlebt hat. Der Vorhang am unteren Ende der Halle that sich auf, und es kam eine Gestalt hinter demselben hervor, in der das ungeübteste Auge den zur Verantwortung vorgeladenen Schuldigen erkannte.

»Kam hervor,« habe ich gesagt, weil ich keinen anderen Ausdruck zu finden weiß. »Wurde vorgezerrt,« hätte ich besser gesagt. Dies war der Eindruck, den sein Vorgehen machte; doch keine Gewalt, keine physische Kraft war sichtbar — unsichtbare Hände zogen den Schuldigen vor seine Richter.

Langsam näherte sich der Elende wie sich sträubend, er wand sich und zuckte zurück, wie er sich gegen eine ihn vorwärtsziehende, überlegene Kraft wehre, wie wenn ihn Schritt für Schritt unsichtbare Mächte mit unsichtbaren Händen nach vornehin schleppten. So kam er endlich leichenblaß mit bebendem Körper bis zur Barriere und als Esmo sich von seinem Platze erhob, fiel er, instinktiv die Symbole der höchsten Autorität anerkennend und ehrend, auf seine Knie nieder. Dann erhob er sich, einer Geberde des Meisters gehorchend und sank in den für ihn hingestellten Stuhl, offenbar unfähig, aufrecht zu stehen und kaum kräftig genug, sich auf seinem Sitze aufrecht zu erhalten.

»Bruder,« begann der Jüngste der Meister, der, welcher den Platz am weitesten zur Rechten hin innehatte, und jetzt fiel es mir auf, daß nur elf Meister anwesend waren; der letzte Sitz zur rechten Seite des Sprechers war leer. »Bruder, Fremden habt Ihr das Geheimniß des Schreines enthüllt!«

Dann schwieg er, um die Antwort zu hören, und in einem seltsam unnatürlichen, ausdruckslosen Tone rang sich die Antwort von den zusammengekniffenen Lippen des Schuldigen:

»Ja, es ist wahr.«

»Ihr habt,« begann jetzt der nächste der Meister, »Ihr habt Euch bestechen lassen, um schnöden Lohn das Leben Eurer Brüder der Rache ihrer Feinde zu opfern!«

»Ja, es ist wahr.«

»Ihr habt,« sagte der, welcher den niedrigsten Sessel zur Linken inne hatte, »mit dem Herzen und der That habt Ihr meineidig die Gelübde gebrochen, die Ihr aus freiem Willen beschwuret, und die Gesetze übertreten, deren wohlthätigen Satzungen Ihr Euch aus eigener Wahl unterwarfet.«

Diesen Worten folgte das gleiche Geständniß, das ihm augenscheinlich von einer unsichtbaren unwiderstehlichen Macht gegen seinen Willen und seine Absicht abgerungen wurde.

»Und an wen,« sprach Esmo jetzt zum ersten Male, »an wen habt Ihr uns verrathen?«

»Ich weiß nicht,« lautete die Antwort.

»Erklärt,« fuhr der Meister fort, welcher unmittelbar zur Linken des Thrones saß und aus dessen ruhigem, ernst traurigem Gesichte mehr Mitleid mit dem Uebelthäter und weniger Abscheu als aus den Blicken der Uebrigen sprach.

»Jene, mit welchen ich sprach,« war die in demselben seltsamen Tone gegebene Antwort des Schuldigen, »waren mir unbekannt, doch zeigten sie Vollmacht von der Gewalt nächst der des Camptâ. Sie berichteten mir, das Bestehen des Ordens sei längst entdeckt und an ihrer Lebensweise die Mitglieder längst schon erkannt; endlich sei die Ausrottung derselben beschlossen worden und auch ich, sagten sie mir, sei als Mitglied bekannt und hätte nur noch zu wählen, als Erstes der Opfer mein Leben zu verlieren oder aber über den Orden Auskunft zu geben und jeden Lohn, den ich wünschte, dafür zu empfangen.«

»Und was habt Ihr gesagt?« fragte ein Anderer der Meister.

»Ich habe keins der Symbole verrathen, auch nicht den Altar noch die Losungszeichen des Ordens; allein Das habe ich gesagt, daß die Zinta existirt und habe die Bedeutung der Schlange, des Kreises und des Sternes, doch ohne die Symbole zu nennen, erklärt.«

»Wie,« fuhr der zur Linken des Thrones fort, »konntet Ihr, als Ihr die Hoffnung aller Hoffnungen nanntet, als Ihr der Macht aller Mächte gedachtet, wie konntet Ihr da es über Euch gewinnen, auf die Eine zu verzichten und die Rache der Anderen auf Euer Haupt zu laden? Welche Macht der Welt vermag den Verräther, der einst vor den Stufen des Thrones gekniet hat, gegen sein Schicksal zu schützen?«

»Die Hoffnung lag fern und das Licht leuchtete matt,« gab der Missethäter zur Antwort, »ich war erschreckt und lag in Versuchung; ich wußte, daß schneller, schmerzloser Tod die Strafe des Ordens für den Verrath sei, und Folter und Qual und entsetzlicher Tod die Rache der mir drohenden Macht. Ich hoffte nichts von der fernen dunkeln Zukunft des Versprechens der Schlange und fürchtete Alles von diesem Leben und seinem gewaltsamen Ende.«

»Wißt Ihr,« forschte endlich der letzte Fragesteller, »wißt Ihr keinen Namen, wißt Ihr gar nichts, das uns ermöglichen könnte, Denjenigen, mit welchen Ihr sprachet, oder auch denen, in deren Dienste jene standen, auf die Spur zu kommen?«

»Nur dies:« war die Antwort, »Einer von ihnen hegt einen bitteren Haß gegen Einen der heute anwesenden Eingeweihten,« dabei zeigte er auf mich, »er trachtet ihm nach dem Leben nicht nur als einem Kinde des Sternes, nicht nur als dem Gatten der Tochter des Clavelta, sondern auch noch aus einem anderen mir unbekannten Grunde.«

»Und ist Euch das Werkzeug bekannt,« fragte ein anderer Meister, »das er zur Erreichung seiner Rache anzuwenden gedenkt?«

»Es ist ein Weib, das über ihr Opfer einen Einfluß ausübt, wie wenige ihres Geschlechts über ihre Herren und Gatten; es ist ein Weib, gegen deren Liebe seine Seele kein Mißtrauen, sein Herz keine Vorsicht, sein Mannesmuth keine Weisheit kennt.«

Ein Schauder durchbebte bei diesen Worten die Meister und jene, die ihnen zunächst saßen. Mir war dies Gefühl unverständlich, bis ein empörter Zwischenruf Kevimâ's, der nicht weit von mir entfernt saß, mir plötzlich darüber Aufklärung gab.

»Das kann nicht sein,« rief er, »es ist unmöglich, oder nennt die, welche Ihr anklagt!«

»Schweigt,« sagte Esmo in dem kalten, ernsten Tone eines Präsidenten, der zur Orduung ruft, mit einem Anfluge jener Entrüstung, mit welcher ein Priester in der Mitte der heiligsten Handlung eine Lästerung abwehren würde. »Niemand darf hier sprechen, ehe nicht die Meister ihre Rede geendet.«

Indessen schien keiner der Letzteren geneigt, eine weitere Frage zu stellen. Die Schuld des Verklagten war eingestanden. Alles was er als Anhalt für fernere Nachforschungen sagen konnte, war gesagt, und jenen, welche die geheimnißvollen Gewalten kannten, die den Geist und die Lippen des Schuldigen zu unfreiwilligem Geständniß zwangen, schien ein Zweifel an der Wahrheit der Aussagen des Angeklagten unmöglich. Und hätte es ihnen wirklich wahrscheinlich gedünkt, weitere Angaben betreffs der mir persönlich drohenden Gefahr aus ihm erzwingen zu können, so hätte doch einen Jeden die Rücksicht auf das in dunkeln Worten beschuldigte Wesen, mit welchem sie ein engeres Band als mit mir verknüpfte, davon abhalten müssen; zudem mochten sie auch vermuthen, daß ich, sobald den Eingeweihten das Wort ertheilt würde, meine eigene Sache selber vertreten werde.

»Möchte einer der Brüder sprechen?« fragte endlich Esmo nach minutenlangem Schweigen.

Der Verweis von vorhin hatte Kevimâ die Lust zu reden geraubt, und kein Anderer fühlte sich berufen zu sprechen, aber Aller Augen wandten sich auf mich, so daß ich endlich gegen meine eigentliche Absicht mich genöthigt sah, mich zu erheben.

»Ich habe an den Verklagten keine Frage zu stellen,« sprach ich.

»Dann habt Ihr,« erwiderte Esmo ruhig, »dann habt Ihr jetzt auch nichts zu sagen. Man reiche dem verklagten Bruder, der vor uns steht, den Ruhebecher.«

Ein kleiner Pokal ward nach diesen Worten dem elenden Menschen, der halb bewußtlos seines Urtheils harrte, von einer der Wachen gereicht und in wenigen Minuten verfiel er in einen Schlummer, in welchem sein Antlitz verhältnißmäßig ruhig ward und seine Glieder aufhörten zu zittern. Sein Schicksal sollte in Gegenwart seines Körpers, doch in Abwesenheit seiner Sinne und seines Verstandes entschieden werden.

»Hat ein älterer Bruder,« fragte Esmo, »einen Rath zu ertheilen?«

Kein Wort ward gesprochen.

»Hat irgend ein Bruder Rath zu ertheilen?«

Wieder schwieg Alles, bis der Blick, welchen der Meister der Reihe nach auf die Versammlung warf, auf mir haften blieb.

»Ein Wort,« sprach ich. »Ich bitte um die Erlaubniß zu sprechen, weil diese Angelegenheit nah und grausam meine Ehre berührt.«

Jene unhörbare, unsehbare, »bewegungslose« Bewegung des Erstaunens, das sich instinktiv dem Redenden selbst mittheilt, ging durch die ganze Versammlung.

»Ja,« fuhr ich fort, »meine eigene Ehre in der Ehre einer Anderen, die mir theurer dünkt, als meine eigene Ehre. Was der Verklagte gesagt hat, mag es wahr oder mag es falsch sein —«

»Es ist wahr,« unterbrach mich ein Meister.

»Nun mag es wahr sein,« fuhr ich fort, »ob ich es auch nicht glauben will, auf wen auch seine Worte Bezug haben mögen. Daß aber kein solcher Verrath auch nur einen Moment lang das Herz Derjenigen zu vergiften vermag, mit der ich, in Gegenwart vieler heut Anwesender, vor diesem Throne gekniet, das will ich schwören bei allen Symbolen, die wir gemeinsam verehren. Ich vertrete es mit dem Leben, das allein durch den angeblichen Weiberverrath, von wem auch der Verrath ausgehen mag — bedroht wird, doch Niemand klage ich an, wie ich gegen Niemand Verdacht hege, ja, mag auch die Anklage wahr sein, wahr bis auf den Buchstaben sein, die Tochter unseres Meisters, Eveena, trifft sie nicht!«

Eine sichtbare Erleichterung ließ sich bei diesen Worten auf allen Gesichtern, die bis dahin durch den Allen schaurigen Verdacht umwölkt gewesen waren, erkennen. Esmo allein hörte diese Rechtfertigung eben so gleichmüthig, wie er vorhin die Anklage und die stillschweigende Verdammung seiner Tochter gehört hatte.

»Hat irgend ein Bruder,« sagte er, »einen Rath in unserer Angelegenheit zu ertheilen?«

Alles schwieg still, bis Esmo wiederum sich mit folgender förmlichen Frage an die Anwesenden wandte:

»Hat Er, der unser Bruder war, die Bruderschaft verrathen?«

Ein jedes Mitglied der Versammlung gab klar und deutlich seine Zustimmung zu erkennen.

»Ist er gerichtet?«

Schweigen war die bejahende Antwort.

»Ist es nöthig, seine Lippen für ewig zu schließen?«

Einer oder zwei der Meister drückten in einfach kurzer Rede ihre bejahende Ueberzeugung aus, die augenscheinlich von allen Anwesenden außer mir selber getheilt ward. Mit einem Blicke mich an Esmo wendend, erhob ich mich, von seinem Auge ermuthigt.

»Der Gerichtete hat seinen todeswürdigen Verrath zugestanden,« sagte ich, »das kann ich nicht läugnen, doch hat er eher aus Furcht als aus Bosheit gesündigt und gegen Furcht sollte der Muth nachsichtig sein. Der Feigling ist doch nur das, wozu ihn der Weltenschöpfer gemacht hat und Feigheit bestrafen hieße das Kind für die Sünden seiner Väter heimsuchen wollen; zudem wird es der Furcht vor der Strafe nimmer gelingen, aus dem Feigling einen Helden zu ziehen. Mir däucht es daher, als sei es weder weise noch richtig gehandelt, ein in Schwäche und Kleinmuth begangenes Verbrechen so furchtbar zu rächen.«

Nur auf zwei Gesichtern, auf dem Esmo's und dem seines ihm zunächst zur Linken sitzenden Collegen meinte ich ein Zeichen des Beifalls für meine Worte zu erkennen, doch ein anderer Meister beantwortete kurz und entschieden meinen Gnadenantrag folgendermaßen:

»War,« begann er, »sein Verrath die Folge der Furcht, um so triftiger erscheint mir der Grund das Verbrechen furchtbar sühnen zu lassen und uns für die Folgezeit vor dem Verrath der Feigheit zu sichern. Dieselben Motive, die den Verklagten verleiteten, soviel zu verrathen, dieselben Motive würden ihn auch zu weiteren Enthüllungen wieder verleiten. Den Verbrecher aber lebenslänglich im Kerker zu halten, hieße unser aller Leben, um ein verworfenes Leben zu schonen, vom Zufall abhängig machen. Die Entschuldigungen, welche unser Bruder angeführt hat, haben vielleicht, wir wollen es für den Verklagten erhoffen, vor dem höchsten Gerichte ihre volle Berechtigung, das nur dem Gewissen nach, ohne Ansehung der Folgen, sein Urtheil abgiebt. Für uns haben sie keine Berechtigung.«

Indeß das Gesetz der Zinta fordert, wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, für ein Todesurtheil ein absolut einstimmiges Votum. Zweifelt auch nur ein einziger in den Ideen des Ordens aufgezogener Richter an der unabwendbaren Nothwendigkeit der Todesstrafe, so wird dieser Zweifel als genügend betrachtet, diese höchste Strafe vom Haupte des Verbrechers abzuwenden. Freilich erwartet man, daß die Andersgesinnten, besonders wenn sie in geringer Minorität sich befinden, die Argumente der Brüder und Aelteren respektvoll anhören und reiflich erwägen; und auch heute dauerte die Debatte, zu welcher meine Rede Veranlassung gab, fast zwei Stunden; ein jeder Redner sagte einige geschickte passende, überzeugende Worte, denen stets eine kurze Pause zur Erwägung derselben nachfolgte. Zwei Punkte waren bald klar: der Verbrecher hatte nach den Satzungen des Ordens sein Leben verwirkt, und war sein Tod nöthig für die Sicherheit der Anderen, dann mußte die Gnade, die würdigere Männer, und die heiligsten Wahrheiten mit Gefahren bedrohte, fast als ein Verbrechen erscheinen. Freilich der Gedanke, welcher bei mir am meisten gegen mein natürliches Gefühl ins Gewicht fiel, rührte von Erfahrungen her, die Niemand der Anwesenden in seinem Leben gemacht haben konnte. Wie oft aber saß ich nicht einst als Richter im Kriegsgericht, um über Feigheit mein Urtheil zu fällen und stets stimmte ich für Tod, da ich der Meinung war, der Feigheit sei allein durch eine noch tieferen Schrecken einflößende Strafe entgegenzuwirken. Und so ließ ich endlich, wenn auch mit lebhaftestem innerem Widerstreben, mich durch diese Erinnerung an die Vergangenheit entscheiden und stimmte dem allgemeinem Urtheil bei. Dann fragte Esmo nach erfolgter Willensentscheidung der zu Gericht sitzenden Versammlung:

»Die Stimmen der Gegenwart haben ihr Urtheil gefällt. Stimmen die Stimmen der Vergangenheit demselben bei?«

Er blickte um sich, wie um zu sehen, ob Einer der vor ihm Sitzenden unter Inspiration in eines Abgeschiedenen Namen ein von dem allgemeinen Beschlusse abweichendes Urtheil aussprechen würde. Instinktiv schaute ich hin nach den Thron, doch dieser blieb leer wie zuvor. Dann sah der Meister einige Momente auf den Schuldigen, der unter seinem Blick aufschreckte und wieder zum Bewußtsein erwachte. Er nahm aus der Hand des ihm zunächst zur Linken sitzenden Meisters eine Kette aus kleinen aufgereihten goldenen Ringen, ähnlich jener, wie sie auf dem Siegel und unter dem Baldachin dargestellt war, während der zur Rechten eine Rolle hielt, auf deren goldenen Blättern die Namen der Brüder verzeichnet standen, und dann sprach unser oberster Meister im gedämpften, klaren Tone, inmitten der tiefsten Stille, die Formel des Bannfluchs, bei dem er an der entsprechenden Stelle ein Glied von der Kette abbrach und später den einen Namen auf der goldenen Rolle mit breitem Scharlachstrich durchstrich.


»Recht gerichtet und geächtet,
Herzbethört und hirnumnächtet,
Unser einst, Dir selbst zum Hohn
Treulos dem smaragdenen Thron,
Fällt der Schleier, reißt das Band.
Den wir Bruder einst genannt
Stehst allein, — Uns fremd hinfort,
Fremd dem Lichte, unserem Hort,
Fremd der Wahrheit, die wir lehren,
Fremd dem Bund, dem wir gehören,
Falsch dem Symbol, dem Sinn und Zeichen,
Falsch dem Fittig ohne Gleichen,
Falsch der Schlange heiligem Pfand,
Falsch dem Sterne, Kreis und Band.
Weiche über unsere Schwelle,
Mit dem Leben laß die Helle.
Geh, vom goldnen Blatt gestrichen,
Geh vergessend und vergessen
Geh — durch Tod entsühnt der Schuld —
Such' Vergebung von des Himmels Huld!«


Und wieder verhüllte sich der Thron, wieder verhüllten sich die Embleme hinter und über demselben in undurchdringliches Dunkel. Fast instinktiv erhob sich ein Jeder, welcher zugegen war, und stand gebeugten Hauptes mit niedergeschlagenen Augen da, als der Verurtheilte sich mechanisch erhob, ohne ein Wort sich umwandte und die Halle des Gerichtes verließ.


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Kapitel 26
Zwielicht

Ich war vielleicht das einzige Glied der Versammlung, welchem der gerichtete Mann nicht persönlich bekannt war; allen Anderen aber schien das Band, das heute zerrissen ward, zum wenigsten so eng, wie das irdische Band, das den Bruder mit dem leiblichen Bruder verbindet. Wie lange die Pause andauerte oder wie oder wann wir wieder unsere Sitze einnahmen, weiß ich nicht. Dann aber enthüllte sich der Thron von Neuem und Esmo's nächster College nahm das Wort.

»Im Kreise der Meister,« sprach er, »ist seit drei Tagen durch den Hingang eines uns Allen wohlbekannten und einst geliebten Bruders ein Sitz frei geworden. Wir haben nun die Neubesetzung desselben in Erwägung gezogen und haben beschlossen, eines der jüngsten Glieder des Bundes, das aber augenscheinlich vor seiner Einweihung schon mehr als die halbe Weisheit des Sternenlichtes gekannt hat, auf ihn zu berufen. Nichts hätte in der That unsere freudige Gewißheit an unserer Lehre und die Hingebung an unseren Glauben mehr zu heben vermocht, als die Entdeckung, daß man in einer anderen Welt unsere heiligsten Wahrheiten mit gleich innigem Glauben erfaßt, und daß unsere tiefsten Geheimnisse dort wie bei uns von Gemeinschaften, die der unseren nicht unähnlich sind, geglaubt, erkannt und verkündet werden. Aus diesem Grunde sowohl, als auch weil er von jenem Hause, von dem nur noch zwei männliche Glieder sich am Leben befinden, durch Heirath und Adoption das dritte Glied ist, haben die Brüder einstimmig beschlossen, dem Clavelta und den Kindern des Sternes anzuempfehlen, hier diesen Sitz,« — er zeigte dabei auf den leer gewordenen Sessel — »durch den auszufüllen, der soeben mit einer selten hier gezeigten Wärme seine Liebe und sein unerschütterliches Vertrauen in die Tochter des Meisters, den Sprößling des Stifters, uns offenbarte.«

Sicher nicht um meiner eigenen Persönlichkeit willen, sondern vielmehr aus aufrichtiger Anhänglichkeit und tiefer Ergebenheit für Esmo, den langerprobten Meister und fast das letzte Glied eines so sehr geliebten und hochverehrten Stammes, beeilten sich Alle mit Eifer und Wärme und einem Vertrauen, das mir tief zu Herzen ging, ihre Zustimmung zu dem Vorschlag zu geben. Der Beweis dieses Vertrauens erfreute mich um so mehr, als ich darin eine durch Erbe überkommene, gebührende Hochachtung und Verehrung, nicht etwa für mich, sondern für Eveena erblickte, eine Verehrung, wie sie selbst unter den Zweltau selten einem Weibe gezollt wird.

Esmo neigte zustimmend sein Haupt. Dann rief er mich bei meinem Namen vor die Stufen des Thrones.

In seiner Hand hielt er die goldene Schärpe und den rosigen Stab, die Abzeichen des Ranges, der mir jetzt verliehen werden sollte. Ich selbst fühlte tief meinen eigenen Unwerth und meinen Mangel an Weisheit und Erfahrung und stammelte verwirrt einige unzusammenhängende Worte, in denen ich die hohe Ehre, die mir angeboten wurde, bescheiden abzulehnen versuchte. Doch kaum hatte ich die ersten Worte gesprochen, als mir Esmo mit ernster Stimme Schweigen gebot. Er warf die Falte seines Talars zurück, die seinen linken Arm bedeckt hielt und sagte mit einer Bewegung der Hand, die mir das Siegel gerade vor meine Augen führte:

»Ihr habt Gehorsam geschworen!«

Mein Soldateninstinkt, die mesmerische, Gehorsam erzwingende Gewalt in dem Blicke Esmo's und der heilige Schauer vor den Symbolen und den Eiden des Ordens, der sich aus den Herzen der Uebrigen auch schon in mein Gemüth übertragen hatte, nahm mir den Willen und die Kraft, ferneren Widerstand zu leisten. Ich empfing vor den Stufen des Thrones die Insignien meines Ranges, und als ich mich von den Knieen erhob und mein Gesicht meinen Brüdern zuwandte, sah ich jede Hand sich an die Lippen heben, ein jedes Haupt sich beugen zum Gruße des neuen Meisters, und dann, als ich an den äußersten Platz zur Rechten hinschritt, traten die Brüder einzeln vor, ergriffen meine Hand und sagten mir kurze, herzliche Worte der Sympathie und der Freundschaft, aus denen verbunden mit dem Gefühl tieferer, heiligerer Bande ein freimüthiger Geist kameradschaftlicher Treue und Ergebenheit sprach, der mir unwillkürlich mein langes Leben im Lager und an den Wachtfeuern in Erinnerung brachte.

Kaum hatten wir unsere Plätze wieder eingenommen, als ein plötzlicher Zwischenfall die ganze Szene völlig verwandelte. Ein verschleiertes Weib mit dem Stern und der Schärpe trat an die Schranken und kniete einen Moment lang vor dem ErzErleuchter. Dann öffneten sich die Schranken vor ihr, und sie ging auf den Baldachin zu.

»Sie,« sagte die Neuangekommene. »Sie hat eine Botschaft für Euch, Clavelta, für Euren Rath und im Besonderen für das jüngste seiner Mitglieder.«

»Es ist gut,« war seine Antwort.

Die Ueberbringerin der Botschaft nahm hierauf unter den Eingeweihten Platz, die Esmo sodann in derselben feierlichen Weise, wie bei früheren Gelegenheiten entließ. Dann schritt er, gefolgt von den Zwölfen und geführt von der Botin, deren behandschuhte Linke er leicht in der eigenen Rechten hielt, durch eine andere Thür aus der Halle heraus durch viele lange Gänge des unterirdischen Tempels hindurch in einen Raum, der in jeder Hinsicht dem Gemache eines gewöhnlichen Wohnhauses glich. Hier befanden wir uns einem jungen Mädchen gegenüber, auf deren Antlitz eine fast überirdische, durch die deutlichen Anzeichen physischer Schwäche und Leiden eher gehobene als beeinträchtigte, geisterhafte Schönheit thronte. Sie lag mit fest geschlossenen Augen in einem Divan, ihr Schleier war, wie es nur dem jungfräulichen Stande erlaubt ist, vom Gesichte zurückgezogen, doch deckte er züchtig Hals und Busen des in Vestalisches Weiß gekleideten Mädchens. Mit einer leichten Bewegung der Hand hieß sie uns fern von ihr bleiben; dann näherte sich ihr Esmo allein. Anfangs schien unsere Gegenwart sie in konvulsive Aufregung zu versetzen; bald aber fiel sie unter seinem ruhigen Blicke fast plötzlich in einen tiefen und schweren Schlaf. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Als wir diese Kunde über die neue, dem Orden unmittelbar drohende Gefahr vernommen hatten, und es klar war, daß in dieser Angelegenheit keine weiteren Enthüllungen zu erwarten sein würden, neigte sich Esmo zu mir, nahm meine Hand in die seine und legte sie sanft in die der bewußtlosen Seherin. Die Wirkung war geradezu staunenerregend; denn ohne ihre Augen zu öffnen, sprang die Sybille in eine sitzende Lage auf und drückte fast konvulsivisch meine Hand mit ihren langen, dünnen durchsichtigen Fingern. Sie kehrte ihr Gesicht nach dem meinen und schien, doch blieben ihre Augen geschlossen, fest in das Meine zu sehen. Dann murmelte sie abgebrochene Worte, die mir anfangs ganz unverständlich erschienen, bald aber immer deutlicheren und klareren Bezug auf die stürmischen Szenen meiner in einer andern Welt verlebten Jugend nahmen. Und endlich, — es war, wie wenn sie auf ihr unverständliche Bilder hinschaute, die sie wie ein Mädchen auslegte, das nie die Leidenschaft und die blutige Feindschaft der Männer gesehen oder geahnt hat, — endlich ging ihre Rede in die Art von Gesang über, in welchem die eigentümlichen Reime und Verse ihrer Sprache gemeinhin vorgetragen werden. Mein eigenes momentanes Denken leitete dabei aber keineswegs ihre Gedanken. Hatte auch der Moslemische Schlachtruf zu oft in meine Ohren geklungen, als daß ich ihn hätte vergessen können, so waren mir bis zu diesem Momente doch niemals wieder die Worte ins Gedächtniß zurückgekommen, mit welchen ich in meiner letzten Feldschlacht meine schwankenden arabischen Reiterschaaren zu einem dritten Angriff gegen die grimmen »Söhne Ebli's« anspornte, deren zähe Standhaftigkeit uns schon zweimal mit hundert verwaisten Sätteln in Verwirrung zurück getrieben hatte. Anfangs war ihr Ton der des Staunens und Schreckens, dann verwandelte er sich in den verlegener Verwunderung und am Ende ward der nochmals wiederholte fluchartige Refrain mit mehr innigem Mitgefühle und offenem Bedauern als mit Bitterkeit und Härte gesprochen.


Was, sind das Menschenbeine, auf die der Frevler tritt,
Was, auf zur Gottheit dringet der Ruf vom Todesritt?
Im Rauch und Schlachtgetümmel sieht man nur einen Held,
Und durch das Schlachtgetöse Ein Ruf zum Kampfe gellt—
Allah! Allah! kämpft für Allah! gegen Eblis auf ins Feld!

Wie? Dessen wilder Seele, vom Mordgemetzel roth,
Selbst nicht die tiefe Leere des Raumes Schranken bot,
Deß Arm einst in dem Kampfe nie Gnade hat gekannt,
Wie, um ein Weiberleben bebt heute seine Hand? —
Tod folgt dem Todverächter, Blut folgt der blutigen Hand! —

Die Brust, die um ein Mädchen trotzt des Tyrannen Wuth, —
Die Brust bleibt ungeschädigt von heißer Feuersgluth,
Das Herz, das der Verrätherin in eignem Haus verzeiht,
Soll Weiberhaß obsiegen — ihr Grimm wirkt ihm kein Leid!

Wahrhafte Frauentreue läßt's Leben, das er gab;
Liebe erlöst durch Liebe, ihr Opfer Rettung bringt — —
Gott heile seine Seele von heißem Trennungsschmerz — —
Tod folgt dem Todverächter, Blut folgt der blutigen Hand! —


Der Druck ihrer Hand ließ nach, doch gab sie die meine nicht frei, sondern fühlte mit der Linken umher, bis Esmo seine Hand leicht in die ihre legte. Dann hob sie wieder, zuerst in einem Tone tiefer Erregung und Angst, der nach und nach in den wehmutsvoller Bewunderung überging und sich mit dem Sinn der Worte veränderte, einen anderen Gesang an, reich an mystischen Wendungen aus den prophetischen und symbolischen Büchern der Zinta.


Stets in schrecklichster Bedrängniß scheint der Stern mit reinstem Strahl,
Stets erbebt der wildste Jäger, steigt Kargynda in das Thal.
Auf! Schaar't Euch, Sternenkinder, um den smaragdnen Thron! Auf!
Schaar't Euch um das Leben, dem Eures gilt als Lohn!

Fällt des goldenen Kreises Glorie, fällt der Silberstrahl auf sie, —
Bändigt des Kargynda Zornwuth selbst ein Lufthauch ohne Müh', —
Den zahlt nicht sterblich Danken, den mißt nicht menschlich Maß, —
Der eigenes Leben opfert aus Liebe Uebermaß.
Weh, werth der Stunde Bangen, werth des errungenen Siegs, —
Doch der Nacht ist nah der Morgen, wird der Fremdling Held des Kriegs.


Stets in schrecklichster Bedrängniß scheint der Stern mit reinstem Strahl,
Stets erbebt der wildste Jäger, steigt Kargynda in das Thal —
Unwürdig ist zu leben, wer an dem Leben hangt
Und nur dem Gotteslästerer vor seinem Tode bangt, —
Furcht kennt und Angst nur jener, deß Seel' im Finstern lebt,
Wie ein roth Gewissen vor rother Klinge bebt.
Doch durch Weh und Wetter wolkenbricht das Licht und strahlt von fern —
Auf des blutigen Todes Reigen leuchtet es, — Triumph dem Stern:
Nicht Freude ist die Stimme, — Wehklagen die des Siegs,
Doch der Nacht Macht ist gebrochen, wird der Fremdling Held des Kriegs.

Stets in furchtbarster Bedrängniß scheint der Stern mit hellstem Licht
Wehe, weh' dem Thernejäger, wenn Kargynda auf ihn bricht.
Kannst Du bangen, o Clavelta, mit der Angst, die uns befällt?
Seht die Rache kommt von oben wie der Blitz vom Himmelszelt,
Ein Schrei aus tausend Kehlen, ein Donnerschlag, ein Weh, —
Weh' Euch verlorenen Seelen, heil Dir, hoch in der Höh',
Dir Fremdling! Kommst gezogen voll Grimm in Deiner Macht,
O, hüll' die Schreckensszene in gnädige, finstere Nacht.
Sieh' auf dort zu den Wolken, sein Luftschiff zieht dahin,
Es steigt empor und schwindet allmählig unserem Sinn;
Doch es riß des Altars Schleier von der Hand, die ihn umhüllt; —
Ewigen Frieden soll Euch leuchten fortan Euer Sternenbild.


Esmo lauschte mit der ängstlichen Aufmerksamkeit eines Menschen, der in jedem Worte einen wirklichen und buchstäblichen Sinn zu entdecken vermeint, und sein Antlitz umwölkte eine tiefe, ruhige Trauer, die den Eindruck erkennen ließ, den auf sein Gemüth jene Worte hervorbrachten, die mir persönlich nur wie eine unverständliche, allgemeingehaltene Prophezeiung eines in Schrecken und Gefahren mit schweren Mühen gewonnenen Sieges vorkamen. Bei den Schlußworten aber wich diese Trauer dem Ausdruck einer freudigen Genugthuung über den endlich verheißenen Triumph des Sternenbundes, sei er auch noch so theuer durch das Opfer der Edelsten seiner Anhänger erkauft.

Die Sibylle sank, als das letzte Wort über ihre Lippen gekommen war, mit einem Seufzer der Erleichterung in einen augenscheinlich tiefen und empfindungslosen Schlaf. Obgleich die Uebrigen solchen Szenen zum Mindesten eben so oft wie ich selber beigewohnt haben mußten, war es doch augenfällig, daß dieselbe auf sie, selbst auf den erfahrenen Meister des Bundes, einen tieferen Eindruck als auf mich selbst hervorbrachte. Ja ich persönlich hätte mich kaum der Worte der Prophezeiung so genau zu erinnern vermocht, hätte ich nicht späterhin, als der eine Theil derselben sich bereits erfüllt hatte und der Rest zwischen Abend und Morgen furchtbar wahrheitsgetreu in Erfüllung gehen sollte, darüber noch einmal mit Eveena gesprochen.

Endlich schritten wir wieder durch eine andere Galerie hindurch in das kleine Gemach, in welchem der geheime Rath des Ordens abgehalten wurde. Lang und aufregend waren die Debatten, und allgemein wurden die Enthüllungen der Somnambule als zweifellose Warnung vor unmittelbar drohender, höchster Gefahr gedeutet. Die ersten Strahlen der Morgensonne stahlen sich bereits durch den Nebel hindurch in das Peristyl des Hauses, als ich endlich wieder Eveena's Zimmer betrat. Sie schlummerte zwar, doch schlief sie so leise, daß sie bei meinem Eintritt sofort aufwachte und aufsprang. Einige Momente lang gingen alle ihre Gedanken in der Freude auf, nach so langer Abwesenheit, die sie trotz ihres Vaters vorhergehender Mittheilung beunruhigt hatte, mich endlich wiederzusehen; dann aber, als sie schärfer in mein Antlitz blickte, erschrak sie und verdüsterten sich ihre Züge. Die Frage, die ihr auf die Lippen trat, erstarb auf denselben; sie las in dem ernsten, tieftraurigen Blick meiner Augen, daß es mir widerstrebte, von dem zu sprechen, das ich gehört und gesehen hatte. So zeigte sie mir denn ohne weitere Worte ihre Sympathie durch einem innigen Druck ihrer Hand und öffnete dann, meinen dringenden Wunsch nach Ruhe errathend, mein Obergewand auf der Brust. Als ihr aber unter demselben die goldene Schärpe, die ich noch nicht abgelegt hatte, entgegenleuchtete, da sah sie auf zu mir mit einem Blick entzückten Stolzes, voll von innerer Genugthuung über die hohe ihrem Gatten widerfahrene Ehre. Dann kniete sie nieder und küßte meine Hand mit der Demuth und Unterwürfigkeit, mit der die Glieder des Ordens die Gegenwart eines Oberen zu grüßen gehalten sind. Ich aber hob sie empor und sprach:

»Bin ich auch den orientalischen Fußfall seit meiner Jugend gewohnt, so hasse ich doch Alles, was mich an diese Form des Grußes erinnert, und muß ich ihn gleich in den Hallen der Zinta annehmen, Dich bitte ich, in unserem Alleinsein mich nie wieder denselben sehen zu lassen.«


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Kapitel 27
Im Thale der Schatten

Die Aufregung der vergangenen Nacht hatte mich so erschöpft und ermüdet, wie es nie eine Strapaze oder ein Unglück in meinem irdischen Leben gethan. Schwach und matt wie ein Kranker erwachte ich am folgenden Morgen, und vermuthlich stand dies deutlich auf meinem Gesicht geschrieben, denn Eveena wollte es mir durchaus nicht erlauben, mich von den Kissen zu erheben, ehe sie mir nicht durch einen ambâ ein Morgenmahl, obgleich es schon nahe an Mittag war, hätte herbeischaffen lassen. Viel zu vernünftig, mich gleich beim Erwachen mit Fragen und Erkundigungen zu bestürmen, schien sie doch ein wenig enttäuscht und verstimmt, als eine Botschaft von ihrem Vater, noch bevor ich fertig angekleidet war, mich zu ihm beschied, ohne daß ich Zeit gefunden hätte, ihr etwas über die Ereignisse der letzten Nacht mitzutheilen.

»Es ist Recht und Satzung,« begann er mit ruhigem, unbewegtem Ernst, »daß Ihr von der Vollstreckung des Urtheils, zu dem auch Ihr Euren Richtspruch abgegeben, in Kenntniß gesetzt werdet. Der Verräther ward heute Morgen todt auf seinem eigenen Zimmer gefunden. Stutzt nicht und fahrt nicht erschreckt zurück — wir bedürfen nie eines Henkers! Unser Urtheil vollstreckt sich durch plötzliche Krankheit, durch Unfall oder durch Selbstmord des Schuldigen. Doch genug davon. Dem Beschluß des Rathes, der Euch zum zweithöchsten Range in unserem Orden erhob, habe ich Folge gegeben, nicht nur weil ich glaubte, Ihr könntet dem Orden gerade in seiner jetzigen Lage wesentliche Dienste leisten, sondern besonders auch, weil ich den Wunsch hegte, Euch in alle Geheimnisse und die ganze Macht des Ordens eingeweiht zu sehen, damit Ihr dort einen Zweigbund zu errichten im Stande wäret, wohin Ihr allein den Weg zu durchmessen vermöget. Daß Ihr bald wieder diese unsere Welt verlassen würdet, schien mir schon wahrscheinlich, ehe noch meine Ahnung durch die Stimme der Prophetin bestätigt ward, und darum will ich auch jetzt Euer Luftschiff mit allem, dessen Ihr meines Erachtens Bedarf habt, oder das Ihr selbst zu bedürfen meint, ausrüsten lassen. Freilich wäre es gefährlich, das Fahrzeug vom Berge Asnyca fortschaffen zu wollen, und darum rathe ich Euch, bei der ersten Gelegenheit, die Euch in die Nähe desselben gelangen läßt, es zu besteigen. — Und nun laßt mich Abschied von Euch nehmen, als von einem theuren Freunde, dem ich in diesem Leben vielleicht nicht mehr begegnen werde.«

»Wißt Ihr,« fragte ich, mehr von seiner bebenden Stimme als von seinen Worten gerührt, »daß Eveena mich bat und ich ihr das Versprechen ertheilte, sie solle dereinst, wenn ich diese Welt verließe, als meine Begleiterin mit mir gehen?«

»Ich wußte es nicht, doch nahm ich es als selbstverständlich an, daß sie diesen Wunsch hegen würde, und es hätte mich geschmerzt, hätte ich glauben müssen, daß Ihr ihr diesen Wunsch nicht gewähren würdet. Indessen das, was ich Euch soeben zum Abschied gesagt habe, kann ich ihr, um ihr nicht ihre Ruhe zu rauben, nicht sagen; ich muß mich bemühen, von ihr wie bei einer gewöhnlichen Trennung zu scheiden.« — —

Vor Abend noch bestiegen wir wieder unser Schiff und kehrten ohne weiteren Zwischenfall nach der Heimat zurück.

Hier aber erwartete mich sofort wieder Verdruß aller Art, wie ihn Eveena stets so sorgfältig mir zu ersparen versuchte, und auf den ich bei der größeren Entschiedenheit und geringeren Nachgiebigkeit Eunané's kaum gerechnet hatte. Sie selbst schien erregt, mürrisch und übelster Laune und begrüßte mich, kaum waren wir eine halbe Stunde daheim, mit einer nicht enden wollenden Reihe der herbsten, bittersten Anklagen und Vorwürfe, die eben so sehr von ihrem eigenen erregten Zustand als von der Bosheit der Anderen Zeugniß ablegten. In einem Punkte stimmte indessen ihre Klage und ihr Verdacht seltsam mit jenem Eveena's überein. Sie hatte jedoch den Schreibstift des Telegraphen sofort aus Eivé's Händen gerissen, dessen dieselbe sich bis dahin ungehindert und unbeaufsichtigt bediente, und der daraus entstehende Zank genügte vollkommen als Beweis dafür, daß Eivé dies Privileg zu irgend einem praktischen Zwecke ausgenutzt haben mußte. Das ruhige, fast gleichgültige Schweigen, mit welchem ich, an wichtigere Dinge denkend, alle jene Klagen und Beschwerden anhörte, erzürnte Eunané und brachte sie so heftig gegen mich auf, wie ich es an ihr seit Langem nicht mehr gewohnt war. So lange sie nun ihren Zorn nur gegen mich richtete, nahm ich ihr Gebahren gleichgültig hin, doch als sie sich schließlich auch gegen Eveena wandte, da hatte meine Geduld ein Ende. Kaum aber hatte ich den Störenfried aus unserer Nähe gewiesen, als sich Eveena für Eunané mit mehr als gewöhnlicher Zärtlichkeit ins Mittel legte.

»Lache nicht über meine Einbildung,« sagte sie, »und denke nicht, daß ich nur schwach bin, wenn ich Dich bitte, Eunané nicht bestrafen zu wollen. Mir ist, als ob Du, wenn Du es thätest, bald Reue darüber empfinden würdest.«

Sie konnte oder wollte allerdings für ihre Verwendung keinen Grund angeben, aber dennoch fügte ich mich ihrem Wunsche und dies um so lieber, als auch mir das ganze Wesen Eunané's seltsam und unverständlich vorgekommen war. Als wir darauf beim Morgenmahle beisammen saßen, schien sich Eunané ihrer Unart bewußt, auf jeden Fall hatte sie ihr Benehmen und ihre Laune gänzlich geändert. Ich beobachtete sie also genau und glaubte endlich zu der Gewißheit zu gelangen, daß weder Scham über ihr Betragen noch Furcht vor meinem Unwillen die Ursache ihrer jetzigen tiefen Niedergeschlagenheit und Mattigkeit sein konnte; doch der Gedanke, ihr Aussehen und ihre Laune mit einem ernsten physischen Leiden in Verbindung zu bringen, konnte mir bei dem Stande der hiesigen Wissenschaft, bei dem völligen Verschwundensein von Krankheiten und Epidemien seit vielen Generationen, unmöglich in den Sinn kommen. Mir schien es also das Beste, um in ihr die besseren Regungen wieder wachzurufen, sie zu schonen, und darin hatte ich mich auch nicht getäuscht, denn kaum hatte sich die Gesellschaft aufgelöst, als sie sich auch unverzüglich in das Zimmer Eveena's begab, wo ich sie trotz aller guten Zureden der Letzteren heftig erregt und sich mit Selbstvorwürfen überhäufend, vorfand.

Sobald wir allein waren, sagte Eveena:

»Ich habe zwar noch niemals Krankheit gesehen, doch wenn Eunané nicht krank und zwar schwer krank ist, so täuscht mich Alles, was ich darüber aus Büchern meines Vaters gelernt und aus seinen Reden vernommen habe; und doch ähnelt keine Krankheit, von der ich je gehört, im Geringsten der Krankheit Eunané's.«

»Ich halte es,« erwiderte ich, »für jene Krankheit, die die Frauen auf Erden Hysterie, die Männer aber Launenhaftigkeit nennen.«

Indessen konnte ich diese Meinung doch nicht mehr lange festhalten, da bei näherer Beobachtung ihre Abgespanntheit von ihrer sonstigen Lebhaftigkeit doch gar zu auffallend abstach. Ein schrecklicher Verdacht, den mir indessen Eveena als grundlos benahm, schoß durch mein Hirn; ich fürchtete nichts Geringeres als daß ein Anschlag, der gegen einen anderen, gegen mich geplant war, Eunané getroffen habe. Ich eilte darüber Esmo zu Rathe zu ziehen und erhielt noch vor dem Abend dieses Tages von ihm eine Antwort, welche so ungenügend sie war, gewissermaßen Eveena's Eindruck bestärkte. Die Letztere hatte sich für heute der Zubereitung des Abendmahles unterzogen, doch ehe wir noch bei Tische uns trafen, hatte meine eigene Beobachtung mir schon eine neue Befürchtung eingegeben, die ich in ihrer vollen Schrecklichkeit kaum ihr mitzutheilen wagte; denn unter den fremdartigen Symptomen unserer Kranken glaubte ich einige so furchtbarer Art erkannt zu haben, daß Schaudern sich meines Gemüthes bemächtigte, sie erinnerten auf das frappanteste an die scheußlichste, hinraffendste Pest, mit der mein orientalisches Leben mich leider nur allzu wohl bekannt gemacht hatte. Es schien nicht unnatürlich, daß die in eine neue Welt geschleppte Pest hier eine neue Form annehmen dürfte, doch wie war sie hierher verschleppt? und wie war es möglich daß sie die Eine und gerade nur Eine meines Haushaltes erfaßte, Eine zudem, die mit den wenigen aus einer anderen Welt von mir aufbewahrter Reliquien, die sich unter Eveena's ausschließlicher Obhut befanden, niemals in Berührung gekommen sein konnte? Alle die Weisheit Esmo's, wäre er selbst in meiner Nähe gewesen, vermochte hier nichts zu helfen. Natürlich wagte ich nicht, meine Besorgniß irgend Wem, am wenigsten aber der Patientin selber zu offenbaren. Als aber gegen Abend die fieberhafte Aufregung des vergangenen Tages sie wieder ergriff, nahm ich ein unüberlegtes, unehrerbietiges Wort, das sie gegen mich gebrauchte, zum Vorwand, sie auf ihr eigenes Zimmer zu beschränken, und beschloß dann, egoistisch genug, um Eveena zu schützen, die Hilfe eines anderen Gliedes meiner Familie für die Kranke in Anspruch zu nehmen. Ich rief also Eunané's Schulgefährtin Velna bei Seite, und erzählte ihr offen, wie ich befürchtete, daß eine gefährliche Krankheit meiner eigenen Erde auf irgend eine Weise ihre Freundin befallen haben müsse.

»Ihr habt hier,« begann ich, »seit tausenden von Jahren solche Krankheiten nicht mehr gekannt, die wir zumeist auf der Erde fürchten; solche Krankheiten meine ich, deren Stoff uns durch die Luft und das Wasser mitgetheilt wird, und welche besonders diejenigen mit Ansteckung bedrohen, die sich um die Patienten befinden. Wer Eunanén zu nahe kommt, wagt Alles, und Alles bedeutet hier höchst wahrscheinlich das Leben. Aber doch ist es unmöglich sie allein ihrer hilflosen Lage zu überlassen, und erböte sich keine Andere freiwillig, dann würde Eveena, die ich jetzt von Eunané unter allen Umständen fern zu halten wünschte, es sich nicht nehmen lassen, die Kranke zu pflegen.«

Das Mädchen schaute mit gefaßtem Muth und ungekünstelter Bereitwilligkeit, auf die ich mich keineswegs vorbereitet hatte, zu mir auf, und sagte:

»Ich schulde Euch viel, Clasfempta, und vielleicht noch mehr schulde ich Eveena. Mein Leben ist mir bei weitem nicht so lieb, um es nicht gern für Einen von Euch Beiden zu lassen, und sollte ich Eunané verlieren — weit lieber wäre mir der Tod, als lebend ihren Verlust zu beklagen!«

Die letzten Worte erinnerten mich daran, daß für sie der Tod das Ende aller Dinge bedeute, ein Umstand, der den ruhigen Muth, welchen heut das junge Mädchen bezeigte, selbst unter den Männern ihrer Rasse zur Seltenheit machte. Ich führte sie also sofort in das Zimmer ihrer Freundin und hielt mich selber längere Zeit darin auf, um der Leidenden — ein einziger Blick auf dieselbe hatte mich nunmehr vollständig überzeugt, daß meine Befürchtung nur allzu begründet war — eine Erleichterung, vielleicht die einzige Erleichterung, die ich ihr noch zu gewähren vermochte, in dem Bewußtsein zu geben, daß mein Unwillen gegen sie um ihres letzten Auftretens willen völlig geschwunden sei. Dann begab ich mich in ein bisher unbewohntes Gemach, denn ich wollte allein sein, um meine Gedanken zu sammeln und in der Einsamkeit die Herrschaft über meine eigenen Nerven wiederzugewinnen; aus diesem Grunde durfte ich aber nicht in mein Zimmer zurückgehen, da mich dort Eveena unfehlbar aufgesucht hätte. Hier währte es nicht lange, bis ich die Ueberzeugung gewann, daß in diesem Falle kein Mittel, weder aus meiner eigenen Praxis noch eines der hiesigen Wissenschaft, die vermuthlich seit Jahrtausenden nie einen ähnlichen Fall zu behandeln gehabt, von durchgreifendem Erfolge sein dürfte. Ja ich selber hatte in den während der letzten Jahre eifrigst betriebenen Studien der orientalischen GeheimWissenschaften kaum ein Gegengift, in das ich persönlich Vertrauen gesetzt hätte, gegen diese Pest kennen gelernt, und hätte ich es gleich, so wäre es doch hier nicht zu beschaffen und unter den veränderten Verhältnissen auch wohl kaum von Nutzen gewesen. Endlich gab mir Verzweiflung eher denn Hoffnung den Gedanken ein, die geheimnißvollen Mächte des Sternenlichtes zu Hilfe zu rufen. Freilich sind für gewöhnlich Erregung und Angst die mich augenblicklich durchbebten, Gefühle, welche der Ausübung der unlängst in meine Gewalt gegebenen Kräfte verhängnißvoll zu sein pflegen, und andererseits war mir die Kenntniß derselben doch noch so neu, daß ich, nach irdischen Erfahrungen zu schließen, kaum hätte versuchen dürfen, mich derselben zu bedienen. Indeß jene Künste, welche zur leichteren Herbeiführung der gewaltigen allabsorbirenden Willenskonzentration — des Zustandes von dem allein das Wirken der Mächte abhängig ist — der Regel nach dienen, sind hier in der Zveltischen Wissenschaft weitaus höher entwickelt, als bei uns auf der Erde. Eine letzte verzweifelte Anstrengung gewann endlich mit Hilfe jener Künste Oberhand über meine Gedanken und leitete sie von dem Krankenzimmer ab nach jenem fernen Gemach, in dem ich noch vor Kurzem gestanden — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Es war, als ob ich neben ihr stände und als ob meine Gedanken von ihren geschlossenen Augen sofort aufgefaßt würden. Und von bleichen Lippen schienen wie aus weiter Entfernung, bald im Tone des Vorwurfs, bald in dem der Verheißung gesprochene Worte mir entgegenzuklingen, die den früher gehörten so ähnlich klangen, daß der Leser sie vielleicht nur für eine bloße Erinnerung hält. Mir war es als hörte ich die Seherin also singen:


»Was ist Jugend, was ist Schönheit in des Allbeherrschers Aug'?
Soll um den heut Gnade walten, der nie kannt' der Gnade Brauch?
Doch Lieb' erlöst mit Liebe; weicht sie von hinnen fern,
Soll Deine Lipp' ihr geben das Trosteswort vom Stern.
Stärke soll die Schwache halten, die im Leben I h m vertraute,
Bis zum letzten Athemzuge auf ein Wiedersehen baute. —
Hartherziger, grausiger Kriegsheld — weich wie Wachs in Weibes Hand —
Tod folgt Dir, Todverächter, Tod Deiner blut'gen Hand!—«

— — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Als ich endlich nach dem Peristyl zurückkehrte, begegnete mir Eveena, die mich ängstlich gesucht. Um sie besorgt befahl ich ihr, sich sofort in ihr Zimmer zurückzuziehen, und erstaunt nicht minder, als ein wenig gekränkt, gehorchte sie meiner Weisung. Ich selbst konnte noch immer nicht meines Erstaunens Herr werden und ruhelos ging ich umher, darüber nachsinnend, wie es möglich war, daß ich die Pest Cairo's und Constantinopels durch vierzig Millionen Meilen des Raumes hindurch bis hierher mit mir getragen haben konnte, wie es möglich war, daß jetzt nach zwei Jahren irdischer Zeit der lang verborgene Keim sich zu der vollen Krankheit entfaltete. Und wie ich so sann, fiel mein Blick auf die orientalischen Rosen, die gerade dort, wo ich meinen Schritt anhielt, aus irdischem Samen gezogen, wuchsen und blühten, und mit einem Mal war mir Alles, Alles klar. Und war dem also, wie furchtbar ernst war die Warnung! Wie verhängnißvoll und unheimlich lauerte hinter meinen Tritten der Tod, und wie verhängnißvoll folgte Blut meiner blutigen Hand!

Der Leser mag sich vielleicht nicht mehr entsinnen, daß der Mittelraum der Frauengemächer, dem das Zimmer Eunané's zunächst lag, unbewohnt geblieben war. Dieses beschloß ich von jetzt ab für mich selbst zu benutzen und befahl den Mädchen in die bisher noch nicht vertheilten Stuben zur Rechten desselben umzuziehen. Hierauf verschloß ich mein eigenes Gemach, warf meine Kleidung ab und versuchte mittelst eines parfümirten Douchebades jede Spur von Ansteckungsstoff, der mir vielleicht anhängen könnte, von meinem Körper zu entfernen.

Dann legte ich die Kleider sorgfältig beiseite, ließ mir durch einen ambâ einen Anzug besorgen, den ich seit der Rückkehr noch nicht getragen hatte und suchte Eveena in ihrem Zimmer auf. Daß nicht Alles in Ordnung war, mußte sie errathen haben, denn ich fand sie traurig und still, ja bald fing sie an bitter zu weinen, sei es, weil die Gefahren, die mich bedrohten, ihr Schrecken einflößten, sei es auch, weil sie sich verletzt fühlen mochte, daß ihr so wenig Vertrauen entgegengebracht würde. Dann bat ich sie um die Schlüssel, die sie mir mit stillem, geduldigem Blick des Vorwurfs hinreichte, so daß ich mich außer Stande fühlte, sie noch länger über die Sachlage im Unklaren zu lassen. Ich beschloß ihr vorsichtig und schonend, doch ohne ihr einen Theil der Wahrheit vorzuenthalten, dieselbe zu eröffnen und sie zu meiner eigenen unendlichen Erleichterung mit dem Vertrauen zu behandeln, das sie um mich verdiente. Leider konnte ich nicht in gleich sanftem, liebenswürdigem Tone ihr die Weisung ertheilen, sich absolut fern von Eunané zu halten, denn kaum hatte sie errathen, was ich zu sagen beabsichtigte, so las ich auch schon aus ihren Zügen den festen Willen, meinem Befehl ungehorsam zu werden. Zum ersten und letzten Male widersetzte sie sich heute meinem Willen, nicht nur der zuerst freundlich gesprochenen Bitte, sondern auch meinem späterhin förmlich und bestimmt ertheilten Befehle.

»Befiehlst Du mir,« sagte sie, »in der Gefahr eine Schwester zu verlassen, und füge ich mich Deinem Gebote, das ich Deiner unwürdig erachte, so thue ich es, weil ich weiß, daß meine erste Pflicht Dir gilt und Du das Recht hast, darauf zu bestehen, daß ich mein Leben um Deinetwillen nicht in Gefahr bringe. Nichts soll mich aber dazu bewegen, in Deinen Gefahren und Nöthen auch Dich zu verlassen.«

Statt jeder Antwort erhob ich mich, bot ihr in der nicht unmöglichen Aussicht, daß wir uns vielleicht nie wieder sehen würden, ein herzlich bewegtes Lebewohl, und verschloß dann hinter mir die Thür ihres Zimmers. Draußen rief ich Enva zu mir, deren gute wie schlechte Eigenschaften mir für diesen Fall die beste Gewähr für genaue Erfüllung meines Befehles versprachen und sagte zu ihr:

»Enva, Ihr werdet dieses Zimmer bewachen, bis ich Euch von diesem Posten ablöse. Ihr steht mir dafür, daß, was auch geschehe, Eveena diese Schwelle nicht ohne meine Erlaubniß, oder,« fügte ich hinzu, »sollte ich nicht mehr Befehle ertheilen können, ohne Erlaubniß ihres Vaters überschreite.«

Hierauf besorgte ich die Linderungsmittel, die der Leidenden Erleichterung geben sollten, wenn sie ihr auch nicht zu helfen vermochten. Ich schrieb an Esmo und benachrichtigte ihn kurz aber genau von dem Stande der Dinge, und endlich sandte ich noch auf den Rath Eivé's nach einem weiblichen Arzte von bedeutendem Rufe. Von dieser Zeit an verließ ich aber kaum noch für eine Minute das Krankenzimmer, in dem sich mit mir Velna an der Seite ihrer Freundin befand, bis ich endlich auch sie, um ihr einen Moment der Ruhe zu gönnen, auf ihr Zimmer entsandte, ihr befahl sich umzukleiden und während einer halben Stunde in der freien Luft sich zu ergehen, indeß ich allein mich der Pflege der Kranken widmete. Endlich kam auch die »Claftare« (MannWeib), Aerztin, doch zog sie sich schleunigst und unwillig zurück, als sie die Natur der Krankheit erfuhr, empört, daß man es gewagt hätte, sie solcher Ansteckungsgefahr zusetzen.

Ich hielt sie indessen zurück und fragte verächtlich nach dem Preise, um den sie sich der Gefahr zu unterziehen geneigt sei, so lange im Peristyl zu bleiben, als ihre Gegenwart mir nöthig scheinen würde, und endlich erklärte sie sich um ein Honorar, das ihr ein lebenslängliches Einkommen von der Größe dessen Eveena's zusicherte, damit einverstanden, die wenigen Stunden, welche die Sache zur Entscheidung bringen mußten, in Sprechweite zu bleiben.

Eunané war selten in bewußtlosem Zustande, noch seltener fieberte sie, so daß es ihrer ungebrochenen schnellen Auffassungsgabe bald gelang, zu errathen, was meine sorgsame Pflege und Wartung und die Trauer bedeutete, die weder ich noch Velna zu unterdrücken vermochten. Sie fragte mich und erfuhr auch von mir, so weit ich selber es wußte, den Grund ihrer Krankheit, und schließlich antwortete sie mir mit Worten voll so innigen Gefühles, wie ich es selbst bei ihr nicht erwartet hätte:

»Wenn ich sterben muß, möchte ich wünschen, es geschehe zum Besten Eveena's ... Vielleicht däucht es Euch seltsam, Clasfempta, und beinah' unmögich,« fuhr sie dann fort, »doch meine Liebe für sie ist so groß, ja größer, als die ich für Euch empfinde. Doch ich liebe Euch Beide wie Eines und wenn ich ihrer gedenke, denke ich auch an Euch. Freilich ist es so bitter,« begann sie nach einiger Zeit wieder, »so bitter zu sterben, und so jung schon zu sterben, nachdem ich kaum erst bei Euch gelernt habe, was wahres Glück heißt. Ich war so glücklich bei Euch und fühlte mich Tag für Tag glücklicher, Euch und Eveena glücklich zu sehen. Ach ja! Dank, tausend Dank Euch und Eveena für Alles, für Alles, Dank auch um Velna. Doch,« fuhr sie nach einer längeren Pause fort, »doch ist es schrecklich, nie mehr zu erwachen und Eure Stimme nicht mehr zu hören, Euch nie mehr zu sehen, nie mehr die Sonne zu schauen, nie mehr zu denken, zu fühlen, nicht einmal zu träumen!«

Ihre Kräfte schwanden sichtbar dahin und je näher die Todesstunde heranrückte, desto verzweifelter ward ihre Angst vor dem Tode; ein wilder Schrecken ergriff sie vor dem Ende, wie wir ihn selten an Sterbenden sehen, so daß ich endlich den Zustand nicht länger aushalten konnte und Velna befahl, uns allein zu lassen, bis ich sie zurückrufen würde. —

»Ach,« sagte Eunané, als sie dies merkte, »Ihr sendet sie fort, damit sie das Ende nicht sieht. Ist denn der Tod schon so nahe?«

»Nein, mein Liebling,« entgegnete ich, »nein, aber ich habe Euch Etwas zu sagen, das ich nicht gern in ihrer Gegenwart aussprechen möchte. Wenn Ihr, Eunané, geglaubt habt und noch glaubt, daß das Leben mit dem Tode ein Ende hat, aus ist, so sagt mir, ist es Euch dann niemals seltsam erschienen, daß ich trotz meiner so großen, innigen Liebe zu Eveena mich nie vor dem Tode gescheut habe? So lange Ihr mich kennt, so lange schwebt über meinem Haupte der Tod, und kniee ich heute hier an Eurer Seite, so muß ich auf dasselbe Ende wie das Eure gefaßt sein. Trotzdem bange ich nicht, ebensowenig wie Eveena vor dem Tode sich fürchtet, die ich heute mit Gewalt von Eurem Bette fern halten lassen muß. Wir lieben einander, und dennoch schreckt der Tod uns nicht, denn wir glauben, wir wissen, daß Das, was in uns denkt, fühlt, empfindet, will, was in uns liebt, auch nach dem Tode fortlebt; wir wissen, daß wir im Tode nur unseren Körper ablegen so wie eine Hülle, die wir bis dahin getragen; sonst, Eunané, vermöchte auch ich den Gram um die durch Deinen Tod jetzt drohende Trennung nicht zu überwinden.«

Sie hielt fest meine Hände umfangen ebenso überrascht und ergriffen von der Offenbarung einer gegenseitigen innigen Neigung, deren wir uns Beide erst in diesem Momente bewußt zu werden schienen, als von der wundersamen und ihr unglaublich klingenden Zusicherung, die sie soeben vernommen.

»Ach ja,« seufzte sie, »ich habe gehört, daß es Menschen giebt, die sich solche Dinge erträumen können. Nein, es ist doch alles nur Phantasie. Oder ihr sagt es, um mich zu trösten, Clasfempta, nicht aber, weil Ihr es glaubt!«

Der Ausdruck der Angst und des Schreckens, der wieder auf ihren Zügen aufstieg, war schmerzlicher, als ich zu ertragen vermochte. So wilder Furcht den Stachel zu nehmen, hätte ich jeden Eid gebrochen, jeder Strafe getrotzt.

»So höre,« sagte ich also, »so höre, Eunané, und wisse, nicht nur Eveena, nicht allein ich, nein Hunderte und Tausende und nicht der schlechtesten Männer und Frauen Deiner Welt halten fest zu diesem Glauben, so fest wie ich und Eveena. Du fühlst es ja selbst, wie verschieden Eveena von allen Andern ist, und daß sie das ist, dankt sie dem Glauben an eine unsichtbare Gewalt, die unser Leben und Glück, unser Thun und Lassen lenkt und regiert und uns Rechenschaft über unsere Handlungen abfordern wird, die uns wie ihre Kinder in ihrem väterlichen Schutz hält und uns niemals verläßt. Glaubst Du, es sei eine Lüge, die Eveena zu Dem gemacht hat, was sie ist?«

»Ja, Ihr glaubt, aber Ihr wißt es doch nicht!«

»Ja, ich weiß; ich habe gesehen.«

Plötzlich ward ich heftig durch eine, wenn auch sanfte Berührung erschreckt, ich fuhr auf und bemerkte zu meinem Entsetzen Eveena, die neben mir am Lager Eunané's kniete.

»Gedenke,« lispelte sie in tief traurigem Flüstern, »gedenke des Schleiers, der den Altar verhüllt.«

»Das soll mich,« erwiderte ich in demselben Ton, und mit tiefem Schmerz empfand ich die ganze Bitterkeit dieses Gesetzes, das ihr einen solchen Gedanken eingeben konnte, »das soll mich nicht hindern. Weder Strafe noch mein Eid soll mich jetzt davon abhalten, und wenn ich mein Leben hier auf der Stelle verlöre; lieber dies, als eine Seele, die uns vertraut ist, elend zu Grunde gehen lassen.«

Der Druck ihrer Hand zeigte mir, wie sehr sie trotz ihrer momentanen Bedenken mit mir Eins war, und nun war es mir auch nicht mehr möglich, sie wieder aus dem Egoismus der Liebe aus dem Krankenzimmer zu verbannen.

»Ich habe,« wiederholte ich also, während Eunané ernsthaft und aufmerksam in mein Antlitz aufschaute, »und Eveena hat zur selbigen Stunde den Lehrer dieses Glaubens geschaut, ob er auch schon vor vielen Jahrtausenden aus dieser Welt schied. Der Stifter unseres Glaubens, der Ahnherr der Familie Eveena's stand vor uns in Fleisch und Bein und —«

»Und das ist wahr!« fügte Eveena hinzu in Antwort auf einen fragenden Blick aus den Augen Eunané's.

»Und ich,« fuhr ich fort, »ich habe in meiner eignen Welt mehr denn einmal die Geister Derer, die ich im Leben gekannt habe, mit meinen leiblichen Augen gesehen!«

Die Macht dieses Zeuguisses oder auch die beeinflussende Kraft unseres beiderseitigen unerschütterlichen Glaubens änderte, mochte es ihr auch nicht Ueberzeugung verschaffen, und beruhigte die Gedanken und den Geist des sterbenden Mädchens.

Bereits weitaus zu schwach, um über das, was sie hörte, Erwägungen anzustellen, wandte ihr Sinn sich instinktiv von den schwarzen Gedanken der ewigen Nacht zu der trostvollen Aussicht, mit den Flügeln der Hoffnung über die Schrecken des Grabes zu einem Vater sich aufzuschwingen, dessen starke Hand die gebeugten und beladenen Seelen wieder aufzurichten vermag. Ihre Linke lag in der Meinen, in Eveena's Hand ihre Rechte, und in meine Augen aufschauend — denn Schwäche lehnt sich weit eher an Stärke, als daß Liebe die Hilfe der Liebe anruft — verbrachte Eunané den Rest ihrer Stunden in stillem, ruhigem Frieden. Ja vielleicht waren ihr diese Stunden die glücklichsten, die sie jemals gekannt. Kein Schatten von Zweifel und Eifersucht erregte jetzt ihr Gemüth, fest vertraute sie der schwesterlichen Liebe Eveena's und fühlte sich glücklich im Bewußtsein, endlich nach langem vergeblichem Ringen auch meine Liebe und mein Vertrauen sich gewonnen zu haben. Die Sonne war lange niedergegangen und das Zwielicht kämpfte im Zimmer mit dem vollständigen Dunkel der Nacht, als plötzlich Eunané mit einem ihre Lippen umspielenden Lächeln ausrief:

»Es ist Morgen — schon — und da, da — da ist Erme —«

Sie streckte ihre Arme aus, wie um das eine Wesen zu grüßen, das sie liebte, vielleicht mehr geliebt hatte als jene, die jetzt neben ihrem Todtenbett knieten. Ihre Hände sanken herab, und Eveena drückte ihr die Augen zu, die auf dieser Welt nichts mehr erblicken sollten, und deren letzter Blick schon hinausgeschaut hatte in eine andere Welt.


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Kapitel 28
Noch tieferes Dunkel

Jetzt führte ich Eveena aus dem Todtenzimmer heraus und ordnete schleunigst alle Vorsichtsmaßregeln an, um die ihr und den Anderen drohende Ansteckungsgefahr abzuwenden. Dann sandte ich durch einen ambâ nach Davilo, nahm die Kleider, die Eveena sofort abgelegt hatte und trug sie nach dem Sterbegemach. Nach diesen ersten nöthigsten Vorkehrungen zahlte ich Astona der Aerztin ihr ausbedungenes Honorar und ging in den Garten, wo mich an dem Thor des Peristyls bereits Davilo erwartete. Einige wenige Worte genügten, ihm über Alles Aufschluß zu geben. — Plötzlich — es war fast schon finstere Nacht — wie wir dicht am Thor gelehnt standen und in ruhigem, gedämpfterem Ton, zu dem uns halb Trauer, halb Vorsicht veranlaßte, uns unterhielten, gewahrten wir innerhalb des Hauses zwei in der Dunkelheit schwer erkenntliche Gestalten, aus deren Mund wir wenige aber inhaltschwere Worte auffingen:

»Ihr habt gehört,« sagte eine rauhe Stimme, welche die Astona's zu sein schien, »es herrscht nun kein Zweifel mehr. Ihr habt Euer Spiel jetzt zu spielen und könnt es jetzt sicher und schnell thun!«

Ich achtete kaum dieser Worte, deren gefährlicher Sinn zu anderen Zeiten mir unmöglich entgangen wäre, indessen Davilo legte, im hohen Maße erregt, seine Hand auf meinen Arm, als plötzlich eine andere wohlbekannte Stimme zu meinem tiefsten Schmerz an mein Ohr drang.

»So bringt denn schnell Eure Nachricht,« sagte Eivé in leisem, hastigem Tone, »denn sie haben Mittel, schnell und sicher zu rächen und schonen nie.«

Astona verschwand, ohne uns gesehen zu haben. Eivé verschloß darauf das Thor und Davilo und ich folgten der Spionin bis zur Pforte der äußeren Mauer, an welcher sie von Jemand erwartet wurde. Als wir Astona mit einer dritten Person fortfahren sahen, sprach Davilo unüberlegter Weise mit lauter Stimme:

»Sie weiß das Geheimniß, sie muß sterben. Ja,« fügte er hinzu, als ob ich einen Einwand erhoben hätte, »sie ist eine Spionin und Verrätherin, ja sie ist eine Mörderin und hat ihr Schicksal reichlich verdient.«

»Leise!« sagte ich, »Eure Worte dürften in unberufene Ohren dringen,« denn ich glaubte jenseits der Mauer eine Gestalt gesehen zu haben, die so dunkel gekleidet war, daß ich nicht unterscheiden konnte, ob es ein Mann oder ein Weib war, und wie ich schärfer zusah, war sie bereits verschwunden.

»Erinnert Euch,« drang er in mich, »Ihr habt es gehört, unter Eurem eigenen Dache lebt Jemand, der nicht weniger gefährlich ist als Jene. Noch einmal, nicht allein Euer Leben, auch ein Leben, das Euch theurer gilt als Euer eigenes, steht hier auf dem Spiele. Eure Blindheit gegen die Gefahr mag Euch einst bittere Gewissenspein bereiten!«

Eine halbe Stunde später öffnete ich, nachdem ich den Frauen streng anbefohlen, auf ihren Zimmern zu bleiben, und alle Räume mit Desinfektionsmitteln gereinigt hatte, die Thür zu dem Todtenzimmer, um einen dunklen, aus einem einzigen mächtigen Steine gemeißelten Sarg, der mit einer Flüssigkeit von ungemein zerstörender Kraft angefüllt war, hineintragen zu lassen. Dann hob ich gerührt die leblose Hülle der Verschiedenen empor, legte sie nieder auf die Kissen, küßte zum letzten Mal ihre Lippen und verschloß hierauf den Sarg. Inzwischen war die elektrische Maschinerie von zwei Beamten Davilo's in Bewegung gesetzt, wir trugen den Sarg nach dem Arbeitsraum derselben hin, legten dort an den Apparat zwei starke Leitkolben an und paßten die letzteren in zwei Löcher des Sarges ein. Ein Brausen und Zischen folgte dieser Handlung und nach wenigen Minuten ward der Sarg wieder geöffnet. Davilo nahm aus demselben einige Handvoll eines weißen festen Stoffes heraus, der wie Bimsstein aussah, und legte sie in eine goldene Urne, die dann durch die Hitze des elektrischen Stromes fest zugelöthet ward. Hierauf wurden alle Kleider, in denen sich Ansteckungsstoff vorfinden konnte, alles, was zum Mobiliar des Sterbezimmers gehörte, zur Vernichtung hinweggeschafft, während einer der Beamten einige Schriftzeichen auf die Urne eingrub. Wie gefahrvoll es auch war, so konnte ich mich doch nicht von einem jeden Andenken an diejenige, die wir verloren hatten, trennen; ich ließ also die drei kastanienbraunen Locken Eunané's, die ich von dem Haupte der Todten genommen hatte, auf chemischem Wege reinigen, und Velna's geschickte Hand flocht sie in Schnüre, von denen ich ihr die eine ließ, die andere mir selbst um den Hals band und die dritte für Eveena bewahrte.

Sofort nach Sonnenaufgang sandte ich eine Botschaft an den Großherrn, setzte ihm die Ansteckungsgefahr, der ich unterworfen gewesen, auseinander und bat ihn dann trotzdem um Erlaubniß ihm meine Aufwartung machen zu dürfen. Die Botschaft, die ich ihm bringen wollte, schien mir so dringend, vielleicht hing das Leben von Tausenden, die Sicherheit seines Königreichs davon ab — daß ich trotz Kummer und Gefahren mich verpflichtet glaubte, die Fahrt unternehmen zu müssen.

Auf dem Wege nach dem Zimmer Eveena's begegnete ich Eivé und fieberhaft dürstend befahl ich ihr, mir dorthin einen Becher des Carcarâgetränkes zu bringen. Soll ich noch des schmerzvollen Momentes gedenken, in dem ich nun um Eveena's Arm das Armband legte, das ihr fortan das Theuerste ihrer Kleinodien ward? Um endlich ihre heftige Erregung sowie die meinige durch den Trank des Charny zu stillen, suchte ich nach meinen Schlüsseln, und da sie sich nicht an meinem Gurte befanden, fragte ich Eveena:

»Habe ich sie etwa Dir wieder übergeben?«

»Gewiß nicht,« sagte sie erschreckt, »kannst Du sie nicht finden?«

In diesem Augenblick betrat Eivé das Zimmer und reichte mir den Becher, um den ich sie gebeten hatte. Zu meinem Erstaunen griff Eveena hastig nach demselben und führte ihn zuerst an ihre Lippen, während Eivé sich umwandte, um das Gemach zu verlassen. Doch ehe jene noch bis an die Thür gekommen, sprang Eveena leichenblaß auf, trat auf die Feder der Thür und schloß so dieselbe, riß den Giftprobirstein von meiner Uhrkette ab und tauchte ihn in den Becher. Die Entfärbung desselben zeigte sofort das Vorhandensein eines der tödtlichsten martialischen Gifte.

»Ruhig!« rief sie, als ein Schreckensschrei meinen Lippen entfuhr, »ruhig, die Schlüssel!«

»Die habt Ihr,« sagte Eivé tief Athem holend mit abgekehrtem Gesichte.

»Nein, ich nahm sie selbst von Eveena,« erwiderte ich ernst. »Tretet dort in jene Ecke, Eivé.« Dann öffnete ich die Thür und rief die anderen Glieder der Familie herbei. Bei ihrem Eintritt sank ich, unfähig mich aufrecht zu halten, auf einen Stuhl nieder und rief die Verbrecherin an meine Seite. Sobald ich meine Hand auf ihren Arm legte, warf sie sich auf den Boden und flehte jammernd, winselnd mein Erbarmen an, gar nicht wie ein Weib, das auf einem Verbrechen ertappt war, zu dem doch verhältnißmäßig Muth und Entschlossenheit gehört hatte.

»Steht auf,« sagte ich, »oder hebt Ihr sie denn auf, Enva und Eiralé, und löset ihr den Gurt.«

Beim Fallen ihres Uebergewandes griff Eivé hastig nach einem in den Falten des Kleides verborgenen Gegenstand — doch zu spät. Die elektrischen Schlüssel, die zu allen meinen Schränken und besonders zum Medizinkasten Zugang verschafften, fielen klirrend zu Boden.

»Hat Jemand von Euch gesehen,« begann ich jetzt, »daß Eivé mir diesen Becher gebracht hat?« —

»Ja, ich habe es gesehen,« nahm Enva das Wort, aus deren Wesen vor der Ahnung, einem schrecklichen Geheimniß gegenüberzustehen, jeder Zug von Boshaftigkeit schwand. »Sie hat den Trank bereitet und ihn Euch selber gebracht.«

»Nun,« fuhr ich fort, »dieser Trank enthält ein so entsetzliches Gift, daß, hätte ich nur die Hälfte davon getrunken, kein Gegengift mich gerettet haben würde; ein Gift, das sie sich nur mit Hilfe dieser Schlüssel verschafft haben kann.«

Und wieder nahm ich den Probirstein zur Hand, und wieder bewies die Entfärbung die Wahrheit meiner Anklage.

»Ihr habt es gesehen,« sagte ich.

»Ja, wir haben es gesehen,« entgegnete Enva für Alle in demselben Tone des tiefsten Schreckens und Entsetzens wie vorher.

Sodann verließen wir Alle das Zimmer bis auf die Schuldige, hinter der ich die Thür verschloß. Ich entließ die Mädchen mit der strengen Weisung, ihre eigenen Gemächer nicht zu verlassen und blieb mit Eveena allein. Entsetzt über die frevelhafte That, doch scheinbar weniger überrascht und bei Weitem weniger erregt als ich selbst, kniete sie neben mir nieder und schwieg; und wie sie in der offenbaren Absicht, mir Trost einzusprechen, sich nach vorn auf meine Kniee hinlehnte und in meine Augen aufschauend nach passenden Worten suchte, löste mich ihr Blick und ihre Berührung aus der Erstarrung, die mich gleich einem Zauberbann gefangen hielt, und ein Schaudern durchfuhr meinen Körper vom Kopf bis zu den Füßen.

Als ich endlich volle Ruhe und meine Selbstbeherrschung wiedergefunden, sprach Eveena, noch immer in derselben Haltung und mit demselben flehenden Blick ihrer Augen:

»Du sagtest einst, Du könntest solch einen Anschlag verzeihen. Fern sei es von mir, Dich zu bitten, solch ein schreckliches Verbrechen völlig ungestraft zu lassen, doch um meinetwillen flehe ich Dich an, sie nicht dem entsetzlichen Schicksale preiszugeben, das nach unserem Gesetz ihrer wartet. Weißt Du,« fragte sie dann dringend, als ich schwieg, »weißt Du welches Schicksal ihr droht?«

»Vermuthlich der Tod.«

»Ja,« sagte sie schaudernd, »und zwar ein Tod der entsetzlichsten Qual, — der Tod auf dem Vivisektionstisch. Möchtest Du sie, die einst Deine Hand liebkoste, deren Haupt an Deinem Herzen ruhte, in die Hände der Vivisektoren liefern?«

»Wahrlich nein,« erwiderte ich, »nein, Eveena, eher möchte ich selbst solchem Tode anheimfallen, als einem Weibe, einem Mädchen, das mein war, sei ihre Schuld auch noch so groß, solch ein Ende bereiten.«

»Ich bitte Dich nicht sie völlig zu schonen. Es genügt mir vollkommen, zu wissen, daß Du nicht die Hilfe des Gesetzes anrufen willst, um sie zu bestrafen.«

Als wir nun nach Eveena's Zimmer zurückkehrten, spielte sich dort vor unseren Augen eine so widerliche Szene ab, daß ich sie mir nur ungern in die Erinnerung zurückrufe. Eivé kannte ebenso genau wie Eveena das Gesetz, dem sie verfallen, sie kannte ebenso genau wie jene, die Strafe, die ihrer wartete, und so sehr ich sie auch bisher verzogen, so oft sie meine freundliche Milde erfahren hatte, so konnte sie doch nicht glauben, daß ihr auch jetzt Gnade und Verzeihung zu Theil werden würde. Als ihr jedoch schließlich klar ward, daß sie dem Gesetz nicht zur Bestrafung ausgeliefert werden sollte, äußerte sich ihre Dankbarkeit in ebenso maßloser Weise, wie vorhin ihre Angst und ihr Schrecken.

Freilich war mir diese neue Phase ihrer Leidenschaft kaum weniger widerwärtig, als die frühere. Nicht als ob der plötzliche Uebergang von maßlosem Schrecken zu maßlosem Dank mir seltsam vorgekommen wäre, denn dieser schien mir nur natürlich. Sie war ja das Kind eines Stammes, der weder Erbarmen noch Liebe kannte, sie war groß geworden und erzogen unter Menschen, denen es eine Unmöglichkeit gewesen sein würde, dem Feinde, der ihnen nach dem Leben getrachtet, Vergebung zu Theil werden zu lassen.

Endlich bat ich Eveena, auf deren abgewandtem Gesicht tiefempfundener Schmerz sich ausprägte, aber ein Schmerz, an dessen Stelle in weniger mitfühlenden Seelen Abscheu und Ekel geherrscht haben würde, das Zimmer zu verlassen, denn ich fühlte, daß hier nicht der Ort war für die fleckenlose Reinheit ihres Herzens. Sofort änderte sich das Wesen Eivé's. Da sie kein Zeichen leidenschaftlichen Zornes an mir bemerkte, ja auch meinen Widerwillen, ihren Verrath auch nur mit körperlicher Züchtigung zu strafen, gewahr ward, so legte sie der Entfernung Eveena's ihre eigene Bedeutung unter. Niemand, der würdig wäre den Namen eines Mannes zu tragen, hätte die zierliche, gebrechliche Gestalt, diese zarten kindlichen Glieder, dieses Zittern und Beben des angstgeschüttelten, schleier- und kleidlosen Körpers mit einem andern Gefühl, denn dem des innigsten Mitleides anschauen können. Doch solch ein Gefühl vermochte sie nicht zu fassen. Der Ausdruck der feigsten Todesfurcht wich nicht etwa dem aufrichtiger Reue, sondern aus ihren dunklen Augen leuchtete Frohlocken und höhnischer Triumph, den die schmachtend gesenkten Lider nicht ganz vor mir zu bergen vermochten. Ihr, die nach meinem Herzen gezielt, das nie mit einem ihr unfreundlichen Pulsschlage schlug, ihr, die mein Leben bedroht, hatte ich vergeben — aber nach diesem Einblick in ihr inneres Denken und Empfinden trat an die Stelle des Mitleids Widerwille und Abscheu.

Es kostete mich Ueberwindung, sie von Neuem anzureden, indessen um ein volles Geständniß zu erlangen und meine Pflicht gegen Andere zu erfüllen, mußte ich nothgedrungen mich dem unterziehen. Die Geschichte der nächsten Stunde habe ich Niemandem je erzählt, noch kann ich sie heute erzählen. Nur Einer habe ich diese Geschichte je offenbart, und diese Eine war vielleicht gerade Jene, zu der ich zuletzt davon hätte reden sollen. Genug, daß Eivé's reizende, kindliche Naivetät mit ränkevoller Tücke den Mordanschlag ersonnen, ihn mit so verworfener Schlechtigkeit ausgeführt hatte. Das geliebkoste liebkosende Kind hatte mein Leben und ihre eigene Seele für das Versprechen von Reichthum, der ihr nichts bieten konnte, was ich ihr nicht schon vollauf gewährte, und um den ersten Rang unter den Frauen ihrer Welt — gegen Versprechen verkauft, das ihr weder direkt noch indirekt von dem, der allein es erfüllen konnte, zu Theil geworden war. Wozu alle Einzelheiten des erzwungenen Geständnisses aufzählen? Wozu alle Lügen noch wiederholen, die sie ersann, bis ich endlich die ganze Wahrheit ihren bebenden Lippen und ihrer schluchzenden Stimme gewaltsam abgerungen hatte; wozu der Blicke gedenken, mit denen sie lange und gleichsam ungläubig an eine ebenso völlig verwirkte wie mißverstandene Liebe appellirte. Bis zuletzt blieb es ihr unbegreiflich, daß ich nur mit ihrer Hilflosigkeit Erbarmen empfunden und nicht vielmehr um der Reize ihrer Jugend und ihres Geschlechtes willen ihrer geschont hätte, so daß ich endlich voll Abscheu und Widerwillen die Nähe derjenigen verließ, die kaum, fürchte ich, der Trauer, die ich damals um sie empfand, werth war, wie sie einst nicht die Zärtlichkeit verdiente, die sie so lange genossen hatte.

Da mich bereits eine Antwort des Fürsten in meinem Zimmer erwartete, in der er mir furchtlos eine Audienz gewährte, beschloß ich sofort den Großherrn aufzusuchen.

»Ich sehe,« sagte er mit lebhaftem Mitgefühl, nachdem er meinen ehrerbietigen Gruß freundlich erwidert hatte, »ich sehe, Euer Familienverlust hat Euch tiefer geschmerzt, als solch ein Vorfall uns schmerzen würde. Ich bedaure Euch lebhaft und darum will ich davon schweigen, um Euren Schmerz nicht noch weiter zu steigern. Nur gestattet noch die eine Bemerkung. So lange ich Euch kenne, ist mir immer der große Unterschied zwischen unserem und Eurem Charakter auffallend gewesen, der, mir scheint, auf einer Euer ganzes Denken und Empfinden beherrschenden uns unbekannten Grundanschauung beruht. Meine Unterthanen, die sehr an ihrem Leben hängen und so viel auf ihre Bequemlichkeit geben, sind gleichgültig gegen Gefahren, die Anderer Leben bedrohen, dagegen scheint mir die Weichheit des Herzens, die Ihr in Eurem Falle bezeiget wundersam zu der Herzensstärke zu passen, die Ihr in Gefahren bewieset, denen keiner meiner Unterthanen freiwillig entgegentreten, und die sie, zwänge man sie sich denselben zu unterziehen, zweifelsohne entnerven würden. Ich freue mich, Euch heute, wenn auch in schwachem Maße, beweisen zu können, daß auch ich einigermaßen von unserem nationalen Charakter abweiche und dem Euren nahekomme, indem ich Mitgefühl zeige für den Kummer eines Freundes und trotz der Gefahr, die ich, wie Ihr meint, dabei laufe, ihn persönlich empfange. Indessen entsinne ich mich, Euch veranlaßte ja ein besonderer Grund, diese Audienz nachzusuchen. Nun wohl. Meine Ohren sind Euch geöffnet, Eure Lippen mögen sich mir aufthun.«

»Mein Fürst,« entgegnete ich, »Eure Worte öffnen mir die Bahn zu meiner Bitte. Ihr sagt es und sagt es mit Recht und mit Wahrheit, daß Milde und Muth in mir einer einzigen Wurzel entspringen, wie der unmännliche Kleinmuth und die ebenso unmännliche Hartherzigkeit Eurer Unterthanen ebenfalls einer einzigen Wurzel entwachsen. Ist es denn anders möglich, als daß Jene, für welche Tod eines jeden Dinges Ende bedeutet, diesen Tod mit Entsetzen betrachten und all ihr Sinnen und Trachten darauf richten sich ihr Leben möglichst zu verlängern und dasselbe mit jedem möglichen Genusse und sinnlichen Vergnügen zu versüßen und zu verschönen? Dabei schwindet dann ebenso natürlich das Vergnügen und der Genuß an allem Höheren, Geistigen, Idealen, Sittlichen. Der Mensch hat zu viel mit sich selbst zu thun, um sich noch um Andere kümmern zu können. Wie kann er auch danach verlangen für irgend ein sterbliches Wesen eine wahre, innige Neigung zu empfinden, da dieselbe doch den Herzen derer, denen der Tod ein Scheiden ohne Wiedersehen dünkt, nur zur Pein und Qual gereichen muß? So wahr und warm ein Weib zu lieben, wie ich es that — ja auch nur solche Neigung einem Weibe zu schenken, wie ich jener widmete, die Ihr mir zum Weibe schenktet, müßte täglich die Quelle namenlosen Kummers bei dem Gedanken werden, daß einst ein Tag kommt, kommen muß, der uns auf ewig auseinander reißt. Indem ich Euch dieses sage, setze ich selbst den Dolch an meine Brust, mein Fürst, mein Leben lege ich in Eure Hand, und ich verlange von Euch kein Geheimhalten meiner Worte, keine Gnade für mich selbst, außer daß ich darauf vertraue, Ihr werdet ein mir einzig theures Leben, das ich nicht mehr hüten kann, selber in Schutz nehmen! ... Nun, mein Fürst, auch unter Euren Unterthanen giebt es noch Einige, die nicht solche selbstsüchtigen Feiglinge sind, wie sie sich um Euren Thron scharen, nicht die grausamen Tyrannen in ihrem eigenen Haus wie Jene, sondern die ein Herz voll Mitgefühl für die Leiden Anderer in ihrer Brust tragen und auch der Selbstaufopferung nicht unfähig sind.«

Während meiner Worte beobachtete ich aufmerksam die Züge des Fürsten, in denen jedoch kein Schatten von Unwillen, auch nicht bei den letzten Andeutungen aufstieg, sondern die eher einen befriedigten Ausdruck annahmen, als sähe er ein verwirrendes Problem endlich nach seinem Wunsche gelöst.

»Und der Grund davon ist,« fuhr ich fort, »daß diese Männer und Frauen glauben oder vielmehr es wissen, daß sie einem ewigen König, der mächtiger ist, als Ihr, verantwortlich sind, und daß sie dereinst, vielleicht nicht hienieden, doch dort oben nach ihrem Tode, die Früchte, die sie durch ihr Thun hier unten gesät haben, ernten, daß sie endlich, falls sie sich nicht durch ihre Thaten selbst um die Erfüllung ihrer Verheißungen bringen, dort oben in einem anderen Leben die wiederfinden werden, die ihnen hier in diesem zeitlichen Leben lieb und theuer gewesen!«

»Und solche Menschen giebt es in meinem Reiche?« fragte er noch halb ungläubig. »Ich wünschte, sie wären mir alle bekannt!«

»Mein Fürst,« begann ich nachdrücklich von Neuem; »ich stehe vor Euch als ihr Abgesandter, als einer ihrer Leiter, Euch um Euren Schutz anzuflehen. Zwar liegt es in unserer Macht, uns selbst, Einer gegen Tausende, erfolgreich zu vertheidigen; denn unsere Waffen sind solche, gegen welche Entfernung, Rüstung und Uebermacht keinen Schutz gewähren! Aber in solch einem erbitterten Kampfe würden so viele Leben vernichtet, so unsagbares Leid über unsere Feinde gebracht werden, daß wir gerne denselben vermeiden möchten. So höret denn. Heimliche Nachstellung und offene Gewalt droht allen Gliedern unseres Ordens Tod und Verderben, doch offene Gewalt dürfte vermuthlich der letzte Schritt sein, wozu sie der Haß treibt, denn unsere Feinde wissen gar wohl, daß die, so auf den Stern zielen, selbst von seinem Blitze getroffen werden.«

Eine leichte Veränderung des Ausdrucks seiner Züge belehrte mich, daß ihm dieses Sinnbild nicht unbekannt war.

»Ihr sagt,« erwiderte er, »daß ein förmlicher Anschlag geplant sei, diese Menschen mit Hinterlist oder mit Gewalt auszurotten?«

»Dieser Plan, mein Fürst, ward von einem der Helfershelfer des Feindes bekannt und zur thatsächlichen Bestätigung desselben ward erst heute in der Frühe auf mich, als auf einen Meister des Ordens, ein Mordanschlag versucht.«

Der Fürst sprang bei diesen Worten auf mit der ganzen Leidenschaft eines Mannes, der zum ersten Mal in seinem Leben eine persönliche Beleidigung erfährt, mit dem Zorne eines Selbstherrschers, dem zum ersten Male eine Auflehnung gegen seine Macht und Majestät entgegentritt.

»Wer hat das gewagt?« rief er aus. »Wer hat es gewagt, ein altes, längst vergessenes Gesetz ohne meine Erlaubniß wieder in Kraft setzen zu wollen? Wer hat es gewagt, seine Hand gegen ein Leben zu erheben, über das ich den Schatten meines Thrones geworfen? Nennt mir ihre Namen, mein Gastfreund, und bestimmet selbst, ehe der Abend zum Morgen sich wandelt, über ihr Schicksal!«

»Eurem Königlichen Befehle vermag ich nicht zu gehorchen, denn ich habe keine ausreichenden Beweise gegen den Mann, der allein meinen Tod begehren kann, und diejenige, die persönlich den Anschlag auf mein Leben ausgeführt hat, schützt nach meinem Empfinden die Unverletzlichkeit ihres Geschlechts vor der Strafe des Gesetzes.«

»Ein jeder Mann,« erwiderte der Fürst, die Meinung meiner Worte nicht ganz richtig verstehend, »ist Herr in seinem eigenen Hause; und ich bin damit zufrieden, daß Ihr nach Eurem Ermessen mit dem gehässigsten Wesen der gehässigsten lebenden Rasse verfahret, mit einem Weibe, das dem Leben ihres Herrn und Gatten nachstellt. Indessen, mein Gast, wer einen so weitumfassenden Frevel geplant, zielt auch nach meinem Thron und zielt nach meinem eigenen Leben, denn billigte ich selbst ihren Zweck, so würde ich doch, das wissen sie, niemals die Anmaßung verzeihen, daß sie es wagten, ohne meine ausdrückliche Erlaubniß zu handeln. Ich sitze nicht tauben Ohres im Rathe, noch mit schweigenden Lippen und ohnmächtiger Hand. Nicht der Höchste, nicht der Niedrigste meiner Unterthanen soll es wagen, auch nur für einen Augenblick mein Zcepter an sich zu reißen!«

»So wahret denn Euer eigenes Leben!« fuhr ich fort. »So lange Ihr herrscht, wird schwerlich offene Gewalt gegen uns angewandt werden, und wenn wir gegen schleichenden Mord und Verrath an das Gesetz appelliren, wollt Ihr dann Sorge tragen, daß das Gesetz Gerechtigkeit übe?«

»Das werde ich,« war seine Antwort, »und ich verzeihe Euch zugleich Euren Rath, mein Leben zu wahren, da Ihr mich nach meinem Volke beurtheilt! Aber merkt Euch, das Leben eines Fürsten ist nicht seine eigene Sorge, nur die seiner Garden, ihm liegt allein das Leben seines Volkes am Herzen!«

Er schwieg einige Minuten lang, offenbar in tiefes Sinnen versunken.

»Ich danke Euch,« sagte er endlich, »und gebe Euch noch eine Warnung mit auf den Weg. Es existirt allerdings ein Gesetz, das gegen Euch, als die Glieder eines Geheimbundes furchtbar ausgenützt werden könnte. Ihr wäret, sobald Ihr entdeckt würdet, als vogelfrei dem Tode verfallen, und den Mörder schützte dasselbe Gesetz vor jeglicher Strafe. Ich werde nun freilich dafür sorgen, daß Euch diese Bestimmung nicht mehr allzulange bedrohen soll. Aber bis dahin hütet Euch, denn noch bin sogar ich diesem Gesetz gegenüber ohnmächtig.«

Beim Verlassen des Palastes begegnete mir Ergimo, der mit mir in meinen Wagen einstieg und einen unbewachten Moment wahrnehmend zu mir sagte:

»Astona ist vor etwa zwei Stunden todt gefunden worden, sie starb den Tod der Verräther. Man sah sie vom Dache ihres Hauses niederfallen, und Niemand war um sie, als sie herabstürzte. Trotzdem hat man bereits Davilo als ihren muthmaßlichen Mörder verhaftet, da er heute Morgen vor Sonnenaufgang sich geäußert haben soll, wie es ein Zeuge bestätigt, daß sie den Tod verdient habe. — Wer dies gehört hat, muß auch mehr gehört haben, darum sendet diese Nachricht schleunigst an den rechten Ort.«

Sofort hielt ich den Wagen an und bog in einen anderen Weg ein, der uns in zehn Minuten nach einer öffentlichen TelegraphenAnstalt brachte.

»Kommt mit uns,« sagte ich. »Als Beamter des Camptâ mag Eure Gegenwart die sichere Ueberlieferung einer Botschaft ermöglichen, die andernfalls unterschlagen werden dürfte.«

Er verstand sofort meinen Wink und sagte, indem wir uns einem freien Pult näherten: »Im Namen des Camptâ«, eine feierliche Formel, die uns vor der Neugier auch des wagehalsigsten Spions völlig sicher stellte, und ehe ich mich wieder von dem Pulte fortbegab, hatte ein jeder Meister der Zinta in ihren verschiedenen Wohnstätten von mir mit Hilfe der bereits erwähnten symbolischen Sprache einen Bericht über die letzten Vorkommnisse, sowie von Esmo eine Einladung erhalten, sich zur bestimmten Stunde an einem bestimmten Orte einzufinden.

Der Tag, an dessen Abend wir zusammentreffen sollten, war derselbe Tag, an welchem über Davilo Gericht gehalten ward. Ich ging nach dem Gerichtshofe hin und mischte mich dort in die die Thore umdrängende Menschenmenge, die bitteren Haß gegen den Gefangenen und den Orden, dessen Geheimnisse sie endlich enthüllt zu sehen hofften, deutlich zur Schau trug. Während ich mir Dank meiner Größe mühelos meinen Weg durch die Masse hindurch bahnte, fühlte ich plötzlich eine Berührung, ein Zeichen, und wie ich mich umdrehte, erblickte ich ein Gesicht, das ich sicherlich his dahin noch niemals gesehen hatte. Indessen jene Berührung, jenes Zeichen konnte nur von einem Kollegen, einem Meister des Ordens, herrühren, und das nächste Zeichen verkündete mir die Gegenwart des Siegelträgers selbst.

»Ich erzählte Euch schon,« flüsterte eine Stimme, die ich wohl kannte, »wie vollkommen es in unserer Macht steht, sogar unsere körperliche Erscheinung zu wandeln.«

Dem war allerdings so; doch hätte ich nimmer geglaubt, daß der auch mir bekannte Prozeß eine so absolute Veränderung des Gesichts und der Gestalt hervorbringen könnte. Endlich bahnte sich Esmo mit mir, theils mit Hilfe meiner Höhe und Stärke, theils durch seine eigene gewaltige auch auf Uneingeweihte unwiderstehlich wirkende Willenskraft, den Weg bis in den Gerichtssaal.

An fünf Seiten desselben — auch dieser war von sechseckiger Gestalt — erhoben sich reihenweise Bänke übereinander, die für das zuhörende Publikum bestimmt waren, während an der sechsten Seite die Sitze der sieben Richter, ihnen gegenüber die Anklagebank, und zu beiden Seiten der letzteren die Sessel für die Advokaten aufgestellt waren. Der Platz, von welchem aus die Zeugen ihr Zeugniß ablegen mußten, war so gewählt, daß auch nicht ein einziges Wort, nicht eine Bewegung derselben weder dem Gerichtshof noch den Vertheidigern noch den Zuschauern entgehen konnte. Davilo saß unbewacht auf seiner Bank, in seltsam bewegungsloser und gezwungener Haltung, nur seine Augen bewegten sich und von Zeit zu Zeit wandte sich sein Haupt ein wenig zur Seite. Er erkannte uns sofort und sein Blick verrieth nichts von Besorgniß oder Furcht.

»Das Q u a r r y ,« flüsterte Esmo, mein Erstaunen bemerkend. »Das ist die Wirkung des Q u a r r y , das alle Bewegungsnerven paralysirt und nur das Wahrnehmungsvermögen in Thätigkeit läßt; man wendet es stets von dem Augenblick der Ergreifung bis zur Vollstreckung des Urtheils bei den Gefangenen an, um sie absolut bewegungsunfähig zu machen und hebt dann im Fall einer Freisprechung diesen hülflosen Zustand durch ein Gegenmittel wieder auf.«

Die Anklage setzte in möglichst kurzen Worten die Geschichte Astona's auseinander, von dem Moment an, da sie mein Haus verließ bis zur Stunde, in welcher sie todt gefunden ward; dann konstatirte sie die Worte Davilo's und ging endlich über zur Vernehmung der Zeugen. Natürlich war die wesentlichste Frage die, darüber zu entscheiden, ob bloße Worte Davilo's, der erwiesener Maßen meinen Grund und Boden seit jener Aeußerung nicht verlassen hatte, in der That einen Tod herbeiführen konnten, dessen augenscheinlicher Grund ein zufälliger Unfall gewesen war. Daß er jene Worte gesprochen, wurde durch das Zeugniß eines Menschen erhärtet, den ich als einen Offizier Endo Zamptâ's erkannte. Als ich dann zur Abgabe meines Zeugnisses aufgerufen wurde, verlas der Präsident des Gerichtes eine kurze, furchtbare Drohung, mit welcher das Gesetz vor Meineid warnte.

»Ihr werdet die Wahrheit sprechen,« sagte er, »Ihr kennt jetzt die Folgen.«

Wie er dies sprach, begegnete er dem Auge Esmo's und von dem Blicke desselben gleichsam versteinert, sank er regungslos wie ein Vogel unter dem verzaubernden Blick einer Schlange in seinen Sitz zurück. Hierauf erhob ich mich und wies unter Anführung meiner Beweise nach, daß Davilo bis eine Stunde nach dem verhängnißvollen Sturze Astona's von mir geschäftlich in Anspruch genommen war. Endlich begannen nun die Advokaten, die von den einfachen Thatsachen nichts hinwegdeuten konnten, sich von beiden Seiten in die spitzfindigsten Untersuchungen einzulassen; die Vertheidiger des Gefangenen stellten mit vorzüglich gespielter erkünstelter Gelehrtenverachtung, die dadurch um nichts weniger effektvoll wurde, daß der erste Vertheidiger ein hochangesehenes Mitglied unseres Sternenbundes war, die Idee als lächerlich hin, es könnte jemand mit dem bloßen Willen eines Anderen Handlung und Thun beeinflussen; sie führten zu diesem Behufe als albern und reinweg unglaublich einige Anekdoten an, von denen ich wußte, daß sie gerade die am Besten verbürgten und überraschendsten Beispiele der mystischen Mächte unseres Ordens waren. Auf der anderen Seite bestanden die sonst versessensten Skeptiker unter den Gegnern heute mit gleichem Geschick und nicht geringerer Hartnäckigkeit auf den unzähligen, verbürgten Beispielen einer von einer infamen und böswilligen Sekte ausgeübten diabolischen Kraft. Vor kaum noch einem Jahre hätten die Richter sicherlich den Vertheidigern zugestimmt, aber seitdem war der Haß, den die Verschwörung gegen die Zinta entfacht hatte, in alle Schichten der martialischen Gesellschaft gedrungen, und daher erblickte man heute, da es galt, die Anhänger einer Religionsgemeinschaft auszurotten, die ganze durch ihre hervorragendsten Gelehrten und Bekenner vertretene martiale Wissenschaft bereit, ihre eigenen Grundprinzipien abzuschwören und ihre Lieblingsgrundsätze zu opfern. Wie es bereits oft hier auf dem Mars geschah und vielleicht eines Tages, wenn die neuen Ideen zu noch allgemeinerer Verbreitung gelangen, auch auf der Erde geschehen mag, die bewiesene Thatsache ward der logischen Unmöglichkeit gegenübergestellt und vermuthlich zum ersten Mal seit zehntausend Jahren in der martialen Geschichte, die bewiesene Thatsache siegte über den logischen Beweis der Wissenschaft, doch unglücklicherweise zu Ungunsten des Gefangenen. Nachdem sich die Richter ungefähr eine Stunde lang einzeln zurückgezogen hatten, erschienen sie wieder, worauf vom Sekretär ihre kurzen und konfus abgefaßten Entscheidungen vorgelesen wurden, die alle insgesammt nicht einen einzigen triftigen Grund enthielten, sich in sich selbst widersprachen und mit sechs gegen eine Stimme den Gefangenen zum Vivisektionstische verurtheilten.

Mein erster Gedanke war, für den Verurtheilten die Gnade des Herrschers anzurufen, da ich dachte, daß auch hier wie in unseren irdischen Staaten für gewisse unvorhergesehene Fälle der Krone eine Macht, die über dem Gesetz steht und durch das Gesetz nicht gebunden ist, die Macht der Begnadigung zustehe. Doch hatte ich mich darin insofern getäuscht, als eine Begnadigung nicht durch persönliche Willensentscheidung des Fürsten, sondern nur auf Grund der Entscheidung einer kleinen Anzahl von Richtern erfolgt, die ihren Beschluß im Namen des Camptâ verkünden. Und hätten wir selbst mit absoluter Zuversicht auf den Camptâ rechnen können, so sprachen doch andere wichtige Gründe gegen eine solche Berufung; vor allem die Erwägung, daß, wenn der Camptâ für uns, — und er hätte es sicher gethan, — Partei ergriffe, bei der herrschenden gereizten Stimmung des Volkes eine plötzliche Revolte gar nicht unwahrscheinlich sein würde, statt daß vielmehr der Camptâ noch vor dem Reifen des Anschlags die verrätherischen Häupter jener Bewegung entdeckte und unschädlich machte.

Alles dies wurde in unserem Rathe in kurzer ruhiger Debatte erwogen. Die hoheitsvolle Ruhe Esmo's theilte sich unwillkürlich den übrigen Elf mit, von denen ich übrigens keinen als Theilnehmer der letzten Berathung wiederzuerkennen vermochte, ehe er nicht zu sprechen begann — der Klang der Stimme blieb nämlich durch die Verwandlung der körperlichen Erscheinung unberührt. Endlich wurde beschlossen, daß sich nach Eintritt völliger Dunkelheit eine größere Schaar von Brüdern des Sternes an einem Punkte versammeln sollte, der etwa eine Viertelstunde von dem Secirhaus jener großen medizinischen Anstalt entfernt war, wo unser unglücklicher Freund die gräßliche Folter der Vivisektion zu erleiden verurtheilt war.

»Glücklicherweise,« sagte der Meister, »sollen die ersten Experimente vom Generaldirektor selbst vorgenommen werden, und bis dahin wird es sicher Mitternacht werden; eine halbe Stunde vor jener Zeit wird unsere Schaar aber vollzählig beisammen sein.«

Ich bestand darauf, an dieser Expedition theilnehmen zu dürfen, und endlich fügte sich Esmo, wenn auch ungern, der einstimmigen Ansicht aller Collegen, die von meiner stärkeren physischen Kraft für eine etwaige unvorhergesehene Krisis sich gute Dienste versprachen. Zudem lag der Ort des bevorstehenden Kampfes innerhalb der meiner Leitung unterstellten Diöcese, so daß ein großer Theil der zu dem Ueberfall Aufgebotenen mich als ihren natürlichen Führer ansahen.

Die Nacht war, wie es vorauszusehen gewesen, stockfinster; die Straßen waren jedoch wie immer taghell erleuchtet. Plötzlich aber, kaum hatten wir unsern Sammelpunkt erreicht, erloschen rings umher die elektrischen Leuchten, ein Fall, der in der ganzen Geschichte der martialischen Verwaltung nur dieses eine Mal vorgekommen ist.

»Was nützt das? Man wird es wieder anstecken!« sagte eine Stimme aus dem Trupp meiner Leute.

»Kann Menschenmacht das Licht wieder entzünden, das die Macht des Sternes gelöscht hat?« war die Antwort eines Anderen.

Militärisch in Reih' und Glied geordnet rückten wir unter Esmo's Leitung, begeistert und gehoben durch des Meisters festes, unerschütterliches Wollen gegen den Flügel des Gebäudes vor, in welchem die Vivisektionen stattzufinden pflegten. Vor demselben hielten etwa vierzig mit dem Speer und dem Blitzgewehr bewaffnete Soldaten Wache, die aber, als wir ihnen näher kamen, versteinert wie Bildsäulen standen und mit weit aufgerissenen Augen, ohne doch uns zu sehen, uns anstarrten.

»Ich war schon vorhin hier,« murmelte Esmo, »nach links! nach links!«

Das Thor that sich auf vor der Berührung mit einem elektrischen Instrument, das er in seiner Hand hielt. Wir traten ein und folgten ihm durch einige Räume einen langen Corridor entlang, an dessen Ende ein Licht durch eine Crystallthüre fiel. Hier bestätigte sich nun wieder einmal die überlegene Weisheit des Meisters. Wären wir seinem Rathe gefolgt, so wäre die Schaar weit kleiner gewesen und hätte nur aus den ältesten und erfahrensten der augenblicklich erreichbaren Mitgliedern der Zinta bestanden. Jetzt aber waren wir nahezu zwanzig, und manche von uns in den Regeln des Ordens noch unerfahrener als ich — mich aber verließ ganz und gar die von den Lehren des Altars empfohlene Ruhe, nur der Gedanke an die Gefahr eines Freundes beängstigte mich, der ungestüme Muth des Soldaten erfüllte meine Brust und riß meine Mannschaft unwiderstehlich mit mir fort; und als nun die Thüre sich öffnete und wir unseren Freund auf dem Vivisektionstisch ausgestreckt liegen sahen, da stürzten die Jüngeren unserer Schaar, von meinem Feuereifer angespornt, hinter mir her, die Sinne begannen uns zu wirbeln, in namenloser Erregung fielen wir über den Vivisektor und seine beiden Gehilfen her, die regungslos mit den glitzernden Messern dastanden, eben im Begriff, ihr gräßliches Werk zu beginnen; und ehe noch Esmo dazwischen zu treten vermochte, waren diese Henker von der rothen Klinge, — von dem blitzenden Stahle, — erschlagen; wir aber trugen unter lautem Jubel und mit lärmendem Triumphruf zum größten Mißfallen des Meisters den geretteten Freund mit uns von dannen.

Nie habe ich aus dem Munde Esmo's so harte und scharfe Worte gehört, wie jene, mit denen er uns, als wir uns wieder gesammelt hatten, unser Betragen verwies. Freilich mußte ich die Richtigkeit seiner Bemerkungen einsehen und instinktiv beugte ich mich nach Schluß seiner Rede vor der Schärfe seines Urtheils mit jenem militärischen Gruße, mit dem ich einst auf dem Marsch oder Paradeplatz weit weniger verdiente Verweise hinzunehmen gewohnt war.

Was nun Davilo betraf, so wurde er vollständig unversehrt, nachdem er sich von den Nachwirkungen des Quarry erholt hatte, zum zeitweiligen Aufenthalt in einen sicheren Versteck gebracht.

Eveena hörte, als ich wieder mein Haus aufgesucht hatte, meine Erzählung mit mehr Bekümmerniß als Interesse an. Der Tadel that ihr weh, den ich und meine Begleiter uns zugezogen hatten, und obgleich sie nur ungern sich entschließen konnte zu glauben, daß ich mich eines Versehens schuldig gemacht, so schien sie doch mit der Besorgniß zu kämpfen, daß eine ähnliche Gefühlsaufwallung einmal ein ernstliches Unglück herbeiführen würde.


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Kapitel 29
Azrael

Das Mädchen das einstmal mein Spielzeug gewesen und beinah meine Mörderin geworden war, in meinem Hause als Verbrecherin bewachen zu lassen und so mein eigenes Heim zum Gefängniß zu machen, schien mir unerträglich. Aber sie frei zu lassen, das schloß Gefahren in sich, deren ich mich um Anderer willen nicht aussetzen durfte. Es blieb also nur noch ein dritter und weniger gefährlicher Ausweg, das Mädchen aus meinem Haus fort in sicheren Gewahrsam zu geben, was einerseits wieder mit so unerquicklichen Umständlichkeiten verbunden gewesen wäre, daß ich sowohl wie Eveena von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen beschlossen.

»Was veranlaßte Dich,« fragte ich eines Tages Eveena, »zu dem Argwohn gegen Eivé, dem ich mein Leben verdanke?«

»Ihre merkwürdig ruhige Hand, da Du sie so oft damit necktest, daß sie Alles verschütte, und ihre unruhigen Augen; doch,« fügte sie mit einigem Zögern hinzu, indem sie das Zeichen des Sternes auf der Brust machte, »kann ein Meister vergessen? Oder glaubst Du, Clavelta's Tochter habe nicht Theil an dem Erbe ihres Stammes?«

»Aber wie gelang es Dir damals die Feder Deiner Thür zu öffnen?«

»Meinst Du, ich hätte Enva gebeten Deinem Befehl nicht zu gehorchen? Nein, so sehr ich auch freizukommen strebte, so doppelt falsch mochte ich nicht sein. Ohne es zu wissen, ohne es zu wollen, unter der zwingenden Gewalt meines Willens, öffnete mir Enva die Thür. — Vergieb mir, mein Theurer, und verzeihe nur, daß Dein Blumenvöglein mit der Zeit Deinen Willen, auch gegen Deine Worte, in Deinen Augen zu lesen gelernt hat. Als ich damals mich weigerte, Deiner Weisung nachzukommen, fühltest Du wohl, wie bitteres Weh mir dieselbe bereitete, so sehr ich auch Deine Aengstlichkeit um mich zu würdigen verstand und es wußte, wie schwer Dir dieser Entschluß geworden.«

»Ich war,« fuhr sie nach längerer Pause fort: »ich war in tiefe Gedanken versunken und lag selbst ganz gebannt in den Zauber, durch den ich Enva in den Schlummer des Gehorsams geworfen hatte. Ich wußte nicht mehr, wo ich war oder was ich that. Meine ganz in die geheimnißvollen Tiefen der Anschauung versenkten Gedanken hatten ihre Richtung verloren und schauten alle nur noch auf Deine Gefahr. Mit einem Male, ich weiß nicht wie es geschah, war es mir, als ob ich vor mir auf den Kissen eine fremde Gestalt erblickte, die ich nie, niemals vergessen werde. Es war ein junges, zartes und bleiches Mädchen mit großen Rändern um ihre geschlossenen Augen; sie schlief, so wie Enva doch sonst war sie in jeder Beziehung das gerade Gegentheil von Jener. Ich glaube, ich selber schlief auch im Banne des Zaubers, mir nur der Besorgniß um Dich und um Dein Leben bewußt, so daß es natürlich war, daß ein jeder meiner Gedanken nur Dir galt. Freilich kann ich mich meines Traumes nicht mehr entsinnen, doch die Worte, welche ich hörte, sind mir noch heute so unverlöschlich in meinem Gedächtnisse, wie ich sie damals vernahm. Ich hörte die Seherin sagen:


Lies' im Aug', der Hände wach! —
Durch sie, die ruht an seiner Brust,
Durch seine Lieb droht ihm Gefahr —
— Einfalt weise — Stärke schwach.

* * *

Die sein Herz hält in der Hand
Sie däucht dem Feind als Waffe werth,
Dem Feind der sein Geheimniß gehrt —
Seidene Locken sind ein festes Band!

* * *

Ja, er kennt Kargyndas Muth,
Trotzend Schmerzen und Gefahren, —
Doch vor Lieb' sinkt seine Wuth!

* * *

Liebe schlägt den Held in Ketten,
Macht den Weisesten zum Narren, —
Liebe wird durch Lieb erretten.


»Sie wieder,« rief ich unwillkürlich aus.

»Du hörst es,« flüsterte flehend Eveena, »achte mir zu Liebe meiner Warnung, wenn Du der andern auch nie geachtet. Eivé —«

»Eivé!?« erwiderte ich, »die Prophetin kennt mich besser als Du. Die Warnung bedeutet, daß sie jetzt mein Geheimniß vor meinem Leben begehren und planen, Deine Sicherheit zum Preis meiner Schande zu machen. Das ist ein Gedanke würdig des Teufels oder des Regenten!«

Da ich mich durchaus nicht dazu entschließen konnte, Eivé ohne Heimat und Schutz aus meinem Hause zu treiben, Eveena mir aber kein anderes Verfahren zu rathen wußte, gingen die Tage wie unter steter, drohender Gewitterschwüle dahin und raubten mindestens Dreien des Haushalts ihre Ruhe, bis endlich zwei Vorfälle von Besorgniß erweckender Vorbedeutung die peinliche Stille und das monotone Einerlei unterbrachen.

Ich hatte eines Morgens eben das Gefängniß Eivé's verlassen, als mir Eveena zwei Streifen Tafroo in die Hand legte. Den einen hatte ihr ein Ambâ gebracht und der zweite kam von dem Vertreter Davilo's. Der letztere besagte: »Ihr nur, Ihr ganz allein seid von der Schaar der Befreier Eures Freundes erkannt, und ehe noch zwei Tage verstreichen, wird man versuchen, Euch in Haft zu nehmen.« Der erstere kam von Esmo; Eveena hatte ihn mir ungelesen, wie es ihre Gewohnheit war, überbracht. Ich konnte sie vor Schmerz nicht ansehen, als ich die kurze Nachricht vorlas, die den Tod ihres Bruders meldete; er war von dem Stiche zweier Drachen, die offenbar eines Mörders Hand gegen ihn geschleudert hatte, getödtet, leider unter Umständen, daß für den Augenblick wenig Hoffnung war, den Frevler zu entdecken. Nun lud uns Esmo zu der Bestattung Kevimâ's ein, die nach den feierlichen Riten der Zinta vor sich gehen sollte. Von den schmerzlichen Minuten, die dieser Mittheilung folgten, will ich schweigen. Eveena versuchte um Meinetwillen, doch vergeblich, den Strom ihrer Thränen zu hemmen, die der Verlust des Bruders und die erneute Angst um das Leben des Gatten unaufhaltsam fließen ließ. Plötzlich wurde ich durch einen Ambâ benachrichtigt, daß mich in der Halle ein Besucher erwarte. Es war Ergimo, der mir folgende Botschaft vom Camptâ überreichte:

»In der Ahnung, daß ihr Verrath entdeckt ist, trachten Eure Feinde zunächst nach Eurem Geheimniß und sodann auch nach Eurem Leben. Wahret Euch Beides nur noch kurze Zeit. Euer, Eurer Freunde und mein eigenes Schicksal stehen auf dem Spiele. Dieselbe Rathsversammlung, die die Verräther zum Tode senden wird, wird auch das Euch bedrohende Gesetz für ungültig erklären.«

Ich fragte Ergimo, was er von der augenblicklichen Lage der Dinge wüßte. Er erwiderte;

»Der Feind muß seinen Plan geändert haben. Wenigstens scheint Einer derselben zu fürchten, daß sein Verrath von seinem Souverän wie von dem Orden geargwohnt wird, und das treibt ihn zum äußersten verzweifelten Wagniß; vermuthlich wird er Euch gefangen zu nehmen, und Euch Euer Geheimniß zu entreißen versuchen, um im Falle der Noth entrinnen zu können. In seiner verzweifelten Lage dünkt ihm wahrscheinlich selbst offene Empörung sicherer, als so lange zu warten, bis ihn der erste Streich von der Zinta oder vom Palaste trifft.«

Mein Entschluß war sofort gefaßt. Ich suchte den Schreiber der ersten Meldung auf, und theilte ihm meinen Plan mit, den er völlig billigte; nur rieth er mir noch, zur Reise von dem Camptâ einen Paß zu besorgen, um auf diesem Planeten von Niemand, ohne daß er offner Rebellion sich schuldig mache, angehalten werden zu können. Dann besprach ich mit ihm das Schicksal Derer, die ich zurückließ; ich bestimmte, daß Eivé seinerzeit aus der Haft entlassen und für sie gesorgt werden solle, so gut wie für die Andern, kurz daß, sollte ich niemals wieder zurückkehren, den Interessen der Mädchen in jeder Weise Rechnung getragen, und durch meine Abreise nach einer andern Welt, gleich wie durch den Tod, die gegenseitigen Verpflichtungen als gelöst betrachtet werden sollten.

Nachdem ich den königlichen Paß empfangen hatte, ging ich, während Eveena von Velna im Zimmer der letzteren innigen Abschied nahm, in das Gefängniß Eivé's.

»Ich verlasse Euch,« sagte ich, »und hoffe Euch nicht lange mehr in Gewahrsam halten zu müssen. Kehre ich in Sicherheit wieder zurück, dann will ich erwägen, wie sich Eure Lage besser gestalten läßt. Wenn nicht, so werdet Ihr um so schneller und sicherer frei werden: Und nun, mein einstgeliebtes, von mir verzogenes Kind, sagt, war der elende Lohn das einzige Motiv, um dessentwillen Ihr Eure Hand gegen mein Leben erhobt? Gift ist meines Erachtens die Waffe der Sklavin gegen ihren Tyrannen. Aber war ich denn jemals hart und grausam gegen Euch oder habe ich je Euer Leben durch Laune und Strenge verbittert? Und hattet Ihr nicht am wenigsten von Allen Klage über mich zu führen?«

Sie erhob sich und sah mir fest ins Gesicht, und aus ihren Augen sprach Etwas wie Verachtung mit dem in meinen eigenen Blicken liegendem Ausdruck von Wehmuth und Mitleid. Mit ihrer alten furchtlosen Offenheit erwiderte sie:

»Ich hätte keinen Grund gehabt, Euch zu hassen? Nein, aus dem Grunde der gewöhnlich das Weib treibt, das Leben zu wagen, das der Mann unerträglich gemacht hat, aus dem Grunde nicht, gewiß nicht! Aber hättet Ihr wirklich mich niemals so behandelt, wie Ihr Eunané nimmer behandelt haben würdet? Ja, spielen konntet ihr mit mir, und mich liebkosen, wie ein Kind; ich war Euch ja nur ein Kind, ein Spielzeug, und sie war Euer Weib! Meint Ihr, ich dächte besser von Euch, weil Ihr keine Rache an mir genommen habt? Nein, keineswegs; ich sehe daraus nur, daß Ihr mich wieder behandelt habt, wie ein Kind, das man nicht bestraft wie ein erwachsenes Weib. Es heißt ja wohl, daß Ihr außerhalb Eures Hauses ein weiser und starker Mann seid, Clasfempta, aber in diesen schwachen Händen, seid Ihr weich und thöricht gewesen wie ein alberner Narr, und seid es auch jetzt noch.«

»Wie Ihr wollt,« erwiderte ich mit ruhiger Milde, »weise oder thöricht, Eivé; ich war Euer Beschützer und Euer Freund. Wenn einst Euch bitterer Kummer trifft, wenn Ihr dem Tode ins Auge schaut, dann denkt der heutigen Stunde, dann erinnert Euch zu Eurem Troste derselben, dann erinnert Euch meiner letzten Worte: ›ich vergebe Euch, und wünsche Euch Glück und Frieden für Euer weiteres Leben.‹«

Von Velna, Eveena hatte ihr doch wahrscheinlich schon alles Nöthige gesagt, nahm ich mit einer langen stillen Umarmung tiefbewegten Abschied — von ihr, die mit mir so lange am Todtenbette der Inniggeliebten gewacht hatte. Auch Enva und ihre Genossinnen hatten sich versammelt, um uns Lebewohl zu sagen, und mochte auch eine Ahnung ihnen sagen, daß dieses Scheiden vielleicht einen Abschied für Ewig bedeute, so rührte es mich doch, wie sie uns Alle unter Thränen und mit stammelnden Worten versicherten, daß sie, so sehr sie mich gekränkt und gequält, doch immer meine ernste Gerechtigkeit und meine nie versiegende Geduld und Freundlichkeit, gefühlt und erkannt hätten.

Dann wandte sich Enva zu Eveena und sprach in Aller Namen:

»Wir hätten Euch weniger übel behandelt, hätten wir Euch verstehen können. Verstehen wir Euch doch sogar jetzt nicht völlig. Clasfempta ist schließlich ein Mann wie Andere, nur daß er seinen Zorn zu zügeln versteht, wie ein starker Mann sein Haus oder eine Herde Ambau im Zaume hält. Ihr aber seid nicht ein Weib wie andere Frauen sind, und doch, soviel das Weib zarter und sanfter ist, als der Mann, so seid Ihr zwölf Mal zwölffaltig zarter und sanfter als jedes andere Weib!«

Eveena kämpfte mit Mühe die Thränen nieder und war außer Stande zu sprechen. Statt aller Antwort küßte sie zärtlich die Lippen, die nie ein gutes Wort für sie gesprochen, und drückte sie lange und innig die Hand, die nie eine gute That für sie gethan hatte.

»Sagt noch Eivé,« sprach sie endlich, »sagt ihr, ich wünsche, daß es ihr wohlgehen möge; doch ich fürchte ihr wahres Glück wird nie erblühen.«

Endlich bestiegen wir den Ballon, wie auf der letzten Reise von zwei in meinen Diensten stehenden Brüdern begleitet, die heute, wie mir auffiel, mit der Blitzwaffe versehen waren. Ich selbst hatte mir für den Fall der Gefahr meine alte treue Luftbüchse umgehängt, die mich an manchen frohen Jagdzug auf der Erde erinnerte, und noch mit meinem starken zweischneidigen wie ein Rasirmesser scharfgeschliffenen Schwert umgürtet, das so oft schon mein Leben geschirmt hatte. Vor den Blicken der Anderen durch Vorhänge geschützt, verbrachten wir beide die ersten drei Tage und Nächte im stillen Austausch unserer Gedanken und Gefühle. Sie trauerte tief um den Tod des heißgeliebten Bruders, aber trotz ihres Schmerzes, gingen doch alle ihre Gedanken in ihrem Gatten auf, und die Gefahren, von denen sie mich umringt sah, erschreckten vor Allem Andern ihr Herz.

Als wir etwa in der Höhe von tausend Fuß den Strom überflogen, der die Grenze des Reiches von Elcavoo bildet, riefen leise, aber erregt geflüsterte Bemerkungen unserer Gefährten meine Aufmerksamkeit wach, und wie ich den Vorhang aufhebe, wandte sich der eine der uns begleitenden Brüder an mich.

»Gefahr ist nahe,« sagte er leise, doch nicht leise genug um nicht auch von Eveena gehört zu werden. »Dort steuert ein anderer Ballon direkt auf uns zu. Der Eine der Insassen trägt, wie das Fernrohr zeigt, die Schärpe des Regenten, die Anderen des Endo Zamptâ grau und scharlachfarbene Uniform. Hier nehmt diese Blitzwaffe und sagt, ob Ihr den Befehl selbst übernehmen wollt oder ob wir für Euch handeln sollen?«

Als Antwort schlug ich den Ueberwurf meines Mantels zurück und enthüllte die goldene Schärpe meines Ranges. Dann befahl ich ruhig und unbekümmert um das feindliche Fahrzeug unsern Lauf fortzusetzen.

Sobald es uns aber in Schußnähe kam, rief ich aus: »Richtet Eure Waffen, feuert auf Jeden, der seine Waffe gegen uns erhebt, und mit dem zweiten Schusse vernichtet dann den Ballon der Feinde.«

Endo Zamptâ befand sich ganz in unserer Nähe, nur trieb sein Ballon etwas tiefer als der Unserige hin. »Ich verhafte Euch,« rief er, mich beim Namen anrufend, »im Auftrage des höchsten Gerichtes. Ich verhafte Euch; senkt Eure Waffen, oder wir feuern.«

»Und ich,« rief ich meinerseits, meine Waffe auf das Haupt des Regenten richtend, während Eveena den Paß hochhob, der, wie mir schien, nicht unabsichtlich in großen Schriftzeichen abgefaßt war, »ich verbiete Euch, im Namen des Camptâ, kraft dieses seines Befehls, unsere Fahrt auch nur einen Moment aufzuhalten.«

Dann ließ ich das feindliche Fahrzeug so nahe an das Unsere kommen, daß Endo durch sein Glas den Befehl des Großherrn zu lesen vermochte. Zu diesem Zwecke hatte er seine Waffe niedergelegt, und seine Leute, die nunmehr keinen feindlichen Schluß der Begegnung erwarteten, thaten das Gleiche, als plötzlich der Regent durch eine Wendung der Schraube sein Schiff in eine beinahe horizontale Lage warf, sein Gefährt in Kollision mit dem Unseren brachte und sich der Person Eveena's, die mit dem Papier in der Hand sich über den Rand unseres Schiffes lehnte, zu bemächtigen suchte. Sie war aber zu schnell für ihn und entkam, ich selbst sprang herbei mit dem Rufe: »Fort oder ich feure.« Seine Leute griffen nach ihren Waffen, doch sahen sie, daß die Meinigen bereits nach ihrem Ballon hinzielten und daß, ehe sie selbst abfeuern konnten, ein einziger Schuß von uns sie zur Erde hinabschleudern, und der Sturz sie zu einer formlosen Masse zerschmettern müßte. Auch Endo sah ein, daß ihm kein anderer Ausweg blieb, als dem Befehle des Camptâ Gehorsam zu heucheln; er drehte also den Hahn auf, um das Gas durch eine Röhre, die durch das Schiff ging, ausströmen zu lassen, und ließ seinen Ballon mit reißender Geschwindigkeit sich senken, scheinbar dem Befehle des Großherrn sich fügend. Sofort wie ich dies sah, legte ich die Blitzwaffe, die ich in der Hand hielt, beiseite und ergriff meine Luftbüchse, um in den mächtigen Ballon ein Loch einzuschießen. Es lag allerdings nicht in meiner Absicht, die ganze feindlichen Truppe zu vernichten, wie es unfehlbar die Anwendung der martialischen Waffe gethan haben würde, aber wohl schien es mir rathsam, sie durch meinen Schuß in eine etwas unbequeme Situation zu versetzen und sie mit fataler Geschwindigkeit hinabzubefördern. Der Erfolg dieses Manövers, der es Endo Zamptâ unmöglich machte, einen plötzlich demaskirten Asphyriator gegen uns in Aktion treten zu lassen verfehlte nicht, die Zuversicht und den Muth unserer Begleiter wesentlich zu heben. Wir erreichten nunmehr ohne jede weitere Belästigung Ecasfe und Esmo's Haus und übergaben, während wir uns in die Wohnräume verfügten, den Ballon der Bewachung einer kleinen Schaar von Brüdern der Zinta.

Hier fanden wir den durch künstliche chemische Kälte vor Verwesung bewahrten Leichnam Kevimâ's der auf der Bahre lag, nicht wie ein Todter, sondern wie ein Schlafender. Eveena näherte sich ihm und küßte ernst und gefaßt, doch mit strömenden Thränen, die Lippen des Bruders, die so bald zerstört werden sollten. Dann zogen sich alle nächsten Anverwandten zurück, — denn das Gesetz der Zinta verbietet es den nächsten Angehörigen, bei der Vernichtung der körperlichen Hülle verstorbener Familienglieder zugegen zu sein, — und erst als die goldene Urne mit ihrer Inschrift in die Hände Esmo's gelegt ward, nahmen auch wir wieder Theil an den Feierlichkeiten.

Nach dem Glaubensbekenntniß der Zinta, mit welchem die Brüder ihr Vertrauen zur allmächtigen Weisheit des Vaters alles Lebens und den Glauben an die Ewigkeit seiner Gabe bezeugen, hielt der eine Meister des Ordens eine kurze, aber ergreifende Gedächtnißrede für den Verstorbenen, während ein anderer im Namen aller Brüder des Ordens dem hart geprüften Vater und der ganzen Familie sein Beileid aussprach. Dann ward die Urne, welche die Ueberreste des letzten männlichen Nachkommen des Ordensstifters enthielt, einer anderen Gruppe zur Beisetzung in den Todtenkammern des unterirdischen Tempels übergeben. Doch ehe noch jene das Zimmer, in welchem die Zeremonien stattfanden, verlassen hatten, erschreckte uns alle plötzlich ein gewaltiger Blitzstrahl, der das ganze Peristyl und die auf dasselbe hinausgehenden Zimmer einen Moment lang mit Tageshelle erleuchtete, und in Hast und Bestürzung stürmte allsobald die Wache herein und verkündete uns, daß unser Ballon von dem Blitzstrahl einer verborgenen feindlichen Waffe zerstört sei. In der allgemeinen Erregung bewahrte auch hier wieder Esmo allein seine besonnene Ruhe. Er befahl, daß man unverzüglich für etwa vierundzwanzig Brüder Wagen bereit machen solle, und verkündete seinen Entschluß, uns sofort nach dem Astronauten zu begleiten. Ehe noch fünf Minuten seit der Vernichtung des Ballons verstrichen waren, hatte bereits Zulve und der Rest der Familie von Eveena und von mir Abschied genommen; wir bestiegen, umringt von unsern Begleitern, die Wagen und fuhren in der Mitte des Zuges zum Thore hinaus. Auf der Fahrt fielen mir die grimmigen Blicke auf, die uns von so manchem Dache nachgesandt wurden, und unter den Gruppen, die sich hier und da auf der Landstraße zusammengeschaart hatten, sah ich manch eine blitzende Waffe, so daß es mir zur größten Beruhigung gereichte, daß eine andere Abtheilung Zveltau das Haus Esmo's bis zur Rückkehr desselben besetzt hielt. Wir fuhren jetzt mit der größten Geschwindigkeit der elektrischen Wagen jene Straße entlang, die ich schon einmal und zwar zuvor in Gesellschaft Jener, die nun mein Weib und hoffentlich bald mein einziges Weib war, in Begleitung des Mannes befahren hatte, der seit jenem Tage unser erbitterter Todfeind geworden. Da, wo der Weg für die Wagen aufhörte, stiegen wir ab. Esmo stellte uns auf und musterte uns; wir waren alle mit dem Speer und der Mordyta bewaffnet. In die Mitte unseres Carrés wurde Eveena gestellt, neben welcher ich der Weisung Esmo's zufolge Platz nehmen sollte. Ich erhob entschiedenen Einspruch dagegen: »Clavelta,« sagte ich, »ich kann mich unmöglich hinter dem Leben der Andern verschanzen, die um mich das Ihrige wagen. Mag auch Eveena als Weib und als Sprößling des Stifters unserer Aller Schutz mit Recht beanspruchen; ich habe an diesem ihrem Vorrechte keinen Antheil, meine Pflicht ist es, sie zu vertheidigen und beschützen zu helfen.«

Esmo erhob den Arm, welcher das Siegel trug, und sah mich mit seinem ruhig befehlendem Blick an, der jeden Widerspruch gegen seinen Willen unmöglich machte.

»Nehmt Euren Platz ein,« sprach er, und instinktiv erhob ich, in Erinnerung an alte Felddisziplin meine Hand zu dem militairischen Gruße, dessen ich mich schon so lange entwöhnt hatte.

Dann redete Esmo also zu seiner kleinen Schaar:

»Schlaget stark, schlaget kräftig und verfehlt keinen Schlag,« sprach der Meister. »Die Gefahr, die uns droht, ist fremd dem Gesetze, fremd der Regierung — es ist ein Mordanschlag zu dem man den Namen des Großherrn mißbraucht und die Bestimmungen des Gesetzes verdreht hat. Wisset wer uns angreift, trachtet auch nach dem Leben des Camptâ, und unsere Feinde sind auch die Seinen. Einmal besiegt, werden sie es nie wieder wagen, uns anzugreifen, aber wenn einmal siegreich, dann werden sie uns alle vernichten und uns keine Zeit und Gelegenheit lassen, an die Gerechtigkeit des Gesetzes und die Gnade des Großherrn zu appelliren.«

Auf ein Zeichen des Meisters, der sich ein Wenig vor der Front des kleinen Trupps aufgestellt hatte, rückten wir nach diesen Worten vor — leider, wie ich sogleich bemerkte, ohne den Schutz einer Vorhut oder einer Seitendeckung. Mir schien dies ein großer Irrthum von seiten des Meisters, der mir zeigte, wie wenig militairische Uebung er und unsere Kameraden hatten. Ich beschloß, ihn darauf aufmerksam zu machen, doch ehe ich noch dazu Gelegenheit fand, sahen wir uns plötzlich, als wir um den felsigen Vorsprung biegen wollten, an welchem ich bei meinem Abstieg mir die erste Ruhe gegönnt hatte, einer feindlichen in die Farben des Regenten gekleideten Macht gegenüber, die wohl doppelt so stark war, wie unsere kleine Schaar. Die Frontreihen des Feindes wichen zurück vor der magischen Gewalt des Auges Esmo's und verloren Ordnung und Ruhe, als sie, um dem Asphyriator Spielraum zu schaffen, sich nach rechts und links auseinander zogen. Ueberhaupt war ihre Strategie mindestens ebenso kindlich unvollkommen, als unsere Eigne, — unser wie der feindliche Führer hätte sich an dem hartnäckigen, gleichsam organisirten Widerstande, den uns die Therne bei den letzten Jagdzügen entgegensetzten, ein Vorbild nehmen können. Der Feind war so nah um die Biegung des Wegs aufgestellt, daß seiner gefährlichsten Vernichtungswaffe kein Wirkungsfeld blieb, und wären wir selber nur ein Wenig besser vorbereitet gewesen, so hätten wir ihm mit Leichtigkeit durch einen Sturmangriff zuvorkommen können. Doch auch jetzt gelang es uns bald das Geschütz außer Kampf zu setzen; mit einigen wohlgezielten Schüssen ward das Instrument zu Stücken zerschmettert. Nun stürmten wir vor und der Feind hätte uns wahrscheinlich das Feld schon jetzt geräumt, wäre ihm ein Ausweg geblieben, auf dem er hätte entweichen können. Doch weder zur Rechten noch zur Linken durfte er sich wenden, hier versperrte ihm eine Felswand den Weg, dort gähnte ihm die jähe Tiefe des Abgrunds entgegen. Indessen vermuthete ich von hinten, von einer Stelle in unserem Rücken, die leicht einer Schaar zum Versteck gedient hätte, neue uns drohende Gefahr, jedoch ganz ohne Grund, denn selbst solch' eine einfache Maßregel war dem Regenten bei seiner totalen Unwissenheit in militairischen Dingen nicht in den Sinn gekommen.

In diesem kritischen Moment fiel der Schuß einer Mordyta aus einem Dickicht heraus, und Esmo sank tödtlich getroffen zu Boden. Dann sprang der Mörder aus dem Busch hervor: ich erkannte die Züge Endo Zamptâ's. Voll Entsetzen und in Verwirrung lösten sich die Reihen der Brüder, und rückwärts wichen sie, Eveena mit sich fortreißend. Durch meine Größe und körperliche Stärke gelang es mir nach ihrem Hause zu entweichen. Mit meinem Rücken gegen die Felswand zur Linken gelehnt, durch eine kleine Erhebung, die sich bis zu den Knieen erhob, vor dem unmittelbaren Andringen des Feindes ein Wenig geschützt, stand ich mit abgeworfenem Mantel da und zeigte den Meinen den Stern und die Schärpe des Meisters. Noch ein anderer Meister hatte, wie ich jetzt bemerkte, das Gleiche gethan. Es war jener, der bei der Verurtheilung des Apostaten den Platz zur Linken Esmo's innehatte, der damals die größte Geneigtheit, Gnade zu üben, gezeigt und heute in Mitte der Gefahren und der allgemeinen Verwirrung allein Muth und Ruhe bewahrte.

»Sammelt und führt die Unseren zurück,« rief ich laut ihm zu, »vertraut dem rothen Stahl; ihm werden diese Hunde nicht die Stirn bieten können.«

Der Feind war vorgestürzt, sobald er unsere Leute zurückweichen sah, so daß ich jetzt beinahe ganz in seiner Mitte stand und mich deswegen wenigstens davor sicher fühlte, daß ich einem Blitzstrahl aus einer seiner Mordytas zum Opfer fiele. Mann gegen Mann aber nahm ich es mit mehr als zwei oder drei von ihnen zugleich auf, obgleich ich heute keinerlei Rüstung trug, während die Feinde mit Panzerhemden aus dichtem geflochtenem Draht angethan waren.

So zu sterben, für sie, unter ihren Augen zu sterben, und ihrem verwaisten Leben ein lebendes Zeichen der Liebe zu lassen, welch schöneres Schicksal kann Gott verleihen, welch schöneres Schicksal ein Soldat und ein Liebender sich erwünschen? Ehre lag allerdings wenig, kaum Befriedigung der Rache, in den wuchtigen Streichen, mit welchen mein Schwert den Einen der Feinde von den Schultern bis an den Gurt hinab spaltete, des Andern Haupt halb vom Rumpfe abtrennte und andere unselige Menschen todt oder halbtodt zu meinen Füßen hinstreckte. Mein Arm war anderer Feinde gewohnt und besaß, im Vergleich zu den ihren, so hünenhafte Stärke, daß, hätte nicht ein anderes Leben an meinen Streichen gehangen, ich mich der mörderischen Wucht meines Schwertes geschämt haben würde.

Wie ich nun von diesem Gefühl überkommen einen Moment lang die grause Arbeit unterbrach, bemerkte ich, daß hinter dem durch meine Streiche und durch das Entsetzen vor meinem Arm freigewordenen Raum die Träger der Blitzwaffe eine Art Halbkreis formirten, langsam gegen mich losrückten, und sichtlich ihr Opfer, ehe sie feuerten, zu umringen trachteten. Noch einen Moment und um mein Leben wäre es geschehen gewesen, — da eilte plötzlich Eveena auf mich zu, sprang auf den Stein, der sich bis zu meinem Knie vor mir erhob, umfing mich mit ihren Armen und schützte mit ihrem Körper den Meinen. Im gleichen Augenblick traf uns auch schon ein Blitzstrahl aus einer feindlichen Waffe, der mich eine Zeit lang betäubte, und als ich dann wieder zu mir kam, sah ich, daß ich einen leblosen Körper an meine Brust drückte. Sie hatte ihr Leben für das meine gegeben und damit das meine werthlos gemacht. Das Schwert entglitt meiner Hand und hing an dem Faustriemen nieder, als ich sie zärtlich und sanft auf den Boden neben den Stein hinlegte, der ihr das Opfer, das ich wenig gewünscht und so wenig um sie verdient, ermöglicht hatte. Dann aber griff ich wieder nach meiner Waffe, instinktiv brach ich aus in den wildem Schlachtruf einer andern Welt und in grimmer Mordwuth stürzte ich in die Mitte der Feinde. —

»Ent ân Clazinta« — »zu mir die Zinta!« rief im selben Moment hinter mir der andere Meister, der die gelichteten Reihen gesammelt hatte und die von dem Tode Eveena's zu rasender Wuth entflammten Brüder gegen die Feinde führte, auf deren ungeschützte Gesichter er in leicht verständlicher Weise hinwies. Wie ich es vorausgesagt hatte, dem rothen Stahl vermochte der Feind nicht zu wiederstehen. Kaum fochten sie, doch legten sie die Waffen nicht nieder. Es hätte ihnen auch wenig genützt. Erbarmungslos mähten unsere Schwerter die Gegner nieder, und Keinem, ob verwundet oder unverwundet, gaben die Unseren Pardon. Plötzlich, wie ich die Spitze meines blutströmenden Schwertes nach unten sinken ließ, da ich Niemand in der Nähe mehr sah, den ich hätte niederstrecken können, erblickte ich den Regenten Endo Zamptâ lebend und unversehrt in den Händen der Meinen.

»Memme, Schurke und Mörder!« schrie ich voll Wuth, »Du sollst eines grausameren Todes sterben, als Deine eigenen wilden Gesetze für Deine That ihn kennen. Bindet den Schurken! Er soll in der Luft an meinem Schiff hängen, bis ich für gut befinde, ihn herunterstürzen zu lassen. Im Uebrigen sehet, daß Niemand mit dem Leben entrinne; Niemand soll sich gegen uns des heutigen Tages zu rühmen vermögen!«

So ward denn der Regent auf die Höhe des Berges geschleppt und dort mit seinem Gurt, wie ich ihm gedroht hatte, an den FensterEingang des Astronauten gehängt, während der Leichnam Esmo's und die der übrigen erschlagenen Zveltau aufgehoben und von den Waffengefährten nach den Wagen hinuntergetragen wurden, um sie heimwärts zu befördern. Ich selber aber holte aus der für die Reise neu gefüllten Garderobe des Luftschiffes einen langen weichen Thernemantel hervor und hüllte in ihn das, was mir von dem lieblichsten Wesen, dem edelsten Herzen, das je in einer Weiberbrust zweier Welten schlug, vom Schicksal übrig gelassen war. Dann schnitt ich eine lange seidene Flechte aus ihren braun und goldigen Locken, mit denen meine Hand so oft gespielt hatte, und küßte zum letzten Male die Lippen, welche mir so oft gerathen, Trost zugesprochen und ein Wort der Mahnung gesagt hatten, die Lippen, über welche keine Silbe, die besser ungesagt geblieben, je gekommen war. Endlich rief ich, nachdem ich sorglich ihr Haupt und ihren Körper eingehüllt hatte, zum letzten Male die Brüder zu mir heran und übergab die theuren Ueberreste ihrer Obhut. Vom tiefsten Schmerze mich aufraffend, von wildem Haß beseelt, entflammt zu zügelloser Rache, bat ich zwei oder drei unserer Waffengefährten mir bis zu dem Fuße der Leiter, die nach dem Fenster meines Luftschiffes führte, zu folgen, denn in ihrer Gegenwart gedachte ich dem zitternden Opfer meiner Wuth, das Wahnsinnsschauer durchschüttelten, sein Schicksal zu verkünden, als plötzlich, wie durch einen Zauber, der wilde Aufruhr meiner Empfindungen sich besänftigte. Alle die edlen Lehren von denen ich so oft mit Eveena geredet, die so wundersam ähnlich den mystischen Lehren unseres Ordensbundes von ihr stets so verständnißinnig angehört und aufgenommen wurden, alle diese traten mir in die Erinnerung und es war als ob ihre Stimme, die ich hienieden körperlich niemals mehr hören sollte, durch das Ohr der Seele meinem Herzen zuflüsterte: ›Die Rache ist des Herrn — Er wird vergelten.‹ — Noch im Tode leitete ihr Wille den meinen, wie die vollkommene Reine und Unschuld ihres Herzens ihn während ihres Lebens stets geleitet hatte.

Geänderten, milderen Sinnes wandte ich mich jetzt zu ihrem Mörder: »Sterben sollt Ihr,« sprach ich zu ihm, »doch nicht durch meine Rache. Das Gesetz soll Euch richten, zwar nicht Euer eignes, aber ein anderes, das es verbietet, durch Folter den Todesschmerz zu erhöhen. ›Wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden.‹ Einen Soldatentod will ich Euch aber nicht geben,« fügte ich hinzu, als ich sah, daß einige meiner Leute ihre Waffen erhoben. Bei diesen Worten zerschnitt ich den Strick, an welchem er hing und schleuderte den Elenden von der Höhe des Berges in die Tiefe hinunter. Betäubt wie er war, konnte er kaum den Sturz empfinden, der seine ruhelose Seele zur Rechenschaft vor jenen Richter entsandte, vor dem sein Opfer bereits ihre Anklage gegen ihn erhob. Hierauf bestieg ich mein Fahrzeug, winkte meinen Kameraden Lebewohl zu, setzte die Maschinerie in Bewegung und schickte mich an, eine Welt zu verlassen. in der mich jetzt nichts mehr zu fesseln vermochte.


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Kapitel 30
Lebewohl

Aber noch war meine Aufgabe nicht vollendet. Glücklicherweise fand ich in den ersten Momenten dieser neugeschaffenen Einsamkeit, in der ich mich allein mit meinem trostlosen Schmerze befand, alle Hände voll Arbeit, die meine Gedanken ablenkte und meinen Körper aus seiner Erschlaffung riß. Da mußte ich zuvörderst mit Hilfe der Luftpumpen in meinem Schiff eine Atmosphäre herstellen, die so dicht war, wie die der Erde, in der ich geboren war und so lange gelebt hatte. Dann mußte ich das Eingangsfenster verschließen und es hermetisch verkitten, sowie den ganzen Steuerapparat in Ordnung bringen. Um diese Beschäftigungen mit größerer Ruhe ausführen zu können, hielt ich die Bewegung des Fahrzeugs so weit an, bis es nur wenige Fuß in der Minute emporstieg, und wandte mich dann wieder zu der Luftpumpe zurück. In diesem Augenblicke war es mir, als ob mein Instinkt, durch den wohl ein Jeder wenigstens schon einmal in seinem Leben an die ungeahnte geistige Nähe eines Freundes oder Feindes gemahnt wurde, als ob jener Instinkt mir zuriefe, daß ich nicht länger allein sei. Ich wandte mich um, ich schaute nach dem Eingangsfenster hin, und ich sah, oder vielmehr ich glaubte jene in den Hallen der Zinta erblickte Erscheinung wiederzusehen. War gleich der Blick der Augen von so gebietender, magischer Macht wie jemals, so gelang es ihr heute doch nicht all meine Sinne zu bannen, denn neben der hehren Gestalt sah ich eine andere in kniender Stellung, sie, der im Tod wie im Leben all mein Denken und Empfinden gehörte. Ich sprang auf und eilte nach vorn; mir war es, als ob ich ihre Hand ergriffe, sie an mich drückte und mein Haupt beugte um ihre Lippen zu küssen; und dann verhüllte eine nebelhafte Dunkelheit am hellen, lichten Tage dies Alles vor meinen Augen. Endlich erhob ich mein Haupt, ich sah durch das Fenster, an welches mich die Vision hingezogen hatte, und mein Blick fiel gerade auf Ecasfe und auf jenes Haus, in dem ich einstmals die Hand Jener gewann, deren sterbliche Hülle heute dorthin getragen wurde. Ich griff nach meinem Feldglas, um die Szene, die ich undeutlich sah, näher an meine Augen zu ziehen, und sah nun auf dem Dach des Hauses die mit den Waffen des Blitzes zur Verteidigung gerüstete kleine Schaar der Brüder mit dem Bande und dem Stern, während um die Mauern des weiten Gehöftes drohend und zum Sturm bereit ein nach Tausenden zählender mit Speeren, Stöcken und Stäben bewaffneter Pöbelhaufe sich drängte. Zwei Minuten genügten, um mich gerade über jene Szene zu bringen, eine dritte, um mit schnellerer Eile, als es für meine eigene Sicherheit rathsam war, mein Fahrzeug niedersinken zu lassen.

Der Kampf tobte am heftigsten, als einer der Zveltau mein Luftschiff erblickte und darauf hinzeigte. Ein lauter Willkommenruf, ein Schrei unbeschreiblicher Freude aus dem Munde der übrig gebliebenen Vertheidiger des Hauses lenkte bald auch die Augen der Angreifer dahin. Sie fühlten einen Augenblick lang all die Bitterkeit des Todes, ein wilder, furchtbarer Ruf des Schreckens, der sogar durch die dicken Wände und Fenster des Astronauten hindurch bis an mein Ohr drang, durchzitterte die Luft. Ein furchtbarer Stoß — ein Aufspringen, und ich wußte, daß ich durch die Hinopferung von Tausenden von Leben den Tod Eveena's und ihres Vaters gerächt, ihre Familie vor demselben Ende bewahrt, und dem Symbol, das sie so sehr im Leben verehrte, einen letzten Sieg bereitet hatte. Noch ein Augenblick — und ich stand unter ihnen auf dem Dache, und meine Hand hielt die Zulves umfangen.

»Wir wissen Alles,« sagte sie. »Unseres Lieblings esve brachte uns die Nachricht. Die Hüllen derjenigen, die mir Alles waren im Leben, die auch Euch so theuer gewesen, wird man unversäumt zu uns bringen.«

Hier wurden wir unterbrochen; ein Ruf lenkte meine Blicke nach links auf einen Ballon hin, von dessen Schiff die mächtige, rothsilberne Flagge des Großherrn herabwehte. Als er herabsank, trat Ergimo aus demselben heraus und sagte:

»Ich komme zu spät, um das Leben der Freunde zu retten. Der Fürst hat das Versprechen erfüllt, das er Euch gab, er hat das Gesetz aufgehoben, das eine Waffe in der Hand derer war, die nach seinem Throne und Leben und nach der Macht des Sternes und der Sternenkinder strebten. Die Verräther traf bereits alle ihr verdientes Geschick. Nur Einer ist noch entronnen und zwar ihr Haupt; um ihn in Haft zu nehmen, bin ich gekommen. Doch wo ist der Meister? Und,« fuhr er fort, »wo? ... Was? Ihr seid allein?«

»Für ewig allein,« sagte ich, und wie ich die Worte aussprach, trug gerade die Prozession barhaupt und wankenden Schrittes zwei verdeckte Leichen in das Peristyl hinein — das war Antwort genug.

Die ergreifende Szene, die diesem Vorgange folgte, kann ich unmöglich erzählen, ich vermag mich derselben kaum selbst zu entsinnen; ich kam erst dann zu vollem Bewußtsein meiner selbst und zu ruhiger Fassung, als man mir ein goldenes Kästchen reichte, auf welchem jene Namenschiffre, die ich so selten gesehen und doch so wohl kannte, geschrieben stand. Dann wandte ich mich an Zulve und Ergimo:

»Bedürft Ihr meiner,« sagte ich, »kann ich Euch und Eurem Hause dienen, so will ich gerne hierbleiben, so lange ich Euch von Nöthen und Euren Augen ein Trost bin —«

»Nein,« entgegnete Ergimo; denn Zulve fand keine Worte. »Das Haus Clavelta's ist fortan geschützt und geehrt wie keines im Lande. Nur eine Frage bleibt uns an den noch zu richten, der augenblicklich des Hauses Haupt und der einzige Vertreter des Stammes unseres Gründers. Vielleicht,« setzte er halblaut hinzu und sah auf die jüngeren Matronen des Hausstandes, »vielleicht mag noch Eine von ihnen dem Orden den natürlichen Erben geben, den wir aus Eurer Familie erhofften, doch auf keinen Fall kann der Orden ohne ein Haupt bleiben.«

Bei diesen Worten näherte sich mir Zulve und legte in meine Hand den von dem Arm Esmo's genommenen Reif mit dem Siegel. Ich verstand den Sinn ihrer Handlung und als einziger männlicher Vertreter des Hauses legte ich ihn an den Arm des Meisters, der Esmo im Range zunächst stand. Nachdem ich dem neuen Meister meine Ehrfurchtsbezeugung dargebracht, wandte ich mich wieder zum Scheiden. Jetzt aber fielen meine Augen auf das enthüllte Gesicht und die zarte Gestalt eines Wesens, das Eveena so ähnlich und doch auch so unähnlich war, ich erblickte mit Rührung Zevle, die Lieblingsschwester der vom Leben Geschiedenen. Ich streckte ihr meine Hand entgegen, aber Rührung überkam die durch das Herkommen gebotene Zurückhaltung, sie umfing mich mit ihren Armen, ihre Thränen strömten auf meine Brust und mischten sich mit den meinen, wie ich mich niederbeugte, um den Abschiedskuß auf ihre Brauen zu drücken, und die Stimme erstarb mir, ihr ein Wort des Lebewohls zu sagen.

Doch als dann der Astronaut zum letzten Male vom Boden aufstieg, sangen die Stimmen meiner Brüder zum Lebewohl die letzten Zeilen der altvertrauten Hymne:


Friede mit Euch ohne Ende,
Fried', den selbst der Tod nicht wende —
Bis wir einst uns wiedersehn,
Vor dem ew'gen Richter stehn —
Zu empfangen unsern Lohn
Vor des Allbeherrschers Thron.


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ENDE


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Non sibi sed omnibus
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